Wenn der Wind singt / Pinball 1973 - Haruki Murakami - E-Book
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Wenn der Wind singt / Pinball 1973 E-Book

Haruki Murakami

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Beschreibung

Murakamis »verlorene Romane« – seine frühen Werke auf Deutsch! ›Wenn der Wind singt‹, Haruki Murakamis Debüt, folgt einem namenlosen 21-jährigen Studenten, der die Semesterferien (und damit den August 1970) in seinem kleinen Heimatort verbringt. Die Zeit vertreibt er sich mit seinem besten Freund, genannt »Ratte«, einem Mädchen mit vier Fingern an der linken Hand und einem Barkeeper. Die Handlung von ›Pinball 1973‹ setzt drei Jahre später ein. Der junge Mann lebt inzwischen in Tokio, während die »Ratte« immer noch in »J.’s Bar« darauf wartet, dass das Leben losgeht. Ein melancholischer, atmosphärisch dichter Roman, der zudem die wohl besten Flipperszenen der Literaturgeschichte enthält. Nach langem Zögern hat Haruki Murakami die Bitten seiner Lesergemeinde erhört und der Veröffentlichung dieser außerhalb Japans nie erschienenen Frühwerke zugestimmt. Zusammen mit ›Wilde Schafsjagd‹ (DuMont 2005) bilden sie die »Trilogie der Ratte«, die erst 35 Jahren nach Erscheinen in Japan ins Deutsche übersetzt wurde. Murakamis berühmter »Boku«-Erzähler wurde hier erstmals dem Publikum vorgestellt. Eine kleine Sensation, nicht nur für eingefleischte Murakami-Fans.

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Seitenzahl: 291

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HARUKI MURAKAMI

WENN DER WIND SINGT PINBALL 1973

Zwei Romane

Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe

eBook 2015 Die Originalausgaben erschienen unter den Titeln ›Kaze no uta wo kike‹ und ›1973-nen no pinboru‹ bei Kodansha Ltd., Tokio © 1979, 1980 Haruki Murakami © 2015 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte vorbehalten Übersetzung: Ursula Gräfe Lektorat: Stephan Kleiner Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln Umschlagabbildung: © jefunne – Fotolia.com eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck ISBN 978-3-8321-8850-4  

www.dumont-buchverlag.de

Literatur am Küchentisch Vorwort zu zwei Kurzromanen

Die meisten Menschen – zumindest ist das in Japan so – beenden ihr Studium, suchen sich eine Anstellung und heiraten erst anschließend. Ursprünglich hatte ich das auch vor. Oder bildete mir zumindest ein, es würde so laufen. Doch in Wirklichkeit heiratete ich zuerst, begann dann zu arbeiten und schloss danach (irgendwie) mein Studium ab. Das heißt, ich stellte die Reihenfolge auf den Kopf.

Ich hatte zwar geheiratet, aber keine Lust, in einer Firma anzufangen. Also beschloss ich, ein eigenes Lokal zu eröffnen. Ein Lokal, in dem ich Schallplatten auflegen und Kaffee, alkoholische Getränke sowie kleine Speisen servieren würde. Ich war verrückt nach Jazz und stellte mir – vielleicht ein wenig naiv – vor, dass ich auf diese Weise von morgens bis abends meine Lieblingstitel hören könnte. Als Studentenehepaar hatten wir natürlich so gut wie kein Geld. Also hatten meine Frau und ich drei Jahre lang mehrere Jobs gleichzeitig. Außerdem liehen wir uns von überall her etwas, und als wir genug Geld beisammen hatten, eröffneten wir in Kokubunji am westlichen Rand von Tokio (wo damals viele Studenten lebten) ein Lokal. Das war 1974.

Damals war das nicht so übertrieben teuer wie heute, und viele junge Leute, die wie ich keine Festanstellung wollten, eröffneten kleine Geschäfte. Überall schossen Cafés, Restaurants, Gemischtwarenläden oder Buchhandlungen aus dem Boden. In der näheren Umgebung unserer Bar gab es mehrere Läden, die Leuten in unserem Alter gehörten. Viele von ihnen entstammten der versprengten Studentenbewegung, waren sozusagen die Überreste einer Gegenkultur. Zu jener Zeit gab es noch so etwas wie Nischen auf der Welt.

Ich brachte das Klavier, das wir zu Hause hatten, in unser Lokal und veranstaltete an den Wochenenden Liveauftritte. In Kokubunji und Umgebung lebten genügend junge Jazzmusiker, die (so hoffe ich) gern für eine geringe Gage bei uns auftraten. Viele von ihnen sind heute namhafte Musiker, denen ich regelmäßig in allen möglichen Jazzclubs in Tokio wiederbegegne.

Nun taten wir etwas, das uns gefiel, auch wenn wir es nicht leicht hatten, weil wir ja das viele Geld abbezahlen mussten, das wir uns von der Bank und von Freunden geliehen hatten. Als meine Frau und ich eines Monats den Betrag für die Bank partout nicht aufbringen konnten, gingen wir noch spät abends verzagt und mit gesenkten Köpfen durch die Straßen. Plötzlich lag Geld vor uns auf der Straße, und wir hoben es auf. Wie soll ich es nennen? Zufall oder glückliche Fügung? Jedenfalls war es exakt die Summe, die uns für den nächsten Tag noch fehlte. Ohne diesen Fund hätten wir unsere Schulden bei der Bank nicht zahlen können. Wir waren gerade noch einmal davongekommen. (Mir sind schon öfter in entscheidenden Augenblicken meines Lebens solch unerklärliche Dinge passiert.) Eigentlich hätten wir es der Polizei melden müssen, aber damals konnten wir uns den Luxus solcher Ehrlichkeit nicht leisten.

Doch eines ist sicher: Es war eine schöne Zeit. Wir waren jung, gesund und unsere eigenen Herren und hörten den ganzen Tag lang Musik, die uns gefiel. Ich musste weder in überfüllten Zügen pendeln noch an langweiligen Sitzungen teilnehmen oder vor einem Chef buckeln, den ich nicht leiden konnte. Außerdem lernte ich eine Menge interessanter Menschen kennen.

So kam es, dass ich, als ich zwischen zwanzig und dreißig war, von morgens bis abends körperlich arbeitete (Sandwiches machte, Cocktails mixte und mich mit randalierenden Trunkenbolden herumschlug), um unsere Schulden zu tilgen. Irgendwann wurde das Gebäude in Kokubunji, in dem wir unser Lokal hatten, umgebaut. Wir mussten ausziehen und zogen nach Sendagaya im innerstädtischen Bereich. Die Räumlichkeiten dort waren neuer und vor allem größer, sodass wir einen Flügel aufstellen konnten. Aber dazu mussten wir wieder Geld aufnehmen. Wir wurden unsere Schulden einfach nicht los. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, erinnere ich mich nur daran, dass ich immerzu gearbeitet habe. Normalerweise verbringen junge Leute in diesem Alter wahrscheinlich mehr Zeit mit Vergnügungen, aber ich konnte es mir weder zeitlich noch wirtschaftlich erlauben, »der Jugend frohe Stunden« zu genießen. Doch ich las in jeder freien Minute. Jedes Buch, das mir in die Hände fiel. Lesen und Musikhören waren mein größtes Vergnügen, ganz gleich, wie viel ich zu tun hatte und wie ausgelaugt ich war. Diese Freude habe ich mir nie nehmen lassen.

Als ich Ende zwanzig war, begann das Lokal in Sendagaya endlich richtig gut zu laufen. Wir hatten noch immer Schulden, und das Geschäft ging mal besser, mal schlechter. Richtig zurücklehnen konnten wir uns nicht; dennoch stellte sich das Gefühl ein, es allmählich geschafft zu haben.

An einem sonnigen Nachmittag im April 1978 ging ich ins Tokioter Jingu-Stadion, um mir das Eröffnungsspiel der Central League anzuschauen, das zwischen den Yakult Swallows und den Hiroshima Carps stattfand. Es begann am frühen Nachmittag um eins. Ich war damals Fan der Swallows und machte häufiger Spaziergänge zum Stadion.

Die Swallows waren zu jener Zeit eine ziemlich schwache Baseballmannschaft (schon der Name klang nicht gerade stark), sie spielten ewig in der B-Klasse, hatten kein Geld und demzufolge auch keine prominenten Spitzenspieler. Natürlich waren sie auch wenig populär. Obwohl es sich um ein Eröffnungsspiel handelte, waren die Plätze auf dem Außenfeld fast leer. Ich lümmelte mich allein auf dem Rasen und trank ein Bier, während ich das Spiel verfolgte. Das Jingu-Stadion hatte damals keine Sitze auf dem Außenfeld – man ließ sich einfach auf der Böschung nieder. Der Himmel war klar, das Bier kalt und der weiße Ball auf dem grünen Rasen ein hübscher Anblick.

Der erste Schlagmann der Swallows war ein schlanker, unbekannter Spieler namens Dave Hilton aus Amerika. Er führte den ersten Schlag aus. Als Nummer 4 spielte Charlie Manuel. Er wurde später als Manager der Indians und der Phillies berühmt. Doch damals war er ein schlagkräftiger, unerschrockener Batter, der von den japanischen Fans »der rote Dämon« genannt wurde.

Der erste Pitcher der Hiroshima Carps war Sotokoba, glaube ich. Für Yakult spielte Yasuda. Als Sotokoba in der zweiten Hälfte des Innings eröffnete, schlug Hilton den Ball sauber nach links und erzielte einen Two-Base-Hit. Der schöne satte Ton, mit dem der Ball auf den Schläger traf, erfüllte das Stadion. Vereinzelter Applaus ertönte. Und just in diesem Moment kam mir völlig zusammenhanglos der Gedanke: »Ja – vielleicht kann ich einen Roman schreiben.«

Ich erinnere mich noch ganz genau an diesen Augenblick. Ich hatte das Gefühl, etwas sei langsam vom Himmel geflattert und ich hätte es mit meinen Händen aufgefangen. Warum es zufällig in meinen Händen landete, weiß ich nicht. Ich weiß es bis heute nicht. Doch was auch immer der Grund sein mag, es ist geschehen. Es war – wie soll ich sagen? – wie eine Offenbarung. Am besten passt wahrscheinlich der Ausdruck »Epiphanie«. Mein Leben veränderte sich völlig in dem Moment, als Dave Hilton im Jingu-Stadion den schönen Two-Base-Hit erzielte. Als das Spiel zu Ende war (ich weiß noch, dass die Swallows gewannen), fuhr ich mit der Bahn nach Shinjuku, um mir Manuskriptpapier und einen Füller zu kaufen. Damals gab es weder Textverarbeitungsgeräte noch Computer, und man schrieb jedes einzelne Zeichen mit der Hand. Dennoch verschafften mir diese Dinge ein ganz neues Gefühl. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich war. Es war schon ziemlich lange her, dass ich mit einem Füller geschrieben hatte.

Spätabends, als wir die Bar geschlossen hatten, setzte ich mich an den Küchentisch, um zu schreiben. Diese paar Stunden bis zum Morgengrauen waren meine einzige freie Zeit. So schrieb ich innerhalb eines halben Jahres den Roman Wenn der Wind singt. Als ich die erste Fassung fertig hatte, ging auch die Baseball-Saison zu Ende. Übrigens enttäuschten die Yakult Swallows in diesem Jahr die Prognosen der meisten Leute. Sie gewannen die Liga und schlugen danach sogar die Hankyu Braves, die über die besten Werfer in ganz Japan verfügten. Es war wirklich eine wunderbare Spielzeit, und mir hüpfte das Herz.

Wenn der Wind singt ist kurz, eher eine Novelle als ein Roman. Aber dieses Buch zu schreiben kostete mich große Mühe. Zum einen hatte ich kaum Zeit, aber vor allem keine Ahnung davon, wie man eine Erzählung schreibt. Ich hatte so gut wie alle russischen Romane des 19.Jahrhunderts und massenweise amerikanische Hardboiled-Krimis verschlungen, aber einen ernsthaften modernen japanischen Roman hatte ich, ehrlich gesagt, noch nie in der Hand gehabt. Ich wusste nicht, welche Romane gerade in Japan gelesen wurden, und auch nicht, wie ich einen schreiben sollte.

Ach, es wird schon gehen, dachte ich und schrieb in den paar Monaten einen Erzähltext, wie ich ihn mir in etwa vorstellte. Leider war ich nicht sonderlich beeindruckt von meinem Werk. Es hatte zwar die ungefähre Form eines Romans, las sich aber weder interessant, noch erweckte es in mir den Wunsch, es zu Ende zu lesen. Und wenn schon der, der den Text geschrieben hatte, so empfand, wie musste sich dann erst der Leser fühlen! Ich war enttäuscht von mir. Anscheinend hatte ich doch kein Talent zum Schreiben. Normalerweise hätte ich an diesem Punkt einfach aufgegeben, doch in meinen Händen spürte ich noch ganz deutlich das, was mir auf dem Rasen im Jingu-Stadion zugefallen war.

Nach eingehender Überlegung wurde mir klar, dass mein Unvermögen auf diesem Gebiet ganz natürlich war. Ich hatte ja in meinem ganzen Leben noch nie einen Roman geschrieben. Wie konnte ich erwarten, gleich beim ersten Versuch etwas Bahnbrechendes hervorzubringen? Man konnte sich vermutlich nicht einfach vornehmen, einen guten Roman zu schreiben. Aber wenn ich sowieso keinen guten Roman schreiben konnte, warum dann nicht meine vorgefertigten Ansichten über Romane und Literatur über Bord werfen und einfach frei nach Belieben schreiben, was mir in den Kopf kam?

Obwohl »einfach frei nach Belieben schreiben, was einem in den Kopf kommt« nicht so leicht ist, wie es klingt. Besonders für einen Unerfahrenen ist es ein beinahe unmögliches Unterfangen. Um meine Einstellung von Grund auf zu revolutionieren, beschloss ich, vorläufig auf den Füller zu verzichten, der eine irgendwie »literarische« Attitüde in mir hervorrief. Stattdessen holte ich die Olivetti mit lateinischer Tastatur hervor, die wir im Schrank hatten. Ich wollte meinen Romananfang versuchsweise auf Englisch verfassen. Zu verlieren hatte ich ja nichts.

Meine Beherrschung der englischen Sprache war natürlich nicht gerade berauschend. Mir standen nur eine begrenzte Anzahl an Vokabeln und Konstruktionen zur Verfügung, und so gerieten meine Sätze naturgemäß sehr kurz. Ganz gleich, welche komplizierten Gedanken ich in meinem Kopf ausbrütete, auf Englisch konnte ich sie so nicht ausdrücken. Also formulierte ich ihren Inhalt in möglichst einfachen Worten, paraphrasierte leicht verständlich, entfernte alles Überflüssige aus meinen Schilderungen und beschränkte mich auf das, was in mein begrenztes Gefäß passte. Ein roher, sehr kompakter Text entstand. Während ich mich mühsam voranarbeitete, entwickelte ich allmählich einen persönlichen Rhythmus.

Ich bin ein in Japan geborener Japaner, und die japanische Sprache hat mein Leben von Anfang an bestimmt. Mein ganzes System ist so vollgepackt mit japanischen Wörtern und Ausdrücken wie ein bis unters Dach vollgestopfter Schuppen. Wenn ich also die Gefühle und Bilder in mir in Worte umzuwandeln versuche, entsteht ein hektisches Kommen und Gehen, das mitunter sogar zu einem Zusammenbruch des Systems führen kann. Doch die begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten, die mir in der Fremdsprache zur Verfügung standen, ließen diese Möglichkeit von vorneherein nicht zu. Damals entdeckte ich, dass man auch mit einer begrenzten Anzahl von Wörtern und Idiomatischen Wendungen Gefühle und Absichten zum Ausdruck bringen kann, sofern es einem gelingt, sie wirksam zu verbinden und diese Kombination effektiv einzusetzen. Mit anderen Worten, es ist nicht nötig, komplizierte Sätze aneinanderzureihen. Und es bedarf erst recht keiner blumigen Ausdrucksweise, um andere Menschen zu beeindrucken.

Erst viel später fand ich heraus, dass die Schriftstellerin Ágota Kristóf mehrere ausgezeichnete Romane in einem ähnlichen Stil geschrieben hatte. Sie war Ungarin und musste während des Ungarnaufstands 1956 in die Schweiz fliehen, wo sie beinahe unfreiwillig begann, auf Französisch zu schreiben, in einer Fremdsprache, die sie sich erst aneignen musste. Doch mittels der fremden Sprache gelang es ihr, einen völlig neuen Stil hervorzubringen. Ihre Prosa verfügt über den schönen Rhythmus der kurzen Sätze, enstanden durch eine direkte unumwundene Ausdrucksweise, und präzise Beschreibungen ohne Effekthascherei. Und doch gelingt es ihr, ohne bedeutende Geschütze aufzufahren, das Geheimnis, das im Inneren einer Geschichte liegt, an die Oberfläche zu bringen. Ich erinnere mich, dass ich, als ich zum ersten Mal einen Roman von ihr las, etwas Vertrautes darin verspürte. Das große Heft, ihr erster auf Französisch geschriebener Roman, erschien 1986, etwa sieben Jahre nach Wenn der Wind singt.

Als ich »entdeckt« hatte, welche interessanten Ergebnisse ich erzielte, wenn ich in einer fremden Sprache schrieb, und mir einen eigenen Schreibrhythmus angeeignet hatte, packte ich die Schreibmaschine mit der lateinischen Tastatur wieder in den Schrank. Ich setzte mich mit Manuskriptpapier und Füller an den Schreibtisch und »übersetzte« das, was ich auf Englisch geschrieben hatte, ins Japanische. Ich nenne es zwar »übersetzen«, aber natürlich handelte es sich nicht um eine wörtliche Übertragung, sondern eher um eine freie Anverwandlung. Und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Auf diese Weise kam unweigerlich ein neuer japanischer Stil zustande, der zugleich mein eigener war. Der Stil, den ich selbst gefunden hatte. Sieh mal an, dachte ich, so musst du schreiben.

Hin und wieder bekomme ich zu hören, meine Sätze klängen wie eine Übersetzung. Ich weiß nicht, was genau damit gemeint ist, aber ich vermute, es trifft zu – und auch wieder nicht. Dieses erste Kapitel hatte ich tatsächlich »übersetzt«, zumindest was den praktischen Vorgang betraf. Mein Ziel war es, einen flexiblen, »neutralen« Stil zu schaffen, der auf überflüssige Schnörkel verzichtete. Ich wollte kein gesichtsloses, verwässertes Japanisch schreiben, sondern einen eigenen natürlichen Erzählton kreieren, der möglichst weit entfernt von dem üblichen »romanhaften Stil« war. Und dazu musste ich zu ungewöhnlichen Mitteln greifen. Und wenn ich ehrlich bin, war die japanische Sprache damals für mich genau das – ein Mittel zum Zweck.

Offenbar gibt es Menschen, die dies als eine Beleidigung der japanischen Sprache auffassen. Aber Sprachen sind von Natur aus sehr zäh und besitzen eiserne Kräfte, da sie sich auf eine lange Geschichte stützen. Wer auch immer wie auch immer mit ihnen verfährt – es ist unmöglich, ihre Identität und Autonomie zu schädigen, auch wenn mehr oder weniger rücksichtslos mit ihnen umgegangen wird. Mit allen in der Sprache zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mitteln zu experimentieren ist das Vorrecht eines jeden Schriftstellers, und wer dazu nicht den Mut aufbringt, wird nie etwas Neues schaffen. Mein Stil unterscheidet sich von dem Tanizakis und Kawabatas. Was auch ganz normal ist. Denn ich bin ein eigenständiger Autor. Ich bin Haruki Murakami.

Eines schönen Sonntagmorgens im Frühling erhielt ich den Anruf eines Redakteurs der Literaturzeitschrift Gunzo. »Herr Murakami«, sagte er. »Ihr Roman Wenn der Wind singt, den Sie eingesendet haben, ist für unseren Nachwuchspreis nominiert.« Seit jenem Eröffnungsspiel im Jingu-Stadion war fast ein Jahr vergangen, und ich hatte meinen dreißigsten Geburtstag gefeiert. Es war elf Uhr am Vormittag, glaube ich, aber ich hatte noch fest geschlafen, weil ich am Abend zuvor bis spät gearbeitet hatte. Schlaftrunken nahm ich den Hörer ab und begriff zuerst gar nicht richtig, was mir der Anrufer mitteilte. Offen gesagt, hatte ich schon fast vergessen, dass ich das Manuskript an die Redaktion von Gunzo geschickt hatte. Ich hatte es fertig geschrieben und jemandem übergeben. Damit war mein Bedürfnis, »etwas zu schreiben«, befriedigt gewesen. Für mich war es ein Werk, das ich eben einfach heruntergeschrieben hatte. Deshalb war ich sogar etwas trotzig und hatte überhaupt nicht damit gerechnet, für einen Preis nominiert zu werden. Ich hatte das Manuskript nicht einmal kopiert. Wäre ich nicht nominiert worden, wäre es wahrscheinlich für immer verschwunden (denn die Manuskripte wurden nicht zurückgeschickt). Und ich hätte vielleicht nie wieder einen Roman geschrieben. Das Leben geht manchmal ganz schön seltsame Wege.

Dem Redakteur zufolge waren fünf Einsendungen einschließlich meiner eigenen in die Endausscheidung gelangt. Aha, dachte ich, war aber so verschlafen, dass die Realität des Ganzen nicht zu mir durchdrang. Ich stand auf, wusch mich, zog mich an und machte mit meiner Frau einen Spaziergang. Als wir an der örtlichen Grundschule vorbeikamen, sahen wir im Gebüsch eine Brieftaube sitzen. Sie schien sich am Flügel verletzt zu haben, und ich hob sie auf. An einem Bein trug sie einen Ring mit einem Namen. Sie behutsam mit beiden Händen umschließend, beschloss ich, sie zu dem Polizeihäuschen an der Omotesando in Aoyama zu bringen, das am nächsten lag. Auf unserem Weg durch die Nebenstraßen von Harajuku spürte ich die Wärme der verletzten Taube. Sie zitterte ein wenig. Es war ein frischer Sonntag, und die Bäume, die Häuser und die Schaufenster glänzten in der Frühlingssonne.

Da wusste ich es plötzlich. Ich würde den Gunzo-Nachwuchspreis bekommen. Und Schriftsteller werden. Und Erfolg haben. Vielleicht wirkt es unbescheiden, aber ich war fest davon überzeugt. Es hatte nichts mit Logik zu tun, es war reine Intuition.

Im folgenden Jahr schrieb ich Pinball 1973 als Fortsetzung zu Wenn der Wind singt. Auch damals hatten wir noch die Bar, und ich schrieb immer bis fast zum Morgengrauen am Küchentisch. Deshalb nenne ich diese beiden Werke liebevoll und auch etwas verlegen meine »Küchentisch-Romane«. Kurz nachdem ich Pinball 1973 fertiggestellt hatte, beschloss ich, die Bar zu verkaufen und ganz Schriftsteller zu werden. Anschließend schrieb ich den Roman Wilde Schafsjagd, den ich als den eigentlichen Beginn meiner Karriere als Schriftsteller betrachte.

Dennoch schätze ich meine beiden »Küchentisch-Romane« als wichtige Werke, die ich nicht missen möchte. Sie sind wie alte Freunde. Vielleicht werde ich ihnen nie wieder begegnen, aber vergessen werde ich sie ganz bestimmt nie. Sie sind wichtig und unersetzlich. Sie machten mir Mut und wärmten mir das Herz.

Ich erinnere mich noch sehr genau an das, was ich vor dreißig Jahren auf der Böschung im Jingu-Stadion empfand, als mir dieses Etwas in die Hände geflattert kam. Ein Jahr später, an jenem Frühlingsnachmittag, weckte die Wärme der verletzten Taube, die ich an der Grundschule von Sendagaya fand, das gleiche Gefühl in mir. Und immer wenn ich darüber nachdenke, was es bedeutet, einen Roman zu schreiben, kommt es mir wieder in den Sinn. Diese Erinnerungen lassen mich an mich selbst glauben und von den Möglichkeiten träumen, die daraus erwachsen. Es ist wunderbar, dass dieses Gefühl sich noch immer in mir bewahrt hat.

Juni 2014

WENN DER WIND SINGT

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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