Wenn die Angst um sich greift - Friederike von Buchner - E-Book

Wenn die Angst um sich greift E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. Auf sehr spezielle, romantische Weise findet Toni, der Hüttenwirt seine große Liebe in einer bezaubernden Frau, die aus einer völlig anderen Umgebung stammt als der markante Mann der Berge. Sie lernt durch ihn Schönheit und Idylle seiner Heimat kennen und lieben. Gemeinsam eröffnen die beiden allen Besuchern die Werte und Besonderheiten ihres Lebens auf der Alm. Romantik, Beschaulichkeit, dramatische Spannung und feinsinnige Gespräche: Das ist die Welt von Toni, dem Hüttenwirt, der sich niemand entziehen kann. … kann nur Toni der Retter sein! Die Hüttengäste waren bereits zu Bett gegangen. Auf einem Tisch, der abseits im Wirtsraum stand, hatten Toni und Anna alles für das Frühstück am nächsten Morgen bereitgestellt. Das taten sie jeden Abend, damit sie nur noch Getränke und frisches Brot, Butter und Milch dazustellen mussten. Die Hüttengäste holten sich dann, was sie brauchten und suchten sich einen Platz an einem der Tische im Wirtsraum oder setzten sich im ersten Morgenlicht auf die Terrasse. Sie deckten alles mit einem frischen, weißen Tischtuch ab. »So, das wäre es für heute. Das waren die letzten Handgriffe«, sagte Toni. Er schaute auf seine Uhr. »Wir sind früh dran, das gefällt mir«, sagte er. »Mir auch«, sagte Anna, »das kommt daher, dass wir die große Wandergruppe haben, die früh aufbrechen will. Das sind alles ruhige, vernünftige Bergliebhaber, die Respekt vor den Bergen haben. Sie lassen sich vor einer größeren Tour nicht volllaufen. Sie gehen früh schlafen, damit sie bis zum Aufstehen genug Schlaf bekommen. Ach, Toni, wie schön wäre es, wenn alle Hüttengäste so besonnen wären.« »Das stimmt. Nun gut, die meisten sind vernünftig, besonders unsere vielen Stammgäste.

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Seitenzahl: 123

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Toni der Hüttenwirt Extra – 65 –Wenn die Angst um sich greift

… kann nur Toni der Retter sein!

Friederike von Buchner

Die Hüttengäste waren bereits zu Bett gegangen. Auf einem Tisch, der abseits im Wirtsraum stand, hatten Toni und Anna alles für das Frühstück am nächsten Morgen bereitgestellt. Das taten sie jeden Abend, damit sie nur noch Getränke und frisches Brot, Butter und Milch dazustellen mussten. Die Hüttengäste holten sich dann, was sie brauchten und suchten sich einen Platz an einem der Tische im Wirtsraum oder setzten sich im ersten Morgenlicht auf die Terrasse.

Sie deckten alles mit einem frischen, weißen Tischtuch ab.

»So, das wäre es für heute. Das waren die letzten Handgriffe«, sagte Toni.

Er schaute auf seine Uhr.

»Wir sind früh dran, das gefällt mir«, sagte er.

»Mir auch«, sagte Anna, »das kommt daher, dass wir die große Wandergruppe haben, die früh aufbrechen will. Das sind alles ruhige, vernünftige Bergliebhaber, die Respekt vor den Bergen haben. Sie lassen sich vor einer größeren Tour nicht volllaufen. Sie gehen früh schlafen, damit sie bis zum Aufstehen genug Schlaf bekommen. Ach, Toni, wie schön wäre es, wenn alle Hüttengäste so besonnen wären.«

»Das stimmt. Nun gut, die meisten sind vernünftig, besonders unsere vielen Stammgäste. Und du weißt, dass ich immer ein Auge auf übermütige und unvernünftige Angeber habe.«

Anna lächelte.

»Ja, das hast du. Du heizt ihnen ja auch kräftig ein. Ich verdrücke mich dann gern in die Küche, wenn du ihnen die schlimmen Geschichten erzählst, die du erfunden hast. Das machst du gut.«

Toni grinste.

»Ja, das ist ein bisserl so, wie wenn man Kindern mit Märchen Angst macht. Ich kann sie nicht mit Gewalt zurückhalten. Aber wenn ich sage, ich sei verpflichtet, sie namentlich bei der Bergwacht zu melden, das zeigt Wirkung. Und dass eine Rettung mehrere zehntausend Euros koste, die sie dann zu bezahlen hätte, das bringt sie zum Nachdenken.«

»Nicht immer gleich. Oft musst du stärkere Geschütze auffahren«, sagte Anna.

Toni schmunzelte.

»Gut, dass ich so eng mir Leo von der Bergwacht befreundet bin. Unser kleines geheimes Abkommen wirkt dann oft. Es ist für beide Seiten nützlich. Leo und seine Mannschaft haben auch keine Lust, verunglückte Bergwanderer oder Bergsteiger zur retten. Besonders, weil diese mit einem Brummschädel nach einem langen Abend mit viel Bier aufgebrochen sind. Bis jetzt hat es geklappt. Wenn es an den Geldbeutel geht, verlässt sie der Wagemut.«

Toni zapfte sich ein kleines Bier. Anna nahm einen Saft aus Ella Waldners Sirup. Dann setzten sie sich in die Schaukelstühle vor dem Kamin.

Toni legte einige Scheite Holz nach.

»Wenn ich solche Märchen erzähle, habe ich immer ein schlechtes Gewissen«, sagte er.

Toni und Anna prosteten sich zu und tranken.

Anna lächelte ihn an.

»Du musst dir wegen deiner Lügenmärchen keine Gewissensbisse machen. Selbst Pfarrer Zandler würde ein Auge zudrücken. Du lügst aus Sorge, dass sie verunglücken, diese Überflieger. Sie sind jung und denken, die Welt gehöre ihnen und alles sei so, wie sie es sich vorstellen. Es ist in gewisser Weise auch das Recht der Jugend, ein bisserl übermütig zu sein. Nur schießen sie leider dabei oft über das Ziel hinaus. Nach dem vielen Bier haben sie einen schweren Kopf und schlucken Unmengen Schmerztabletten, wie sich Kinder den Bauch mit Süßigkeiten füllen. Egal, ich finde, du machst das gut. Du willst Schlimmes verhindern. Dazu ist jedes Mittel erlaubt. Außerdem haben wir schon etliche Male erlebt, dass Leo mit der Bergwacht diese Deppen, diese Hornochsen ins Tal fliegen musste.«

»Stimmt, deshalb sind mir unsere gegenwärtigen Hüttengäste so lieb. Sie sind nicht mehr so jung. Ich erinnere mich noch daran, wie sie als junge Burschen mit ihren Eltern kamen. Es war der alte Alois, der ihnen damals tüchtig eingeheizt hat. Einmal hat er ihnen nachts, als sie schliefen, die Ausrüstung weggenommen und versteckt.«

»Wirklich?«, sagte Anna erstaunt.

»Ja, so war es.«

»Aber das müssen sie doch bemerkt haben«, sagte Anna.

»Sicher, aber Alois gab sich wortkarg. Er sagte, er sei Hüttenwirt und kein Aufpasser für ihre Sachen. Vielleicht habe sich die Gruppe vom anderen Hüttenboden einen Scherz erlaubt. Aber die seien schon aufgebrochen. Also müssten sie bis zum Abend warten. Sie sollten sich auf die Terrasse setzen und die Aussicht genießen.«

»Und sie blieben friedlich?«

Toni nickte.

»Das ist unglaublich!«, sagte Anna.

»Anna, was hätten sie machen sollen? Die Wanderschuhe waren nicht da, ebenso die Seile, die Karabinerhaken und die Pickel und das andere Zeug.«

»Mei, diese Geschichte kenne ich nicht. Die hast du mir noch nicht erzählt.«

»Ich habe auch lange nicht mehr daran gedacht. Aber es war so. Im Laufe des Tages fand Alois die Sachen dann hinter einem Holzstapel auf der Rückseite der Berghütte. Er schüttelte den Kopf und sagte, es war wirklich ein übler Streich. Aber sie könnten die aufgeschobene Tour nachholen. Nebenbei bemerkt habe sie dieser Streich vielleicht vor einem Unglück bewahrt. Wahrscheinlich wurde ihnen klar, dass es wohl Alois war, der dahintersteckte.«

»Waren sie nicht wütend?«, fragte Anna.

Toni nippte an seinem Bier und schmunzelte.

»Wenn sie es waren, sagten sie jedenfalls nichts. Sie wussten, dass Alois ihnen eine Lektion erteilt hatte. Deshalb waren sie still. Ich weiß nicht, wie oft er diesen Trick anwandte. Aber bei denen, die diese Lektion erhalten hatten, wirkte er. Sie ließen sich am Abend vor der Tour nicht mehr volllaufen. Sie blieben nüchtern und gingen früh schlafen.«

Anna lächelte.

»Deinen Trick mit der Rechnung für eine Rettung finde ich besser. Also mache dir keine Gedanken!«

»Ich habe sogar schon daran gedacht, mir von Wolfi Tests zu besorgen, wie die Polizei sie bei der Kontrolle von Autofahrern verwendet. Einmal pusten, bitte!«, grinste Toni.

»Darauf wird sich niemand einlassen.«

»Ja, deshalb habe ich es auch unterlassen. Ich drohe lieber damit, dass die Bergwacht den Restalkohol im Blut feststellen lässt. Und sollten die Werte darauf hinweisen, werde das der Unfallversicherung gemeldet. Jede Unfallversicherung fordert einen Bericht von der Bergwacht an, wenn jemand am Berg verunglückt. In dem Fall zahle die Unfallversicherung nicht. Ob das wirklich so ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber Leo hat einmal so etwas angedeutet. Ich muss ihn bei Gelegenheit danach fragen.«

»Mach das! Mich würde es auch interessieren. Es klingt für mich irgendwie logisch. Wenn jemand in Folge von Trunkenheit am Steuer einen Unfall verursacht, dann zahlt die Versicherung auch nicht. Sie zahlt auch nicht, wenn jemand schwere Verletzungen erlitten hat, weil er nicht angeschnallt war«, sagte Anna.

»Jeder weiß, dass es so ist. Deshalb wird man mir auch glauben«, sagte Toni. »Ich säe Unsicherheit und Zweifel, will ich mal sagen. Nachdenklich werden die jungen Burschen schon irgendwie. Bisher hatte ich immer Erfolg. Ich hoffe, es bleibt so. Du weißt, wie ich es formuliere. Ich betone meine Bedenken und, werfe meine Erfahrungen in die Waagschale.«

»Toni, du machst das sehr geschickt. Du sagst, dass es keine Schande sei, auf Nummer sicher zu gehen. Du betonst, dass du niemandem etwas vorschreiben willst und das auch nicht kannst. Aber dass du dich verpflichtet fühlst, jeden zu warnen, der den Helden spielen und mit viel Restalkohol im Blut eine Tour machen will. Du betonst, du seiest auch mal jung gewesen und könntest jeden verstehen, der Gefahr herunterspiele. Aber es beweise Größe und Ehrfurcht vor der Natur, den Bergen, wenn man gegebenenfalls von solchen Plänen Abstand nehme. Du säst Bedenken. Du hast oft erreicht, dass einer in der Gruppe nachdenklich wurde und sein Verhalten änderte. Zu Beginn wurde er als Feigling beschimpft, aber dann setzte sich langsam die Vernunft durch.«

»Anna, du tust deinen Teil dazu. Wenn du nach Schmerzpillen und Alka Selzer gefragt wirst, dann bedauerst du, dass du keine hast. Du machst das sehr glaubhaft«, schmunzelte Toni.

»Ja, das mache ich. Es wirkt«, lächelte Anna.

Sie nippte an ihrem Saft.

»Es ist schon schlimm, zu beobachten, wie sich die jungen Burschen gegenseitig aufputschen, besondere wenn sie trinken. Das macht die Gruppendynamik. Das ist immer so, in vielen Bereichen. Ich kenne das von meiner Zeit, als ich in Hamburg in der Bank arbeitete. Sobald mehrere junge Bänker zusammen waren, ereiferten sie sich über Aktienkurse, Anlagen und überschlugen sich mit Prognosen. Das ging schon in der Mittagspause in der Kantine los – da war kein Alkohol im Spiel. Es war verpönt, in der Mittagspause Alkohol zu trinken. Trotzdem steigerten sie sich hinein. Ältere Kollegen, die viele Jahre Erfahrung hatten, schüttelten darüber oft den Kopf. Besonders dann, wenn die jungen Leute untereinander Wetten abschlossen. Sie waren alle ehrgeizig und wollten Karriere machen. Doch vielen fehlte die Bodenständigkeit und die Distanz zu ihrer Arbeit«, sagte Anna. »Man nannte sie die jungen Hüpfer.«

»Bist du auch mal so gewesen?«, fragte Toni.

Anna dachte kurz nach.

»Schwierige Frage, Toni. Ich habe mich in den ersten Jahren an solchen Gesprächen etwas beteiligt. Aber ich habe mich nie ereifert. Das hat etwas mit der guten Erziehung zu tun, die ich durch meine Großmutter genossen habe. Die Bodenständigkeit hat sie mir nicht nur vermittelt, sie hat sie mir vorgelebt. Sie ist eine tolle Frau. Ich freue mich, dass es ihr in ihrem hohen Alter noch so gut geht. Natürlich ist alles etwas beschwerlich für sie geworden. Sie wird uns nicht mehr auf der Berghütte besuchen.«

»Hast du Heimweh, Anna?«

»Ja, etwas schon, aber Heimweh ist der falsche Ausdruck. Ich bin schon eine Weile am Überlegen. Sobald wir im Herbst die Berghütte schließen, sollten wir einen Urlaub in Hamburg machen. Es wäre schön, wenn Sebastian und Sophie uns mit dem kleinen Franz begleiten. Meine Großmutter kennt den Buben nur von Photos oder über Skype.«

»Das ist eine gute Idee, Anna. Hast du schon mit Sebastian darüber gesprochen?«

»Noch nicht«, antwortete Anna.

Sie trank einen Schluck Saft.

»Ich dachte, Franziska und Lukas könnten ebenfalls nach Hamburg kommen. Weißt du, das wäre ein schönes, kleines Familientreffen. Als der kleine Franz tauft wurde, waren Franziska und Lukas hier. Aber wir hatten keine Muse, uns mal so richtig zusammen zu setzen.«

»Ja, die Taufe war Trubel pur«, lächelte Toni. »Ich habe es auch sehr bedauert, dass für Familie keine Zeit blieb. Nun gut, es war eine schöne Taufe. Sebastians Wunsch, den Buben hier auf der Berghütte taufen zu lassen, konnte verwirklicht werden.«

Toni trank einen Schluck Bier.

»Die Berghütte ist der Mittelpunkt unserer Familie. Hier fühlen sich alle daheim.«

»Das stimmt, Toni, auch wenn wir sie nur über den Sommer betreiben. Hier ist für alle das Nest. Das sieht man auch an Wendy und ihrer Familie. Wendy kommt mehrmals in der Woche mit Henk und den Zwillingen herauf. Sebastian und Sophie besuchen uns fast an jedem Wochenende, an dem Sebastian sich frei nimmt. Wenn er in München im Hotel ist, kommt Sophie allein mit Franz herauf. Viel Zeit für Gemütlichkeit bleibt leider nicht, weil wir am Wochenende viele Tagesgäste zu bewirten haben. Meistens sitzt Sophie bei mir in der Küche und hat den kleinen Franz auf dem Arm. Auch wenn wir wenig erzählen können, tut es ihr gut, hier zu sein. Das merke ich ihr an. Und zwischendrin kann ich den Franz immer mal kurz auf den Arm nehmen und herzen. Mei, was ist er für ein lieber Bub! Er ist brav und ruhig, und so zufrieden. Er ruht in sich.«

Toni lächelte.

»So ist es. Ein bisserl erinnert mich Franz an Alois, wenn man das von so einem kleinen Buben schon sagen kann. Ich bilde mir jedenfalls ein, dass der kleine Franz hier auf der Berghütte besonders zufrieden ist. Er weint nie. Oder kannst du dich erinnern, dass er mal geweint hat?«

»Nein, das kann ich nicht. Franz macht einen sehr glücklichen und zufriedenen Eindruck. Ich denke, er fühlt sich hier zu Hause. Wenn Alois hier ist, verstärkt sich dieser Eindruck noch. Franz ist Alois Urenkel. Es kommt oft vor, dass Urenkel ihren Urgroßeltern sehr ähnlich sind. Übrigens, Ella Waldner ist diese Ähnlichkeit auch aufgefallen«, sagte Anna.

»Vielleicht wird Franz in vielen Jahren hier Hüttenwirt sein«, sagte Toni leise.

»Aber vorher übernimmt Sebastian«, warf Anna ein.

»Nun, das wird man sehen. Sebastian hat das Hotel in München. Er betont immer, dass er später die Berghütte übernehmen wolle. Neulich sagte er zu mir, dass das Hotel in München für ihn nur eine Zwischenstation sei. Er hoffe, dass wir beide noch recht lange die Berghütte führen. Aber seinen Traum, hier die Nachfolge anzutreten, habe er nicht aufgegeben. Sebastian ist ein Bub der Berge. Er hat in Waldkogel seine Wurzeln. Er fühlt sich in Lederhosen glücklicher als im dunklen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Es war nie sein Plan gewesen, ein Hotel zu besitzen.

»Das stimmt. Trotzdem freue ich mich über seinen Erfolg.«

»Das tue ich auch, Anna. Noch sollten wir uns darüber nicht den Kopf zerbrechen. Bis diese Fragen anstehen, werden noch Jahrzehnte vergehen.«

»Toni, sicher werden noch viele Jahre vergehen. Man denkt nur mal daran. Wir können uns glücklich schätzen mit unseren Kindern. Ich vergesse oft, dass die beiden adoptiert sind. Sebastian und Franziska gehen ihre Wege, jeder auf seine Art. Und deine Tochter aus Norwegen hat hier in Waldkogel Wurzeln geschlagen. Sie ist mit ihrem Mann Henk und den Zwillingen auf der Ziegenalm sehr glücklich. Die Kaschmirziegenzucht gedeiht prächtig. Die Produkte aus der Wolle sind begehrt. Ich freue mich für Wendy.«

Toni lächelte.

»Ich liebe Wendy nicht mehr als Franziska und Sebastian, nur weil sie meine leibliche Tochter ist. Sebastian und Franziska, das sind Himmelsgeschenke. Wendy ist der Himmelsbonus, denke ich oft für mich. Gleichzeitig hadere ich gelegentlich mit dem Herrgott, dass das Schicksal mich von ihrer Mutter getrennt hatte und ich so viele Jahre nichts von meiner Tochter wusste.«

Anna lächelte Toni an.

»Hadere nicht, es war so. Niemand kann etwas dafür. Entscheidend ist doch, dass Wendy dich gesucht hat. Und mit Ole, ihrem Ziehvater, verstehst du dich gut. Lade Ole doch mal wieder ein! Macht zusammen eine schöne Wanderung und lass dir von ihm erzählen, wie Wendy als Kind war. Das tröstet dich immer.«

»Gute Idee, ich werde Ole eine SMS schicken«, sagte Toni.

*

Während Anna und Toni am Kamin plauderten, lag Benno, der Neufundländer. zu ihren Füßen und döste.

Plötzlich erhob er den Kopf, dann setzte er sich auf, um schließlich zur offenen Tür zu trapsen. Dort blieb er stehen und drehte den Kopf hin und her.

»Schau, Anna, Benno hat etwas gehört. Es scheint noch jemand zu kommen«, sagte Toni.

Er stand auf und ging hinaus auf die Terrasse.

Eine männliche Gestalt kam den Pfad herunter und betrat das Geröllfeld. Der Mann ging sehr gebeugt. Er blieb stehen und drückte die Hände gegen den Leib.

Toni sah sofort, dass es ihm nicht gut ging. Er ging ihm entgegen. Als er bei ihm war, stützte er ihn. Der Mann sah ihn dankbar an. Er rang nach Luft.

»Geht es?«, fragte Toni. »Ich helfe dir. Wir gehen langsam. Halte dich an mir fest.«