Wenn Mutter sein nicht glücklich macht - Christina Mundlos - E-Book

Wenn Mutter sein nicht glücklich macht E-Book

Christina Mundlos

4,4

  • Herausgeber: mvg
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Es gibt Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen. Die Studie "Regretting Motherhood" der israelischen Soziologin Orna Donath rührte an ein Tabu. Denn unser Mutterbild sagt: Kinder sind das höchste Glück! Dennoch gibt es Frauen, die das Muttersein zutiefst unglücklich macht – obwohl sie gleichzeitig ihre Kinder sehr lieben. Sind diese Frauen Egoistinnen und Rabenmütter? Oder sind sie einfach ganz normale Frauen in der falschen Lebenssituation? Die Soziologin Christina Mundlos spürt in diesem Buch den Gründen für das Phänomen Regretting Motherhood nach. Sie analysiert die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, diskutiert politische Lösungsmöglichkeiten und gibt Ratschläge für Betroffene. Aus ihrer Umfrage unter bereuenden Müttern und ihrer psychologischen und soziologischen Analyse ergibt sich ein ehrliches Bild von Muttermythos und Realität. Eines ist sicher: Regretting Motherhood betrifft viele Frauen. Dieses Buch macht sie sichtbar und zeigt ihnen: Sie sind nicht allein.

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Für Svea und Alexis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
1. Auflage 2016
© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: Melanie Melzer, München
Umschlagabbildung: Shutterstock
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
ISBN Print 978-3-86882-648-7
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-897-1
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86415-898-8
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de

»Ich kann mich nicht damit abfinden, dass ich sieben Tage die Woche und 24 Stunden am Tag Mama bin. Ich muss auch mal raus und brauche Zeit für mich.«

Melanie, 27

»Ich war vier Jahre bei meinen Kindern zu Hause, und das war zu viel für mich.«

Anna, 34

»Allein und ohne die Kleine wäre ich besser dran.«

Carina, 36

»Ich habe ihr niemals den Tod gewünscht, ich dachte einfach nur, was wäre, wenn sie nicht mehr da wäre, einfach »Puff«, und ich bin keine Mutter mehr und es hat sie niemals gegeben. Dieser Gedanke macht mich irgendwie glücklich, aber auch traurig zugleich, denn ich möchte sie nicht verlieren.«

Katja, 25

»Ich habe das Gefühl, alles entgleitet mir. Und dass auf mich niemand Rücksicht nimmt.«

Anna, 34

»Bereits kurz nach der Entbindung konnte ich mich gar nicht übers Kind freuen.«

Claudia, 39

»Manche Reaktionen an den Kindern hasse ich. Ich bin sehr verunsichert. Ich liebe sie.«

Marta, 49

»Ich bereue es. Es gab Jahre, die waren einfach kein Leben.«

Claudia, 39

Inhalt

I. Einleitung
II. Das Phänomen Regretting Motherhood
Die Reaktion auf bereuende Mütter: Abwehr
Der Weg zur bereuenden Mutter
Mutterschaft versus Berufstätigkeit
Reue bei Müttern im psychologischen Kontext
III. Der Wandel der Mutterrolle in unserer Gesellschaft
Argumente für die traditionelle Rollenverteilung
Die Erfindung des Berufs »Hausfrau und Mutter«
Förderung der Hausfrauenehe in der Bundesrepublik
Der Teufelskreis aus Abwerten und Minderwertigkeitsgefühlen
Erziehungsdiktat und wachsende Anforderungen
IV. Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen
V. Analyse der Mütter
Die Reaktionen des Umfelds
Mutterbild, Konkurrenzkampf und Mütterterror
Reue und Schuldgefühle
Verantwortung und Überlastung
Zwischen Reue und Liebe
VI. Kinderlose unter Druck
Sanfte Erpressung
Kinderlosigkeit ist Frauensache
Druck – das völlig falsche Mittel
VII. Politische Lösungsmöglichkeiten
Die Chancen der Politik
Flächendeckende Kinderbetreuung
Falsche Anreize: das Betreuungsgeld
Auswirkungen bildungspolitischer Veränderungen
Vaterschutz und Elternzeit
Stopp dem Stillterror!
Zeit zum Handeln
VIII. Tipps für Frauen mit und ohne Kinderwunsch, für Schwangere, für unglückliche oder bereuende Mütter und für Väter
Tipps für kinderlose Frauen, die dies auch bleiben wollen
Tipps für Frauen mit Kinderwunsch
Tipps für Schwangere
Tipps für Mütter
Tipps für (künftige) Väter
IX. Fazit
Dank
Quellennachweise
Literaturverzeichnis
Quellen aus dem Internet

I. Einleitung

Es gibt Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen.

Das legte die israelische Soziologin Orna Donath in ihrer Studie »Regretting Motherhood: A Sociopolitical Analysis« im Frühjahr 2015 eindrücklich dar1 – und rührte damit an ein Tabu, an das sich bisher niemand je herangewagt hatte. Die Studie sorgte insbesondere in Deutschland für Aufsehen.

Donath fragte Mütter: »Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten, mit den Erfahrungen und den Kenntnissen, die Sie heute haben, wären Sie dann Mutter geworden?« Auf diese Frage antworteten 23 Frauen mit »Nein«. Mit ebendiesen Frauen hat sich die Soziologin näher beschäftigt. Es sind israelische Mütter, die Donath zwischen 2008 und 2011 befragt hat. Die jüngsten waren Mitte 20, die ältesten Mitte 70, ihre Kinder waren zwischen einem und 48 Jahren alt. Die Frauen hatten zwischen ein und vier Kindern. Einige waren bereits Großmütter.

Diese Mütter äußerten sich folgendermaßen über ihre Mutterschaft:

»Die Sache, die am schmerzhaftesten für mich ist, ist, dass es unmöglich ist, die Zeit zurückzudrehen. Unmöglich. Unmöglich zu reparieren.«

»Ich würde komplett darauf verzichten, Kinder zu haben. Wirklich. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und es ist schwer für mich, das zu sagen, weil ich sie liebe. Sehr.«

»Allein dieses Konzept, wenn ein Kind mich ›Mama‹ nennt. Ich drehe mich um, schaue, welche Mutter gemeint ist. Bis zum heutigen Tag. Ich konnte keine Verbindung herstellen zu dem Konzept, der Rolle, den Konsequenzen dieser Verantwortung und Verpflichtung.«

»Nach der zweiten Geburt habe ich endgültig verstanden, dass das nichts für mich ist.«

»Die Wahrheit ist, ich kann keinen Vorzug darin sehen. Ehrlich überhaupt keinen.«

»Ich habe sofort gesehen, dass das nichts für mich ist. Und nicht nur, dass es nichts für mich ist, es ist der Alptraum meines Lebens.«2

Die Tatsache, dass es Mütter gibt, die gerne die Zeit zurückdrehen und sich gegen ein Kind entscheiden würden, wenn dies nur möglich wäre, wurde unter dem Stichwort Regretting Motherhood vor allem in den sozialen Netzwerken heftig diskutiert. Einerseits gab es harsche Kritik an den Frauen aus Donaths Studie, sie wurden als Rabenmütter, »keine richtigen Frauen«, gefühlskalte Egoistinnen oder psychisch Gestörte bzw. Abartige bezeichnet; andererseits bekundeten viele Mütter in Facebook-Kommentaren, auf Twitter oder in ihren eigenen Blogs, wie unzufrieden sie selbst mit ihrer Mutterrolle sind. Wochenlang wurde das Thema in den Printmedien, im Hörfunk und im Fernsehen besprochen.3 Dabei ging es immer wieder um die Fragen:

•Warum schlägt diese Studie so hohe Wellen?•Wie kommt es zu dem Reuegefühl der Mütter? Ist dieses »normal« oder »gestört«?•Weshalb ist es bislang ein so großes Tabu gewesen, darüber zu sprechen?•Wie können diese Frauen gleichzeitig ihr Kind lieben und dennoch die Mutterschaft bereuen?•Warum wird dieses Thema besonders in Deutschland so intensiv diskutiert?

Dass Donaths Studie einem Stich ins Wespennest glich, steht in direktem Zusammenhang mit der bisherigen absoluten Tabuisierung des Phänomens Regretting Motherhood. Die Frustration aufseiten vieler Mütter ist schon länger relativ groß. Doch weil diese Frauen nicht kritisiert, stigmatisiert und ausgegrenzt werden wollen, behalten sie ihre Unzufriedenheit mehrheitlich für sich. Es ist ein gesellschaftlicher Konsens, dass Mutterschaft automatisch ein Glücksbringer für Frauen ist – für alle Frauen. Schließlich, so die Argumentation, ist es doch schon evolutionstechnisch gesehen die Rolle der Frau, Nachwuchs großzuziehen, es ist ihre ureigenste Aufgabe, geradezu ihr Lebenszweck. Dass sie in dieser Rolle Erfüllung findet, wird als gegeben angenommen.

Äußert eine Mutter, dass sie unglücklich ist, keine Freude an ihrem Alltag verspürt oder zu viel Druck und überhöhte Anforderungen ihr das Leben schwer machen, gilt sie schnell als »unnormal« und »krank«. Doch je seltener Frauen diese Empfindungen äußern, als desto exotischer und unnormaler gelten diese, wenn sie denn einmal geäußert werden. Es ist ein Teufelskreis, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gibt. Donaths bereuende Mütter haben diesen Teufelskreis aufgebrochen. Erstmalig haben sich Mütter – wenn auch zumeist anonym im Internet – getraut, über ihre negativen Gefühle zu sprechen. Und dadurch haben wiederum viele weitere Mütter gesehen und gehört: Es geht anderen also genauso, ich bin nicht allein mit meinem Unglück. Die Gesellschaft hat – zumindest ansatzweise – erkannt, dass es nicht exotisch ist, als Mutter unglücklich und unzufrieden mit dem eigenen Leben zu sein, sondern dass lediglich das Äußern dieser Unzufriedenheit und des Bereuens exotisch ist.

Es ist jedoch nach wie vor noch ein weiter Weg, bis Mütter endlich offen vor Familie, Bekannten, vor Kollegen oder im Freundeskreis äußern können: Die Mutterschaft hat mich unglücklich gemacht und ich bereue es, Mutter geworden zu sein. Das Tabu in unseren Köpfen ist omnipräsent und sehr wirkungsstark.

Hinzu kommt: Bevor man in der Lage ist, sich als bereuende Mutter zu outen, muss man zunächst vor sich selber zugeben, dass man sich nicht wieder für Kinder entscheiden würde, könnte man die Zeit zurückdrehen. Sich selbst dieses Gefühl einzugestehen ist sehr schwer, weil man befürchtet, dass es etwas über die eigenen Qualitäten als Mutter wie als Mensch und über die Gefühle dem Kind/den Kindern gegenüber aussagt.

Das heißt: Nicht nur die Gesellschaft stigmatisiert bereuende Mütter, auch sie selbst tun es – auch sie halten ihre Gefühle häufig für abnormal und krank, hadern damit, verabscheuen sich vielleicht sogar dafür. Dabei wird die Liebe zu den Kindern von dem Gefühl der Reue überhaupt nicht berührt. Dies zeigte bereits Orna Donath in ihrer Studie und es geht auch aus den Erzählungen der Mütter, die für dieses Buch befragt wurden, hervor: Liebe den Kindern gegenüber und die absolute Abneigung gegenüber der Mutterrolle schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie sind zwei gleichzeitig nebeneinander existierende ambivalente Empfindungen.

Haben Mütter sich selbst gegenüber eingestanden, dass sie zu den bereuenden Müttern gehören, ist es dennoch sehr schwer, dies auch anderen gegenüber zuzugeben. Die Angst, vom Umfeld als Rabenmutter betrachtet, offen angegriffen und abgestraft zu werden und vielleicht auch von sozialen Kontakten und Gruppen ausgeschlossen zu werden, ist groß. Der Konkurrenzkampf unter Müttern ist weitverbreitet. Jede noch so kleine vermeintliche Verfehlung wird zum Anlass genommen, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen oder auch einzelne Mütter durch ganze Gruppen zu mobben. Der Vorwurf, dass eine Mutter, die es bereut, Kinder bekommen zu haben, ihre Kinder unmöglich lieben kann, steht schnell im Raum. Für viele ist das gleichzeitige Vorhandensein beider Gefühle, Reue und Liebe, vollkommen unverständlich und sogar unvorstellbar. Einer bereuenden Mutter wird im Regelfall sofort unterstellt, sie würde ihre Kinder nicht lieben. Und eine Mutter, die ihre Kinder nicht liebt, gilt als unnormal, psychisch krank und asozial.

Wir haben es also eigentlich mit zwei Tabus zu tun. Das eine ist das Tabu, dass eine Mutter sich nicht wünschen darf, die Zeit zurückdrehen zu können, um sich für ein Leben ohne Kinder zu entscheiden. Das zweite und vermutlich noch viel stärkere Tabu ist, dass eine Mutter keine Mutterliebe verspürt. Auch das gibt es, wie wir wissen, wenn es auch nicht Thema dieses Buches ist – denn bei Regretting Motherhood handelt es sich um eben die Ablehnung der Mutterrolle, nicht des Kindes selbst. Allerdings sagt die Vorstellung, dass eine Mutter ihr leibliches Kind automatisch lieben muss, sehr viel über unser Mutterbild und unsere Vorstellung von »wahrer Mutterliebe« aus.

Die Tatsache, dass Mütter, die ihre Rolle ablehnen und als enorm belastend empfinden, ihre Kinder deshalb nicht weniger lieben, deutet bereits an, weshalb diese Frauen die Einschränkungen und Belastungen überhaupt auf sich nehmen. Ambivalenz ist ein völlig normales Phänomen, das wir aus vielen verschiedenen Lebensbereichen kennen. Die Psychologin Brigitte Ramsauer beschreibt das Anerkennen dieser Ambivalenz sogar als Kompetenz: »Es geht um die Fähigkeit, diese gegensätzlichen Gefühle anzuerkennen, zu tolerieren, in sich und in den eigenen Alltag zu integrieren. Darin besteht der Reifeprozess. Die Ambivalenz bei Müttern ist ganz normal.«4

Somit wären diejenigen, die sowohl ihre Reue als auch ihre Liebe spüren, akzeptieren und ausdrücken können, sogar psychisch gesünder als diejenigen, die krampfhaft alle negativen Gefühle unterdrücken. Die Ambivalenz bei Müttern ist normal. Sie erscheint uns jedoch als etwas Unnormales, da der Muttermythos der absolut selbstlosen Mutter, die sich für andere zurücknimmt, ihre eigenen Bedürfnisse verdrängt und sich stets um die Bedürfnisse ihrer Kinder kümmert, nach wie vor fest in unseren Köpfen verankert ist. Streng genommen geht dieser Mythos sogar noch weiter: Er besagt, dass die Bedürfnisse von Müttern letztlich identisch sind mit den Bedürfnissen der Kinder und dass Mütter eben beim Erfüllen der Bedürfnisse anderer größtes Glück empfinden.

Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen, sind also weder psychisch krank noch egoistisch oder selbstverliebt. Sie sind völlig normal.

Wie viele Mütter ihre Mutterschaft bereuen, ist nicht bekannt. Es gibt keine Untersuchungen dazu und daher lassen sich die Zahlen lediglich schätzen. Viel wichtiger jedoch, als die genaue Anzahl der »Regretting Mothers« zu kennen, ist es, zu verstehen, dass diese viel mehr mit all den anderen Müttern, die sich nicht zu den Bereuenden zählen, gemeinsam haben, als häufig angenommen wird.

Die Stärke der Identifikation mit der Mutterrolle und das Ausmaß der Zufriedenheit mit der Mutterschaft kann als Kontinuum mit zwei Polen gesehen werden. Auf der einen Seite stehen die Mütter, die völlig in der Mutterrolle aufgehen, die ein Höchstmaß an Zufriedenheit aus der Mutterschaft ziehen können und sich absolut mit allen Aspekten dieses Lebensstils identifizieren. Am anderen Ende des Kontinuums stehen die Mütter, die der Mutterschaft keine positiven Seiten abgewinnen können, die vollkommen unglücklich mit der Mutterrolle sind, sich mit dieser überhaupt nicht identifizieren können, sie ablehnen und die es bereuen, jemals Mutter geworden zu sein.

Zwischen diesen beiden Polen befinden sich die meisten Mütter. Sie tragen beide Empfindungen in sich. Sie kennen die glücklichen und sinnstiftenden Momente genauso, wie sie die Belastungen und Einschränkungen als negativ betrachten. Im Rahmen meiner Arbeit konnte ich beobachten, dass in den letzten 20 Jahren die Gruppe der Mütter, die sehr unzufrieden ist und sich nahe am »Pol des Bereuens« befindet, immer größer wird. Es gab eine Verschiebung weg von der »glücklichen Seite« der Mutterschaft hin zu den negativen Gefühlen, die mit der Mutterrolle in Verbindung gebracht werden. Zumindest stellte sich mir dies so dar.

Dies liegt an der Zunahme der Ansprüche an Mütter im Lauf der letzten Jahrzehnte. Zu keiner Zeit war der Aufgabenkatalog, den Mütter zu erfüllen hatten, derart dick, wie dies heute der Fall ist. Die Anforderungen sind derart angewachsen, dass sie menschenunmöglich zu erfüllen sind. Daher nehmen sich Mütter permanent als defizitär und scheiternd wahr. Dieser Wandel der Mutterrolle kann als direkte Reaktion auf die dritte Welle der Frauenbewegung in den 1970er-Jahren verstanden werden, als der sogenannte Backlash. Unser Mutterbild ist frauenfeindlich und antifeministisch.

Es wundert nicht, dass Menschen, die permanent überfordert werden, letztlich unglücklich und unzufrieden sind. Denn was immer Mütter auch an Anstrengungen unternehmen, um dem gesellschaftlichen Bild der »guten Mutter« zu entsprechen, sie können es niemals ganz erreichen, nie fertig, nie perfekt sein.

Der Druck, der auf Müttern lastet, kommt dabei aus der gesamten Gesellschaft. Die überhöhten Ansprüche werden an die Frauen herangetragen von der Politik, den Medien, den Elternzeitschriften, von den Großeltern, den Schwiegereltern, von Arbeitgebern und anderen Müttern. Insbesondere auch in den Schwangerschafts-, Mütter- und Babykursen werden die Frauen unter Druck gesetzt und stacheln sich gegenseitig mit ihren Vorstellungen und Erzählungen über das, was angeblich die perfekte Mutter ausmacht, an.

Dennoch sind viele Frauen nicht in der Lage, diese Forderungen von sich zu weisen, sie als frauenfeindlich und überfordernd zu entlarven und sich von ihnen zu lösen. Dies scheint zwar die logische Lösung zu sein, stellt sich in der Realität aber als äußerst schwierig umsetzbar dar. Der soziale Druck ist extrem hoch. Mütter haben permanent Angst, von anderen Müttern ausgeschlossen, von Erzieherinnen und Lehrerinnen zurechtgewiesen zu werden, offene Kritik und Vorwürfe zu hören zu bekommen und am gesellschaftlichen Mütter-Pranger zu landen. Deshalb gilt unter Müttern längst das geheime Credo: Man muss jeder noch so absurden Erwartung hinterherhecheln, und alle Punkte, die man beim besten Willen nicht erfüllen kann, muss man versuchen zu kaschieren und zu vertuschen. Am besten lenkt man von den eigenen vermeintlichen Unzulänglichkeiten ab, indem man auf die »Fehler« und »Makel« anderer Mütter verweist.

Mütter stehen folglich unter Dauerstress: keine Zeit, großer sozialer Druck, eine ellenlange Liste an Aufgaben und permanente »Du musst«-Botschaften. Kein Wunder, dass Mütter erschöpft sind und häufig kurz vor dem Burn-out stehen. Ihre eigenen Bedürfnisse kommen stets zu kurz. Sie sind anders als frühere Müttergenerationen meist berufstätig, doch die Aufgaben in Haushalt und Kindererziehung sind nicht weniger geworden. Familie und Beruf lassen sich fast immer schlecht oder gar nicht wirklich vereinbaren. Die Arbeitgeber sind nicht familienfreundlich (genug), die Politik setzt mit Betreuungsgeld und Ehegattensplitting Fehlanreize und hat den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze viel zu lange verschlafen, die Väter beteiligen sich nach wie vor zu wenig in Küche und Kinderzimmer.

Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen, äußern ­vorwiegend, dass sie durch ihre Kinder und die damit verbundenen Aufgaben ihre Eigenständigkeit und Identität verloren haben. Zudem beklagen sehr viele von ihnen immer wieder, dass es unerträglich schwierig sei, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. Der Versuch erscheint wie ein Improvisations-Drahtseilakt, wie ein Marathon im Hamsterrad.

Doch sind an einem Kind nicht üblicherweise zwei Menschen beteiligt? Weshalb scheint es kein »Regretting Fatherhood« zu geben?

Väter spüren natürlich auch die Anstrengungen, die mit der Geburt eines Kindes und generell mit der Elternschaft einhergehen. Doch bei Vätern ist es gesellschaftlich wesentlich akzeptierter, wenn sie sich aus der Kindererziehung heraushalten. Sie haben eher die Möglichkeit, vor den Lebensbereichen, die sie belasten und stressen, weitestgehend die Flucht anzutreten. Männer werden dafür nicht im selben Maß wie Frauen gesellschaftlich geächtet oder kritisiert. Sie übernehmen mehrheitlich weiterhin die Rolle des Ernährers.

Studien belegen sogar, dass Väter nach der Geburt des ersten Kindes plötzlich deutlich mehr Überstunden machen und mehr Zeit mit ihren Hobbys verbringen. Muss ein Vater montags bis spätabends arbeiten, ist dienstags und donnerstags abends beim Sport und am Wochenende wahlweise beruflich oder mit Freunden unterwegs, ist das sozial absolut akzeptiert. Würde eine Mutter sich diese »Freiheiten herausnehmen«, würde sich jeder darüber wundern, man würde hinter vorgehaltener Hand oder auch ganz offen schlecht über sie sprechen. Dass der Vater »Erholung« von der Arbeit braucht, wird akzeptiert – dass Muttersein ein ebenso harter Job ist, von dem man Erholung braucht, und nicht etwa nur gemütliches »den ganzen Tag zu Hause sein«, ist noch immer viel zu wenig in den Köpfen verankert.

Folglich kommen Väter deutlich seltener an den Punkt, an dem sie ihre Vaterschaft bereuen würden. Sie müssen seltener bisherige Aspekte ihres Lebens aufgeben, um Platz für ihre Vaterrolle zu machen, sondern addieren sie quasi zu ihren sonstigen Lebensinhalten hinzu – in dem Ausmaß, wie es für sie angenehm ist. Sie haben häufig die Möglichkeit, ihrer Partnerin große Teile oder auch die gesamte Verantwortung und Arbeit zu überlassen.

Das Thema Regretting Motherhood geht aber nicht nur Mütter und Väter an. Es betrifft auch Kinderlose. Orna Donath wurde auf das Thema der bereuenden Mütter überhaupt erst aufmerksam, weil sie sich in einer Studie mit Kinderlosen beschäftigte, die über den gesellschaftlichen Druck sprachen, Kinder bekommen zu müssen. So wurden diese immer wieder mit der Warnung konfrontiert, dass sie eines Tages ihre Entscheidung gegen Kinder bereuen würden. Das brachte Donath auf die Frage, ob es auch Frauen gibt, die sich für Kinder entschieden haben und dies später bereuen.

Deutlich gängiger und stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert ist also im Zusammenhang mit dem Reuegefühl die Thematisierung des Lebensmodells, keine Kinder zu bekommen. Nachdem ich im Frühjahr 2015 mehrfach von den Medien zu dem Phänomen Regretting Motherhood befragt wurde, meldeten sich auch tatsächlich Kinderlose bei mir. Sie schrieben, dass sie sehr froh darüber seien, dass dieses Thema öffentlich diskutiert wird. Sie hatten sich trotz vieler Einwände aus dem Familien-, Freundes- und Kollegenkreis gegen Kinder entschieden und sahen ihre Entscheidung nun ein Stück weit mit Argumenten unterfüttert. Sie erhofften sich, dass nun endlich der soziale Druck auf Kinderlose abnimmt, Kinder zu bekommen. Denn wenn der Mythos, dass Mutterschaft automatisch glücklich macht, entzaubert wird, dann würde auch die Vorstellung, dass Kinderlosigkeit automatisch unglücklich macht, als Irrtum entlarvt.

Eben das ist auch ein Ziel dieses Buches: den Muttermythos, sprich die Mutterschaft als unabdingbaren Glücksspender, zu demontieren. Darüber hinaus soll nicht nur aufgezeigt werden, dass Mütter durchaus unglücklich sein können. Anliegen dieses Buches ist es zudem, die Gründe für die Unzufriedenheit und sogar das Bereuen der Mutterschaft zu erläutern, was hoffentlich das Verständnis für Betroffene fördern wird. Dabei spielen auch politische Rahmenbedingungen und mediale Einflussnahme eine wichtige Rolle.

Zu Beginn meiner Recherchen für das vorliegende Buch stand neben dem Einlesen in die vorhandene Lektüre zu dem Thema auch die Suche nach Müttern, die ihre Mutterschaft bereuen oder zumindest sehr unglücklich mit ihrer Mutterrolle sind. Dabei bin ich zwei Wege gegangen:

Einerseits habe ich mit sehr vielen Journalisten Kontakt aufgenommen, die in den letzten Monaten zu dem Thema gearbeitet und veröffentlicht hatten und die selbst bei ihren Recherchen auf Betroffene gestoßen sein könnten. Von diesen erhielt ich bereits einige Kontakte. Für die Augsburger Allgemeine hatte Lea Thies sogar 20 Gesprächsprotokolle von bereuenden Müttern angefertigt, auf die ich zurückgreifen konnte.5 Andererseits habe ich in diversen sozialen Netzwerken gezielt nach Betroffenen gesucht, indem ich sowohl Einträge zum Thema Regretting Motherhood studiert als auch selbst Aufrufe in den sozialen Netzwerken lanciert habe. In wenigen Tagen hatte ich auf diesem Wege rund 50 Mütter gefunden, die bereit waren, sich an dem Buch zu beteiligen. Ich habe ihnen einen Fragebogen zugesandt, der in Kapitel IV abgedruckt ist. Selbstverständlich habe ich den Müttern eine vollständige Anonymisierung ihrer Person zugesichert, sodass nicht die realen Namen Verwendung finden. Damit jedoch besser eingeordnet werden kann, wer sich hinter welcher Aussage verbirgt, habe ich die groben Fakten (Alter, Beruf, Bundesland, Anzahl und Alter der Kinder, Lebenssituation) mit erhoben und hier im Buch aufgeführt.

Doch zunächst wird es im folgenden Kapitel darum gehen, das Phänomen Regretting Motherhood zu beschreiben und zu definieren. Dafür wird auch der Begriff der Reue ganz allgemein thematisiert. Es erfolgt eine psychologische Einordnung des Reuegefühls bei den Müttern, und in diesem Zusammenhang wird auch der Aspekt der Ambivalenz näher beleuchtet. Es wird der Frage nachgegangen, wie die beiden ambivalenten Gefühle, das Bereuen der Mutterschaft und die Liebe gegenüber den Kindern, aus psychologischer Sicht zu verstehen und einzuordnen sind.

Im dritten Kapitel wird der Wandel der Mutterrolle in den letzten 150 bis 160 Jahren genauer dargestellt. Der Fokus liegt dabei auf den letzten 50 bis 60 Jahren.

Im vierten Kapitel werden schließlich die 18 Betroffenen, deren Fragebögen ich in dieses Buch mit einbeziehe, vorgestellt. Es handelt sich dabei um die Frauen, die ich speziell für dieses Buch gewinnen konnte und die mir ausführlich Fragen zu ihrer Lebenssituation beantwortet haben. Sie sprechen darüber, was genau die Mutterrolle für sie zur Zumutung macht, was ihnen am schwersten fällt, wie sie mit dem Gefühl der Reue und auch der Ambivalenz umgehen und wie stark sie eine Tabuisierung dieses Themas verspüren. Von den ursprünglich 50 Müttern, die den Fragebogen zum Thema Regretting Motherhood ausfüllen wollten, sind im Laufe der Wochen nur 21 Mütter übrig geblieben. 18 dieser 21 Mütter schienen mir passend für dieses Buch und wurden daher für das Kapitel ausgewählt. Anschließend werden im fünften Kapitel die Beschreibungen der bereuenden Mütter analysiert, Besonderheiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen ihnen aufgezeigt.

Im nachfolgenden Kapitel stehen schließlich die kinderlosen Frauen im Fokus. Es wird genauer beschrieben, unter welchem Druck diese Frauen stehen und wie unser aktuelles Mutterbild auch den Umgang mit gewollt Kinderlosen beeinflusst. Der Bezug zum Thema Regretting Motherhood wird deutlich gemacht und aufgezeigt, inwiefern diese Debatte über die bereuenden Mütter auch den (nicht)bereuenden kinderlosen Frauen helfen und diese entlasten kann – denn Frauen, die durch gesellschaftlichen Druck Kinder ­bekommen, ohne dies wirklich zu wollen, sind die bereuenden Mütter von morgen.

Im siebten Kapitel wird genauer beleuchtet, welchen Einfluss die Politik auf die Thematik hat. Es werden die konkreten Gesetze und politischen Beschlüsse betrachtet, die Müttern das Leben erschweren, die zur Unzufriedenheit beitragen, die die Vereinbarung von Familie und Beruf verkomplizieren und durch welche nach wie vor die Hausfrauenehe subventioniert und Fehlanreize gesetzt werden. Dabei sind insbesondere die Familien- und die Bildungspolitik von Interesse, da diese besonders stark und direkt auf die Arbeitsbelastung und Arbeitsteilung innerhalb der Familien wirken und nach wie vor die traditionelle Geschlechterrollenverteilung provozieren und manifestieren. Es werden auch konkrete politische Gegenkonzepte entworfen und Vorschläge gemacht, wie die Politik die Situation der Mütter entspannen könnte.

Im achten Kapitel werden schlussendlich Tipps für Kinderlose, Schwangere, Mütter und Väter gegeben. Wie können sie mit dem Thema umgehen? Was können sie selbst präventiv tun, um der Unzufriedenheit entgegenzuwirken? Kann man es vermeiden, an den Punkt zu gelangen, an dem man die Mutterschaft bereut? Welche Hilfen gibt es? Was könnte Kinderlosen bei der Entscheidung helfen, ob sie Kinder bekommen wollen oder nicht? Denn auch Kinderlose haben oftmals ambivalente Gefühle und können sich nur schwer entscheiden, ob sie Kinder bekommen möchten. Auch die Frage, was Mütter tun können, die die bereuende Mutter in sich finden, wird beleuchtet. Zum Schluss folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

Dieses Buch möchte das Thema Regretting Motherhood in seiner Bandbreite darstellen. Es wird manchen Mythos entzaubern und manches Tabu aussprechen. Hoffentlich wird es betroffenen Müttern helfen, ihre eigenen Gefühle einzuordnen, und bei Nichtbetroffenen Verständnis für die Problematik und Sensibilisierung für gesellschaftliche Probleme ­bewirken.

Christina Mundlos, September 2015

II. Das Phänomen Regretting Motherhood

Dass Mutterschaft ein Garant für Glück und Sinnstiftung ist, ist ein Mythos. Nicht alle Mütter empfinden ihre Mutterrolle als Glücksspender. Vermutlich würden die meisten sogar zugeben, dass sie von Zeit zu Zeit den starken Wunsch haben, wenigstens für kurze Zeit ausbrechen zu können – aus dem Alltag, aus ihrer Verantwortung, aus stressigen und nervenaufreibenden Situationen mit ihren Kindern.

Doch bei den Müttern, die bei der Regretting Motherhood-Debatte gemeint sind, geht es nicht nur um den kurzfristigen Wunsch nach Erholung, Ruhe und einer Pause vom Alltagsgeschäft. Es geht auch nicht um die postnatale Depression, die manche Mütter nach der Geburt erfasst und die verhindert, dass sie sich mit der Mutterrolle identifizieren und eine Bindung zu ihrem Kind aufbauen.

Es geht um das durchgängige und langfristige Gefühl, dass die Entscheidung, Kinder zu bekommen, eine falsche war.

Diese Frauen berichten, dass sie sich mit all den Erkenntnissen und Erfahrungen, die sie jetzt haben, und mit all dem Wissen über ein Leben mit Kindern bzw. über ein Leben als Mutter nicht wieder für Kinder entscheiden würden. Wäre es ihnen möglich gewesen, bereits in der Vergangenheit – noch bevor sie schwanger waren – eine realistische Vorstellung von ihrem späteren Leben als Mutter zu haben, dann hätten sie keine Kinder bekommen wollen.

Sie leben ein Leben, das ihnen nicht gefällt, das sie sich so nie ausgesucht hätten und das sie unglücklich macht. Sie beschreiben, dass sie all ihre eigenen Bedürfnisse verdrängen, unterdrücken und ignorieren müssen – und zwar nicht nur für ein paar Stunden oder für ein paar Wochen, sondern für Jahre und Jahrzehnte. Die bereuenden Mütter haben nicht mehr das Gefühl, sie selbst zu sein, sie funktionieren nur noch, wie es von ihnen erwartet wird. Sie fühlen sich gefangen im Korsett der Mutterrolle, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Denn die Entscheidung für Kinder ist eine, die unmöglich rückgängig zu machen ist und die das Leben zudem auf Jahrzehnte hinaus bestimmt.

Die 23 israelischen Mütter, die Orna Donath befragt hat, bereuen ihre Mutterschaft. Einige von ihnen sind verheiratet oder leben in einer Partnerschaft. Manche sind alleinerziehend und wieder andere leben getrennt vom Partner, der alleinerziehend ist. Und während diese Frauen die Mutterschaft bereuen und beteuern, sie hätten keine Kinder bekommen, wenn sie früher gewusst hätten, was auf sie zukommt, geben doch alle an, ihre Kinder sehr zu lieben. In dieser Ambivalenz steckt eine gewisse Dramatik. Denn diese Frauen verabscheuen zwar ihr Leben, das sie unter anderem als Katastrophe bezeichnen, aber sie lieben ihre Kinder und leben dieses so unliebsame Leben deshalb weiter. Diese Ambivalenz verhindert ein Ausbrechen, das unter anderen Umständen die natürliche Reaktion wäre.

Donath zeigt auf, dass die Lebensumstände der von ihr befragten bereuenden Mütter völlig unterschiedliche sind. Die Frauen stammen aus unterschiedlichen Schichten und aus unterschiedlichen ökonomischen Verhältnissen. Einige haben junge Kinder und andere haben Teenager. Bei einigen Müttern leben die Kinder beim Vater und sie selbst sind weniger in die Kindererziehung involviert. Andere sind hauptsächlich für die Kinder zuständig.

Daher resümiert Donath, dass sich Regretting Motherhood unabhängig von Umständen und Lebensverhältnissen quer durch alle Schichten zieht und letztlich bei jeder Frau auftreten kann. Die typische bereuende Mutter gibt es somit nicht.

Die Reaktion auf bereuende Mütter: Abwehr

Doch woher kommt das Gefühl, man hätte besser keine Kinder bekommen? Um die Antwort auf diese Frage zu finden, muss man eigentlich erst einmal überlegen, weshalb man diese Frage stellt.

Es ist in unserer Gesellschaft keine Seltenheit, dass Menschen ihre Handlungen oder Entscheidungen bereuen. Es ist in den verschiedensten Lebensbereichen, ob privat oder beruflich, absolut verbreitet, dass Menschen einen Weg einschlagen und hinterher bereuen, nicht einen anderen genommen, eine andere Entscheidung getroffen zu haben; gegebenenfalls werden Entscheidungen dann eben auch angepasst oder rückgängig gemacht. Insbesondere passiert dies, wenn man später zu weiteren Informationen gelangt, die den ursprünglichen Erwartungen widersprechen. Doch dass eine Frau Kinder bekommt und diese Entscheidung später bereut, können wir nicht nachvollziehen.

Warum eigentlich? Kinder zu bekommen gehört zu den größten Entscheidungen, die wir überhaupt treffen können – schließlich wird das ganze Leben von diesem Moment an von ihnen mitbestimmt. Eine stärker lebensverändernde Entscheidung ist kaum denkbar. Die Reaktion auf bereuende Mütter ist jedoch nicht selten ein gehässiges »Das hättest du dir halt vorher überlegen müssen!«. Eine absurde Anmaßung, die bei anderen (ungleich weniger weitreichenden) Fehlentscheidungen deutlich seltener geäußert wird; in anderen Zusammenhängen wird durchaus akzeptiert, dass man vieles erst ausprobieren muss, um herauszufinden, ob man sich dafür eignet. Welche Mutter, welcher Vater könnte ernsthaft behaupten, dass die Elternschaft wirklich in ihrer ganzen Tragweite und all ihren Aspekten erfasst werden kann, bevor man tatsächlich Eltern geworden ist? »Das kann man sich vorher gar nicht vorstellen« – diesen Satz hört man häufig von jungen Müttern, und kaum jemand zweifelt daran. Gleichzeitig wird aber Müttern, die sich über die Anforderungen ihrer Rolle beklagen und ihre Entscheidung bereuen, vorgehalten, sie hätten diese richtig einschätzen müssen, bevor sie schwanger wurden. Wie genau und auf welcher Grundlage sie dies hätten tun sollen, darüber schweigen die Kritiker.

Mutterschaft und Reue können wir in unseren Köpfen kaum in einen sinnvollen Zusammenhang bringen. Es scheint so, als würde sich beides vollständig ausschließen. Daher sagt die Frage, weshalb eine Frau ihre Mutterschaft bereut, mehr über unser Frauen- und Mutterbild aus als über diese Frauen selbst. Allein die Tatsache, dass uns die Gründe erforschenswert erscheinen, zeigt, dass unser Mutterbild durch dieses Phänomen auf den Kopf gestellt wird. Eine Mutter bereut nicht, eine Mutter freut sich – so unsere Annahme.

Bei den Recherchen zu dem Thema in den sozialen Netzwerken erlebte ich immer wieder, dass meine Aufrufe auf der Suche nach bereuenden Müttern mit gehässigen Kommentaren beantwortet wurden. Das Thema sei »gruselig«. Ich wurde dafür angegriffen, dass ich mich diesem »furchtbaren Thema« widmete. Ich würde wohl wollen, dass überhaupt niemand mehr Kinder bekommt (dass ich niemanden dazu animierte, die Mutterschaft abzulehnen, sondern lediglich Mütter suchte, bei denen dies bereits der Fall war, zählte offenbar nicht). Es wäre krankhaft und abstoßend, überhaupt nach solchen Müttern zu suchen. Und stets wurden Warnungen ausgestoßen: »Eine Mutter, die sich darauf meldet, ist keine richtige Mutter.« Man behauptete: »Solche Mütter gibt es nicht, denn wer das bereut, ist keine echte Mutter.« Und immer wieder schrieben Mütter, dass sie es schrecklich fänden, wenn Mütter ihre Kinder nicht lieben.

Ich ging schließlich dazu über, meinen Aufrufen den Nebensatz hinzuzufügen, dass diese Frauen sehr wohl ihre Kinder lieben. Denn selbst viele Betroffene konnten sich kaum den bereuenden Müttern zuordnen. Sie schrieben, dass sie ihre Entscheidung für Kinder zwar bereuen würden, diese aber über alles liebten und deshalb nicht von dem Thema betroffen seien. Das Thema Regretting Motherhood wird also schnell in Verbindung gebracht mit Frauen, die ihre Kinder nicht ­lieben.

Viele Mütter kommentierten meine Aufrufe oder schrieben mich sogar mit privaten Nachrichten an und behaupteten, dass in der Müttergruppe, in der ich nach bereuenden Müttern suchte, keine einzige dabei wäre und ich dort sicher nicht fündig werden würde. Die Gruppen bei Facebook, in denen ich Aufrufe gestartet hatte, hatten jedoch Hunderte, einige auch Tausende Mitglieder. Diese Reaktion wirkte deshalb sehr skurril. Diese Frauen konnten kaum alle Mütter der Gruppe kennen, zumal das Thema derart tabuisiert ist, dass meist nicht einmal engste Freunde darüber informiert sind. Es schien fast so, als dürfe nicht sein, was diese Menschen nicht ertragen konnten. Möglicherweise sahen sie sich selbst und ihren Lebensentwurf durch die Thematik fundamental infrage gestellt (vielleicht fürchtete so manche Frau auch, bei sich selbst auf Reuegefühle zu stoßen). Die Tabuisierung geht so weit, dass das Phänomen ganz bewusst ignoriert wird. Mit viel Aufwand werden die Augen davor verschlossen, und manche versuchen sogar, anderen die Augen davor zu verschließen.