Mütter klagen an - Christina Mundlos - E-Book

Mütter klagen an E-Book

Christina Mundlos

0,0
17,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Es dürfte die Vorstellungskraft der allermeisten Menschen übersteigen, was die Sozialwissenschaftlerin und Frauenrechtsaktivistin Christina Mundlos aus deutschen Familiengerichten zusammengetragen hat: Frauen und Kinder, die nicht nur auf legale Weise, sondern mithilfe des juristischen Apparats selbst unter die Verfügungsgewalt gewalttätiger Ex-Männer gezwungen werden. An den haarsträubenden Fällen arbeitet Mundlos das beängstigend Systematische heraus: Sichtbar werden ein unhaltbares Abhängigkeitsgefüge zwischen Rechtsprechung, GutachterInnen und Einrichtungen der Familienhilfe sowie ein patriarchal-misogyner Hintergrund und eine fragwürdige politische Agenda. Immer wieder führt dies dazu, dass Entscheidungen zugunsten von Männern gefällt und Kindeswohl sowie Frauenrechte missachtet werden. Der Band versammelt zahlreiche Schilderungen von betroffenen Frauen sowie die Statements von Fachkräften, die Schwächen und Ungerechtigkeiten des familienrechtlichen Systems aus der eigenen Tätigkeit heraus kennen und ihre Finger in dessen zahlreiche Wunden legen. Ein Ratgeberteil für betroffene Frauen beschließt den Band.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 419

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christina Mundlos

Mütter klagen an

Institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder im Familiengericht

ISBN (Print) 978-3-96317-332-5

ISBN (ePDF) 978-3-96317-891-7

ISBN (ePUB) 978-3-96317-892-4

Copyright © 2023 Büchner-Verlag eG, Marburg

Bildnachweis Cover: Basierend auf Käthe Kollwitz, ›Weiblicher Rückenakt auf grünem Tuch‹, 1903; Kunsthalle Bremen; © Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Umschlaggestaltung: DeinSatz Marburg | tn

Das Werk, einschließlich all seiner Teile, ist urheberrechtlich durch den Verlag geschützt. Jede Verwertung ist ohne die Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.de abrufbar.

www.buechner-verlag.de

Inhalt

VorwortZwei Bemerkungen vorabKapitel 1: EinleitungKapitel 2: HintergrundwissenNachtrennungsgewalt (Post-Separation Abuse)Häusliche GewaltPsychische Gewalt, Coercive Control, Stalking, GaslightingSexuelle GewaltFemizideDARVO/Täter-Opfer-Umkehr/Victim BlamingFamilienrecht und institutionelle GewaltZwang zur Einigung bzw. Kooperation mit TäternKartellbildung und IntransparenzFinanzielle Gewalt durch BehördenWechselmodell per Zwang?Anwaltliche Vertretung des KindesGutachtenIstanbul-Konvention und KinderschutzTäter – ihre Methoden und ihre EinflussnahmeToxische Männlichkeit versus Narzissten/PsychopathenVäterrechtler, Gardner, Kentler und Co.Parental Alienation Syndrome/BindungsintoleranzMaternal Gatekeeping und Münchhausen by proxyKapitel 3: Erfahrungsberichte der MütterAnja (41), Niedersachsen – Diplompädagogin, Mediatorin, Kinderschutzfachkraft – mit Lina (14) und Ella (10)Sabine (49), Schleswig-Holstein – Geschäftsführerin – mit Anna (20) und Lisa (14)Aynur (42), Hessen – Erzieherin – mit Elyas (9)Alexandra (35), Thüringen – Studentin der Psychologie – mit Julia (10) und Charlotte (7)Manuela (36), Berlin – Projektleiterin für eine NGO – mit Sohn Liam (10)Mia (45), Mecklenburg-Vorpommern – examinierte Altenpflegerin – mit Sofie (7) und Julius (23)Marie (45), Brandenburg – Verwaltungsangestellte – mit Max (11)Sonja (30), Nordrhein-Westfalen – Studentin der Sozialpädagogik und Angestellte – mit Anton (6) und Sarah (4)Paola (42), Berlin – Journalistin – mit Antonio (5) und Matilde (4)Friederike (28), Niedersachsen – Ergotherapeutin und Studentin der sozialen Arbeit – mit Jeremias (4)Alina (37), Nordrhein-Westfalen – Ärztin – mit Konstantin (9) und Gabriel (7)Heike (41), Rheinland-Pfalz – Diplom-Verwaltungswirtin – mit Lia (7) und Elias (2)Valerie (40), Niedersachsen – Tagesmutter – mit Martin (heute 22)Rosa (42), Berlin – Lektorin – mit Anton, 4Stella (50), Bremen – Bürokauffrau – mit Sienna (24) und Alissa (9)Susie (37), Niedersachsen – Diplom-Kunsttherapeutin – mit Kai (7) und Rick (11)Kapitel 4: Das sagen die ExpertInnenInterviewsInterview mit Ludwig Salgo (Familienrechtsexperte)Interview mit dem Verein MIA – Mütterinitiative für Alleinerziehende e. V. i. G.Interview mit Wolfgang HammerInterview mit Rechtsanwältin Marita Korn-BergmannInterview mit »Löwenmama« Carola WilckeBerichteSonja Howard (Kinderschutzexpertin und Mitglied im Betroffenenrat der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung)Susanne Wunderer (Vorstandsmitglied im Verein Feministische Alleinerzieherinnen – FEM.A)Bericht eines Verfahrensbeistands aus Nordrhein-Westfalen (anonym)Kapitel 5: Die Folgen für Mütter, Kinder und GesellschaftKapitel 6: Strategie-Tipps für MütterKapitel 7: Lösungen für die FamilienjustizA) Aus-, Weiter- und FortbildungB) Gewaltschutz stärken gegenüber Umgangs- und SorgerechtC) Spezielle Beratungsstellen einrichtenD) Kartellbildung und Klüngelei unterbindenE) Kindeswohlgefährdung erkennen, berücksichtigen, verhindernF) Finanzierung verbessernG) Überprüfungsinstanzen einrichtenLiteraturverzeichnisEndnoten

Karoline Herfurth & Sonja Howard

Vorwort

Das Entsetzen in der Gesellschaft ist groß, wenn wieder einmal in einem der medial ausgeschlachteten Missbrauchsfälle herauskommt, dass eine Mutter schon jahrelang von den Taten wusste, oder vielleicht auch nur etwas ahnte, ihr Kind aber nicht geschützt hat. Ebenso bei Fällen häuslicher Gewalt. Da schlägt den Müttern völliges Unverständnis und sogar Hass entgegen, weil sie sich nicht »einfach trennen«.

Die Kommentare in den sozialen Medien überschlagen sich dann: »Ich würde sowas niemals zulassen! Wenn mein Kind sich mir anvertrauen würde, würde ich sofort zur Polizei gehen!«, »Ich würde meine Kinder nehmen und ins Ausland abhauen!« »Eine Ohrfeige und der Mann würde mich und die Kinder nie wiedersehen!«, »Wozu gibt es denn Frauenhäuser? In Deutschland muss niemand Gewalt aushalten!«.

Gleichzeitig stellt sich die Politik hin und fordert Menschen auf, hinzusehen, zuzuhören, ihr Bauchgefühl ernst zu nehmen, kindliche Aussagen ernst zu nehmen, sich Hilfe zu holen, schützend einzugreifen.

Doch wenn man sich einmal eingehender mit der Thematik befasst, wird man schnell feststellen, dass es überhaupt nicht so einfach ist, wie sich Politik und Gesellschaft das immer vorstellen. Wir leben in dieser Idealvorstellung eines funktionierenden Rechtsstaats, in dem Opfer zuverlässig geschützt werden. Wir gehen davon aus: Wer Hilfe sucht, bekommt sie auch. Und sollte sich ein Verdacht am Ende nicht bestätigen, würde das doch dem Hilfesuchenden niemals negativ ausgelegt werden. Oder?

Was passiert aber wirklich, wenn ein Kind seiner Mutter erzählt, dass der Papa es »angefasst« hat?

Vielleicht hat dieses Kind eine Mutter, die ohne weiter nachzudenken sofort handelt. Sie wendet sich ans Jugendamt, macht eine Meldung bei der Polizei, packt ihr Kind und verlässt die gemeinsame Wohnung.

Und plötzlich wird diese Mutter mit einem staatlichen System konfrontiert, das ihr schnell klar macht, dass »einfach so« überhaupt nicht einfach ist. Die Polizei wird zum Beispiel sagen, dass das Kind gar nicht als aussagefähig gilt, weil es noch zu jung ist. Somit steht die Aussage der Mutter gegen die Aussage des Vaters, das Verfahren wird eingestellt. Das Jugendamt sagt: »Naja, behauptet werden kann ja viel, wir schauen uns mal das Kind an«.

Und in den meisten Fällen von innerfamiliärem Missbrauch lieben die Kinder ihre Täter trotzdem und haben eine Bindung zu ihnen. Selbst in Fällen schwerster Gewalt gibt es eine Bindung. Eine Angst-Bindung zwar, aber die muss man als Außenstehender erstmal erkennen können. Es kann nämlich auch reiner Selbstschutz sein, wenn ein Kind lächelt und sagt: »Ich liebe meine Eltern«. Doch dazu müsste man ausgebildet sein und in einem Drittel der Studiengänge Soziale Arbeit ist Kinderschutz nicht einmal ein verpflichtendes Modul.

Wenn die Mutter dann das alleinige Sorgerecht beim Familiengericht beantragt, wird sie schnell merken, dass die wiederum sagen »Naja, es wurde kein Missbrauch festgestellt, es gibt keine strafrechtlich relevanten Gründe, Vater und Kind zu trennen und der Vater hat natürlich ein Recht auf Umgang.«

Wenn sie Pech hat, wird ihr der Missbrauchsvorwurf sogar zum Verhängnis. Denn nicht wenige staatliche Stellen werfen einer Mutter, die ihre Kinder schützen will, gern mal vor, das Ganze nur erfunden zu haben, um ihrem Ex-Partner zu schaden. Und dann kann sie das Sorgerecht sogar komplett verlieren.

Selbst in Fällen, in denen es ärztliche Gutachten oder rechtsmedizinische Untersuchungen gab und Gewalt nachgewiesen wurde, steht der Beschluss eines Gerichts über dem Kindeswillen und Kindeswohl. Weigert sich ein Kind, zu einem Elternteil zu gehen, wird es schon mal mit Polizeigewalt aus seinem Zuhause gezerrt und umplatziert. Somit steht diese Mutter, wenn alles schiefläuft, am Ende allein da und kann ihre Kinder überhaupt nicht mehr schützen. Im Gegenteil: Die Gewalt an ihren Kindern setzt sich auf institutionalisierter Ebene fort, wird dort nicht selten manifestiert.

Ein verbesserter Kinderschutz ist uns beiden ein sehr persönliches Anliegen und wir sind Christina Mundlos sehr dankbar, dass sie sich in ihrem Buch dieses wahnsinnig komplexen Themas annimmt. Denn nach wie vor gibt es viel zu wenige FürsprecherInnen, die sich tief genug in die Materie einarbeiten, um überhaupt begreifen zu können, wie sich der deutsche Staat im Kinderschutz oft selbst im Weg steht.

Dieses Buch zeigt auf, dass das Patriarchat noch lange nicht ausgestorben ist und auch im Rechtsstaat nach wie vor auf Kosten der Kinder verteidigt wird. Es zeigt dorthin, wo wir ansetzen müssen für eine gewaltfreie Zukunft unserer Kinder. Es ist dringend notwendig, diese Mütter und besonders ihre Kinder nicht mehr alleine zu lassen, Licht in dieses Dunkel zu bringen und Mechanismen zu etablieren, die EntscheidungsträgerInnen ausbilden, weiterbilden und auch kontrollieren können. Es ist dringend notwendig, den Schutz von Kindern als eine gemeinsame, gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen, die Lobby für Kinder zu stärken und die Institutionalisierung von Gewalt an Kindern mit gesammelter Kraft zu verhindern.

Zwei Bemerkungen vorab

In diesem Buch geht es um ganz verschiedene Formen von Nachtrennungsgewalt und institutioneller Gewalt. Deshalb muss hier eine Triggerwarnung ausgesprochen werden. Auch starke Gemüter können von den Berichten in diesem Buch verstört werden. Und auch wenn dies nicht das Ziel des Buches ist, ist es vermutlich notwendig, damit endlich eine breite Front gegen die institutionelle Gewalt protestiert und die Politik endlich beginnt, Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen, statt sie auch noch selbst an ihnen zu verüben. Ein Tipp, den ich auch beim Schreiben des Buches beherzigen musste: Es ist keine Schande, wenn man Pausen einlegen muss. Die Inhalte des Buches sind schwere Kost, die nicht an einem Tag verdaut werden können.

Im Folgenden werden diverse Gewaltformen explizit benannt. Darunter

Psychische Gewalt

Zwangskontrolle

Demütigungen

Vergewaltigung

Häusliche Gewalt

Stalking

Finanzielle Gewalt

Körperliche Gewalt

Beleidigung

Sexualisierte Gewalt

Kindesmisshandlung

Verleumdung

Kindesmissbrauch

Institutionelle Gewalt

Ein zweiter Hinweis vorweg: Es geht in diesem Buch um Mütter, die Gewalt im familiengerichtlichen System erlebt haben. Es gibt natürlich auch Väter, die ihre Behandlung als ungerecht beschreiben. Doch wir leben im Patriarchat. Diese Fälle sind daher nicht vergleichbar. So wie auch bei Gewalt-Studien immer festgestellt wird, dass es zwar zu einem gewissen Teil auch Täterinnen gibt. Die Gewalt der Frauen kann jedoch nicht mit der Gewalt gleichgestellt werden, die von Männern ausgeht. Schwere Gewalt bis hin zu Femiziden geht von Männern aus. Väter sind in unserer Gesellschaft ansonsten privilegierte Menschen in einem System, das in der Regel für sie arbeitet und sie allein aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt. Mütter werden im Patriarchat ausgebeutet, geringgeschätzt und haben aufgrund ihres Geschlechts wenig Chancen auf Gerechtigkeit oder Gleichbehandlung. Alle Personen, mit denen sie zusammentreffen, sind im Patriarchat sozialisiert. Und wir wissen, dass es schon da losgeht, wo Frauen unterbewusst als weniger kompetent eingeschätzt werden. Es gibt Studien, die belegen, dass ÄrztInnen Schmerzen bei Frauen bei gleicher Intensität weniger ernst nehmen als bei einem Mann und ihnen weniger Schmerzmittel verabreichen.1 Das Vorurteil, Frauen wären hysterisch und zimperlich, hält sich trotzdem hartnäckig. Wenn Väter nun einmal Ungerechtigkeit erleben, was also auch noch selten vorkommt, ist das nicht vergleichbar mit den Rahmenbedingungen, in denen Mütter sich bewegen. Gleichzeitig ist bekannt, dass Männer bereits Gleichberechtigung als Benachteiligung empfinden.

Für Männer ist ein absolutes Ungleichgewicht zu ihren Gunsten der Standard, an den sie gewöhnt sind. Nicht jedes Mal, wenn ein Mann schreit »Ungerecht!«, ist es das auch wirklich. Viele Männer fühlen sich ja schon davon bedroht, wenn Frauen in der Sprache mitgenannt werden sollen. Würden nun die Männer gar nicht mehr genannt, sondern nur mitgemeint (so wie es Frauen lange Zeit ging und bis heute oft noch geht), gäbe es einen riesigen Aufstand. Frauen sind gleichzeitig an Geringschätzung, Nicht-Gehört-Werden, Weniger-wert-Sein, Mehr-Machen-Müssen für die gleiche Entlohnung etc. gewöhnt. Über Ungerechtigkeiten beschweren sie sich meist erst, wenn sie noch viel schlimmer ist als die übliche Benachteiligung. Es gibt also viele gute Gründe, hier nur von den Erfahrungen der Mütter zu schreiben. Ebenso halte ich es auch in meinem Coaching. Anders als manch anderer Coach berate ich tatsächlich ausschließlich Mütter. Ich kann für die Mütter nur eine wirkliche Unterstützung sein, wenn ich parteiisch für Frauen bin. Das ist mein Anspruch. Es steht Vätern frei, sich anderswo Unterstützung zu holen – oder ihre eigene Rolle bei der Lektüre dieses Buches erstmal zu reflektieren. Und so wie es Kardiologinnen oder Neurologinnen gibt, gibt es eben auch Expertinnen für die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen. Solch eine Expertin bin ich und daher geht es hier auch um diese Formen von Benachteiligung und Gewalt gegen Frauen. Darum ging es in meinen letzten sieben Büchern und darum geht es also auch in diesem Buch.

Kapitel 1: Einleitung

Deutschland hat ein enormes Problem mit Gewalt an Frauen und Kindern. Die größte Gefahr geht dabei aber nicht vom Fremden auf dem dunklen Parkplatz aus. Die größte Gefahr stellen Männer aus dem engsten Umfeld dar – am häufigsten die eigenen (Ex-)Partner.2

Seit einigen Jahrzehnten können Frauen sich leichter trennen oder scheiden lassen, als dies noch vor fünfzig oder sechzig Jahren der Fall war. Doch es gilt: Die Zeit nach einer Trennung ist die gefährlichste im Leben einer Frau. Ganz gleich, ob die Partnerschaft nicht mehr funktionierte, ob er oder sie sich getrennt hat oder ob die Trennung stattfand, weil es bereits in der Beziehung zu Gewalt gegen Frau oder Kinder kam. Spätestens die Zeit rund um die Trennung lehrt viele Frauen das Fürchten. Diese psychische und körperliche Gewalt während und nach der Trennung nennt man Post-Separation Abuse oder auch Nachtrennungsgewalt.

Der ehemalige Partner entpuppt sich als Psychopath, der allein aufgrund der Trennung eine derartige (narzisstische) Kränkung erlebt, dass ihn fortan nur ein Wunsch antreibt: die Ex-Frau zu zerstören. Die Kinder sind diesen Vätern nicht nur herzlich egal. Sie werden fast immer instrumentalisiert, als Kollateralschaden bewusst in Kauf genommen oder gezielt vernachlässigt und verletzt, um der Mutter wehzutun. Denn wie könnte man einer Mutter mehr zusetzen, als wenn man ihre Kinder bedroht, vernachlässigt, entführt, verprügelt oder sexuell missbraucht – ohne dass sie dagegen etwas unternehmen könnte?

Rund 120 000 Fälle häuslicher Gewalt von (Ex-)Partnern gegen Frauen hat das BKA 2020 gezählt.3 Die Zahlen steigen seit Jahren. Und natürlich sind das ausschließlich die Fälle, die vom BKA überhaupt erfasst werden (können). Eine Studie von 2014 legt dar, dass in 20 Prozent der aktuellen Paarbeziehungen »relevante und folgenreiche Formen von körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt gegen Frauen vorkommen«4. In 6 Prozent der Beziehungen handelt es sich sogar um schwere Gewalt. Männer, die während der Beziehung gewalttätig waren, sind auch im Kontext einer Trennung gewalttätig. Zu ihnen gesellen sich diejenigen hinzu, die nach der Trennung erstmals offen gewalttätig werden. Dazu passt, dass 30 bis 40 Prozent der Frauen angeben, nach einer Trennung schon körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt zu haben.5 Psychische Gewalt ist hier noch nicht einmal inbegriffen.

Einige Frauen und Kinder überleben die Gewalt nicht. Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch Männergewalt – häufig nach einer Trennung.6 Andere flüchten ins Frauenhaus: 34 000 Frauen und Kinder suchen dort jährlich in Deutschland Schutz.

Damit aber nicht genug. Wenn gemeinsame Kinder im Spiel sind, haben die Mütter fast keine Chance, sich und die Kinder tatsächlich zu schützen. Ganz im Gegenteil: Sie werden vom Staat zum Täter-Kontakt gezwungen. Das Recht des Vaters an dem von ihm mitgezeugten Kind wiegt um ein Vielfaches schwerer als der Gewaltschutz für Mutter und Kind. Das gilt auch, wenn die Gewalt durch den Vater nachgewiesen ist und ebenfalls nach sexuellem Missbrauch des eigenen Kindes. Diese frauen- und kinderfeindliche Praxis treibt mitunter derartige Blüten, dass AnwältInnen Müttern inzwischen raten, die Gewalt bloß nicht vor Gericht zu thematisieren.7 Nun fragt man sich: Wie können diese Rechtsversteher nur? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Sie wissen, dass Mütter, die ihre Kinder vor Gewalt schützen wollen und diese Gewalt thematisieren, nicht selten im schlimmsten Fall ihre Kinder ganz verlieren. Von einem Schutz vor weiterer Gewalt kann nicht die Rede sein. Dies bestätigen auch Kinder- und HausärztInnen, so beispielsweise die 37 MedizinerInnen, die in einer Studie des Soziologen Dr. Wolfang Hammer Hinweise auf Gewalt dokumentiert hatten.

Familiengerichte, Jugendämter, VerfahrensbeiständInnen & Co. sitzen nämlich einem absurden Glauben auf, wenn eine Mutter von väterlicher Gewalt spricht: Weist der Vater die Vorwürfe zurück, wird angenommen, dass Mutter und Kinder lügen und der Vater die Wahrheit sagt. Folglich müsse der Mutter das Sorgerecht entzogen werden, da sie böswillig versuche, das Kind vom Vater fernzuhalten, es zu seinen Ungunsten zu manipulieren und es sogar zum Lügen angestachelt habe. Gibt der Vater zu, dass er gewalttätig war, oder ist die Gewalt nachgewiesen durch ZeugInnen oder vorhergehende Urteile, werden entweder Belege und sogar Geständnisse ignoriert oder es folgen Aussagen wie »Ein gewalttätiger Vater ist besser als gar kein Vater« oder auch »Hängen Sie mal nicht so an der Vergangenheit, wir wollen in die Zukunft schauen«.

Doch was für eine Zukunft soll das sein? Kann die Mutter nicht freudig in eine gewaltvolle Zukunft für sich und ihre Kinder schauen, gilt sie als unkooperativ und psychisch krank. Als Nächstes werden ihr Bindungsintoleranz, Vater-Kind-Entfremdung oder eine psychische Erkrankung namens Münchhausen by proxy (im Deutschen Münchhausen-Stellvertretersyndrom) vorgeworfen.

Was hat es mit diesen Begriffen auf sich? Weshalb schützen Jugendämter und Familiengerichte nicht Kinder und Mütter? Welche Verantwortung hat die Politik? Und wie können Mütter sich in diesem patriarchalen System überhaupt bewegen, solange die Politik nicht eingreift?

Um diese Fragen geht es in den nächsten Kapiteln.

Den Zuschauenden von außen muss sich auch folgende Irritation förmlich aufdrängen: Mütter erledigen auch heute noch ungebrochen den Großteil der Fürsorgearbeit. Sie versorgen, fördern und hüten die Kinder, sie erledigen den Haushalt, sie managen die Vereinbarung von Terminen und To-dos der ganzen Familie und tragen damit die sogenannte Mental Load. Väter, die den Müll rausbringen? Die »helfen« ihr bei der Hausarbeit. Sie helfen. Sie tragen nicht die Verantwortung. Sie übernehmen nicht gleichberechtigt 50 Prozent der Aufgaben, Belastungen und Organisationsakrobatik. Die Verantwortung für die Carearbeit liegt größtenteils bei Frauen.

Während der Ehe oder Beziehung ist den Vätern die Aufgabenteilung nur allzu recht. Wobei das Wort »-teilung« schon mehr suggeriert, als sich dahinter oft verbirgt, denn häufig geht es um eine Nicht-Teilung. Die Mutter ist fast immer die engste Bezugsperson der Kinder. Auch dazu hört man von Vätern keinerlei Klagen. Im Gegenteil.

Kaum kommt es allerdings zur Trennung zwischen Mutter und Vater, haben die Väter plötzlich allergrößte Zweifel an der Eignung der Mutter. Natürlich: Dass eine Mutter sich von ihrem Partner trennt, ist wirklich suspekt – liegt nahe, dass sie nicht mehr ganz bei Trost ist und einen schädlichen Einfluss auf die Kinder ausübt. Wer könnte diesen Mann als Partner ablehnen? Richtig: nur eine Verrückte. Klingt lustig? Ist aber so. Das ist das Frauenbild unserer Justiz im Jahr 2022.

Deutsche Familiengerichte veranlassen daher jedes Jahr Hunderttausende von Gutachten, um die Tauglichkeit der Mütter zu überprüfen. Innerhalb eines Jahres kommt es zu 270 000 Gutachten an deutschen Familiengerichten!8 Zum Vergleich: In Zivil-, Arbeits-, Finanz- und Verwaltungsgerichten wurden insgesamt lediglich 30 000 Gutachten angeordnet.9 Um sich klarzumachen, was das für eine enorme Zahl ist, braucht es ein Gedankenspiel: Setzen wir sie einmal in Bezug zu der Anzahl der Kinder eines Geburtsjahrgangs: 2015 wurden 270 000 Gutachten erstellt. Sechs Jahre zuvor, im Jahr 2009, wurden gerade mal rund 665 000 Kinder geboren. Ein Gutachten betrifft, je nach Familie, aber auch mal mehrere Kinder.10 Es müsste also mehr Kinder in Deutschland geben, die irgendwann familiengerichtlich begutachtet werden, als Kinder, die eine solche Begutachtung nicht erleben!

Viele dieser Gutachten werden erst nach Trennungen durchgeführt, meist weil die Frage im Raum steht, ob die Mutter den Kindern schadet (oder vielmehr dem Vater), ob sie die Kinder im Sinne des Vaters erzieht oder ob sie die Kinder zum Nachteil des Vaters beeinflussen würde.

War also für den Vater in der laufenden Beziehung die Mutter die beste Betreuerin und Versorgerin der Kinder, ändert sich dies schlagartig mit der Trennung. Ebendiese Väter ziehen nach dem Ende der Paarbeziehung vor das Familiengericht, da sie angeblich der Ansicht sind, die Mutter wäre nun die schlimmstmögliche Bezugsperson für den Nachwuchs. Ja, die Mutter wäre sogar derart miserabel geeignet, dass ihr die Kinder weggenommen oder ihr Kontakt zu Letzteren vollständig eingestellt werden müsste. Eine Zunahme der Sorgerechtsverfahren von insgesamt rund 25 Prozent im Zeitraum von 2010 bis 2019 zeichnet ein ähnliches Bild.11

Was den Vätern nicht gefällt, ist aber, dass die Mutter es gewagt hat, sich von ihnen zu trennen. Sie wird zur Persona non grata. Mit der Erziehung der Kinder hat das nichts zu tun. So langsam dämmert einem, weshalb sich die Mütter von diesen Vätern getrennt haben. Dass nicht spätestens hier Tausenden von RichterInnen, VerfahrensbeiständInnen, GutachterInnen und Jugendämtern die Haare zu Berge stehen, lässt ernsthafte Zweifel an unserem familiengerichtlichen Justizsystem und der deutschen Jugendhilfe aufkommen! Nur geht die Geschichte noch weiter: Gericht, Jugendamt & Co. folgen vollständig der Argumentation des Vaters und treten eifrig in die Pedale der Maschinerie, die auch als Gutachtenmafia bezeichnet wird. Profitieren tun sie letztlich alle, denn mit dem Hass der Väter und dem Mütter-Bashing lässt sich sehr viel Geld verdienen.

Das Patriarchat sitzt tief. Offenbart sich doch hier sehr genau, dass der Vater immer noch der »Herr im Hause« oder der »Kopf der Familie« ist. Als wären sie Chef einer Firma, in der die Kinder das Produkt sind und die Frauen die Angestellten. Sie dulden, nein sie wünschen sogar, dass die Mütter die Carearbeit erledigen und sich hingebungsvoll um die Kinder kümmern. Kommt es jedoch zur Trennung der Angestellten vom Chef, fliegt diese aus der Firma raus und das Produkt gehört dem Chef.

Wenn wir Vätern nach einer Trennung zugestehen, dass sie ganz nach Gutdünken die engste Bezugsperson ihres Kindes frei wählen und die Mutter getrost entsorgen dürfen, dann nur, weil sie diese Position auch schon in der Beziehung hatten.12 Deutschlands Mütter sind Angestellte, die jederzeit fristlos entlassen werden können. Insbesondere wenn sie dem Chef nicht mehr für eine (sexuelle) Beziehung zur Verfügung stehen (wollen). Das heißt: Rechtlich gesehen ist eine Trennung oder Scheidung für Frauen erlaubt. Faktisch ist es ein Selbstzerstörungskommando. Sie riskieren immer, dass man sie als Mutter ihres Amtes enthebt.

Nicht immer geht es darum, die Kinder aus dem Haushalt der Mutter zu entfernen. Doch es geht immer um Kontrolle über die Mutter. Und mit der Drohung, man könne ihr jederzeit die Kinder ganz wegnehmen, werden Mütter oft genug gefügig gemacht. Und diese Drohung steht nicht nur als theoretische Option im Raum. Immer wieder wird sie von RichterInnen und anderen Verfahrensbeteiligten ausgesprochen. Gerne zum Beispiel, um die Mutter zu einem Wechselmodell zu zwingen, bei dem die Kinder rund 50 Prozent der Zeit beim Vater leben und die Mütter daher meist keinen Unterhalt mehr erhalten.

Jugendämter, Verfahrensbeistände und RichterInnen sind mehr und mehr durch sogenannte Väter-Lobbys geschult und entsprechend eingenordet. Dabei haben Väterrechtler schon vor Jahrzehnten eine geschickte Strategie entwickelt, um Mütter zu entsorgen oder zu zerstören. Orientiert an den Fantasien und Theorien von Richard A. Gardner – dem Unterstützer aller Pädokriminellen – entstand in den 1980er Jahren eine Art standardisiertes Vorgehen für Väter und gleichzeitig die entsprechende Beeinflussung der EntscheiderInnen in familienrechtlichen Angelegenheiten. Dessen Ziel: Vätern auch bei Gewalt und Missbrauch an den Kindern weiterhin umfangreichen Zugang zu ihren Opfern zu ermöglichen.

Zur selben Zeit entdeckte man in Pädagogik und Psychologie die Bindungs- und Bedürfnisorientierung, die im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wichtiger wurden. Das sogenannte Attachment Parenting ist längst der Mainstream-Erziehungsstil in Mütterzeitschriften, -blogs und -büchern.

Müttern wird also beigebracht, ihren Kindern zugewandt zu sein, sich in sie hineinzuversetzen, hochempathisch auf ihre Bedürfnisse einzugehen und maximale Gewaltfreiheit zu leben (bis hin zu dem Punkt, wo Säuglinge vor dem Wickeln gefragt werden, ob sie gewickelt werden dürfen).

Im Familiengericht ist davon nichts bekannt. Auch nicht im Jugendamt. Im Gegenteil. Dank der Beeinflussung durch die Väterrechtler ist den Behörden eine gute Mutter-Kind-Bindung sogar ein Dorn im Auge und höchst suspekt.

Was Sie in diesem Buch lesen werden, klingt eigentlich so unglaublich, dass es schwer vorstellbar ist. Ich kann versichern: das Einzige, was hier wirklich unglaublich ist, ist die Tatsache, dass Täter-Väter von deutschen Gerichten, Jugendämtern und weiteren Verfahrensbeteiligten bei der Gewaltausübung unterstützt werden.

Schlimmer noch: Was Familiengerichte und Behörden Kindern antun, ist eine der schrecklichsten Formen von Gewalt. Sie setzen die Gewalt, die die Kinder psychisch und physisch bereits durch ihre Väter erlebt haben, nahtlos fort. Das ist eine Menschenrechtsverletzung! Und was könnte hilfloser und verzweifelter machen als die Tatsache, dass man Gewalt erlebt hat und dann vergebens auf Hilfe aus dem Justizsystem wartet? Dass man sogar als schutzloser, abhängiger, kleiner Mensch erfährt, dass unsere Justiz den Tätern weiter Zugang zu ihren Opfern ermöglicht. Selbst nach aktenkundiger Gewalt und sexuellen Übergriffen werden Kinder gezwungen, weiter Kontakt zu den (Pädo-)Kriminellen zu haben. Mütter haben aktuell keine guten Chancen, sich und ihre Kinder zu schützen, wenn sie selbst oder die Kinder Gewalt durch den Vater erlebt haben. Dies ist auch der Grund weshalb unser Justizsystem Femizide nicht verhindert, sondern erleichtert – und Femizide sind nur die Spitze des Eisbergs.

Nachtrennungsgewalt hat viele Gesichter. Nicht immer kommt es zu körperlicher Gewalt, manchmal handelt es sich auch um übelste Belästigungen, Beleidigungen, Bedrohungen, Verleumdungen und alle Facetten psychischer Gewalt, die man sich vorstellen kann. Die Opfer sind aber nicht weniger schwer traumatisiert, wenn der Vater regelmäßig Mutter und Kindern vor Schule, Supermarkt oder Wohnung auflauert, abends durchs Küchenfenster reinstarrt und täglich Morddrohungen ausspricht.

Zwangskontrolle, Gaslighting13, finanzielle Gewalt – in den meisten Fällen ist es eine bunte und gefährliche Gewaltmischung. Nicht selten führt das dazu, dass am Ende Kinder und Mutter in Therapie sind – während der offensichtlich psychopathische Täter untherapiert bleibt.

Im nachfolgenden Kapitel werde ich die Hintergründe und Abläufe genauer vorstellen, die den Boden für institutionelle Gewalt und Fehler in unserer Justiz bereiten. Dabei werden auch einige Fachbegriffe eingeführt, die ich anschaulich erläutere, da sie zum Verständnis des Themas wichtig sind. Im dritten Kapitel folgen 16 ausführliche Erfahrungsberichte von betroffenen Müttern. Anschließend kommen Expertinnen und Experten zu Wort, die das System und die Entstehung der Gewaltspirale aus ihrer Perspektive erläutern und notwendige Veränderungen ansprechen. Über die Folgen für Mütter, Kinder und die gesamte Gesellschaft, die aus den Missständen in Justiz und Jugendhilfe resultieren, informiere ich im fünften Kapitel. Darauf folgen wichtige Tipps und Hinweise für Mütter, die auch Bestandteil meines Coachings sind und die sich im Umgang mit einer ungerechten und frauenfeindlichen Institution bewährt haben. Am Ende werden schließlich Lösungen von der Politik nicht nur eingefordert, sondern bereits konkrete Maßnahmen vorgestellt, die besser gestern als heute umgesetzt werden müssen. Strukturelle Veränderungen sind notwendig, denn es handelt sich hier nicht um ein paar bedauernswerte »Ausreißer«:

Täterschutz und Mittäterschaft statt Kinderschutz – das beschreiben immer mehr alleinerziehende Mütter. Wer sich die Berichte im Rahmen der White Lily Revolution14 ansieht oder auch die Studie von Dr. Wolfgang Hammer15, weiß, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Die Gewalt im System hat System.

Kapitel 2: Hintergrundwissen

Um zu verstehen, wie es in Familiengerichten zu Haltungen, Äußerungen und Entscheidungen kommt, die dem Kindeswohl diametral entgegenstehen, müssen die dahinter verborgenen Entwicklungen und Theorien erläutert werden. Daher folgt nun erstmal ein kurzer »Ritt« durch die Gewaltformen, von denen Mütter und Kinder betroffen sind. Außerdem beschreibe ich die Theorien und Beeinflussungen durch die Väterrechtler sowie ihre Auswirkungen auf Politik und Familienrecht.

Nachtrennungsgewalt (Post-Separation Abuse)

Es gibt diverse Gewaltformen, die Mütter durch ihre (Ex-)Partner, die Gesellschaft und die Verfahrensbeteiligten erfahren. In den meisten Fällen vermischen sich dabei verschiedene Arten von Gewalt. Es ist mir kein einziger Fall bekannt, in dem es nicht zu mindestens einer Form von Gewalt gegen die Mütter und Kinder kam. In einigen Fällen kommt es schon lange vor der Trennung zu Übergriffigkeiten, Vergewaltigung, häuslicher Gewalt etc. In anderen Fällen beginnt die Gewalt für die Opfer – zumindest bewusst – erst nach der Trennung. Alle Formen von Gewalt, die durch einen Ex-Partner an Müttern und Kindern verübt werden, fallen unter den Begriff der Nachtrennungsgewalt bzw. des Post-Separation Abuse.

Der Fokus des Buches liegt zwar auf der Nachtrennungsgewalt, aber die Gewalt, die Mütter und Kinder vor der Trennung erlebt haben, hat ebenfalls Einfluss auf die familiengerichtlichen Verfahren – am häufigsten dergestalt, dass sie ignoriert wird: Mütter und Kindern wird eine Traumatisierung nicht zugestanden – und damit zugleich weder eine berechtigte Distanzierung noch Schutz. Hierdurch wird Nachtrennungsgewalt oft erst möglich.

Der Gewaltschutz für Frauen und Kinder hat vor Gericht meist zurückzustehen vor dem Recht des Vaters auf das Kind. Und letztlich auch vor dem Recht des Vaters auf die Mutter, weil er sie vom Gericht zum Kontakt zwingen kann, weil er grundlegenden Entscheidungen über ihr Leben zustimmen muss oder sie auch ablehnen kann. Mütter und Kinder werden so zu Geiseln der Väter. Und während Gewalt- und Kinderschutz in der Regel einigermaßen greifen, wenn die Gewalt von Fremden ausgeht, werden sie den Betroffenen viel zu oft versagt, wenn es um einen Vater und Ex-Partner geht. Hierdurch kommt es zur faktischen Unantastbarkeit gewalttätiger Väter.

Deshalb sind nicht alle Väter gewalttätig, aber gewalttätige Väter sind daher ein sehr großes Problem. Sie haben Narrenfreiheit und können den deutschen Rechtsstaat bemühen, um sich ihre Opfer quasi noch frei Haus liefern zu lassen. So heißt es auch im Alternativbericht des Bündnisses Istanbul-Konvention:

»Die Synchronisierung von Gewaltschutz und Kindschaftsrecht ist weder im Recht noch in der Praxis gelungen. Gewalttaten gegen Frauen und Kinder und Missbrauchsfälle gegen Kinder werden bei Entscheidungen in Kindschaftsverfahren gegenüber den Rechten der gewalttätigen Person nicht in den Vordergrund gerückt.«16

Trennungen sind für Frauen gefährlich. Bei jeder zehnten Trennung kommt es zu Gewalt gegen Frau und/oder Kinder durch den Ex-Partner.17 Für Mütter ist die Lage noch bedrohlicher als für kinderlose Frauen bzw. Frauen, die keine gemeinsamen Kinder mit dem Ex-Partner haben. Fast die Hälfte der Mütter, nämlich 41 Prozent, und 15 Prozent aller Kinder wurden vom Kindsvater während der Umgangszeiten oder Übergabesituationen körperlich angegriffen.18 Femizide und Kindstötungen stellen die größte Eskalation von Nachtrennungsgewalt dar.

»In 27 % der Fälle wurde die Drohung ausgesprochen, die Kinder zu entführen, in 9 % der Fälle wurden die Kinder tatsächlich entführt. In 11 % der Fälle wurde versucht, die Frau zu töten.«19

Dass Trennungen für Frauen derart riskant und lebensbedrohlich sind, liegt daran, dass Männer, mit denen Frauen Beziehungen führen, eine Gefahr darstellen. Man kann sich nicht vor Trennungen schützen und sollte das Beenden einer Beziehung auch nicht problematisieren. Männer, die nach einer Trennung gewalttätig werden, sind auch als Partner gefährlich. Entweder weil sie auch in der Beziehung gewalttätig sind. Oder weil Frauen, die Beziehungen mit diesen Männern führen, befürchten müssen, dass eine Trennung tödlich verlaufen kann. Folglich leben auch viele Frauen in Beziehungen mit Männern, die aktuell nicht gewalttätig sind, nach einer Trennung aber ihr wahres Gesicht offenbaren. Nicht die Trennung ist das Problem. Die Männer sind es.

Nachfolgend gebe ich einen Überblick über verschiedene Formen der Gewalt, denen Mütter und Kinder ausgesetzt sind.

Häusliche Gewalt

Mit häuslicher Gewalt werden diverse Gewalttaten bezeichnet, die innerhalb einer Partnerschaft oder Familie verübt werden.20 Sie umfasst körperliche, aber auch psychische Gewalt, welche wiederum viel zu selten wirklich erfasst wird. In den meisten Fällen sind die (Ex-)Partner und Väter die Täter, während Frauen, Mütter und Kinder vor allem die Opfer sind. Die Juristin und Kriminologin Prof. Dr. Susanne Nothhafft spricht davon, dass es bei häuslicher Gewalt vor allem um »Macht, Kontrolle und Dominanz« geht.21 Häusliche Gewalt ist häufig ein Symptom toxischer Männlichkeit. Je patriarchaler eine Gesellschaft, desto mehr häusliche Gewalt. In Deutschland ist sie derart weit verbreitet, dass wir es in jeder fünften aktuellen Beziehung mit häuslicher Gewalt zu tun haben!

Studien zeigen, dass etwa jede vierte Frau irgendwann Opfer körperlicher und/oder sexueller Gewalt durch einen (Ex-)Partner wird. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es keine Studie gibt, die Frauen am letzten Tag ihres Lebens befragt – wobei sicher eine höhere Zahl herauskommen würde. Befragt man beispielsweise Frauen zwischen 30 und 60, dann sind all jene Gewalttaten nicht erfasst, die erst nach der Befragung in den nächsten Lebensjahrzehnten stattfinden. Häusliche Gewalt ist also kein Randthema. Sie existiert mitten unter uns. Jede/r von uns kennt garantiert mehrere Frauen, die schon Gewalt durch einen (Ex-)Partner erlebt haben. Auch wenn wir oft nichts davon wissen.

Es gibt einige Mythen, die sich um häusliche Gewalt vor allem in Zusammenhang mit Sorge- und Umgangsverfahren ranken. Die Wichtigsten will ich hier kurz benennen:

Insbesondere wenn Mütter in Gesprächen mit Jugendamt oder Verfahrensbeistandschaft häusliche Gewalt erwähnen, gerät ihnen dies oft zum Nachteil. Wie kann das sein? Viele »Profis« aus dem System sind der Ansicht, häusliche Gewalt sei eine absolute Seltenheit – vor allem in familiengerichtlichen Verfahren. Damit liegt für sie der Verdacht nahe, dass die Mutter sich die Gewalt nur ausgedacht hat. Sie halten die Wahrscheinlichkeit, dass eine Mutter sich häusliche Gewalt ausdenkt für viel wahrscheinlicher, als dass sie und ihre Kinder tatsächlich welche erleiden mussten.

Frühere Studien belegen hingegen, dass die Zahl der Fälle am Familiengericht, bei denen Väter gewalttätig sind oder waren, bei 25 bis 50 Prozent liegt.22 Aktuellere Untersuchungen zahlreicher Studien aus Großbritannien zeigen sogar, dass häusliche Gewalt 50 bis 63 Prozent aller Familien in Sorgerechts- und Umgangsverfahren betrifft. Die überwältigende Mehrzahl der Täter: die Väter.23

Außerdem ist die Annahme, dass Mütter am laufenden Band lügen würden, um Fälle am Familiengericht zu gewinnen, ebenfalls falsch. Es sind nur 1,3 Prozent. Tatsächlich sind es viel häufiger Väter, die falsche Angaben machen. Nämlich 21 Prozent.24

Hinzu kommt, dass wir alle Bilder vom Prototypen eines Vaters, der Frau und Kinder schlägt, im Kopf haben. Wir denken an einen ungehobelten, ungepflegten Proleten aus der unteren Bildungsschicht mit Bierdose in der Hand. Doch Männer sind durch alle Gruppen und Klassen gewalttätig. Gerade Professoren, Ärzte, Polizisten und Lehrer werden nicht als Gewalttäter gesehen, wenn sie dem Jugendamt die Tür zu einem schicken Haus öffnen und freundlich und eloquent wirken. Für Mütter ist es dadurch noch schwerer, sich vor diesen sozial angesehenen Tätern zu schützen.

Ein weiteres Problem, über das Mütter oft stolpern, wenn sie es mit dem Familiengericht oder Jugendamt zu tun haben: Wenn der Vater körperliche Gewalt (bislang) nur gegen die Mutter gerichtet hat oder zumindest keine körperliche Gewalt gegen die Kinder nachgewiesen werden kann, dann interessiert das die »Profis« ungefähr so sehr wie der berühmte Sack Reis in China. »In der Praxis wird das Miterleben von Gewalt durch Mädchen und Jungen nicht per se als Kindeswohlgefährdung behandelt.«25 Gewalt gegen die Mutter wird häufig nicht als Gewalt gegen die Kinder erkannt. Dabei belegen Untersuchungen, dass Gewalt gegen die Mutter ein Vorbote für Gewalt an den Kindern ist.26 Auch nach einer Trennung der Eltern kann häusliche Gewalt gegen die Mutter als sogenannter »Prädiktor« von – man könnte sagen: als Hinweis auf – Gewalt gegen die Kinder angesehen werden. »60 Prozent der Kinder erfahren beim Umgang mit einem Elternteil, das häusliche Gewalt ausgeübt hatte, selbst Gewalt.«27

Und was genauso wichtig ist: Kinder sind ZeugInnen der Gewalt und folglich selbstverständlich ebenfalls traumatisiert, wenn ihre Mutter als engste und wichtigste Bezugsperson geschlagen, getreten, beschimpft, angespuckt oder die Treppe heruntergeschmissen wird. Sie hören das Geschrei und die Schläge, sie hören die Beleidigungen und Demütigungen, sie hören die Schmerzensschreie, sie sehen die blauen Flecken und die Tränen. Mütter sind für Kinder gleichzeitig Quelle und sicherer Hafen. Ein Angriff auf die Mutter – selbst wenn die Kinder nicht mal anwesend sind – ist immer auch ein Angriff auf die Kinder. Wird die Mutter verletzt, bedeutet das Existenzängste für Kinder.

Gewalt gegen die Mutter ist Gewalt gegen das Kind. Und umgekehrt gilt natürlich dasselbe. Zumal wir noch sehen werden, dass Väter Gewalt gegen die Kinder oft bewusst einsetzen, um die Mütter zu treffen.

Es ist also auch nicht verwunderlich, dass die Folgen häuslicher Gewalt für Kinder immens sind und sich bis ins Erwachsenenalter hineinziehen. Im Gegensatz dazu heißt es in der Erziehungsberatungsstelle oder im Familiengericht nicht selten »Das ist doch abgeschlossen, das war nur die paar Mal, das hat keine weiteren Auswirkungen auf die Kinder, schauen Sie doch endlich nach vorn.« Man glaubt also ausgerechnet an den Stellen, an denen man sich mit Kindern und Kinderschutz auskennen sollte, dass die Auswirkungen von Gewalt auf Kinder nur minimal wären. Ein weiterer Mythos, der längst widerlegt ist.28

Psychische Gewalt, Coercive Control, Stalking, Gaslighting

Häusliche Gewalt beinhaltet nicht nur körperliche Gewalt, sondern auch psychische Gewalt. Diese ist jedoch zahlenmäßig deutlich schwerer zu erfassen, da sie seltener angezeigt wird und sich somit oft nicht in den Kriminalstatistiken des BKA niederschlägt.29 In der Zeit nach einer Trennung werden die Frauen aber besonders häufig Opfer von Bedrohungen, Stalking und Nötigungen. Zwei Drittel dieser Straftaten gehen auf das Konto von ehemaligen Partnern.30

Psychische Gewalt umfasst Beleidigungen, Demütigungen, Verleumdungen, Bedrohungen, Zwangskontrolle (Coercive Control), Stalking, Gaslighting, Nötigung und vieles mehr. Der »Fantasie« der Täter sind leider keine Grenzen gesetzt. Das Ziel ist, wie generell auch bei häuslicher Gewalt, Dominanz und Kontrolle sowie die Zermürbung des Opfers.

Die Auswirkungen werden vom Umfeld häufig noch unterschätzt. Nicht selten werden die Mütter mit schriftlichen und mündlichen Beleidigungen überzogen. Und durch das Verfolgen, Auflauern, Bedrohen und terrorisierende Anrufe fühlen sich viele Betroffene schon nach kurzer Zeit in ihrer Umgebung, beim Einkaufen, Arbeiten oder auch zu Hause auf dem Sofa nicht mehr sicher. Belästigung und Stalking strapazieren die Nerven, denn die nächste Bedrohung, der nächste Angriff, lauert hinter jeder Tür, auf dem AB oder im Briefkasten. Die Opfer sind einem fortwährenden Dauerstress ausgesetzt. Unter den Beleidigungen und Demütigungen leidet das Selbstwertgefühl der Betroffenen.

Der Spruch »Hunde, die bellen, beißen nicht« gilt bei männlicher Gewalt gegen Mütter und Kinder übrigens nicht. Gewaltdrohungen werden aber leider von behördlicher Seite kaum ernst genommen. Doch Polizei, Gericht und Jugendamt täten gut daran, jede Form von angedrohter Gewalt als deutliches Warnsignal zu verstehen – und als Aufforderung, zu handeln, bevor es zu spät ist. In der Studie »Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen« vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurde festgestellt: »Drohungen im Kontext von Trennung und Scheidung waren häufig (etwa zur Hälfte) mit realisierter Gewalt verbunden.«31

Teilweise richtete sich die darauffolgende Gewalt gegen Eigentum oder es handelte sich um Wohnungseinbruch. Mehr als doppelt so oft folgten jedoch körperliche/sexuelle Übergriffe auf die Mütter oder Kinder. Drohungen stellen an sich bereits Gewalt dar. Aber Drohungen sind meist keine bloßen Versuche der Einschüchterung. Sie sind häufig auch Vorboten für weiterführende körperliche Gewalt.

Beim Gaslighting wird die Wahrnehmung der Opfer permanent infrage gestellt und ihnen vorgegaukelt, sie befänden sich in einem fortwährenden Irrtum über sich selbst und die Welt.32 Dabei reichen dem Täter schon einfachste Aussagen des Opfers, um sie zu verdrehen.

Wenn gestern die Sonne schien und sie sagt, dass gestern schönes Wetter war, kann er sagen »Soll das ein Scherz sein? Es hat doch aus Eimern geschüttet.« Oder sie ruft ihn an und fragt »Wo bist du denn? Du bist ja gar nicht zu Hause.« Er behauptet dann: »Das habe ich dir doch gestern lang und breit erklärt. Du vergisst wirklich alles.«

Gerne werden auch Gegenstände verlegt, so dass das Opfer danach suchen muss und die Sonnenbrille plötzlich in der Waschmaschine findet.

Über kurz oder lang führt Gaslighting dazu, dass die Opfer sich selbst nicht mehr trauen, völlig verunsichert sind und das Gefühl haben, mit ihnen würde etwas nicht stimmen. Verunsicherung und ein schlechtes Selbstvertrauen sind wiederum optimale Voraussetzungen, um (weiter) manipuliert zu werden.

Hinter Zwangskontrolle (Coercive Control) verbergen sich ähnlich perfide Vorgehensweisen der Täter. Plötzlich wollen die Täter bestimmen, was ihre Partnerin tragen darf, wo sie hingehen darf, mit wem sie reden darf, kontrollieren ihre Kontakte oder auch ihren Zugang zu Telefon und Internet. Sie entscheiden, wann sie schlafen darf, was und wann sie essen darf, kontrollieren die Finanzen und das Sexualleben.33

Die Partnerin oder Ex-Partnerin soll vollständig unter der Kontrolle des Täters stehen. »Die Täter übernehmen und steuern das Leben des Opfers.«34 Bei Müttern beginnt Zwangskontrolle nach einer Trennung auch bereits dort, wo der Kindsvater die von ihm benötigte Unterschrift, beispielsweise bei Urlaub, Umzug, Schulanmeldung und Passanfertigung, nicht oder nicht rechtzeitig erteilt. Oder auch wenn Kinder vom Umgang zu spät zurückgebracht werden oder der Vater zum Umgang nicht erscheint, während zu Hause alle mit gepackter Tasche sitzen und warten.

Zahllose Mütter berichten von geplatzten Urlauben, Konzerten, Verabredungen, Stress am Flughafen oder auch dem Verlust des Platzes an der Wunschschule. Fast immer sind solche Angriffe auf Mutter und Kind gleich mehreres auf einmal:

psychische GewaltZwangskontrolleGaslighting (»Ich wusste ja nicht, dass ihr in den Urlaub wollt – warum hast du nichts gesagt?«)finanzielle Gewalt (weil Flugtickets verfallen oder Gerichtskosten zur Ersetzung von Unterschriften anfallen).

Wer Zwangskontrolle für einen exotischen Ausnahmefall hält, dem sei gesagt, dass die aktuelle Rechtslage dem getrennt lebenden Elternteil (also meist dem Vater) sogar die Zwangskontrolle überträgt: Mütter dürfen mit ihren Kindern nicht umziehen ohne Zustimmung des Vaters. Egal, ob die Wohnung zu klein geworden ist oder die Mutter näher an Arbeitsplatz, Kita oder Schule wohnen möchte: Ohne Erlaubnis des getrenntlebenden Vaters, darf sie nicht umziehen.35 Da haben es Frauen ohne gemeinsame Kinder mit dem Ex leichter. Sie dürfen allein über ihre Wohnung entscheiden. Die Väter hingegen dürfen selbstverständlich ohne Zustimmung der Alleinerziehenden umziehen. Selbst wenn der Umzug für das Kind gravierende Auswirkungen hat, weil es beispielsweise am Wochenende nun 600 km zurücklegen muss, um zum Umgangswochenende zu reisen. In Großbritannien hingegen »wird die sogenannte Zwangskontrolle (›Coercive Control‹) als Form der häuslichen Gewalt anerkannt und stellt eine Straftat dar.«36

Im Coaching hatte ich auch schon Mütter, deren Handy vom Ex-Partner zerstört oder geklaut wurde, deren Laptop, Smartphone etc. von ihm getrackt wurden oder die vom Vater bestohlen wurden. Entweder schon im Zuge der Trennung, als er sie aus dem Haus warf, ihr den Zugang versperrte und später alle ihre Besitztümer und Gegenstände verschwunden waren. Oder auch – was viele erleben – wenn der Vater beim Umgang ständig Kleidung der Kinder zurückbehält. So lange, bis er einen ganzen Schrank damit füllen kann, während die Kleiderschränke in den Kinderzimmern irgendwann leer sind. Hier vereinen sich nicht nur Zwangskontrolle und finanzielle Gewalt, sondern häufig auch noch Gaslighting (»Du hattest keine Regenjacke mitgegeben«. Oder ans Jugendamt: »Die Mutter hat so wenig Kleidung für das Kind.«).

Vielen Müttern und Kindern wird also nach der Trennung eine verheerende Mischung aus verschiedenen Formen psychischer Gewalt angetan. Das ist absolut keine Ausnahme. Selbst wenn es nur um eine einzige Gewaltform wie Stalking geht, geben bereits 31 Prozent aller Frauen an, dass sie diese nach der Trennung durch den Ex-Partner erlebt haben.37

Beim Stalking geht es nicht nur um Nachstellungen und belästigende Kontaktaufnahmen. Es werden Tagesabläufe überwacht, dritte Personen ausgefragt oder über diese indirekt Kontakt aufgenommen.38 Das passiert oft auch, wenn die Frauen schon versucht haben, so viele Kanäle wie möglich für den Ex-Partner zu schließen und ihn zu blockieren. Dann melden sich plötzlich täglich Großeltern, Tanten, Nachbarn, Schulfreundinnen, die man seit Jahren nicht gesehen hat, und übermitteln Botschaften (und Verleumdungen) des Täters (ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein): »Geht es dir gut? Der Jens hat gesagt, du warst schon länger nicht beim Sport, weil du ein Drogen-Problem hast?« oder auch »Vielleicht musst du mal Urlaub machen. Du arbeitest einfach zu viel. Das hat ja auch die Beziehung zu Jens belastet.« Da werden plötzlich von Dritten Dinge angesprochen, die sie nur vom Ex-Partner gehört haben können und es finden regelrechte Verhöre statt. Denn der Stalker übermittelt nicht nur Botschaften und traktiert mit Verleumdungen, er sammelt mittels Dritten auch Informationen über sein Opfer.

Ein zunehmendes Problem stellt außerdem Cyberstalking dar. Unerwünschte Inhalte, zum Beispiel persönliche Daten oder auch private Fotos werden öffentlich geteilt. Die Frauen werden online gestalkt, verfolgt, ausspioniert, zum Teil eben auch mit professionellen Trackingprogrammen.

Diese psychische Gewalt wirkt, wie körperliche Gewalt auch, lange nach. Wenn eine Mutter einmal abends im Dunkeln den (Ex-)Partner auf der eigenen Terrasse erblickt hat, wie er ins Wohnzimmer starrt, wird sie auch an den folgenden Abenden dort nicht mehr ruhig sitzen können. Wir haben es hier also mit einem äußerst geringen Aufwand für den Täter zu tun, der für die Opfer aber große Folgen nach sich zieht. Allein deshalb ist es wichtig, dass psychische Gewalt und Stalking auch von Polizei, Justiz und Politik endlich ernster genommen werden.

Sexuelle Gewalt

Wir wissen über sexuelle Gewalt, dass diese nicht sexuell motiviert ist. Sie ist ebenso wie andere Gewaltformen Ausdruck vom Wunsch nach Kontrolle und der Demonstration von Macht und Dominanz. Männer, die sexuelle Gewalt anwenden, vergewaltigen, Kinder sexuell missbrauchen, zur Prostitution zwingen etc. wollen überlegen sein und ihre Opfer demütigen und verletzen. Es mag sein, dass einige Täter einen psychopathologischen Hang zu Pädokriminalität haben, der in einer traurigen Kindheit begründet liegt, die ebenfalls durch Missbrauch geprägt war. Ich warne aber vor einer zu schnellen Psychologisierung der Sexualität der Täter. Es gibt genügend Taten von sexuellem Missbrauch, die nicht im Kontext einer »Erotisierung« von Kindern stattfinden. Dann stecken ausschließlich Machtfantasien dahinter. Die Täter wollen und können andere erniedrigen. Zu einer Abgrenzung zwischen psychischer Erkrankung und toxischer Männlichkeit kommen wir aber später noch konkreter. Sexuelle Gewalt durch (Ex-)Partner umfasst Belästigungen, Nötigungen, körperliche Übergriffe, Vergewaltigung, Prostitution/Pornographie39, Veröffentlichung intimer Bilder und Videos gegen den Willen der Abgebildeten, das Ausspionieren intimer Situationen (zum Beispiel Beobachtung oder Filmaufnahmen des Badezimmers etc.), Upskirting, das Entblößen der Person gegen ihren Willen (in der Öffentlichkeit), jede Form von sexuellen Handlungen an oder mit Kindern, das Ansehen von Pornos in Gegenwart von Kindern etc.

Leider ist sogar bei Polizei, Jugendamt und im Familiengericht der Glaube weit verbreitet, dass Mütter in Trennungsphasen oder Umgangsprozessen regelmäßig sexuellen Missbrauch des Kindes erfinden würden – mit dem Ziel, das Gerichtsverfahren für sich zu entscheiden. Dabei belegen Studien, dass die überwiegende Mehrheit aller Anschuldigungen wahr ist.40 Ein weiterer Teil ist vielleicht nicht wahr oder nicht belegbar, kann aber dennoch gerechtfertigt sein, wenn begründete Zweifel bestehen, sich diese jedoch später wieder zerstreuen. Lediglich ein kleiner Teil von Anschuldigungen ist also bewusst erfunden. Untersuchungen zeigen darüber hinaus, dass Falschanschuldigungen durch Mütter in familiengerichtlichen Verfahren genauso selten auftreten wie sonst und keineswegs häufiger.41

Ich wiederhole noch einmal die oben bereits genannten Zahlen, weil Sie besonders eklatant sind: Mütter führen nur zu 1,3 Prozent absichtlich falsche Beschuldigungen an. Knapp 99 Prozent der Mütter sagen also die Wahrheit. Väter hingegen bringen sehr viel häufiger bewusst Falschanschuldigungen gegen die Mütter vor – nämlich in 21 Prozent der Fälle!42 Bei Vergewaltigungen sind die Zahlen ähnlich: Falschanschuldigungen stellen nur 1–3 Prozent der erhobenen Vorwürfe dar. Bei Polizei und Justiz scheint man davon wiederum nichts wissen zu wollen, denn hier ist die Auffassung weit verbreitet, dass Falschanschuldigungen ein großes Problem für ihre eigenen Ermittlungen bei Vergewaltigungsvorwürfen seien.43 Der Frust der Bevölkerung über die völlig unzureichende Belangung von Vergewaltigern durch unsere Justiz wird bei dieser Argumentation ganz wunderbar kanalisiert: in Richtung der Opfer. Sie seien alle Lügnerinnen und daher schuld, dass in unserem Rechtsstaat Vergewaltigung faktisch ein straffreies Verbrechen ist. Das ist die gesamtgesellschaftliche Variante von »Du bist selber schuld an der Vergewaltigung.«44

Wo werden denn bitte diejenigen, die stets besonders ehrlich und offen sind, für die Lügner gehalten und die Lügner wiederum für rechtschaffene, ehrliche Personen? Im Patriarchat. Und solange die Ermittlungsbehörden mit Täter-Opfer-Umkehr beschäftigt sind, statt Vergewaltiger wegzusperren, wird sich für Frauen nichts ändern.

Es ist nicht so lange her, da gehörte der Beischlaf noch zu den ehelichen Pflichten. Deshalb verwundert es mich nicht, dass viele meiner Klientinnen auch von sexuellen Übergriffen und Vergewaltigungen noch vor Beziehungsende oder nach der Trennung berichten. Aber auch diese Gewalt muss erstmal als solche eingeordnet werden. Manche Frauen berichten, dass vom Partner ohne ihre Zustimmung Geschlechtsverkehr während des Schlafs mit ihr vollzogen wurde. Sie erkannten vielleicht, dass das »irgendwie nicht in Ordnung« ist, konnten es aber erst später als Vergewaltigung benennen. Dann gibt es bei der Trennung gute Gründe, seine Kinder nicht in Obhut des Täters lassen zu wollen, es gibt jedoch keine Unterlagen zu Anzeigen bei der Polizei, weil die Gewalt nicht angezeigt oder überhaupt irgendwo angesprochen wurde. Ohnehin werden rund 95 Prozent der Vergewaltigungen nicht angezeigt. Eben weil die Opfer fürchten, man würde ihnen nicht glauben und sie nur demütigenden Befragungen unterziehen.

Aber auch wenn Mütter die Täter anzeigen, zu Beratungsstellen gehen, ihre Kinder beim Arzt mit typischen Verletzungen vorstellen etc., ist das alles längst keine Garantie, dass ihnen geglaubt wird. Auch Frauen, die Vergewaltigungen (oder Gewalt in der Geburtshilfe) anzeigen, kennen das. Der Angeklagte gilt als unschuldig, solange nichts bewiesen werden kann. Bedeutet hier: Sie gelten als Lügnerinnen und Rufmörderinnen, solange sie die Gewalt nicht beweisen können.

Das Personal der entsprechenden Behörden hat dabei nicht nur große Wissenslücken in puncto Traumapsychologie. Auch die knallharten Fakten sind den ermittelnden Beamten oft nicht geläufig. Und auch wenn ihr der sexuelle Übergriff geglaubt wird, kommen dann die bekannten Ausreden spätestens von Jugendamt oder der Verfahrensbeistandschaft. »Das ging ja nur gegen sie und nicht gegen das Kind.« Oder: »Das liegt in der Vergangenheit, wir wollen in die Zukunft schauen.« Oder: »Weshalb thematisieren sie das, das hat ja mit dem Kind nichts zu tun und sie wollen wohl nur den Vater schlechtmachen«.

In der medialen Wahrnehmung geht es immer mal wieder um die Frage, ob an sexuellem Missbrauch durch den Vater dieser allein schuld sei. Ob nicht auch die Mutter, die in der Beziehung verblieben ist, eine Mitschuld trägt. Es gibt natürlich Fälle, in denen Mütter ihre Kinder nicht schützen wollten, Mittäterinnen waren oder sogar selbst missbraucht haben.

Doch solange die Möglichkeit, ein Kind durch eine Trennung vorm gewalttätigen und/oder pädokriminellen Vater zu schützen, ausschließlich in der Theorie existiert, brauchen wir darüber gar keine Debatte führen. Sie verfestigt nur den Mythos, dass eine Mutter mit einer Trennung das Kind vorm Vater schützen könnte.

Das Gegenteil ist viel zu oft der Fall: Eine Trennung sorgt dafür, dass der Vater freien, uneingeschränkten, unkontrollierten Zugang zum Kind hat und dass das Kind ihm komplett allein ausgeliefert ist. Bei mir melden sich Mütter mit gewalttätigen Partnern, die Angst davor haben, sich zu trennen, weil sie befürchten, das Kind dann beim Vater alleinlassen zu müssen und nicht mehr alles beobachten zu können. Diese Angst ist berechtigt.

Hinzu kommen pädokriminelle Taten, die nicht schon vor der Trennung verübt werden, sondern die überhaupt erst nach der Trennung losgehen. Ob körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt. Kinder sind nach einer Trennung nicht sicherer vor Gewalt. Stattdessen nutzen Täter-Väter Gewalt auch noch, um den Verlust der Kontrolle über die Mutter (da sie sich – gottbewahre – getrennt hat) mittels Gewalt gegenüber den Kindern zu kompensieren.45

Ein Schutz vor sexueller Gewalt durch Musikschullehrer, Nachbarn, Pfarrer, Trainer etc. mag halbwegs gewährleistet werden können, wenn die Taten ans Licht kommen. Doch es gibt aktuell keinen wirksamen Schutz vor dem eigenen missbrauchenden Vater. Erst recht nicht, wenn die Mutter diesen Schutz begehrt. Das wiederum könnte dazu führen, dass Männer, die pädokriminelle Taten begehen wollen, diese erst recht an ihren eigenen Kindern begehen. Dabei ist auch klar, dass 87 Prozent der Täter bei sexuellem Missbrauch Männer sind und hiervon die größte Tätergruppe die eigenen Väter darstellen.46 Es werden also ausgerechnet diejenigen von vornherein als komplett unschuldig erachtet, die am wahrscheinlichsten die Täter sind. Ein System, das vor Pädokriminellen schützen sollte, schützt also vor allem die Pädokriminellen.