Wer für die Liebe kämpft - Anna Valenti - E-Book
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Wer für die Liebe kämpft E-Book

Anna Valenti

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Beschreibung

Eine Frau, die es wagt, nach den Sternen zu greifen: Der historische Roman »Wer für die Liebe kämpft« von Anna Valenti jetzt als eBook bei dotbooks. Hessen, Ende des 19. Jahrhunderts: Als Tochter aus gutem Hause ist es die Pflicht der jungen Caroline Caspari, eine vorteilhafte Ehe zu schließen. Daher willigt sie in die Verlobung mit einem angesehenen Mann ein – obwohl sie weiß, dass sie niemals Gefühle für ihn haben wird. Als Caroline sich jedoch Hals über Kopf in Georg verliebt, den neuen Postillion der Stadt, erkennt sie, was wahres Glück bedeutet. Gegen den Willen ihrer Familie entscheidet sie sich dafür, ihrem Herzen zu folgen. Doch dann kehrt Georg von einer Reise nicht zu ihr zurück. Caroline kann nicht glauben, dass er sie tatsächlich im Stich gelassen hat, und setzt alles aufs Spiel, um ihn zu finden … Anna Valentis »Sternentochter«-Saga ist die ungewöhnliche Geschichte einer starken jungen Frau vor dem Hintergrund des ausgehenden 19. Jahrhunderts – erzählt nach einer wahren Begebenheit. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der gefühlvolle historische Roman »Wer für die Liebe kämpft« von Erfolgsautorin Anna Valenti. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1626

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Über dieses Buch:

Hessen, Ende des 19. Jahrhunderts: Als Tochter aus gutem Hause ist es die Pflicht der jungen Caroline Caspari, eine vorteilhafte Ehe zu schließen. Daher willigt sie in die Verlobung mit einem angesehenen Mann ein – obwohl sie weiß, dass sie niemals Gefühle für ihn haben wird. Als Caroline sich jedoch Hals über Kopf in Georg verliebt, den neuen Postillion der Stadt, erkennt sie, was wahres Glück bedeutet. Gegen den Willen ihrer Familie entscheidet sie sich dafür, ihrem Herzen zu folgen. Doch dann kehrt Georg von einer Reise nicht zu ihr zurück. Caroline kann nicht glauben, dass er sie tatsächlich im Stich gelassen hat, und setzt alles aufs Spiel, um ihn zu finden …

Anna Valentis Sternentochter-Saga ist die ungewöhnliche Geschichte einer starken jungen Frau vor dem Hintergrund des ausgehenden 19. Jahrhunderts – erzählt nach einer wahren Begebenheit.

Über die Autorin:

Anna Valenti ist das Pseudonym einer erfolgreichen Autorin. Nach ihrem Studium der Politikwissenschaft und Germanistik arbeitete sie in Forschung und Lehre. Heute lebt sie als Autorin und Produzentin mit ihrem Mann in Berlin. »Sternentochter« ist ihr erster Roman.

Ihre bei dotbooks veröffentlichte »Sternentochter«-Saga war auf Anhieb ein Erfolg. Die sechsteilige Bestseller-Reihe umfasst die folgenden Romane: »Sternentochter – Band 1« »Die Liebe der Sternentochter – Band 2« »Das Schicksal der Sternentochter – Band 3« »Das Glück der Sternentochter – Band 4« »Das Erbe der Sternentochter – Band 5« »Der Mut der Sternentochter – Band 6«

Die ersten drei Romanen der »Sternentochter«-Saga sind auch als Sammelband unter dem Titel »Die Sternentochter – Die Liebe der Sternentochter – Das Schicksal der Sternentochter« erhältlich.

Der vierte und fünfte Band der »Sternentochter«-Saga sind auch als Doppelband unter dem Titel »Das Glück der Sternentochter – Das Erbe der Sternentochter« erhältlich.

Mehr über die »Sternentochter«-Saga erfahren Sie auf Anna Valentis Homepage: www.anna-valenti.de

***

eBook-Sammelband-Originalausgabe April 2019

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Copyright © sämtlicher Einzelband-Originalausgaben 2013 und 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Anja Rüdiger

Titelbildgestaltung: Wildes Blut, Atelier für Gestaltung, Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Shutterstock / Boiko Olha / Andrey tiyk / jakkapan / fletchjr / hadegda7s7 / Bill45

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ca)

ISBN 978-3-96148-830-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Besuchen Sie uns im Internet:

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Anna Valenti

Wer für die Liebe kämpft

Drei Romane der Sternentochter-Saga in einem eBook

dotbooks.

Die Geschichte der Caroline Caspari beruht auf einer wahren Begebenheit. Sie ist den vielen unbekannten Frauen gewidmet, die es schon im 19. Jahrhundert wagten, sich zu emanzipieren. Die, deren Namen wir nicht wissen, deren Leid niemanden interessierte, deren Mut bewundernswert war und deren Kraft so viel größer sein musste als unsere.

Sternentochter

Für meine Großmutter

Kapitel 1

An einem Märztag des Jahres 1889 ging ein junges Mädchen die Pappelallee hinauf, die vom Dorf Mahlsheim zu den höher gelegenen Häusern und schließlich zu der auf dem Hügelkamm gelegenen Burgruine führte. An ihrem linken Arm trug sie einen hübschen geflochtenen Weidenkorb, über den ein rot und weiß kariertes Tuch gebreitet war. Der Korb war nun, da sie die Zutaten des Mittagsmahls – Kartoffeln, ein Stück Schweinebraten und Bohnengemüse – bei der Großmutter abgegeben hatte, leicht an ihrem Arm. Sie schwang ihn vergnügt hin und her, sang leise vor sich hin und schien überhaupt recht guter Dinge zu sein. Ab und zu schaute sie sich nach ihrem Hund um, einem großen braunen Schäferhund-Mischling, der, sich einmal hierhin, einmal dahin wendend, schnüffelnd und die Nase am Boden, hinter ihr lief und ihre einzige Begleitung war. Es hatte zwölf Uhr geschlagen, die Sonne stand hoch am Himmel und nur ein paar kleine weiße Wolken zogen gemächlich ihren Weg.

Das Mädchen hatte die erste Wegstrecke, vorbei an dem aus roten Backsteinen gebauten Kaiserlichen Postamt mit seinem großen Vorplatz, mit zwei älteren Frauen zurückgelegt, die sich, eine nach der anderen, jeweils in der Mitte und im oberen Teil des Dorfes von ihr verabschiedet hatten. Sie selbst aber ging weiter und nahm den Weg in Richtung des elterlichen Hauses, das eines der beiden etwas unterhalb der mittelalterlichen Ruine gelegenen war. Auf dem ersten Hügelkamm angekommen, wandte sie sich noch einmal um und sah das Dorf inmitten des weitläufigen grünen Hügellandes vor sich liegen. Am Rand der Anhöhe lagen Kirche, Pfarrhaus und Kirchhof, dessen terrassenförmig angeordnete Gräber sich ein Stück weit den Mahlsberg genannten Hügel hinaufzogen. Darüber breiteten sich die mächtigen Bäume des Hirschwaldes aus.

Der Hund lief zu ihr, leckte ihr die Hand und schmiegte seinen Kopf zwischen Arm und Bein. »Flic!« , sagte sie zärtlich und strich ihm über den weichen braunen Kopf. Ihr Blick schweifte über den in der Mitte des Ortes gelegenen Dorfplatz, in dessen Zentrum eine uralte turmhohe Linde stand. Schulhaus und Gemeindehaus gruppierten sich an seinen zwei Seiten einander gegenüber. Auf der dritten Seite, zu den angrenzenden Wiesen und zum Bärenwald hinaus gelegen, erstreckte sich das weitläufige Areal des ansehnlichen, Kaiserhof genannten Gasthofes. Rings um das Dorf herum lagen drei große Bauerngehöfte und einige kleinere sowie ein stattlicher Gutshof inmitten der Felder und Weiden.

Das Mädchen lächelte unwillkürlich und war ganz in sich versunken, als es zu dem riesigen Areal des Bärenwaldes, der sich bis zum Horizont hinzog, mit beinahe schwärmerischem Ausdruck hinübersah. Der Hund wurde ungeduldig; er jaulte und sprang um die junge Frau herum, bis sie sich nach einem auf dem Wiesenboden liegenden Ast umsah, einen entdeckte und dem Hund das Stöckchen warf. Sie stellte den Korb ab und tobte mit dem Tier herum, bis sie ganz außer Atem war. Eine schwarze Strähne löste sich aus ihrem Haarknoten und fiel ihr über Gesicht und Schulter. Die weiße, mit Spitzen besetzte Bluse rutschte aus dem blauen Wollrock und blitzte unter ihrer exakt dazu passenden blauen Jacke hervor, die sie der Bequemlichkeit halber aufgeknöpft hatte. Sie lachte und juchzte und warf den Kopf in den Nacken. Ihre blauen Augen leuchteten. Und plötzlich hob sie ihre Arme und streckte sie der Sonne entgegen, während sie sich im gedachten Rhythmus eines Walzers hin und her wiegte, um sich selbst drehte und die Walzermelodie summte. Flic tat es ihr gleich und sprang übermütig um sie herum. Ab und zu drehte er sich auch im Kreis und versuchte, mit den Zähnen seinen eigenen Schwanz zu packen. Das ging so lange, bis sie, nun vollkommen selbstvergessen und in all dem Schönen um sie herum gefangen, durch Flics Bellen und Blaffen jäh an ihre Pflichten erinnert wurde. Sie drehte sich ein letztes Mal, breitete die Arme aus und verbeugte sich vor ihrem Begleiter. »Sie haben recht, mein Herr. Danke, mein Herr. Und nun auf, nach Hause!«, und damit eilte sie, mit der linken Hand den Korb greifend und mit der rechten dem Hund den Weg weisend, mit schnellen Schritten auf das elterliche Haus zu, während sie mit raschem Griff Bluse und Haar ordnete und die Jacke zuknöpfte.

»Caroline, wo bleibst du?«, hörte sie die Stimme der Mutter, die sich, aus dem Küchenfenster gelehnt, nach ihrer säumigen Tochter umsah. »Träumst wohl wieder. Jetzt komm, der Vater sitzt schon am Tisch, ich möchte das Essen auftragen.«

»Ich komme schon, Mutter«, erwiderte die Tochter.

»Wie geht es der Großmutter?«, fragte die Mutter. »Schade, dass ich nicht mitkommen konnte, aber mein Rücken ...«

Caroline war eingetreten und hatte sich sofort dem schon in der guten Stube am Esstisch sitzenden Vater zugewandt, auf den sie nun ohne weiteres zuging, um ihn zu umarmen und sich den Sonntagskuss abzuholen. Ihr Vater, Straßenmeister Caspari, lachte und ließ sich die Behandlung wohl gefallen. Dann drückte er seinem Liebling, der sich neben seinen Stuhl gehockt hatte, einen Kuss auf die Stirn.

»Setz dich, Caroline«, mahnte die Mutter und ging in die Küche zurück, um das Essen aufzutragen. Die Suppe kam, danach der Fleischgang.

»Möchtest du einen Nachtisch, Eduard?«, fragte Frau Caspari.

»Meine Zigarre ist mir lieber, Friederike«, antwortete der Angesprochene. »Aber ihr Weibsleute solltet nicht darauf verzichten. Ich werde mit der Zigarre so lange warten.«

Seine Frau sah glücklich zu ihm hinüber und war einen Moment von der ihr Sorge bereitenden Tochter abgelenkt. Wie richtig war es doch gewesen, Caspari zu heiraten! Nicht nur, dass sie nun schon beinahe 24 Jahre mit ihm in einem der beiden oberhalb des Dorfes gelegenen Häuser wohnte, auch die teure Sonntagszigarre konnte er sich gönnen. Straßenmeister, zuständig für den ganzen Kreis. Mehr als 30 Arbeiter hatte er unter sich. Und mit dem Landrat stand er auf gutem Fuße. »Ja, Herr Caspari«, hatte der bei ihrem letzten Treffen im Landratsamt gesagt, »einen Straßenmeister wie Sie wünscht sich wohl jeder Kreis. So gut wie unsere Straßen und sogar die Wege in Ordnung sind, da kommt kein anderer mit.«

Sie war so stolz gewesen, als er ihr das erzählt hatte. Gut heiraten, dachte sie, das ist doch das Beste, was eine Frau im Leben erreichen kann. Nur ein einziges Haus steht noch höher als unseres auf dem Hügel – abgesehen natürlich von der Ruine der Mahlsburg. Ich habe eine Magd. Muss nicht so schwere Arbeit machen wie die anderen Frauen im Dorf. Und meine beiden Kinder werden noch weiter kommen ... Gustav, ihr Ältester, war nach seiner Militärzeit in einer der neu gegründeten Ingenieurschulen aufgenommen worden und studierte nun schon das dritte Jahr dort.

»Gut, Gustav«, hatte sein Vater gesagt, »Ingenieure werden immer gebraucht. Mach was draus, dass ich stolz auf dich sein kann.«

»Selbstverständlich, Vater«, hatte Gustav geantwortet. »Wir leben in einer Zeit des Aufbruchs. In Zukunft wird viel gebaut werden.«

»Das will ich meinen, Gustav. Deine Ausbildung ist teuer genug.«

»Ich werd’s dir ewig danken, Vater. Ich werde dich nicht enttäuschen.«

Als Frau und Tochter ihren Vanillepudding mit Rosinen und Mandeln verzehrt hatten, nahm Caspari seine Zigarre aus der Westentasche, zündete sie mit dem langen Zündholz, das ihm seine Frau vom Rauchtisch herbeigeholt hatte, an, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, zog den würzigen Tabak ein und paffte vergnügt eine dicke Rauchwolke in die Luft.

»Nun, Caroline«, sagte er zu seiner einzigen Tochter, »wie geht es in der Schmiede?«

»Oh, gut, Vater«, erwiderte die Angesprochene. »Der Großmutter geht es gut, sie lässt schön grüßen.«

»Caroline« ,fiel hier die Mutter ein, »geh doch bitte in dein Zimmer hinauf und arbeite weiter an der Decke für Emmas Neugeborenes. Dein Vater und ich haben etwas zu besprechen.«

Nanu, so feierlich, dachte Caspari, was sie wohl meint? Er ließ sich aber nichts anmerken und genoss weiter seine Zigarre.

»Gewiss, Mutter.« Caroline machte einen Knicks und ging, um der Anordnung der Mutter zu folgen.

»Nun, meine Liebe, was gibt es denn zu besprechen?«, fragte Caspari gut gelaunt. Er sah seinem Töchterchen mit wohlmeinendem Blick nach, stolz, so etwas Hübsches sein eigen nennen zu können.

Seine Frau schenkte ihm einen Cognac ein und reichte ihm das Glas hinüber.

»Ja, Eduard, wenn das so einfach wäre«, erwiderte sie. »Aber ich sehe, ja, jetzt gerade in diesem Augenblick wieder, wie du zu Caroline stehst. Und da ist es mitunter schwer, mit dir zu sprechen.«

»Aber, Friederike, darf ich nicht stolz darauf sein, dass du mir eine so hübsche Tochter geschenkt hast? Sieh, ich habe es nie bereut, damals eine so junge Frau wie dich geheiratet zu haben, und ich hoffe, du hast es deinerseits nicht bereut, meine 15 Jahre, die ich voraushabe, in Kauf zu nehmen.« Caspari kannte seine Frau und wusste wohl, wie man ihr den Wind aus den Segeln nehmen konnte. Und so sagte sie denn auch mit einem Anflug von Verlegenheit: »Du weißt es sehr gut, Eduard, dass ich es nicht nur nicht bereue, sondern es für das Beste halte, was ich aus meinem Leben machen konnte.« Sie nickte ihm freundlich, beinahe unterwürfig zu.

»Aber es scheint doch etwas auf deiner Seele zu liegen, sonst hättest du mich ja nicht an einem Sonntagnachmittag abgepasst ...«

»Abgepasst, Eduard. Was du nur wieder denkst. Aber es ist ja der einzige Tag, an dem du mal Zeit hast. Und glaube mir, das, was ich mit dir besprechen möchte, ist nicht nur wichtig, es betrifft das, was du am meisten liebst: eben deine Tochter.«

Caspari lehnte sich zurück, legte die Zigarre in den Aschenbecher und schaute sie auffordernd an.

»Nun«, begann seine Frau, »um Gustav mache ich mir keine Sorgen, aber unsere Tochter ... Sie ist vor zwei Wochen 18 Jahre alt geworden. Aber sie ist noch so erschreckend kindlich und dabei ausgelassen und – leidenschaftlich.«

»Aber, Friederike, das schließt sich doch gegenseitig aus. Wer noch ein Kind ist, der hat sein Herz noch nicht entdeckt. Und wer sein Herz noch nicht entdeckt hat, der kann gar nicht leidenschaftlich sein.«

»Ja, das sagst du, weil du in ihr das Kind und nur das Kind siehst. Ich aber beobachte schon eine ganze Zeit, dass sie zu schwärmerisch und träumerisch veranlagt ist und dabei oft so sehr aus sich herausgeht, dass es schon beinah unheimlich anmutet. Eben als sie nach Hause kam, mit ihrem Korb über’m Arm, als wäre nichts gewesen, da hättest du sie mal vorher sehen sollen, wie sie mit dem Hund getobt hat – und getanzt und gejuchzt und gesungen auf der Wiese am helllichten Tag und allein. Und ganz derangiert war sie und bekam sich kaum ein, und ich glaube, sie merkte es nicht einmal.«

Nach dieser langen Tirade schwiegen beide.

»Ja, Friederike«, sagte ihr Mann schließlich, »und was willst du mir nun damit sagen?«

»Dass sie kein Kind mehr ist, Eduard. Aber dennoch ist das Kindliche noch in ihr. Und das ist das Gefährliche. Wenn sie jetzt ihr Herz entdeckt, wie du es nennst, dann geht es schief, dann gibt es Kladderadatsch. So leidenschaftlich, wie sie ist, müssen wir sie in die richtigen Bahnen lenken. Männer mögen es ja am Ende auch, wenn ihre Frauen so sind. Aber es muss doch alles seinen richtigen Weg gehen.«

Caspari sah vor sich hin. »Woran denkst du?«

»An eine Verbindung, Eduard. Sie ist nun alt genug. Und je eher sie sich verlobt, desto besser. Die Leidenschaft zu zügeln ist eine Sache. Das will ich mir gern angelegentlich sein lassen. Aber das, was bleibt und sich doch Bahn bricht, sollte sich an der richtigen Stelle zeigen. Will sagen: als Oberförster Griegers Schwiegertochter.«

»Oberförster Grieger spricht in den wärmsten Tönen von ihr. ›Immer höflich, so wohlerzogen‹, sagte er, ›ein hübsches, angenehmes Persönchen, das ich wohl gern zur Schwiegertochter hätte.‹ Ich habe das im letzten Herbst von ihm gehört und nicht ungern, wie du dir vorstellen kannst.«

»Eben darum meine ich, dass wir es jetzt angehen sollten. Die Verlobung sollte so bald wie möglich stattfinden. Und da ich sehe, dass du mit mir einer Meinung bist, wäre es das Beste, du würdest anlässlich des Herrenabends das Thema, das er offensichtlich selbst angesprochen hat, noch einmal aufgreifen.«

Friederike war stolz darauf, dass ihr Mann, neben anderen Honoratioren des Dorfes, an einem allmonatlichen »Herrenabend« im Kaiserhof teilnahm. Hier versammelten sich neben Oberförster Grieger auch der Apotheker Herles, Dr. Rieber, Lehrer Kunert und Bürgermeister Michaelis, auch Pfarrer Kessler gesellte sich mitunter dazu. Es wurde politisiert, Karten gespielt und, was Friederike allerdings nicht wusste, allerlei Anzüglichkeiten ausgetauscht, vor allem wenn Wein- und Bierkonsum ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hatten. Eduard wiegte den Kopf und sagte: »Ich weiß nicht recht, Friederike. Meinst du nicht, dass solch eine Verlobung noch Zeit hat? August ist doch noch Referendar.«

»Er wird noch in diesem Jahr sein Examen bestehen. Die Oberförsterin sprach neulich darüber, sogar mit Caroline selbst. Ich schickte sie, um die Stickarbeit zu präsentieren, die sie bei Fräulein Kesselring neu gelernt hat. Die Frau Oberförsterin interessierte sich sehr dafür und war auch sehr angetan.«

»Von der Stickerei oder von deiner Tochter?«

»Von beidem, Eduard. Aber siehst du, wenn ich von solch einem Erlebnis erzähle, dann sprichst du immer von ›deiner Tochter‹. Eben weil du sie als Kind siehst und im Grunde nicht hergeben willst. Aber sie ist nun einmal 18 Jahre alt, und in diesem Alter hatte ich bereits mein erstes Kind.«

Caspari seufzte. Wahrscheinlich hatte seine Frau wieder einmal recht. Er hatte eine Verbindung mit August Grieger durchaus ins Auge gefasst und auch für äußerst wünschenswert gehalten, aber der Zeitpunkt, so hatte er geglaubt, sei doch noch fern.

Friederike sah sich nah am Ziel ihrer Wünsche und hakte deshalb noch einmal ein: »Wenn du beim nächsten Herrenabend mit dem Oberförster reden würdest, Eduard, ist das das Beste, was du für unsere Tochter tun kannst. Wenn sie mit August verlobt ist, dann ist die Gefahr vorbei. Dann mag sie ihm ihr Temperament widmen, was sogar gut ist, denn er ist ruhig und besonnen und so recht der Mann, der zu ihr passt.«

»Sicher hast du recht«, entgegnete Eduard, der das Gespräch gern hinter sich bringen wollte. »Allerdings frage ich mich, ob sie ihn auch mag.«

»Ach, Eduard, natürlich hat sie August gern. Er ist Gustavs Freund und war oft hier bei uns zu Gast. Caroline hat den beiden Kaffee und Kuchen gebracht und sich auch dazugesetzt, ab und zu, mit ihrer Häkelarbeit oder mit ihrem Strickzeug. Und ich habe wohl gesehen, wie August sie dann ansah.«

»Ja, meine Liebe, das mag ja alles sein. Nur: Wie steht es um sie? Sieht sie ihn auch so an wie er sie?«

»Aber Eduard, ich bitte dich. Sie wird schon wollen, wenn ich mit ihr über Aussteuer und Heirat spreche, und die Aussicht, Justizrätin zu werden oder gar Höheres, da wird sie nicht Nein sagen. Sie ist ein kluges Mädchen.«

Caspari sah seine Frau an und schwieg. Allerlei Gedanken mochten ihm im Kopf herumgehen. Aber wozu das alles jetzt wieder aufwärmen? War es nicht genug, dass Friederike seinen Haushalt in sprichwörtlicher Ordnung hielt, ihm eine treue Frau gewesen war und ihm zwei Kinder geschenkt hatte, auf die er stolz sein konnte?

»Gut, Friederike.«

Nach dieser kargen Antwort stand sie auf, ging um den Tisch herum auf ihn zu, legte ihre Hand auf seinen Arm und sah ihn zufrieden an. »Du bist der Beste, mein Lieber. Immer gütig und immer großzügig. Niemand weiß das so zu schätzen wie ich. Aber übertreib’s nicht zu sehr bei deiner Tochter. Sie ist zu träumerisch, zu gefühlvoll. Ein bisschen Strenge kann da nicht schaden.«

»Nun ja, meine Liebe, du wirst das schon machen. Ich habe eine anstrengende Woche vor mir. Die Begehungen sind abgeschlossen, die Straßenwärter haben ihre Berichte abgegeben, und ich werde mit dem Landrat die weiteren Maßnahmen besprechen müssen, die Arbeiten planen für den Ausbau der Kreisstraße.«

»Den Ausbau der Kreisstraße?«

»Ja, die Postkutschenzeit geht dem Ende zu, Friederike, den Bahnstrecken gehört die Zukunft. Die Post hat längst auf das alleinige Recht zur Beförderung von Personen verzichtet, Eisenbahnpostgesetz von '75. Dafür muss die Bahn Postsendungen befördern, was erheblich kürzere Beförderungszeiten bedeutet.«

»Und warum wird die Straße dann ausgebaut?«

»Wir bauen die Kreisstraße aus für die neuen Postkutschenbusse. Einige wenige gute Straßen für große Gefährte, in den zehn oder noch mehr Menschen Platz finden ...«

»Um Gottes willen, Eduard, zehn Menschen in einer Postkutsche!«

»So wird es kommen. Wir brauchen Zubringer zu den Bahnhöfen in Fuchshagen und in Cassel. Es wollen immer mehr Menschen reisen. Und die müssen zu den Bahnhöfen kommen.«

Sie nickte.

»Auf jeden Fall werden wir in Zukunft noch weniger Postillione brauchen. Eines Tages hat vielleicht auch Mahlsheim einen Bahnanschluss und die Post wird gleich hier aus der Eisenbahn ausgeladen. Aber jetzt ist noch nicht daran zu denken. Deshalb der Ausbau und die Busse.« Er erhob sich. »Es ist Zeit für den Spaziergang. Ich nehme den Hund mit.«

Sie sah ihn bittend an.

»Ja, Friederike, ich spreche bei unserem nächsten Treffen mit Grieger. Er wird sich schon denken können, um was es geht, und wartet wohl auch schon darauf.«

»Danke, mein Lieber. Du wirst sehen, es ist die richtige Entscheidung.« Und damit nahm sie seinen Arm, begleitete ihn in den Flur und half ihm in die grüne Wolljacke. Er pfiff Flic heran und Herr und Hund machten sich auf den Weg.

Tags darauf fuhr der Vater zeitig zum Landratsamt. Schon um acht Uhr war der kleine Einspänner vorgefahren. Das Kontor war leer, und Caroline fragte die Mutter, ob der Vater wünsche, dass dort wieder einmal sauber gemacht werden solle. Sie wolle auch nichts anrühren, keine Akte verlegen, und er werde auch sonst alles, was auf dem Schreibtisch liege, wieder an seinem Platz finden, nur eben sauber. Dass liebe er doch, wenn alles ordentlich gerichtet sei.

»Ja, das liebt er«, sagte Friederike. »Und wir wollen es auch so machen, aber nicht jetzt. Ich habe mit dir zu reden, mein Kind.«

Was konnte das sein, was die Mutter mit ihr besprechen wollte? Am Montagmorgen und ohne den Vater. Ihr war ein bisschen merkwürdig zumute.

»Komm in die Stube, setz dich, Caroline«, fuhr die Mutter fort, »dort auf den Sessel bitte.«

Sie selbst nahm der Tochter gegenüber auf dem Sofa Platz. Caroline sah sie gespannt und ein bisschen ängstlich an.

»Umschweife zu machen liegt mir nicht, mein Kind. Deshalb will ich gleich einsetzen ohne lange Vorrede. Dein Vater und ich sind übereingekommen, dass du nun, mit deinen 18 Jahren, reif genug für eine Verbindung bist. Du bist gut erzogen, sittsam, hast die besten Umgangsformen und einen Haushalt führen kannst du auch. Deshalb möchten wir, dass du dich noch in diesem Jahr verlobst.«

Nun war es heraus. Friederike beobachtete die Tochter, die nun doch überrascht schien und schon bei den letzten Worten der Mutter eine abwehrende Handbewegung gemacht hatte. Sie sagte aber nichts, und so war es Friederike, die wieder das Wort ergriff und fragte: »Nun, mein Kind, was sagst du?«

Caroline saß noch immer still in ihrem Sessel. Sie hatte den Blick gesenkt. Dann tat sie einen langen tiefen Atemzug und erwiderte: »Das kommt etwas plötzlich, Mutter.«

»Nun, auf den ersten Blick mag es plötzlich erscheinen. Aber ist es das wirklich? Du bist nun18 Jahre alt. Viele deiner Freundinnen sind bereits verlobt, einige verheiratet. Und noch einmal: Du hast alles gelernt, was eine Frau für eine gute Ehe braucht. Warum also warten?«

»Aber, Mutter, so einen Haushalt führen, so ganz allein und für alles verantwortlich, das ist doch etwas, was ich noch nie gemacht habe.«

»Und wie auch. Das kommt ja nun erst, wenn ein Mädchen geheiratet hat. Bei mir war es so, und bei deiner Freundin Emma war es so und bei allen anderen auch. Das Wichtigste ist, dass man gut vorbereitet ist. Und dann muss man beweisen, was man gelernt hat.«

»Ich habe sehr viel bei dir gelernt, Mutter, und die zwei Jahre bei Fräulein Kesselring in der Stadt mit den kunstvollen Handarbeiten, den Benimmregeln und dem vielen Besuch – ja, es ist schon einiges, was ich kann. Aber so ganz allein mit einem Mann, dem man es recht machen muss ...«

»Aber, Caroline, du siehst doch, wie es geht mit deinem Vater. Er ist ein ehrenwerter Mann, und wir werden niemals zulassen, dass du einen heiratest, der das nicht ist.«

»Nein, das werdet ihr gewiss nicht.«

»Und du weißt auch, liebes Kind, an wen wir denken, wenn wir von einem ehrenwerten Manne sprechen.«

Caroline nickte und drehte verlegen die Spitzen ihres Taschentuches zwischen den Fingern. Dann kam ihr ein Gedanke, und sie fragte angespannt: »Hat August sich denn schon erklärt?«

»Noch nicht. Aber es ist seit langem ausgemacht, dass es eine Verbindung zwischen euch geben wird. Du weißt, dass Vater schon im letzten Jahr vom Herrn Oberförster angesprochen worden ist. Damals hat er mit Freuden zugesagt, wollte aber, dass du noch etwas Zeit bekommst, dich entwickelst und dazulernst. Zudem warst du ja noch bei Fräulein Kesselring.«

Caroline nickte. Dann sagte sie sinnend: »August wird also Jurist werden. Wie weit ist er denn mit seinem Studium?«

»Oh, damit ist er fertig. Jetzt ist er Referendar, sehr fleißig, sehr gewissenhaft. Seine Mutter spricht in den höchsten Tönen von ihrem Sohn, und ich kann es ihr nicht verdenken.«

»Wird er in diesem Jahr noch examiniert?«

»In den nächsten Wochen wird es wohl so weit sein. Und dann ist er Assessor und hat die allerbesten Aussichten, denn er hat die hervorragendsten Noten bekommen.«

»Und was wird er dann tun?«

»Du meinst, welche Richtung er einschlagen will? Nun, ich denke, Verwaltungsjurist wird er werden. Zumindest sagte das der Herr Oberförster.«

»Also auf den Justizrat hin?«

»Ja oder vielleicht gar darüber hinaus. Wie ich August kenne, rechtschaffen und fleißig wie er ist.«

Ein Streber ist er, dachte Caroline, staubtrocken und immer nur Anstand,Sitte und Zucht.

»Nun, Kind, was denkst du?«

»Ja, was denke ich, Mutter. Siehst du, auf der einen Seite ist das eine wunderbare Sache. Justizrätin und ein Haus machen und immer Gäste, und August ist wirklich ein rechtschaffener Mann. Aber auf der anderen Seite – er ist so ... tot.«

»Caroline, das geht jetzt wirklich zu weit.«

Friederike sah ihre Tochter entsetzt an. Welche Abgründe taten sich da auf? Sie hatte doch mehr als recht gehabt. Je schneller die Verbindung vollzogen wurde, desto besser. Immer diese Flausen und romantischen Schwärmereien. Und das kam am Ende dabei heraus ...

Caroline war verlegen, eigentlich hatte sie gar nicht dieses kleine schreckliche Wort sagen wollen: tot. Aber es war einfach über ihre Lippen gekommen, wie von fremdem Willen gesteuert.

»Mutter, es tut mir so leid. Ich wollte das gar nicht sagen.«

»Aber du hast es gesagt. Und warum nur? Korrektheit und Pflichtgefühl sind doch nichts Schlechtes. Im Gegenteil, es sind sehr feine Tugenden, die nicht jeder Mann hat.«

»Natürlich, Mutter, du hast recht.«

»Und das ist es doch, worauf es am Ende ankommt, mein Kind. Ich weiß schon, wie es um dich steht mit deinen Schwärmereien und romantischen Anflügen. Immer muss alles schön sein, und wenn du eine hübsche Blume siehst oder den Sternenhimmel bei klarem Wetter, dann bist du schon glücklich und ganz darin gefangen.«

Caroline atmete tief ein. Die Mutter hatte recht, so war sie.

»Aber ist das denn falsch, Mutter?«

»Nein, mein Kind, so lange es im Rahmen bleibt, steht es einer Frau ganz gut an. Sie soll ja auch alles schön machen und dem Manne Behaglichkeit schaffen. Aber wenn es überhand nimmt und so etwas wird wie Leidenschaft, dann ist es aus, und das ist der Anfang vom Ende.«

Die Tochter schwieg.

»Weißt du, Kind, dann ufert es aus und ist auch nicht mehr zu kontrollieren, und am Ende kommt ein Ehebruch heraus oder irgendetwas anderes Furchtbares. Deshalb ist die Anlage, zumindest für eine Frau, gut, aber sie muss beherrscht werden und immer im Maß bleiben.«

Caroline schluckte. Was die Mutter da sagte, machte ihr Angst. Wenn es wirklich so schlimm war mit der Leidenschaft und der Schwärmerei – dann musste sie ihrer eigenen Natur misstrauen. Vielleicht erriet Friederike ihre Gedanken, denn sie setzte hinzu: »Und siehst du, deshalb ist es so wichtig, einen Mann an seiner Seite zu haben, der ebendiese Seite nicht über Gebühr ins Blaue sprießen lässt – oder soll ich sagen: ins Unheil? August und du, ihr seid einander versprochen, und er mit seiner Untadeligkeit und Zucht und du mit deinem Schönheitssinn, das ergänzt sich. Er wird dich schon im Zaume halten, und das ist es, was du brauchst.«

»Und er, Mutter, wird er denn mit mir glücklich werden?«

»Glücklich – ein großes Wort. Zufriedenheit aber können wir erlangen. Und nun gar in einer Verbindung wie dieser. August wird es nicht schaden, wenn er eine Frau mit gutem Schönheitssinn bekommt. Das wird seinem Fortkommen nur förderlich sein.«

»Ja, aber er selbst. Wird er mich denn mögen?«

Friederike lächelte. »Aber natürlich, wer würde dich nicht mögen, so lebensfroh, wie du bist. Und dass du es auch verstehst, seinen Haushalt zu führen, nun, dafür werde ich mich verbürgen.«

Unter diesen Worten war Caroline von ihrem Platz aufgestanden. Sie kniete sich vor der Mutter auf den Teppich, küsste ihre Hand und sagte: » Danke für alles, was ich gelernt habe, Mutter!«

Friederike schob ihre Tochter sanft zur Seite, hob ihre Hand, die die Tochter soeben geküsst hatte, ein wenig an, um ihr zu bedeuten, dass sie sich erheben solle. »Nicht so heftig, mein Kind, siehst du, das meine ich. Immer fehlt ein wenig die Kontrolle. Und ich hoffe, dass wir das bis zum Sommer noch ausgleichen werden.«

Caroline rannen die Tränen über die Wangen. Sie schluchzte und setzte sich wieder hin.

»So ist es recht. Setz dich und beruhige dich«, sagte Friederike. Es ist schwerer, als ich es mir vorgestellt habe, dachte sie. Ich muss es anders anfangen.

»Ich glaube nicht, dass es da etwas zu weinen gibt. August wird Justizrat werden, das in jedem Fall, und du wirst die Frau Justizrätin sein und ein Haus machen. Du wirst in deinem ganzen Leben keine Not leiden müssen. Im Gegenteil, du wirst einen ausgezeichneten Hausstand haben mit einer Magd, einer Putzmamsell und einer Wasch- und Plättfrau. Von den groben Arbeiten gar nicht zu reden. Ein Knecht ist da und ein Kutscher. Der Herr Oberförster sieht dich gern um sich, und die Frau Oberförsterin, das weiß ich wohl, schätzt deine Fähigkeiten als Hausfrau und als Dame des Hauses. Du wirst eine Schneiderin haben. Und August wird sich später nicht genieren, eine Kinderfrau einzustellen – falls es denn nötig sein wird.«

Caroline war bemüht, nicht mehr zu weinen, und versuchte, den Worten der Mutter zu folgen. Die Eltern meinten es so gut mit ihr, sie hatte es besser als die meisten anderen Mädchen im Dorf. Sie durfte Mutter und Vater nicht enttäuschen, das war ihre erste Pflicht. Und je mehr Friederike erzählte, desto deutlicher entstand vor Carolines innerem Auge ein hübsches Bild: Frau Justizrätin Grieger, inmitten einer Kinderschar oder mit den Freundinnen beim Tee, bedient von Martha, der Magd. Tee aus Goldrandtassen, Kuchen von der Mamsell gebacken, und sie hatte die Oberaufsicht über Küche und Keller. Bei den Festen im Dorf und in der Kreisstadt würde sie an der Seite eines angesehenen Mannes am Honoratiorentisch sitzen, so wie ihre Mutter es jetzt tat. Nur würde sie wohlhabender sein, noch ein klein wenig weiter den Hügel hinauf wohnen, direkt unterhalb der Mahlsburg. Dort würde sie in der guten Stube sitzen, abends, mit ihrem Mann, ihm seine Zigarren bringen und einen Cognac, und er würde das Essen loben und ihr für den Sonntag einen Ausflug mit der Kutsche versprechen.

»Da leuchten deine Augen«, fuhr Friederike fort, »und weißt du was: Das sollen sie auch. Denn deine Zukunft ist ein großes Geschenk. Es wäre unverzeihlich, wenn du zögern oder es gar zurückweisen würdest.«

»Ich muss mich anstrengen, Mutter, dass ich ihm zu Gefallen bin und nicht zu leidenschaftlich.«

Endlich, dachte die Mutter. »Eine hübsche Frau ist ein Segen für jeden Mann, aber genauso sittsam muss sie sein.«

»Aber, Mutter, das bin ich immer gewesen. Ich habe noch nicht ein einziges Mal etwas Heimliches oder Verbotenes getan.«

»Das weiß ich. Und das ist recht so. Sonst könnte ich dich August nicht für die Ehe versprechen.« Sie stand auf. Caroline aber blieb sitzen und starrte die Mutter aus großen Augen an.

»Ist noch etwas, Caroline?«

»Du hast mir noch nicht gesagt, wann die Verlobung sein soll.«

»Im Sommer, denke ich.«

»Aber August muss doch … um mich anhalten.«

»Das wird er. Sein Vater hat mit ihm im letzten Herbst gesprochen, und er will und wird es auch. Recht bald schon. Wir wollten nur nicht, dass unsere Caroline einen Fehler macht und ihn am Ende abweist, ihr Lebensglück verpasst.«

»Eben hast du noch gesagt, dass man allein Zufriedenheit erlangen könne.«

»Du bist doch immer dieselbe, Caroline, da wirst du dich noch besinnen müssen. Da war dein Vater nicht streng genug mit dir. Lebensglück heißt, ein sicheres Leben an der Seite eines angesehenen Mannes zu führen. Lebensglück heißt Respekt und Anerkennung und Dienstboten. Und dass man beim Landrat eingeladen ist und dass deine Söhne ins Gymnasium gehen und deine Töchter gut heiraten.«

Caroline nickte: »Ja, dafür bin ich durchaus. Und das andere, ich meine, dass ich August gefallen will und es ihm recht machen … Meinst du, ich kann das erreichen?«

Friederike strich ihr über’s Haar und sagte: »Da bin ich sicher. Gefallen hast du schon immer und wirst es auch hier. Und nun gib mir noch einmal die Hand darauf.«

Caroline reichte der Mutter die Hand und lächelte: »So soll es sein.«

»Gut, dann wollen wir in den nächsten Tagen damit beginnen, deine Aussteuer zu planen.«

Mutter und Tochter gingen Arm in Arm in die Diele hinaus. Dort trennten sie sich. Die Mutter eilte auf die Küche zu, um das Mittagessen vorzubereiten, und die Tochter nahm den Weg ins Kontor, um noch rechtzeitig vor des Vaters Rückkehr alles in Ordnung zu bringen.

Kapitel 2

Die folgenden Tage brachten viel Sonne. Es zog Caroline hinaus. Sie arbeitete im Garten und war ganz vergnügt dabei. Außerdem wurden so ihre Aufregung und Nervosität, die sie angesichts der anstehenden Veränderung in ihrem Leben umtrieben, doch etwas gemildert. An den Abenden strickte sie an der Decke für das Neugeborene ihrer Freundin Emma. So werde ich vielleicht schon im nächsten Jahr für mein Kind stricken, dachte sie und wurde sofort rot. Noch nicht einmal verlobt war sie und dachte schon an das, was erst nach der Hochzeit im nächsten Jahr anstand.

»Ist dir heiß, Caroline?«, fragte die Mutter.

»Nein, nein. Ich habe gerade an Emma gedacht. Ich möchte so gern einmal zu ihr hinaus gehen. Die Decke für das Kind ist nun fertig, und ich möchte ihr doch von allem erzählen, von der Verlobung und von der Aussteuer.«

»Gut«, entgegnete die Mutter, »dann geh gleich morgen. Minna kann heute Abend Bescheid geben. Und grüße sie recht herzlich und natürlich auch die Schwiegermutter.«

Caroline freute sich auf Emma. So lange hatte sie die Freundin nicht gesehen und auch die Kinder, die kleine Marie und das Neugeborene, gerade einmal sechs Wochen alt. Zusammen mit der Mutter hatte sie die kleine hellblaue Decke aus weicher Wolle mit einer Schleife umwickelt und in den Henkelkorb gepackt. Emma würde sich sicher freuen und ihr Mann Jakob um diese Zeit nicht im Haus sein. Aus einem Grund, der ihr selbst nicht klar war, wollte sie mit dem jungen Gutsherren nicht unbedingt zusammentreffen. Dabei war er immer nett zu ihr gewesen. Aber wirklich befreundet sind wir nicht, dachte sie. Und sicher konnte sie mit der Freundin offener sprechen, wenn er nicht dabei war. Ja, das war es wohl. Emma musste unbedingt von ihren Plänen erfahren, von August und der Aussteuer und der geplanten Verlobung!

Als Caroline die Dorfstraße hinunterging, schlug es gerade drei Uhr vom Kirchturm, und sie raffte ihr breites gestricktes Schultertuch zusammen und beeilte sich. Bis zum Leger-Hof war es doch noch fast ein Kilometer, und sie waren um drei verabredet gewesen. Sicher würde Emma schon warten. Caroline hatte nur schnell der Großmutter noch ein Glas eingemachte Birnen vorbeigebracht, die sie so gern aß, und sich ein wenig bei der alten Frau verplaudert. Nachdem sie versprochen hatte, das leere Glas »bald, recht bald« wieder abzuholen, hatte die Großmutter sie gehen lassen. Sie hatte der kleinen grauhaarigen Gestalt an der Haustür zugewinkt, und die hatte mit dem Kopf genickt und einen guten Weg gewünscht. Es hatte ein bisschen komisch geklungen, fand Caroline jetzt, als sie in die lange Auffahrt zu dem großen Gut einbog. Aber noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, warum ihr der Satz aus Großmutters Mund so doppeldeutig vorgekommen war, hatte sie schon keinen Sinn mehr dafür, denn Emma – klein und ein bisschen rundlich, mit aschblonden, aufgekämmten Locken – stand mit dem Baby auf dem Arm in der Tür und winkte der Freundin zu.

»Emma!«

»Meine liebe Line! Ich freu mich ja so!« Und sie umarmte Caroline mit dem freien Arm und hielt mit dem anderen das Kind.

Caroline zog die hellblaue Decke aus dem mitgebrachten Korb hervor und wickelte sie um den Kleinen.

»Wunderhübsch!«, rief Emma, »ganz entzückend!«

»Ich habe sie selbst gestrickt. Sie soll dem kleinen Jakob Glück bringen.«

»Vielen Dank, Line«, sagte Emma, »und richte auch deiner Mutter meinen Dank aus.«

»Wie groß er schon ist, dein kleiner Jakob!«, stellte Caroline fest. »Und genauso hübsch wie seine Mutter.«

»Ach, du Schmeichlerin! Aber komm rein, Karline hat schon den Tisch gedeckt, und Mutter hat für uns einen Kuchen gebacken.«

»Das ist aber nett! Du verstehst dich also gut mit deiner Schwiegermutter? Das ist recht.«

»Na ja, es geht.«

»Es geht? Sie backt einen Kuchen für dich und mich für unser Treffen und du sagst: Es geht?«

Emma war schon in die gute Stube vorgegangen. Sie legte den Säugling in die Wiege zurück, die zwischen Sofa und Sessel stand, ging zu dem schweren Eichenholzesstisch mit der schneeweißen gestickten Decke und schenkte Kaffee in die golden gerandeten Porzellantassen ein. Caroline trat ein, legte ihr Tuch auf das Sofa und warf einen Blick in die Wiege, in der der kleine Jakob zufrieden und schon sehr schläfrig um sich schaute.

»Er ist satt, ich habe ihn gerade gestillt. Aber komm, setz dich und greif zu«, ermunterte die Freundin sie. »Und lass dich anschauen. Gut siehst du aus, sehr gut sogar. Und nun erzähle, was machst du so, und was hast du vor?«

»Was ich vorhabe? Also hast du es doch erraten, meine liebe Freundin. Ja, Emma, ich habe tatsächlich etwas vor: Ich werde mich noch in diesem Jahr verloben!«

»Verloben? Das ist eine Überraschung.«

»Findest du wirklich? Ich bin jetzt 18.«

»Und wer ist der Glückliche?«

»Rate!«

Emma wiegte den Kopf und sah Caroline nachdenklich an. Merkwürdig, dachte diese, ich habe erwartet, dass Emma sich freut.

»Ja, wer kann das sein? Viel Auswahl haben wir hier ja nicht. Gustav, der ansonsten in Frage käme, ist dein Bruder, bleibt Wilhelm Herles, Johann Fürstmüller vom Fürstmüller-Hof oben, der junge Fohringer ist gerade einmal so alt wie du selbst ... Gottfried Jessen, aber der Jessen-Hof ... Ich glaube nicht, dass deine Eltern dich dort sehen wollen. Er ist doch noch ein bisschen zu sehr Hof als Gut. Der Sohn des Doktors ist verheiratet, mein Vater hat keinen Sohn, Lehrer Kunert auch nicht. Und natürlich August Grieger – oder gar ein junger Baron?« Sie lachte.

»Nein, so hoch hinaus nun auch wieder nicht – obwohl: Baronin, das wär schon was!«

»Also wer?«

»August.«

Emma zuckte zusammen, ganz leicht nur, aber Caroline hatte es doch bemerkt.

»Nun, was sagst du?«

»Dass ich dir von Herzen alles Gute wünsche, Line.«

»Emma, ich weiß nicht, das klingt so … merkwürdig. Ich dachte, du freust dich. Und ich konnte es kaum erwarten, es dir zu erzählen.«

Emma stand auf, um nach dem Kind zu schauen. Es lag friedlich in der Wiege und schlief.

»Meine Marie ist gar nicht da«, sagte sie sinnend, »sie ist mit ihrer Großmutter spazieren gegangen und auf einen Besuch bei Frau Fürstmüller.«

»Das ist schade, Emma, und doch auch wieder nicht. Denn so sind wir allein, und ich möchte unbedingt wissen, warum du dich nicht freust.«

Emma seufzte. Sie schaute noch immer in die Wiege.

»Line«, sagte sie und kam zum Tisch zurück, »ich freu mich ja.«

»Aber ich kenn dich doch. Du freust dich vielleicht tatsächlich, weil man sich eben freut, wenn von Verlobung die Rede ist. Aber was denkst du wirklich?«

»Das tut doch nichts zur Sache, Line. Du wirst dich mit August verloben, und dann wirst du heiraten und ein Kind bekommen, und wir gehen zusammen mit unseren Kindern spazieren.«

»Das klingt so bitter, Emma. Fast so wie die Andeutung über deine Schwiegermutter.«

»Welche Andeutung?«

»Du hast gesagt: ›Es geht‹, als ich dich gefragt habe, ob du dich gut mit ihr verstehst.«

»Ach das.«

»Emma, was ist los? Du hast zwei Kinder, das Gut. Viele haben dich beneidet, als du geheiratet hast. Der Jakob ist ein stattlicher Mann und ein wohlhabender dazu. Wer ihn heiratet, das wussten alle, der würde nicht mit auf’s Feld müssen.«

Emma stellte ihre Kaffeetasse ab. Sie zitterte, und die Tasse setzte härter auf, als sie beabsichtigt hatte. Der klirrende Ton des Porzellans durchschnitt die Stille, die eingetreten war. Caroline beobachtete Emma von der Seite. Ihre Freude, der besten und engsten aller Freundinnen die Nachricht, die sie so in Aufregung versetzte, überbringen zu können, schrumpfte zusammen wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausließ. Sie ging zu Emma hinüber, nahm ihren Arm, führte sie zum Sofa, drückte sie sanft hinunter und setzte sich neben sie. Dann nahm sie ihre Hand und sagte: »Wenn du mit mir nicht reden kannst, dann mit keinem. Ich habe das Gefühl, dass dein Vater, so sehr er auch als Seelsorger für unser aller Seelenheil zuständig ist, hier nicht der rechte Ansprechpartner ist.«

Emma zitterte immer noch. Ihre Hand war eiskalt. Sie sagte nichts, nickte aber heftig. Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Caroline ließ die Freundin weinen. Sie sagte nichts, saß nur da und hielt Emmas Hand. Dabei gingen ihr fieberhaft die Gedanken durch den Kopf: ein guter Mann, zwei gesunde Kinder, gerade 19 Jahre alt geworden, ein gesichertes Leben bis zum Tod, die Schwiegermutter freundlich und geht zur Hand, Mägde und Knechte, der größte Hof im Dorf ... Aber sie kam zu keinem Ergebnis. Die Freundin hatte doch alles, was ein Mädchenherz begehrte. Oder war es vielleicht das, worüber Mutter einmal gesprochen hatte: dass man nach der Geburt eines Kindes so traurig sein könne, ganz ohne Grund. Obwohl man doch eigentlich glücklich sei.

Emma lehnte den Kopf gegen Carolines Kopf, fasste sie an den Schultern und sagte: »Ich bin so froh, dass ich einmal weinen konnte. Sag bitte nichts davon, zu niemandem.«

»Natürlich nicht. Aber willst du mir nicht sagen, warum du geweint hast? Willst du dich aussprechen? Du weißt, alles wird in mir ruhen wie in einem Grab.«

»Ja, ich weiß, Line, du bist die Beste. Und ich wollte, ich hätte dich immer bei mir.«

»Aber, Emma, du hast doch wirklich alles, was ein Mädchenherz begehrt.«

»Vielleicht. Ja, vielleicht wirklich: ein Mädchenherz, da hast du recht. Aber ich bin kein Mädchen mehr.«

Caroline lachte unwillkürlich. »Nun, das vielleicht nicht – aber andererseits doch: Du bist gerade erst 19 und siehst aus wie ein Mädchen.« Dabei strich sie der Freundin die tränennassen Locken aus den Augen.

»Line, weißt du, dass ich mich manchmal vor Jakob fürchte?«

»Vor deinem Mann?«

Emma sah sie ernst an. »Das klingt komisch, ich weiß das wohl, und du hast dich erschrocken. Und es ist auch nicht so, wie du vielleicht denkst. Er ist nicht grob zu mir. Nicht immer zärtlich, ich meine, so wie in der ersten Zeit. Aber er hat ja auch viel zu tun und die ganze Verantwortung für das Gut. Er verlangt, dass ich ihm den Haushalt in Ordnung halte.«

»Ja, das ist doch selbstverständlich. Das tun alle Männer.«

Emma nickte. »Ja, sicher. Es ist nur ... Er lässt mich nicht in Ruhe, ich meine von wegen der ehelichen Pflicht.«

Caroline zuckte erschrocken zusammen. Das war etwas, womit sie sich nicht auskannte.

»Meine Mutter hat mir gesagt, dass sei das Recht der Männer und auch ihre Natur. Man verspricht es ja auch vor dem Altar. Das weißt du doch besser als ich.«

»Ja, Caroline, und ich habe ja auch nicht abgelehnt, Jakob zu heiraten, und wusste auch, was heiraten bedeutet. Aber ich bin erst 19 und habe zwei Kinder und ... Und ein drittes ist vielleicht schon wieder unterwegs.«

Carolines Hand fuhr an den Mund.

»Das hätte ich mir nicht träumen lassen, Line, dass es einmal so kommen würde. Ich habe Jakob doch wirklich gemocht und wusste auch, was auf mich zukommt. Mein Vater hat es mir erklärt, als ich eingesegnet war. Aber dass ich einmal Angst davor haben würde, wenn abends bei uns das Licht ausgeht – das nicht, Line, das nicht!«

Caroline dachte an Emmas Hochzeit – als das Licht erloschen war oben im Schlafzimmer und alle geklatscht hatten und weiter getanzt und gefeiert, während Emma und Jakob oben … Sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht. Es war ja immer so, wenn Hochzeit gefeiert wurde. Und dann kamen die Kinder, und das Leben nahm seinen Lauf. Und sie wollte auch Kinder mit August. Sie würden die Griegersche Tradition fortsetzen. So musste es sein.

»Nein«, sagte Emma, als habe sie Carolines Gedanken erraten, »das ist kein Spaß, Caroline. Ich will das nicht mehr. Ich bin so erschöpft noch von Jakobs Geburt, und der kam doch auch nur knapp zwölf Monate nach Marie. Und Jakob lässt mich nicht in Ruhe. Wartet nicht einmal den Blutfluss ab ...«

Caroline war nun doch peinlich berührt. Sie hörte von Dingen, denen sie hilflos gegenüberstand. Was hatte die Mutter gesagt? Erinnere dich doch!

»Aber er liebt dich, Emma. Ich meine, er begehrt dich, und das ist doch eigentlich etwas Schönes.«

»Nein, Caroline, er ... Nein, lass, das kann ich dir nicht sagen. Es ist ja auch egal. Es wird so weitergehen, und ich muss, ob ich will oder nicht.«

Caroline machte einen letzten Versuch, die Freundin zu trösten: »Emma, du bist seine Frau, die Herrin des Gutshofes. Du hast Mägde und Knechte. Und es ist schön, seine Kinder zu bekommen und die Familie Leger fortbestehen zu lassen. Ihr könnt sie doch ernähren. Du wirst Brot haben, dein Leben lang.«

Emma lächelte und strich Caroline über das gescheitelte Haar.

»Ja, das sollen wir glauben, und ich habe es auch geglaubt.«

Was meint sie, dachte Caroline verzweifelt. Ich weiß nicht, was ich fragen soll. Ich habe keine Ahnung von diesen Dingen. Und so nickte sie nur und nahm wieder Emmas Hände. Die Freundin tat ihr leid. Was immer es auch war, es musste schlimm sein. Diese Verzweiflung, ich verstehe sie nicht, dachte sie. Und Emma ist nur ein Jahr älter als ich. Zwei Kinder, ein drittes unterwegs, vielleicht, und sie freut sich nicht. Und sie hat Angst, wenn abends in ihrem Schlafzimmer das Licht ausgeht.

»Dein Vater ...«

»Mein Vater? Der predigt, dass die Frau dem Manne untertan sei. Dass das recht sei und von Gott gewollt«, sagte Emma heftig.

»Ich wollte sagen: Dein Vater hatte doch auch nur dich. Und meine Eltern haben nur zwei Kinder. Ich meine, kann man da etwas machen, dass es nicht so viele werden?«

»Sicher. Enthaltsamer leben. Es gibt wohl Männer, die Rücksicht nehmen, und auch solche, die das nicht jede Nacht brauchen.«

»Jede Nacht?«

»Ja, Line, nun weißt du’s. Und die Säckchen aus Kautschuk, die man nehmen kann, dass man nicht immer schwanger wird davon, die lehnt er ab und meint, das Kinderkriegen sei Gottes Wille und ich soll froh sein, dass wir damit gesegnet sind. Wir, sagt er, und hat doch gar nichts damit zu tun, mit dem Austragen und Gebären, meine ich. Das ist ja Frauensache, sagt er, dafür seid ihr auf der Welt.«

»Und hast du das denn vorher nicht gewusst?«

»Ach, Line, wie denn? Ich mochte ihn ja auch, wenn wir zusammen auf dem Frühlingsfest getanzt haben oder wenn er mich sonntags zum Spaziergang abgeholt hat. Nie hat er sich mir vor der Hochzeit unsittlich genähert. Und nach der Verlobung ab und zu ein Kuss, aber nicht mehr. Seine Mutter hat mit meinem Vater die Bedingungen ausgehandelt. Ja, es war ein Handel, Pfarrerstochter und Gutsbesitzersohn, und ich habe mitgemacht, weil ich’s nicht besser wusste.«

»Aber du hast doch gesagt, du mochtest ihn und hattest keinen Widerwillen gegen ihn.«

»Ja, das stimmt auch. Das war mein Glück, so ging es leichter. Oder, wenn du es so sehen willst, war es auch wieder Pech, denn hätte ich einen Widerwillen gegen ihn gehabt, dann wäre ich jetzt nicht hier und müsste auch keine Angst haben.«

Caroline sagte nichts. Sie sah August vor sich. Mochte sie ihn? Nun ja, schon, vielleicht seine Rechtschaffenheit. Vor allem aber mochte sie die Aussicht, Justizrätin zu werden oder Amtsrichterin und in dem großen Haus oben zu wohnen, gleich unterhalb der Burg. Und Oberförster Grieger mochte sie gern, und seine Frau war nett zu ihr. Immer wenn sie dort zu Besuch war, bewunderte die Oberförsterin ihre Handarbeiten und nickte ihr freundlich zu. Eine Familie war doch auch etwas. Die eheliche Pflicht mit August war am Ende wie jede andere eheliche Pflicht.

»Deine Schwiegermutter, Emma, ist sie dir denn nicht zugetan?«

»Oh doch, sie hat sich ja das Pfarrerstöchterlein ins Haus geholt und ist auch nicht hart gegen mich, wie man’s sonst oft hört. Aber sie steht doch immer auf Seiten ihres Sohnes.«

»Hast du denn mit ihr über diese Sache gesprochen?«

»Um Gottes willen, Line, wo denkst du hin? Das wäre ungehörig und unpassend.«

»Ja, sicher, das tut man nicht. Aber du sagtest, sie sei letztlich doch immer auf Seiten ihres Sohnes.«

»Ja, in allem. Wenn er möchte, dass ich die Kinder zu Bett bringe, oder wenn es darum geht, was es am Sonntag zu Essen gibt oder welches Kleid ich tragen soll, wenn wir Besuch bekommen. Oder ob ich reiten darf oder ob ich mir ein neues Kostüm schneidern lassen soll.«

»Das bestimmt alles Jakob?«

»Ja, das bestimmt er.«

Caroline schwieg.

»Aber meine Mutter hat mir etwas anderes gesagt«, meinte sie nach einer Weile nachdenklich, »deshalb habe ich mich so darauf gefreut, dir die Nachricht von meiner Verlobung zu bringen.«

Emma nickte. Sie lächelte sogar. »Und du sollst dich auch freuen, meine liebe Line. Denn was bleibt uns am Ende sonst? Ich habe mich bei dir ausgeweint und ausgesprochen, und es hat mir sehr, sehr gut getan. Aber siehst du, ich habe meine Kinder lieb, es ist ja auch etwas Schönes dabei. Und wer sagt denn, dass August in diesem Punkt so ist wie Jakob? Er sieht mir eher nicht nach Leidenschaft aus!«

Und dann versuchte sie zu lachen, auch noch, als Caroline sich verabschiedete und die breite Allee vom Gutshaus weg auf das große Tor zuging. »Ich komme recht bald wieder!«, hatte sie zum Abschied versprochen, »du kannst dich immer bei mir aussprechen. Niemand wird es erfahren.« Emma hatte den Finger auf ihre Lippen gelegt und genickt.

Caroline sah sich um. Niemand war zu sehen. Als sie aus der Toreinfahrt nach rechts auf die Straße einbog, die zum Dorf führte, kam ihr der kleine Zweispänner mit Emmas Schwiegermutter entgegen, neben ihr saß die einjährige Marie. Der Kutscher grüßte, Caroline blieb stehen und machte einen artigen Knicks. Frau Leger nickte huldvoll, ließ aber nicht halten, und so ging sie weiter auf das Dorf zu. Jede Nacht, mein Gott, jede Nacht – und sie ist erst 19!

Das, was Mutter und Freundin über die Ehe gesagt hatten, unterschied sich so sehr voneinander, dass Caroline in den Tagen, die auf das Gespräch mit Emma folgten, nachdenklich und in sich gekehrt blieb. Wen sollte sie fragen, wer von den beiden nun recht hatte? Oder war gar beides richtig? War »jede Nacht« der Preis für die Sicherheit, für schöne Kleider, für Goldrandtassen und ein behagliches Leben? Nein, das konnte nicht sein. Ihre Eltern hatten auch nur zwei Kinder. Die meisten Leute hatten allerdings mehr. Ob sie die Großmutter fragen sollte? Nein, das ging schon gar nicht. Das Thema wurde nie berührt zu Hause und dann gar die Großmutter, die noch eine Generation älter war und selbst fünf Kinder bekommen hatte. Das Bild, das die Mutter mit ihren Worten vor ihrem geistigen Auge hatte entstehen lassen, es stand noch dort. Sie spürte genau, wie stolz und begehrlich sie war, wenn ihr Auge einmal zufällig auf das Haus am Waldrand fiel, noch etwas höher den Hügel hinauf ... Nur wenn sie an August dachte, spürte sie gar nichts. Besser gar nichts als Abscheu, dachte sie, oder gar Angst, wie Emma.

Eines Tages, als die Mutter sie wieder einmal an einem der zur Hügelseite hin gelegenen Fenster stehen sah, trat sie von hinten an ihre Tochter heran, legte ihr eine Hand auf die Schulter und schaute sie von der Seite an. Caroline war überrascht worden und hatte nicht mehr die Zeit, ihren Gesichtsausdruck zu verbergen oder zu verändern.

»Das kommt schon, mein Kind«, sagte die Mutter, »wenn du erst verlobt bist und öfter mit August zusammen, wirst du sehen, wie untadelig er ist. Ein guter Zusammenhalt ist in der Ehe das Wichtigste, glaube mir, jeder hat seinen Part, Mann und Frau, jeder steht an seiner Stelle.«

Caroline, die sich ertappt fühlte, nickte und blickte gedankenverloren den Hügel hinauf. »Ein so schönes Haus, Mutter.«

Sie schwieg. Aber Friederike schien noch nicht zufrieden zu sein. »Das ist ganz normal, dass dich das umtreibt«, sagte sie ungewohnt sanft. Ihr war wohl aufgefallen, dass Caroline nach dem Besuch bei Emma verändert gewesen war, stiller, nachdenklicher. Sie hatte auch, ganz gegen ihren Charakter, nicht viel vom Leger-Hof erzählt und auf Fragen nur einsilbig geantwortet. Friederike hatte sich ihren eigenen Reim darauf gemacht. Junge Frau, das zweite Kindbett in zwei Jahren, kaum dass sie sich in die neue Rolle als Gutsherrin eingefunden hatte. Wer wusste schon, was Emma ihrer Tochter vorgejammert hatte, obwohl sie doch die reichste Partie im Dorf gemacht hatte und das als Pfarrerstochter. Da war nicht mal Besitz zu Besitz gekommen.

»Was meinst du, Mutter?«

»Nun, du weißt schon, August und du. Ich weiß ja nicht, was Emma dir erzählt hat ...«

Sollte sie zugeben, dass die Mutter richtig lag mit ihrer Ahnung? Nein, ich habe es Emma versprochen, dachte sie, zu niemandem ein Wort. Aber so ganz allgemein – sollte sie es wagen?

»Oh, Emma hat es ja gut getroffen. Alle beneiden sie«, sagte sie leichthin und fuhr, um Friederike keine Gelegenheit zum Einhaken zu geben, fort: »Nein, weißt du, mit Emma hat das nichts zu tun. Ich bin nur … ein bisschen aufgeregt, weil ich heiraten werde, schon im nächsten Jahr, und ich kenne August ja nicht richtig. Ich meine, wenn … also, wie er ...« Sie stockte, wurde rot, sie glühte richtig von einem Moment auf den anderen, verhaspelte sich und schüttelte schließlich hilflos den Kopf. Sie sah die Mutter nicht an.

Friederike war peinlich berührt. Intimitäten dieser Art mit ihrer Tochter zu besprechen, lag ihr fern.

»August ist ein Ehrenmann«, sagte sie schließlich, »ganz ohne Zweifel. Er wird dich nicht ...« Sie suchte nach Worten: »... über Gebühr in Anspruch nehmen. Allein schon wegen des Erbes.«

»Wegen des Erbes?«

»Ja, natürlich. Warum, denkst du, hat der Adel so wenige Kinder? Zwei meistens, nicht mehr. Das Erbe darf nicht in zu viele Stücke auseinanderfallen.«

Carolines Gesicht hellte sich auf. Das war es also! Deshalb achteten einige Leute darauf, nicht so viele Kinder zu haben: das Erbe.

»August als einziger Sohn seiner Eltern wird darauf achten. Du siehst also ...«

Caroline fühlte sich mit einem Schlag besser. Die Mutter hatte recht. Natürlich, wie hatte sie nur so dumm sein können! Und das war auch der Grund, warum sie und Vater nur einen Sohn und Erben hatten und eine Tochter, der sie die Mitgift stellen mussten. Den reichen Jakob Leger schien das allerdings nicht zu interessieren.

»Töchter sind immer teuer«, sagte sie nachdenklich. »Für jede eine Mitgift. Da ist man froh, wenn man nur eine hat.«

»Komm, meine teure Tochter«, meinte Friederike lachend, »es wird Zeit, mit den Vorbereitungen für das Mittagessen zu beginnen. Oder hast du vergessen, dass du Vater heute deinen ersten selbst zubereiteten Hackbraten servieren sollst?«

Sie nahm die Tochter beim Arm und führte sie in die Küche. »Ach, übrigens«, setzte sie hinzu, »man bekommt auch etwas zurück von der Tochter: einen angesehenen Schwiegersohn, was ja dann auch auf die Eltern zurückfällt, und die Gewissheit, dass es der Tochter immer gut gehen wird. Meinst du nicht?«

Caroline drückte sie an sich und sagte: »Danke, Mutter, du bist doch die Beste. Ich bin ein törichtes Kind, und du musst mir verzeihen, dass ich so viele Umstände mache.«

Friederike nickte ihr zu und schob sie an den Küchentisch: »Und nun fang an. Ich will, dass du heute ganz allein zeigst, was du kannst. Nicht dass mir von August Klagen kommen, wenn ihr verheiratet seid.«

Kapitel 3

Der Braten hatte allseits gemundet, Caspari zündete sich zufrieden seine Zigarre an, lehnte sich zurück und sagte: »Das hast du gut gemacht, mein Kind! Ich werde noch anfangen, August zu beneiden.«

Caroline wurde rot, zum zweiten Mal an diesem Tag.

»Nun bring mir das Kind nicht in Verlegenheit, Eduard«, mahnte Friederike, »sie wird mir zu eitel.«

In diesem Moment trat Minna ein, um den Tisch abzuräumen. Caroline wollte aufstehen, um ihr zu helfen, aber die Mutter sagte: »Nein, mein Kind, geh du zur Großmutter hinunter und bring ihr den Rest von deinem ersten eigenen Braten. Sie wird sich freuen.«

Eine Viertelstunde später ging die Tochter mit dem Henkelkorb am Arm in Richtung Dorf davon. Es war ein sonniger Tag, zwar noch kalt, aber die Krokusse reckten sich schon der Sonne entgegen und die ersten Osterglocken blühten im Vorgarten. Sie ging zügig die Dorfstraße entlang und wollte eben zur Küstersfrau hinübergrüßen, die ihr auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig entgegenkam, als ein lautes, ihr durchaus bekanntes Geräusch sie zusammenfahren ließ. Natürlich, die Tonfolge kannte sie nur zu gut, es war das Posthorn, das jeden Tag die Ankunft Heinrich Markwarts vermeldet hatte. Nur war der alte Postillion im vorigen Herbst gestorben. Seitdem hatte sie die wohlklingenden Töne, die die Ankunft der Postkutsche ankündigten, nicht mehr gehört. Der Ersatzmann, den man für Heinrich eingesetzt hatte, beherrschte die einfachsten Tonfolgen nicht. Offenbar war er vollkommen unmusikalisch und beschränkte sich darauf, seine Ankunft mit drei Missklängen zu begleiten, wohl wissend, dass dieser Postillion-Dienst nur vorübergehend sein würde, so lange nämlich, bis ein neuer Postkutscher gefunden sein würde, der die vorgeschriebenen zwölf Tonfolgen beherrschte. Alle im Dorf wussten, dass sich der Neue zum Innendienst im Postamt in der Kreisstadt zurücksehnte und nur darauf wartete, abgelöst zu werden.

Und nun hörte sie die genau richtige Folge der Töne, laut und fröhlich klang es von ferne, und als Caroline, neugierig geworden und noch rascher jetzt, auf das Kaiserliche Postamt, das ziemlich am Ende der Hauptstraße lag, zuging, sah sie die gelb-schwarze Postkutsche auf das Dorf zujagen. Der Postillion blies das Posthorn im Fahren, er stand auf der Plattform vor dem Kutschbock, das Horn in der rechten, die Zügel in der linken Hand. Die zwei braunen Warmblüter näherten sich in raschem Galopp, geschickt dirigierte der junge Mann sie in die Einfahrt des Postamtes und kam genau an der Haltestelle zum Stehen. Einige Umstehende und auch Neugierige, die von den gewohnt-ungewohnten Klängen angelockt worden waren, stoben auseinander, der alte Schneider Hinemann rief: »Dass dich der Deibel holt!«, und drohte lachend in Richtung des Kutschbockes, vor dem der neue Postillion immer noch stand, kerzengerade, lachend, und schließlich sich in die Runde verbeugend rief: »Willkommen, Leute, ich bin der neue Postillion!« Erneut hob er das Horn an die Lippen und spielte laut und kräftig die Ankunft der Postkutsche, aber dieses Mal länger, in verschiedenen Variationen, mit Schnörkeln und allerlei Finessen, virtuos, und als er geendet hatte, klatschte ihm sein Publikum ehrlichen Beifall. Er verbeugte sich wieder, sprang vom Kutschbock, und nun sah man erst, wie groß er war.

Caroline war erschrocken ein paar Schritte zurückgetreten, als die Kutsche in rasanter Fahrt in die Einfahrt eingebogen war. Nun trat sie wieder vor und starrte den jungen Postillion an, von dem sie auch in ihrem Schrecken kein Auge gelassen hatte. Sie starrte ihn an und merkte es nicht. Als er herangefahren kam, das Posthorn an den Lippen, souverän die Pferde lenkend, leicht und doch vollkommen sicher, da war jede Spur eines Gedankens an den alten Heinrich ausgelöscht gewesen. Ja, das waren die Töne, die er täglich gespielt, die sie als Kind schon gehört hatte. Aber dies hier war doch ganz anders, fröhlicher war es, kraftvoll, draufgängerisch und voller Leben.