Wer möchte denn schon wie Herr Münch hausen? - Juckel Henke - E-Book

Wer möchte denn schon wie Herr Münch hausen? E-Book

Juckel Henke

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Beschreibung

Ganz in unserer Nähe, mitten in Deutschland, lebt Manni Münch. In seiner Einraumwohnung, die ihm gleichzeitig als Werkstatt dient, schraubt er tagein und tagaus. Nur nachts, da schläft er zwischen all seinem Schrott, der sich im Laufe der Jahre angesammelt hat. Sein großes Ziel ist es, künstliche Intelligenz zu erschaffen. Denn in absehbarer Zeit werden immer mehr Maschinen unser Leben bestimmen. Die Roboter bestehen aus Metall, Kabeln, Schrauben und Platinen. Man kann sie also noch vom Menschen unterscheiden. Doch das will Manni Münch ändern. Nachdem sein Lieblingsverein mal wieder aus der 1. Fußball-Bundesliga abgestiegen ist, kommt es zu einer überraschenden Begegnung. Manni trifft alte Freunde wieder. Man hat sich viel zu erzählen. ... «Wenn wir schon einmal dabei sind», sagte Manni, «dann lass mich auch mal erzählen, denn meine Neffen und Nichten behaupten, dass ich der größte Lügenerzähler vonne ganze Welt bin. Pass auf, da ist die Geschichte mit dem Pickelbeschwörer.» ... "Wer möchte denn schon wie Herr Münch hausen?" Lügengeschichten von Juckel Henke.

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Seitenzahl: 133

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Vorwort

Juckel Henke hat ein Buch geschrieben, dessen Titel mich zucken lässt, heiße ich doch ebenso wie Manni… nicht vorne aber hinten… Münch.

Und schon überprüfe ich mich: Gibt es verwandtschaftliche Überschneidungen zwischen Manni und mir? Hause ich auch? Habe ich technische Fertigkeiten zum Basteln mit Metall und Technik? Lüge ich?

Aber alles ist gut, ich hab’s überprüft: In unserer Familie gibt es nirgendwo einen Manni; ich hause nicht, ich wohne und nicht deshalb, weil ich in einem skandinavischen Möbelhaus einkaufe; ich habe für Technik zwei linke Hände; und lügen - nein, bestenfalls schummel ich… manchmal.

Dann ist ja alles in Ordnung und ich kann mir das Buch lustvoll zu Gemüte führen und vielleicht auch der Münchschen Verwandtschaft schenken.

Esther Münch

Der 8. Mai 2010 war für mich kein Tag wie jeder andere. An diesem Samstag entschied sich das Schicksal des VfL Bochum, wie bereits dreimal zuvor in 34 Bundesligaspielzeiten, am letzten Spieltag. Ich glaubte tatsächlich, dass es mit dem Klassenerhalt wieder klappen würde. Aber alles hat ein Ende, selbst dieses Buch. Doch bis zur Seite 142 wird noch sehr viel passieren.

Nach einem ausgiebigen Frühstück ging ich ins Arbeitszimmer, um die Mails zu checken. Nichts Besonderes. Zwölf belanglose Nachrichten im normalen Posteingangsordner, zwei Potenzmittelanpreisungsofferten und eine heiratswillige Russin im Spam-Postfach. Ich konnte mich nicht erinnern, dass im früheren Leben in unserem realen Briefkasten täglich mehr als drei Briefe steckten. Egal. Nachdem ich den PC ausgeschaltet hatte, wollte ich noch eine Runde durch den Stadtpark laufen. Eine knappe Stunde später kehrte ich heim. Meine Pulsuhr zeigte den Wert 130 an. Völlig normal nach dem kleinen Frühsport. Dass mein Pulsschlag im Laufe des Tages noch höhere Werte anzeigen würde, konnte ich zu diesem Moment noch nicht ahnen.

«Maria, wo ist denn der Siegerschal, verdammt noch mal?», fragte ich meine Frau.

«Ach Joe, zwischen den Boxern und den Slips, die dir nicht mehr passen», rief mir meine reizende Gattin aus der Küche zu.

«Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass der VfL das Ding noch dreht?»

«Hier ist das Revier, hier wird noch gekämpft. Wenn irgendwo Fußball gearbeitet wird, dann bei uns. Bei den Unabsteigbaren», erwiderte ich stolz.

«Bis auf ein paar Ausnahmen», fügte Maria hinzu.

«Wird schon werden. Ich muss mich beeilen, Utz wartet bestimmt schon unten.»

Ich gab meiner Frau einen Kuss auf die Stirn und machte mich auf den Weg. Der Weg hatte nur ein Ziel. Und das hieß: Klassenerhalt.

Doch vor dieses Ziel hatte der Fußballgott noch 90 Minuten Unwägbarkeiten ausgestreut.

«Moin, Joe.»

«Moin, Utz», erwiderte ich. «Und?»

«Welch Frage? Sieg, zweistellig», sagte mein Freund und prustete los.

«Ein 1:0 würde mir schon reichen.»

Es kam natürlich alles ganz anders. Der Keks war bereits nach dreiundzwanzig Minuten gegessen. Da führten die Niedersachsen schon mit 2:0. Am Ende hieß es Abschied nehmen. Ade, Erste Liga. Das war es mal wieder. Und der Frust entlud sich nach dem Abpfiff bei einigen Fans. Da wurden Zäune eingerissen, das Spielfeld gestürmt. Die gegnerischen Anhänger sollten büßen. Dabei war es die Unfähigkeit der eigenen Mannschaft gewesen. Und nicht nur in dieser Begegnung. Eine Saison besteht immer noch aus 34 Bundesligaspielen. Und wenn von diesen Aufeinandertreffen zu wenige gewonnen werden, heißt es Abschied nehmen. So auch an diesem Nachmittag. Ich sah, dass eine Reihe unter mir vier volltrunkene Idioten auf einen langhaarigen Mann, der bereits am Boden lag, einschlugen. Utz schaute mich kurz an, ich nickte und kurze Zeit später waren wir in eine Schlägerei vom Allerfeinsten verwickelt. Gott sei Dank beendeten zwei uniformierte Polizisten das Chaos. Wir wurden abgeführt und mussten im Mannschaftswagen unsere Personalien angeben. Nachdem Utz und ich glaubhaft versichern konnten, dass wir den VfLFan, der hilflos am Boden lag, schützen wollten, konnten wir gehen. Ich spürte noch, wie sich etwas in meine Schulter krallte. Es war die rechte Hand des langhaarigen Fans.

«Vielen Dank, ohne euch wäre ich wahrscheinlich tot.»

Ich blickte in das Gesicht des Mannes und stutzte.

«Manni?», fragte ich.

«Ja, Manni Münch, woher kennst du mich?»

«Das darf ja wohl nicht wahr sein», erwiderte ich. «Mensch, Manni, ich bin´s, Joe Pöhlmann. Damals, Zeche Goethe am Stadtpark. Wir waren zusammen im Leistungskurs Deutsch bei Helmut Zeisig. Und den Utze musst du doch auch noch kennen. Bochumer Handballstar.»

Manni Münch fiel mir um den Hals.

«Alter Schwede, Joe und Utz, 30 Jahre nicht mehr gesehen und jetzt. Es gibt keine Zufälle auf dieser Welt und wenn doch, dann sind sie so geplant.»

«Komm, wir fahren dich zum Augusta-Krankenhaus, lass lieber die Hand röntgen, is schon `n bisschen dick», sagte ich.

Nachdem Manni untersucht worden war und als feststand, dass er nur ein paar Prellungen hatte, durfte er das Hospital wieder verlassen.

«Lasst uns doch noch kurz ins Parkschlösschen gehen», schlug Utz vor.

«Wie in alten Zeiten», sagte Manni Münch.

Es war zwar traurig, dass sein und unser VfL sich mal wieder in die Untiefen der Zweiten Liga verabschiedet hatte, aber er schien glücklich darüber zu sein, dass wir ihn vor größerem Unheil bewahrt hatten.

Es war schon nach 20 Uhr und in der Kneipe saßen nur noch ein paar VfL-Fans, die ihren Frust im Pils ertränkten. Aber alles blieb ruhig. Wir gingen am Tresen vorbei und setzten uns in das angrenzende Gesellschaftszimmer an einen der freien Tische.

Ich schaute auf den abgetretenen Parkettboden und musste grinsen.

«Hier hat sich fast nix verändert.»

«Doch, wir haben keine D-Mark mehr», sagte Utz und Manni fügte hinzu: «Und 0,3 Liter waren auch schon mal mehr.“»

Es wurde ein langer Abend. Ich rief zuhause an, dass es später werden würde. Maria hatte nichts dagegen, denn dann konnte sie in Ruhe ihre Lieblingssendung sehen.

«Sag mal, Manni», fragte Utz, «was machst du eigentlich so?»

«Schrauben», antwortete unser gemeinsamer Freund, «schrauben, schrauben, schrauben.»

«Wie, schrauben?», wollte ich mehr wissen.

«Ich repariere Haushaltsgeräte, Handys, Fernseher, Pürierstäbe, Schnellkochtöpfe und alles, was man sonst wegschmeißen würde, weil es kein anderer mehr fertig macht. Wenn mal euer alter Röhrenfernseher kaputt ist, bringt ihn vorbei, ich bin der Heiler», sagte Manni und lachte.

Wir unterhielten uns den ganzen Abend lang über alte Zeiten. In den Jahren vor unserem Wiedersehen war eine Menge passiert. Erstaunt stellte ich fest, dass Manni auf der Castroper Straße, nur 500 Meter Luftlinie von uns entfernt, wohnte. In einer kleinen 18 Quadratmeter großen Zwei-Zimmer-Wohnung, die ihm auch gleichzeitig als Büro und Werkstatt diente.

«Wenn wir uns schon mal wieder getroffen haben, sollten wir das beibehalten», meinte Manni und wir verabredeten uns für den folgenden Mittwoch.

Mannis Wohnung befand sich direkt über dem Kiosk von Stefan Blume. Ich besorgte mir schnell noch eine Schachtel Zigaretten und klingelte anschließend bei Manni an. Kurze Zeit später stand ich vor der Wohnungstür meines Freundes. Als er mir die Tür öffnete, traf mich fast der Schlag. Radiogeräte, Röhrenfernseher, Elektroherde und jede Menge Einzelteile kamen mir entgegen. Die Wohnung war eine einzige Rumpelkammer. Und Manni wohnte in diesem scheinbaren Chaos. Unter dem Fenster lag eine Matratze, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Manni schob mit seinem linken Fuß einen Toaster zur Seite und bat mich in seine Wohnung. Er zeigte auf einen alten Nordmende-Fernseher und sagte: «Mach es dir gemütlich, nimm Platz.»

Er selbst setzte sich auf einen Braun-Rundfunkempfänger, der wohl noch aus den 1950er-Jahren stammte.

«Weißt du was», sagte Manni, «bevor wir über alte Zeiten quasseln, müssen wir erst ein bisschen Fußball gucken.»

An diesem Mittwoch, dem 12. Mai 2010, fand im Hamburger Volksparkstadion das Finale der Europa League zwischen Atletico Madrid und dem FC Fulham statt. Manni griff nach drei Fernbedienungen und schaltete drei supermoderne Flachbildschirmfernseher ein. Es war fast wie im Kino. Ein höchst unterhaltsamer Kick. Nach Verlängerung besiegten die Spanier die Briten mit 2:1 Toren. Nachdem Manni die Fernseher wieder ausgeschaltet hatte, ging er zu einem der sechs Kühlschränke, um uns noch zwei Flaschen Bier zu kredenzen.

«So, mein Lieber, jetzt erzähl mal. Wie geht es dir?»

Es wurde ein langer Abend. Ich erfuhr, dass Manni jetzt seit 15 Jahren von seiner Schrauberei lebte. Er schien rundum zufrieden zu sein. Als ich ihm von meinen fast 20 Jahren in der Werbeagentur in Dortmund erzählte, musste er mehrmals laut lachen.

«Die hanebüchenen Geschichten glaubt dir doch kein Mensch», sagte er, als ich ihm von den Machenschaften meines Arbeitgebers erzählte.

Da war die Geschichte mit dem Vorstandsvorsitzenden einer großen Versicherung, der in der Szene als einer der besten Hobbyflieger galt. Er besaß eine Propellermaschine, die am Flughafen Essen-Mülheim im Hangar stand. Diese Maschine sollte mit dem Firmenlogo der Versicherung als Werbeaufkleber versehen werden. Erwin Berger, unser Experte für Messebau und Beschriftungen aller Art, hatte mal wieder auf den letzten Drücker das Logo geplottert. Kurz vor 9 Uhr in der Früh erreichte er mit einem uralten Firmenwagen den kleinen Flughafen. Heiner Bunte, der Versicherungschef, stand bereits mit mir vor seinem Prachtexemplar eines Fliegers. Er erzählte mir ununterbrochen von seiner Leidenschaft. Erwin Berger begrüßte uns und kurz darauf nahm er an der Propeller-Maschine Maß, um das Logo werbewirksam zu platzieren. Hinter dem Logo der Gesellschaft des Vorstandsvorsitzenden befand sich auch das Trademark, das ®. Heiner Bunte schaute Erwin beim Anbringen der Buchstaben interessiert zu. Als Erwin dann das ® als Erstes am rechten Rand am Maschinenheck aufgeklebt hatte, lobte der Flieger ihn in höchsten Tönen.

«Das ist ja raffiniert», sagte er, «zuerst das ® aufkleben, damit man weiß, wo rechts ist. Clever!»

Das war nur eine der merkwürdigen Geschichten, die ich Manni Münch zum Besten gab.

«Wenn wir schon einmal dabei sind», sagte Manni, «dann lass mich auch mal, denn meine Neffen und Nichten behaupten, dass ich der größte Lügenerzähler der Welt bin. Pass auf, da ist die Geschichte mit dem Pickelbeschwörer.»

Und Manni begann:

Gisela Wegstein war verzweifelt. Ihr Pickel auf der Nase wollte einfach nicht verschwinden.

«Weißt du», sagte sie zu ihrer besten Freundin Gudrun, «ich kann machen, was ich will, dieser hässliche Mitesser kommt immer wieder.»

«Das ist ärgerlich», erwiderte ihre Freundin.

«Außerdem ist das ein richtiger Kaventsmann, ein sogenannter Oschi.»

Was tun? Der Hausarzt wusste keinen Rat mehr. Auch einige Dermatologen versuchten vergeblich, Gisela von ihrem Schandmal zu befreien. Egal, welche Mittel die ansonsten hübsche Frau auch benutzte, keine drei Wochen später war der Pickel wieder da. Und das Schlimmste: Er schien immer größer zu werden.

Gisela versuchte es mit den ausgefallensten Hausmitteln. Eines Tages bekam sie von einer ehemaligen Arbeitskollegin den Tipp, das Corpus Delicti mit Eigenurin zu behandeln. Zunächst sträubte sie sich dagegen. Doch dann gab sie sich schließlich einen Ruck und steckte abends, direkt nach dem Essen, ihren Zinken in ein Glas, das sie mit ihrem eigenen Urin gefüllt hatte. Zwei Minuten zog sie nun ihre Nase immer wieder von links nach rechts, dann von rechts nach links durch das warme Nass. Sie versuchte, dabei möglichst nicht zu atmen. Doch manchmal klappte das nicht so, wie Gisela es wollte und sie bekam weniger wohl, sondern eher übel etwas in den Hals. Das ganze Prozedere gefiel ihr überhaupt nicht. Anfangs glaubte die Mittvierzigerin, dass sich der Pickel etwas zurückgebildet habe. Aber da täuschte sie sich gewaltig. Außerdem roch es in der Küche nicht gerade nach Rosen. Als diese Methode zu keinem Erfolg führte, griff die bepickelte Lady zu einem Messer. Sie stellte sich vor den Badezimmerspiegel und schnitt das Unding kurzerhand ab. Das Blut spritzte, Gisela schrie und fiel anschließend in Ohnmacht. Gott sei Dank kam just in diesem Moment ihr Gatte Heinrich Wegstein nach Hause.

«Um Himmels Willen, Gisela, was hast du gemacht?», schrie er verzweifelt.

Sofort wählte er die Notrufnummer 112 und keine fünf Minuten später lag die blutüberströmte Frau auf einer Trage und dann in einem Bett in einem Krankenhaus an der Außenalster. Drei Tage später wurde sie entlassen.

Heinrich machte sich große Sorgen um seine Frau. Doch so sehr er sich bemühte, Gisela zu beruhigen, umso hysterischer benahm sie sich. Nichts hasste sie mehr als diesen Pickel auf ihrer ohnehin schon viel zu großen Nase. Auch die Selbstattacke mit dem Küchenmesser hatte nichts bewirkt. Zwei Wochen, nachdem die Wunde verheilt war, spross der runde Eiterbeutel wieder auf ihrem Riechkolben.

«Das darf ja wohl nicht wahr sein!», schrie die Frau, nachdem sie sich im Badezimmerspiegel beäugt hatte und begab sich in den Hobbykeller.

Mit einem Vorschlaghammer in der Hand betrat sie das Bad und schlug den teuren Kosmetikspiegel entzwei. Wenn schon diese Pocke nicht verschwinden würde, wollte sie sie zumindest auch nicht sehen.

Gisela Wegstein traute sich kaum noch auf die Straße. Sie litt sehr an dem Unding auf ihrer Nase. Sie fiel in eine tiefe Depression. Eines Tages lief auf arte-TV ein Bericht über einen chilenischen Wunderheiler, der aufgrund übersinnlicher Kräfte schon die merkwürdigsten Krankheiten besiegen konnte. Der Mann nannte sich Angelo Abdul Don Dammdammovic. Gisela googelte den Namen nach der Sendung und erfuhr, dass dieser Dammdammovic ursprünglich aus Rumänien stammte und danach in Westdeutschland Karriere als Musiker gemacht hatte. Eines nachts hatte er eine Stimme gehört, die ihm mitteilte, das er der Auserwählte sei. Er wusste zwar nicht zu welchem Auserwählten man ihn ausgeguckt hatte, doch daraufhin wurde er gläubig und verschwand von heute auf morgen nach Chile. Er eröffnete eine Praxis für Wunderheilung, die vom Chilenischen Gesundheitsministerium anerkannt wurde und praktizierte dort höchst erfolgreich. Durch Mundzu-Mund-Propaganda und durch Twitter, Facebook und www.thewonderhealer.com wurde er immer bekannter. Als er dann auch noch dem alternden Hollywoodstar Dick van Dyck von seiner Fresssucht befreite und der amerikanischen Volksdiva Diana Zukkowski nur durch Handauflegen die Brust vergrößerte und die Presse davon Wind bekam, konnte er sich vor Anfragen kaum noch retten. Er heilte nahezu alle Krankheiten. Und zwar mit den merkwürdigsten Methoden. Bei Migräneanfällen stopfte er den Patienten Knetgummi in alle Körperöffnungen – geheilt. Krampfadern zog er mit einer Pipette aus den Beinen – geheilt. Und Mundgeruch bekämpfte er mit einer Gurgelbrühe aus Harzer Käse und Ammoniak. Der Terminkalender vom ehemaligen rumänischen Musiker, der jetzt als Hoffnungsträger aller Unheilbaren galt, war prall gefüllt. Gisela wandte sich mit ihrem Anliegen trotzdem an Dammdammovic und bat um einen Termin.

In der Zwischenzeit wuchs der Pickel auf ihrer Nase immer weiter. Er war mittlerweile fast so groß wie ein Tennisball. An einem warmen Sommertag hatte ihr Mann Heinrich eine Idee. Als er von der Arbeit nach Hause kam, bat er seine Frau sogleich ins Schlafzimmer. Er ließ die Jalousien herunter, löschte das Licht und band seiner Frau die Augen mit einem Handtuch zu.

«Was machst du da, Heinrich?», wollte Gisela von ihrem Angetrauten wissen.

Sie bemerkte, dass irgendetwas Feuchtes mit ihrem Gesicht in Berührung kam. Es fühlte sich zumindest nass an. Nach einer Behandlung von sieben Minuten spürte sie, dass ihr Mann sie auf die Stirn küsste und sagte: «Top! Fertig! So, liebste Gisela, jetzt kannst du mal schauen.»

Heinrich knipste das Licht wieder an und hielt seiner Frau einen Taschenspiegel entgegen.

«Heinrich, was soll das?», fragte sie erbost.

Sie sah sich an. Frau im Spiegel sozusagen. Aber eher wohl Clown im Spiegel, denn Heinrich hatte seiner Gattin den Riesenpickel auf der Nase rot angemalt und ihr Gesicht mit weißer Schminke getüncht.

«Und?», fragte er Gisela, «was sagst du?»

«Darüber können wahrscheinlich andere lachen, ich aber nicht. Oh du mein Heinrich, ich bin so unglücklich.»

Die einst so hübsche Frau weinte bitterlich. Es musste was geschehen.

Als Gisela schon gar nicht mehr an die Anfrage an den Wunderheiler dachte, bekam sie an einem trüben Novembertag eine E-Mail von Angelo Abdul Don Dammdammovic. Er interessiere sich sehr für ihre Krankheit und schlug ihr drei Termine zur Auswahl vor.

Gisela konnte es kaum glauben. Die Nase war mittlerweile ein einziges Furunkel. Dick, rot und eitrig. Als sie in den Flieger nach Chile eincheckte, wäre sie fast nicht durch die Sicherheitsschleuse am Hamburger Flughafen gekommen, weil man annahm, es befände sich eine Bombe auf der Nase. Aber sie schaffte es doch noch, die Security-Beamten von der Echtheit ihres Pickel zu überzeugen. Gisela hatte eine dunkle Sonnenbrille auf und band sich einen schwarzen Schal um, der ihren Schandfleck unsichtbar machte.

Am Flughafen in Santiago de Chile angekommen, nahm Gisela Wegstein ein Taxi, um in die Praxis des Wunderheilers, die nur 15 Kilometer vom Airport entfernt war, zu gelangen.