Wer sind Sie wirklich, Mylord? - Sarah Mallory - E-Book

Wer sind Sie wirklich, Mylord? E-Book

SARAH MALLORY

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Beschreibung

"Mein Name ist James Victor." Unter falschem Namen umwirbt Viscount Gilmorton die unscheinbare Miss Deborah Meltham. Er will sie verführen und entehren, um sich auf diese Weise an ihrem Bruder, Lord Kirkster, zu rächen. Doch Deborahs Liebreiz lässt den rachsüchtigen Viscount zögern: Soll er ihr das wirklich antun? Aber noch bevor er sich entscheidet, wird seine wahre Identität enthüllt und sein finsterer Plan fliegt auf! Statt zärtlicher Hingabe sieht Gil plötzlich tiefbeschämt bittere Tränen in Deborahs schönen smaragdgrünen Augen …

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Seitenzahl: 369

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IMPRESSUM

HISTORICAL MYLADY erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2017 by Sarah Mallory Originaltitel: „Pursued for the Viscount’s Vengeance“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL MYLADYBand 595 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Übersetzung: Gisela Grätz

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733736842

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, TIFFANY

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1. KAPITEL

Dies also war seine Beute. Miss Deborah Meltham.

Gil stand ein wenig abseits des Gedränges an einer Wand im Hintergrund des Versammlungssaals; dort, wo das Licht der funkelnden Kristalllüster ein wenig gedämpfter war. Von hier aus konnte er ungestört beobachten, wie die junge Dame an der Seite ihres Bruders zur Tanzfläche schritt. Die beiden sahen einander frappierend ähnlich, obwohl Randolph Meltham, Baron Kirkster, seine Schwester um gut einen Kopf überragte. Mit seinem welligen, dichten blonden Haar, das er aus der Stirn gekämmt trug, und der modisch eleganten Abendgarderobe war er ein durchaus attraktiver Bursche, wie Gil einräumen musste. Aber obwohl der junge Lord Kirkster bemerkenswert gut tanzte, strahlte er eine eigentümliche Teilnahmslosigkeit aus und gleichzeitig eine Unruhe, als wäre er am liebsten woanders. Der Inbegriff des düsteren Helden, wie man ihn in Byrons Werken findet, dachte Gil spöttisch und wandte seine Aufmerksamkeit Deborah Meltham zu.

Soweit es das schlichte Abendkleid aus grünem Musselin erkennen ließ, hatte sie eine gute Figur, war jedoch gertenschlank. Zu schlank. Ganz und gar nicht sein Typ. Ein freudloses Lächeln zuckte um seine Mundwinkel, als er sich bewusst machte, wie nichtssagend die häufig gebrauchte Redewendung in seinem Fall war. Für ihn gab es keinen bevorzugten Frauentyp. Seiner Überzeugung nach sollten Soldaten nicht heiraten, und er war Soldat. War es jedenfalls gewesen. Nun, da er seinen Abschied genommen hatte, würde er sich wohl irgendwann eine Gattin suchen, aber ihm schwebte eine Vernunftehe vor – für beide Beteiligten. Gefühle brauchten dabei keine Rolle zu spielen. Seiner Erfahrung nach brachte Liebe ohnehin nur Verlust und unerträglichen Schmerz mit sich.

Sein derzeitiges Vorhaben hatte nichts mit Ehe und Werbung zu tun. Vielmehr ging es darum, einen Schwur zu erfüllen, den er getan hatte und der für ihn die einzige Möglichkeit war, die inneren Qualen, die ihn zu zerfressen drohten, zu lindern. Seit seinem Abschied vom Militärdienst im letzten Sommer hatte er sich von der Gesellschaft zurückgezogen, sich seinem Schmerz überlassen und seine Rache geplant. Nur daher rührte sein Interesse an Deborah Meltham. Aufs Neue wandte er ihr seine Aufmerksamkeit zu.

Mit ihren regelmäßigen Zügen wäre sie wohl recht hübsch gewesen, hätte sie ihr Haar etwas gefälliger frisiert, anstatt es zu einem strengen Knoten aufzustecken. Sie trug keinerlei Schmuck, und ihr Kleid war langärmelig und hochgeschlossen. Eine Frau, die nichts auf ihr Äußeres hielt, wie Gil gnadenlos feststellte. Nicht im Mindesten attraktiv. Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als Lord Kirkster seine Schwester ansprach. Sie hob den Kopf, lächelte, und eine verblüffende Verwandlung ging mit ihr vor. Mit einem Mal wirkte ihr Antlitz lebhaft, und ein mutwilliges Funkeln zeigte sich in ihren grünen Augen. Gil sah sich gezwungen, seine Meinung zu ändern. Zögernd räumte er ein, dass sie mehr als hübsch war.

Er spürte, wie sich etwas in seinem Brustkorb zusammenzog und er plötzlich vollkommen fasziniert war. Das prüde Kleid und die strenge Frisur verbargen eine ausnehmend schöne Frau.

Was ihm zupasskommen würde, wenn er sie umwarb.

Das Aufflackern von Widerwillen, das sich bei dem Gedanken in ihm einstellte, ignorierte er entschlossen. Immerhin war sie die erste Frau, die er verführen würde, im Unterschied zu seinen Kameraden, von denen er wusste, dass sie es in den zehn Jahren der gemeinsam verbrachten Dienstzeit unzählige Male getan hatten. Für derartige Bubenstücke hatte er ebenso wenig übrig wie für Romantik: Seiner Meinung nach gehörten Gefühle nicht in ein Soldatenleben. Nicht dass es ihm an Angeboten von Frauen gemangelt hätte, die bereit waren, sich ihm an den Hals zu werfen und sein Bett zu teilen. Mit einigen hatte er es getan, allerdings nur solchen, die die Regeln kannten und wussten, dass er nicht mehr als ein flüchtiges Abenteuer suchte. Seine Liaisons dauerten nie lange, und wenn sie endeten, pflegte er sich großzügig zu zeigen, um die Enttäuschung abzumildern.

Im Fall von Deborah Meltham jedoch lagen die Dinge anders. Es würde ihm kein Vergnügen bereiten, aber es musste sein. Er hob die Hand an die Wange und strich mit den Fingerspitzen über die weißliche, gezackte Linie, die bis zu seinem Kinn reichte. Vielleicht machte die Narbe die Sache komplizierter, zumal er weder seinen Titel noch seinen Reichtum einzusetzen gedachte, um die Dame zu betören. Aber das würde sich zu gegebener Zeit herausstellen.

Die Musik verklang, und er beobachtete, wie Miss Meltham das Parkett an der Seite ihres Bruders verließ. Der Blick, den die beiden tauschten, bestätigte, dass sie einander innig zugetan waren. Ihre Schmach, ihr Ruin würde ihren Bruder hart treffen. Nach allem, was Gil herausgefunden hatte, war die einzige Möglichkeit, an Kirkster Vergeltung zu üben, seine Schwester. Der Kerl hatte den größten Teil seines ererbten Vermögens verspielt, doch allem Anschein nach machte er sich wenig daraus. Es war seine Schwester, die den drohenden Bankrott und die damit einhergehende Schande von ihm fernhielt. Deborah schien der einzige Mensch zu sein, an dem Kirkster etwas lag. Gil wandte sich ab und schob seine Skrupel beiseite. Er musste es tun. Kirkster zum Duell zu fordern wäre keine ausreichende Strafe. Er sollte leiden, wie Gil gelitten hatte. Und wenn der Schurke ihn forderte, weil er seine Schwester ruiniert hatte, würde es Gil ein Vergnügen sein, ihm eine Kugel ins Herz zu jagen.

Und Deborah Meltham?

Wieder erstickte Gil seine Gewissensbisse, die ohnehin nur ein Flüstern waren, das er leicht missachten konnte. In seiner Zeit als Soldat hatte er weitaus schlimmere Verletzungen aushalten müssen als alles, was er nun zu tun plante. Immerhin war es nicht so, dass er der Frau tatsächliche Schmerzen bereiten würde. Er würde sie nur mit einem gebrochenen Herzen und dem Verlust ihrer Tugend zurücklassen. Und er hatte nicht vor, sie zu zwingen. Sie würde sich ihm freiwillig hingeben, doch ihre Verführung war seine Rache an ihrem Bruder. Auge um Auge, ein beschädigter Ruf für ein verlorenes Leben. Zwei verlorene Leben.

Sogar drei, wenn man das ungeborene Kind dazurechnete.

Deborah verspürte ein Prickeln im Nacken und wagte einen verstohlenen Seitenblick. Da war er wieder, der Fremde, der etwas abseits stand, dort, wo es ein wenig schummrig war, und sie beobachtete. Sie hatte ihn noch nie im hellen Licht gesehen, doch sie war sich seiner Anwesenheit bewusst, konnte seine Gegenwart beinahe körperlich spüren. Als der Tanz zu Ende war und ihr Bruder sie von der Tanzfläche führte, sah sie sich unauffällig um. Ja, die hochgewachsene Gestalt, die sie in den vergangenen Wochen schon mehrmals in der Stadt bemerkt hatte, lehnte an der Wand. Der Unbekannte hielt Abstand und drehte sich jedes Mal just in dem Moment, wenn sie ihn erblickte, um oder verschwand in einer Toreinfahrt. Er war schlicht gekleidet, doch angesichts der Selbstsicherheit, die er ausstrahlte, hätte sie gewettet, dass es sich um einen vermögenden Mann handelte.

Nicht zum ersten Mal überlegte sie, ob sie Ran von ihm erzählen sollte, aber was hätte sie sagen können? Dass der Fremde ihr mehrfach aufgefallen war? Der Mann hatte sie nicht belästigt, sie hatte ihn nicht einmal dabei ertappt, dass er sie angaffte. Genau besehen war er ihr nie nahe gekommen, aber irgendwie schien ihr Körper es zu erahnen, wenn er anwesend war. Sie konnte ihn spüren wie ein Tier, das Gefahr witterte.

Wenn sie Randolph davon erzählte, würde er sie auslachen und das Ganze als weibliche Überspanntheit abtun. Und vielleicht war es das auch. Deborah drückte ihrem Bruder den Arm.

„Randolph, die Kapelle spielt noch einen Ländler. Wollen wir nicht zurück auf die Tanzfläche?“

Ihr Bruder schüttelte den Kopf. „Auf keinen Fall. Ich habe meine Pflicht erfüllt und zweimal mit dir getanzt. Jetzt gehe ich ins Kartenzimmer.“

„Aber du bist so ein guter Tänzer. Könntest du nicht eine Ausnahme machen?“

Randolph grinste. „Nein, liebe Schwester, könnte ich nicht. Ich will Karten spielen.“

Sie wusste, dass seine gute Laune mir nichts, dir nichts umschlagen konnte, also widersprach sie nicht, sondern sagte fröhlich: „Prima. Dann komme ich mit und sehe dir zu. Wenn du nichts dagegen hast, heißt das.“

„Habe ich nicht, aber dir wird langweilig werden. Würdest du nicht lieber tanzen?“

Es war Deborah inzwischen zur Gewohnheit geworden, das, was sie lieber tat, hintanzustellen, dass sie nicht einmal mehr zögerte.

„Wenn ich nicht mit dir tanzen kann, nicht.“

„Dann komm, Schwesterherz. Ich nehme dich mit als Maskottchen.“

Sie hakte sich bei ihm unter, doch seinem entschlossenen Gesichtsausdruck konnte sie entnehmen, dass er ihre Existenz praktisch vergessen hatte, noch ehe sie das Kartenzimmer betraten.

Sie verfolgte die Partie und hob Einhalt gebietend die Hand, wenn die Bediensteten Randolph nachschenken wollten. Zu ihrer Erleichterung war es bei der heutigen Abendgesellschaft gefahrlos für ihren Bruder, Karten zu spielen. Die Gentlemen, die um den Tisch versammelt saßen, kannten Randolph und sie von Kindesbeinen an. Sir Geoffrey hatte ein Auge darauf, dass die Einsätze ein gewisses Maß nicht überschritten, und sie konnte sicher sein, dass der alte Mr. Appleton das Spiel unterbrechen würde, wenn Randolph zu hohe Verluste machte. Es galt also lediglich, darauf zu achten, dass er nicht zu viel trank, denn wenn er es tat, wurde er bedenkenlos. Als Randolph jedoch eine weitere Flasche bestellte, brachte sie ihn nicht in Verlegenheit, indem sie ihn öffentlich rügte. Sie konnte nur hoffen, dass er des Spielens überdrüssig wurde und sie bald nach Hause brachte.

Ohne ihren Unmut zu zeigen, blieb sie an seiner Seite, während der Abend voranschritt. Je mehr Randolph trank, desto riskanter spielte er. Je höher seine Verluste wurden, desto deutlicher zeigte sich die steile Falte auf seiner Stirn, aber selbst als er ein weiteres schlechtes Blatt auf den Tisch warf, verlor sie kein Wort. Stattdessen wedelte sie mit ihrem Fächer.

„Du lieber Himmel, wie stickig es hier drinnen ist! Man könnte glauben, es wäre Hochsommer und nicht erst März. Lieber Bruder, ich weiß nicht, wie du es schaffst, dich zu konzentrieren, aber mir ist ganz blümerant von der Hitze.“

„Tatsächlich?“ Randolph sah nicht einmal auf. „Dann fahr ruhig nach Hause, wenn du möchtest. Nimm die Kutsche, ich komme später nach.“

Deborah zwang sich, trällernd zu lachen, beugte sich zu ihm vor und berührte seinen Arm. „Aber Ran, ich kann nicht ohne dich gehen, das weißt du doch. Ich würde keine Ruhe finden, ehe du nicht sicher zu Hause bist.“

Er schüttelte ihre Hand ab und schoss ihr einen finsteren Blick zu.

„Ich habe eingewilligt, in dieses gottverlassene Nest zu ziehen“, murmelte er. „Reicht dir das nicht? Musst du mir auch noch rund um die Uhr an den Fersen kleben?“

„Randolph, das ist nicht …“

Mit einem Schrammen schob er seinen Stuhl zurück.

„Wenn Sie mich dann entschuldigen wollen, Gentlemen. Meine Schwester ist müde und muss nach Hause.“

Er lächelte, aber Deborah wusste, dass er wütend war. Sie konnte es an seinen zusammengepressten Lippen sehen.

„Selbstverständlich, mein Junge, gehen Sie nur.“ Der alte Mr. Appleton entließ ihn mit einer Handbewegung, dann griff er nach einem neuen Kartendeck. „Ihre Revanche können Sie nächste Woche haben.“

„Auf jeden Fall, Sir. Deborah, meine Liebe, komm.“

Nach außen hin gab Randolph den besorgten Bruder, doch als Deborah seine ausgestreckte Hand nahm, war sein Griff alles andere als sanft. Egal. Sie würde seine schlechte Laune ertragen, wenn er nur mitkam. Schweigend und mit aufgesetztem Lächeln begleitete sie ihn aus den Gesellschaftsräumen.

„Werden Euer Lordschaft die Kutsche brauchen?“

„Nein, Harris, heute gehe ich zu Fuß in die Stadt.“ Gil warf seinem Kammerdiener einen warnenden Blick zu. „Und hören Sie auf, mich ‚Euer Lordschaft‘ zu nennen. Solange wir uns in Fallbridge aufhalten, bin ich ganz schlicht Mr. Victor.“

„Mit Verlaub, Mylord … Sir“, korrigierte Harris sich eilig, „aber wir sind schon viel zu lange hier.“

Gil kontrollierte den aufwändig geschlungenen Knoten seines Krawattentuchs und tat so, als hätte er nichts gehört. Das war das Problem mit alten Bediensteten, man konnte sie nicht tadeln, wenn sie ihre Meinung äußerten. Und John Harris war mehr als ein Bediensteter, er hatte als Sergeant in Gils Regiment gedient. Mehr als einmal hatten sie dem Tod ins Auge gesehen, zuletzt auf dem blutigen Schlachtfeld von Waterloo. John befolgte Gils Befehle ohne Widerrede, doch das hielt ihn nicht davon ab, seine Ansichten kundzutun, wenn er etwas missbilligte. Und Gils jüngsten Plan missbilligte er sehr.

„Wünschen Sie, dass ich Sie begleite?“ Harris sah ihn fragend an. „Wenn dieser Kirkster herausfindet, wer Sie sind, kann er Ihnen gefährlich werden.“

„Mein lieber John, der Kerl hat keine Ahnung, wer ich bin, und er wird es auch nicht erfahren, ehe ich mit ihm fertig bin. Außer natürlich, Sie plaudern es aus“, konnte Gil sich nicht enthalten hinzuzufügen.

„Nun, mir ist die Sache nicht geheuer, warum sollte ich das verschweigen? Ohnehin verstehe ich nicht, warum Sie den Mann nicht einfach fordern und ihm eine Kugel durch den Kopf jagen.“

Der Knoten des Krawattentuchs fand Gils Zustimmung. Dennoch fuhr er fort, in den Spiegel zu starren.

„Das wäre ein zu gnädiger Tod für ihn. Er soll wissen, wie es sich anfühlt, wenn man ohnmächtig zusehen muss, wie ein Mensch, den man liebt, Qualen leidet.“

„Ein solches Verhalten sieht Ihnen so gar nicht ähnlich, Sir, das ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Ich kenne Sie als jemanden, der sich nicht verstellt, und was Sie jetzt vorhaben, ist das ganze Gegenteil dessen.“ Ohne sich umzudrehen, wusste Gil, dass Harris den Kopf schüttelte. „Schlichte, geradlinige Vergeltung könnte ich verstehen, aber dieses hinterlistige Vorgehen …?“

„Wenn es Sie stört, John, können Sie jederzeit nach Gilmorton zurückfahren und dort auf mich warten.“

„Und zusehen, wie Ihre Mutter vor Sorge umkommt, weil Sie ganz auf sich gestellt sind? Nein, Mylord, das werde ich nicht tun. Ich bin Ihr Kammerdiener, und ich bleibe bei Ihnen bis zum Schluss. Wie immer der aussehen mag.“

Harris beendete seine düstere Ankündigung mit einem lauten Seufzen, und Gil musste grinsen. Er drehte sich um und legte dem Kammerdiener die Hand auf die Schulter.

„Und ich bin froh, Sie bei mir zu haben, John. Das meine ich ernst. Also, Sie bleiben hier und hören sich im Schankraum um, was man sich so über Kirkster und seine Schwester erzählt, während ich mich aufmache und mir anschaue, was Fallbridge an einem Markttag zu bieten hat.“

Es war ein sonniger Vormittag, und der Spaziergang vom Gasthof zum Marktplatz dauerte nicht lange. Gil hatte seine Garderobe sorgfältig ausgewählt, einen schlichten Gehrock aus rostbraunem Wollstoff, dazu hirschlederne Breeches und Stiefel, die einem Landedelmann alle Ehre gemacht hätten. Nur jemand, der ganz genau hinsah, konnte erkennen, dass es sich um erstklassige Kleidungsstücke handelte, wie sie nur von den besten Herrenschneidern in London gefertigt wurden, ebenso wie die glänzenden Stulpenstiefel nur von einem so exklusiven Schuhmacher wie dem an der Ecke Piccadilly und St. James’s Street stammen konnten. Auch der elegante Hut mit der gebogenen Krempe und die makellose cremefarbene Weste mit dem schneeweißen Hemd darunter waren unverkennbare Ausweise eines modebewussten Mannes.

Er war nun seit zwei Wochen in Fallbridge, machte sich mit der Gegend vertraut, hatte es indes nicht eilig, sich Lord Kirkster oder seiner Schwester zu nähern. Kirkster hatte er ein paar Mal in ortsansässigen Tavernen gesehen, außerdem bei der Gesellschaft im Red Lion am vergangenen Abend, Deborah Meltham dagegen lief ihm regelmäßig über den Weg, wenn er in der Stadt war. Sie schien in Fallbridge allgemein respektiert zu sein und verbrachte viel Zeit mit Wohltätigkeitsbesuchen oder Aufwartungen bei den Nachbarn. Gelegentlich begegnete er ihr, wenn sie Besorgungen für den Haushalt erledigt hatte und sich auf dem Rückweg nach Kirkster House befand, dem beeindruckenden Anwesen der Familie, das in der Ormskirk Road am Stadtrand lag. Die Hutmacherin und den Kurzwarenhändler suchte sie selten auf, und Gil nahm an, dass sie wenig Interesse an Frivolitäten wie Hüten und Bändern hatte.

In der Regel war sie allein unterwegs, hatte nicht einmal eine Zofe bei sich. Sie strahlte eine Verschlossenheit aus, eine Reserviertheit, fast als hätte sie die bewusste Entscheidung getroffen, die Welt um keinen Preis an sich heranzulassen. Gil fragte sich, ob sie sich einsam fühlte, verdrängte seine plötzliche Anwandlung von Mitgefühl jedoch entschieden. Wenn dies der Fall war, würde sie umso empfänglicher für seine Annäherung sein.

Ein unerwartetes Frösteln befiel ihn. Er schrieb es dem böigen Wind zu und hielt seinen Hut fest, damit er ihm nicht fortflog. Den Kopf gesenkt, beschleunigte er seine Schritte in Richtung Ortskern. Die hohen Gebäude dort würden ausreichend Schutz vor dem Wind bieten. Als er um die Ecke in die Hauptstraße einbog, wäre er um ein Haar mit einer entgegenkommenden Gestalt zusammengestoßen. Es war eine Frau, wie er im nächsten Moment erkannte, als sein Blick auf die zierlichen Stiefeletten und die schlichten Röcke aus zweckmäßigem Baumwollstoff fiel. Sie blieben beide abrupt stehen, dann hörte er ein leises „Oh“ und sah, wie ein in braunes Packpapier gewickeltes Päckchen zu Boden fiel.

„Entschuldigen Sie.“ Ohne zu überlegen, bückte er sich danach, und erst als er sich aufrichtete, um es zurückzugeben, blickte er seinem Gegenüber ins Gesicht. Es war Miss Deborah Meltham.

In Gedanken verloren, noch dazu in Eile, den Schal zurückzubringen, den ihre liebe Freundin Lady Gomersham ihr geliehen hatte, wäre Deborah beinahe mit einem entgegenkommenden Passanten zusammengeprallt und hielt abrupt inne. Als der Gentleman sich bückte und ihr Päckchen aufhob, murmelte sie eine Entschuldigung, doch erst als er sich aufrichtete und sie ansah, erkannte sie ihn.

Als hätte sie noch nie etwas von guten Manieren gehört, starrte sie den Mann an, während er ihr das Päckchen aushändigte. Wochenlang war er für sie nicht mehr als ein schemenhafter Umriss gewesen, doch nun bot das Schicksal ihr die Möglichkeit, ihn genauer zu betrachten, und sie ergriff die Gelegenheit beim Schopf und nahm jedes Detail seiner Erscheinung in sich auf: das fast schwarze Haar, die schiefergrauen Augen unter den geschwungenen dunklen Brauen, den ernst zusammengepressten Mund und das Grübchen im Kinn. Sein schmales Gesicht war zu kantig, um als schön bezeichnet zu werden, und außerdem hatte er eine entstellende schmale Narbe, die über die linke Wange von der Schläfe bis zum Kinn verlief.

Ihre sämtlichen bösen Ahnungen bestätigten sich, als sie ihm ins Gesicht sah. Ein Mann, der gerade beinahe mit einer Fremden zusammengestoßen war, blickte anders drein. Nicht so durchdringend, dass sie unwillkürlich zu zittern begann und ihr Herzschlag sich beschleunigte. Im nächsten Moment trat er höflich lächelnd einen Schritt zurück, tippte sich an die Hutkrempe und ging weiter. Deborah umklammerte das Päckchen und blieb wie angewurzelt stehen. Sie atmete tief durch, um ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen, und zwang sich, sich nicht umzudrehen. Ihm nicht hinterherzustarren. Alle Willenskraft zusammennehmend, schaffte sie es, um die Ecke zu gehen, außer Sichtweite, doch für den Rest des Tages hatte sie das Bild seiner ernsten, strengen Züge vor dem inneren Auge. Der Mann mit der Narbe.

So ein Pech. Den unglücklichen Zufall verwünschend, ging Gil eilig davon. Er hatte geplant, Deborah Melthams Bekanntschaft erst dann zu machen, wenn er genug über sie in Erfahrung gebracht hatte. Schließlich musste er wissen, woran er war, wenn er sie erfolgreich umgarnen wollte. Immerhin hatte er noch nie zuvor eine Frau gezielt verführt und beabsichtigte, jeden einzelnen Zug planvoll auszuführen wie eine militärische Operation, um sicherzustellen, dass er das erwünschte Ergebnis erzielte.

Er runzelte die Stirn, als er an ihre Reaktion auf die unerwartete Begegnung dachte. Erst hatten sich Schreck und Verlegenheit in ihren Zügen gezeigt, wie es ganz normal war bei einem derart unverhofften Aufeinandertreffen, doch als sie den Blick gehoben hatte, war da noch etwas anderes sichtbar geworden. Sie hatte ihn erkannt. Verdammt. Dabei war er so vorsichtig vorgegangen, hatte Abstand gewahrt und sich im Hintergrund gehalten, wenn er sie beobachtet hatte. Doch anscheinend war er nicht vorsichtig genug gewesen. Nach dem unvorhergesehenen Ereignis konnte er es nicht länger aufschieben zu handeln, also ging er am besten umgehend zu Werke. Suchend ließ er den Blick über das Gedränge auf dem Marktplatz schweifen und setzte sich in Bewegung, als er den älteren Gentleman entdeckte.

„Sir Geoffrey, einen schönen guten Tag für Sie.“ Er tippte sich an den Hut, lächelte höflich, und als der Mann ihn verständnislos ansah, fügte er hinzu: „James Victor. Wir haben uns gestern Abend im Kartenzimmer des Red Lion kennengelernt, wie Sie sich sicher erinnern werden.“

„Ach ja, Mr. Victor. Ihnen auch einen guten Tag, Sir.“ Der ältere Gentleman strahlte ihn an. „Jetzt fällt es mir wieder ein! Geschäftlich in der Gegend, nicht wahr?“

„Nein, nein. Ich habe vor, ein Anwesen zu kaufen.“

„Und das ist das Beste, was Sie tun können, Sir, wie ich Ihnen versichern darf!“ Sir Geoffrey schloss sich ihm an. „Haben Sie sich denn schon etwas angesehen?“

Gil zählte ein paar Häuser auf, stellte ein paar Fragen, und im Handumdrehen hatte er den Älteren dort, wo er ihn haben wollte.

„Nun, wenn es Ihnen ernst ist damit, junger Mann, werden Sie vielleicht ein paar Ihrer zukünftigen Nachbarn kennenlernen wollen. Meine Gattin veranstaltet morgen Abend eine kleine Party. Nichts Großartiges, wissen Sie, nur ein paar Kartentische, und vielleicht wird auch ein bisschen getanzt. Gomersham Lodge, am Ende der Mill Lane.“

„Es wäre mir ein Vergnügen, aber … wird Lady Gomersham nichts dagegen haben, wenn ein Fremder bei ihrer Gesellschaft auftaucht?“

„Im Gegenteil, es wird sie freuen, einen weiteren Gentleman dabeizuhaben …“ Sir Geoffreys blasse Augen funkelten fröhlich. „Und wenn Sie für ein, zwei Tänze zur Verfügung stehen, freut sie sich noch mehr!“

Gil ließ sich überzeugen, wechselte noch ein paar Worte mit Sir Geoffrey, dann ging er seiner Wege. Er konnte zufrieden sein mit dem, was er an diesem Vormittag erreicht hatte. Als er Miss Meltham das Päckchen zurückgegeben hatte, war sein Blick zufällig auf die Adresse gefallen: Das Päckchen war für Lady Gomersham bestimmt. Höchstwahrscheinlich würde Miss Meltham also morgen ebenfalls da sein.

Erst später, beim Rasieren, als er in den Spiegel sah, fiel ihm auf, dass er keine Abscheu in Miss Melthams klaren grünen Augen hatte erkennen können, als ihre Blicke sich begegnet waren. Sie schien seine Narbe kaum bemerkt zu haben.

2. KAPITEL

Zu Deborahs Erleichterung saß Randolph am nächsten Morgen am Frühstückstisch und schien guter Laune zu sein. Sie begrüßte ihn mit einem Kuss auf die Wange, dann nahm sie neben ihm Platz.

„Lady Gomersham gibt heute Abend eine kleine Party bei sich zu Hause. Wir sind eingeladen.“ Sie bemühte sich, unbefangen zu klingen, aber nicht übereifrig. „Sollen wir hingehen, Ran?“

„Wenn du möchtest, geh ruhig.“

„Das werde ich machen.“ Deborah nickte. „Lizzie ist von ihrer Reise nach London zurück. Sie war bei ihrer Tante. Ich habe sie gestern gesehen, als ich etwas bei den Gomershams abgegeben habe. Ich muss sagen, sie stellt uns alle in den Schatten.“ Sie lachte leise und passte genau auf, ob ihr Bruder auch nur den leisesten Anflug von Interesse erkennen ließ. Elizabeth Gomersham war zwei Jahre jünger als Randolph, doch während die beiden früher eine enge Freundschaft verbunden hatte, zeigte er inzwischen keinerlei Begeisterung mehr bei der Aussicht, sie wiederzusehen.

„Diese provinziellen Partys sind immer so stumpfsinnig. Kannst du nicht ohne mich hingehen?“

Sie formulierte ihre Antwort sehr vorsichtig.

„Natürlich könnte ich das, aber wir kennen die Familie schon so lange, und Lady Gomersham fragt jedes Mal nach dir. Ich weiß, sie wäre entzückt, wenn du die ein oder andere ihrer Gesellschaften mit deiner Gegenwart beehren würdest.“

Randolph zuckte achtlos mit den Schultern.

„Nun ja, wie du willst. Solange der Brandy erträglich ist, erhebe ich keine Einwände.“

Damit musste sie sich zufriedengeben. Hoffentlich verschlechterte sich seine Laune im Laufe des Tages nicht, denn dann würde er die Verabredung wahrscheinlich absagen.

Gomersham Lodge war ein gepflegtes, ansehnliches Anwesen und von dem Gasthof aus, in dem Gil Quartier genommen hatte, fußläufig erreichbar, doch um Eindruck zu machen, würde er sich in seiner Kutsche bis vor die Tür bringen lassen. Während er seine schwarzen Kniehosen und den schwarzen Frackrock anzog, die obligatorische Kleidung für eine formelle Abendveranstaltung, bat er seinen Kammerdiener, ihm zu berichten, was er über die Melthams herausgefunden hatte.

„Es gibt nur die beiden, Mylord, den jungen Lord Kirkster und seine Schwester. Das Haus in Fallbridge befindet sich seit vielen Generationen im Besitz der Familie. Die Einheimischen erzählen nicht viel über sie. Um sie zu schützen, würde ich vermuten, wie es oft der Fall ist auf dem Lande, wenn die Ortsansässigen jemanden als ihresgleichen betrachten. Ursprünglich kamen die Melthams aus Liverpool. Sie haben ihr Vermögen mit Zucker gemacht, wie ich hörte. Der Vater starb vor vier Jahren, und wie es scheint, nimmt der neue Baron Kirkster seine Verantwortung nicht sonderlich ernst. Die verwitwete Lady Kirkster zog mit ihrer Tochter hierher, folgte ihrem Ehemann jedoch nach kurzer Zeit schon ins Grab, und seitdem lebt Miss Meltham in Fallbridge.“

„Hat die junge Dame keinen Verehrer?“

„Es wurde keiner erwähnt. Sie ist vierundzwanzig, Mylord. Ich denke, sie hat ihre Chance verpasst.“

„Nicht unbedingt.“

Verärgert von der Unterstellung, dass Miss Meltham ihre beste Zeit bereits hinter sich haben sollte, hatte Gil einen schärferen Ton angeschlagen als beabsichtigt. Immerhin war sie ausgesprochen hübsch. Jedenfalls, so korrigierte er sich im Stillen, würden die meisten Männer das von ihr behaupten.

Als er in Gomersham Lodge eintraf, hielt Sir Geoffrey bereits Ausschau nach ihm. Er stellte ihn umgehend Lady Gomersham vor, einer rundlichen, fröhlichen Frau, die ihn herzlich begrüßte und ihm viel Vergnügen wünschte. Sein Gastgeber schien entschlossen zu sein, ihn jedem einzelnen Anwesenden im Raum bekannt zu machen, doch da dies der erklärte Grund für sein Hiersein war, ließ Gil die Prozedur geduldig über sich ergehen. Zum Schluss dirigierte Sir Geoffrey ihn schließlich zu einem Paar, das etwas abseits der anderen stand. Es waren Miss Deborah Meltham und ihr Bruder, Lord Kirkster.

Sobald sie einander vorgestellt worden waren, erwähnte Gil seine kürzliche Begegnung mit Miss Meltham.

„Wie ausgesprochen nachlässig von mir, nicht besser auf den Weg geachtet zu haben“, beendete er seine Bemerkung lächelnd. „Ich hoffe, das Päckchen wurde nicht beschädigt, als es zu Boden fiel?“

„Nein, Sir, überhaupt nicht. Ich bitte Sie, machen Sie sich keine Gedanken.“

Ihre Hand zitterte, als sie sie zu ihrer Schulter hob und geistesabwesend den Puffärmel ihres Kleides befingerte. Ob die Narbe an seiner Wange sie doch abstieß? Oder warum sonst wich sie seinem Blick aus? Vielleicht war sie gestern nur zu überrumpelt gelesen, um darauf zu achten. Er hatte schon die unterschiedlichsten Reaktionen auf sein entstelltes Gesicht erlebt, wenn er das erste Mal jemandem begegnet war, der ihn nicht kannte. Manche Menschen waren fasziniert, viele taten so, als bemerkten sie die Narbe nicht, doch die Art, wie sie beiseiteschauten, bewies etwas anderes. Gil hatte gelernt, damit zu leben.

Die Meinung der Leute war ihm egal, vor allem dann, wenn es seine zahlreichen körperlichen Narben betraf, und erst recht die, die man nicht sehen konnte. In dem einen Jahrzehnt Militärdienst hatte er an einigen der blutigsten Schlachten des Spanischen Krieges teilgenommen. Es war eine grausame Zeit gewesen, die ihm jede Feinfühligkeit, die er irgendwann einmal besessen haben mochte, ausgetrieben hatte. Man musste zäh sein, wenn man überleben wollte. Die harte Schale, die er sich zugelegt hatte, hielt vieles ab, und das sollte auch so bleiben. Das Einzige, was ihn zu berühren vermochte, war seine Familie, und darum hatten ihm die Neuigkeiten, mit denen er letzten Sommer bei seiner Rückkehr nach Gilmorton Hall konfrontiert worden war, so zugesetzt.

Insofern war es bedauerlich, wenn Deborah Meltham sein entstelltes Gesicht abstoßend fand, aber es war kein unüberwindliches Problem. Gil setzte ein passendes Lächeln auf und lauschte, wie der Gastgeber seine Anwesenheit in Fallbridge erklärte.

„Mr. Victor beabsichtigt, ein Anwesen in der Gegend zu kaufen …“ Eine plötzliche emsige Betriebsamkeit bei der Tür, als weitere Gäste eintrafen, zog Sir Geoffreys Aufmerksamkeit auf sich. Er murmelte eine hastige Entschuldigung und eilte davon.

„Sie könnten Kirkster House kaufen. Meinen Segen hätten Sie“, wandte sich der Besitzer der Liegenschaft mit einem unfrohen Auflachen an Gil.

„Randolph, bitte, sei still.“ Das Lächeln seiner Schwester wirkte angespannt. „Mein Bruder macht natürlich nur Spaß. Fallbridge ist ein angenehmer Wohnort, Mr. Victor, wie ich Ihnen versichern kann.“

„Verbringen Sie viel Zeit hier?“, fragte Gil höflich. „Ist es Ihr einziges Zuhause?“

„Ich lebe schon länger in Fallbridge. Mein Bruder erst seit letztem Jahr.“

Der junge Kirkster gab ein verdrossenes Schnauben von sich. „Trotzdem fühlt es sich wie eine Ewigkeit an.“

„Als Kinder verbrachten wir den Sommer in Kirkster House“, fiel Miss Meltham ihm hastig ins Wort. „Den Rest des Jahres lebten wir im Haus unserer Familie in Liverpool.“

Nicht einmal mit einem Zucken der Wimper verriet Gil, wie begierig er darauf war, mehr zu erfahren.

„Befindet sich das Haus noch in Ihrem Besitz?“

Miss Meltham sah beiseite. „Ja, aber ich fahre nicht mehr dorthin.“

„Was meine Schwester sagen will, ist, dass das Haus in der Duke Street ihr nicht mehr großartig genug ist“, mischte Kirkster sich ein.

„Und wann waren Sie das letzte Mal dort, Mylord?“ Gil schlug einen überaus beiläufigen Ton an.

„Ich habe in der Duke Street gewohnt, nachdem ich Oxford verließ. Dann kam ich her, um Deborah Gesellschaft zu leisten. Aber anders als in Fallbridge gibt es dort wenigstens etwas zu unternehmen, das kann ich Ihnen sagen!“

Gil hob die Brauen und versuchte höflich interessiert zu wirken, um Kirkster zu animieren, mehr zu erzählen. Doch Miss Meltham kam ihrem Bruder zuvor.

„Wenn Mr. Victor vorhat, hierherzuziehen, wird er lieber wissen wollen, was Fallbridge zu bieten hat.“ Ein Anflug von Röte überzog ihre Wangen, als hätte die rüde Bemerkung ihres Bruders sie in Verlegenheit gebracht. „Es gibt Klubs und Gesellschaften für jeden Geschmack. Wenn Sie sich für Geschichte interessieren, Sir – die Altertumsliebhaber treffen sich regelmäßig, und soweit ich weiß, kommt auch der Debattierklub einmal im Monat zusammen, nicht zu erwähnen die wöchentlichen Bälle im Red Lion.“

Als sie die Bälle erwähnte, begegnete ihr Blick für den Bruchteil eines Moments seinem, und Gil wusste, dass sie ihn dort gesehen hatte.

„Oh ja, ich habe neulich kurz hereingeschaut“, sagte er leichthin, „und eine Partie Karten gespielt.“

„Karten!“ Durch Lord Kirkster schien ein Ruck zu gehen. „Sind Sie ein guter Spieler?“

„Jedenfalls sagt man es mir nach.“

„Wirklich? Dann sollten wir vielleicht gleich die Probe aufs Exempel machen.“

„Lieber Bruder, du kannst Sir Geoffreys Gast nicht völlig mit Beschlag belegen. Schließlich ist Mr. Victor gerade erst gekommen! Und abgesehen davon hast du Lizzie Gomersham versprochen, mit ihr zu tanzen. Wenn Sie uns bitte entschuldigen wollen, Mr. Victor.“

Gil sah ihr hinterher, wie sie mit ihrem Bruder davonging. Wie von selbst heftete sich sein Blick auf die schwingenden Röcke ihrer fließenden Seidenrobe. Hatte er es sich bloß eingebildet, oder war es ihr tatsächlich gegen den Strich gegangen, über das Haus in der Duke Street zu reden? Jedenfalls hatte sie das Gespräch ziemlich schnell wieder auf das Thema Fallbridge gelenkt. Vielleicht wusste sie etwas über das Leben ihres Bruders in Liverpool. Zorn stieg in ihm auf, und er presste die Lippen zusammen. Die Geschehnisse dort würden kein gutes Licht auf den Namen der Familie werfen. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Sir Geoffrey auf ihn zu eilte. Es war Zeit, wieder in die Rolle des unschuldigen Besuchers zu schlüpfen. Er setzte ein Lächeln auf und wandte sich zu seinem Gastgeber um.

Als Randolph mit Lizzie Gomersham getanzt hatte, überredete Deborah ihn, einen schottischen Reel und einen Ländler mit ihr zu tanzen, doch danach verschwand er im angrenzenden Raum, in dem ein paar Kartentische aufgestellt worden waren, um eine Partie Whist zu spielen. Deborah wusste, dass er dort sicher sein würde, fand es aber dennoch schwierig, sich zu entspannen, weil sie kein Auge auf ihn haben konnte. Immer wieder irrte ihr Blick zu der offenen Flügeltür, und sie fragte sich, ob sie sich nicht doch zu ihm gesellen sollte.

Als unvermutet eine ruhige, tiefe Männerstimme hinter ihr ertönte, zuckte sie zusammen.

„Würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen, Miss Meltham?“

„Mr. Victor! Vielen Dank, aber ich …“

„Wenn Sie sagen wollen, dass Sie nicht tanzen, werde ich ­Ihnen nicht glauben können, fürchte ich.“ Er lächelte. „Ich ha­be gesehen, wie Sie mit Lord Kirkster getanzt haben.“ Sein Lächeln verblasste. „Aber vielleicht nehmen Sie Anstoß an meiner Narbe.“

„Nein, natürlich nicht.“ Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen, wie zum Beweis, dass sie die Wahrheit sprach. „Sir Geoffrey erzählte, Sie waren Soldat. Ist es während Ihres Militärdienstes passiert?“

„In der Tat. Um genau zu sein, traf mich der Säbelhieb eines französischen Kavalleristen bei Salamanca. Ich kann froh sein, dass es ein so sauberer Schmiss war und dass er keinen weiteren Schaden angerichtet hat.“

Sie erschauderte. „Sie können von Glück sagen, glaube ich.“

„Da haben Sie recht, Miss Meltham. Aber wir kommen vom Thema ab. Ich hatte Sie zum Tanz aufgefordert.“

Deborah zögerte, dann gewahrte sie das Funkeln in seinen Augen. Machte er sich über sie lustig, oder forderte er sie heraus? Sie war sich nicht sicher.

„Haben Sie Angst, mit mir zu tanzen?“, fragte er leise.

Genauso war es. Die Attraktion, die dieser Mann auf sie ausübte, war ihr nicht geheuer. Sie hatte sich noch nie so stark zu jemandem hingezogen gefühlt, nicht einmal zu dem Gentleman, der ihr den Hof gemacht hatte. Der behauptet hatte, sie zu lieben, und sich als verheerender Lügner erwiesen hatte.

Sie schüttelte die Erinnerung ab. Das Lächeln, das Mr. Victor ihr schenkte, löste ein beunruhigendes Flattern in ihrer Magengegend aus. Entschlossen, sich nichts davon anmerken zu lassen, reckte sie das Kinn.

„Angst? Warum sollte ich mitten unter Freunden Angst haben?“

Wieder bogen sich seine Lippen zu einem Lächeln nach oben, und das aufgeregte Flattern tief in ihrem Innern verstärkte sich.

„Eben.“ Er hielt ihr die Hand hin. „Darf ich bitten?“

Vorsichtig legte sie ihre hinein, und augenblicklich schlossen sich seine Finger fest um ihre. Es fühlte sich überraschend tröstlich an, als hätte er sie hinter einen Schutzschild gezogen. Als brauchte sie nichts zu fürchten, solange er an ihrer Seite war.

Einen Tanz. Mehr nicht.

Sie tanzte mit einem Fremden. Sie konnte nicht leugnen, dass es ihre Lebensgeister hob, konnte das erregende Prickeln nicht leugnen, das sie überlief, weil sie mit jemand anderem als ihrem Bruder tanzte. Seit Jahren versagte sie sich dieses Vergnügen, doch die vertrauten alten Gefühle waren allesamt wieder da, seit dem Moment, da die Musik eingesetzt hatte. Es war wie ein Rausch, die komplizierten, graziösen Schrittfolgen des Tanzes zu vollführen, noch dazu an der Hand eines Bewunderers, dessen Blicke ihr das Gefühl gaben, etwas ganz Besonderes zu sein.

Sie zwang sich, ihre Glücksgefühle in Schach zu halten, aber es war annähernd unmöglich. Also ergab sie sich der Versuchung, den unbekannten Mr. Victor anzulächeln, während sie über die Tanzfläche schwebten. Sie war nicht mehr das junge Ding, dem man mir nichts, dir nichts den Kopf verdrehen konnte. Doch als er sie ansprach, jagte ihr das Blut mit Macht durch die Adern.

„Sie tanzen sehr gut, Miss Meltham.“

Seine Stimme klang angenehm tief und warm, umhüllte sie wie Samt.

„Ich fürchte, Sie wollen mir schmeicheln, Sir. Ich bin aus der Übung.“

„Das sollten wir ändern. Möchten Sie noch einmal mit mir tanzen?“

Die Musik verklang, doch er ließ ihre Hand nicht los und lächelte sie an. In Deborahs Kopf begannen die Alarmglocken zu läuten. Was hier passierte, war zu viel, zu überraschend. Sie kannte den Ausdruck in seinen Augen. Er bedeutete nichts. Falsch, korrigierte sie sich bitter. Weniger als nichts. Wenn sie sich dazu hinreißen ließ zu glauben, er meine es ernst, hatte sie ein Problem.

Sie entzog ihm ihre Hand.

„Danke, aber ich … Ich möchte nicht mehr tanzen.“

Mit einem höflichen kleinen Lächeln trat sie von ihm fort, drehte sich um und ging. In ihrem Nacken kribbelte es, und sie war sicher, dass er ihr hinterherblickte. Er hatte verblüfft gewirkt, als hätte er nicht glauben können, dass sie ihn zurückwies. Sie hob den Kopf ein wenig höher. Anscheinend dachte er, sie sei verzweifelt auf der Suche nach einem Mann. Aber wie sollte er auch wissen, dass sie sich absichtlich trist kleidete, um männlicher Aufmerksamkeit zu entgehen.

Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, das brauchte sie sich nicht eigens in Erinnerung zu rufen, aber es hielt sie auch nicht davon ab, ihn später verstohlen zu beobachten. Ihr Blick folgte ihm, als er sich zu Sir Geoffrey gesellte und dieser ihn Mr. und Mrs. Appleton vorstellte. Dass er mit niemandem sonst tanzte, erfüllte sie mit einer Genugtuung, die nicht ganz frei war von Schuldgefühlen.

„Du lieber Himmel“, murmelte sie kaum hörbar vor sich hin, „was für ein bemitleidenswertes Geschöpf du doch bist, Deborah Meltham, wenn dir ein Mann mit einem einzigen Tanz derart den Kopf verdrehen kann.“

Die unangenehme Erkenntnis hatte zur Folge, dass sie sich verloren und elend fühlte, als sie in den Speisesalon ging, wo die Erfrischungen aufgestellt waren. Sie nahm sich ein Glas Punsch, und obwohl sie ziemlich sicher war, dass sie es nicht trinken würde, hatte sie wenigstens auf diese Weise das Gefühl, eine Beschäftigung zu haben. Lizzie Gomersham trat zu ihr, und Deborah zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht.

„Ich habe dich mit Mr. Victor tanzen sehen.“ Lizzie füllte sich ein Glas mit Punsch und trank es in einem Zug aus. „Mich hat er auch aufgefordert, aber glücklicherweise hatte ich den Tanz schon jemand anderem versprochen und habe die Flucht ergriffen, ehe er mich noch einmal fragen konnte.“

„Die Flucht ergriffen? Weshalb?“

Lizzies Augen weiteten sich. „Wegen der abstoßenden Narbe! Ich schwöre dir, Deborah, ich musste sie die ganze Zeit anstarren und geriet aus dem Tritt. Hat sie dir etwa nichts ausgemacht?“

„Sie ist mir kaum aufgefallen.“

Seine funkelnden Augen hatten sie viel zu sehr in ihren Bann gezogen. Genau wie das betörende Lächeln, das ihr ganz allein gegolten zu haben schien. Selbst jetzt noch sackte ihr bei der Erinnerung daran der Magen in die Kniekehlen. Lizzie redete und redete.

„Papa sagt, ich soll versuchen, die Narbe zu ignorieren. Schließlich war Mr. Victor Soldat. Er hat Papa erzählt, dass er bei den Kämpfen in Spanien verwundet wurde. Und natürlich bestand Mrs. Appleton, sobald sie es hörte, darauf, dass er ihren morgigen Wohltätigkeitsball mit seiner Anwesenheit beehrt und den Fonds für die Soldatenwitwen unterstützt. Was konnte der arme Mann anderes tun, als die Einladung zu akzeptieren?“

„Nichts, nehme ich an“, erwiderte Deborah höflich, obwohl sie davon überzeugt war, dass der Gentleman nichts tat, was er nicht auch tun wollte. Er strahlte etwas Stählernes aus, eine gefährliche Rücksichtslosigkeit. Allein der Gedanke daran ließ sie frösteln.

„Im Übrigen soll man einen Menschen nicht nach seinem Äußeren beurteilen“, wies sie ihre junge Freundin ebenso zurecht wie sich selbst.

„Nun, um ehrlich zu sein, ich habe mich bereits an die Narbe gewöhnt“, vertraute Lizzie ihr treuherzig an. „Wenn ich ihn jetzt betrachte, finde ich, dass er aussieht wie ein Pirat. Und das ist doch ziemlich romantisch, findest du nicht?“

Romantisch oder nicht, Deborah war entschlossen, keinen Gedanken mehr an den Mann zu verschwenden.

An diesem Abend suchte Mr. Victor keinen Kontakt mehr zu ihr, aber Deborah war sich seiner Anwesenheit im Raum mit jeder Faser ihres Körpers bewusst. Als er mit ihrem Bruder ins Gespräch kam, flammte kurz Unruhe in ihr auf, die sich jedoch legte, als die beiden nicht zusammen im Kartenzimmer verschwanden. Was immer der Mann im Schilde führte, er schien jedenfalls nicht vorzuhaben, Randolph um die Reste seines Vermögens zu bringen.

Vielleicht war sie tatsächlich überspannt. Vielleicht bildete sie sich nur ein, dass er sie auf dem Markt und im Versammlungssaal des Red Lion beobachtet hatte. Fallbridge war eine Kleinstadt, wenn man dort wohnte, lief man sich oft über den Weg. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass Mr. Victor nicht der war, der er zu sein vorgab, und auf der Kutschfahrt zurück nach Kirkster House fragte sie Randolph, was er von dem neuen Bekannten hielt.

„Victor? Was soll ich von ihm halten? Er lehnte es ab, mit mir Karten zu spielen, wusstest du das? Weil er angeblich lieber der Musik lauschte! Ich hatte angenommen, er sei ein zäher Hund. Warum fragst du?“

„Ach, nur so.“

„Hast du etwa Gefallen an ihm gefunden?“ Randolph beugte sich vor, als versuchte er ihr Mienenspiel in der Dunkelheit zu deuten. „Soll ich Erkundigungen einziehen lassen und herausfinden, ob er eine passende Partie für dich wäre?“

„Nein, nein, wie kommst du denn darauf? Das ist doch Unsinn.“ Sie zwang sich, zu lachen und leichthin zu sprechen. „Es ist nur ungewöhnlich, dass Fremde sich nach Fallbridge verirren, finde ich.“

„Um ehrlich zu sein, ich würde es begrüßen, wenn er sich an dich heranmacht.“ Randolph ließ sich gegen die Lehne zurücksinken. „Dann hättest du eine Beschäftigung, anstatt so viel Wirbel um mich zu machen.“

Deborah antwortete nicht darauf. Sein verdrießlicher Ton war nicht zu überhören. Sie kannte seine Launenhaftigkeit und wusste, dass ein falsches Wort einen Streit vom Zaun zu brechen vermochte. Es war ein schöner Abend gewesen. Randolph hatte sich gut benommen, sich weder betrunken noch hemmungslos gespielt, und sie hatte sich zu hoffen gestattet, dass er sich vielleicht noch änderte.

Doch als sie zu Hause ankamen, marschierte er schnurstracks in den Salon und gab dem Butler Anweisung, ihm eine Flasche Wein zu bringen.

Für einen Wohltätigkeitsball war es eine bescheidene Zusammenkunft. Wie üblich stand Gil etwas abseits vom Gedränge und beobachtete die Tanzenden. Appleton hatte ihm erzählt, dass der Salon zwei Dutzend Paare fasste, wenn er leer geräumt war. Gil versuchte beeindruckt zu wirken, aber sein vorherrschendes Gefühl besagte, dass er einen weiteren Abend vergeudete. Die gestrige Gesellschaft bei den Gomershams war ein Reinfall gewesen. Er hatte die Sache überstürzt und Deborah Meltham eingeschüchtert wie ein scheues Fohlen. Inzwischen war er bereits eine Stunde hier, und den Vorsatz, es diesmal besser zu machen, schien er vergebens gefasst zu haben, denn sie ließ sich nicht blicken.

Wahrscheinlich war es am besten, wenn er ging. Er verspürte nicht den Wunsch, zu bleiben und höflichen Umgang mit diesen Leuten zu pflegen, während er innerlich umkam vor Kummer und Seelenpein. Er bahnte sich einen Weg durch das Gedränge, um sich bei der Gastgeberin zu entschuldigen, doch plötzlich kündigte eine Unruhe bei der Tür einen späten Ankömmling an. Mrs. Appleton wandte sich um und stieß einen entzückten Schrei aus.

„Deborah, meine Liebe, was für eine bezaubernde Überraschung! Ich hatte die Hoffnung, dass Sie kommen, schon aufgegeben!“

Sie stand im Türdurchgang. Wieder trug sie ein ausgesprochen schlichtes Abendkleid aus Seide, hochgeschlossen und mit langen Ärmeln, das ihre schlanke, biegsame Figur umschmeichelte und dessen satte pflaumenblaue Farbe nicht nur ihren hellen Teint vorteilhaft betonte, sondern auch ihre grünen Augen zum Erstrahlen brachte. Unauffällig ließ Gil den Blick durch den Raum schweifen und fragte sich, wie es sein konnte, dass keiner der anderen Männer Deborah Meltham bewundernd anstarrte. War er der Einzige, der die leidenschaftliche Frau hinter der kühlen, eleganten Fassade erkannte?

Sie sagte etwas zu Mrs. Appleton, die energisch abwinkte.

„Aber ich bitte Sie, Deborah, keine Entschuldigung. Sie sind hier, und nur darauf kommt es an. Und sehen Sie nur, da steht Mr. Victor, der eine Partnerin für den nächsten Tanz braucht.“

„So ist es.“ Gil machte eine Verbeugung. „Wenn Sie mir die Ehre erweisen würden, Miss Meltham?“

Als sie ihn ansah, stand Misstrauen in ihren Augen, und er war versucht, ihr beruhigend zuzulächeln. Stattdessen hob er die Brauen und erwiderte herausfordernd ihren Blick. Es funktionierte, sie reckte das Kinn.