Wer zum Teufel  ist Alice? - Alexander Leonhard - E-Book

Wer zum Teufel ist Alice? E-Book

Alexander Leonhard

4,9

Beschreibung

Eine amerikanische Komödie, die beweist, dass man mit Einfallsreichtum und einem unbändigen Willen zum Erfolg alles im Leben erreichen kann. Auf amüsante Art und Weise schildert der Autor den Weg einer jungen Frau, die durch einen tragischen Unfall ihr Gedächtnis verloren hat, sie ist heimatlos und bestreitet mit nicht ganz legalen Mitteln ihren Lebensunterhalt, aber durch ihren Liebreiz erobert sie nicht nur das Herz eines britischen Lords, sondern auch das eines texanischen Ölmilliardärs im Sturm. Eine spannende Geschichte, mit spritzigen Dialogen, skurrilen Begegnungen und auch nachdenklichen Passagen gepaart - die Mischung macht diesen Roman zu einer Komödie, die zu Herzen geht und gleichzeitig zum Schmunzeln einlädt und in der die Protagonistin ihre ganze Wandlungsfähigkeit zum Ausdruck bringt.

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Hast du was, bist du was.

In the United States it´s important who you are,

but it´s more important how much money you have.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

Leseprobe aus „Die Gier der Wölfe“

1. Kapitel

Es war bereits dunkel, schwül und fast unerträglich. Hochsommer in Kalifornien eben. Alice fuhr mit einem alten Chevy auf dem Highway No. 1 in Richtung LA. Das Radio krächzte „Hotel California“. Dieser Song war etwa genauso alt wie die klapprige Karre, mit der sie im Moment in der Weltgeschichte herumkutschierte. Sie war guter Laune und trällerte mit quakender Stimme, die nicht gerade Musikalität verriet, nach den Klängen des Radios und kaute währenddessen genüsslich an einem mittlerweile kalt gewordenen Hamburger, den sie vom Beifahrersitz neben sich gefischt hatte. Kurz vor Santa Barbara sah sie im Seitenspiegel, wie ein Streifenwagen hinter ihr plötzlich ausscherte und mit eingeschalteter Sirene vor ihr stoppte.

Alice hielt an, drehte das Seitenfenster herunter und öffnete die Tür, als die Cops auch schon neben ihrem Wagen standen.

„An Ihrem Fahrzeug sind die Bremsleuchten defekt, haben Sie das nicht bemerkt? Ich möchte Ihren Führerschein sehen.“

Alice rutschte fast das Herz in die Hose. Sie kramte in ihrer Sporttasche herum und hielt nach längerem Suchen ihre Fahrzeugpapiere in der Hand, die auf den Namen Alice Simpson lauteten.

„Jetzt haben sie mich“, dachte Alice und spürte wie ihre Knie weich wurden. Sie hatte sich die Papiere bei einem Fälscher in Kentucky machen lassen und dieser Typ war anscheinend so gut, dass dem Cop nicht auffiel, dass es sich um eine Fälschung handelte. Das konnte sie ja wohl auch verlangen, denn sie hatte immerhin schlappe tausend Dollar dafür hingeblättert. Den Wagen hatte sie natürlich auf denselben Namen angemeldet. Immer noch misstrauisch betrachtete der Cop im Schein seiner Taschenlampe das Dokument, drehte und wendete es, konnte aber immer noch nichts Verräterisches daran entdecken. Plötzlich forderte er sie in einem recht barschen Ton auf auszusteigen. „Hände aufs Dach.“

„Oh verdammt“, schoss es ihr durch den Kopf, „jetzt bloß keinen Fehler machen.“

Sie stieg langsam aus, drehte sich um und legte ihre Hände auf das Dach ihres altersschwachen Chevy. Der Polizist hatte wohl ein Auge auf Alice geworfen, denn sie sah, dass er mehrfach den Schein seiner Taschenlampe über ihren Körper gleiten ließ. Der andere Cop, eine hoch aufgeschossene, ziemlich dünne Blondine, trat hinter sie und begrabschte ganz ungeniert ihre Brüste, ließ ihre Hände über ihren ganzen Körper gleiten, um sie nach Waffen zu untersuchen. Alice ließ alles mit sich geschehen, obwohl sie ihr am liebsten auf die Pfoten gehauen hätte. Natürlich fand die Polizistin nichts, was ihr wohl sichtlich missfiel, denn sie forderte Alice auf, sich ganz langsam umzudrehen. Der andere Cop stand mit entsicherter Smith & Wesson in unmittelbarer Nähe des Wagens und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Dann kam er näher und das Licht seiner Taschenlampe fiel auf ihr Gesicht, ging hinunter zu dem Ausschnitt ihres Shirts, aus dem die üppigen Rundungen ihrer Brüste hervorlugten, verweilte dort einen Augenblick und schaltete dann mit einem befriedigten Lächeln die Lampe aus.

„Steigen Sie ein und folgen Sie uns“, befahl der Officer und ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Alice wusste zwar nicht, was das jetzt sollte, aber sie hütete sich, mit den beiden eine Diskussion zu beginnen, stieg brav wie ein Lämmchen in ihren Wagen, startete den Motor und fuhr hinter den beiden Cops in Richtung Santa Barbara.

Als sie das Police Departement in der East Figueroa Street erreicht hatten, stieg sie aus, wurde von den beiden Officers in die Mitte genommen und durch die gläserne Eingangstür in einen der Vernehmungsräume geführt. Es war ein schmuckloser kahler Raum, in dessen Mitte ein großer hölzerner Tisch stand. Um ihn herum waren sechs Stühle angeordnet, die aber keineswegs dazu aufforderten sich bequem und entspannt hinzusetzen. Schließlich war das ja hier kein Wohnzimmer, in dem man die Füße hochlegen konnte. Alice schaute sich um, warf zwischendurch einen prüfenden Blick auf ihre rot lackierten Fingernägel. Die Tür öffnete sich und herein kam diese große, dünne Beamtin, die sie bei der Kontrolle so schamlos begrabscht hatte. Alice musste unwillkürlich lächeln, denn das blasse, hagere Gesicht der Dame erinnerte sie in diesem Moment ein bisschen an eine Bergziege aus Montana. Diese zog einen Stuhl zu sich herüber und pflanzte sich breitbeinig in die Nähe der Eingangstür hin.

Dann ging die Tür erneut auf und herein kam ein glatzköpfiger Detective, der sich mit dem Namen Alfred Hitchcock vorstellte, den Stuhl zurechtrückte, um sich dann mit einem lauten Rülpser auf den Stuhl fallen zu lassen.

Alice dachte nur: „In welchem Film bin ich hier eigentlich? Ist der Typ bekloppt oder heißt der wirklich so?“ Aber er machte seinem Namen alle Ehre. Er war ein Giftzwerg in Uniform, klein und fettleibig. Seine Hemdsärmel hatte er hochgekrempelt und seine Achseln zierten zwei riesige, nicht sehr angenehm riechende Schweißflecken. Sein Kopf bestand aus einem nackten Schädel, der die Form eines Kürbisses hatte und von einem dunklen, ganz offensichtlich gefärbten Haarkranz eingerahmt wurde, aus dem dicke Schweißperlen auf seinen Hemdkragen tropften und den Kragen seines Hemdes dunkel färbten. Er schürzte die Lippen und holte tief Luft, was aber eher wie das Pfeifen einer altersschwachen Dampflokomotive klang.

Er muss wohl ihr amüsiertes Gesicht gesehen haben, denn er warf ihr einen missbilligenden Blick zu und ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht zu Späßen aufgelegt war.

„Wie heißen Sie?“, krächzte er. „Wie ist Ihr Name?“

Nach einer kurzen Pause antwortete sie völlig gelassen: „Ich heiße Alice Simpson, aber das hat Ihr Kollege ja bereits überprüft.“ „Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Detective?“, fragte sie scheinheilig und lächelte ihn an. Mit einem Seitenblick bemerkte sie, dass er ihr mit gierigen Blicken in den Ausschnitt starrte.

Sollte sie ihnen auf die Nase binden, dass sie nur ihren Vornamen kannte, wo sie doch eine so fantastische Fälschung in den Händen hielt? Was interessierte sie, ob sie einen Familiennamen hatte oder nicht? Vielleicht hatte sie ja einen und wusste es nicht oder nicht mehr. Zum Teufel, sie lebte auch ohne ganz gut. Sie war jung und hübsch und hieß Alice, und das genügte ihr. Was interessierte sie da ihr Alter? Sie war keineswegs beunruhigt, als er sie nach ihrem Alter fragte. „Steht alles in meinem Ausweis!“, flötete sie und setzte ihr zauberhaftes Lächeln auf, das sie schon hundertmal in brenzligen Situationen eingesetzt und mit dem sie bisher immer Erfolg hatte. Alles andere hatte für sie keine Bedeutung und regte sie nur auf, und Aufregung konnte sie nun gar nicht vertragen.

Sie sah, wie ihm langsam die Röte ins Gesicht stieg und er große Mühe hatte, sich zu beherrschen. „Wollen Sie mich jetzt etwa einbuchten, Detective?“ Sie klimperte mit den Augenlidern, dass er noch eine Spur verlegener wurde. Sie sah, wie sein Adamsapfel aufgeregt auf und ab hüpfte und er innerlich nach Fassung rang. „Mein Gott“, dachte sie, „ist das ein verklemmter Typ, der war in seinem Leben bestimmt noch nie mit einer Frau im Bett.“

„Wir haben den Verdacht, dass Sie mit einem gestohlenen Wagen durch die Gegend fahren und solange das nicht geklärt ist, bleiben Sie hier.“ Sein Ton wurde so wichtig, als wäre er der Präsident der Vereinigten Staaten.

Er musste entweder Kohl oder Bohnen gegessen haben, denn als er sich ächzend von seinem Stuhl erhob, entfuhr seinem Hinterteil ein Geräusch, das man wohl als Furz bezeichnen musste. Es war ihm anscheinend sichtlich peinlich, denn er ging mit kurzen eiligen Schritten auf die Tür zu und ließ sie hinter sich ins Schloss fallen. „Dieses alte Ferkel“, dachte Alice mit einem Grinsen im Gesicht. Als sie sich zur Tür umdrehte, sah sie die Bergziege aus Montana auf sich zukommen. „Hier geht‘s lang“, knurrte sie ungehalten, als sie im Zellentrakt ankamen. Sie schob einen Türriegel beiseite, öffnete die schwere Zellentür und bugsierte Alice mit einem Siegerlächeln hinein.

Alice schaute sich um und empfand in diesem Moment eine gewisse Abenteuerlust. „So sieht also ein Knast von innen aus“, resümierte sie, zog ihre Schuhe aus, warf sich mit einem lauten Lachen auf die Pritsche. Diese schaukelte und ächzte, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.

Der Morgen graute. Alice hatte ausgezeichnet geschlafen, als sie durch das quietschende Geräusch der schweren Zellentür geweckt wurde. Wieder stand die lange Dünne vor ihr und schlug mit einem Schlüsselbund gegen das metallene Bett in ihrer Zelle. „Los, aufstehen“, rief sie unwirsch. Man konnte ihr anmerken, dass sie schlecht gelaunt war. Schließlich hatte sie sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen und es passte ihr nicht, dass Alice friedlich schlafend in der Zelle verbracht hatte. Lächelnd öffnete die Gefangene die Augen und begrüßte die übel gelaunte Bergziege mit einem fröhlichen „Guten Morgen“. Alice rieb sich die Augen und richtete sich auf.

„Mitkommen“, raunzte die Ziege nun noch eine Spur unfreundlicher. Alice fuhr sich mit der Hand durch ihre dunklen Haare, stieg in ihre schon ein wenig ausgelatschten Mokassins und schlurfte mit einem lauten Gähnen hinter ihr her.

Wieder saß sie in diesem unfreundlichen Vernehmungsraum und dann verstand sie plötzlich warum die Alte so sauer war. Sie hatte anscheinend die ganze Nacht vor dem Computer gehockt. Aber sie hatte ganz offensichtlich nicht das gefunden, was sie gesucht hatte. Weit und breit kein Hinweis auf ein geklautes Auto. Und mal ganz im Ernst, wer klaut denn eine solch alte Kiste, die beim kleinsten Räuspern in ihre Bestandteile zerfällt? Dann betrat ein Kerl wie ein Baum den Raum. Alice drehte sich neugierig zu ihm um und starrte ihn ungläubig an. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, sie hätte den leibhaftigen John Wayne vor Augen. Er war bestimmt sieben Fuß groß und hatte Hände wie Klodeckel. In seinem kantigen, vernarbten Gesicht befand sich eine Knollennase, die seinen Riesenschädel noch markanter erscheinen ließ.

Seine Augen blitzten unternehmungslustig und sein Gesicht spiegelte eine Entschlusskraft wider, so als wolle er alle Gangster Amerikas mit einem Schlag in die ewigen Jagdgründe schicken. Er ging zu der dürren Ziege, die sich wieder, wie am Abend zuvor, auf einen Stuhl genau vor der Tür gehockt hatte und blieb vor ihr stehen. Er musste sich allerdings nicht allzu tief zu ihr herunter bücken, denn sie hatte ja auch eine beachtliche Größe. Alice hörte sie flüstern, verstand aber nicht worüber sie redeten. Als ihm die dürre Ziege zunickte, drehte er sich um, schaute zu Alice herüber, grinste wie Cops nun mal grinsen, wenn sie nicht mehr weiter wissen und kam mit schlurfenden Schritten direkt auf sie zu. Im ersten Moment bekam Alice einen Schreck, als sie seine krächzende Fistelstimme hörte, die so gar nicht zu seiner Körpergröße passen wollte.

„Sie können gehen und lassen Sie sich hier nie wieder blicken.“

„Den Gefallen werde ich Dir bestimmt nicht tun“, dachte Alice und musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen.

Zwei Monate später. Fifth Avenue, New York. Eine schwarze Buick Limousine rollte langsam die Straße entlang und hielt vor dem Gebäude Nr. 725, in dem sich das Gucci-Domizil befand. Die Fahrertür öffnete sich und ein hoch aufgeschossener Schwarzer in einem dunklen Anzug und mit einer typischen Chauffeursmütze auf dem Kopf stieg aus. Mit schlaksigen Schritten ging er auf den Bürgersteig und öffnete dort mit einer gekonnten Handbewegung die hintere Wagentür des Buick. Jetzt lief alles ab wie eine Slowmotion aus einem der vielen amerikanischen Filme. Zuerst sah man die schwarzen Wildlederpumps, dann die schwarz bestrumpften schlanken Beine einer Lady. Der Rest folgte, nachdem ihr der Chauffeur den Arm gereicht hatte und sie sich mit nahezu perfekter Grazie auf die Füße stellte. Sie hatte sich ein edles rotes Cape über die Schultern geworfen und ihr Gesicht verdeckte eine riesige Sonnenbrille, die eigentlich nur von Gucci sein konnte. Es wäre ja auch ein großer Fauxpas gewesen, wenn man sich vorstellt, dass die Lady da mit einer Brille von Yves Saint Laurent herein stolziert wäre. So etwas tat eine Dame nicht. Was sollten denn die Angestellten in diesem feinen Laden denken. Der Chauffeur stürmte nach vorn, öffnete mit einer tiefen Verbeugung die Tür und die Lady betrat mit kleinen Trippelschritten den Empfangsbereich. Ihren breitkrempigen Hut warf sie mit einer graziösen Handbewegung in einen der herumstehenden Sessel.

Wie auf Kommando stürmten zwei Verkäuferinnen auf sie zu, der Geschäftsführer lauerte im Hintergrund und wartete auf das, was in den nächsten Minuten passieren würde. Dann kam er mit einer unterwürfigen Verbeugung direkt auf sie zu.

„Guten Tag, meine Gnädigste, ich begrüße Sie im Hause Gucci, darf ich Ihnen ein Glas Champagner anbieten?“ Seine Stimme klang derart gekünstelt, dass man das Gefühl hatte, er habe seine Rolle nicht so richtig einstudiert. Seine Gestik verriet allerdings, dass er ganz offensichtlich an Frauen kein großes Interesse hatte. Immer wieder umschwärmten die Angestellten die Lady wie Motten das Licht, überschütteten sie mit Komplimenten und je mehr sie in diesen geradezu lächerlichen Wettbewerb traten, umso mehr spürte man die Unaufrichtigkeit in ihren Worten. Die Lady nahm alles mit einer Gelassenheit und Souveränität hin, die nur eine Lady von Format haben konnte. Nach zwei Stunden war ihr Einkaufsmarathon endlich beendet und die Dinge, die sie erworben hatte, konnten sich sehen lassen. Sie hatte ein traumhaftes Designerabendkleid aus champagnerfarbener Naturseide, drei Kostüme der neuesten Kollektion und einen schwarzen Businessanzug erworben. Darüber hinaus gehörten auch noch Accessoires wie Schals, Spitzenunterwäsche und natürlich fünf Paar Schuhe der Nobelmarke Crystal Heels zu ihrem Sortiment.

Sie wurde von dem Geschäftsführer mit nicht enden wollenden Verbeugungen zur Kasse begleitet. Sie zückte mit einem Lächeln und mit einer nicht zu überbietenden Selbstverständlichkeit ihre schwarze American Express. Ihr Chauffeur trottete wie ein Packesel hinter ihr her.

„Meine Gnädigste“, säuselte der dienstbeflissene Chef dieses Nobelladens, „beehren Sie uns bald wieder, wir würden uns sehr freuen.“

Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu und verließ die Nobelboutique mit einem jovialen Lächeln. In der Zwischenzeit hatte der Chauffeur die Einkaufstaschen im Kofferraum verstaut, öffnete wieder die hintere Wagentür, und die Lady stieg genauso elegant ein, wie sie ausgestiegen war. Als sie nach kurzer Fahrt nach rechts in die 34th Street eingebogen waren, nahm sie ihre Sonnenbrille ab und äffte den schwulen Gucci-Chef mit seinen letzten Worten nach. „Beehren Sie uns bald wieder, wir würden uns sehr freuen“, und sie brachen beide in schallendes Gelächter aus. Kleider machen eben Leute. Die feine Lady, der diese Kreditkarte gehörte, würde sich zwar wundern, wenn von ihrem Bankkonto 15.000 Dollar abgebucht werden, aber sie würde es verschmerzen, denn wer eine schwarze Kreditkarte hat, muss genug Kohle haben und sie würde sicherlich nicht am Hungertuch nagen müssen. Noch während der Fahrt zog Alice diese unbequemen Designerfummel aus und legte sie achtlos auf den Rücksitz neben die Gucci-Tüten, dann schlüpfte sie wieder in ihre verwaschenen Jeans, zog sich ihr T-Shirt über und griff nach ihren Mokassins, die sie schon bei ihrem Zwangsaufenthalt in Santa Barbara getragen hatte.

„Endlich sind diese Klamotten runter von meinem Körper“, dachte sie, „ich verstehe nicht, wie man sich in dieser Verkleidung wohlfühlen kann.“

Sie hatte sich dieses Outfit für ihren Besuch bei Gucci in einem Kostümverleih geliehen. Sie musste ja nach außen etwas darstellen, um mit ihrer Masche Erfolg zu haben. Es war ihr gelungen und darüber freute sie sich diebisch. Die Kreditkarte war natürlich geklaut und der dienstbeflissene Chauffeur war ein mehr oder weniger guter Bekannter namens Jonny aus der Bronx, der den Buick bei einem Autoverleih für einen Tag geleast hatte. Wenn alles erledigt war, würde sie verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen. Es war also alles easy.

Sie fuhren in Richtung Autoverleih und hielten unterwegs kurz an. Jonny hasste Anzüge, hatte aber bei diesem Schauspiel einen perfekten Part gespielt, der alle überzeugte. Er schlüpfte in seine auf dem Beifahrersitz liegende Jeans und ein zerknittertes T-Shirt und fühlte sich genauso wie Alice augenblicklich wohler.

Dann fuhren sie auf den Hof des Autoverleihs, der von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben war, um so zu verhindern, dass hier ständig Autos geklaut werden, denn das war hier in der Bronx an der Tagesordnung. Zwei Securitys kamen auf sie zu und wiesen ihnen einen freien Parkplatz zu, direkt neben Alice‘ altersschwachem Chevy, nicht ohne sie eingehend unter die Lupe zu nehmen. Nachdem diese Typen nichts Verdächtiges an ihnen entdeckt hatten, zogen sie munter plaudernd und lachend davon, um ihren Kontrollgang fortzusetzen.

Alice überlegte, ob sie Jonny eine ihrer Kreditkarten in die Finger geben sollte, um die Miete für den Wagen zu bezahlen, entschied sich aber dafür, kein Risiko einzugehen. Sie kramte in ihrer Geldbörse herum und drückte ihm vorsichtshalber Bargeld in die Hand. Alice nahm die Tüten mit den Designerklamotten aus dem Kofferraum des Buick und verstaute sie in ihrem Auto. Dann ging Jonny in das spärlich ausgestattete Büro des Autovermieters und legte die Wagenschlüssel auf die Theke.

Ein vollgefressener Typ mittleren Alters lümmelte hinter seinem Schreibtisch herum. Seinen mit Schweißrändern durchtränkten Stetson hatte er lässig in den Nacken geschoben, unter dem sein fettiges ungepflegtes Haar hervor lugte. Alice, die bereits im Auto saß und auf Jonnys Rückkehr wartete, beobachtete amüsiert die Szenerie und sah diesen total heruntergekommenen Kerl, der wahrscheinlich aus allen Knopflöchern stank und sich mit Sicherheit schon seit Wochen nicht mehr gewaschen hatte. Er musste ein unerschütterliches Selbstbewusstsein haben, denn er thronte selbstherrlich hinter seinem vergammelten Schreibtisch und ließ keinen Zweifel daran, dass er der Größte war: „Wahrlich kein Typ zum Verlieben“, dachte Alice und musste grinsen.

Alice hatte Jonny vor einer Woche in einer Bar in der Bronx kennengelernt. Er war ihr gleich aufgefallen, als sie das Lokal betrat. Groß und schlaksig war er und kaum zu überhören. Er lümmelte an der Theke herum und riskierte eine ziemlich dicke Lippe. Sie setzte sich neben ihn und hörte, wie er vor seinen Kumpeln mit den krummen Dingern prahlte, die er schon gedreht hatte. „Genau der Richtige für mich“, dachte sie und lächelte ihn an.

„Willst du dir hundert Dollar verdienen?“, flüsterte sie ihm zu. Erstaunt sah er sie an und sie spürte, dass sie sein Interesse geweckt hatte.

„Kommt drauf an, was ich dafür tun muss“, erwiderte er und wandte sich zu ihr.

„Können wir woanders darüber reden, muss ja nicht jeder hören?“, grinste Alice, stand auf und verzog sich in eine ruhige Ecke der Bar. Augenblicke später folgte er ihr und setzte sich zu ihr an den Tisch.

„Raus damit Baby, worum geht es?“ Sie erklärte ihm, wie die ganze Sache ablaufen sollte und als sie geendet hatte, nickte er zustimmend.

„Hör zu“, sagte sie, „du gehst morgen früh in einen Kostümverleih und besorgst dir einen dunkelblauen Anzug mit einem weißen Hemd und ‚ne schwarze Krawatte, ein paar vernünftige Schuhe und vergiss nicht, nach einer Chauffeursmütze zu fragen, das macht einen besonders wichtigen Eindruck. Ist das angekommen?“

„Okay Lady“, grinste er, „alles roger.“

„Hast du einen gültigen Ausweis?“

„Ja klar Mann, ohne geht in dieser Gegend gar nichts, wenn du keinen hast, biste schneller im Knast, als du gucken kannst.“

„Warum fragst du?“

„Weil du morgen eine schwarze Limousine mieten wirst und dafür braucht man ja wohl so einen Lappen.“

„Soll ich einen echten oder einen gefälschten nehmen?“, fragte er und ein breites Grinsen überzog sein Gesicht.

„Wenn du einen guten gefälschten hast, nimm den, das andere ist zu gefährlich“, erwiderte Alice und sah ihn prüfend an.

Er war ein netter Kerl mit einem offenen Gesicht und einem sympathischen Lächeln und sie konnte sich vorstellen, dass er in einem Anzug eine ganz passable Figur abgab.

„Okay, sonst noch was?“

„Ja, du benimmst dich anständig und hältst während der ganzen Zeit deine Klappe, Okay?“

„Yes my Lady, wird gemacht.“

„Ich bin in der 43rd Street und warte dort auf dich, aber sieh zu, dass du pünktlich bist. Um 2.00 Uhr bist du da.“

„Und wie erkenne ich dich in diesem Gewühl?“, fragte er mit einem skeptischen Gesichtsausdruck.

„Ich trage ein rotes Cape, einen schwarzen Hut und eine Sonnenbrille.“

„Na, das ist doch schon was, du bist dann ja wohl kaum zu übersehen“, er grinste und nippte an seinem Budweiser, das neben ihm auf dem Tisch stand.

„Und pass auf, das du morgen keine Fahne hast, verstanden? Denk immer dran, ich bin eine feine Lady und du bist mein Chauffeur.“

Es war alles super gelaufen und die Guccis hatten nicht gemerkt, dass das alles ein Fake war. So gesehen hatte auch Jonny seine Rolle gut gespielt und sich die hundert Dollar redlich verdient. Alice drückte ihm das Geld in die Finger und Jonny steckte es lässig, ohne nachzuzählen, in seine Hosentasche. Sie verabschiedeten sich und er verschwand mit schnellen Schritten in der Dunkelheit. Alice schaute ihm nach, dann stieg sie in ihren Chevy, startete den Motor und fuhr in Richtung U.S. Route 1, die nach Philadelphia führte. Sie war zwar schon recht müde und brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf, entschloss sich aber trotzdem, New York so schnell wie möglich zu verlassen. Es war ungefähr drei Uhr morgens, als sie an einer Tankstelle vorbeifuhr. Da entdeckte sie etwas, das sofort ihr Interesse weckte. Ein Blick genügte und sie wusste genau, was sie jetzt tun würde.

Langsam fuhr sie zu einem Parkplatz, der im Dunkeln lag, stieg aus und schlich vorsichtig in geduckter Haltung auf einen abgestellten BMW X5 zu, der mutterseelenallein mit laufendem Motor in der Nähe der Tankstelle stand. Die Tür auf der Fahrerseite stand weit offen. Sie warf einen prüfenden Blick ins Innere des Wagens. Vom Fahrer war weit und breit nichts zu sehen. Wahrscheinlich hatte er ein menschliches Bedürfnis und das musste sehr dringend gewesen sein, denn er hatte wohl blitzschnell das Fahrzeug verlassen.

„Das ist genau das Richtige für mich“, dachte sie und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Jetzt bloß keinen Fehler machen und immer in Deckung bleiben, sodass sie niemand sehen konnte. Auf leisen Sohlen schlich sie zu ihrem Chevy, schnappte ihre paar Habseligkeiten und hoffte, dass nicht gerade jetzt der kleine Scheißer wieder aufkreuzte. Aber der Fahrer blieb verschollen, anscheinend dauerte seine Sitzung länger als geplant.

„Oh Boy, das wird ein teurer Schiss“, dachte sie, mit einem triumphierenden Lächeln, warf schnell ihre Klamotten auf den Rücksitz und mit einer katzenhaften Bewegung sprang sie in den Wagen und brauste mit Vollgas davon.

Sie hinterließ eine riesige Staubwolke und war Augenblicke später in der Dunkelheit der Nacht verschwunden. „Sollen sie doch die alte Karre verschrotten. Ich brauche sie jetzt nicht mehr“, dachte sie. Aber sie war doch ein wenig traurig, von ihrer geliebten Rostlaube Abschied zu nehmen. Ihr alter Chevy war für sie immer ein guter Wegbegleiter gewesen und hatte sie nie im Stich gelassen. Sie war immer darauf bedacht, keinerlei Spuren zu hinterlassen. Sie hatte den Chevy bei einem Autohändler gekauft und natürlich bar bezahlt. Der Typ hatte das Geld, ohne es zu verbuchen, in die eigene Tasche gesteckt, sodass keiner nachprüfen konnte, wer den Wagen gekauft hatte. Das kam ihr gerade recht. Das Auto hatte sie mit gefälschten Papieren angemeldet, es war also unmöglich, den wahren Besitzer des Fahrzeugs zu ermitteln, und die Bullen konnten so lange suchen, bis sie schwarz wurden. Sie würden nichts finden. Sie hatte also an alles gedacht.

An der nächsten Kreuzung verließ sie die U.S. Route 1, machte einen größeren Umweg, um eventuelle Verfolger abzuschütteln, aber nichts geschah. So fuhr sie weiter durch die Nacht, ohne dass sie jemand störte. Als sie an einem Rastplatz anhielt, klappte sie die Sonnenblende herunter, hinter der sich in den meisten Fällen die Fahrzeugpapiere befanden. Bingo, ein Volltreffer! Ein Auto und die dazugehörenden Papiere, was wollte sie noch mehr. Beruhigt fuhr sie weiter, aber ihr war klar, dass sie sich jetzt in keinem Motel einchecken konnte. Die Gefahr entdeckt zu werden, war viel zu groß. Dann erspähte sie rechts vor sich ein halb verfallenes Gebäude, das anscheinend in besseren Zeiten mal ein Getreidesilo war. Sie nahm die Abkürzung über einen Feldweg und stellte sich gut versteckt hinter das Gebäude, sodass sie von der Straße aus nicht gesehen werden konnte. Sie verriegelte die Türen, lehnte sich erschöpft und müde von der langen Fahrt zurück und war augenblicklich eingeschlafen.

2. Kapitel

Es war gegen sieben Uhr morgens, als sie aufwachte. Das Genick tat ihr weh und sie hatte einen Bärenhunger. Verschlafen reckte sie sich, stieg aus und versuchte ihre lahmen Knochen wieder so einigermaßen dahin zu bekommen, wo sie hingehörten. Die Sonne hatte sie geweckt, es war ruhig und ein kühler Wind umwehte ihre Nase. Plötzlich hörte sie die Sirene eines Polizeifahrzeugs, das ihr mit hoher Geschwindigkeit entgegenkam. Sie bekam einen Riesenschreck, sprang in den Wagen und schloss die Tür. Die Cops suchten wohl doch nicht nach ihr, denn sie fuhren mit hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei. Sie waren anscheinend hinter einem Verkehrsrowdy her, der es mit der Geschwindigkeit nicht so genau nahm. Bei solchen Dingen verstanden amerikanische Cops überhaupt keinen Spaß. Aber in diesem Moment war ihr doch das Herz in die Hose gerutscht und sie holte erst ein paar Mal tief Luft, um sich wieder zu beruhigen.

„So eine Scheiße“, dachte sie, „überall lungern diese Bullen rum und man kann noch nicht mal in Ruhe ein Auto klauen.“ Bei diesem Gedanken musste sie lachen. Sie hatte noch nie Angst gehabt und jetzt bekam sie schon Schiss, wenn sie nur eine von diesen verdammten Polizeisirenen hörte.

„Alice, was ist los mit dir?“, fragte sie sich und das war eine durchaus berechtigte Frage. Sie war es endgültig leid, sich ständig mit diesen Peanuts abzugeben, sie wollte endlich an das große Geld kommen und sich nicht ständig für nichts den Arsch aufreißen.

Sie musste sich unbedingt an einen reichen Knacker heranmachen und das so schnell wie möglich. Und wenn sie ihn hatte, wollte sie ihn nach allen Regeln der Kunst ausnehmen. Wie er aussah, war ihr egal, ob jung oder alt, spielte für sie keine Rolle. Hauptsache, er hatte Geld. Dieser Plan reifte in ihr, als sie gemütlich auf der U.S. Route One in Richtung Philadelphia fuhr. Aber sie musste noch intensiv darüber nachdenken, wie sie das anstellen wollte, denn die Geschichte musste hieb- und stichfest sein. Sicher, sie war jung, knackig, hübsch und hatte alle weiblichen Attribute, auf die verheiratete reiche Männer so verdammt scharf waren, aber, und darüber war sie sich im Klaren, sie durfte sich trotzdem keinen Fehler erlauben. Sonst würde sie schneller im Knast landen, als ihr lieb war. Das entsprechende Outfit hatte sie hinter sich auf dem Rücksitz liegen. Drei elegante Kostüme, einen Business-Hosenanzug, der keine Wünsche offen ließ, und ein bezauberndes Abendkleid, das alle Männer in einen Rausch der Gier nach jungem Fleisch versetzen würde. Sie hielt an einem Drive-in und genehmigte sich eine üppige Portion Ham and Eggs und eine kühle erfrischende Coke, die ihre Lebensgeister augenblicklich zu neuem Leben erweckte.

Einen Tisch weiter saß ein junger, nicht unattraktiver Mann, der wohl als Handlungsreisender unterwegs war. Er war gepflegt, trug einen anthrazitfarbenen Businessanzug und hatte seine Krawatte, die ein blütenweißes Hemd schmückte, gelöst, um wenigstens für ein paar Minuten das Gefühl zu haben, nicht sofort einen Würgereiz zu bekommen. Er schielte zu ihr herüber und wollte wohl Kontakt zu ihr aufnehmen. Er grinste sie an und sie hatte das Gefühl, dass er sie mit den Augen auszog, was ihr noch nicht einmal unangenehm war, denn diese provokanten Blicke der Kerle musste sie schon oft ertragen, und hatte nie körperlichen Schaden genommen. Sie flirtete ein wenig zurück, um ihm das Gefühl zu geben, dass auch sie ihn ausgesprochen attraktiv fand.

Dann stand sie auf, ging auf ihn zu und beugte sich zu ihm herunter. Dabei gewährte sie ihm einen tiefen Einblick in ihr üppiges Dekolleté. Dieser Anblick schien ihn doch leicht aus der Fassung zu bringen, denn ihm entwich ein verlegenes Hüsteln. Alice berührte ihn und strich mit ihrer Hand über das Revers seiner Jacke, so, als wollte sie ihn streicheln. Dann verschwand sie mit einem gekonnten Augenaufschlag in die Richtung, in der die Toiletten waren. In der Hand hielt sie die Brieftasche des Mannes, der ihr eben noch in den Ausschnitt geglotzt hatte. Sie verschwand hinter einer der Toilettentüren, verriegelte sie und setzte sich auf den Klodeckel, der mit einem quietschenden Geräusch signalisierte, dass er wohl bald seinen Geist aufgeben würde.

Sie öffnete die Brieftasche und kramte neugierig darin herum. Was da zum Vorschein kam, versetzte sie in helles Entzücken. Fünf Kreditkarten von der feinsten Sorte und schätzungsweise eintausend Dollar Bargeld.

„Wow“, dachte sie, „das ist ja eine fette Beute.“ Sie klopfte sich bei diesem Gedanken anerkennend auf die eigene Schulter. Dies war natürlich ein Grund, sich umgehend aus dem Staub zu machen. Glücklicherweise hatte sie neben dem Drive In geparkt und der Wagen konnte vom Fenster des Restaurants aus nicht gesehen werden. Sie fischte die Kreditkarten aus der Brieftasche, steckte das Bargeld in die Hosentasche ihrer Jeans und wischte die Brieftasche sorgfältig mit einem Taschentuch ab, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Sie schlich zu der Männertoilette, die unmittelbar daneben war, öffnete vorsichtig die Tür, um sich zu vergewissern, dass sie allein war und legte dann die Brieftasche, mit ihrem restlichen Inhalt, auf einen der Waschtische.

„Der muss bestimmt noch mal pinkeln“, dachte sie, „und dann wird er sie schon finden.“

Eilig ging sie zum Ausgang und warf einen vorsichtigen Blick in das Restaurant. Der Typ saß noch immer an seinem Tisch und unterhielt sich sehr angeregt mit einer Kellnerin. Er hatte wohl noch nichts bemerkt und das gab ihr die Gelegenheit, unbemerkt zu verschwinden. Als sie die Treppe hinunter ging, entdeckte sie zwei Typen, die um den BMW herum schlichen.

„He Jungs, was soll das werden?“, fragte sie in einem ausgesprochen unfreundlichen Ton.

„Ihr wollt doch nicht etwa mein Auto klauen?“ Bei diesen Worten musste sie unwillkürlich lächeln.

„Nee Baby, wollen nur mal gucken, geile Kiste ehrlich!“

„Verpisst Euch, aber ganz schnell“, rief sie ihnen wenig ladylike zu. Augenblicke später hatten sich die beiden aus dem Staub gemacht. Sie stieg in den Wagen und setzte ihre Fahrt in Richtung Philadelphia fort.

Auf ihrer Tour hielt sie an jeder Bank, die auf ihrem Weg lag, und hob mit den geklauten Kreditkarten den Höchstbetrag ab, versäumte es aber nie, sich ihre Baseballkappe aufzusetzen, um nicht erkannt zu werden. Sie musste sich beeilen, denn wenn der Typ merkte, dass die Kreditkarten in seiner Brieftasche fehlten, würde er sie sperren lassen und vorbei war es mit dem unerwarteten Geldsegen. Allerdings muss der Kerl sehr vergesslich gewesen sein, denn er hatte sorgfältig alle Bankinstitute mitsamt den PINs auf die Rückseite einer Visitenkarte geschrieben, die sie, nachdem sie ihm die Brieftasche geklaut hatte, in einem der Seitenfächer fand. In diesem Moment musste sie ungläubig lächeln.

„Recht so“, dachte sie, „Dummheit muss bestraft werden.“ So gesehen war es ein erfolgreicher Morgen, und als sie die letzte Kreditkarte in den Schlitz eines Bankautomaten geschoben hatte, hatten die ihren Zweck erfüllt und sie war um sechstausend Dollar reicher, inklusive der tausend Dollar Bargeld, die sich in der Brieftasche befanden. Sie warf die Karten in einen Papierkorb neben der Bank, setzte sich, ohne Zeit zu verlieren, in den Wagen und fuhr weiter. Es war für sie ein schönes Gefühl, auf einmal wieder so viel Geld zu haben, und das beflügelte automatisch ihre gute Laune. Im Radio spielten sie gerade den Titel „Philadelphia Freedom“ von Elton John und das passte so recht zu dem, was sie vorhatte. Auf nach Philadelphia. Die Sonne strahlte und weiße Wolken zogen eilig über den strahlend blauen Horizont. Es war ein besonderer Tag für sie. Alles was sie sich gewünscht hatte, war in Erfüllung gegangen. „Oh what a wonderful day“, sang sie leise vor sich hin. In diesem Moment fühlte sie sich wie ein richtiges Glückskind.

Die Dunkelheit brach herein, als Alice auf dem Highway Richtung Philadelphia fuhr. Hell leuchtete die farbenprächtige Skyline der Stadt und malte bizarre Lichtreflexe an den nachtblauen Horizont. Sie war erschöpft von der langen Fahrt und froh, dass die Klimaanlage ihr die Kühle brachte, die sie brauchte, um noch einigermaßen wach zu bleiben. Die einsame Fahrt über endlose Strecken, auf denen ihr kaum ein Fahrzeug begegnet war, hatte sie ermüdet, hatte alle Euphorie und ihren Tatendrang aus ihrem Inneren verdrängt. Die Müdigkeit drohte sie zu übermannen und sie war froh, ihr Ziel erreicht zu haben. Sie würde zu Abend essen und sich dann ein Hotel suchen, um mal wieder richtig auszuschlafen. Je näher sie der Stadt kam, umso mehr spürte sie das pulsierende Nachtleben in dieser riesigen Metropole. Wie von Zauberhand waren die Highways erfüllt von hektischem Verkehr, ungeduldiges Hupen und eine Kette von aneinandergereihten Fahrzeugen fuhren, wie auf eine rot leuchtende Schnur gezogen, unaufhaltsam und stetig in alle Richtungen, um sich dann wieder in der Dunkelheit der Nacht zu verlieren.

Dann hatte sie die Innenstadt erreicht und fuhr mit dem Strom von Fahrzeugen auf die Walnut-Street, die exklusive Shoppingmeile der Stadt. An der nächsten Kreuzung bog sie rechts in die 62nd-Street ab und hatte das große Glück, einen Parkplatz zu finden. Überall flanierten Menschen durch die angenehme Kühle des Abends, betrachteten die hell erleuchteten Schaufenster, saßen vor den Cafés und plauderten angeregt über Gott und die Welt. Es war eine bezaubernde und gemütliche Atmosphäre, die Alice entgegenschlug, als auch sie sich unter die Menge der Flanierenden mischte und sich mit dem Strom einfach treiben ließ. Sie war auf dem Weg in einen Shop der Taschen und Koffer verkaufte. Sie entschied sich für ein elegantes Modell von Samsonite, denn mit ihrer reichlich ramponierten Sporttasche konnte sie sich in keinem Hotel sehen lassen. Alles musste zusammenpassen, denn sonst lief sie Gefahr, entdeckt zu werden. Mit einem Trolley und einer geräumigen Handbag bewaffnet, trat sie den Rückweg in die 62nd-Street an, öffnete den Kofferraum und verstaute ihre Designerklamotten, beseitigte dann sorgfältig alle Fingerabdrücke, verschloss den X5, warf den Autoschlüssel in einen Papierkorb, der an dem Pfahl einer Laterne hing, und ging zurück auf die Walnut-Street, um dort in ein Hotel einzuchecken.

Sie ging eilig auf ein am Straßenrand wartendes Taxi zu. Der Driver, ein sympathischer Schwarzer mittleren Alters, stieg aus und verstaute ihr Gepäck im Kofferraum eines riesigen Cadillac, öffnete ihr höflich die hintere Wagentür und fragte sie nach ihrem Fahrtziel.

„Welches Hotel können Sie mir empfehlen?“, fragte Alice neugierig.

„Ich empfehle Ihnen das Radisson Plaza“, antwortete er, wie aus der Pistole geschossen, sodass man den Eindruck haben konnte, er hätte einen Vertrag mit dem Hotel und das, so glaubte Alice, war nicht ganz von der Hand zu weisen.

„Okay“, antwortete sie, aber der Fahrer war schon unterwegs, bevor sie überhaupt etwas sagen konnte.

„Na ja, sei‘s drum“, dachte sie, „ich will nur noch ins Bett und schlafen, schlafen, schlafen.“ Nach kurzer Fahrt kamen sie in der 1701 Locust Street an. Vor ihnen stand der gewaltige Bau des Radisson Plaza, über dessen Eingang die amerikanische Flagge im Wind wehte. Alice stieg aus und ging mit ihrem Gepäck auf den Hoteleingang zu, wo sie schon von dem Portier empfangen wurde, der ihr das Gepäck abnahm und mit ihr in die Empfangshalle zum Einchecken ging. Natürlich hatte sie an alles gedacht. Ihre gefälschte ID Card hatte sie griffbereit in der Hand. Der Kumpel in Kentucky hatte ihr nicht nur den Führerschein, sondern auch dieses Dokument besorgt und es war so gut gemacht, dass sie auch hier keinerlei Verdacht erregte. Nachdem alle Formalitäten erledigt waren, atmete sie beruhigt auf und verschwand mit ihrem Gepäck im Fahrstuhl, drückte die Nummer für das Stockwerk und langsam setzte er sich in Bewegung und stoppte erst wieder, als sie im 6. Stockwerk angekommen war. Als sie vor der Zimmernummer 625 stand, führte sie die Chipkarte ein und die Tür öffnete sich mit einem leisen Klicken.

Sie stellte ihr Gepäck ab, hängte ihre noblen Designerklamotten sorgfältig in den Schrank, zog sich aus, ging in das elegant eingerichtete Badezimmer und nahm ein ausgiebiges Duschbad. Es war ein herrliches Gefühl, das lauwarme erfrischende Wasser auf ihrer Haut zu spüren. Sie wusch sich die Haare, prustete vergnügt das Wasser aus ihrem Gesicht und fühlte sich augenblicklich wie neu geboren. Sie zog sich den Bademantel über, trocknete ihre Haare und ging dann in das Zimmer, um es in Augenschein zu nehmen. Sie trat ans Fenster und genoss den atemberaubenden Blick über die leuchtende Skyline dieser herrlichen Stadt. Dann warf sie sich auf das riesige Doppelbett, streckte sich aus und spürte, wie gut ihr das tat. Sie hatte, bevor sie sich darauf ausgestreckt hatte, im Empfang angerufen und dort die Nachricht hinterlassen, dass sie gerne in einer Stunde etwas essen möchte. Sie lag noch in tiefem Schlaf, als sie durch ein Klopfen an der Tür aus ihren Träumen gerissen wurde.

„Zimmerservice“, ertönte eine angenehme Männerstimme von draußen.

„Einen Moment bitte“, erwiderte Alice verschlafen, stand auf und ging zur Tür, um zu öffnen. Ein junger Mann in Hoteluniform stand vor ihr und lächelte sie freundlich an.

„Haben sie einen Wunsch Madame?“, seine Stimme klang wirklich sehr angenehm. Er war ein hübscher Junge und seine Augen strahlten, als er das Zimmer betrat.

„Ich wurde informiert, dass Sie es vorziehen, in ihrem Zimmer zu dinieren. Ich habe Ihnen die Speisenkarte mitgebracht.“

„Ja gerne“, erwiderte Alice, denn sie war einfach zu müde, um noch irgendein Restaurant aufzusuchen. Sie gab ihre Bestellung auf und er verschwand mit einem diskreten Lächeln.

Eine halbe Stunde war vergangen, als es erneut an ihrer Tür klopfte.

„Zimmerservice Madame.“ Er schob einen eleganten Servierwagen mit den gewünschten Speisen zur Tür herein.

„Ich wünsche Ihnen einen guten Appetit“, sagte er wiederum mit einem freundlichen Lächeln. Alice gab ihm ein angemessenes Trinkgeld, für das er sich mit einer Verbeugung bedankte.

„Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend und wenn Sie noch etwas benötigen, schellen Sie bitte, ich bin immer für Sie da.“

„Vielen Dank, das werde ich tun“, erwiderte sie generös. Er warf ihr einen letzten bewundernden Blick zu, drehte sich um und verließ das Zimmer.

Sie hatte in den letzten Monaten noch nie so viel Zeit vor dem Spiegel verbracht, wie in diesem Moment, um sich für die Männerwelt als Kunstfigur neu zu erschaffen. Sie war ein Traum von einer Frau und wer sich das Titelbild dieses Romans betrachtet, wird sicher verstehen, was der Autor meint. Es war eine kosmetische Meisterleistung, die sie nach einer Stunde vollbracht hatte. Sie hätte einer vorzüglichen Maskenbildnerin alle Ehre gemacht. Zufrieden und mit einem anerkennenden Schmunzeln betrachtete sie sich im Spiegel des Badezimmers.

„Ich möchte gerne den Mann sehen, der sich nicht nach mir umdreht“, dachte sie voller Stolz. Ihr Gesicht, das schon vorher von einer Feinheit und Individualität geprägt war, ließ keinen Zweifel an ihrer elitären Herkunft. In ihren großen strahlend smaragdgrünen Augen loderte ein Feuer, an dem sich jedes Männerherz entzünden würde. Ihre Lippen waren von einer unwiderstehlichen Sinnlichkeit, dass man das Verlangen hatte, sie unablässig zu küssen, um ihre Wärme und Leidenschaft zu spüren.

Und wenn sie lächelte, war dies nicht nur ein Lächeln, sondern der Ausdruck unbändiger Lebensfreude, die alle Menschen in ihrer Nähe augenblicklich gefangen nahm und in ihren Bann zog. Ein Strahlen, das Sternen gleich eine Brücke baute zu denen, die eigentlich gar nicht zum Lachen aufgelegt waren. Die ernst sein wollten, es aber nicht konnten, weil dieses engelhafte Wesen es verstand, sie augenblicklich zu verzaubern und sie mussten lächeln, ob sie wollten oder nicht. All dies schien ihr in die Wiege gelegt worden zu sein und sie hatte es sich bis zum heutigen Tag bewahrt, auch wenn sie sich nicht mehr daran erinnerte.

Alice war nicht wiederzuerkennen, als sie in ihre Spitzenunterwäsche schlüpfte und sich prüfend im Spiegel betrachtete. Dann zog sie den engen Rock ihres anthrazitfarbenen Kostüms an. Er endete eine Handbreit über ihren Knien und ihre wohlgeformten, schlanken Beine unterstrichen diesen Anblick auf besondere Weise. Sie streifte die Kostümjacke über, aus deren Dekolleté die Ansätze ihrer Brüste hervorlugten, umgeben von der feinen zarten Spitze ihres schwarzen BHs. Alles war perfekt für den Angriff auf die Reichtümer der Männerwelt. Sie streifte ein Paar schwarze High Heels über ihre Füße, ergriff die auf ihrem Bett liegende Tasche aus schwarzem Leder, warf einen letzten Blick in den Spiegel, öffnete die Tür ihres Hotelappartements, verstaute die Codecard in einem Seitenfach ihrer Tasche und ging dann mit einem Gang, der einer Lady alle Ehre machte, auf den Fahrstuhl zu.

Es war eine perfekte Inszenierung, die Alice da aufführte. Als sich der Fahrstuhl öffnete, sah sie, wie der Liftboy sie mit offenem Mund anstarrte. Er war wohl sehr fasziniert von ihrer Erscheinung, denn er vergaß fast den Sinn seines Hierseins.

„In die Lounge bitte“, sagte Alice mit lasziver Stimme und schaute ihn wohlwollend an.

„Sehr gerne“, antwortete er leicht verlegen. Während der ganzen Fahrt nach unten warf er ihr immer wieder bewundernde Blicke zu. Auch wenn es nur ein Liftboy war, der sie anstarrte, taten ihr die bewundernden Blicke gut, denn schließlich war auch er ein Mann und die waren in ihren Reaktionen wohl alle gleich. Ob Hotelangestellter oder milliardenschwerer Geschäftsmann, beim Anblick einer schönen Frau reagierten sie alle auf die gleiche Weise. Als sie die Hotelhalle betrat, schauten ihr gefühlte zwanzig Augenpaare hinterher. Hotelgäste, die bis zu diesem Augenblick noch in ein Gespräch vertieft waren, hielten augenblicklich inne und starrten neugierig in ihre Richtung. Männer, die in Begleitung waren, riskierten nur einen unauffälligen Blick, um anschließend mit ihren weiblichen Begleiterinnen keinen Ärger zu bekommen. Die anwesenden Frauen hingegen schauten mit unverhohlener Neugier zu ihr herüber und taxierten sie vom Gesicht bis zu den Schuhen. Ja, man hatte förmlich das Gefühl, als würden sie Alice mit Laseraugen scannen, um nach dieser eingehenden Betrachtung ihr Gesicht zu einem geringschätzigen Grinsen zu verziehen, so als würde sie ihnen nicht das Wasser reichen können.

Alice schaute sie triumphierend an, legte ihren Kopf mit einem Hauch von gespielter Arroganz in den Nacken und steuerte auf eine Sitzgruppe in der Lounge zu, setzte sich dort mit übereinandergeschlagenen Beinen in einen der Sessel und winkte mit einer freundlichen Handbewegung den Barkeeper herbei.

„Sie wünschen Madame“, fragte er mit einer ausgesprochen sympathischen, sehr männlichen Stimme. „Bitte einen Cosmopolitan, aber bitte mit ein wenig Eis“, sagte sie und schaute ihn dabei verführerisch an.

„Sehr gerne Madame, kommt sofort“, dann drehte er sich um und verschwand wieder hinter seinem Bartresen. Interessiert beobachtete sie ihn. Man konnte sehen, dass dies ein Profi war, denn er zelebrierte den Cocktail mit einer derartigen Virtuosität, dass sie anerkennend nicken musste. Es war kein einfaches Hantieren, sondern eine Performance der Extraklasse. Müsste sie jetzt nicht die feine Lady spielen, hätte sie ihm sicherlich für diese Darbietung Applaus gezollt.

Sie nippte genießerisch an ihrem Cocktail und schaute unauffällig zu einer Gruppe Herren in den feinsten Businessanzügen hinüber, die in einiger Entfernung saßen und sie schon die ganze Zeit interessiert anstarrten. Sie schenkte ihnen ein bezauberndes Lächeln, wandte sich dann aber wieder ab, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erwecken. „Das ist genau meine Zielgruppe“, dachte sie und sie war davon überzeugt, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis einer von ihnen an ihrem Tisch auftauchen würde. Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als sich ein großer dunkelhaariger Typ erhob und langsam auf sie zukam, sie schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er blieb vor ihr stehen, musterte sie interessiert und ließ dann einen dieser üblichen Sprüche los, mit dem er glaubte, sich einer Dame, die ohne männliche Begleitung war, nähern zu können.

„Entschuldigen Sie bitte“, eröffnete er das Gespräch, „ich hoffe ich störe Sie nicht.“

„Aber keineswegs“, erwiderte Alice lächelnd. Sie schaute zu ihm auf und war gespannt, was als Nächstes kommen würde.

„Wie ist das möglich“, fuhr er fort, „dass eine so schöne Frau abends allein in einer Hotelbar sitzt? Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich mich gerne zu Ihnen gesellen und wir könnten ein wenig miteinander plaudern.“

„Ich habe nichts dagegen“, entgegnete Alice und bat ihn Platz zu nehmen. Er setzte sich neben sie, sah sie an und stellte sich artig vor, so wie es sich für einen Gentleman gehörte.

„Mein Name ist Jason Kennedy, ich habe geschäftlich hier in Philadelphia zu tun und möchte Sie gerne zu einem Cocktail einladen.“

„Alice“, erwiderte sie kurz und bündig und schaute ihn dabei gönnerhaft an.

„Glauben Sie wirklich“, fuhr sie fort, „ich lasse mich von jedem einladen?“ Innerlich jedoch musste sie bei diesen Worten schmunzeln, war er doch genau der Typ Mann, der Eindruck auf sie machte und ihr auch sonst sehr gut gefiel.

Sie wollte mehr von ihm wissen, vor allem interessierte sie sein gesellschaftlicher Status. Arme gut aussehende Schlucker waren ihr haufenweise über den Weg gelaufen, aber jetzt suchte sie einen, der einen Haufen Geld hatte. Wenn er auch noch gut aussah, war das ein Sahnehäubchen, aber erforderlich war es nicht, denn für sie war die Kohle ausschlaggebend. Sie war durch und durch ein raffiniertes Luder und schreckte auch nicht davor zurück, mit Körpereinsatz ihr Ziel zu erreichen. Aber vielleicht war sie ja bei ihm an der richtigen Adresse und sie war davon überzeugt, dass sie dies sehr schnell herausfinden würde. Sie führten ein sehr angeregtes Gespräch und Jason erzählte ihr, dass er aus Houston in Texas kam. In diesem Moment sah sie schon Millionen Dollarnoten vor ihrem geistigen Auge herumflattern. Houston ist die Stadt der Reichen und die Typen verdienten dort mit dem Scheißöl Milliarden. War sie schon so früh fündig geworden? War er ein Typ, der mit dem Geld nur so um sich schmeißen konnte? Sie würde das im Internet recherchieren, um ganz sicher zu gehen, dass bei ihm etwas zu holen ist. Sie umschmeichelte ihn, um noch mehr zu erfahren. Aber er schwieg beharrlich und gab außer seinem Namen nichts von sich preis. Als er sich von ihr verabschiedete, lud er sie für den nächsten Abend zum Essen ein. Spontan sagte sie zu. Bis dahin hatte sie genug Zeit, seine wahre Identität zu erfahren.

Am nächsten Morgen ging sie in ein nahe gelegenes Internetcafé, loggte sich dort ein und unter der Suchadresse „Phonebook of Houston“ fand sie tatsächlich den Namen Jason Kennedy. Und als sie genauer hinschaute, traute sie ihren Augen nicht, unter seinem Namen stand „President of Emmerson Mobile Oil Company“, Firmensitz in Houston, Texas. Als sie weiter scrollte, sah sie unter der Rubrik Jahresumsatz eine Zahl, die sie fast schwindelig machte. Dort stand eine Summe, deren Größe sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte. 15 Milliarden stand dort schwarz auf weiß und sie wusste wirklich nicht, was diese Leute mit so viel Geld wollten. Was machten da schon ein paar Millionen, die sie ihm abknöpfen würde, um selbst ein angenehmes Leben zu führen. Sie musste einen Freudenschrei unterdrücken und ihre Überraschung war groß, so schnell den Richtigen gefunden zu haben. Sie ging an die Kasse, nestelte mit vor Aufregung zitternden Fingern in ihrer Hosentasche herum und drückte dem Besitzer des Cafés eine Zehn-Dollar-Note in die Hand.

„Ihr Wechselgeld, Lady“, rief er hinter ihr her. Sie drehte sich noch einmal kurz um.

„Stimmt so und vielen Dank“, rief sie fröhlich und ging mit beschwingten Schritten die Straße hinunter.

Sie betrat ein gemütliches italienisches Ristorante und bestellte sich eine Portion Gnocchi mit Rucola und Pilzen. Danach trank sie noch einen würzigen, heißen Espresso und war rundum zufrieden, zufrieden mit sich und ihrem Leben.

Sie liebte die Atmosphäre in den italienischen Restaurants, die Freundlichkeit und den Charme der Kellner. Fast Food hatte sie die ganze Zeit genug gegessen und nun gönnte sie sich diese kleine Abwechslung, die ihrer Seele guttat. Dann ging sie zurück ins Hotel, duschte und legte sich aufs Bett, um noch ein wenig auszuruhen. Sie wollte schön sein für diesen Abend, wollte ihm gefallen und ihn für sich gewinnen. Sie hatte sich bereits einen Plan zurechtgelegt. Sie musste sehr sorgfältig vorgehen, wollte alle Details seines bisherigen Lebens sammeln.

Hatte er eine Familie, gab es irgendwelche dunklen Flecken auf seiner vermeintlich weißen Weste? Hatte er Schwarzgelder auf die Seite geschafft, die eventuell die amerikanischen Steuerbehörden interessieren könnten, hatte er Affären, von denen seine Familie nichts wusste? Im Moment wusste sie noch nicht, wie sie hinter all diese Geheimnisse kommen könnte. Aber sie würde ihre ganze weibliche Raffinesse einsetzen, um diese Dinge in Erfahrung zu bringen. Hätte sie ihn erst mal im Bett, wäre es, so glaubte sie zumindest, ein leichtes Spiel, denn bekanntermaßen werden Männer beim Sex immer sehr gesprächig und sie erzählen oft Dinge, von denen nicht einmal die eigene Frau etwas weiß.

Genauso sorgfältig wie am vergangenen Abend, bereitete sie sich auf den Abend mit Jason vor, legte ein verführerisches Make-up auf, zog sich wieder eines dieser eleganten Designerkostüme an, hüllte ihren begehrenswerten Körper in den Duft eines betörenden Parfüms und wartete in ihrer Suite auf sein Kommen. Es klopfte an der Tür, sie öffnete. Da stand er vor ihr, groß und schlank, ein Lächeln umspielte seinen Mund und in seinen Augen blitzte jenes Feuer, das sie nur zu gut kannte, wenn ein Mann verrückt nach ihr war. Sie ging lächelnd auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

„Ich hoffe, ich bin nicht zu früh“, sagte er fast schon entschuldigend und schaute auf seine Uhr. Es war zehn Minuten vor acht. „Nein“, erwiderte Alice, „Sie kommen gerade recht, ich bin bereit und wir können uns auf den Weg machen.“

Sie schloss die Tür hinter sich, hakte sich bei ihm unter und sie gingen den Gang hinunter Richtung Fahrstuhl. Als sich der Fahrstuhl langsam nach unten bewegte, stand sie ganz dicht vor ihm, sog den Duft seines edlen Parfüms ein und schaute ihm direkt ins Gesicht. Um seine dunkelbraunen Augen waren schon kleine Fältchen sichtbar, die ein Stück gelebtes Leben verrieten. Sein Mund hatte eine wunderschöne Form, die sehr viel Sensibilität und Einfühlungsvermögen verriet. Hinter seinen Lippen verbargen sich zwei Reihen makelloser weißer Zähne, die sein erfrischendes Lachen noch mehr unterstrichen. Seine dunklen, fast schwarzen Haare umrahmten ein braun gebranntes gut proportioniertes Gesicht. Er war zweifellos ein Beau, aber einer von der anderen, interessanten Sorte. Seine Gesichtszüge waren trotz allem immer noch markant und männlich und das imponierte ihr.

In der Empfangshalle des Hotels angekommen, ging er auf den Empfangschef zu und wechselte mit ihm einige wenige Worte, aber er sprach so leise, dass Alice nicht verstehen konnte, was er sagte. Dieser nickte ergeben, ging auf das hinter der Rezeption stehende Telefon zu, hob den Hörer ab und bestellte ganz offensichtlich ein Taxi, das sie in ein ihr nicht bekanntes Restaurant bringen sollte. Es vergingen keine fünf Minuten, als sich die Tür des Portals öffnete und der Portier direkt auf sie zukam.

„Meine Herrschaften“, sagte er, „ihr Taxi ist da.“

Jason bedankte sich und der Portier führte die beiden zu dem vor dem Hoteleingang wartenden Taxi und öffnete dienstbeflissen die hintere Tür. Jason ergriff Alice‘ Arm und war ihr beim Einsteigen behilflich. Er drehte sich noch einmal um und drückte dem Portier, wie es in diesen noblen Luxushotels nun mal üblich ist, ein üppiges Trinkgeld in die Hand, für das sich dieser mit einer tiefen Verbeugung bedankte. Dann stieg er ebenfalls ein und setzte sich neben Alice. Augenblicke später reihte sich das Fahrzeug in den fließenden Verkehr ein, um nach kurzer Zeit in die 17th Street einzubiegen. Sie hielten vor dem hell erleuchteten Sofitel Hotel Philadelphia, das schon von Weitem einen unglaublich luxuriösen Eindruck machte.

Sie stiegen aus, Jason reichte Alice seinen Arm und wie ein verliebtes Pärchen gingen sie auf den Eingang der „Liberté Urban Chic Lounge“ zu. Vor der Tür wurden sie schon von dem Chef des Restaurants erwartet, der sie mit einem herzlichen „Guten Abend Jason, guten Abend Madame“ begrüßte. Jason und er schienen sich schon von früheren Besuchen zu kennen, denn er klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

„Schön, dass du uns mal wieder besuchst“, säuselte er mit einem leichten französischen Akzent „und dann noch in einer so charmanten Begleitung.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte Jason wohlwollend. Dann führte der Chef des Hauses seine Gäste in eine ruhige Ecke des Restaurants und bat sie, an dem für sie reservierten Tisch Platz zunehmen.

Er blieb vor ihrem Tisch stehen und schaute Alice immer wieder mit bewundernden Blicken an. Jason hatte dies natürlich sofort bemerkt und sah lächelnd zu ihm auf.

„Alexandre, darf ich dir Alice Simpson vorstellen, sie ist eine sehr gute Freundin, die ich zufällig hier in Philadelphia wiedergetroffen habe und stell dir vor, sie wohnt im selben Hotel wie ich. Ist das nicht ein Zufall?“

„Dieser verdammte Schwindler“, dachte Alice und musste innerlich grinsen, „der kann ja lügen, dass sich die Balken biegen.“

Sie sah Jason an und zog die Augenbrauen hoch, so als wollte sie sagen: „Junge, Junge, du bist ja einer von der ganz ausgebufften Sorte.“

Alexandre wandte sich Alice erneut zu, ergriff ihre Hand und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken.

„Sehr erfreut, ich darf doch Alice zu Ihnen sagen?“