Die Spur der Vergeltung - Alexander Leonhard - E-Book

Die Spur der Vergeltung E-Book

Alexander Leonhard

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Beschreibung

Kai Lorenzen wird zum mächtigsten Mann Hamburgs. Sein Glück scheint vollkommen zu sein, bis zu dem Tag, an dem er seine Frau Patricia durch einen Verkehrsunfall verliert und seine Tochter Lena Selbstmord begeht. Er hadert mit seinem Schicksal und will sich an den Menschen, die er für sein Schicksal verantwortlich macht, rächen. Seinen erbarmungslosen Rachefeldzug kreuzen Robert Steinbach, Verlagsleiter des Hamburger Generalanzeigers und Jens Jacobs, Parteisekretär der Demokratischen Volkspartei. Ein Mord in der Davidwache führt die Hamburger Polizei auf die Spur eines skrupellosen Drogenkartells.

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Widmung

Diesen Roman widme ich meinem verstorbenen Autorenfreund Rainer Goecht, mit dem ich einige Jahre gemeinsam auf dem Weg der Schriftstellerei gegangen bin. Unsere Freundschaft war geprägt von uneigennützigem Gedankenaustausch und der Freude über den Erfolg des anderen. Ich vermisse ihn sehr. Er wird mich immer in meinen Gedanken begleiten.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

Prolog

Der Himmel über Hamburg weinte, als sich die Trauergemeinde auf dem Ohlsdorfer Friedhof langsam in Bewegung setzte. Dunkle Wolken zogen über die Stadt hinweg, so als würden die Mächte des Himmels eine Tragödie inszenieren. Der Regen trommelte ein Stakkato auf die Regenschirme der Trauernden, es klang wie ein himmlischer Trauermarsch, nur das Geräusch der Schritte im Kies war zu hören und das war für diesen Moment das Einzige, was man ertragen konnte. Der Tod war angekommen, hatte das Leben einer jungen Frau beendet, das gerade erst begonnen hatte.

Hier, wo so viele Prominente zu Grabe getragen wurden, sollte auch Lena in der Familiengruft ihre letzte Ruhe finden. Alles hatte seine Wichtigkeit verloren, war plötzlich banal und ohne jegliche Bedeutung. Endlos war der Weg den Kai Lorenzen ging, mit schwankenden Schritten und tief gebeugtem Haupt an der Spitze der Menschen, die dem, was er über alles liebte das letzte Geleit gaben. Er war völlig teilnahmslos, spürte nicht den Regen der seine Kleidung durchnässte, spürte nicht die helfenden Hände derer, die seine schwankende Gestalt stützten. Der Schmerz lähmte seine Gedanken und seine Tränen gewährten ihm nur einen verschleierten Blick durch das, was gerade geschah. Gnädig und barmherzig und doch so unbegreiflich und erbarmungslos. Er war ein gebrochener Mann. Hier wo er vor zehn Jahren seine Frau zu Grabe getragen hatte, stand er nun erneut, hilflos und seines Lebensmutes beraubt. Der Sonnenschein war aus seinem Leben verschwunden, übrig blieben Verzweiflung und Tristesse. Wie ein nie enden wollender Schmerz zog das Geschehene in seiner Erinnerung an ihm vorbei, er sah Lena wie sie als Kind lachend auf seinem Schoß saß, wie sie sich hinter ihm versteckte, wenn sie sich erschreckt hatte, wie sie ihn neckte und davonlief, weil er sie fangen sollte. Er hörte plötzlich ihre Stimme ganz nah und voller Fröhlichkeit: „Fang mich doch, fang mich doch.“

1. Kapitel

Stockholm – Arlanda International Airport, 9.45 Uhr. Das Taxi hielt vor dem Abflugterminal des Airports. Der Fahrer stieg aus, öffnete den Kofferraum und stellte, nachdem Agneta die Fahrt bezahlt hatte, ihr Gepäck auf den Bürgersteig. Sie bedankte sich mit einem großzügigen Trinkgeld und schaute sich nach einem der vielen Gepäckträger um, die Bienen gleich die anfahrenden Taxen umschwärmten.

„Hej, du Porter“, rief sie und gleich standen drei dieser fleißigen Geister neben ihr, um ihr Gepäck aufzunehmen. Ein schon etwas betagter freundlicher Dienstmann erhielt den Auftrag, ergriff das Gepäck und nachdem Agneta ihm bedeutete, dass sie zum Schalter der Lufthansa möchte, trabte dieser los, um seinen Auftrag zu erfüllen. Agneta Gulbrandsson war eine sehr attraktive Frau.

Sie hatte blondes Haar und ihre Gesichtszüge waren geradezu makellos. Ein zartes unauffälliges Makeup unterstrich dieses außergewöhnliche Gesicht auf eine besonders anziehende Weise. Ein elegantes Designerkostüm, das in einem dezenten Blauton gehalten war, unterstrich ihre Figur und verleitete die meisten Männer, die an ihr vorüber gingen, ein zweites Mal hinzuschauen. Eine Traumfrau also, deren Anblick viele Männerherzen höherschlagen ließ.

Nachdem sie am Lufthansaschalter ihr Gepäck aufgegeben hatte, schaute sie auf die Uhr und stellte erfreut fest, dass sie noch eine gute halbe Stunde Zeit zum Einchecken hatte. Zeit genug, um in einem Bistro des Flughafens noch einen leckeren Cappuccino zu trinken. Langsam schlenderte sie durch die von geschäftigem Treiben erfüllte Abflughalle.

Als sie an einem gemütlich anmutenden Bistro vorbei kam, nahm sie dort Platz und bestellte sich einen Cappuccino. Mit Genuss nahm sie den ersten Schluck und spürte wie sie das aromatische, warme Getränk von innen erwärmte und ihren Körper belebte.

Sie schaute interessiert in die Runde, sah Menschen aufgeregt und doch voller Erwartung an ihr vorüber huschen. Eine internationale Gesellschaft an Fluggästen bot ein abwechslungsreiches und farbenfrohes Bild. Geschäftsleute aus aller Welt, Frauen in exotisch anmutenden Landestrachten, Familien mit Kindern, die hier ihre Urlaubsreise antreten wollten. Junge Menschen mit riesigen Rucksäcken, liefen lachend umher und nahmen hier, vor dem Abenteuer, das sie erwartete, den letzten telefonischen Kontakt zu ihren Lieben zu Hause auf. Auch Abschiedstränen flossen, aber das war in jedem Land dieser Welt zu sehen, wenn man für eine Zeit seine Heimat verlässt.

Dann erschien auf der Anzeigetafel der Flug 5634 von Stockholm nach Hamburg. Eine weibliche Stimme forderte die mitreisenden Passagiere auf, sich am Gate D einzufinden und ihre Bordkarten bereit zu halten. Agneta ging, nur mit ihrer eleganten Kellybag bewaffnet, in die Wartezone und kurze Zeit später betrat sie die Maschine und nahm in der Business Class Platz.

Sie vernahm ein leises Vibrieren, als der Flugkapitän die Turbinen anließ, dann verließen sie das Gate und rollten langsam in Richtung Startbahn. Plötzlich ertönte ein lautes Dröhnen und die Maschine nahm Geschwindigkeit auf, wenig später hob sie vom Boden ab und war in den Wolken verschwunden.

Agneta ließ sich in einen bequemen Sessel in der Business Class fallen, schlüpfte aus ihren eleganten, dunkelblauen Wildlederpumps und legte ihre langen, wohlgeformten Beine auf einen vor ihr stehenden Hocker, schloss ihre Augen und in ein paar Sekunden war sie mit ihrem inneren Ich allein, hörte nur ihre gleichmäßigen Atemzüge, ihr Körper entspannte sich und sie glitt noch tiefer hinein in das Innere ihrer Seele. Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf, hatte ein Déjà-vu mit ihrer Vergangenheit, dachte an Anna, dachte an die wilden Jahre ihrer gemeinsamen Studienzeit.

Ihr kamen Zweifel, ob sie dies wirklich wollte. Noch war Zeit alles rückgängig zu machen, sich in den nächsten Flieger zu setzen und zurück nach Stockholm zu fliegen. Doch dann hörte sie in ihrem Innern Annas Stimme, hörte wie sie beschwichtigend auf sie einredete: „Agneta, es ist ganz seriös und es ist nur für einen Mann, für den Freund eines Kunden.“

Sie wurde ruhiger und die letzten Zweifel verflüchtigten sich, traten in den Hintergrund bis sie im Nebel des Vergessens verschwunden waren.

Sie wollte diesen Weg gehen, entschlossen das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, und sie hoffte sehr, dass es eine angenehme Abwechslung für sie war und … für die sie obendrein noch ein Haufen Geld bekam. Nie zuvor war es ihr so klar wie in diesem Moment, sie war auf dem Weg von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit. Sie schreckte auf als eine Stewardess zu ihr kam und sie nach ihren Wünschen fragte. „Please bring me a glass of champagne“, antwortete Agneta lächelnd, ergriff die neueste Ausgabe der Vogue, die sie sich noch schnell in einem Zeitungskiosk auf dem Flughafen gekauft hatte, und lehnte sich genüsslich zurück.

Sie war auf dem Weg nach Hamburg. Sie spürte, wie sie eine angenehme Müdigkeit überkam, sie legte die Zeitschrift beiseite und war kurz darauf eingenickt. Sie genoss es, so völlig entspannt in ihrem Sessel zu ruhen und an nichts zu denken. Wie durch einen Schleier des Erwachens hörte sie aus weiter Ferne die Stimme der Stewardess: „Meine Damen und Herren, wir erreichen in wenigen Minuten Hamburg, wir danken Ihnen, dass Sie unser Gast waren und wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.“ Sie ordnete ihre Kleider, zog den nach oben gerutschten Saum ihres Rockes, der einen Blick auf ihre schlanken Beine freigab, in die richtige Position, bückte sich und schlüpfte in ihre Pumps, die sich am Fuß ihres Sessels befanden. Dann legte sie den Sicherheitsgurt an und wartete bis die Maschine mit einem Hüpfer die Piste berührte. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Als sie sich erhob warf sie einen letzten Blick aus dem Kabinenfenster.

Der Himmel war strahlend blau, weiße Wolken türmten sich zu bizarren Gebilden auf und zogen eilig an ihnen vorbei. Sie erhob sich, ergriff mit einer eleganten Bewegung ihre Handtasche und strebte dem Ausgang zu. Vor dem Passagiertunnel lächelte sie den beiden dort wartenden Stewardessen zu und bedankte sich für den angenehmen Flug.

Sie erreichte den Ankunftsbereich im Terminal 2 des Flughafens und steuerte auf das Rollband der Gepäckausgabe zu. Es war ein herrlicher Sommertag. Das Sonnenlicht fiel durch das gläserne Dach und warf malerische Lichtspiele auf den Boden der Halle.

In der lichtdurchfluteten Ankunftshalle hatte sich eine große Anzahl von Wartenden versammelt, die winkend und rufend die Ankömmlinge auf sich aufmerksam machten. Etwas abseits der Menge bemerkte Agneta eine junge attraktive Frau, die schon eine geraume Zeit zu ihr herüber schaute. „Das muss Anna sein“, dachte Agneta. Sie hatte sie aber nicht sofort erkannt. Immerhin hatten sie sich schon einige Jahre nicht mehr gesehen. Sie nahm ihr Gepäck auf und ging zielstrebig auf den Ausgang zu.

Je näher sie dem Ausgang kam, umso sicherer war sie, dass es sich bei der Warteten um Anna Lundgren handelte. Plötzlich huschte ein Lächeln des Erkennens über ihre Gesichter. Anna lachte, hob fröhlich winkend die Hand und ging mit eiligen Schritten auf sie zu. Dann lagen sie sich in den Armen, herzten und küssten sich.

„Agneta, ich freue mich so sehr, dich wiederzusehen. Wie war dein Flug? Ich hoffe, bei dir ist alles in Ordnung. Du siehst so toll aus, ich bin sprachlos.“ Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, man konnte spüren wie aufgeregt sie war. Sie tanzten wie zwei Teenager umher und wollten gar nicht mehr voneinander lassen. „Lass dich anschauen“, sagte Agneta. Sie betrachtete Anna voller Zuneigung und Bewunderung. Vor ihr stand eine Frau, die so blendend aussah, dass sie im Moment keine Worte fand. Sie trug ein trägerloses eng anliegendes schwarzes Kleid. Die schmalen, wohlgeformten Schultern und der Teint ihrer leicht gebräunten Haut waren eine perfekte Ergänzung zum Schwarz ihres dezent geschnittenen Kleides. Ihren Hals zierte eine dünne goldene Kette, an deren Ende sich ein Anhänger befand, in dessen Mitte ein Brillant von mindestens einem Karat eingearbeitet war.

Ihre Augen verdeckte eine elegante Designerbrille von Gucci, die ein Übriges zur Wirkung ihres Gesichts beitrug. Ihre Haare hatte sie wie zufällig mit drei Kämmen hochgesteckt. Ihre Füße zierten schwarze elegante Pumps, die ihre schlanken Beine noch länger erscheinen ließen.

„Diese Frau ist ein Gesamtkunstwerk“, dachte Agneta. Ein bisschen zu elegant, aber trotzdem so unauffällig, dass man keinen Anstoß daran nehmen konnte. Dann lächelten sie sich an und Anna ergriff Agnetas Arm. „Schön, dass du endlich da bist“, flüsterte sie ihr zu. Dann strebten die dem Ausgang entgegen und viele der Fluggäste blieben stehen und schauten den beiden fasziniert nach. Man hörte das Klacken ihrer hochhackigen Pumps auf den glänzenden Fliesen des Terminals, das in der Höhe des Raumes widerhallte, bis sie die imponierende Flughafenhalle durch die große Flügeltür verlassen hatten. Anna hatte glücklicherweise in unmittelbarer Nähe der Flughafenhalle einen Parkplatz gefunden. Sie steuerten auf einen schwarzen Jaguar XK zu. Als Anna den automatischen Türöffner betätigte, warf Agneta ihr einen erstaunten Blick zu.

„Sag bloß das ist dein Wagen?“ „Ja sicherlich“, erwiderte Anna lachend, „oder siehst du hier noch jemanden?“

„Du hast es ja weit gebracht“, entgegnete Agneta leicht verunsichert. Sie spürte, dass Anna diese Situation ausgesprochen peinlich war. Ohne ein Wort zu erwidern, öffnete sie den Kofferraum und verstaute Agnetas Gepäck.

„Wir fahren zu mir“, sagte Anna mit einem Lächeln, „du kannst heute bei mir übernachten. Morgen werde ich dir dein neues Domizil zeigen.“

Agneta sah in ihren Augen ein geheimnisvolles Funkeln. „Da bin ich aber gespannt“, entgegnete sie voller Erwartung.

„Lass dich überraschen“, fügte Anna lachend hinzu, „es wird dir bestimmt gefallen, da bin ich ganz sicher.“

Schweigend saßen sie nebeneinander. Agneta hing ihren Gedanken nach, dachte an vergangene gemeinsame Zeiten. Dann musste sie plötzlich über einen abstrusen Gedanken lächeln, der aus dem Nichts entstanden war.

Sie schaute mit einem Seitenblick zu Anna, die ihren verstohlenen Blick aber nicht bemerkte. Zwei Edelnutten auf dem Weg in ein ungewisses Abenteuer.

Sie wusste noch immer nicht, ob sie das wirklich wollte, aber sie schob all ihre Zweifel beiseite und beruhigte sich, denn Anna würde, so glaubte sie, nie etwas tun was ihr schaden würde.

Immer wieder schaute sie voller Interesse aus dem Seitenfenster des Wagens. Diese Stadt sollte nun für einige Zeit ihr Zuhause sein.

Von Weitem sah sie die Lastkräne, die wie riesige Giraffen in den stahlblauen Himmel ragten. Je näher sie der Innenstadt kamen, desto dichter wurde der Verkehr. Es war Rushhour in Hamburg, ein endloser Stau zog sich durch die ganze Innenstadt, Ampeln sprangen von Rot auf Grün, Hupen verrieten Hektik und Ungeduld, alles war in Aufruhr. Menschen hasteten über die Straßen wie gehetztes Wild, gejagt von Jägern aus Blech. Agneta war fasziniert von dem, was um sie herum geschah. Nach einer halben Stunde Fahrzeit hatten sie die Landungsbrücken erreicht. Riesige Passagier- und Containerschiffe pflügten durch das Wasser. Dazwischen kleine Barkassen, die wie Nussschalen auf den Wellen tanzten.

Agneta hatte plötzlich das Bedürfnis sich unter die Menschen zu mischen und dieses Gefühl der Geschäftigkeit unmittelbar und hautnah mitzuerleben. Und über allem der stahlblaue Himmel, der die ganze Stadt in einer Freundlichkeit erscheinen ließ, die kaum zu beschreiben war. Eine leichte Brise wehte vom Hafen herüber und verschaffte Linderung. Agneta spürte den kühlen Wind auf ihrer Haut und ein glückliches Schaudern großer Zufriedenheit durchströmte ihren Körper.

An den Anlegestellen standen ungeduldige Touristen die auf die nächste Barkasse warteten, mit der sie eine Hafenrundfahrt machen wollten. Fischbuden, kleine Imbissstände, Getränkeshops, Andenkenläden reihten sich, dicht an die Kaimauer gedrängt, hintereinander auf.

Vor ihnen standen Menschen aller Nationalitäten, ein Stimmengewirr der verschiedensten Sprachen schallte zu ihnen herüber. Agneta konnte sich nicht sattsehen an diesem geschäftigen Treiben, an der Vielfalt der Eindrücke, die plötzlich auf sie einstürzten. Sie genoss diesen Augenblick und vergaß für eine kurze Zeit den Zweck ihres Hierseins.

„Lass uns eine Kleinigkeit essen gehen“, schlug Anna vor, „du wirst doch sicher hungrig sein. Ich kenne hier in der Nähe ein sehr nettes Lokal in dem viele Prominente verkehren, es ist eines der bekanntesten Lokale in ganz Hamburg. Es ist hier ganz in der Nähe.“

„Wie du willst“, erwiderte Agneta zögernd, hakte sich bei Anna ein und sie gingen, von vielen bewundernden Blicken der Passanten begleitet, in Richtung Michaeliskirche, dem Wahrzeichen der Hansestadt. Sie verließen das Hafengelände, bis sie wenige Minuten später die Englische Planke erreichten. Vor ihnen befand sich das viel gepriesene Lokal. Der Name „Old Commercial Room“ prangte in großen Lettern über der Eingangstür. Als sie das Lokal betraten empfing sie eine anheimelnde Atmosphäre, wie die Mahagoni-Separées, Captain‘s-Table, Künstler-Stammtisch und Hafen-Stammtisch, Freunde der Seefahrt, Portier‘s Loge vermittelten Agneta ein hohes Maß an Intimität und Geborgenheit. Die Verbundenheit mit der Tradition der Hansestadt war unverkennbar, jedes Detail übte auf den Betrachter einen besonderen Reiz aus und ließ ihn eintauchen in die Jahrhunderte alte Geschichte der Hansestadt. Die Wände zierten unzählige Bilder von Prominenten, die selbstverständlich handsigniert waren. Porträts von Sean Connery, Wolfgang Petersen, Elke Sommer, Franz Beckenbauer, Willy Brandt, Neal Diamond hingen mit der gleichen Selbstverständlichkeit an der Wand, wie die von Woody Allen, Helmut Schmidt und Bon Jovi, George Cloony und last but not least den Beatles, um nur einige dieser herausragenden Persönlichkeiten zu nennen. Anna spürte wie fasziniert Agneta von diesem Ambiente war und behutsam erfasste sie ihre Hand.

„Komm, wir gehen nach oben, in der Red Lounge hat man einen herrlichen Blick auf das Hauptportal des Hamburger Michel“, flüsterte sie ihr zu. Agneta nickte zustimmend, ohne ein einziges Wort zu sagen.

Es war ein faszinierender Anblick, als sie die Lounge betraten. Wie ein Sternenhimmel leuchteten hunderte von Reflektoren von der Decke herab und tauchten den Raum in ein strahlendes Licht. Auf dem Boden befanden sich goldene Sterne, auf denen liebevoll die Namen prominenter Größen aus Film, Musik, Wirtschaft und Politik verewigt waren.

Es war der „Walk of Fame“ derer, die diesem Restaurant durch ihren Besuch bereits ihre Reverenz erwiesen hatten. Der ganze Raum war in einem dezenten Rot, dessen Wirkung sich noch durch die Anordnung einer schweren, in rot gehaltenen, ledernen Couchgarnitur verstärkte.

Es war eine vollendete Harmonie, die dieser Raum ausstrahlte, fernab jeder Hektik konnte man sich hier entspannen, es herrschte eine Ruhe und Gelassenheit, die den Nerven gut tat und die Herausforderungen des Lebens für eine kurze Zeit vergessen ließ. Sie gingen zu einem gedeckten Tisch in der Ecke der Lounge, der direkt am Fenster stand und nahmen Platz.

Ein herrlicher Blick offenbarte sich ihnen als sie aus dem Fenster schauten. Eine junge Kellnerin kam freundlich lächelnd auf sie zu. Sie schaute sie an und Agneta sah ein bewunderndes Leuchten in ihren freundlichen, tiefbraunen Augen.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie mit dezenter Stimme, „darf ich Ihnen die Speisenkarte überreichen?“ Beide nickten zustimmend. Sie nahmen die Karte entgegen und dann entfernte sie sich so unauffällig, wie sie gekommen war. Sie schauten aus dem Fenster, ihr Blick fiel direkt auf das Hauptportal der wunderschönen Barockkirche St. Michaelis, über dem die Bronzestatue des Erzengels Michael stand.

Anna schaute sie an und flüsterte: „Ist das nicht wunderschön?“ Agneta nickte und mit glänzenden Augen schaute sie in die Ferne, sah den stahlblauen Himmel und die weißen Wolken, die angetrieben durch den Wind, eilig vorüber zogen. Sie musste an ihre Kindheit denken, erinnerte sich wie sie oft allein am Meer gesessen hatte und dem Spiel des Windes und den Wolken zugeschaut hatte.

Eine nie gekannte Ruhe kehrte in ihr Innerstes ein, erfüllte ihr Herz mit einem Gefühl der Dankbarkeit und Zufriedenheit. Wie aus einem wunderschönen Traum erwachte sie, als die Kellnerin an den Tisch trat und das Essen servierte. Schweigend saßen sie nebeneinander. Nachdem sie sich mit einem vorzüglichen Essen gestärkt, hatten winkten sie die Kellnerin herbei.

„Ich hoffe es hat Ihnen geschmeckt“, sagte sie mit einem Lächeln im Gesicht.

Beide schauten auf und wie aus einem Mund, erwiderten sie: „Danke es war ausgezeichnet.“ Sie beglichen die Rechnung und gaben dem Anlass angemessen ein fürstliches Trinkgeld. Sie erhoben sich und die Kellnerin begleitete sie bis zur Tür.

„Beehren sie uns bald wieder …“, sagte sie zum Abschied. „Das werden wir sicher tun“, antwortete Anna mit einem Lächeln.

Dann standen sie auf der Straße und die nie enden wollende Hektik und Betriebsamkeit dieser Weltstadt hatte sie wieder. Agneta hakte sich bei Anna ein, schaute sie an und sagte nur ein Wort: „Danke.“

Sie fuhren nur wenige Minuten und dann hatten sie Annas Domizil erreicht. Sie wohnte mitten in Harvestehude in dem Villenviertel, das durch seine besondere Lage an der Außenalster zu den Sahnestückchen in Hamburg gehörte. „Donnerwetter“, dachte Agneta, „nobel, nobel.“

Anna parkte ihren Jaguar vor einem weißen Haus, in dem zwar sieben Parteien wohnten, das aber schon durch sein äußeres Erscheinungsbild Noblesse vom Feinsten erkennen ließ. Die obere Etage wurde durch ein fantastisches Penthouse-Domizil gekrönt, das rundum verglast und deren großzügige Terrasse mit herrlichen Bäumen bepflanzt war. Sie gingen zum Eingangsportal. Zu jeder Wohneinheit gehörten eine Gegensprechanlage und ein Monitor, der den Bewohnern die Möglichkeit gab, genau zu sehen, wer vor der Tür stand. Und als Anna ihre Codenummer eintippte öffnete sich die Tür wie von Geisterhand und sie standen in einer eleganten Eingangshalle. Die Wände und Treppen waren aus edlem hellem Marmor, das Treppengeländer war weiß und mit goldenen Ornamenten verziert. „Hier lässt es sich leben“, dachte Agneta. Sie betraten den Fahrstuhl und wurden sanft in die obere Etage getragen. Anna öffnete die Tür und sie befanden sich in einer geräumigen Diele, die den Blick auf das Wohnzimmer freigab, das so groß war, dass man sich fast verlaufen konnte. Mittelpunkt des Raumes war eine ausladende weiße Ledergarnitur, die vor einem wunderschönen Kamin stand.

„Willkommen in meinem Leben.“

Anna schaute sie lachend an, umarmte sie und streichelte zärtlich ihre Wange.

„Erzähl mir, wie ist es dir die ganzen Jahre ergangen?“

Sie saßen den ganzen Abend zusammen, sprachen über alte Zeiten, kicherten und alberten herum wie zwei Teenager, die ihre Erfahrungen über ihr erstes Liebeserlebnis austauschten. Es war wieder diese tiefe Vertrautheit zwischen ihnen, so als wären sie nie voneinander getrennt gewesen.

Dann spürte Agneta wie eine unaufhaltsame Schläfrigkeit ihren Körper erfasste. Sie wollte nur noch schlafen, wollte die Augen schließen, wollte Abstand gewinnen von den Ereignissen des vergangenen Tages. Sie verschwand im Bad, entkleidete sich und zog sich ihr seidenes, fast durchsichtiges Negligé an. Als sie das Wohnzimmer betrat, schaute Anna auf und betrachtete sie mit einem bewundernden Blick. Durch den dünnen Stoff ihres Negligés, sah sie den formvollendeten Körper ihrer Freundin.

Agneta beugte sich zu ihr herunter, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und flüsterte ihr ein leises „gute Nacht“ zu, drehte sich um und verschwand im Schlafzimmer.

„Ich werde auch gleich zu Bett gehen“, rief Anna ihr nach.

Als Anna ihr folgte und das Schlafzimmer betrat hörte sie Agnetas tiefe ruhige Atemzüge. Sie lag unter dem seidenen Laken und ihr Po lugte kess unter ihrem Negligé hervor. Ganz vorsichtig setzte sie sich auf das Bett, um den Schlaf Agnetas nicht zu stören. Innere Erregung stieg in ihr auf und ihr Blick glitt über ihren ruhenden Körper, den sie so sehr begehrte. Sie konnte nicht anders, einem inneren Zwang folgend, berührte sie Agnetas nackte Haut und ihre Hand glitt behutsam über sie. Sie war schön, so wunderschön und so unendlich verführerisch. Sie erinnerte sich, wie sie während ihres Studiums von einer gemeinsamen Party kamen. Sie waren voller Lebensfreude, hatten das Gefühl sie würden über den Wolken schweben, waren voller Übermut und Tatendrang. Und dann war es geschehen. Sie hatten sich mit einer Leidenschaft geliebt, zu der nur Frauen fähig sind.

Anna hatte einen Höhepunkt erlebt, der sie in den Himmel der Glückseligkeit aufsteigen ließ. Umso schmerzlicher war es für sie als sie wusste, dass es das einzige Mal war, dass sich beide so nah waren, aber bei Anna hatte es einen so tiefen Eindruck hinterlassen, dass sie es nicht mehr aus ihrem Gedächtnis löschen konnte.

Jahrelang trauerte sie um diese wunderbare Frau, die nach dieser Nacht voller Zärtlichkeit und Hingabe nicht mehr sein wollte, als eine gute Freundin.

An all dies musste Anna denken, als sie Agneta so halb nackt neben sich liegen sah. Sie küsste ihre Schulter und streichelte zärtlich über ihren Rücken. Trotz ihrer Traurigkeit, die sie seit diesem Erlebnis überkommen hatte und nicht aus ihrem Inneren weichen wollte, wusste sie doch zu genau, dass Agneta niemals ihre Gefühle erwidern würde und das Gleiche für sie empfand. Aber dennoch war sie glücklich und dankbar dafür, dass sie nun endlich wieder in ihrer Nähe war.

Noch vor einer Woche ahnte Agneta nicht, dass sie für eine geraume Zeit ihre Zelte in ihrer Heimatstadt Stockholm abbrechen würde, um Hals über Kopf nach Hamburg zu reisen, und nun war sie hier in dieser Stadt, die sie so sehr an ihre geliebte Heimatstadt Stockholm erinnerte. Die Gefühle, die sie in diesen Augenblicken hatte, erfüllten sie mit einer tiefen Zufriedenheit, die sich mit Worten kaum beschreiben ließ. Sie dachte keinen Augenblick an den wahren Grund ihres Hierseins, dachte nicht an das, was folgen würde, sie genoss nur den Augenblick und das war ihr im Moment das Wichtigste.

Sie kehrte am frühen Abend, nach einem ausgedehnten Einkaufsbummel in Stockholm, nach Hause zurück und fand einen Brief mit einem ihr unbekannten Absender in ihrer Post. Ein wenig nervös und voller Neugier öffnete sie den Briefumschlag, nahm den Briefbogen heraus und ihr Blick überflog ungläubig die Zeilen.

Den Kopf des Schreibens zierte ein Name, den sie noch nie zuvor gehört hatte. Tess Anderson stand dort in einer eleganten Schreibschrift am Kopf der Seite. Darunter wurde sie mit sehr freundlichen Worten zu einem in Hamburg stattfindenden Kongress eingeladen.

Eine Einladung nach Hamburg zu einem Kongress? Was sollte das? Sie setzte sich auf die Couch und las immer wieder diese Zeilen, aber sie fand keine Erklärung. Welchen Zweck sollte diese Einladung haben?

Schließlich legte sie den Brief zur Seite und entschloss sich, am nächsten Morgen in Hamburg anzurufen und nach dem Grund zu fragen. Sie entkleidete sich, nahm ein erfrischendes Bad, zog ihren Bademantel über, goss sich ein Glas Rotwein ein und versuchte sich ein wenig zu entspannen, aber dieser verdammte Brief ging ihr nicht aus dem Kopf.

Am nächsten Morgen erwachte sie und spürte, dass sie eine sehr unruhige Nacht verbracht hatte. Sie bereitete ihr Frühstück, setzte sich ins Esszimmer und schlürfte ihren frisch aufgebrühten Kaffee, der augenblicklich ihre Lebensgeister weckte. Dann ergriff sie den Brief, der neben ihr auf dem Tisch lag, und wählte voller Ungeduld die Telefonnummer, die auf dem Brief stand. „Komm schon, komm schon“, flüsterte sie ungeduldig.

Dann endlich wurde abgenommen, auf der anderen Seite meldete sich eine Frauenstimme: „Exclusive Escort Service Hamburg.“ Ihr fiel fast vor Schreck der Hörer aus der Hand und für einige Sekunden war sie so sprachlos, dass sie kein Wort heraus bekam. „Wer ist denn dort bitte?“, fragte die Stimme.

Agneta fasste sich und sagte immer noch ziemlich sprachlos: „Hier ist Agneta Gulbrandsson, Sie haben mir eine Einladung geschickt und ich möchte zu gerne wissen, was das soll?“, und dann fügte sie hinzu, „Ich möchte gerne mit Frau Anderson sprechen.“

„Sehr gerne Frau Gulbrandsson, einen Augenblick bitte, ich verbinde Sie.“ Für einen Moment war die Leitung tot, dann hörte sie ein Klicken und am anderen Ende war Tess Anderson.

„Hallo Agneta“, meldete sie sich mit überschäumender Freundlichkeit, „schön, dass du dich gemeldet hast.“

In diesem Moment war sie total verwirrt, war es ein Irrtum oder hatte sie den Namen schon einmal gehört und warum sprach die Unbekannte sie mit einem du an? Die Dame am anderen Ende spürte Agnetas Unsicherheit und entgegnete ihr mit fröhlicher Stimme. „Hast du deine alte Freundin schon vergessen? Hier ist Anna Lundgren. Weißt du nicht mehr, wir waren doch zusammen auf der Uni in Stockholm? Tess Anderson ist mein Pseudonym.“

„In diesem Moment war bei Agneta der Groschen gefallen. „Anna, bist du es wirklich?“

„Ja ich bin’s“, rief diese lachend. Und dann unterhielten sie sich über die vergangenen Zeiten, über ihre Studentenzeit, die wilden Partys, die sie oft zusammen gefeiert hatten. Es dauerte nicht lange und die alte Vertrautheit war zurück, so als wären sie nie getrennt gewesen. „Du hast einen Escortservice?“, fragte Agneta ungläubig.

„Ja, schon einige Jahre“, erwiderte Anna voller Stolz, „aber keine Sorge es ist ganz seriös. Unsere Kunden sind meistens Geschäftsleute die das ganze Jahr nur im Flieger sitzen. Die armen Kerle kommen aus aller Welt zu unseren Kongressen und sind froh, wenn sie nicht immer allein sind und in Begleitung einer attraktiven Dame zu Banketten und anderen hochrangigen Veranstaltungen gehen können.“

Agneta hatte ihr die ganze Zeit zugehört und fragte dann erschrocken: „Warum hast du mir dann diese Einladung geschickt?“ Für den ersten Moment war betretenes Schweigen am anderen Ende der Leitung.

„Agneta, Schätzchen, hör mir erst einmal zu“, meldete sich Anna mit einem Lachen in ihrer Stimme. „Hast du vergessen, wie wir unser Studium finanziert haben? Wir waren uns doch noch vor einigen Jahren einig, dass dies die eleganteste Art ist, viel Geld zu verdienen, stimmt´s?“

„Ja das stimmt schon“, erwiderte Agneta etwas verlegen, „aber diese Zeiten sind für mich endgültig vorbei.“

„Schatz, bitte hör mir erst einmal zu, bevor du endgültig Nein sagst. Ich habe einen Kunden, der eine außergewöhnliche Frau sucht und das, was du tun sollst, bezieht sich nur auf einen Mann. Es ist nicht der Kunde, der dich für sich haben will, sondern er tut es für einen Freund. Ich habe dabei zuerst an dich gedacht, denn du erfüllst meiner Meinung nach genau das, was er sucht.“

„Anna, hör auf, ich mache das nicht mehr, hast du mich verstanden?“, entgegnete Agneta unwirsch.

„Agneta, bitte, es ist ganz seriös, du sollst dich nur ein bisschen um einen seiner Freunde kümmern, ich gebe allerdings zu, es ist ein kleiner Haken dabei.“

„Und welcher wäre das?“, fragte Agneta misstrauisch. Anna konnte spüren, dass sie sich innerlich dagegen sträubte, dass sie nicht beabsichtigte, sich auf diesen Deal einzulassen.

Sie fuhr fort: „Du müsstest allerdings für einige Zeit hier in Hamburg bleiben.“

„Und warum sollte ich das tun?“, entgegnete sie voller Misstrauen.

„Das kann ich dir sagen“, erwiderte Anna, „weil du danach um zweihunderttausend Euro reicher sein wirst.“

Agneta verschlug es den Atem und in ihrem Kopf war ein heilloses Durcheinander, sie rang nach Fassung und konnte diesen wahnwitzigen Vorschlag im ersten Moment überhaupt nicht realisieren.

„Welcher Idiot würde für die Begleitung und ein wenig Sex mit einer Frau so viel Geld ausgeben?“, dachte sie. Doch dann gewann ihre Ratio die Oberhand und sie malte sich schon in Gedanken aus, was sie mit diesem Geld alles anfangen konnte. Anna spürte, dass sie Agneta fast überzeugt hatte und fügte beschwörend hinzu: „Hör zu, das ist ein Angebot, das du nicht ausschlagen solltest. So etwas wird dir nur einmal angeboten, glaub mir. Denk in Ruhe darüber nach und wenn du dich entschieden hast, lass es mich wissen damit ich alles Weitere veranlassen kann. OK?“

„Ja, ich rufe dich an.“

Total verwirrt, und noch immer voller Zweifel, verabschiedete sie sich und legte wie in Trance den Hörer auf. Es würde keine angenehme Nacht werden, da war sie ganz sicher. Gedanken kreisten in ihrem Kopf wie ein Karussell, das nicht aufhören wollte sich zu drehen.

„Warum sollte ich dieses lukrative Angebot nicht annehmen“, fragte sie ihr inneres Ich, um im nächsten Augenblick wieder alles infrage zu stellen.

„Verdammt noch mal, du hast doch früher keine Skrupel gehabt dir auf diese Art dein Geld zu verdienen. Du hast mit Anna gewetteifert, wer den meisten Erfolg hatte und jetzt spielst du hier die Heilige.“

Vielleicht war der Grund, dass sie einige Jahre älter geworden war und diese Art des Geldverdienens eigentlich nicht mehr nötig hatte. Sie hatte ihr Studium mit Auszeichnung absolviert und einen gut dotierten Job in einem schwedischen Konzern bekommen. Sie war durchaus in der Lage ihren doch recht aufwendigen Lebenswandel durch diesen Job zu finanzieren.

Aber sie war immer eine Spielerin gewesen, hatte immer nach anderen Wegen gesucht und kein Risiko gescheut und sie war eitel. Bei jedem Mann den sie kennenlernte weckte sie Begehrlichkeiten und das schmeichelte ihr.

2. Kapitel

Ein Gefühl der Ohnmacht, Verzweiflung und Einsamkeit überkam Kai Lorenzen, als er die nicht enden wollende Auffahrt zu seinem Domizil hinauf fuhr. Zwischen den sich im Winde wiegenden Wipfeln der Bäume schimmerte das Dach der Villa im gleißenden Licht der Abendsonne. Er stieg aus und ging mit schweren Schritten auf die Eingangstür zu.

Er zögerte einen Augenblick und blieb unentschlossen davor stehen. Er wusste genau, was ihn erwartete. Es war die Stille, diese unbarmherzige Stille, die ihm die Kehle zuschnürte und die Angst und die ganze Verzweiflung in ihm aufsteigen ließ. Der Begriff Totenstille hatte in diesem Moment für ihn eine ganz neue, unerträgliche Bedeutung bekommen, als er die Eingangshalle betrat. Kein Geräusch drang an sein Ohr, nur das Ticken der Uhr war zu hören. Unaufhaltsam verstrich die Zeit des Lebens und mit jeder Sekunde, die verrann, wurde ihm bewusst, dass es eine nutzlose, nie enden wollende Zeit war. Vor dem Kamin blieb er stehen und Tränen trübten seinen Blick. Zwei Bilder standen auf dem Sims des Kamins. Bilder der beiden Menschen, die er über alles liebte und die seinem Leben einen Sinn gegeben haben. Nur zwei Bilder und die Erinnerung, das war alles, was ihm geblieben war.

Die imposante Villa der Familie Lorenzen stand da wie eine Trutzburg der Macht, Luxus wohin man schaute, umgeben von einem riesigen Park und in der Mitte dieser Prachtbau, der alles in den Schatten stellte was man so hinlänglich als Villa bezeichnete. Eine Auffahrt, umgeben von exotischer Blütenpracht, führte direkt zu diesem unvergleichlich luxuriösen Bauwerk. Daneben die Garage, die die Dimension eines Einfamilienhauses hatte. Der darin befindliche Fuhrpark der Familie Lorenzen ließ keine Wünsche offen. Der Rolls Royce gehörte genauso dazu wie ein knallroter Ferrari, der sich, als würde er Schutz suchen, neben seinem großen Bruder Rolls duckte.

Vor dem Haus stand, wie zur Dekoration, ein schwarzer Porsche 911, der seiner einzigen Tochter Lena gehörte. Daneben, wie aus einer anderen Welt, ein wundervolles Stückchen Erde, bepflanzt mit den exotischsten Gewächsen, die er aus aller Welt zusammentragen ließ. Wer es sah, konnte seine Bewunderung nicht verbergen, doch es war ein Fleckchen Erde, das sein Glück und seine Lebensfreude so plötzlich vernichtet hatte, dass er fast daran zerbrach. Hier hatte seine geliebte Frau Patricia immer ihren Wagen abgestellt, bis zu dem Tag, als ein schwerer Unfall ihrem Leben ein so jähes Ende bereitete.

Es gab viele, die auf das was dieser Lorenzen erreicht hatte, neidisch waren und sie waren der Meinung, dass Geld gleichbedeutend mit Glück war. Glaubten sie wirklich, dass man sich mit Geld alles Glück dieser Erde kaufen kann? Oh nein, das Glück ist so zerbrechlich, so unstet, man kann es nicht festhalten, es ist kein persönliches Eigentum, es ist wie ein Sonnenstrahl, der für einen Moment das Dunkel des Lebens erhellt. Aber es kommt und geht, wann es will.

Kai Lorenzen, einer der reichsten Bürger der Stadt Hamburg, hatte es in seinem Leben weit gebracht, sein Reichtum war unermesslich. Er schien auf der Sonnenseite zu leben. Ihm gehörten ein Dutzend internationale Großfirmen und kein Mensch wusste wie viel Restaurants, Kneipen und Bars, sogar im Hamburger Rotlichtmilieu, sein eigen waren.

Er war schon jahrzehntelang Mitglied des berühmten „Hanseaten-Clubs“, zu dem nur die Honoratioren der Freien und Hansestadt Zutritt hatten. Er war Mitglied des Hamburger Senats und hatte auch sonst keine Mühen gescheut, ganz dicht an den Hebeln der Macht zu sitzen. Aus den kleinsten Verhältnissen kommend, hat er sich zu einem der reichsten Männer der Stadt empor gearbeitet. Sein Vater war ein einfacher Bauarbeiter und seine Mutter ging, weil der Verdienst des Vaters vorn und hinten nicht reichte, in der Nachbarschaft die Treppenhäuser putzen. Wahrlich keine guten Voraussetzungen für Kais Bilderbuchkarriere. Er war getrieben von übermenschlichem Ehrgeiz und dem unbändigen Wunsch zu „denen da oben“ zu gehören und so wurde er zu dem, was er jetzt war. Eine Vision seiner Jugendzeit war in Erfüllung gegangen. Doch das Leben in Wilhelmsburg verlangte ihm alles ab. Schon früh musste er sich behaupten, Straßenkämpfe unter jugendlichen Banden bestimmten sein Leben. Der Stärkste musste auch der Sieger sein, das hatte er von Anfang an gelernt. Und er wurde nicht nur anerkannt, sondern auch gefürchtet.

Es war für ihn die beste Schule seines Lebens, bereitete ihn vor auf den Kampf, der noch folgte. Mut haben, sich vor nichts in der Welt fürchten, niemals aufgeben, er wollte mächtig sein und andere beherrschen, skrupellos und immer das eine Ziel vor Augen, das war es, was ihn vorwärtstrieb. Wer sich eine Blöße gab oder gar Schwäche zeigte, war verloren, verloren im Dschungel der Rücksichtslosigkeit. Sich am Rande der Legalität zu bewegen gehörte genauso dazu, wie der gnadenlose Kampf ums Überleben.

Seine Karriere begann wenige Monate nach seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Vom Schläger und Dealer zum seriösen Geschäftsmann? War so etwas überhaupt möglich? Er hatte nie den geringsten Zweifel es zu schaffen, denn er hatte einen Traum, der sich wie ein Brandmal in seinem Körper eingebrannt hatte, dieser Traum bestimmte fortan sein ganzes Tun und Handeln.

Er wusste genau, wenn es gelingen sollte, musste er Wilhelmsburg verlassen, konnte sich nicht länger mit den alltäglichen, aufreibenden Machtspielen aufhalten, musste die Chance ergreifen, die ihm ein Freund seines Vaters bot. Fortan war Karl Niemann, ein schon recht großer unter den Baulöwen Hamburgs, sein Vorbild und Förderer. Mit einer geradezu atemberaubenden Geschwindigkeit stieg er in der Firmenhierarchie nach oben.

Die Firma expandierte dank seiner Willenskraft und seiner genialen Verhandlungsstrategie. Sie war, sehr zum Leidwesen der Konkurrenz, in kürzester Zeit der Branchenführer in der Hansestadt. Großaufträge, die er haben wollte, bekam er. Er beherrschte alle Schachzüge und Tricks in dieser Branche und war gut zu denen, die auch gut zu ihm waren. Es war eine hervorragende Schule, die Lebensschule von Wilhelmsburg. Als sein Vorbild Karl Niemann starb, übernahm er die Firma in voller Blüte, scheute kein Risiko, spekulierte an der Börse, kaufte viele Firmen hinzu und vermehrte so Macht und Einfluss des Unternehmens. Alles was er in die Hände nahm, wurde zu Gold. Er war ein Glückspilz und genialer Geschäftsmann, der unscheinbare Junge aus Wilhelmsburg.

Bald war Kai ganz oben, da wo er immer hin wollte. Macht und Einfluss zu haben war sein Ziel, solange er denken konnte, aber anerkannt von denen die hier seit Generationen die Geschicke dieser Stadt lenkten, wurde er eigentlich nie. In ihren Augen war er ein ganz gewöhnlicher Emporkömmling, aber das interessierte ihn nicht, denn Geld und Einfluss waren ihm wichtiger als alle noblen Familienstammbäume dieser Stadt. Die Realität gab ihm recht, er wurde trotzdem hofiert und seine Parteispenden waren immer herzlich willkommen. So gesehen vermisste er nichts, denn das Geld verlieh ihm uneingeschränkte Macht. Auch die Herzen der Damen flogen ihm zu, zu gerne hätten einige von ihnen seine Zuneigung errungen, aber er war sehr anspruchsvoll und widerstand allen Werbungen, denn er hatte sich schon entschieden. Entschieden für eine wunderbare Frau, die schicksalhaft seinen Lebensweg kreuzte. Patricia, die Tochter des damaligen Innensenators, hatte es ihm angetan. Als er sie auf einem Empfang der Hamburger Handelskammer das erste Mal sah, hatte er sich Hals über Kopf in sie verliebt. Von diesem Tag an gab es für ihn nur ein Ziel, er wollte sie für sich gewinnen.

Er schickte ihr jeden Tag einen Strauß roter Rosen und überhäufte sie mit wertvollen Geschenken. Er hatte ihr Herz endgültig gewonnen, als er an einem wunderschönen Sommertag mit einem Flugzeug über ihrem Haus kreiste und tausend rote Rosen abwarf, der ganze Garten war übersät mit diesen wunderschönen Zeichen seiner Liebe zu ihr.

Am Heck des Flugzeugs flatterte ein riesiges Transparent mit der Aufschrift: „Patricia, ich liebe dich. Willst du meine Frau werden?“ Fassungslos stand sie im Garten und starrte in den Himmel. Tränen der Freude überströmten ihr Gesicht. „Ja ich will“, rief sie zurück. Er hörte sie nicht, aber es war ein Versprechen, das sie ihm gab, ja ich will dich für immer und ewig.

Es begann die schönste und glücklichste Zeit seines Lebens. Diese wunderbare Frau hatte ja zu ihm gesagt, zeigte ihm ein Leben wie es schöner und vollkommener nicht sein konnte. Zum ersten Mal erlebte er in seinem Innern, was es hieß, von einem Menschen bedingungslos geliebt zu werden. Oft saß er, wenn es seine knapp bemessene Zeit erlaubte, tief in Gedanken versunken da und konnte das, was mit ihm geschehen war, immer noch nicht begreifen.

In diesen kurzen Augenblicken des Glücks dankte er dem da oben für diese Fügung, für die Möglichkeit dem Menschen, den er über alles liebte all das zu geben, was er in seinem vergangenen Leben nie erfahren hatte. Aber sein Glück war erst vollkommen, als sein Töchterchen Lena geboren wurde. Zart und zerbrechlich hielt er sie in den Armen, spürte die Wärme ihres Körpers, genoss es wie sie mit ihren kleinen Beinen strampelte und ihre suchenden Finger neugierig sein Gesicht erforschten. Er hätte sie am liebsten immer in seinen Armen gehalten, wollte sie nie mehr loslassen.

Sie wuchs heran, unbekümmert und charakterstark wie ihr Vater und liebenswert und einfühlsam wie ihre Mutter. Sie war ein Abbild der Mama, hatte ihre Wesenszüge, ihren Charme, sogar wenn sie lachte, glaubte er, Patricia zu hören. Aus dem kleinen, fröhlichen, blonden Wirbelwind wurde eine junge begehrenswerte Frau, die durch ihre Herzlichkeit und ihre Fröhlichkeit die Herzen all derer, die sie umgaben, im Sturm eroberte. Sie war der Sonnenschein der Familie, der alles mit Licht erfüllte.

Und doch kam der Tag den er niemals vergessen würde. Das Schicksal war, ohne dass er etwas davon ahnte, auf dem Weg zu ihm, es wollte ihm zeigen wie zerbrechlich das Glück ist, wie es ohne Vorankündigung die Welt verändern und abgrundtief zerstören kann. Patricia, seine Frau, war auf dem Weg zu ihrer Mutter, umihr einen Besuch abzustatten. Sie hatte sie lange Zeit nicht gesehen und das Bedürfnis sie in die Arme zu nehmen wurde immer stärker. An diesem Tag zogen schwere Unwetter über das Land, aus den Wolken ergossen sich sintflutartige Regenfälle wie Sturzbäche vom Himmel. Tobende Sturmböen ließen alles in schäumender Gischt untergehen. Die Bäume am Rande der Straße neigten sich ehrfurchtsvoll vor den Naturgewalten, alles war nur noch wie durch einen Nebel zu erkennen. Der Scheibenwischer, der aufgeregt seiner Aufgabe nachkam, schaffte es schon lange nicht mehr. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, sie wollte so schnell wie möglich an ihr Ziel gelangen. Um besser sehen zu können, hatte Patricia die Scheinwerfer eingeschaltet. Wie Kristalle flogen die Regentropfen auf sie zu, verwirrten sie vollends, machten sie orientierungslos.

Alles um sie herum verschwand in einen grauen, undurchdringlichen Nebel. Ihre Augen schmerzten, der Schweiß nackter Angst brach aus ihr heraus und ihr Herz schlug in wilder Panik und Verzweiflung, verwirrte ihre Gedanken. Krampfhaft hielt sie das Lenkrad fest, versuchte, den Wagen auf der Straße zu halten, suchte nach einem Ausweg, wollte anhalten, aber es war zu spät.

Plötzlich tauchten vor ihr wie aus dem Nichts zwei Lichter auf. Immer näher kamen sie, unaufhaltsam und wie von einem Magneten angezogen schossen sie auf sie zu.

Sie versuchte auszuweichen, riss das Lenkrad herum, dann verlor sie die Gewalt über das Fahrzeug, ein Schrei der Angst und Verzweiflung entfuhr ihrer Kehle. In wilder Panik klammerten sich ihre Hände um das Lenkrad, sie schloss die Augen, ein letzter, angstvoller Aufschrei und sie ergab sich ihrem Schicksal.

Wie ein Geschoss raste sie auf einen Baum zu, der plötzlich wie ein dunkler Schatten vor ihr auftauchte, dann ein ohrenbetäubendes Krachen und das Fahrzeug flog, wie von einer gewaltigen Macht von der Straße gerissen, durch die Luft, überschlug sich und aus der Ferne drang ein zerstörendes Knirschen und Bersten in ihr Ohr und raubte ihr vollends die Sinne. Die Windschutzscheibe zerbarst in tausend kleine Teile und der eisige Hauch des Todes blies ihr ins Gesicht.

Gleißendes Licht durchwogte sie, in Bruchteilen von Sekunden lief das Leben an ihr vorbei. Sie sah Lena wie sie fröhlich lachend durch den Garten tobte, sah Kai, der sie zärtlich in die Arme nahm und ihr Gesicht streichelte. Spürte mit jeder Faser ihres Körpers die Liebe und Güte ihrer Eltern, die ihr zulächelten und ganz tief in ihrem Herzen ihren Platz gefunden hatten. Ihr Körper war durchflutet von einer barmherzigen Wärme, löste sie los aus dem irdischen Leben.

„Ich gehe jetzt“, flüsterte sie, „aber ich werde immer bei euch sein.“ Dann schloss sie für immer die Augen und es war Stille, tödliche Stille. Nur die immer noch brennenden Scheinwerfer gaben Zeugnis davon, was gerade geschehen war.

Nun war er ein einsamer Mannmit all seinem Reichtum. Er war allein mit sich und seinem unendlichen Schmerz. Immer und immer wieder fragte er nach dem Sinn seines Lebens, nach dem Warum seiner übermenschlichen Anstrengungen im Streben nach Macht und Anerkennung. Er hatte alles erreicht und doch so unendlich viel verloren. Er wäre sogar bereit gewesen all seinen Reichtum zu opfern, wenn es eine Rückkehr gegeben hätte, ein Zurück in die Zeit des Glücks mit Patricia, die er jede Sekunde so schmerzlich vermisste. Aber das Schicksal hatte die Seite des Buches zugeschlagen, hatte auf so grauenvolle Weise einen Schlussstrich gezogen, unbarmherzig und unwiederbringlich.

3. Kapitel

Es war eine rauschende Ballnacht, auf der sich Jens und Lena zum ersten Mal begegneten. Er der groß gewachsene Hanseat mit italienischem Einschlag, der mit seinem Charme Eisberge zum Schmelzen bringen konnte. Lena, die durch ihr Aussehen und ihren Liebreiz allen Männern den Kopf verdrehte. Sie sah ihn und hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt.

Von diesem Moment an stand für sie fest, den will ich haben oder keinen und sie war sich ihrer Sache sehr sicher, dass ihr Wunsch in Erfüllung ging. Von diesem Abend an waren sie das Traumpaar der Hansestadt.

Kai betrachtet diese Romanze mit großem Wohlwollen. Es erfüllte ihn mit Glück, wenn er sah wie sich Lena von Tag zu Tag veränderte.

Er hatte sie nach dem Tod von Patricia nie mehr so oft lachen gehört, wenn er in ihrer Nähe war, sein Herz mit Stolz erfüllt, ein derartiges Kleinod als Tochter zu haben. Lena war alles, was ihm geblieben war und sie bedeutete ihm mehr als alles auf der Welt. Er liebte sie abgöttisch. Aber er spürte nicht, wie sich wieder einmal dunkle Wolken über ihm zusammenzogen.

Robert Steinbach war, bevor er zum Generalanzeiger wechselte, Chefredakteur bei der Boulevardzeitung „Hamburg News“. Nun ist es ja so, dass dieses Genre es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Aber hier war Steinbach wohl am richtigen Platz.

Dieser kleine intrigante Hanswurst ließ keine Gelegenheit aus, jeden Dreck dieser Welt ans Tageslicht zu zerren. Verfälschte Wahrheiten, machte sie zu üblen Schlagzeilen. Wurde er gefragt ob er keine Skrupel habe, antwortete er mit einem hämischen Grinsen: „Was gut für den Verlag ist, ist auch gut für mich.“ Damit war dieser Punkt für ihn erledigt.

Allerdings vermied er es immer, sich mit Leuten anzulegen, die einen längeren Arm hatten als er. Nur dieses Mal machte er den größten Fehler seines Lebens. War es Überheblichkeit, weil er glaubte er sei unangreifbar geworden, oder war es einfach nur grenzenlose Dummheit?

Durch Zufall erfuhr er durch einen Informanten, dass dieser ehrenwerte Herr Lorenzen in illegale Waffengeschäfte verwickelt war. Steinbach in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung und Gier nach Sensationen, hatte nichts Eiligeres zu tun, dies als Titelstory zu veröffentlichen.

Jens Jacobs war außer sich vor Wut als er am nächsten Tag diesen Bericht auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Wie konnte dieser Kerl seine Karriere zerstören? Er wusste genau, dass die Tochter eines dubiosen Geschäftsmannes für ihn und seine Partei untragbar war. Er hatte sich für die nächste Bürgerschaftswahl als Kandidat für einen Senatsposten aufstellen lassen und jetzt dies.

Er musste sich entscheiden, entweder Lena oder seine politische Karriere. Die Maxime in seiner Familie war immer sein beruflicher Erfolg. Schon von klein auf ließ sein Vater nie einen Zweifel daran, dass er seine Kraft für eine erfolgreiche berufliche Zukunft einzusetzen hatte. Seine Wünsche wurden dabei nie berücksichtigt, er hatte einfach zu funktionieren und tat das, was sein Vater von ihm erwartete. Priorität hatte das was für ihn von Nutzen war und deshalb hatte er auch keine Skrupel, sich gegen Lena zu entscheiden. Und sie, die glaubte, die Liebe ihres Lebens gefunden zu haben, wie würde sie auf diese Hiobsbotschaft reagieren? Eine Welt brach für sie zusammen. Der Mann, den sie über alles liebte, hatte sie verlassen, sie im Stich gelassen aus Angst davor seine politische Karriere zu ruinieren.

Es war die größte und schmerzlichste Niederlage ihres Lebens. Sie fühlte sich gedemütigt und hintergangen. Sie verlor allen Lebensmut und ihre herzerfrischende Fröhlichkeit. Ihr Vater musste zusehen, wie sie in einer tiefen Depression versank. Sie magerte immer mehr ab, aß nicht mehr und ließ das Leben an sich vorüberziehen. Was war innerhalb kürzester Zeit aus diesem jungen blühenden Geschöpf geworden. Kai konnte es kaum noch ertragen sie so zu sehen.

Es war Sonntag. Er war früh aufgestanden, da er in den Senat zu einer Sondersitzung musste. Die Haushälterin hatte das Frühstück gerichtet, als sie damit fertig war, ging sie hinauf, um Lena zu wecken. Seit dem Tod der Mutter war es Tradition in ihrem Hause, dass Lena und er jeden Sonntag gemeinsam frühstückten. Plötzlich hörte Kai Lorenzen einen lauten Schrei.

Er stürmte die Treppe hinauf und sah Elisa, seine Haushälterin, zitternd an der Tür stehen. „Was ist los, Elisa, was ist los?“, schrie er. „Lena“, stammelte sie, „es ist Lena. Ich glaube sie ist tot.“ Dann verließen sie die Kräfte und sie sank ohnmächtig zu Boden. Er stand an Lenas Bett und rüttelte sie.

„Wach auf mein Schatz, bitte, bitte wach auf.“ Dann fiel sein Blick auf das Röhrchen, in dem sich einmal Schlaftabletten befanden. Es war leer. Halb besinnungslos vor Angst rief er den Rettungswagen. Wenige Minuten später war ein Notarzt zur Stelle, aber es kam jede Hilfe zu spät. Man hatte ihm das Liebste genommen und in diesem Moment schwor er all denen Rache, die für ihren Tod verantwortlich waren.