Western Mail Order - Alyssa León - E-Book

Western Mail Order E-Book

Alyssa León

4,8

Beschreibung

Sie braucht Schutz. Er eine Ehefrau... Wyoming, 1885. Aus Not geht Gillian das größte Wagnis ihres Lebens ein: die Ehe mit einem wildfremden Mann. Die Hochzeit mit dem jungen Vater Matt Cole ist ein Schritt ins Ungewisse und zugleich Gillians letzte Rettung, denn sie hat Boston schnellstens verlassen müssen. Zunächst scheint der Plan aufzugehen. Der attraktive Rancher behandelt sie mit Respekt, und schon bald entwickeln sie erste Zuneigung füreinander. Doch Matt belastet ein dunkles Geheimnis, was ihre Ehe auf eine harte Probe stellt und sie beide in ein heilloses Gefühlschaos stürzen lässt. Eine Sache, die auch Thomas Brigham nicht verborgen bleibt, der mit Matt noch eine offene Rechnung zu haben scheint...

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Lesetipp

Impressum

Kapitel 1

Wyoming Territory, USA, August 1885

Ein sanftes Rütteln an ihrer Schulter war es, das Gillian aus ihrem kurzen Schlummer weckte. Sie blinzelte und blickte geradewegs in das freundlich lächelnde Gesicht eines jungen Mannes. Er lüftete kurz seinen Bowler und ließ ihn dann keck auf sein glänzend blondes Haar zurück sinken. Nur das schelmische Blitzen seiner grünen Augen übertraf das Strahlen seiner gepflegten Zähne.

Ein Beau, ohne jede Frage. Ein kleines bisschen schnöselig, vielleicht.

»Verzeihung Miss«, fragte er. »Ist der Platz neben Ihnen noch frei?«

Gillian erwachte jetzt vollends, wozu auch das heftige Ruckeln beitrug, das der anfahrende Zug verursachte. Hatte er sie gerade wirklich einfach berührt?

»Äh. Ja, Sir«, lächelte sie scheu und nahm ihre Tasche von der Sitzbank neben ihr.

»Hervorragend«, freute sich der Beau und verstaute sein Gepäck in der Ablage über ihnen.

»Darf ich?«, fügte er mit einem Blick auf ihre Reisetasche hinzu und deutete in das Gepäckfach. Sie nickte nur und murmelte einen kleinen Dank, als er die Tasche über ihren Köpfen ins Netz legte. Er richtete seine tadellose, modische Kleidung, ließ sich neben ihr nieder und sah sie an. Sie tat so, als habe sie es nicht bemerkt und blickte verstohlen aus dem Fenster. Es war ihr unangenehm, seinem Blick zu begegnen. Doch ihn schien das nicht zu kümmern.

»Thomas Brigham«, stellte er sich kurzerhand vor und streckte ihr seine schmale, gepflegte Hand hin, was dem älteren Ehepaar auf den Sitzen gegenüber ein paar neugierige Blicke entlockte.

»Gillian MacAvery«, entgegnete sie mit kühler Zurückhaltung und ließ es zu, dass er ihre Hand drückte.

»Es ist mir ein Vergnügen«, erwiderte er.

Sie sah wieder aus dem Fenster. »War das gerade Laramie?«, fragte sie.

»Ja, Ma’am. Nur knappe sechzig Meilen, dann bin ich wieder zu Hause. In Medicine Bow.«

Den letzten Satz betonte er mit Stolz, als würde die Stadt ihm gehören.

Sie antwortete nicht, sondern nickte nur höflich.

»Und Sie?«, fragte er.

Sie seufzte heimlich. Es war ihr klar, dass einer seiner Sorte nicht locker lassen würde, bis er ihre halbe Lebensgeschichte kannte, also konnte sie ihm zumindest ihr Reiseziel sagen. Außerdem würde er es ohnehin herausfinden.

»Ebenso.«

Ein Strahlen ging über sein Gesicht. »Was Sie nicht sagen! Welch ein Zufall!«

Ihr Blick trat wieder die Flucht aus dem Fenster an.

»Wenn Sie mir die Frage gestatten, Sie sind nicht aus der Gegend hier, oder?«

»Ich komme aus Boston.« Gillian musste sich beherrschen nicht unruhig auf ihrem Sitz hin und her zu rutschen. Langsam wurde es ihr zu viel.

»Dachte ich mir«, antwortete er selbstzufrieden. »Eine solche Schönheit wie Sie wäre mir in Medicine Bow doch sofort aufgefallen!«

Das Ehepaar gegenüber blickte sich amüsiert an.

Er wartete ihre Antwort nicht ab und fragte: »Was führt Sie denn in meine schöne Heimatstadt?«

Sie schluckte. »Ich besuche jemanden.«

»Ach? Dürfte ich ergebenst fragen, wen? Verzeihen Sie, aber ich kenne so ziemlich jeden in der Stadt und...«

»Jemanden«, betonte sie leicht säuerlich und machte damit klar, dass ihr dies zu weit ging.

Das ernüchterte ihn.

»Natürlich. Entschuldigen Sie meine Neugier. Ich bitte vielmals um Verzeihung.«

Sie hatte ihn erfolgreich zum Schweigen gebracht und sah nun wieder aus dem Fenster. Sie war ihm nicht böse. Es war nur so, dass sie selbst nicht wusste, ob das, was sie hier tat, auch das war, was sie tun sollte. Sie hatte nur fort gewollt. Raus aus Boston, möglichst weit. Das, was sie am Ende ihrer Reise dort in Medicine Bow erwartete, war ihr vor ein paar Tagen noch wie ein rettender Strohhalm vorgekommen. Die letzte Zuflucht. Schutz und Sicherheit.

Doch was war es wirklich, was sie dort finden würde? Konnte sie sicher sein, dass sie dort nicht noch Schlimmeres erwartete? Die Ungewissheit machte sie überaus nervös. Und das Nervenbündel, das sie war, hatte keineswegs das Bedürfnis, irgendjemandem zu vertrauen. Auch, wenn er gutaussehend und nett war.

Der Rest der Reise verlief in mehr oder weniger betretenem Schweigen und sie stellte sich die meiste Zeit schlafend. Als der Zug endlich mit ohrenbetäubend kreischenden Bremsen an der Bahnstation in Medicine Bow einlief und anhielt, ließ es sich Mr. Brigham jedoch nicht nehmen, ihr Gepäck auf den Bahnsteig zu tragen und ihr galant aus dem Zug zu helfen.

Ungefragt nahm er ihre Hand und deutete einen Handkuss an.

»Zu Ihren Diensten Ma’am. Ich hoffe sehr, wir sehen uns gelegentlich einmal in der Stadt.«

Bevor sie noch gegen seine herausgenommene Frechheit protestieren konnte, legte er grinsend die Hand an seinen Hut und entfernte sich.

Während sich auf dem hölzernen Bahnsteig Szenen von Wiedersehen und Abschied mischten und die Menschen zunächst um Gillian herumsummten wie ein Bienenschwarm, um sich schließlich mehr und mehr zu verlaufen, blickte sie sich immer wieder suchend um.

In seinem Brief hatte er versprochen, sie hier abzuholen. Ein paar Mal glaubte sie einen Mann zu sehen, der seiner Beschreibung entsprach, doch immer wenn sie zögerlich lächelnd auf einen dieser Männer zutrat, ging dieser achtlos an ihr vorbei, begrüßte jemand anderen oder ging anderen Dingen nach.

»Woran soll ich ihn erkennen?«, murmelte sie halblaut vor sich hin. »Ein Rancher... Sie sehen fast alle aus wie Rancher.«

Doch sie sagte sich, dass er sie schon finden würde. Es wäre für ihn sicher nicht schwer, sie zu erkennen.

Doch er kam nicht.

Gillian versuchte die Hitze zu ignorieren, die die langsam aufkeimende Unruhe in ihrem Körper aufsteigen ließ. Sicher hatte er sich nur etwas verspätet. Doch auch als der Zug wieder abfuhr, kam niemand, um sie abzuholen. Der Bahnangestellte, der zuvor mit seiner Pfeife einen Höllenlärm verursacht hatte, verzog sich wieder an seinen Schalter und der Bahnsteig war schließlich menschenleer.

Gillian fühlte sich plötzlich unsagbar allein.

Sie verließ den Bahnsteig und ließ sich auf eine Bank vor dem Bahnhof fallen. Ihr blieb nichts weiter übrig als zu warten.

Also wartete sie.

Die Minuten vergingen schleichend langsam. Nichtsdestotrotz vergingen sie und als sie nach einer Weile zur Bahnhofsuhr aufsah, stellte sie fest, dass sie schon mehr als eine halbe Stunde hier saß.

Es war früher Nachmittag. Die Sonne stand hoch am Himmel, es fiel kein Schatten auf die Bank und sie schwitzte in ihrem wollenen Reisekostüm. Sie hatte gehört, dass es kühl sein sollte in Wyoming, doch der Sonne, die gnadenlos auf sie herab brannte, schien diese Information unbekannt zu sein. Nun, sie musste zugeben, dass es nicht nur die Hitze war, die sie schwitzen ließ. Was, wenn er wirklich nicht kam? Wenn er es sich anders überlegt hatte? Wer wusste schon, ob er ein Mann von Ehre war? Ob er zu seinem Wort stand?

Nervös biss sie in die Fingerspitzen ihrer Handschuhe und zog sie aus. Zum Teufel mit dem adretten Aussehen, es war einfach zu heiß. Am Liebsten hätte sie auch die obersten Knöpfe ihres hochgeschlossenen Kleides geöffnet, den Hut vom Kopf gezogen und sich ihrer Unterröcke und Schuhe entledigt. Vom Korsett ganz zu schweigen. Sie musste fast lachen, als sie daran dachte, was er wohl dazu sagen würde, wenn sie ihn so empfing.

Sie wartete weiter, endlos wie ihr schien und mit jeder verstrichenen Minute sank ihr Mut. Sie hatte fast kein Geld mehr. Sie war hungrig, aber für eine Fahrt zurück und eine warme Mahlzeit reichte ihr Budget wahrscheinlich nicht mehr aus. Aber sie konnte ohnehin auf keinen Fall zurück. Wenn er wirklich nicht kam, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Ihr Blick verschwamm, als Tränen in ihre Augen stiegen. Entmutigt blickte sie auf ihre staubbedeckten Schuhspitzen, als ein Schatten auf sie fiel.

Endlich!

Sie blickte erwartungsvoll auf und sah in das freundlich besorgte Gesicht von – Mr. Brigham?

»Miss MacAvery? Was machen Sie denn noch hier? Holt ihre – ähm – Bekanntschaft Sie denn nicht vom Bahnhof ab?«

»Ja – äh – ich weiß nicht, was...« Sie sah hoffnungsvoll die Straße hinunter. »Vielleicht wurde er ja aufgehalten.«

»Miss MacAvery.« Brigham sprach zu ihr wie zu einem verwirrten Kind und bot ihr seinen Arm. »Wollen Sie mir denn nicht endlich verraten, mit wem Sie verabredet sind? Ich kenne jede Seele hier und ich verspreche Ihnen, ich werde Sie sicher an jeden Ort bringen, an den Sie möchten.«

Gillian war sich immer noch nicht sicher, ob sie ihm vertrauen wollte. Aber sie konnte auch nicht ewig hier sitzen und warten.

»Oder möchten Sie, dass ich Sie erst einmal ins Hotel geleite?«, fragte er jetzt.

»Nein!«, entgegnete sie schnell. Für das Hotel hatte sie kein Geld. Sie nahm seinen Arm nicht, aber seufzte: »Ich warte auf Mr. Cole. Matthew Cole.«

Brigham riss die Augen auf. Er hätte nicht erstaunter aussehen können. »Cole?«, rief er ungläubig. »Was haben Sie denn mit Cole zu schaffen?«

Seine Neugier missfiel ihr bereits wieder, aber sie beschloss es ihm trotzdem zu sagen. Wenn auch nur, um ihn in seine Schranken zu weisen.

»Nun«, sie räusperte sich, »Mr. Cole ist mein zukünftiger Ehemann.«

Er zog so heftig die Luft ein, dass er sich fast verschluckte. Und während sie noch überlegte, ob er tatsächlich ersticken würde, brach er in ein schallendes Gelächter aus.

»Heiraten?«, hustete er. »Sie wollen Mad Matt heiraten? Das ist nicht Ihr Ernst oder? Du meine Güte, jetzt haben Sie mich aber drangekriegt!«

Das Herz sank ihr und ihr Magen krampfte sich zusammen.

Mad Matt?

»Stimmt etwas nicht mit Mr. Cole?«, flüsterte sie zutiefst verunsichert. »Ist er – verrückt? Ich meine, wegen dieses Spitznamens...«

Der junge Mann wurde schlagartig nüchtern und schluckte. Sein zutiefst besorgter und beunruhigter Gesichtsausdruck ließ Gillian das Blut in den Adern gefrieren.

»Gütiger Gott«, stieß er hervor. »Sie meinen es wirklich ernst, oder?«

Sie konnte nur nicken.

»Hören Sie«, raunte er und fasste sie leicht am Arm. »Miss, wenn Sie mir einen guten Rat erlauben möchten, überlegen Sie sich das gut, wenn Sie sich nicht für immer ins Unglück stürzen wollen.«

»Was soll sie sich überlegen, Thomas?«, ließ sich eine tiefe Stimme vernehmen.

Gillian und Brigham fuhren gleichzeitig herum und blickten in die Richtung aus der die Stimme gekommen war. Sie gehörte zu einem breitschultrigen Mann um die Dreißig, der in diesem Moment lässig vom Bock eines einspännigen Wagens sprang.

»Matt«, nickte Brigham und ließ Gillian los.

Der Ankömmling würdigte ihn keines Blickes, nahm seinen Hut ab und baute sich vor Gillian auf. Er war so groß, dass er sie komplett beschattete. Sie blinzelte an ihm empor, von seinen robusten Stiefeln angefangen, über seine schlichte, aber saubere Kleidung bis in sein Gesicht. Er war offenbar seit mehr als einer Woche unrasiert, was ihm ein dunkles, ungeschliffenes Aussehen verlieh. Seine Nase war weder außergewöhnlich noch perfekt. Eine ganz kleine Unregelmäßigkeit deutete an, dass sie vielleicht schon einmal gebrochen war. Über dem Bart stand ein bemerkenswertes, aufmerksam blickendes Augenpaar, das blauer war, als alle anderen, die sie bisher gesehen hatte. Es war ein sehr helles Blau, mit feinsten Silberfäden durchzogen und es wirkte wie der Himmel an einem klaren Sommertag. Die Farbe seiner Augen stand in einem irritierenden Kontrast zu seinen dichten dunklen Wimpern und zu seinem schwarzen Haar, das gewellt und irgendwie unbändig bis auf seinen Kragen fiel.

Der Mann lächelte nicht und wirkte insgesamt ziemlich einschüchternd auf sie.

»Miss MacAvery?«, fragte er überflüssigerweise.

Sie nickte. Er streckte zur Begrüßung die Hand aus und sie nahm sie. Sein Griff war fest.

»Matt Cole.«

Sonst sagte er nichts, keine Entschuldigung für seine Verspätung, kein Willkommen, nichts. Er musterte sie nur mit seinen unergründlichen, ernsten Augen.

Thomas räusperte sich. »Miss MacAvery, wenn Sie es sich noch anders überlegen...«

»Verschwinde, Thomas«, knurrte Cole, doch Brigham wich keinen Zentimeter und sah wartend auf Gillian.

Sie bezweifelte, dass Thomas sie vom Fleck weg heiraten würde, also gab es keinen Ausweg.

»Es ist schon gut, Mr. Brigham«, antwortete sie und rang sich mühsam ein Lächeln ab. »Ich komme schon zurecht, vielen Dank.«

»Na, dann auf Wiedersehen, Miss MacAvery«, murmelte Brigham und ging fort, nicht ohne noch einen vernichtenden Blick zurück auf Cole zu werfen. Es brodelte etwas zwischen diesen beiden Männern, das war nicht zu übersehen. Doch Gillian war im Moment nicht danach, der Sache auf den Grund gehen zu wollen. Etwas Anderes stand jetzt an, etwas, das sie zunehmend mit schleichender Angst erfüllte. Was hatte sie da nur angefangen?

»Wollen wir es hinter uns bringen?«, fragte er jetzt. Es klang wenig charmant. Vielleicht war er selbst ja auch ein kleines bisschen nervös?

Sie blickte in seine Augen und sah schnell wieder weg. Nein. Dieser Mann wurde bestimmt niemals nervös.

Sie versuchte sich zusammenzureißen. Schließlich hatte sie gewusst, was sie erwartete, denn darüber hatten sie sich in ihren Briefen geeinigt. Die Hochzeit würde sofort stattfinden. Sie hatten beide kein Geld übrig, als dass sie im Hotel hätte wohnen können. Und wenn er sie mitnahm auf seine Ranch, dann nur als seine Ehefrau. Alles andere wäre unschicklich gewesen.

Er fasste sie leicht am Ellbogen, wies ihr den Weg zu seinem Wagen und half ihr beim Aufsitzen. Sekunden später saß er neben ihr, schnalzte dem strubbeligen braunen Wagenpferd aufmunternd zu und steuerte die kleine Kirche von Medicine Bow an.

Kapitel 2

Die Zeremonie war recht nüchtern. Außer dem Reverend und den von diesem bestellten Trauzeugen war niemand zugegen. Es gab auch keine Musik. Zu Gillians Überraschung hatte Cole jedoch einen Ring mitgebracht. Es war ein schmaler goldener Reif mit einem kleinen Rubin. Sicher kein Vermögen wert und eine Spur zu groß, aber er gefiel ihr. Auch die Geste gefiel ihr, denn sie hatte nicht damit gerechnet. Mit ruhiger Hand steckte ihr Bräutigam den Ring an ihren zitternden Finger und wiederholte den Eheschwur, den der Reverend ihm vorgab, ohne jede äußere Regung. Dabei sah er ernst in ihre Augen. Auch sie sprach ihre Worte wie aufgefordert und nach kurzer Zeit war sie Mrs. Matthew Cole.

Als es vorbei war beugte er sich zu ihr herab und streifte ihre Lippen kurz mit den seinen, nicht mehr und nicht weniger. Zu flüchtig, um irgendetwas dabei zu empfinden. Aber wenigstens lächelte er ein wenig, als die Trauzeugen und der Geistliche ihnen händeschüttelnd gratulierten. Sein Lächeln gefiel ihr. Es nahm ihm den einschüchternden Ausdruck, den er die ganze Zeit an den Tag gelegt hatte und er gewann dadurch ungemein.

Sie traten aus der Kirche in das helle Sonnenlicht hinaus. Er nickte ihr zu.

»Jetzt holen wir meinen Sohn ab und dann fahren wir nach Hause. Du bist sicher müde von der langen Reise.«

»Oh ja, dein Sohn!«, lächelte sie. Den hatte sie fast vergessen. »Ich freue mich schon auf ihn.«

Doch ihre Freude wurde etwas getrübt als er mit dem Wagen vor dem Saloon hielt. Was wollte er hier? Jetzt, um diese Zeit? Der Junge war doch sicher eher in der Schule!

»Warte hier«, sagte er.

Doch er ging nicht wie erwartet in den Saloon, sondern klopfte an die Tür eines sich daran unmittelbar anschließenden, zweistöckigen Gebäudes. Es dauerte nicht lange und die Tür öffnete sich und Cole ging hinein.

Kurz darauf öffnete sich die Tür wieder. Ihr Ehemann kam heraus, aber nicht allein, sondern in Begleitung einer Frau, die ein etwa anderthalbjähriges Kleinkind auf dem Arm hielt.

Gillian zog erschrocken die Luft ein, denn das da war ganz sicher eine..., eine, nun, eine Hure. Ihre Kleidung und ihr geschminktes Gesicht ließen daran keinen Zweifel. Jetzt drückte die Halbweltdame Cole das Kind in die Arme, worauf er ihr einen Kuss auf die Wange gab und sie verließ.

Während die Frau wieder im Haus verschwand, kam er zurück und setzte Gillian den kleinen Jungen auf den Schoß.

»Das ist Charlie, mein Sohn«, erklärte er knapp und ging um den Wagen herum, um aufzusitzen. Das Kind quengelte, rutschte unruhig auf ihr herum und fing schließlich an zu weinen.

Gillian blieb kaum Zeit, über das soeben Gesehene zu schockiert zu sein, denn der Schock, den ihr das Kind bescherte, war noch größer. Das war sein Sohn? Ein Kleinkind? Fast noch ein Säugling? Gillians Mut sank ins Bodenlose. Sie hatte in Boston als Gouvernante gearbeitet, Kinder waren ihr nicht fremd, aber von der Pflege so kleiner Kinder hatte sie nicht die geringste Ahnung! Es traf sie vollkommen unvorbereitet! Warum nur hatte er ihr nie geschrieben, wie alt – nein, wie jung – sein Sohn war und warum nur hatte sie nie gefragt? Doch jetzt war es zu spät. Sie hoffte inständig, dass er ihr mit dem Kind helfen würde, sonst würde es ganz sicher ein Desaster werden.

Während Cole den Wagen in Bewegung setzte, hatte Gillian alle Hände voll zu tun, den Jungen so festzuhalten, dass er nicht vom Bock fiel. Charlie hatte sich herumgedreht und war im Begriff, an ihr emporzukriechen. Sein Weinen hatte sich zu einem phrenetischen Geheul gesteigert, sein pausbäckiges, tränennasses Gesicht war hochrot angelaufen und seine schwitzigen kleinen Fäuste krallten sich in den Stoff ihres Kleides. Er strampelte und boxte, traf schmerzhaft ihren Bauch und ihren Busen und zu guter Letzt fuhren seine Wurstfingerchen in die langen Locken, die rechts und links aus ihrer Hochsteckfrisur herabfielen. Charlie krallte sich regelrecht hinein und zog so vehement daran, dass sie glaubte skalpiert zu werden. Ihr entfuhr ein Schmerzlaut und sie versuchte verzweifelt, ihr Haar aus dem erstaunlich eisernen Griff des Knaben zu befreien. Nicht zu glauben, dass so ein kleiner Kerl solch eine Kraft an den Tag legte.

Während all dem fühlte sie den eisblauen Blick Matt Coles permanent auf sich liegen. Sie sah kurz zu ihm herüber. Was war das für ein Ausdruck? Prüfend? Anklagend?

Wieder ein schmerzhafter Ruck an ihren Haaren. Du meine Güte, warum unternahm dieser Mann denn nichts, um ihr zu helfen?

Schließlich hatte er anscheinend Mitleid.

»Zum Teufel«, hörte sie ihn sagen, oder glaubte sie zu hören, denn das Geschrei des Kindes übertönte alles.

»Kannst du einen Wagen lenken?«, schrie er gegen das Organ seines Sohnes an.

Sie blickte ihn erschrocken an und schüttelte dann den Kopf.

»Es ist nicht schwierig. Genau wie beim Reiten«, rief er und hielt ihr die Leinen hin.

»Ich... Ich kann nicht reiten«, erwiderte sie. Es wäre kleinlaut gewesen, hätte sie nicht so schreien müssen.

»Ach, verdammt«, antwortete er. »Halt einfach die Leinen. Der alte Justin findet den Weg sowieso allein.«

Mit diesen Worten drückte er ihr die Fahrleinen in die Hand und pulte die Hände seines Sohnes aus ihrem Haar. Dann hob er den Jungen auf seine Knie, wippte ihn auf und ab und sprach mit ihm, um ihn abzulenken. Es war größtenteils Unsinn, was er sagte, eben solche Dinge, die Eltern mit ihren Kleinkindern »besprachen«, kurze Sätze, endlos wiederholt, aber Charlie fand es anscheinend interessant und hörte auf zu heulen.

Cole ging noch weiter und begann mit seinem Sohn zu spielen, schnitt Fratzen und machte lächerliche Geräusche. Gillian schaute fasziniert zu. Seine Wandlung vom ungehobelten, wortkargen Klotz zum liebevoll herumalbernden Vater war frappierend, das Lächeln, mit dem er seinen Sohn bedachte, hinreißend.

Charlie fand das wohl auch und brach in kreischendes Lachen aus, bei dem er seine wenigen, winzig kleinen, weißen Zähne sehen ließ. Schließlich zauberte Cole von irgendwoher einen kleinen grünen Augustapfel hervor, klappte sein Taschenmesser auf und schnitt ihn in zwei Hälften. Eine Hälfte präsentierte er Charlie, der begierig danach griff und begeistert sabbernd seine geschätzten siebeneinhalb Zähne hineinschlug. Die andere Hälfte hielt er Gillian hin. Sie hatte Hunger, niemand hatte in der Stadt auch nur daran gedacht, ihr etwas zu Essen anzubieten, also nahm sie den Apfel verlegen aber dankbar entgegen.

Er nickte kurz und sah dann wieder lächelnd auf seinen Sohn herab. Auch Gillian betrachtete den Kleinen. Jetzt, da er nicht mehr weinte, sah er entzückend aus, mit seinen großen blauen Augen und blonden Locken.

»Er ist sehr süß«, sagte sie leise. Sie meinte es auch so, sie war dem Jungen nicht böse, weil er an ihren Haaren gezogen hatte. Er wusste es ja nicht besser.

Cole sah sie an und zu ihrem Erstaunen stellte er sein Lächeln dabei nicht ein, sondern es wurde sogar noch breiter. Purer Vaterstolz.

»Ja. Danke. Das ist er. Er ist das Beste, was ich je gemacht habe«, antwortete er und sah sie dabei durchdringend an.

Seine Bemerkung darüber, einen Sohn »gemacht« zu haben wirkte anzüglich zusammen mit diesem Blick. Sie fühlte, wie ihr Gesicht heiß wurde, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie rot anlief. Schnell sah sie nach vorn und fixierte Justins Ohren fortan so peinlich genau, als fürchte sie, er könne sie verlieren.

Der Weg wurde anspruchsvoller und das bloße Halten der Fahrleinen war nicht mehr ausreichend. Justin hätte sie sonst ohne mit seinen langen Wimpern zu zucken in so manchen Graben bugsiert. Matt dachte jedoch nicht daran, Gillian die Leinen aus der Hand zu nehmen. Wenn sie hier draußen leben wollte, musste sie ein Pferd beherrschen können, sei es an der Kutsche oder unter dem Sattel.

Sie musste es lernen und er sah keinen Grund, warum sie nicht gleich damit anfangen sollte. Statt das Fahren also wieder selbst zu übernehmen, zeigte er ihr, was sie zu tun hatte und führte hin und wieder ihre Hände. Sie trug keine Handschuhe, und dass er dabei die zarte, glatte Haut ihrer Hände berühren musste, war ihm nicht unwillkommen.

Während sie sich streng auf das Pferd konzentrierte, betrachtete er sie unverhohlen von der Seite. Was für ein Stadtmädchen hatte er sich da nur geangelt! Unfähig. Ängstlich und eingeschüchtert. Scheu wie ein Reh. Und Rehe gehörten eigentlich nicht auf eine Ranch.

Aber er musste zugeben, dass sie wirklich eine Schönheit war. In dieser Beziehung hatte er Glück gehabt, das war auch sein erster Gedanke am Bahnhof gewesen. Sie war klein und zierlich, vielleicht eine Spur zu zierlich für seinen Geschmack, aber selbst unter ihrem züchtig geschnittenen Reisekostüm konnte er sehen, dass sie an genau den richtigen Stellen genug aufzuweisen hatte, um einem Mann die Sinne zu rauben. Sofern sie nicht trickste. Was er ihr jedoch nicht zutraute.

Ihre glänzenden, kastanienbraunen Locken rahmten ein überaus hübsches Gesicht ein, mit makelloser Haut und wunderbar großen, dunklen Augen. Ihre Brauen waren perfekt geschwungen und ihre kleine Nase bescherte ihr ein reizendes Profil. Am Schönsten jedoch fand er ihren Mund. Sinnliche volle Lippen, rosig und süß wie die Sünde, die nur dazu einluden, geküsst zu werden.

Wie sie sich im Moment konzentriert auf ihre Unterlippe biss, ließ ihn sich fragen, ob sie einen ähnlichen Ausdruck annahm, wenn sie Lust empfand. Er würde es noch erfahren. Der Gedanke daran ließ es heiß und ungebeten in seine Lenden schießen und er war nur froh, dass sie so stur geradeaus schaute und daher nichts davon bemerkte. Er musste sich auf andere Gedanken bringen. Die nächsten Tage würden seine Geduld ohnehin noch auf eine sehr harte Probe stellen.

»Komm«, sagte er und wies mit dem Kopf auf das Pferd. »Lass den alten Faulpelz mal etwas schneller laufen. Sonst sind wir morgen noch nicht daheim.«

»Was?«, fragte sie unsicher. »Wie...?«

Er nahm eine Peitsche zur Hand und als er Gillians erschrockenen Blick bemerkte, sagte er: »Keine Sorge. Die ist nicht zum Schlagen da. Nur zum Aufwecken.«

Er klopfte den Peitschenschlag ein paar mal leicht gegen den Rücken des Pferdes und rief ihm ein aufmunterndes »Lauf, Justin«, zu.

Der Wallach setzte sich gehorsam in Trab, was leichte Panik in seiner Lenkerin auszulösen schien, denn ihre Hände schlossen sich so fest um die Leinen, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.

»Nicht so verkrampft«, sagte Matt und legte beschwichtigend seine Hände auf ihre.

»Du musst ihm die Leinen etwas nachgeben, sonst behindert es ihn nur«, erklärte er ihr und schob ihre Hände leicht nach vorn. »Siehst du, so. Ja. Besser.«

Sie entspannte sich etwas und lächelte und schien langsam Gefallen an der Fahrerei zu finden. Matt entschied, es als ein gutes Zeichen zu nehmen. Sie lernte schnell. Das war ein Anfang.

Kapitel 3

Das Haus war hübscher als Gillian es erwartet hatte. Es lag an einem schmalen, schnell fließenden Fluss und schmiegte sich an eine kleine Anhöhe. Komplett aus Holz gebaut, reichte seine ordentlich weiß getünchte Fassade anderthalb Stockwerke hoch, gekrönt von einem mit Holzschindeln bedeckten, weit überstehenden Dach. Eine breite, einladende Treppe führte zu einer gemütlichen Veranda hinauf. Dort stand ein Schaukelstuhl und es gab sogar eine Hängeschaukel.

Der Weg zum Haus war sauber gekiest und rechts und links von Rabatten eingefasst, in denen sie verschiedenartige Prärieblumen entdeckte. Etwas abseits des Hauses stand ein Gerüst, an dem Windmühlenflügel angebracht waren. Wahrscheinlich betrieben sie eine Pumpe, die das Anwesen mit Wasser versorgte.

Weiter hinten schlossen sich mehrere Nebengebäude, Stallungen und Scheunen an. In einem großen Corral standen ein paar hübsche Pferde. Sie wieherten zur Begrüßung, als ihr Artgenosse den Wagen an ihnen vorbeizog. Eingefasst wurde das Ganze von einigen großen Bäumen, was Gillian ausgesprochen gut gefiel. Den Höhepunkt bildeten jedoch die Rocky Mountains, die sich in einiger Entfernung zu ihrer majestätischen, schneebedeckten Höhe erhoben und der Szenerie ein nahezu atemberaubendes Panorama verliehen. Dieses Haus war weit schöner gelegen als die, welche sie während ihrer Reise einsam und irgendwie verlassen aussehend mitten auf der Prärie stehen gesehen hatte.

Cole half ihr vom Wagen und sie gingen ins Haus. Auf der Veranda wandte sie sich um und blickte zum Fluss.

»Ein schöner Platz«, sagte sie und ahnte, dass sie ihm damit eine Freude machte.

Tatsächlich lächelte er ihr kurz zu und nickte.

»Ja. Eine schöne Aussicht auf den Fluss und doch weit genug davon weg, um keinen Ärger mit Hochwasser zu bekommen.«

Von Innen wirkte das Haus nicht weniger nett. Die Einrichtung war gewiss nicht edel, eher zweckmäßig und schlicht, aber es war sauber und gemütlich. Matt führte sie kurz herum und zeigte ihr die Räume. Sie war erstaunt, dass sogar ein Waschraum mit Badewanne und Boiler vorhanden war. Dort, wie auch in der Küche gab es fließendes Wasser. Er erklärte ihr, dass es aus einem Tank kam, der höher als das Haus stand, daher musste man nicht pumpen, sondern konnte einfach einen Wasserhahn aufdrehen. Sie war das zwar aus dem Haus ihres Arbeitgebers in Boston gewohnt, aber sie wusste auch, dass es in dieser Gegend hier nicht alltäglich war und sie verstand seinen Stolz darauf.

Schließlich zeigte er Gillian ihr Zimmer, was sie wiederum überraschte. Sie würde ein eigenes Zimmer haben? Sie hatte eher erwartet, dass sie mit ihm in einem Zimmer schlafen würde, wie es im Westen üblich war. Doch insgeheim war sie ganz froh darüber.

Die Einrichtung dieses Zimmers hob sich ein wenig vom restlichen Haus ab. Neben einem breiten Himmelbett gab es einen Teppich, einen schön geschnitzten Kleiderschrank, einen Toilettentisch und einen kleinen Sekretär. Farben und Möbel wirkten feminin und filigran und Gillian wusste, dass dieses Zimmer einst das seiner Frau gewesen sein musste.

»Du kannst dich ausruhen und auch baden, wenn du möchtest, ich werde den Boiler anfeuern«, sagte er zu ihr. »Aber«, er wies auf das Kind, welches auf seiner Hüfte saß,  »wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich dich bitten, Charlie zuerst etwas zu Essen machen. Bei Lizzie – ähm... ich meine... in der Stadt wollte er nichts essen und ich denke mir, dass er jetzt sicher Hunger hat. Ich bringe deine Sachen hinein und kümmere mich dann um das Feuerholz.«

»Natürlich«, antworte sie und bemühte sich ihre Stimme fest klingen zu lassen, trotz der Unsicherheit, die sie überfiel. »Und was ist mit dir?«

Sie hatte sagen wollen, »Mit uns«, denn ihr Magen knurrte nach wie vor.

»Ich esse immer spät, ich bin meist nicht vor sieben Uhr mit der Arbeit fertig. Du kannst dich also ruhig vorher etwas ausruhen.« Das klang so, als ob er erwartete, dass sie das Abendessen machte. Aber wieso auch nicht. Sie war jetzt seine Frau, also war es auch ihre Aufgabe. Dennoch war sie nervös. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sie prüfte und sie wollte es ihm recht machen. Es wäre ihr nur lieber gewesen, sie hätte eine etwas gründlichere Einweisung bekommen.

Sie musste ihre Gefühle irgendwie auf ihrem Gesicht preisgegeben haben, denn er fügte hinzu: »Oh, falls dir das zu lange dauert: Du kannst alles zubereiten und essen was du findest. Fühl’ dich wie zu Hause, die Küche ist jetzt dein Reich.«

Mit diesen Worten drückte er ihr seinen Sohn in den Arm und wandte sich zum Gehen.

»Matthew?«

Er drehte sich um.

»Ähm – was isst Charlie?«

Er runzelte die Stirn als hätte er sich verhört. Seine Antwort klang daher auch eher wie das selbstverständliche Echo ihrer unbedarften Frage. »Maisbrei?«

Sein Ton ärgerte sie. Maisbrei?, klang es in ihren Gedanken nach. Natürlich, dachte sie schnippisch. Kleine Kinder essen ausschließlich Maisbrei. Wie hatte sie nur so dumm fragen können!

Er war schon fast zur Tür hinaus als sie ihm nachrief.

»Äh – wie mache ich den?«

Er wandte sich zu ihr um, die Hände auf den Hüften. »Willst du sagen, dass...« Er seufzte.

»Du nimmst etwas Milch, kochst sie auf und rührst geschroteten Mais hinein.«

Sie nickte. »Und wo finde ich die Sachen?«

»Unter der Küche ist ein Vorratsraum.«

Den hätte er ihr ja auch einmal zeigen können.

Kopfschüttelnd hieb Matt mit der Axt auf das unschuldige Holzstück ein. Das fing irgendwie nicht gut an. Wenn sie bei einem einfachen Maisbrei schon fragen musste... Er spaltete das Holz mühelos und stellte den nächsten Scheit auf den Hackklotz.

»Matt?«

»Pete«, grüßte er seinen alten Vormann, ohne mit der Arbeit aufzuhören. »Was gibt’s?«

Pete verzog sein wettergegerbtes Gesicht zu einem Grinsen und strich über seinen riesigen, silbergrauen Schnurrbart.

»Na, ich wollte dir meinen herzlichen Glückwunsch überbringen, mein Junge! Wie ist sie denn so?«

Er spähte neugierig zum Haus.

Matt lachte. »Ich stelle sie euch morgen vor, in Ordnung? Sie soll erst mal ankommen.«

»Hübsch?«

Matt blinzelte. »Ja. Sehr.«

Pete lachte kehlig und schlug ihm auf die Schulter. »Glückspilz!«

Matt schüttelte zweifelnd den Kopf.

»Ich weiß nicht, Pete. Schönheit ist nicht alles.«

Pete schürzte die Lippen und nickte. Er wusste worauf das anspielte. Aber er sagte: »Ach, mach dich nicht verrückt, Sohn. Es wird dieses Mal ganz anders sein, du wirst sehen. Und solange sie nicht nur Stroh im Kopf hat, kann sie alles lernen, was sie wissen muss. Ihr werdet schon noch euer Glück finden.«

»Dein Wort in Gottes Ohr.«

Als wolle sie den Vorarbeiter auf der Stelle Lügen strafen, erschien Gillian jetzt mit einem weinenden Charlie auf der Hüfte im Türrahmen.

»Matthew?«

Pete warf einen bewundernden Blick auf die junge Frau, pfiff anerkennend durch die Zähne und entfernte sich leise lachend.

Matt nahm einen Armvoll Feuerholz und ging ihr stirnrunzelnd entgegen.

»Was ist los?« Er war plötzlich gereizt. Das Gespräch mit Pete hatte ihn an sie erinnert. Und er wollte nicht an sie denken. Diese Erinnerung schmerzte immer noch höllisch.

»Haben wir noch irgendwo Milch?«

»Ja«, sagte er kurz angebunden und drückte sich an ihr vorbei ins Haus. »In der Kuh!«

Es war ihr anzusehen, dass seine Bemerkung und sein Ton sie verletzte.

Er roch es schon, bevor er die Küche betrat. Die Milch war übergekocht, der Herd verschmutzt, der Brei im Topf angebrannt und ungenießbar.

Schuldbewusst trat sie an den Herd. »Ich mache das gleich weg, aber Charlie...« In ihrer Hektik stieß sie zu allem Überfluss noch den Topf hinunter und der Inhalt verteilte sich über den Fußboden.

Sie wurde noch nervöser und Charlies Heulen immer lauter.

Hilflos versuchte sie gleichzeitig das Kind zu beruhigen und die Verschmutzungen zu beseitigen.

»Gib ihn mir«, knurrte er unfreundlich. Er nahm ihr das schreiende Kind ab und setzte es auf seine Hüfte. Während sie aufwischte, nahm er den Topf und füllte Wasser hinein.

Sie versuchte eine Entschuldigung. »Charlie hat...«

Er wurde ungeduldig und ließ sie gar nicht erst ausreden.

»Himmelherrgott, Gillian... So geht das nicht! Wie um alles in der Welt bist du auf die Idee gekommen einen Rancher mit Kleinkind zu heiraten, wenn du noch nicht einmal einen einfachen Brei hinbekommst!«

Es war extrem ungerecht sie anzuschreien, dass wusste er in dem Moment, als er es tat, aber er wäre explodiert, hätte er es nicht getan.

»Du hast mir nie geschrieben, dass er ein Kleinkind ist, Matthew Cole!« schnappte sie zurück. »Hättest du mal daran gedacht, hätte ich mich darauf vorbereiten können, noch in Boston!«

Oh, das Reh hatte Klauen! Das war unerwartet, aber nicht unwillkommen. Es war ihm lieber als das Duckmäuschen, das er während der Hochzeit und auf der Fahrt zur Ranch kennen gelernt hatte. Und sie hatte Recht. Er hatte es sträflich versäumt, sie auf seinen Sohn vorzubereiten.

Charlies Gebrüll wurde lauter und brachte ihn zum Wesentlichen zurück. Er seufzte und ein paar Nuancen ruhiger sagte er: »Charlie hat Hunger. Keine Zeit um die Kuh zu melken. Mach den Brei mit Wasser und gib etwas Sirup hinein. Dann isst er ihn schon.«

Leise fluchend stellte er den Topf ab und setzte sich mit seinem Sohn an den Tisch. Während er das Kind mehr oder weniger erfolgreich von seinem Hungergefühl ablenkte, machte Gillian den Brei. Derweil sprachen sie kein Wort miteinander und sie sah ihn nicht an. Als sie sich einmal kurz umwandte, glaubte er, Tränen in ihren Augen glitzern zu sehen. Er fühlte sich miserabel dabei. Aber entschuldigen konnte er sich nicht.

Sie kam mit dem Brei und er begann, Charlie zu füttern, was den Kleinen sofort beruhigte. Nach einer Weile setzte er Gillian den Jungen kurzerhand auf den Schoß und sagte: »Ab hier kannst du weitermachen. Ich muss mich um die Ranch kümmern.«

Ohne sie anzusehen stand er auf und wollte hinausgehen.

»Warte«, rief sie.

Er drehte sich um. »Was denn noch?«

»Ich nehme an, er braucht auch frische Windeln?«, fragte sie heiser.

Er sah sie an. Sie wirkte erschöpft. Ihre Augen waren rot. Es tat ihm leid, dass er so unfreundlich zu ihr gewesen war, aber er konnte jetzt nichts dazu sagen.

»Ja«, nickte er. »Ich zeige es dir. Ich bin noch eine Weile in der Nähe. Ruf mich, wenn er fertig gegessen hat.«

Nachdem sie gemeinsam Charlies Windeln gewechselt hatten, wobei Gillian versuchte, sich jede Einzelheit dazu genau einzuprägen, verließ Matt sie endgültig, um seinen Arbeiten nachzugehen. Gillian schaffte erfolgreich, den schläfrigen Charlie in sein Bettchen zu legen, wo er sofort einschlief.

Sie nutzte die Zeit, um ein Bad zu nehmen und die Sachen aus ihrer Tasche in den Schrank zu räumen. Viel war es nicht, was sie hatte, doch so war es nun mal. Als sie fertig war, sank sie in ihrem Unterhemd auf ihr Bett und es dauerte nur Sekunden, bis ihre Erschöpfung sie übermannte und sie in einen tiefen Schlaf fiel.

Kapitel 4

Sie träumte von einer herrenlosen Katze. Mit herzzereissendem Miauen strich das Tier um ihre Beine und leckte Maisbrei von ihren staubigen Schuhen. Doch als ihr Schlaf leichter wurde, dämmerte es ihr, dass es keine Katze war, die sie hörte, sondern das Weinen eines Kindes.

Sie schreckte hoch. Wie spät mochte es sein? Sie griff nach ihrer kleinen Taschenuhr, die sie auf den Nachttisch gelegt hatte und klappte sie auf. Es war fast sechs. Wenn sie Matthew um sieben etwas zu Essen präsentieren wollte, musste sie sich beeilen. Sie musste sich noch um Charlie kümmern und hatte nicht die geringste Ahnung, was sie kochen sollte.

Schnell stand sie auf, warf sich ein leichtes Musselinkleid über, wobei sie auf ein Korsett und Unterröcke verzichtete, und warf einen kurzen Blick in ihren Ankleidespiegel. Ihr Haar war ein einziges Durcheinander. Keine Zeit, um es kunstvoll zu arrangieren, also löste sie sämtliche Haarnadeln, kämmte ihre Locken, bis sie ihr lang und glänzend über die Schultern fielen, und nahm nur ein paar seitliche Strähnen am Hinterkopf zusammen, damit sie ihr nicht ständig ins Gesicht fielen. Es war eine Frisur, wenn auch keine besonders anspruchsvolle. Sie nickte sich selbst aufmunternd im Spiegel zu und wappnete sich für ihre nächsten Herausforderungen, was immer diese auch sein mochten.

Als Matt am Abend seine Küche betrat, wurde ihm einmal mehr bewusst, dass er eine sehr schöne Frau geheiratet hatte. Gillian saß auf einem Stuhl. Ihr Haar war so gut wie offen und er bemerkte, wie die langen, rötlichbraunen Locken glänzend über ihre Schultern fielen. Er fühlte ein fast schmerzhaftes Bedürfnis, ihr Haar zu berühren und seine Hände hindurch gleiten zu lassen. Er hätte gern gewusst, ob es sich so weich anfühlte, wie es aussah.

Sie hatte sich umgezogen und trug ein helles, geblümtes Kleid, das zwar immer noch züchtig ausgeschnitten, aber längst nicht so hochgeschlossen war, wie ihr albernes Reisekostüm. Der dünne Musselinstoff schmiegte sich vorteilhaft um ihren Oberkörper und Matt sah sich in seiner Annahme, dass Gillian recht ansehnlich gebaut war, erneut bestätigt.

Besonders rührend aber war sein Sohn, wie er zufrieden vor sich hin brabbelnd und in ihrem Arm liegend mit einer Puderquaste spielte, die sie ihm wohl überlassen hatte. Wohlwollend, ja fast zärtlich, sah sie auf den Kleinen herab und sprach leise mit ihm.

Langsam trat er zu den beiden und fühlte plötzlich ein erdrückendes Schuldgefühl, weil er nach ihrer Ankunft so aufbrausend gewesen war. Doch statt einer verbalen Entschuldigung beugte sich herab und küsste sie auf die Wange. Sie errötete. Sehr süß.

»Und?«, fragte er leise. »War er brav?«

»Ein wahrer Engel«, lachte sie.

Er atmete innerlich auf. Sie schien ihm nichts nachzutragen. Er setzte sich neben sie und strich Charlie mit einem Finger leicht über die Wange.

»Wieso glaube ich das jetzt nicht?«, grinste er.

»Doch, doch«, entgegnete sie und ließ den Jungen ihren Zeigefinger fangen.

»Wir beide haben uns schon angefreundet, ist es nicht so, mein Schatz?«, raunte sie dem Kind verschwörerisch zu, als seien sie beide allein auf der Welt. Es war lächerlich, aber Matt kam sich plötzlich ausgeschlossen vor.

Charlie sah auf und streckte seine kleine Hand schon wieder nach ihrem Haar aus. Sie fing das Händchen ab. »Wenn der kleine Mann nur nicht immer meine Haare ausreißen wollte!«

Mit ihrer freien Hand versuchte sie ihr Haar im Nacken zusammenzufassen, doch es war nicht leicht, die Lockenflut auf diese Weise zu bändigen.

Matt stand auf und trat hinter sie.

»Lass mich...«, sagte er und räusperte sich, weil seine Stimme plötzlich so rau war, »Lass mich dir helfen«. Er streckte die Hände aus und fasste ihr Haar vorsichtig zu einem Zopf zusammen. Bei Gott, es war genauso weich, wie er es sich vorgestellt hatte!

Seine Fingerspitzen streiften kaum merklich die zarte Haut ihres langen, schlanken Halses. Der Kontakt war nur kurz und flüchtig gewesen und doch verspürte er ein leichtes Kribbeln an den Fingern, die sie berührt hatten. Er nahm die Schleife heraus, mit denen sie ihre Strähnen zurück gebunden hatte und befestigte damit den Zopf.

»So ist es besser«, brachte er hervor. Großer Gott, wenn das so weiterging, würde das, was er sich fest vorgenommen hatte, unmöglich werden.

Sie sah zu ihm auf und lächelte scheu. Er konnte plötzlich den Blick nicht mehr von ihren Lippen lösen. Er fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn er sie jetzt einfach küsste.

Doch sie brach den Zauber, indem sie ihm seinen Sohn entgegenstreckte. »Hier, wenn du ihn nimmst, trage ich gleich das Essen auf.«

Schließlich aßen sie ihr erstes gemeinsames Mahl. Sie hatte ein Omelette gemacht, in das sie Tomaten, Zwiebeln und Speck geschnitten hatte. Dazu gab es Brot. Es fand seine Zustimmung, was sie sichtlich erleichterte. Nach dem Essen brachte er Charlie ins Bett und sie begann aufzuräumen.

Als er die Küche wieder betrat, war sie dabei das Geschirr abzuwaschen. Er schob sie sanft zur Seite. »Lass mich das machen. Du kannst abtrocknen, wenn du möchtest.« Es war eine gute Gelegenheit, mit ihr zu sprechen.

Sie nahm ein Tuch und trocknete das Geschirr ab, das er ihr reichte. Dabei sah sie ihn nicht ein einziges Mal an, sondern hielt den Blick gesenkt. Sie wirkte nervös und gehetzt und setzte die abgetrockneten Teile mit fahrigen Bewegungen ab.

Als er ihr die letzte Tasse reichte und sie diese nehmen wollte, ließ er sie nicht los. Sie zog ein paar mal daran, aber er gab nicht nach. Daraufhin hob sie endlich die Augen zu ihm und er fixierte ihren Blick.

»Gillian?«, fragte er leise, »Warum bist du eigentlich so nervös?«

Sie schüttelte den Kopf und sah wieder weg. Er überließ ihr die Tasse und trocknete sich die Hände ab. Dann drehte er sich herum, lehnte sich an das Spülbecken und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sie begann, das Geschirr in ein Regal zu räumen und wich ihm damit bewusst aus.

Er verfolgte sie mit den Augen. »Wenn es das ist, was ich denke...«

Sie blickte zu ihm herüber. Nur kurz, aber deutlich furchtsam.

Er ging zu ihr und legte von hinten leicht die Hände auf ihre Schultern. Sie wurde ganz starr.

»Also, wenn es das ist...«, fuhr er fort, »Dann kannst du beruhigt sein. Ich werde heute Nacht nicht in dein Bett kommen.«

Sie fuhr herum. »Aber... Ich verstehe nicht....« Ihr Ausdruck war schwer zu deuten. War sie erleichtert oder enttäuscht? Oder nur verwirrt?

Er bedeutete ihr, sich zu setzen und tat es ihr gleich.

»Also«, er musste sich räuspern, »ich habe beschlossen, dass ich diese Ehe nicht vollziehen werde, bis ich mir sicher bin, dass ich dich behalten will.«

Autsch. Das war eine sehr ungeschickte Formulierung gewesen. Er fuhr auch gleich die Ernte ein, indem sie ihn wütend anblitzte.

»Behalten? Wie bitte? Siehst du das so, Mr. Matthew Cole? Als hättest du ein Stück Vieh auf Probe gekauft, eine Kuh, oder eine Zuchtstute, oder was weiß ich? Wie hast du dir das vorgestellt, hast du vor mich hinauszuwerfen, wenn ich dir nicht genehm bin? Wenn ich... irgendwelche Mängel habe?« Ihre Augen waren dunkel vor Zorn und sie wollte erbost aufspringen.

»Nein. Gillian, es tut mir leid!«, beeilte er sich um eine Richtigstellung und hinderte sie mit seiner Hand auf ihrem Arm am Aufstehen.

»Ich weiß, das klang furchtbar, aber ich habe das nicht so gemeint! Hör mir zu...«

Sie wollte ihren Arm dennoch wegziehen.

»Bitte«, sagte er leise.

Sie gab nach.

»Gillian, du weißt ja, dass wir keine andere Wahl hatten, als sofort nach deiner Ankunft zu heiraten. Dein Ruf hätte sonst Schaden genommen, was ich mir nicht verzeihen könnte. Aber was ich mir noch viel weniger verzeihen könnte ist, wenn du und ich durch eine Ehe aneinander gebunden wären, die wir beide nicht wollen. Ich möchte nicht, dass du denkst, du seist für dein Leben lang an einen Mann gekettet, den du hasst. Und ich für mich selbst denke, mir dasselbe Recht herausnehmen zu dürfen.

Also dachte ich, dass wir für eine gewisse ... Probezeit... auf den Vollzug der Ehe verzichten. Eine Ehe gilt nicht als gültig, solange sie nicht vollzogen ist. Sie kann dann rechtskräftig annulliert werden. Wir werden die Sache gleichberechtigt behandeln. Das heißt, wenn auch nur einer von uns beiden nach dieser Probezeit auf eine Annullierung besteht, werden wir sie beantragen, ganz gleich was der andere will. Dabei gilt dein Wort genau soviel wie meins, Gillian. Ich verspreche es dir.«

Er hielt den Atem an. Es war ungewöhnlich. Aber es war ihm wichtig. Er hatte schon einmal eine Ehe geführt, die er nicht hätte führen dürfen.

Sie wurde ruhiger.

»Geht das denn überhaupt?«, zweifelte sie.

»Solange wir beide uns vor dem Richter und der Kirche einig sind, sollte der Antrag durchgehen. Es wird wohl nicht einfach, aber am Ende müssen sie es bewilligen. Die Probezeit sollte nur nicht zu lange dauern. Nach einem Jahr wird uns das keiner mehr glauben«, setzte er mit einem Augenzwinkern hinzu.

»Und wie sieht es dann mit meinem Ruf aus?«

»Naja, ich denke, die Leute werden so oder so reden, aber da du ja wenigstens die Absicht hattest, eine Ehe zu führen und dich nicht – ähm – leichtfertig einem Mann hingegeben hast, wird das Gerede lange nicht so schlimm sein und bald verstummen. Es sollte keinen ehrbaren Zukünftigen abhalten. Die Leute sehen das hier sowieso nicht so streng wie im Osten. Abgesehen davon wird man mir die Schuld an allem geben.«

»Wie kannst du da so sicher sein?«

Er lachte freudlos. Wie gut war es doch, dass sie nicht von hier stammte, denn wenn sie alles gewusst hätte...

»Oh, da bin ich sicher, das kannst du mir getrost glauben«, antwortete er.

»Und das macht dir nichts aus?«

Er verzog den Mund und zuckte die Schultern.

»Was die Leute von mir denken, ist mir von Herzen egal.«

Sie kniff nachdenklich die Augen zusammen, doch dann nickte sie. »Also gut. Dann machen wir es so.«

Sie bemühte sich um eine entschlossene Miene, doch konnte sie ihn nicht vollends täuschen. Diese Frau hegte in sich ein tiefes Misstrauen, und nicht nur das. Sie hatte Angst, da war er sich ganz sicher. Vielleicht hatte sie sogar Angst vor ihm. Dennoch war sie bereit, ihm in dieser Sache zu vertrauen. Jetzt war es an ihm, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen.

Kapitel 5

Gillian stand früh auf. Charlies Weinen aus dem Kinderzimmer hatte sie bereits im Morgengrauen geweckt und sie ergriff die Gelegenheit, gleich mit der Zubereitung des Frühstücks anzufangen. Ihr Mann sollte keine Gelegenheit mehr bekommen, sie wegen eines verpatzten Breis oder sonst irgendeines Malheurs schief anzuschauen oder gar so anzuschreien, wie er es gestern getan hatte.

So seltsam sein Angebot vom Abend zuvor auch war und so wenig wie sie wusste, ob sie selbst diese Ehe wirklich fortsetzen wollte, sie würde nicht zulassen, dass er wegen solch banaler Missgeschicke noch auf die Idee kam, sie auf die Straße zu setzen.

Die ganze Sache war ein Kuhhandel. Er hatte von Gleichberechtigung gesprochen, aber in Wahrheit gab es diese nicht. Sie hatte keine Alternative. Wenn sie Geld, oder wenigstens eine Arbeit gehabt hätte und einen Ort zum Wohnen, wäre das etwas Anderes gewesen. Sie hätte selbst eine Annullierung einfordern können, falls sie sie denn wollte. Aber so wie die Dinge lagen, war es allein seine Entscheidung.