Wettlauf ins Glück - Lilac Mills - E-Book
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Wettlauf ins Glück E-Book

Lilac Mills

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Beschreibung

Manchmal ist das Überqueren der Ziellinie nur der erste Schritt …

Tess Barton steckt in ihrem Alltagstrott fest. Der Traum, Künstlerin zu werden, ist in weite Ferne gerückt, da sie gerade drei Jobs hat, um einigermaßen überleben zu können. Sie hat kaum Zeit zum Schlafen und dann meldet ihre Schwester Emma sie auch noch für einen Marathonlauf an. Und es ist nicht nur irgendein Marathon, es ist der Barcelona-Marathon, und sie laufen im Gedenken an ihre verstorbene Schwester.

Als Emma erkrankt, steht Tess ganz alleine in der fremden Stadt und vor einer gewaltigen Herausforderung. Bis sie in einer kleinen Tapas-Bar den charmanten Roberto kennenlernt. Bald stellt Tess fest, dass die schnelllebige Stadt und der anstehende Marathon gar nicht so einschüchternd sind - wenn jemand an ihrer Seite ist. 

Doch ist es nun zu spät, ihren Träumen nachzujagen, nachdem sie die ganze Zeit in die falsche Richtung gelaufen ist?

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Manchmal ist das Überqueren der Ziellinie nur der erste Schritt …

Tess Barton steckt in ihrem Alltagstrott fest. Der Traum, Künstlerin zu werden, ist in weite Ferne gerückt, da sie gerade drei Jobs hat, um einigermaßen überleben zu können. Sie hat kaum Zeit zum Schlafen und dann meldet ihre Schwester Emma sie auch noch für einen Marathonlauf an. Und es ist nicht nur irgendein Marathon, es ist der Barcelona-Marathon, und sie laufen im Gedenken an ihre verstorbene Schwester.

Als Emma erkrankt, steht Tess ganz alleine in der fremden Stadt und vor einer gewaltigen Herausforderung. Bis sie in einer kleinen Tapas-Bar den charmanten Roberto kennenlernt. Bald stellt Tess fest, dass die schnelllebige Stadt und der anstehende Marathon gar nicht so einschüchternd sind - wenn jemand an ihrer Seite ist. 

Doch ist es nun zu spät, ihren Träumen nachzujagen, nachdem sie die ganze Zeit in die falsche Richtung gelaufen ist?

Über Lilac Mills

Lilac Mills lebt mit ihrem sehr geduldigen Ehemann und ihrem unglaublich süßen Hund auf einem walisischen Berg, wo sie Gemüse anbaut (wenn die Schnecken sie nicht erwischen), backt (schlecht) und es liebt, Dinge aus Glitzer und Kleber zu basteln (meistens eine Sauerei). Sie ist eine begeisterte Leserin, seit sie mit fünf Jahren ein Exemplar von Noddy Goes to Toytown in die Hände bekam, und sie hat einmal versucht, alles in ihrer örtlichen Bibliothek zu lesen, angefangen bei A und sich durch das Alphabet gearbeitet. Sie liebt lange, heiße Sommer- und kalte Wintertage, an denen sie sich vor den Kamin kuschelt. Aber egal wie das Wetter ist, schreibt sie oder denkt über das Schreiben nach, wobei sie immer an herzerwärmende Romantik und Happy Ends denkt.

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Lilac Mills

Wettlauf ins Glück

Aus dem Amerikanischen von Anne Morgenrau

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

OKTOBER — Gewicht: Im Ernst? Ich glaube, meine Waage ist kaputt!

NOVEMBER — Gewicht: Auf die Waage steigen, draufschauen, ungläubig den Kopf schütteln, absteigen und noch mal von vorn. Keine Veränderung. Meine Waage geht garantiert falsch!

DEZEMBER — Gewicht: Nicht hinsehen. Auf keinen Fall. Nicht nach so vielen Pralinen und Mince-Pies.

JANUAR — Gewicht: Gar nicht übel, wenn man bedenkt, dass gerade Weihnachten war … Aber viel wichtiger ist: Ich fühle mich wundervoll!

FEBRUAR — Gewicht: Habe ich wirklich so viel abgenommen? Yay!

MÄRZ — Gewicht: Es ist zu spät, sich Sorgen darüber zu machen.

Zehn Tage vor dem Rennen

Acht Tage vor dem Rennen

Sechs Tage vor dem Rennen

Fünf Tage vor dem Rennen

Vier Tage vor dem Rennen

Drei Tage vor dem Rennen

Zwei Tage vor dem Rennen

Ein Tag vor dem Rennen

Der Tag des Rennens

Ein Tag nach dem Rennen

Zwei Tage nach dem Rennen

MAI — Gewicht: Wen interessiert’s? Ich hab die Waage weggeworfen.

Impressum

Lust auf more?

Für meine Mutter, der ich die Liebe zum Lesen verdanke. Es gibt kein größeres Geschenk. Danke.

Ich danke auch Nati Hurtado. Sie hat meine schlimme Grammatik korrigiert, was dringend nötig war, und damit dafür gesorgt, dass ich mich mit meinem Spanisch nicht völlig lächerlich mache. Sie war mir eine große Hilfe.

OKTOBER

Gewicht: Im Ernst? Ich glaube, meine Waage ist kaputt!

Tess bückte sich, die Hände auf die Knie gestützt, und atmete tief ein und wieder aus. Ihr war ein wenig übel. Ihre Nase lief, sie bekam kaum Luft, hatte Seitenstechen, schmerzende Knie und einen beginnenden Krampf in den Wadenmuskeln. Ihre Schienbeine schmerzten, und ihre Füße fühlten sich an, als hätte ein sadistischer Koch immer wieder mit einem Fleischklopfer auf sie eingeschlagen. Oh, und an der linken Ferse hatte sie offenbar eine Blase.

»Warum bleibst du stehen, du Riesenbaby?« In der Stimme ihrer Schwester lag keine Spur von Atemlosigkeit.

Tess hob den Kopf gerade so weit, dass sie Emma, die auf den Fußballen herumtänzelte und genauso frisch aussah wie beim Start von zu Hause, wütend anknurren konnte.

»Wir sind erst vor fünf Minuten losgelaufen«, stellte Emma fest.

Was, fünf Minuten erst? Es fühlte sich eher wie eine halbe Stunde an! Tess schnappte immer noch nach Luft und fragte sich, ob sie gleich ohnmächtig auf dem Pflaster zusammenbrechen würde.

»Zwei Meilen müssen wir noch …« Emma blickte über die Schulter zum Haus ihrer Eltern, das fünfhundert Meter weiter die Straße hinunter stand und der Startpunkt für ihren Lauf gewesen war.

Tess folgte ihrem Blick. Das Haus war viel zu nah. Jemand musste es verschoben haben, denn sie konnten auf keinen Fall nur bis zum Ende der Straße gelaufen sein. Sie fühlte sich, als hätte sie bereits die komplette Strecke zurückgelegt.

»Lauf du weiter, ich höre auf«, sagte sie, und selbst die wenigen Worte strengten sie an.

Emma hörte auf zu hüpfen und stemmte die Hände in die Seiten. »Du hast es versprochen!«

Tatsächlich? Sie hatte doch nichts versprochen, oder? Zögernd zugestimmt vielleicht, aber nicht versprochen. Tess dachte an das Gespräch vom Abend zuvor.

Zu zweit hatten sie sich beim Mädelsabend auf Tess’ Sofa gekuschelt und bei Knabbereien und einer Flasche Wein Let’s Dance geschaut, als Emma sie plötzlich um einen Gefallen gebeten hatte.

Emma war immer die Unternehmungslustigere gewesen, darum war Tess nicht sonderlich überrascht, als ihre Schwester ihr sagte, sie wolle für wohltätige Zwecke einen Marathon laufen und sei auf der Suche nach Unterstützung.

»Klar bin ich dabei.« Tess schob die Finger in die Popcorntüte und ließ sich eine Handvoll in den Mund fallen. »Was brauchst du? Jemanden, der deine Fortschritte protokolliert oder dich morgens weckt? Oder was kann ich sonst für dich tun?«

Es wäre zwar schrecklich, früh aufstehen zu müssen, nur um ihre Schwester aus dem Bett zu scheuchen, aber sie würde es tun, und außerdem konnte sie sich hinterher wieder hinlegen.

»Ich möchte, dass jemand mit mir läuft«, sagte Emma.

Tess verschluckte sich beinahe an ihrem Popcorn. »Entschuldige, aber für eine Sekunde habe ich geglaubt, du hättest gesagt, jemand soll mit dir laufen.«

»Habe ich ja auch.«

»Du weißt schon, mit wem du sprichst, oder? Ich bin’s, Tess, deine Schwester. Die mit der Sportallergie.«

»Wenn du einmal damit angefangen hast, wirst du es genießen, ehrlich. Außerdem tue ich es für Ella.«

»Ella«, wiederholte Tess mit tonloser Stimme. Der Geschmack des Popcorns lag ihr wie Asche im Mund.

Die Erinnerung an Ella stand immer zwischen ihnen, sie suchte die ganze Familie heim. Für ihre Eltern war es schwer gewesen, ein Kind zu verlieren, und Emma hatte der Verlust ihrer Zwillingsschwester – ihrer anderen Hälfte – ebenso hart getroffen, wenn auch auf andere Weise.

»Ich will Geld für die Krebsforschung sammeln.« Emma verlagerte auf dem Sofa das Gewicht und sah Tess in die Augen. »Es ist einfach nicht fair! Ella sollte bei meiner Hochzeit dabei sein, Tess, sie sollte neben dir stehen und mich hassen, weil ich sie gezwungen habe, ein scheußliches Brautjungfernkleid zu tragen. Wenn wir ein bisschen Geld sammeln, tragen wir wenigstens dazu bei, dass eine andere Familie nicht dasselbe durchmachen muss wie wir.«

Tess biss sich auf die Lippe. Ja, Ella sollte noch hier sein, aber das war sie nicht, obwohl sich Tess von ganzem Herzen wünschte, es wäre anders. Es schmerzte zu sehr, über sie zu sprechen, vor allem jetzt, wo sich ein Ereignis am Horizont abzeichnete, das eigentlich äußerst freudvoll sein sollte. Darum lenkte sie das Gespräch unauffällig in eine andere Richtung, damit die Reihe der Brautjungfern vor ihrem inneren Auge verschwand, mit einer Lücke an der Stelle, an der Ella stehen sollte.

»Was für Kleider hast du eigentlich für uns ausgesucht?«, fragte Tess, denn sie wusste, dass dieses Thema Emma für eine Weile von den düsteren Gedanken an Ella ablenken würde. Eigentlich hatte Emma einen guten Geschmack, aber sobald die Hochzeit zur Sprache kam, sah Tess Anzeichen für Bridezilla-Tendenzen im leicht manischen Gesichtsausdruck ihrer Schwester, und sie fürchtete sich vor dem, was Emma ihren armen Brautjungfern zumuten würde.

Sie waren zu dritt: Tess und zwei von Emmas besten Freundinnen. Wäre Ella noch am Leben, hätte Emma vermutlich nur ihre beiden Schwestern als Brautjungfern ausgewählt, aber nach Ellas Tod war die Vorstellung, dass Tess allein hinter Emma herging, einfach zu verstörend.

»Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte Emma. »Ich mag Taupe oder Brombeerrot, aber das wirkt vielleicht ein bisschen weihnachtlich. Der Brautausstatter hat Pflaumenblau vorgeschlagen, weil die Farbe ein bisschen satter ist, aber ich überlege, ob ich nicht lieber etwas Helleres nehme, das besser zur Jahreszeit passt, Muschelrosa oder so.«

Taupe? Wie seltsam für eine Hochzeit, dachte Tess. Pfui. Total nichtssagend. Muschelrosa war immerhin eine richtige Farbe – und noch dazu eine ziemlich hübsche. Außerdem hoffte sie, dass Emma sich nicht für Satin entscheiden würde. Der Stoff betonte jedes Pölsterchen. Bitte, lieber Gott, bloß kein Satin!

Tess schaltete ab und ließ Emma einfach weiterreden. Das passierte in letzter Zeit häufiger, vor allem wenn es um Hochzeiten ging, und derzeit schien ständig jemand zu heiraten.

»… darum möchte ich etwas zu Ellas Gedenken tun«, sagte Emma gerade.

»Hä?« Offenbar dachte ihre Schwester nicht mehr über scheußliche Farben nach, sondern war wieder beim Thema Charity gelandet.

Tess hatte nichts dagegen, Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln, solange sie nur den Geldbeutel zücken und spenden musste. Was sie nicht wollte, war tatsächlich an dem Lauf teilnehmen.

»Hast du mir nicht zugehört?«, fragte Emma streng.

»Doch, natürlich«, sagte Tess. »Aber warum machst du nicht irgendwas anderes? Dir die Haare abschneiden zum Beispiel?«

Vielleicht – nur vielleicht – würde Tess in Erwägung ziehen, sich ebenfalls die Locken abschneiden zu lassen, wenn das bedeutete, dass sie kein Lycra tragen musste. Ihr war durchaus bewusst, dass eng anliegende Sportklamotten nicht vorteilhaft für sie waren. Und dann war da noch das Problem, einen BH zu finden, der ihren Brüsten genügend Halt gab, denn ohne würden sie hin und her schwingen wie zwei in Unruhe versetzte Pendel, sobald sie mehr als einen flotten Spaziergang unternahm.

Emma schnappte nach Luft. »Ich heirate, und du willst, dass ich mir die Haare abschneide?!«, rief sie, wobei ihre Stimme sich zu überschlagen drohte. »Dabei rät einem jeder davon ab, kurz vor der Hochzeit noch drastische Änderungen an den Haaren vorzunehmen.«

»Deine Hochzeit ist erst in acht Monaten«, versetzte Tess. »Ist ja nicht so, als würdest du morgen schon vor den Traualtar treten.«

»Weißt du, wie langsam Haare wachsen?« Emma hob die Stimme um eine weitere Oktave.

Tess zuckte mit den Schultern. In Gedanken war sie noch bei riesigen BHs. Brüste wie ihre waren einfach nicht zum Rennen gemacht. Sogar bei schnellem Gehen sah es aus, als hätte sie sich zwei mit Wasser gefüllte Ballons vor den Oberkörper geschnallt.

»Einen Zentimeter pro Monat!«, rief Emma. »Das sind bis zur Hochzeit nicht mal acht.« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, hob sie acht Finger. »Ich müsste mit einer Glatze vor den Traualtar treten!«

Dann also kein Kahlschlag, und bei genauerem Nachdenken war auch Tess nicht scharf darauf, ihre lange blonde Haarpracht zu verlieren.

»Wie wär’s mit einem Bungee-Sprung?«, schlug sie vor. Das wäre noch besser, denn dann wäre die ganze Sache innerhalb eines Vormittags erledigt. Bungee-Springen reizte sie zwar nicht besonders – sie hasste große Höhen –, aber es war mit Sicherheit besser, als einmal wöchentlich mit ihrer verrückten Schwester um den Block zu joggen.

»Nein, ich will einen Marathon laufen.« Emmas Mund war zu einer schmalen Linie geworden, und das bedeutete, dass sie ihre Meinung auf keinen Fall ändern würde. Tess hasste diese Linie. Die bekam sie nämlich mindestens einmal pro Tag zu sehen, seit Emma alt genug war, um zu wissen, dass sie sich praktisch immer durchsetzen konnte. Sie musste nur hartnäckig genug sein.

Tess starrte ihre Schwester an, während ihr allmählich das Ausmaß dessen bewusst wurde, was Emma sich vorgenommen hatte. »Einen Marathon. Wie weit ist das genau?« Ihre Hand steckte wieder in der Popcorntüte, und sie schaufelte das Zeug schneller in sich hinein, als ein hungriger Hund seine Abendmahlzeit verschlingt.

»Sechsundzwanzig Meilen«, sagte Emma.

»Und die willst du laufen? Ohne Pause?«

Emma grinste frech. »Das ist der Plan, ja.«

»Was sagen Mum und Dad dazu?« Sie würden es Emma bestimmt ausreden. Ihre Eltern hatten in ihrem ganzen Leben noch keinen Sport getrieben. Sie hielten nichts davon. Dad gärtnerte und spielte Boccia (sogar er selbst gab zu, dass das nicht als Anstrengung durchging), und Mum kümmerte sich um den Haushalt und die Heimwerkerarbeiten (beim Aufbauen von Regalen war sie bedeutend geschickter als ihr Mann). Wenn die fitnessverrückte Emma vorschlug, sie sollten alle zusammen zum Aerobic-Kurs gehen, behauptete Mum immer, das Heimwerken reiche ihr als Sport. Ihre Eltern waren der Ansicht, dass die Arbeit in ihrem Wäschedienst Aktivität genug war und sie es verdient hatten, abends bequem auf dem Sofa zu sitzen.

»Sie stehen voll hinter mir«, sagte Emma. »Sie glauben, dass es eine großartige Erfahrung sein wird.«

Fragt sich nur, für wen, dachte Tess. Für sie bestimmt nicht. Sie war keine Athletin, und auch Emma war eigentlich keine gewesen, bis deren Verlobter Declan das Thema aufgebracht hatte. Seitdem hatte sich ihre Schwester zu einem Diät- und Fitnessjunkie entwickelt.

Tess verstand nicht, was die ganze Aufregung sollte. Bis zur Hochzeit dauerte es noch mehrere Monate. Emma hatte jede Menge Zeit, um ein paar Pfunde loszuwerden, und es war nicht so, als müsste sie überhaupt Gewicht verlieren.

Tess tauchte die Hand wieder in die Popcorntüte. Mmm, Karamell war eindeutig ihre Lieblingssorte.

»Mach einfach das Beste draus«, sagte Emma und deutete mit dem Kopf auf die fast leere Tüte. »Von jetzt an musst du gesund essen. Einen Marathon kann man nicht mit Fastfood und Kuchen laufen.«

»Wie gut, dass nicht ich diejenige bin, die ihn läuft«, erwiderte Tess und legte den Kopf zurück, um die Reste aus der Tüte in den Mund zu befördern.

»Du hast gesagt, du läufst mit mir.« Emma schmollte dermaßen gekonnt, dass Tess der Meinung war, ihre Schwester sollte lieber an einem Schmollmarathon teilnehmen, anstatt sechsundzwanzig Meilen zu laufen. Auf diese Art würde sie Tausende Pfund an Spenden sammeln. Ihr Schmollmund war fast so effektiv wie ihre Ich-bleibe-bei-meiner-Meinung-Linie.

»Ich habe versprochen, dir zu helfen«, räumte Tess ein, »und das tue ich auch, aber ich werde auf keinen Fall laufen.«

»Du hast gesagt, du bist dabei«, beharrte Emma.

»Ja, aber das war, bevor ich wusste, was du vorhast«, gab Tess zurück.

»Zu spät!«, hatte ihre Schwester triumphierend gerufen. »Du hast schon zugesagt. Es ist nicht meine Schuld, dass du nicht vorher gefragt hast. Jetzt kannst du dein Wort nicht mehr zurücknehmen.«

Und das war der Grund, warum Tess nun, an einem Sonntagmorgen um halb neun, durch die Straßen lief (okay – es war nur eine halbe Straße), obwohl sie eigentlich noch im Bett liegen sollte. In diesem Moment lief sie allerdings nicht, sondern stand vornübergebeugt da, die Hände auf den Knien, und versuchte, sich nicht zu übergeben.

»Du hast es mir versprochen«, maulte ihre Schwester. »Also sei kein Weichei und komm in die Gänge.«

Emma war wie ein Kind, das die Aufmerksamkeit seiner Mutter wollte. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, quengelte sie immer weiter und gab erst auf, wenn sie bekommen hatte, was sie wollte. Offenbar würde es auch diesmal so laufen.

»Ehrlich, ich glaube, ich kann das nicht«, sagte Tess.

Emma holte ihr Handy heraus. Tess hoffte, dass sie ein Taxi rufen würde, das sie beide nach Hause brachte. Die Schwestern hatten vereinbart, sich bei ihren Eltern zu treffen, weil am Ende der Straße ein Wald lag, und Emma meinte, das sei ein besserer Ort, mit dem Laufen anzufangen, als über die asphaltierten Straßen zu rennen.

»Lächeln«, sagte Emma.

»Was ist los?« Tess hob den Kopf.

»Ein Foto für meine Spenden-Website.«

»Wag es ja nicht, verdammt!« Mit einem unerwarteten Energieschub stürzte sich Tess auf ihre Schwester und griff vergeblich nach dem Handy.

Emma entfernte sich tänzelnd, bis sie einige Meter außer Reichweite war. »Komm und hol’s dir!«, neckte sie.

»Gib es her!«, kreischte Tess.

»Ja, aber erst, wenn du die zwei Meilen gelaufen bist.«

»Weißt du, wie sehr ich dich hasse?«

»Genug, um nicht nach Barcelona zu wollen?«

Tess zögerte. »Wer fliegt denn nach Barcelona?«, fragte sie.

»Wir.«

»Und warum?«

»Weil dort der Marathon stattfindet.«

Tess öffnete und schloss den Mund und versuchte noch einmal, Luft in ihre überforderte Lunge zu saugen – diesmal vor Überraschung und nicht vor körperlicher Erschöpfung. »Wirklich?«

»Wirklich.«

Tess verzog das Gesicht zu einem breiten Lächeln. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, fragte sie. Aber als sie Emma mit neuem Elan hinterherlief, ließ diese sich nicht einholen. Wie eine Maus, hinter der die Katze her war, flitzte ihre Schwester über die Straße und in den Park, wobei sie mit dem Handy über dem Kopf herumwedelte, während Tess’ Rufe sie verfolgten: »Ich hasse dich, verdammte Emma Barton!«

Doch während Tess hinter dem ärgerlich kessen Hinterteil ihrer Schwester herlief, dachte sie bei jedem Schritt nicht an das angedrohte Facebook-Posting, sondern an Gaudí.

Und an Picasso, van Gogh, Matisse, Monet, da Vinci, Turner, Michelangelo … die Liste war endlos. Sie liebte sie alle (okay, die Kubisten nicht so sehr), aber die Impressionisten bewunderte sie, und Monet war ihr Lieblingsmaler. Seine Seerosen-Serie war zum Sterben schön, und sie wünschte, sie selbst hätte auch nur einen Bruchteil seines Talents. Ihr eigener Stil war detaillierter und weniger impressionistisch, aber als sie zu Abiturzeiten ernsthaft mit dem Malen angefangen hatte, war sie bei dem Versuch, Monets Stil zu imitieren, kläglich gescheitert.

Und dann war da noch Gaudí. Wenn Tess an seine Architektur dachte, liefen ihr Schauer des Entzückens über den Rücken. Sie war magisch und surreal – aber auf eine gute Art, nicht so, dass man sich fragte, ob es sich um Kunst handelte oder ob jemand nur eine Kiste mitten im Raum vergessen hatte. Obwohl sie im Rahmen ihres Kunststudiums nur Fotos seiner Arbeit gesehen hatte, raubten ihr seine Visionen und seine Kreativität den Atem.

Und wo befanden sich Gaudís berühmteste Werke? Natürlich in Barcelona!

Eigentlich war Architektur nicht ihr Ding, deswegen hatte sie nie daran gedacht, einen Abschluss darin zu machen. Der Fokus lag ihr zu sehr auf modernem Zeug wie Stahl und Glas und auf Gebäuden, die aus seltsamen Materialien wie Autoreifen oder Spaghetti bestanden. Aber das hinderte sie nicht daran, schöne Bauwerke zu bewundern und sie zu malen. Die Kathedrale von Worcester, die Turmspitzen, die den Himmel über der Stadt beherrschten, in der sie lebte, hatte sie in der Vergangenheit zu vielen Bildern inspiriert, und sie liebte die Pracht dieser Kirche: den gemeißelten Stein, die Buntglasfenster, den Atem der Geschichte.

Doch in Tess’ Augen war Gaudí der König, wenn es um das Entwerfen schöner Gebäude ging. Sie waren nicht besonders alt und weniger prunkvoll als etwa die Kathedrale ihrer Heimatstadt, doch dafür sprach eine skurrile Phantasie aus ihnen. Sie besaßen fließende Linien und wirkten organisch, als hätte der Stein sich ohne menschliches Zutun zu diesen herrlichen Formen zusammengesetzt. All das hatte sie begriffen, ohne je in Barcelona gewesen zu sein. Ihr Wissen stammte von Fotos und Gemälden, die andere Künstler von Gaudís Bauwerken angefertigt hatten. Wie großartig musste es sein, all das im Original mit eigenen Augen zu sehen!

Einmal hatte sie die Sagrada Família zu malen versucht, aber ohne tatsächlich davor zu stehen, war es unmöglich, der Basilika gerecht zu werden. Wo ist das Bild eigentlich geblieben?, fragte Tess sich, während sie schnaufend und keuchend hinter ihrer irritierend gelassenen Schwester herlief. Vermutlich lag es in einer Kiste auf dem Dachboden ihrer Eltern, zusammen mit den restlichen Utensilien aus ihrem Kunststudium.

Tess hatte sich an Stillleben versucht, an Porträts und Landschaften, an abstrakten Motiven und Alltagsszenen, hatte sogar ein oder zwei religiöse Motive gemalt, aber am liebsten hauchte sie der Phantasie anderer Leute Leben ein. Das war es, was sie am besten konnte. In letzter Zeit hatte sie ein Händchen für Feen entwickelt …

Verdammt, ihre Beine versagten ihr den Dienst, und sie setzte sich einfach in den Matsch. Alle möglichen Gedanken gingen ihr durch den Kopf, zum Beispiel, warum Lycra nicht wasserdicht war – ihr Hintern war unangenehm nass. Joggingschuhe waren bestimmt dafür gemacht, durch den Supermarkt zu schlendern, und nicht, um damit über schlammige Waldpfade zu rutschen. Und warum war der Boden unter ihren Füßen so durchweicht, obwohl es seit Tagen nicht geregnet hatte?

»Noch eine Kurve, dann sind wir auf der Wiese und schon fast zu Hause«, rief Emma, die ein paar Meter vor ihr auf der Stelle joggte. »Du schaffst das!«

Ich schaffe es nicht, und ich will es auch nicht schaffen, dachte Tess. »Lass mich einfach hier sitzen und hol mich nächste Woche bei deinem Lauf durch dieses Höllenloch wieder ab.« Dumpf starrte sie auf einen Baumstamm direkt vor ihr. Sogar ihre Augen waren erschöpft.

»Komm schon, du kannst nicht den ganzen Tag hier bleiben.« Emma fasste Tess am Arm und zog sie hoch.

Mit einem unwürdig schmatzenden Geräusch löste sich Tess’ Hintern aus dem Matsch. Jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte, als sie auf die Füße kam. Prompt brach sie in Tränen aus.

»Ich kann das nicht, Em, ich kann einfach nicht! Mein Körper ist nicht zum Laufen gemacht. Sieh mich doch an.«

Was sie beide taten. Aus Tess’ Perspektive, die von oben auf besagten Körper blickte, waren nur Brüste zu sehen. Sie dachte, dass sich ihre Beine und Füße irgendwo darunter befinden mussten, aber sicher war sie sich dessen nicht, denn in der letzten halben Stunde hatte sie diese Körperteile nicht mehr gespürt. Aber sie wusste, was der Spiegel ihr zeigte, und obwohl manche Exemplare freundlicher zu ihr waren als andere, malten alle ungefähr dasselbe Bild: Tess war mollig – oder kurvig, wenn man taktvoll sein wollte. Das Problem war nur, dass sie nicht wusste, wo die eine Kurve endete und die andere anfing. Sie schienen alle zu einer rundlichen Form zu verschmelzen. Emma hingegen war groß und schlaksig. Wenn der Körper ihrer Schwester die Form einer Selleriestange hatte, dann war Tess definitiv ein Apfel. Oder vielleicht war Wassermelone die treffendere Beschreibung.

Emma musterte sie von Kopf bis Fuß. »Bei dir ist alles am richtigen Platz, und du hast eine verdammt gute Figur. Da ist nichts, was dich vom Laufen abhält.«

»Aber ich bin dick und schwabbelig«, jammerte Tess, griff nach einer Handvoll Bauchspeck und kniff hinein. Es war nicht fair, dass eine Schwester genug für beide wog, und warum musste ausgerechnet sie diese Schwester sein?

»Das hat mehr mit mangelndem Muskeltonus als mit Fett zu tun. Wenn du weiterhin mit mir läufst, bist du an Weihnachten straff und durchtrainiert«, versprach Emma.

Tess warf ihr einen zornigen Blick zu. Diese Hexe war nicht mal außer Atem!

Tess war verzweifelt. »Hör zu, ich mache dir einen Vorschlag. Ich motiviere dich zum Training, ich gehe jeden Tag mit dir raus, wenn du willst, und feuere dich an. Ich begleite dich sogar nach Barcelona.« Der letzte Punkt war nicht wirklich eine Zumutung, doch Tess versuchte es zumindest so klingen zu lassen. »Aber bitte, zwing mich nicht zum Laufen! Du bist sehr gut in der Lage, das allein zu tun.«

Emma nahm Tess’ schlammbedeckte Hände in ihre relativ sauberen. Wie hatte sie es geschafft, so schlammfrei zu bleiben? Tess war von oben bis unten mit dem Zeug bedeckt. Wer hätte gedacht, dass Laufen eine derart schmutzige Angelegenheit sein konnte?

»Ich will nicht, dass du nur mit mir trainierst, Tessy.« Emmas Miene war voller Mitgefühl. »Ich möchte, dass du den Marathon mit mir läufst. Wir Schwestern zusammen.«

»Neeeiiin!«, jammerte Tess.

»Das wird lustig, du wirst schon sehen, und außerdem kannst du eine Stadt besichtigen, in die du immer schon mal wolltest.«

»Ich werde zu müde sein, um irgendetwas mitzubekommen«, prophezeite Tess mit säuerlicher Miene.

»Tess, das ist vermutlich das letzte Mal, dass wir so etwas zusammen machen können.«

»Nee, das ist der Junggesellinnenabschied«, gab Tess zurück. Bei der Gelegenheit würden sie zwei volle Tage und Nächte zusammen verbringen, hoffentlich in einem Spa, und sich mit Gesichtsmasken und Prosecco verwöhnen lassen, vorzugsweise mit beidem gleichzeitig.

»Ich will keinen Junggesellinnenabschied, und selbst wenn, dabei wären wir nicht unter uns. Meine Freundinnen wären dabei. Ich möchte, dass du mit mir nach Barcelona fliegst. Ich möchte, dass du den Marathon mit mir läufst. Für Ella. Für uns.«

»Wir können noch bei vielen anderen Gelegenheiten zusammen sein. Schließlich wanderst du weder in den Knast noch nach Australien aus, du heiratest nur. Und du hast ein Haus gekauft, das keine Meile von dem von Mum und Dad entfernt liegt.«

»Trotzdem wird es nicht mehr dasselbe sein.«

Nein, musste Tess sich eingestehen, das würde es nicht. »Es ist schon nicht mehr dasselbe, seit du Declan kennengelernt hast«, sagte sie, um Emma klarzumachen, dass dies der natürliche Lauf der Dinge und damit völlig in Ordnung war. Sie würden immer Schwestern bleiben, aber sie konnten nicht für immer zusammenleben.

Emmas Augen füllten sich mit Tränen. »Ich will dich nicht ausschließen, aber …«

»Das verstehe ich doch, Em!«, versuchte Tess eilig ihre Schwester zu beruhigen. Darauf hatte sie nicht hinausgewollt. »Drei sind einer zu viel. Und es wäre total seltsam, wenn du mich zu jedem Treffen mit deinem Verlobten mitnehmen würdest. Ich fühle mich nicht ausgeschlossen, weggestoßen, ausgegrenzt oder wie auch immer du es nennen willst.« Sie hakte ihre Schwester unter, und die beiden gingen langsam aus dem Wald hinaus und über die Wiese. »Ich freue mich sehr für dich. Wir werden uns weiterhin sehen und Zeit miteinander verbringen, ganz bestimmt. Aber ich verstehe nicht, warum du eine wundervolle Reise in eine faszinierende Stadt verderben musst, indem du dort einen Marathon läufst.«

»Schönen Tag noch!«, rief ein vorbeilaufender Jogger ihnen zu, und Tess versetzte Emma einen Stups in die Rippen.

»Du könntest mit dem da laufen«, schlug sie vor. »Der passt zu dir. In mehr als einer Hinsicht.« Tess sah zu, wie sich sein knackiger Hintern rhythmisch von ihnen entfernte. »Hast du ihn schon öfter hier gesehen?«

»Jeden Sonntag.« Emmas Lippen zuckten. »Und du vergisst, dass ich verlobt bin.«

»Du vielleicht, ich nicht. Vielleicht gehe ich nächste Woche doch wieder mit dir laufen …«, sagte Tess.

»Soll das heißen, du läufst den Marathon?«

»Ich versuche es, okay?« Tess konnte nichts versprechen, aber wenn es Emma so viel bedeutete, würde sie ihr Bestes geben. Außerdem wollte auch sie etwas zu Ellas Gedenken tun. Ihre kleine Schwester hatte es verdient, dass man sich an sie erinnerte, und wenn sie gleichzeitig Spenden für die Krebsforschung sammeln konnten, war das doch großartig.

Sie konnte nur hoffen, dass sie genug Willenskraft und Ausdauer besaß, um das nötige Training durchzuziehen.

***

Als sie später auf Händen und Knien die Treppe zu ihrer Wohnung heraufkroch, bereute Tess ihre Entscheidung bereits.

Die Fahrt von ihrem Elternhaus hatte nur zehn Minuten gedauert, aber Tess’ Körper hatte jede Sekunde genutzt, um ihr zu zeigen, wie sauer er auf sie war. Ihr Rücken schmerzte, ihre Knie taten weh, ihre Fußgelenke waren geschwollen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, war sie auch noch voller Schlamm (Bröckchen davon landeten auf den Stufen wie eine Spur aus schmutzigen Brotkrumen), und sie war so müde, dass sie am liebsten eine Woche durchgeschlafen hätte.

Zu allem Überfluss ähnelte die Konsistenz des Schokocroissants, auf das sie sich als Belohnung nach dem Lauf gefreut hatte, inzwischen einem Stück Pappe. Tatsächlich wurde ihr bei dem Gedanken, es zu essen, ein bisschen schlecht.

Tess kam zu dem Schluss, dass sie ihrem Körper womöglich ernsthaften Schaden zugefügt hatte, vielleicht sogar dauerhaft.

Um wieder auf die Füße zu kommen, zog sie sich an dem hölzernen Türrahmen hoch, dann steckte sie den Schlüssel ins Schlüsselloch. Zum Glück funktionierten wenigstens ihre Arme und Hände noch. Sie fiel zur Tür hinein und robbte zu ihrem Schlafzimmer, wobei sie alles Überflüssige ablegte. Dort angekommen, versuchte sie die majestätischen Höhen des Bettenbergs zu erklimmen, ließ sich darauf plumpsen und tat so, als gäbe es den trocknenden Schlamm nicht, der sie bedeckte. Damit würde sie sich später befassen.

Doch später kam früher als gedacht.

Ihr Handy, das sie zusammen mit ihrer Jacke und den Joggingschuhen im Flur hatte liegen lassen, begann zu klingeln und hörte nicht wieder auf. Eine halbe Stunde widerstand Tess dem beharrlichen Klingeln, dann gab sie auf und hievte ihren äußerst unwilligen Körper aus dem Bett (sie brauchte mehrere Anläufe). Aufrecht stehen ist eine große Leistung, dachte sie, und vielleicht das Bedeutsamste, das ich für den Rest des Tages tun werde.

Wie sollte sie arbeiten, wenn alles unterhalb ihrer Taille ein Fiasko war und alles darüber sich nur in unwesentlich besserem Zustand befand? Sie musste eigentlich eine Reihe von Illustrationen für ein Buch fertigstellen und eine Deadline einhalten, hatte aber gerade noch genug Kraft, um ihre ekelhafte Laufmontur auszuziehen.

Laufmontur? Haha! Den einzigen Lauf, den diese Montur bisher bewältigt hatte, waren die zwei holprigen Meilen an diesem Tag gewesen. Mit den Laufschuhen war sie vorher noch nicht weiter gekommen als bis zum nächsten Supermarkt, und die Laufhose und das Top hatte sie bereits vor einigen Jahren gekauft, als sie sich halbherzig bei einem Fitnesscenter angemeldet hatte. Sie hatte es einmal besucht, war zu dem Schluss gekommen, dass sie es schrecklich fand, und seitdem hatten die Klamotten in einer Tasche ganz hinten im Kleiderschrank gelegen.

»Ich komme ja schon!«, rief sie, als könnte die Person am anderen Ende der Leitung sie hören. Sie schob sich die immer noch leicht feuchte Lycra-Hose über die Beine hinunter. Es bedurfte einiger Anstrengung, das Teil über die Schenkel abzurollen. Dann tapste sie zur Tür und nahm ihren Morgenmantel vom Haken, wobei sie sich weigerte, einen Blick auf das Chaos auf ihrem Bett zu werfen. Die Laken würde sie erst wechseln, wenn sie demjenigen, der am anderen Ende der Leitung nervte, gründlich die Meinung gesagt hatte. Eine Dusche wäre vermutlich auch eine gute Idee …

Sie schnappte sich ihr Handy, zuckte aber zusammen angesichts der stechenden Schmerzen, die ihr diese abrupte Bewegung bereitete. »Hallo«, knurrte sie.

»Habe ich Sie geweckt?« Die Stimme gehörte der Lektorin, die ihr den Auftrag für die Illustrationen gegeben hatte, an denen Tess derzeit arbeitete.

Wie kam diese Frau dazu, sie am Sonntag anzurufen? Wie unverschämt! Hatte sie denn kein Privatleben?

»Nein, ich war gerade laufen«, sagte Tess scheinheilig, denn ihr gefiel der Eindruck, den diese Worte hinterlassen würden – fit, schlank, aktiv, kontrolliert und fleißig.

»Ich rufe wegen Weg mit den Elfen an«, kam Carol direkt zur Sache. »Wie weit sind Sie damit?«

Tess humpelte zu ihrem Arbeitsplatz, klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter und hob vorsichtig das Papier an, das die sorgfältig getuschten Illustrationen voneinander trennte.

»Das Cover, der Bildertitel und die Zeichnungen für den Beginn jedes Abschnitts sind fertig, außerdem die ersten drei Innenillustrationen, die Sie bereits abgesegnet haben. Mit der vierten habe ich angefangen, und danach geht es sofort mit der fünften weiter. Ich brauche noch die Zustimmung der Autorin, dann kann ich weitermachen.«

»Gut. Der Erscheinungstermin ist nämlich vorverlegt worden.«

Tess wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. »Auf wann denn?«

»Ende März.«

»Ach, Mist!« Fünf Monate bis zur Veröffentlichung bedeutete, dass die Illustrationen bereits fertig sein sollten, und zwar am besten schon gestern.

»Ja, genau.« Carol seufzte. »Schaffen Sie es rechtzeitig?«

»Das werde ich wohl müssen, oder?« Sonst würde Tess schließlich kein Geld bekommen.

»Ich habe mit der Autorin gesprochen, und sie ist mit den anderen Bildern zufrieden, abgesehen von ein paar kleinen Änderungen«, sagte Carol, und in den folgenden Minuten besprachen sie die einzelnen Korrekturen.

»Okay«, sagte Tess schließlich. »Ich stelle sie so schnell wie möglich fertig.«

Tess war froh, dass sie professionell und selbstsicher klang, obwohl sie sich überhaupt nicht so fühlte. Wenn sie rasch fertig werden wollte, würde sie sofort mit der Arbeit anfangen müssen und durfte in den nächsten Tagen weder schlafen noch essen. Sie hatte einiges zu organisieren.

Mit einem inneren Seufzer beendete sie das Gespräch und begann sofort das nächste, indem sie eine Kurzwahltaste auf ihrem Handy drückte.

»Mum? Ich kann kommende Woche nicht arbeiten«, sagte sie und hielt das Handy von ihrem Ohr weg, während sie darauf wartete, dass ihre Mutter explodierte.

Aber die antwortete seelenruhig: »Macht nichts. Angela hat mir gestern gesagt, dass sie ein paar Extraschichten braucht. Aber warum kannst du nicht arbeiten? Liegt es an diesem Marathontraining? Bist du zu erschöpft?«

»Hey, nicht so frech!« Tess war erleichtert, dass ihre Mutter ihr keine Vorwürfe machte, weil sie in letzter Minute absagte. »Du weißt doch, dieser Auftrag, an dem ich gerade sitze.«

»Das Buch mit den Elfen?«

»Ja, genau das. Sie wollen sämtliche Illustrationen früher als geplant.«

»Ist das gut oder schlecht?« Ihre Mutter klang, als hätte sie den Mund voller Murmeln.

»Was isst du da?«

»Ein Zitronenbonbon.«

»Oh, lecker. Na ja, ehrlich gesagt liegt es ein bisschen an beidem. Je eher ich fertig werde, desto eher kann ich mit dem nächsten Auftrag weitermachen. Und das bedeutet, dass ich in nächster Zeit sehr unter Zeitdruck stehen werde.«

»Dad und ich kommen schon zurecht«, antwortete ihre Mum. »Wir sind ja auch zurechtgekommen, als du an der Uni warst, nicht wahr?«

Hm, das stimmte, und darum fragte Tess sich nicht zum ersten Mal, ob sie nur deshalb regelmäßig in der Wäscherei arbeitete, weil ihre Eltern wussten, dass sie das Geld brauchte.

»… oder?«, hörte Tess ihre Mutter sagen, als sie mit ihrer Aufmerksamkeit wieder in der Gegenwart ankam.

»Entschuldige, was hast du gesagt?«, fragte sie und zuckte zusammen, als sie ihre Mutter laut auf das Bonbon beißen hörte.

»Ich sagte, Brian wird es nicht gefallen, wenn du ihm auch absagst.«

Da hatte Mum recht. Tess bezweifelte, dass der Inhaber des Pubs so verständnisvoll sein würde wie ihre Eltern. Darum würde sie trotz allem an diesem Abend und auch an den anderen Nachmittagen und Abenden, für die sie eingeplant war, arbeiten müssen. Und darum konnte sie außer Essen und Schlafen auch das Duschen, Schminken und Frisieren vergessen. Ach, und die Lauferei – damit war definitiv Schluss. Sie hatte einfach keine Zeit dafür.

***

»Komm schon, Tess, andere Leute müssen zur Arbeit!«, rief Emma vor Tess’ Wohnungstür.

»Geh weg.« Tess wühlte sich tiefer in ihr Bett und zog sich die Decke über den Kopf. War es wirklich schon morgen? Sie war doch gerade erst ins Bett gegangen.

»Wenn ich es vor der Arbeit schaffe, schaffst du es auch«, rief Emma und hämmerte ein weiteres Mal an die Tür.

Zum Glück befand sich rechts neben ihrer Wohnung ein Bestattungsunternehmen; Tess bezweifelte, dass sich dort um sieben Uhr morgens ein lebender Mensch aufhielt, und die Toten waren nicht in der Lage, sich über den Radau zu beklagen, den ihre Schwester veranstaltete.

Erneutes Klopfen. »Ich sage es Mum!«, brüllte Emma.

Wie alt war sie, drei? Tess war es egal, bei wem Emma sie verpetzte, sie wollte nur weiterschlafen.

»Na schön, ich komme jetzt rein«, verkündete ihre Schwester, und Tess hörte, wie der Schlüssel sich im Schloss drehte.

Ehe Tess aus dem Bett kriechen konnte, wurde ihr schon die Decke vom Leib gerissen, und Emma zog sie am Arm. »Wenn du dich beeilst, sind wir in zehn Minuten hier raus«, drängte Emma sie.

»Wenn du meinen Arm nicht loslässt, bist du in zehn Sekunden hier raus«, knurrte Tess. »Ich bin erst um vier Uhr ins Bett gegangen.«

»Gefeiert?«

»Grrr. Nein. Gearbeitet. Für dich mit deinen geregelten Arbeitszeiten, den schicken Kostümen und den verdammten Meetings ist das vielleicht kein Problem. Aber andere Leute arbeiten in einem Pub und müssen sich gegen Betrunkene wehren, und wenn sie nach Hause kommen, müssen sie auch noch bescheuerte Bilder von bescheuerten Feen malen!«

»Dann ist ein Lauf genau das, was du zum Entspannen brauchst«, erwiderte Emma munter.

»Bis du hier reingeplatzt bist, war ich sehr entspannt. Da fällt mir ein … Woher hast du eigentlich den Schlüssel?«

»Von Mum.«

»Erinnere mich daran, dass ich ein Hühnchen mit ihr zu rupfen habe«, brummte Tess.

»Und?«

»Was, und?«

»Jetzt bist du wach, also kannst du auch mitkommen.«

Seufzend stand Tess auf und ignorierte die amüsierten Blicke ihrer Schwester. Tess mochte ihren Einteiler mit den Kühen darauf, zum Schlafen war er einfach perfekt. Was Emma davon hielt, war ihr egal.

»Darf ich mal? Ich möchte mich anziehen«, sagte Tess und verschränkte die Arme vor der Brust.

Auf den Fußballen hüpfend, zog sich Emma ins Wohnzimmer zurück.

Nachdem Tess ihr Lauf-Outfit angezogen hatte, schlurfte sie gequält hinter ihrer Schwester her. »Ich kann doch kaum gehen. Wie soll ich da laufen?« Jeder Zentimeter ihres Körpers schmerzte. Sie würde mindestens eine, wenn nicht zwei Wochen brauchen, um sich von dem jämmerlichen Versuch am Vortag zu erholen.

Emma legte den Arm um sie und drückte sie. »Ich weiß, dass es wehtut, aber wenn du immer erst wartest, bis der Schmerz vorübergeht, fängst du beim nächsten Training wieder von vorne an.«

Training? War es das, was sie taten? Es ähnelte eher einer mittelalterlichen Foltermethode. Tess fühlte sich, als wäre sie geprügelt, gequält, gehängt, auf die Streckbank gelegt und schließlich gevierteilt worden. Das Einzige, das ihr nicht wehtat, waren die Haare.

»Sag nicht, dass wir das hier bis März jeden Morgen tun«, flehte sie.

»Natürlich nicht«, sagte Emma.

Tess atmete erleichtert durch.

»In ein paar Wochen werden die Läufe zu lang sein, um sie morgens zu absolvieren, dann müssen wir nach der Arbeit trainieren«, fügte Emma hinzu.

»Wie lang genau ist ›zu lang‹?«

»Ende November müssen wir viermal die Woche mindestens fünf Meilen laufen, und an den Sonntagen noch um einiges länger.«

Um Himmels willen, ihre Schwester war eine Sadistin!

NOVEMBER

Gewicht: Auf die Waage steigen, draufschauen, ungläubig den Kopf schütteln, absteigen und noch mal von vorn. Keine Veränderung. Meine Waage geht garantiert falsch!

»Siehst gut aus, Mädel. Könntest mir beinahe gefallen.« Der Gast schlürfte sein Bier, ein Schnurrbart aus Schaum bedeckte den echten.

Tess verzog das Gesicht. »Träum weiter, Kev.«

Kev war mindestens fünfzehn Jahre älter als Tess mit ihren siebenundzwanzig, dünn wie ein Spatenstiel und sah aus, als müsste er sich dringend mal gründlich waschen. Meistens roch er auch so, obwohl Tess sich möglichst von ihm fernhielt, damit ihr sein Geruch nicht in die Nase stieg.

»Er hat aber recht. Du siehst echt sexy aus«, mischte sich sein Kumpel Dale ein. »Sind deine Titten größer geworden?«

Hocherhobenen Hauptes stolzierte Tess zum anderen Ende der Theke. Sie sollte sich wirklich einen anderen Job suchen, aber das Pub lag direkt vor ihrer Haustür, und die Bezahlung war okay. Und manchmal gaben ihr die elenden Idioten auf der anderen Seite der Theke sogar Trinkgeld. Außerdem mochten die Leute, die solche Lokale besuchten, normale Drinks wie halbe Liter Lager oder dunkles Bier und keine hippen Cocktails, die in den gehobeneren Bars in der Innenstadt serviert wurden.

Sie kam mit dem Job zurecht, und Brian, der Inhaber, behandelte sie ziemlich gut. Solange sie genug Alkohol ausschenkte und die Gäste glücklich waren, konnte sie tun und lassen, was sie wollte.

»Hey, Brian, deine Barfrau hier hat sich die Titten machen lassen«, rief Dale. »Sieh sie dir mal an.«

»Halt die Klappe, Mann, sonst kriegen sie dich noch wegen sexueller Belästigung dran«, sagte Brian mit ausdrucksloser Stimme, ohne von seiner Zeitung aufzublicken.

Nicht nur wegen sexueller Belästigung, dachte Tess, die sich an gewisse Gespräche unter Stammgästen erinnerte. Allein beim Gedanken daran wurde sie sauer.

»Wie viel haben die Dinger gekostet, Tess? Dafür hast du bestimmt ein paar Scheinchen hingeblättert. Du bezahlst sie zu gut, Kumpel.« Letzteres war wieder an Brian gerichtet.

»Wenn ihr öfter mal Trinkgeld geben würdet, müsste ich sie überhaupt nicht bezahlen«, versetzte Brian.

Tess versuchte ihn nicht zu beachten und konzentrierte sich darauf, einen fettigen Lippenstiftabdruck von einem Halbliterglas abzureiben. Dabei fragte sie sich, warum sie sich all das gefallen ließ. Ach ja, weil sie das Geld brauchte, deshalb.

Aber vielleicht würde sie in nicht allzu ferner Zukunft in der Lage sein, auf diesen Job zu verzichten. Ihr letzter Auftrag war gut angekommen, und sie hatte sofort einen Folgeauftrag erhalten. Das Problem war nur, dass das Einkommen noch nicht regelmäßig und verlässlich genug war.

Sie reckte sich, um die frisch gespülten und abgetrockneten Gläser in die Fächer über ihrem Kopf zu stellen, spürte, wie ihre Jeans hinunterrutschte und zog sie verärgert wieder hoch. Sollte Denim beim Waschen nicht eigentlich einlaufen, anstatt weiter zu werden? Andererseits hatte sie diese Jeans schon an der Uni getragen, vielleicht war der Stoff inzwischen ausgeleiert.

Erst jetzt ging ihr richtig auf, was der ungehobelte Kev und sein Kumpel eigentlich gesagt hatten. Ihre Taille war tatsächlich schmaler geworden. Bis jetzt war ihr das nicht aufgefallen, weil sie mit dem Training, zu dem ihre Schwester sie zwang, und ihren drei Jobs total ausgelastet war (eigentlich waren es zweieinhalb Jobs, denn in der Wäscherei hatte sie sich in letzter Zeit öfter um Schichten gedrückt, als welche zu übernehmen). Das gesunde Essen hatte bestimmt auch geholfen, obwohl sie das Gefühl hatte, mehr zu essen als vorher. Andererseits verbrauchte man beim Salatkauen mehr Kalorien, als man zu sich nahm. Seit Wochen hatte sie keine Schokolade mehr genascht (okay, ein oder zwei Stückchen vielleicht) und sie hatte mehr Salat gegessen als ein Stall voller Hasen – wobei sie Pizza immer noch lieber aß als Kopfsalat, woran sich vermutlich nie etwas ändern würde. Wahrscheinlich war das die Erklärung für die rutschende Jeans.

Sie musste abgenommen haben, egal, was ihre Waage sagte. Tess konnte es kaum glauben, die harte Arbeit und das gesunde Essen zahlten sich tatsächlich aus! Nach dieser Erkenntnis bereute sie die vielen Stunden, die sie auf das Laufen verwendet hatte, fast nicht mehr. Sie ärgerte sich auch nicht mehr so sehr über die vielen Folgen von Coronation Street und anderen Soaps, die sie verpasst hatte. Sie war straffer und schlanker geworden, und das fühlte sich ziemlich gut an.

Am meisten schien sie um die Taille herum verloren zu haben, so dass ihre Brüste größer wirkten, als sie tatsächlich waren. Als sie unauffällig mit den Händen an ihren Seiten hinabfuhr, bemerkte sie zum ersten Mal seit langer Zeit, dass ihre Taille wieder erkennbar war. Außerdem hatte sie heute einen Push-up-BH an, den sie nur selten trug. Tatsächlich war es der einzige saubere BH in ihrer Wäscheschublade gewesen – was angesichts des Berufs ihrer Eltern einer gewissen Ironie nicht entbehrte.

Sie schwor sich, eine neue Waage zu kaufen.

Abgenommen. Jeans zu weit. Sie schickte die Textnachricht an Emma und stieß im Geist vor Genugtuung die Faust in die Luft.

Gut gemacht. Aber nicht vergessen, es geht nicht ums Gewicht, sondern um die Fitness, lautete Emmas Antwort.

Die Waage sagt, ich habe nicht abgenommen. Ist bestimmt kaputt. Im Geist gab Tess ein Schnauben von sich.

Vielleicht auch nicht. Emmas Antwort kam deprimierend schnell.

Diesmal schnaubte Tess wirklich. Was?! Das war ja wohl unmöglich!

????, tippte Tess und drückte auf Senden.

Muskeln wiegen mehr als Fett, antwortete ihre Schwester.

Da hatte sie vermutlich recht. Tess erinnerte sich, etwas Ähnliches mal im Fernsehen gehört zu haben, und ihr fiel auf, dass ihre Oberschenkel etwas weniger wabbelig waren. Neugierig drückte sie einen Finger in die Haut und stellte fest, dass er nicht so tief eindrang wie bisher. Nicht, dass sie gewohnheitsmäßig in ihre wabbeligen Körperstellen stach … Dann strich sie über Hüften und Oberschenkel und spürte Muskeln, die sie seit der Pubertät nicht mehr gehabt hatte.

Kein Zweifel, sie bekam Bein-Packs – oder wie die definierten Muskeln in den Oberschenkeln sonst hießen. Okay, definiert waren sie nicht, und außer ihr würde sie wahrscheinlich auch niemand bemerken, dennoch breitete sich ein zufriedenes Grinsen in ihrem Gesicht aus, und ausnahmsweise konnte sie den beiden Typen, die sich am anderen Ende auf die Theke stützten, ziemlich großmütig begegnen. Sie drehte sich zu ihnen und schenkte ihnen ein freudestrahlendes Lächeln.

»Kev, Kumpel, unsere Tess steht auf dich«, krächzte Dale und stieß seinen Kumpel an. Hastig ersetzte Tess ihr Lächeln durch ein abweisendes Stirnrunzeln.

»Im Leben nicht!«, erwiderte sie und drehte dem unausstehlichen Duo den Rücken zu, dankbar, dass ihre Schicht beinahe zu Ende war und sie laufen gehen konnte, wie sie es Emma versprochen hatte.

Ihre Schwester war für ein paar Tage zu einem Seminar gefahren, hatte Tess vor der Abreise aber das Versprechen abgenommen, in ihrer Abwesenheit einen Fünf-Meilen-Lauf zu absolvieren, und obwohl Tess deswegen gejammert hatte, stellte sie nun fest, dass sie sich tatsächlich darauf freute.

Wow, dachte sie. Noch vor einem Monat war sie beinahe zusammengebrochen, ehe sie auch nur das Ende der Straße erreicht hatte, und jetzt schaffte sie fünf Meilen – wenn auch mit Mühe. Sie stellte fest, dass sie sich viel besser fühlte: Sie hatte mehr Energie, mehr Elan. Vielleicht, nur vielleicht, würde sie nach dem Marathon mit dem Laufen weitermachen. Auf das Fitnessstudio hatte sie nach wie vor keine Lust, aber Joggen an der frischen Luft war etwas völlig anderes.

Sie wusste, dass ihr der Lauf an diesem Abend nicht leichtfallen würde. Erst zum dritten Mal nahm sie diese Distanz in Angriff, aber sie schwor sich, dass sie versuchen würde, die gesamte Strecke ohne Gehpause durchzuhalten.

Um sich die halbe Stunde bis zum Feierabend zu vertreiben, holte sie ihr Handy erneut unter der Theke hervor, schob sich einen In-Ear-Stöpsel ins Ohr und ließ sich die Haare ins Gesicht fallen. Dann wandte sie sich von Brian ab und drückte auf Start. Mit etwas Glück würde ihr Chef nicht bemerken, was sie tat, und sie konnte heimlich zehn Minuten Spanisch üben. Sie hatte die App eine Woche zuvor heruntergeladen und bereits mehrere Module durchgeackert. Zugegeben, jede Lektion war nur zehn Minuten lang, aber zumindest hatte sie das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.

»Buenas noches!«, rief sie fröhlich, als sie endlich zur Tür hinausging und sich auf den Heimweg machte, um sich für das Training umzuziehen.

Auf der Rundstrecke sagte Tess sich innerlich während des Laufs immer noch spanische Wörter und Sätze vor. Emma hatte die Strecke mit großer Sorgfalt ausgearbeitet, indem sie verschiedene Routen abgefahren war, bis sie eine gefunden hatte, die ihr gefiel und außerdem die korrekte Anzahl an Meilen aufwies.

Tess überließ Emma bereitwillig alles, was mit dem Marathon zusammenhing, und schwelgte selbst in romantischen Gedanken an Barcelona. Während sie lief und ihr Atem wie eine Wolke hinter ihr in der feuchtkalten Luft des Novemberabends hing, konnte Tess nur an warmen Sonnenschein im Frühling und eine Stadt voll wunderbarer Kunstwerke denken.

***

»Was glaubst du, wie lange wird es dauern?«, fragte Tess.