Wettlauf mit dem Tod - Alfred Wallon - E-Book

Wettlauf mit dem Tod E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Alaska, 1925. In der kleinen Stadt Nome bricht die Diphtherie aus. Schon bald droht die Epidemie, zum Todesurteil für die gesamte Bevölkerung zu werden. Nur eins kann die Katastrophe noch verhindern: ein Serum, das im über 1.000 Kilometer entfernten Nenana bereitsteht. Schnee und Eis machen die Zugstrecke unpassierbar. Es gibt nur noch eine Chance: den Iditarod Trail, der von Hundeschlitten befahren werden kann – zu dieser Zeit des Jahres ein Himmelfahrtskommando. Und doch brechen Dr. Joshua Carter und ein paar mutige Männer sofort auf …

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Seitenzahl: 135

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WETTLAUF MIT DEM TOD

ONLY EBOOK - WESTERN

BUCH 16

ALFRED WALLON

IN DIESER REIHE BISHER ERSCHIENEN

e101 Alfred Wallon Die letzten Tage von Stonewall Jacksone102 Alfred Wallon Das Gewissen eines Killerse103 Alfred Wallon Stahlspur nach Leadvillee104 Alfred Wallon Die Pioniere von Kentuckye105 Alfred Wallon Tod am little big Horne106 Alfred Wallon Geistertanze107 Alfred Wallon Die Expeditionen des Jedediah Smithe108 Alfred Wallon Die Expeditionen des Meriwether Lewis und William Clarke109 Alfred Wallon John Calhouns Geheimnis - Die Calhouns - Eine Texas-Dynastie - Band 1e110 Alfred Wallon Revolver-Rachee111Alfred Wallon Blutige Grenzee112 Alfred Wallon Der rote Generale113 Alfred Wallon Fehderecht im Pleasant Valleye114Alfred Wallon Piano-Krieg in Dodge-Citye115Alfred Wallon Auf der Spur des Mörderse116 Alfred Wallon

© 2024 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Alfred Wallon

Titelbild: Mario Heyer

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Torsten Kohlwey

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-7579-6932-5

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INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Die geschichtlichen Hintergründe des Romans

Über den Autor

KAPITEL1

Draußen heulte der Wind und blies durch die Ritzen der alten Blockhütte. Im Kamin flackerte das Feuer unruhig, während der Schamane mit stoischem Gesichtsausdruck die Trommel schlug. Die anderen Mitglieder der Inuit hatten sich um ihn versammelt und beobachteten schweigend, wie er allmählich in Trance fiel. Es war ein gespenstisches Bild an diesem kalten Januarabend.

Mühsam formte Angakoq Worte, die die anderen Inuit zu verstehen versuchten. Aber sie waren zu leise ausgesprochen, so dass die besorgten Menschen nur einen Teil davon mitbekamen. Einige von ihnen zuckten zusammen, als der durch die Ritzen pfeifende Wind die Flammen des Feuers in alle Richtungen tanzen ließ.

Die Zeit schien still zu stehen, während alle den Schamanen Angakoq beobachteten und seine Hilfe erflehten. Denn ein großes Unglück hatte des Volk der Inuit heimgesucht. Drei Kinder waren erkrankt und siechten mit hohem Fieber, in Robben- und Bärenfelle gehüllt, auf ihren Lagern dahin. Sie waren bereits viel zu erschöpft, um das Ritual des Schamanen zu registrieren. Sie sahen auch nicht die Verwandten und Freunde der betroffenen Familie, die gekommen waren, um Beistand zu leisten.

Aber all dies schien nicht zu helfen. Selbst der Schamane schien an die Grenzen seiner Macht gestoßen zu sein, denn das Gebräu aus verschiedenen Pflanzen, das er ihnen vor einigen Stunden verabreicht hatte, war bis jetzt wirkungslos gewesen. Nach wie vor war das starke Fieber nicht gesunken, und die Kinder hatten zwischenzeitlich Atemnot bekommen.

„Wir müssen etwas tun“, sagte Anuk zu seiner Frau. „Ich kann nicht einfach zusehen, wie...“

Er hatte ganz leise gesprochen, um das Ritual Angakoqs nicht zu stören. Dennoch waren ihm die zornigen Blicke einiger Verwandter nicht entgangen, die bemerkt hatten, dass Anuk nicht ganz bei der Sache war. Aber Anuk hatte ohnehin bei seinem Volk keinen guten Namen. Er sprach nämlich viel zu oft davon, dass die alten Zeiten ein für alle Mal der Vergangenheit angehörten und dass sein Volk lieber die Lebensweise der Weißen akzeptieren sollte.

Allein durch diese Behauptung hatte er sich einige Feinde gemacht, und das hatte auch schon seine Familie hin und wieder zu spüren bekommen. Es gab sogar einige, die behaupteten, dass die Krankheit seiner Kinder eine Strafe der Geister sei.

Der Schamane kehrte abrupt aus der Trance zurück. Sein Gesicht war in Schweiß gebadet, und er zitterte noch ein wenig, weil ihn das sehr angestrengt hatte. Er brauchte einige Sekunden, um seine Gedanken in Worte zu fassen.

„Ich habe mit Sedna, der Alten unter dem Meer gesprochen“, berichtete der Schamane von seiner Vision. Allein die Erwähnung des Namens der Mutter aller Meeresgeschöpfe reichte aus, um die meisten der in der Hütte versammelten Inuit in Ehrfurcht erstarren zu lassen. „Sie weiß natürlich von der Krankheit, denn sie sieht alles.“

„Und warum steht sie uns jetzt nicht bei?“, fragte Anuk. Er registrierte, dass ihn Angakoq bei diesen Worten wütend anschaute. „Sedna hat genügend Geschöpfe, deren Mutter sie ist – aber meine Frau und ich haben nur unsere beiden Kinder. Ich will nicht, dass sie sterben.“

„Ihr Schicksal liegt in Sednas Hand“, erwiderte der Schamane ausweichend. „Wir müssen nur Vertrauen haben, und dann wird...“

„Vertrauen ist keine Gewissheit, Angakoq“, fiel ihm Anuk ins Wort. „Deshalb werde ich meine Kinder nach Nome bringen. Der weiße Arzt soll ihnen helfen.“

Er sah den ängstlichen Blick seiner Frau Naik und griff kurz nach ihrer Hand. Er drückte sie und zeigte ihr auf diese Weise, dass sie sich vor dem Schamanen nicht einzuschüchtern lassen brauchte.

„Du hast schon sehr lange die Pfade der Inuit verlassen, Anuk“, belehrte ihn der Schamane. „Glaubst du, dass dies wirklich der richtige Weg ist?“

„Jeder Weg ist gut, wenn meine Kinder nicht sterben müssen“, antwortete Anuk. „Du hast ihnen nicht helfen können. Ich habe dir zwar vertraut, aber du hast versagt. Sieh sie dir doch an! Ihre Körper sind heiß und sie können kaum noch atmen. Glaubst du wirklich, dass du diese Krankheit mit Gebeten vertreiben kannst?“

„Sednas Zorn wird dich treffen, Anuk!“, entfuhr es dem zornigen Angakoq, während er sich rasch erhob. „Tu was du willst. Ich werde nicht mehr länger hier bleiben.“

Nicht nur er verließ Anuks Hütte. Auch einige seiner Verwandten schlossen sich dem Schamanen an und zeigten Anuk und Naik auf diese Weise, dass Angakoqs Stellung wichtiger war als verwandtschaftliche Bande.

„Geht nur alle“, murmelte Anuk enttäuscht. „Geht mit ihm und betet zu Sedna – ich habe keine Zeit dafür.“

Sein Blick verdüsterte sich, als er in das besorgte Gesicht Naiks schaute. Deshalb ging er rasch auf sie zu, nahm sie in die Arme und sprach beruhigend auf sie ein.

„Wann willst du aufbrechen?“, erkundigte sich Anuks Bruder Tianuk, der mit seiner Frau im Gegensatz zu den anderen Inuit noch im Blockhaus geblieben war.

„Gleich“, erwiderte Anuk. „Du kannst mir helfen, Tianuk. Geh schon hinaus und spanne die Hunde ein. Ich werde einige Sachen zusammen packen, und die beiden Frauen können die Kinder vorbereiten. Los, wir dürfen keine Zeit verlieren.“

„Glaubst du wirklich, dass es eine richtige Entscheidung ist, die Kinder nach Nome zu bringen?“, fragte Tianuks Frau, während ihr Mann hinaus in die Nacht ging, um sich um das Hundegespann zu kümmern.

„Hier werden sie sterben“, antwortete Anuk. „In Nome haben sie wenigstens eine Chance. Alles andere liegt in den Händen der Geister – und vielleicht auch bei Sedna.“

Weiterer Worte bedurfte es nicht. Alle wussten, dass sich Anuk eine schwere Aufgabe vorgenommen hatte. Es ging schon auf Mitternacht zu, und draußen heulte ein Sturm, der an den Dachbalken der meisten Behausungen der Inuit rüttelte. Trotz des wärmenden Feuers spürten sie die bittere Kälte des harten Winters, der Alaska fest im Griff hatte. Der eisige Wind, der von der Beringsee kam, tauchte das ganze Land in klirrenden Frost.

Anuk sah zu, wie die beiden Frauen seine Kinder langsam aufweckten und sie dann in wärmende Kleider hüllten. Als sein ältester Sohn heftig nach Atem rang und ihn dabei Hilfe suchend anschaute, wandte Anuk seinen Blick ab, weil er dieses Elend kaum ertragen konnte.

Deshalb war er dankbar dafür, dass Tianuk in diesem Moment herein kam. Der kalte Wind, den er mit sich brachte, jagte allen Anwesenden einen Schauer über den Rücken.

„Das Wetter wird noch schlechter. Dichte und schwarze Wolken kommen von Nordwesten“, sagte Tianuk. „Du wirst Schwierigkeiten haben, Anuk. Vielleicht solltest du wirklich besser bis zum Morgengrauen warten.“

„Nein“, winkte Anuk entschieden ab. „Ich will nicht zusehen, wie der Tod in diese Hütte kommt und ich mir hinterher vorwerfen muss, dass ich nichts getan hätte. Es bleibt dabei – ich breche jetzt auf. Hast du alles vorbereitet?“

Tianuk nickte.

„Mach dir keine Sorgen, Naik“, tröstete er seine Frau, die das Jüngste noch auf dem Arm hielt. Die kleine Hanohoq war gerade zwei Jahre alt und weinte leise vor sich hin. „Ich schwöre dir, dass ich sie alle nach Nome bringen werde.“

Gemeinsam trugen sie die Kinder hinaus ins Freie. Obwohl die Kinder dick vermummt waren, so spürten sie alle die Kälte dieses schneidenden Windes, der immer wieder neue Schneeflocken vor sich herwirbelte. Als sie auf dem Schlitten saßen, deckte sie ihre Mutter mit zwei dicken Fellen zu. Das musste reichen.

Die Hunde im Gespann konnten es kaum noch abwarten, bis es endlich losging. Einige von ihnen bellten laut und zogen bereits an den Gespannleinen, so dass Anuk sie mit mehreren lauten Rufen erst einmal zur Räson bringen musste. Er war ein erfahrener Jäger und Hundeführer, der schon oft mit seinem Gespann die winterliche Wildnis Alaskas durchquert hatte, manchmal sogar mehrere Tage lang. Er kannte hier jeden Fußbreit Boden – auch in Regionen, die kaum ein Mensch zuvor betreten hatte.

Nome war zwar nur zwanzig Meilen entfernt. Aber bei diesem höllischen Wetter war das eine schrecklich große Distanz. Anuk spürte schon die ersten Vorboten des stärker einsetzendes Windes, als er die Leinen des Gespanns in die Hände nahm und sich hinter den Schlitten stellte.

Dann trieb er die zehn Hunde mit dem Ruf an, den sie alle zur Genüge kannten. Sofort setzten sie sich in Bewegung. Anuk hatte keine Gelegenheit mehr, sich umzudrehen und seiner Frau ein letztes Mal zuzuwinken. Denn genau in diesem Moment begann es so heftig zu schneien, dass bereits nach wenigen Metern die Blockhütten der Inuit gar nicht mehr zu sehen waren. Die weißen Schleier hatten sie einfach verschluckt.

Die Hunde suchten sich zielstrebig ihren Weg durch den Sturm. Der Leithund bestimmte das Tempo, und die anderen zogen sofort mit. Weiter ging es durch den tiefen Schnee, und mit jeder zurückgelegten Meile wuchs Anuks Hoffnung, dass er Nome bald erreichen würde.

KAPITEL2

Dr. Albert Beaumont hielt einen Moment inne. Auf einmal fühlte er eine seltsame Schwäche in den Gliedern, die er sich nicht erklären konnte. Für einen kurzen Augenblick wurde ihm übel, und er musste tief Luft holen. Als er sich mit der rechten Hand über die Stirn wischte, zitterte sie leicht.

„Dr. Beaumont!“, hörte er Betty Montfort rufen. „Um Himmels Willen – was ist denn?“

„Nichts!“, erwiderte der fünfundfünfzigjährige Arzt, der seit fast zehn Jahren in Nome lebte und in der kleinen Siedlung an der Beringsee jeden Tag aufs Neue die Tatsache akzeptieren musste, dass die Zivilisation sich irgendwo jenseits des Horizontes befand. Nome war einmal der Mittelpunkt eines großen Goldrausches um die Jahrhundertwende gewesen. Das gehörte aber mittlerweile längst der Vergangenheit an. Der Run war vorbei, und in Nome lebten gerade noch 1.700 Menschen. Die meisten von ihnen waren Jäger, Pelzhändler oder Abenteurer. Manche von ihnen waren freiwillig hier, und andere hatten einen guten Grund, weshalb sie am Ende der Welt hausten.

Dr. Beaumont hatte jedoch mittlerweile gelernt, niemandem unnötige Fragen zu stellen, was die Vergangenheit anging. Der kleine Ort an der Beringsee hatte in den vergangenen Jahren eine Gemeinschaft gebildet, die in sich geschlossen war und funktionierte. Vor allen Dingen in den rauen Wintermonaten, wenn die Verbindung zur Außenwelt manchmal wochenlang unterbrochen war.

„Sie schwitzen ja“, sagte die matronenhafte Mrs. Montfort, die dem Arzt an zwei Tagen in der Woche in dessen Praxis zur Hand ging und mithalf, die Patienten zu versorgen. „Sie haben zu viel gearbeitet, Dr. Beaumont. Legen Sie sich hin und schlafen Sie ein paar Stunden.“

„Schlafen?“ Beinahe hätte Dr. Beaumont gelacht, wenn ihm nicht so übel gewesen wäre. Es war durchaus ein verlockender Gedanke, aber trotzdem blieb es nur ein Wunsch. Denn die Kranken mussten gepflegt, versorgt und beobachtet werden. Vor allem jetzt in dieser kritischen Phase. „Ich kann nicht schlafen, Betty. Zumindest nicht jetzt. Sie wissen doch, welche Probleme wir haben, oder?“

Betty Montforts Miene wirkte angespannt, als sie antwortete.

„Sind Sie denn wirklich sicher, dass es Diphtherie ist, Dr. Beaumont?“

„Die Symptome sind eindeutig“, seufzte der Arzt. „Mit Halsschmerzen und Schluckbeschwerden fängt es an. Mitunter auch Erbrechen und Benommenheit. Fieber tritt auf und steigt schnell an. Danach beginnen dann Schwellungen der Drüsen und im Rachen. Wollen Sie noch mehr hören?“

„Aber was können wir denn tun?“, fragte Mrs. Monfort. „Wir dürfen doch nicht einfach zusehen, wie die Menschen einer nach dem anderen sterben!“

„Angeblich gibt es ein Serum gegen Diphtherie“, sagte der Arzt. „Aber wie sollen wir es hierher bekommen? Ganz sicher nicht mitten im Winter. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die Kranken weiter vollständig zu isolieren. So wie wir es jetzt schon getan haben. Auch wenn es Bürgermeister Johnson nicht passt, dass wir die Town Hall dafür ausgewählt haben. Aber nur hier haben wir Platz genug, um alle gleichzeitig zu versorgen.“

Während der letzten Worte glitten seine Blicke zurück in den großen Saal, in dem normalerweise der Stadtrat tagte und Versammlungen und Familienfeierlichkeiten abgehalten wurden. Dr. Beaumont war jedoch nicht nach Feiern zumute, seitdem er wusste, dass in Nome die ersten akuten Diphtheriefälle aufgetreten waren. Nachdem für ihn klar war, welche Gefahr dies für Nome bedeutete, hatte er sofort dafür gesorgt, dass alle Infizierten und diejenigen, die ansonsten noch zu den Risikopersonen gehörten, in der Town Hall zusammen kamen. Nur so ließ sich vielleicht noch verhindern, dass sich die Krankheit weiter ausbreitete.

„Mr. Jenkins geht es schlechter“, sagte Betty Montfort. „Ich bin nicht sicher, ob er die kommende Nacht überstehen wird.“

Abe Jenkins, der Storebesitzer, war der Erste gewesen. Vor drei Tagen war er mit einem heftigen Fieberanfall in die Praxis des Doktors gekommen und hatte sein Leid geklagt. Wenige Stunden später war er bereits so schwach, dass er nicht mehr stehen konnte und behandelt werden musste. Vier weitere Fälle hatte es seitdem gegeben – alle mit einem ähnlichen Krankheitsbild.

„Niemand weiß das“, fügte der Arzt bei Mrs. Montforts Worten hinzu. „Alles andere liegt nun in Gottes Hand...“

Er brach mitten im Satz ab, als er auf einmal das rollende Echo von zwei Schüssen hörte. Erschrocken fuhr seine Helferin herum und schaute aus dem Fenster. Sie war so müde, dass sie kaum noch auf den Beinen stehen konnte, weil sie bis spät in die Nacht an der Seite des Doktors die Kranken versorgt hatte. Jetzt war der Morgen nicht mehr fern, und sie sehnte sich danach, endlich schlafen zu können. Aber ihr Gefühl signalisierte ihr, dass die beiden Schüsse diese Hoffnung zerstört hatten.

„Meinen Mantel – rasch!“, forderte Dr. Beaumont. „Ich muss nach dem Rechten sehen!“

Eile war geboten. Deshalb war der Arzt sehr dankbar für die Hilfe von Mrs. Montfort. Nachdem er den Mantel angezogen und Handschuhe übergestreift hatte, griff er nach der brennenden Petroleumlampe und ging hinaus ins Freie.

„Wer ist da?“, rief er gegen das auf- und abheulende Pfeifen des Sturms. Er blinzelte, weil der kalte Wind ihm immer wieder Schneeflocken ins Gesicht blies. Sekunden vergingen, bis er schließlich den Hundeschlitten erkannte – und eine zusammen gebeugte Gestalt, die sich nur noch mühsam am Schlitten festhalten konnte.

„Hilfe!“, hörte er eine schwache Stimme, gefolgt von einem lauten Stöhnen.

Der Arzt lief mit gesenktem Kopf in Richtung des Hundeschlittens und sah nach dem Mann, der ganz offensichtlich am Ende seiner Kräfte war. Das galt auch für die drei Kinder auf dem Schlitten, die so geschwächt waren, dass sie kaum noch mitbekamen, was um sie herum geschah.

Zwischenzeitlich waren auch andere Bewohner von Nome auf die Schüsse aufmerksam geworden und kamen aus ihren Häusern. All dies nahm der Arzt jedoch nur am Rande wahr. Denn sein Interesse galt den drei Kindern auf dem Schlitten, die ganz erschöpft und benommen waren.

„Sie sind ganz schwach und kriegen kaum noch Luft, Doktor!“, stöhnte der Mann, der sich verzweifelt aufzurappeln versuchte und den Beaumont flüchtig kannte. Sein Name war Anuk. Er lebte in einer kleinen Siedlung zwanzig Meilen von hier entfernt. Hin und wieder kamen er oder einige Stammesangehörige nach Nome, um Fleisch gegen Ausrüstungsgegenstände einzutauschen. Die meiste Zeit jedoch blieben sie unter sich.

„Wie lange geht das schon so?“, fragte Dr. Beaumont, dem Übles schwante.

„Seit zwei Tagen“, antwortete Anuk mühsam. „Der Schamane wollte helfen, aber die Kinder wurden immer schwächer, und dann...“ Er brach ab, weil er seine Emotionen kaum noch unter Kontrolle hatte. „Sie sind unsere einzige Hilfe. Bitte – meine Kinder dürfen nicht sterben...“

„Bringen wir sie erst mal ins Warme“, sagte Dr. Beaumont. „Los, packen Sie mit an. Ich muss sie sofort untersuchen."