Widerstand, Abwehr und Bewältigung - Inge Seiffge-Krenke - E-Book

Widerstand, Abwehr und Bewältigung E-Book

Inge Seiffge-Krenke

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Beschreibung

In der Psychotherapie sind Widerstand und Abwehrmechanismen von großer praktischer Bedeutung und erfordern auch unterschiedliche Interventionen. Sie haben eine positive Funktion im Behandlungsprozess, sind also durchaus eine Form der Bewältigung, und geben Hinweise auf das Strukturniveau und die Qualität der therapeutischen Beziehung. Widerstände und Abwehrmechanismen können allerdings auch ein Warnsignal für den Therapeuten sein, wenn sie nämlich für den Patienten stark lebenseinschränkend sind. Frühe Abwehrformationen wie Spaltung, Projektion und projektive Identifizierung stellen eine besondere Herausforderung für die therapeutische Arbeit dar.

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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Inge Seiffge-Krenke

Widerstand, Abwehr und Bewältigung

Unter Mitarbeit von Frank Kollmar

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sindim Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99700-1

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Paul Klee, The Broken Key, 1938/Bridgeman Images

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.www.v-r.deAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, Göttingen EPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1Vorbemerkungen

2Abwehr und Widerstand im Alltag, in der Geschichte und in der Psychotherapie

2.1Widerstand und Abwehr als ubiquitäre Phänomene

2.2Abwehr und Widerstand in der Geschichte der Psychoanalyse – bis heute

2.3Widerstand und Abwehr: Klinisch bedeutsam und sehr verschieden

3Der Widerstand: Klinisches Erscheinungsbild und historische Entwicklung

3.1Klinisches Erscheinungsbild des Widerstandes

3.2Historische Entwicklung und gegenwärtige Sicht des Konzepts

3.3Klassifikationen der Widerstandsformen

4Die Abwehrlehre: Ein Blick zurück und viele Kontroversen

4.1Die Anfänge der Abwehrlehre bei Freud: Alles andere als klar

4.2Abwehrmechanismen bei Anna Freud und Konzeptionen über frühe Abwehrmechanismen

4.3Abwehr: Klinisch bedeutsam – aber viele Kontroversen

5Der Blick auf die Ressourcen: Von der Abwehr zur Bewältigung

5.1Ressourcenorientierung und eine positive Sicht auf die Abwehr

5.2Annektierungen des Abwehrbegriffs in anderen Therapierichtungen

5.3Von Freud zu Lazarus: Wie aus der Abwehrlehre die Copingforschung entstand

5.4Abwehr und Bewältigung – ein integratives Modell

6Entwicklung von Abwehrmechanismen und ihre Veränderung durch Therapie

6.1Abwehr aus entwicklungspsychologischer Perspektive

6.2Veränderung der Abwehr durch Therapie

7Klinische Arbeit mit dem Widerstand

7.1Widerstand und Regulation der Nähe der Beziehung zum Therapeuten

7.2Allgemeine Prinzipien: »Das Spiel mit dem Widerstand«

7.3Behandlungstechnik: Widerstandsanalyse

7.4Spezielle Situationen: Geheimnisse

7.5Widerstand in der Supervision

8Klinische Arbeit an Abwehrmechanismen

8.1Systematisierung der Abwehrmechanismen

8.2Allgemeine Prinzipien: »Die Abwehr lieben lernen«

8.3Strukturniveau, Abwehr und Bewältigung

8.4Analyse der Gegenübertragung bei Verleugnung, Spaltung und projektiver Identifizierung

9Abschließende Bemerkungen

Literatur

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Widerstand und Abwehr kennzeichnen nicht nur das ungeliebte Stocken des Therapieprozesses, sie sind nicht bloß die negativen Abdrücke von Unwillen, Kritik und Gegenwehr im therapeutischen Kontext, sondern stellen bedeutsame Bewältigungsleistungen der Patientinnen und Patienten dar, die wertvolle Hinweise auf strukturelle Bereitschaften der Betroffenen, Nähe-Distanz-Probleme oder therapeutische Interventionen im Therapieverlauf geben können.

Darüber hinaus stellt das Abwehrkonzept eine integrative Modellvorstellung dar, die den gesamten Forschungsbereich der Bewältigungsforschung angestoßen hat. Und so begleiten Abwehr und Widerstand das alltägliche Leben und sind auch in der Historie, auch in der Psychoanalyse selbst, und in der Politik auszumachen. Abwehrmechanismen der Verleugnung, Verdrängung und Bagatellisierung kennzeichnen jene Mauern des Schweigens, die Unrecht schützen, Ängste bei Opfern schüren und Machtmittel der Unterdrückung darstellen. Abwehrmechanismen der Projektion suchen Angstreduktion durch Abschottung von Randgruppen, dem Fremden an sich und dem vermeintlich Feindlichen.

Ein überzeugender Bogen wird vom Alltag bis in die Therapiesituation gespannt. Widerstand und Abwehr werden in ihrer Begrifflichkeit, der historischen Herleitung und der klinischen Bedeutsamkeit gut fassbar. Auch die Kontroversen zu Definition und Geltung werden angesprochen und offengelegt. Der Schritt von der Abwehr zur Bewältigung gelingt überzeugend und gipfelt in einem integrativen Modell. Die Entwicklung der Abwehrmechanismen und ihre Veränderung im Therapieverlauf stellen ein eigenes Thema dar. Klinisch bedeutsam ist die Arbeit mit dem Widerstand in der Praxis: ein erhellendes Kapitel, das mit spannenden Falldarstellungen angereichert ist. Die klinische Arbeit an den Abwehrmechanismen führt zum Thema einer strukturbezogenen Psychotherapie, auch die Analyse der Gegenübertragung ist ein fundamentales Therapieprinzip.

Die Grundideen, dass Abwehrmechanismen die Selbsterhaltung fördern und Widerstand etwas Positives ist, haben etwas Befreiendes, Emanzipatorisches. Ja, es ist eine große Leistung, sich im Widerstand selbst zu behaupten. Und man darf ihn auch nicht um jeden Preis brechen, denn dann bricht man die Person …

Ein wirklich positives Buch, das mit dem dunklen Kapitel des Widerstands in der Psychoanalyse lichtvoll umgeht und das Abwehrkonzept in den Rahmen der Bewältigungsforschung stellt.

Franz Resch

Als Jung von einer Vortragsreise Freud ausAmerika telegrafiert: »Die Psychoanalyse kommtglänzend an«, schreibt Freud lakonisch zurück:»Was haben Sie weggelassen?«

1 Vorbemerkungen

Viele von Freud geprägte psychoanalytische Termini haben in unsere Alltagssprache Eingang gefunden. Tatsächlich gehören Wörter wie Fehlleistung, Libido, Neurose, Ödipuskomplex, Projektion, Sublimierung, Trauma oder Unbewusstes mehr oder weniger zum allgemeinen Sprachgebrauch, wenn von psychischen Angelegenheiten die Rede ist. Auch die von Freud ursprünglich »erfundenen« Begriffe der Abwehr und des Widerstandes gehören dazu. Sie werden aber nicht nur in der Alltagssprache, sondern auch in anderen psychotherapeutischen Ansätzen oftmals synonym verwendet, ohne den geschichtlichen und klinischen Hintergrund einzubeziehen und die therapeutischen Konsequenzen zu reflektieren. Dieses Buch zeigt auf, welche konzeptuellen Differenzierungen die Psychoanalyse seit Anbeginn in Bezug auf Abwehr und Widerstand vorgenommen hat und welche therapeutischen Konsequenzen sich aus den unterschiedlichen Abwehr- und Widerstandsformen ergeben. Es demonstriert, dass sich eine bedeutsame psychologische Forschung, die Bewältigungsforschung, auf den Grundlagen der Abwehrlehre entwickelte – ohne allerdings dieses »Fundament« zu benennen –, Abwehrprozesse sind auch hier am Werk.

Abwehr und Widerstand sind also keineswegs austauschbare Schlagworte, deren man sich beliebig bedienen sollte, wenn der Therapieprozess stockt. Sie zeigen vielmehr bedeutsame Bewältigungsleistungen des Patienten, geben uns wertvolle Hinweise auf seine Struktur, die Nähe zum Therapeuten, den gegenwärtigen therapeutischen Prozess und die Platzierung von Interventionen. In diesem Buch ist nicht der Raum, die sehr umfangreiche Bewältigungsforschung darzulegen, die durch die psychoanalytische Abwehrlehre angestoßen wurde, es sollen aber einige Bezüge aufgezeigt werden, die auf ein integratives Modell als therapeutischen Ansatz hinführen.

2 Abwehr und Widerstand im Alltag, in der Geschichte und in der Psychotherapie

Abwehr und Widerstand begleiten das alltägliche Leben und lassen sich überall finden – auch in der deutschen Geschichte. Besonders deutlich sind sie jedoch in der psychodynamischen Psychotherapie, auch deshalb, weil die Parameter so genau festgelegt sind und Abweichungen, Umdeutungen und Verarbeitungen dann besonders gut erkennbar werden.

2.1 Widerstand und Abwehr als ubiquitäre Phänomene

Abwehr und Widerstand sind ubiquitäre Phänomene, auf die man in vielen Alltagsbereichen und in der Literatur stößt. »Die Marquise von O.« (Kleist, 1808) ist geradezu ein Paradebeispiel von Abwehr. Diese »Krankengeschichte« hätte auch Freud nicht besser formulieren können.

Die Marquise von O. wird vom Grafen vor der Vergewaltigung durch Russen »gerettet«. Während der Graf auf Reisen ist, vermutet die Marquise, dass sie schwanger sei, und wird auch kurze Zeit später von einem Arzt und einer Hebamme darin bestätigt. Daraufhin wird sie von ihrem Vater aus seinem Haus verstoßen und zieht auf einen Landsitz nach V. Dort verfasst die Marquise eine Anzeige, in der sie öffentlich mitteilt, dass sie ohne ihr Wissen in andere Umstände gekommen sei und nun nach dem Vater des Ungeborenen sucht, um ihn aus Rücksicht auf ihre Familie zu heiraten. Es ist der Graf, und sie heiratet ihn auch, aber sie ist sehr distanziert zu ihm. Nach einem Jahr wirbt der Graf ein weiteres Mal um die Marquise von O. und sie heiraten glücklich zum zweiten Mal.

Es ist ein mutiger Schritt der Marquise, sich öffentlich dazu zu äußern; er zeigt, wie komplett wirksam die Abwehrmechanismen der Verdrängung und Verleugnung waren. Ein aktuelleres Beispiel für diese Abwehrmechanismen gibt Navid Kermani, der bereits im Jahr 2005, anlässlich der Wiedereröffnung des Burgtheaters in Wien, von den zahlreichen Flüchtlingen sprach, die über das Meer zu uns kommen. In dieser Rede hat er das Mittelmeer »als das größte Massengrab Europas« bezeichnet. Die Fakten waren klar, aber sie wurden verleugnet, verdrängt und bagatellisiert.

Ganz ähnlich verhielten sich Weimarer Bürger, die von der amerikanischen Armee zwangsweise durch das gerade befreite Konzentrationslager Buchenwald geführt wurden. Die Reaktionen, die in einer Foto- und Filmserie veröffentlicht wurden, reichten von Erschütterung über theatralische Gesten bis zu Ungläubigkeit. Dabei hatten die Weimarer doch jahrelang den besten Ausblick auf die Rauchsäulen in Buchenwald und das KZ unter anderem mit Nahrungsmitteln versorgt.

Auch der Film »Labyrinthe des Schweigens« (2014) mit Alexander Fehling illustriert die Mauer aus Bagatellisierung, Verdrängung, Verleugnung eindrucksvoll. Ein junger Jurist versucht in Frankfurt aufzudecken, dass Nazis noch gegenwärtig – der Film spielt in den 1960er Jahren – hohe Positionen unbeschadet bekleiden, obwohl er nachweisen konnte, welche Verbrechen sie begangen haben. Verleugnung, Verdrängung und Bagatellisierung werden eindrucksvoll vor Augen geführt.

2.2 Abwehr und Widerstand in der Geschichte der Psychoanalyse – bis heute

Auch in der Wissenschaftsgeschichte finden wir viele Beispiele von Abwehr und Widerstand: Als Darwin 1850 seine »Entstehung der Arten« schrieb, entwickelte zeitgleich Wallace eine ebensolche Theorie, die jedoch nicht zur Kenntnis genommen wurde (Bronowski, 1979).