Wie Baptiste starb - Alain Blottière - E-Book

Wie Baptiste starb E-Book

Alain Blottière

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Beschreibung

Sie waren auf einem Wüstentrip - Baptiste, seine Eltern und seine zwei kleinen Brüder -, als sie von einer Gruppe Dschihadisten entführt wurden. Nach Wochen der Gefangenschaft hat Baptiste als Einziger die Freiheit wiedererlangt. In einer hartnäckigen Befragung versucht ein Ermittler, ihm Einzelheiten aus der Zeit seiner Geiselhaft zu entlocken. Nur widerwillig lässt sich der Junge darauf ein, und es scheint zunächst, als habe er vieles verdrängt. Doch Stück für Stück enthüllt sein Gedächtnis, was ihm während seiner Gefangenschaft widerfuhr. Er ist überzeugt, nicht mehr Baptiste zu sein, sondern den Namen eines Wüstenfuchses zu tragen: Yumai. Meisterhaft versteht es Alain Blottière, den Leser immer tiefer in die Mäander von Baptistes Erinnerung zu ziehen, bis schließlich eine bittere Wahrheit sichtbar wird. In starkem, geradezu paradoxem Kontrast dazu steht die betörende Schönheit der Wüste, wie sie der Junge auch erlebt hat, ihre Magie, die ihm aller Angst und Gewalt zum Trotz Zuversicht gab.

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Seitenzahl: 145

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Alain Blottière

Wie Baptiste starb

Roman

Aus dem Französischenvon Margret Millischer

Der Autor

Alain Blottière, geboren 1954 in Neuilly- sur-Seine, lebt in Frankreich und in Ägypten. Seit Saad (1980) sind die Wüste und die Jugend, die mit der Gewalt in der Welt konfrontiert ist, wiederkehrende Themen in seinem literarischen Schaffen, für das er zahlreiche Preise erhielt. Comment Baptiste est mort (2016) ist sein achter Roman. alainblottiere.free.fr.

Die Übersetzerin

Margret Millischer, geboren 1957, studierte am Wiener Dolmetschinstitut und an der ESIT in Paris Französisch und Italienisch sowie in Wien Romanistik und Kunstgeschichte. 2001–2017 Lehrbeauftragte am Zentrum für Translationswissenschaft der Universität Wien. Zahlreiche literarische Übersetzungen aus dem Französischen, u. a. von Jean-Michel Maulpoix, Abdellah Taïa, Bernard Noël und Driss Chraibi. Lebt als freiberufliche Übersetzerin und Dolmetscherin in Wien. margretmillischer.wordpress.com.

Titel der französischen Originalausgabe:

Comment Baptiste est mort

Copyright © 2016 by Editions Gallimard, Paris

E-Book Ausgabe 2019

Copyright © der deutschen Übersetzung

2019 by Lenos Verlag, Basel

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Mariano, Wikimedia Commons, lizenziert unterCreativeCommons-Lizenz by-sa-3.0-de

eISBN 978 3 85787 973 9

www.lenos.ch

»… eine andere Form von Intelligenz,die des Geheimnisses.«

Jean Baudrillard(Le mal ventriloque,Carnets de l’Herne, 2008)

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1

–Baptiste, erzähl, wie diese Geschichte begonnen hat.

–Ich heisse jetzt Yumai.

–Yumai?

–Ja

sie haben mir diesen Namen gegeben.

–Baptiste, diese Geschichte ist jetzt vorbei

du willst doch wieder zu uns zurückkommen?

Kannst du dich an den Tag erinnern, an dem sie dir diesen Namen gegeben haben

Yumai?

–Ich glaube, es war am Tag meiner Geburt

ich kann mich nicht daran erinnern.

–Wie alt bist du, Baptiste?

Yumai, wie alt bist du?

–Vierzehn.

–Du bist also vierzehn Jahre alt

und sie haben dir diesen Namen am Tag deiner Geburt gegeben?

Wie konnten sie vor vierzehn Jahren wissen, dass du 4000 Kilometer von ihrer Wüste entfernt geboren wurdest?

–Sie haben es nicht gewusst

ich wurde vor vierzehn Jahren nicht als Yumai geboren.

–Das verstehe ich nicht

kannst du es mir erklären?

–Das ist schwierig

nach der Entführung

ich weiss nicht, wann

wurde ich für sie geboren, ich wurde zu Yumai

sie sagten zu mir, dass der Fuchs in einem Märchen Yumai heisst

mein Name hat mit dem Fuchs zu tun und mit meinen Haaren

sie haben die gleiche Farbe wie der Sand

aber sie haben nicht einfach eines Tages zu mir gesagt: Ab heute heisst du Yumai

ich war schon Yumai, als ich meinen Namen zum ersten Mal hörte.

–Und erinnerst du dich an dieses erste Mal?

–Ja.

–Willst du es mir nicht erzählen?

Haben sie auch deinen Brüdern einen Namen gegeben?

–Nein.

–Hast du eine Ahnung, warum?

Yumai, ich habe dir eine Frage gestellt

dreh dich herüber

schau mich an

ist etwas mit dem Büro hier?

–Es stinkt, alles ist scheusslich

man erstickt ja

–Tut mir leid, wir haben keine Wahl

wir können nirgendwo sonst hingehen

ich werde das Fenster aufmachen

geht es so?

Mach die Augen zu

ich bin sicher, du kannst fliegen, wohin du willst, wenn du die Augen schliesst.

–So ein Blödsinn.

–Ich möchte gerne, dass du mir ein bisschen etwas erzählst.

–Erzählen

es gibt Dinge, die ich erzählen kann

aber es gibt auch Lücken

da kann ich mich überhaupt nicht erinnern

ich erinnere mich zum Beispiel

an die magischen Sterne in der Nacht

an das Glücksgefühl im Schatten

bei Tag

die Freude über das Wasser

das Wasser, das in den trockenen Mund rinnt

hinunterläuft

und den Durst löscht, an dem ich stundenlang gelitten hatte.

–Du hast zu mir gesagt, du erinnerst dich an das erste Mal, als dich jemand Yumai und nicht mehr Baptiste genannt hat.

–Sie haben mich nie Baptiste genannt

für sie war ich gar kein Mensch

bevor ich Yumai war

nicht mal ein Tier

nicht mal eine Gazelle

nicht mal ein Kamel

ich hatte keinen Namen

warum möchten Sie wissen

wann ich zum ersten Mal verstanden habe, dass sie mir diesen Namen gegeben hatten?

–Es ist wichtig, weil an diesem Tag eine Verbindung zwischen euch entstanden ist

ich würde gern verstehen, was für eine Verbindung das war

nun?

–Ich verstehe die Sache mit der Verbindung nicht.

–Aber du hast doch Baptiste geheissen, Yumai

als dir deine Eltern diesen Namen gaben, haben sie dich in eine Gemeinschaft aufgenommen

das ist die Verbindung durch die Taufe

ich frage mich also, warum diejenigen, die dich Yumai nannten, eines schönen Tages wollten, dass du weisst, dass sie dich adoptiert hatten.

–Sie haben mich gesucht

sie haben mich gerufen

Yumai! Yumai!

ich hörte das Wort, ich wusste noch nicht, dass es mein Name war

es hallte in den Bergen wider

sie waren zu viert, als sie mich suchten

Yumai! Yumai!

von allen Seiten hallte es wider, und ich sah sie nicht.

–Warum haben sie dich gesucht?

–Ich war ausgerissen.

–Du warst ausgerissen?

Ganz allein?

–Ja

in der Nacht

Tajoud war eingeschlafen, da habe ich die Gelegenheit genutzt

alle schliefen unter dem Baum

es war, kurz nachdem sie das erste Video aufgenommen hatten

ich stellte mir vor, wenn ich immer geradeaus ginge

egal in welche Richtung

würde ich irgendwann etwas finden

eine Sandpiste

eine Strasse

ein Dorf

als es in der Früh hinter den Bergen etwas hell wurde, beschloss ich, in diese Richtung zu gehen

nie davon abzuweichen und die Berge zu überqueren

ich marschierte stundenlang, es gab keinen Schatten, ich kam fast um vor Durst

und dann bekam ich Angst

ich hatte nicht zum ersten Mal Angst

aber ich war dort ganz allein

wirklich allein wie noch nie in meinem Leben

keine Bäume

nur Sand und Steine

ich weiss nicht, wie, ich erinnere mich nicht, ich erreichte die Berge und erwachte neben einem Felsen liegend

im Schatten

ich dachte mir, ich würde dort sterben

und dann hörte ich ihre Stimmen

Yumai! Yumai!

Usman hat mich gefunden

er sprach Englisch

mehrere von ihnen sprachen Englisch, er, Amir, Idris,

Tajoud, Darling

damals hatte ich noch kein einziges Wort Arabisch oder Mandi gelernt

ich bat ihn um Wasser, er antwortete nicht

er zielte mit seinem AK-47 auf mich

es war nicht das erste Mal, aber da dachte ich, es ist aus

und dann drehte er das Gewehr nach oben und schoss in die Luft

die anderen kamen

zuerst Amir

er zog mich an den Haaren hoch und sagte zu mir: Das nächste Mal, Yumai, bring ich dich um

so habe ich meinen Namen erfahren

er gab mir zu trinken

er trug mich, als ich nicht mehr gehen konnte

er sagte immer wieder den gleichen Satz, next time, Yumai, I’ll kill you, next time, Yumai, I’ll kill you

ich glaube, ich bin in seinen Armen eingeschlafen

jetzt werden Sie zufrieden sein, ich habe viel erzählt.

–Hat er dich bestraft?

–Amir?

ja

er hat mich an ein Motorrad gebunden, in der Sonne, und ich durfte den ganzen nächsten Tag nichts trinken

meine Mutter flehte ihn an

Amir drohte ihr, sie umzubringen, wenn sie nicht still sei

und Tajoud peitschte er aus

sein Rücken blutete.

–Hast du versucht, noch einmal zu fliehen?

–Nein

nie mehr.

–Weil du Angst hattest, dass er dich umbringt?

Yumai, hattest du Angst, dass er dich umbringt?

–Ich hatte immer Angst, dass er mich umbringt, auch wenn ich nicht ausgerissen bin.

–Aber du hast nicht einmal mehr daran gedacht

sie mussten dich nicht mehr anbinden

du warst gebunden

an sie gebunden durch diesen Namen

du hast nicht mehr daran gedacht zu fliehen

Baptiste konnte davonlaufen, Yumai nicht.

–Ich verstehe nicht, was Sie sagen

ich konnte nicht fliehen, das ist alles

ich wäre gerne geflohen, aber ich konnte nicht.

–Ich würde gerne wissen, warum sie dir einen Namen gegeben haben, nur dir

es muss einen Grund haben, dass sie dich ausgewählt

und nicht umgebracht haben

du musst nachdenken, wir werden morgen darüber reden

versuch, dich an Einzelheiten zu erinnern

das kann ein Wort sein, eine Geste

ein Blick

ein Lächeln

etwas, was von ihnen kam oder von dir und weshalb sie dich ausgewählt

und vielleicht sogar geliebt haben.

–Gut geschlafen?

–Ich träume immer von dort, die ganze Zeit

und oft sind es Albträume

diesmal habe ich vom Lager geträumt, von einer List, die ich mir ausgedacht hatte, um zu einer zweiten Dose Sardinen zu kommen

ich schleuderte die leere Dose so weit weg wie möglich, hinter den Baum, und sagte zu ihnen, sie hätten mir seit dem Vortag nichts gegeben

ich flehte sie an, ich weinte, und Haji kam mit der leeren Dose, warf sie vor mich hin

sie war voller Blut, ein Skorpion kroch heraus, er sagte zu mir: Iss, es ist noch was drin!

–Hattest du oft Hunger?

–Vor der Trennung hatten wir die ganze Zeit Hunger

die Kleinen wollten zu essen, meine Eltern sparten sich von ihrem Teil etwas ab

sie teilten sich eine Sardine

das war alles für den ganzen Tag

der Rest der Dose und die Kekse waren für uns

nach der Trennung gab es genauso viel für mich allein wie vorher für uns fünf.

–Und das Alleinsein hat dir nicht den Appetit verdorben.

–Ich war nicht allein

ich war nie allein.

–Du hattest ja eine neue Familie.

–Es war gar keine neue Familie

es war überhaupt keine Familie.

–Und fehlte dir deine Familie?

–Nein, jetzt bin ich Yumai, ohne Familie

ich bin nicht mehr derselbe.

–Glaubst du, dass deine Familie zurückkommen wird?

–Man wird sehen.

–Bist du vor der Entführung mit deinen Eltern gut ausgekommen?

–Nein, nicht besonders gut

wir haben nicht mehr viel miteinander gesprochen

oder nichts Wichtiges

meine Mutter lebt nur in ihrem religiösen Wahn

und mein Vater macht es ihr nach, er macht alles, was sie will

ich habe das nicht mehr ausgehalten, das Gebetbuch

ihr Gottvertrauen

dort beteten sie die ganze Zeit, mehr noch als die anderen, das hat mich wahnsinnig gemacht

meine Mutter glaubte, sie würde für ihre Sünden bestraft

aber welche Sünden?

Ich glaube nicht mehr

mein Glaube ist im letzten Jahr einfach verschwunden

eines Tages bemerkte ich, dass ich nicht mehr glaube, an den Himmel, an die Hölle

ich ging nicht mehr in den Religionsunterricht, das war ein Drama zu Hause

und seither kommen wir gar nicht mehr miteinander aus

wir verstehen uns nicht mehr.

–Sie haben deine Eltern beten lassen?

Christliche Gebete?

–Ja, sie haben das respektiert

und dreimal am Tag haben alle gleichzeitig gebetet

jeder nach seiner Religion, fünf Meter voneinander entfernt

ich war der Einzige, der nicht gebetet hat

eines Tages

liess mich Amir kommen und fragte mich, warum

warum ich nicht betete

ich sagte zu ihm, ich würde nicht mehr glauben

da begann er zu schreien, das sei das Ärgste, was jemandem passieren könne

das sei abscheulich, ich würde dafür den Tod verdienen

um ihn zu beruhigen, sagte ich zu ihm, was meine Eltern immer sagen: es sei eine Prüfung, die Gott mir sende

das hat ihn nicht wirklich beruhigt

er fragte mich, für wen ich mich hielte, wie ich glauben könne, dass Gott sich besonders für mich interessiere.

–Vielleicht war das der Moment, in dem sie einen Unterschied zwischen dir und den anderen Familienmitgliedern gemacht

und dich abgesondert, dir einen Namen gegeben haben?

–Bald danach habe ich die Arabischstunden mit Idris begonnen.

–Arabischstunden?

–Amir wollte es

damit ich den Koran lesen könnte

es war gut

Idris war geduldig

und so verging die Zeit schneller

und dann dachte ich, wenn Amir will, dass ich Arabisch lerne, dann würde er uns nicht umbringen.

–Er würde dich nicht umbringen.

–Nein, ich wusste nicht, dass sie uns trennen würden

wir waren alle zusammen

ich dachte mir, sie würden uns alle zusammen umbringen oder gemeinsam freilassen.

–Und du hast nicht verstanden, dass sie dich schon von deiner Familie getrennt hatten?

–Nein, erst als sie anfingen, mich Yumai zu nennen

dann ja, ich war schon Yumai, aber ich wusste es noch nicht.

–Und der Koran?

–Das war wie ein Spiel, den Klang der Zeichen zu finden

mir gefiel der Klang, aber er hatte keinen Sinn

so lernte ich drei Suren auswendig

wie unverständliche Lieder

das war alles, was Amir wollte

er wollte hören, wie ich es aufsage

ich tat es jeden Abend, nach dem Sonnenuntergangsgebet

und wenn ich nicht weiterwusste, sagte er mir die Worte ein.

–Was du mir erzählst, ist unglaublich, Yumai

das haben wir in der langen Geschichte der Entführungen durch diese Fanatiker noch nie gehört

ein Entführer, der seiner Geisel den Koran beibringt und sich dann zu seiner Unterhaltung aufsagen lässt im Mondlicht

das kann nicht sein, Yumai, das musst du geträumt haben.

–Es wird Ihnen nie gelingen.

–Was?

–Zu erfahren, wer sie sind

und sie zu töten.

–Ich bin kein Killer, das ist nicht mein Beruf

ich bin nur da, um zu verstehen

aber da du weisst, wer sie sind, könntest du den Killern helfen, sie zu töten.

–Mein Beruf ist das auch nicht.

–Kommen wir zu deiner Korangeschichte zurück.

–Das ist keine Geschichte

ich habe nicht geträumt

jeden Abend sagte ich Amir auswendig ein paar Verse auf

die ich tagsüber gelernt hatte

es war wie eine Zauberformel, Abrakadabra

eine Formel, von der ich nicht wusste, was sie bedeutete

aber mir gefielen die Mundbewegungen und der Klang

wama dschaalahu llahu illa buschra walitatmaïnna bihi kulubukum

und noch dazu war es eine Zauberformel, um am Leben zu bleiben.

–Ist das wirklich passiert, Yumai?

Ich verlange nicht von dir, dass du mir alles sagst, aber du sollst wenigstens die Wahrheit sagen

du musst keine Märchen erfinden.

–Ich erfinde nichts.

–Noch einmal

ist das wirklich passiert?

–So viel ist passiert

so viel, dass Sie es gar nicht glauben werden

Sie glauben mir nicht

aber vor mir wurde auch noch nie ein Yumai entführt

ich bin der erste Yumai

das müssen Sie erst mal begreifen: Ich bin der erste Yumai

alles, was mir passiert ist, ist noch nie jemandem passiert.

–Was soll das heissen, der erste Yumai?

–Gestern wollten Sie, dass ich darüber nachdenke

dass ich versuche, zu verstehen, warum sie mich ausgewählt haben, mich, nicht Louis, nicht Clément

warum sie mich von ihnen getrennt haben

der Grund dafür ist, dass ich in dem Alter bin, in dem man ein Kämpfer wird

ein Krieger

wie Idris und Tajoud

in dem Alter, in dem man lernt, mit einer Waffe umzugehen und zu töten

ein Versteck zu suchen oder einen Überfall zu planen

einen Geländewagen zu lenken und zu reparieren

mit Frauen zu verkehren, sagte Idris zu mir

aber es gab dort keine Frauen

und zu gehorchen

vor allem zu gehorchen, auch wenn man Angst hat

es war das erste Mal, dass sie eine Geisel hatten, die in dem Alter war, in dem man ein Krieger wird

deshalb haben Sie das, was mir passiert ist, was sie mit mir gemacht haben

noch nirgendwo gehört oder gesehen

Sie werden mir nie glauben

Sie können es sich gar nicht vorstellen

deshalb brauchen wir gar nicht weiterzumachen.

–Doch, Yumai, ich glaube dir

alles, was du mir sagst, glaube ich dir

alles, was dir passiert ist

alles, was sie dir angetan haben

alles, wozu sie dich gezwungen haben

du musst es mir erzählen, ich werde dir glauben.

–Und deshalb haben sie mich Yumai genannt

es war mein Kriegername.

–Du trägst deine Haare lang

das war das Erste, was uns, abgesehen von deiner Magerkeit, aufgefallen ist, als wir dich gefunden haben, deine langen Haare

es gab Fotos von dir, vorher hattest du kurze Haare.

–Sie haben alle lange Haare

sie schneiden sich die Haare nicht

ich wollte sie eines Tages abschneiden, weil mir heiss war

aber sie wollten es nicht

sie brachten mir bei, einen Chèche zu binden, wie sie, und dann vergass ich, dass ich lange Haare hatte.

–Was mich wundert, ist, dass du sie auch jetzt noch lang trägst

sehr lang sogar.

–Ja.

–Warum?

–Einfach so

es gibt keinen bestimmten Grund

ich habe keine Lust, sie abzuschneiden.

–Gut

gestern, kurz bevor wir aufgehört haben, hast du zu mir gesagt, dass Yumai dein Kriegername war

ich hätte gerne, dass du mir mehr von diesem Wort – Krieger – erzählst.

–Krieger

Krieger, das heisst auch Jäger

und es gibt auch noch Gazellen und Füchse in der Mandi-Wüste

nicht mehr viele

Amirs Grossvater stellte Fallen auf, um sie zu fangen.

–Hast du wirklich mit Amir über Jagd und Gazellen gesprochen?

–Ja, einmal hat er mir von der Jagd erzählt

vom Fallenstellen.

–Glaubst du, dass sie euch entführt haben, so wie man auf die Jagd geht?

–Ja

aber Papa hat nicht den Instinkt der Gazellen

er hat nichts gespürt, er hat nichts kommen sehen

er ist in die Sache reingestolpert wie ein Blinder.

–Hast du schon vor ihm etwas geahnt?

–Ja.

–Weil du den Instinkt der Gazellen hast?

–Schon als ich sie von weitem sah

sie versperrten die Sandpiste, sie sassen auf vier Motorrädern

sie trugen keine Uniformen, nicht die der Armee

und auch nicht die der Parkwächter

sie trugen Stofftücher, die ihre Gesichter verdeckten

und sie waren alle bewaffnet