Wie erkläre ich meinem Hund, dass er kein Mensch ist? - Dana Horáková - E-Book

Wie erkläre ich meinem Hund, dass er kein Mensch ist? E-Book

Dana Horáková

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Beschreibung

Dana Horáková war stets in wohltuendem Stress: als Dissidentin im kommunistischen Prag, als Journalistin, als Hamburger Kultursenatorin. Ein Leben zwischen Terminen, nicht selten einsam. Bis Dany, der Zwergschnauzer, kommt … Mit Charme und Witz, ebenso offen wie selbstironisch, erzählt Dana Horáková von Pinkelpannen, geschäftstüchtigen Tierärzten, sexuellen Bedürfnissen, dem Glück der Natur und Weihnachten mit Hund. Sie schildert Danys sechsten Sinn und wie er den ihren zum Leben erweckt, sie berichtet von dunklen Stunden, in denen nur Dany sie wieder aufzurichten vermag - "Es gibt kein besseres Antidepressivum als einen Hund, der deine Ohren leckt" - und schließlich davon, wie Dany das erste, aber keineswegs das letzte Mal das Wort an sie richtet. Und sie erzählt von einer großen Liebe, die ebenso intim wie historisch ist. So ist das Buch eine Fundgrube für Details aus fast 15.000 Jahren gemeinsamer Geschichte von Hund und Mensch und es findet philosophische Antworten auf die großen Streitfragen: Bett oder nicht Bett? Erziehen Frauen ihre Hunde anders als Männer? Warum markieren Hunde? Aber eigentlich kann man in Horákovás Coming-out auch noch eine ganz andere Geschichte lesen: die eines gemeisterten Älterwerdens.

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Seitenzahl: 321

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Über die Autorin

Dana Horáková, geboren 1947 im Vogtland, aufgewachsen in Prag, ­studierte Philosophie an der Karlsuniversität und Theologie in New York. Ihre Wohnung in Prag wurde vor der »Samtenen Revolution« zum Treffpunkt ­oppositioneller Künstler, Literaten, Filmemacher und Theologen. Mit dem künftigen Präsidenten Václav Havel wurde sie Herausgeberin des Samisdat-Verlages »Edice Expedice«, auf Grund dieser Tätigkeit als »Staatsfeindin« eingestuft, verfolgt und gezwungen, das Land 1979 zu verlassen. In Deutschland arbeitete sie zunächst als freie Autorin, dann als Journalistin und wurde Ressortleiterin Kultur bei »Bunte«, »B.Z.« und »BILD«, sowie stellvertretende Chefredakteurin der »Welt am Sonntag«. 2002 wechselte sie in die Politik und bekleidete bis 2004 das Amt der Kultursenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg. Seither hat sie mehrere Bücher veröffentlicht.

 

Dana Horáková

Wie erkläre ich meinem Hund,dass er kein Mensch ist?

 

 

 

LAU-VERLAGREINBEK

 

 

1. Auflage 2012

 

© 2012 Lau-Verlag & Handel KG, Reinbek

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung und Illustrationen: Steffen Faust, Berlin

Umschlagfoto: © Wilfried Zerbian

Layout und Satz: Patrick Lau, Reinbek

Druck und Bindung: GK Druck Gerth und Klaas GmbH & Co. KG

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

Printed in Germany 2012

ISBN 978-3-941400-43-6

 

 

 

www.lau-verlag.de

 

»Der König Salomo redete mit dem Vieh, den Vögeln, den Fischen und dem Gewürm. Das kann ich auch.«

Konrad Lorenz, Zoologe und Nobelpreisträger

 

 

 

 

 

Übrigens. Kennen Sie einen Hund, der redet? Ich nicht. Und doch spreche ich mit meinem Hund, je älter ich werde, umso aufrichtiger. Und manchmal, wenn er gut bzw. gnädig gelaunt ist, lässt Dany mich ­wissen, was er so denkt.

D.H.

Die erste Begegnung

Endlich war es soweit. Die junge Frau begutachtete erst einmal all die Dinge, die ich seit Wochen, nach unzähligen Gesprächen mit ­befreundeten Kennern, zusammengekauft und heute mitgebracht hatte. Sie prüfte gründlich und so misstrauisch, als handele es sich um die Aussteuer einer Bürgerstochter, die um einen Prinzen anhält.

Auf dem Tisch lagen: ein Schlafkorb aus beigefarbener Baum­wolle, mehrere Halsbänder und Leinen in Rot, Weiß und Schwarz, ein halbes Dutzend Spielsachen, eine Transportbox, diverse Lecker­lis und Kauknochen, zwei Decken, Handtücher, Waschlappen, Fressnäpfe in drei Größen, Bürsten und vieles mehr.

Ihr Urteil jedoch war vernichtend.

Korb: schick, aber unpraktisch, da man den Bezug nicht abnehmen und waschen kann. Spielsachen: viel zu groß, aber für später aufheben, allerdings erfreut ihr Quietschen zwar den Hund, aber den Halter nervt es irgendwann.

Bitte wen? HALTER – oh, das bin ich jetzt also!

Leinen aus Leder? Zu schwer, fürs Erste reicht Plastik. Decken: prima, aber wieso weiß? Wird doch schnell dreckig, nicht schneller zwar, als wenn sie schwarz wären, aber man sieht den Schmutz leider sofort.

Ich habe nun mal diesen Weiß-Tick. Ich fahre ein weißes Auto, habe einen weißen Zaun, im Garten blüht es das ganze Jahr hindurch ausschließlich weiß. Daher sollte mein Hund natürlich auch weiß sein. Und er sollte aus Prag kommen, weil damals, als mein Mann noch lebte … Halt. Keine Autobiografie.

»Was ist mit Futter?«, fragte die Züchterin.

Ich zuckte zusammen, als hätte sie mich beim Schummeln ­erwischt. Hatte sie nicht in einem der unzähligen Telefonate, die wir führten, erwähnt, sie würde mir für die ersten zwei, drei Wochen Essbares mitgeben? Mein Gott, was hatte sie nicht alles wissen wollen! Wie groß mein Garten ist, wie viel Zeit ich mit dem Hund täglich verbringen kann, wie alt ich bin; dass sie nicht nach der Höhe meines Einkommens, meiner Blutgruppe und Schuhgröße fragte, ­erstaunt mich heute noch.

»Wie wirst du mit ihm reden?«, fragte sie jetzt in einem Ton, der mich an meine Mathelehrerin erinnerte, die mich Jahr für Jahr nur zu gern hätte durchfallen lassen und es beinahe schaffte. Aber es tut bei aller Routine bestimmt immer wieder weh, einen winzigen Welpen, den man in schlaflosen Nächten aufgepäppelt hat, an einen Wildfremden wegzugeben.

»Deutsch«, antwortete ich wahrheitsgemäß, wohl wissend, dass die Prager Züchterin kein Deutsch spricht und damit keine Chance mehr haben würde, mit diesem Hund etwas zu besprechen.

Sie nickte, atmete tief durch und wischte sich eine Träne aus dem Auge.

»Hochdeutsch!«, versprach ich.

Sie lächelte, verscheuchte die drei erwachsenen Hunde, die ihr bei der Begutachtung meiner Aussteuer assistiert hatten, und verschwand dann in einem Hinterzimmer, in dem es quiekte und winselte.

Ich schaute schnell in den Spiegel. Natürlich hatte ich mich für den Hund fein gemacht, war beim Friseur gewesen, trug meine Lieblingsjeans und einen Pulli, der mich schlanker erscheinen lässt. Ich kam mir vor wie vor einem Blind Date.

Was, wenn die Chemie zwischen uns nicht stimmte? Nach ­einem missglückten Treffen mit einem unbekannten Herrn kann man ja mit einem unverbindlichen »Adieu« auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Der Hund jedoch sollte bei mir bleiben, bis dass der Tod uns scheidet. Ob er nun will oder nicht. Die Züchterin hatte mir ­immerhin ein Foto geschickt, auf dem ein vier Wochen alter Welpe­ zu sehen war: Süß, aber ohne Gesichtsausdruck. Austauschbar. Mein künftiger Vierbeiner aber hatte keinen Schnappschuss von mir vorgelegt bekommen. Wie gemein.

Die junge Frau kam zurück und trug mit beiden Händen ein weißes Dingelchen, das sie mir schließlich sanft, aber bedeutungsschwer in die Arme legte.

Da war er. Mein Hund. Ein Zwergschnauzer.

Seine schwarzen Kulleraugen blickten mich ernst an. Angst? Keine Spur. Was für ein tapferes Kerlchen! Beherzt nahm ich ihn an meine Brust. Ich berührte mit meiner Nase seine Nase, die sich ungewohnt feucht und kühl anfühlte, streichelte mit meinem Zeigefinger seinen Rücken. Er wedelte mit seinem Schwänzchen, krallte sich an meinem Pulli fest, schnüffelte ein wenig an mir herum. Er zappelte nicht, wollte weder weg noch zurück. Eigenartige Freude durchströmte mich und ich wusste schlagartig, meine Entscheidung für einen Hund, für ein lebendiges Wesen in meiner Nähe, die war absolut richtig.

Vor lauter Glück bekam ich weiche Knie. Seine Pfötchen klammerten sich an mich wie winzige Menschenhände, und er schaute mir in die Augen, als würde er fragen: Bist du jetzt mein Mensch? Ich nickte eifrig – und dann wurde mir warm ums Herz. Ganz warm. Feuchtwarm.

Er hatte mich angepinkelt.

Die Züchterin lachte: »Er hat dich markiert!«

Das sah ich allerdings nicht ganz so ordinär, aber ich behielt es für mich.

In meinen Augen hat er mich getauft.

Die Feuchtigkeit lief langsam bis in meine Jeans. Was tun? Ihn absetzen? Nein, er sollte wissen, dass ich verstanden hatte, was er mir sagen wollte: dass er sich für mich entschieden, dass auch er mich auserwählt hatte. Jetzt war ich sein Mensch. Von nun an verband uns ein Schwur, und ich werde ihm treu bleiben und ihn umsorgen, selbst wenn seine alten Knochen ihn nicht mehr tragen sollten.

»Wie soll er denn heißen?«, fragte die Züchterin.

Ich sagte, ich hätte mich noch nicht entschieden, doch das war gelogen. Ich hatte längst einen Namen für ihn, aber wollte erst einmal abwarten, um zu sehen, ob Name und Hund zueinanderpassten. Ein Name prägt dich schließlich ein Leben lang, wie eine Stupsnase oder Sommersprossen.

Einfach war die Namensfindung für mich keineswegs gewesen.

Nach etlichen schlaflosen Nächten und schroffen Reaktionen meiner Freunde: »Frag mich nicht schon wieder, ich habe keine ­Ahnung, wie DU DEINEN Hund nennen sollst!«, beschloss ich, erst einmal einige Kosenamen festzulegen. Dingelchen würde er gerufen, falls brav. Und wenn allersüßest: Liebeling, weil »Liebling« mich zu sehr an die Versöhnungsansprachen meines Mannes erinnerte und weil mich meine Mama, eine Deutsche, die ihr Tschechisch ein Leben lang mit einem putzigen Akzent verzierte, so genannt hatte – halt, keine Vita!

Es fehlte nur noch der richtige Name. Ein Promi als Pate kam nicht infrage, also weder »Gandhi«, denn Askese jeglicher Art halte­ ich für ungesund, noch »Amadeus«, wäre doch peinlich, sollte er sich als total unmusikalisch erweisen. Der Name durfte nicht zu modern sein, aber auch nicht altmodisch. Ich brauchte einen ­Namen mit Klasse. Zum Beispiel einen, der mit »D« beginnt.

Dogi? Zu nah am »Underdog«. Dalí? Müsste er sich dann nicht andauernd beeilen: Dalli-Dalli!, oder gar ein wenig irrewerden, wie der Maler? David. Nein, nein! Damit würde ich ihn noch kleiner machen, sollte er sich mal mit einem Goliath anlegen.

Und dann, eines Nachts, war der Name einfach da: Dany!

»Klingt nach Pudding«, meinte ein guter Freund skeptisch, weil er Dany mit »a« und nicht wie ich mit »ä« aussprach.

Aber ich ließ keine Einwände mehr zu. Dany sollte er heißen. Das passte zu Dana – und ich war gespannt, ob er sich wohl als süß wie Pudding oder eher als zäh wie ich erweisen würde.

Es war Allerheiligen, und wir fuhren zurück nach Hamburg. Mal bellte Dany in seiner Box auf dem Beifahrersitz so durchdringend, dass ich mich fragte, wo in diesem winzigen Körper eine solche Schreckensstimme Platz fand. Mal heulte er erbärmlich, und ich kam mir wie ein Kidnapper vor. Schließlich musste er sich meinetwegen von seinen vier Schwestern, seiner Mutter, seinen Onkeln und ­seiner Züchterin trennen. Er war jetzt, mit seinen neun Wochen, eine Vollwaise.

Kaum angekommen machte sich Dingelchen daran, sein künftiges Zuhause zu beschnuppern. Es klingelte an der Tür. Tobi, der elfjährige Nachbarsjunge. Ich hatte ja angekündigt, dass ich mir einen Hund holen würde. »Wo ist er, wo ist er?«, fragte Tobi atemlos. Noch bevor ich antworten konnte, stürzte sich das zappelige, weiße Bündel auf ihn und knabberte an seinen Jeans.

»Er will zu mir!«, strahlte Tobi, hob Dany hoch und überreichte die mitgebrachten Geschenke. Einen Baumwollknoten, doppelt so groß wie der Winzling und Kaustangen, die gut für die Zähne sein sollten: »Habe ich von meinem Taschengeld gekauft!«

Und dann wälzten sich die beiden auf dem Boden und ich hätte nicht sagen können, wer von beiden mehr Spaß hatte. Bis Dany das Spiel kurz unterbrach, um Tobis Hose zu bewässern.

Ich schämte mich. Aber den Winzling für seine Missetat ausschimpfen? Dafür war ich jetzt schon zu arg verknallt. Ich spürte, dass ich ihm künftig auch weit Schlimmeres verzeihen würde. Aber was hatte die Züchterin gesagt? Du musst ihn von der ersten Minute an erziehen, sonst wird er dir auf der Nase herumtanzen! Fast lautlos flüsterte ich also: »Dummer Hund.«

Tobi betupfte tapfer seine feuchte Jeans mit Papiertaschentüchern, dachte nach und erklärte schließlich strahlend: »Jetzt bin ich sein Papa!« Und als würde er seine Erkenntnis besiegeln wollen, packte er Dingelchen mit beiden Händen unter den Vorderbeinen, hob ihn hoch und küsste seine Nase: »Du weißt ja: was man in der ersten Nacht unter einem neuen Dach träumt, wird wahr! Also träum lieber was Schönes!«

Dany, obwohl hängend, knutschte eifrig zurück.

Und nun wurde es ernst. Mein Hund und ich mussten mal raus, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass in seiner winzigen Blase noch irgendwelche Urin-Bestände übrig sein konnten. Es war dunkel, es regnete. Ich war noch nie, niemals in meinem Leben im Regen spazieren gewesen. Um ehrlich zu sein, hielt ich Spazierengehen eh für überflüssig. Für Leerlauf. Ich hatte es zum ersten Mal vor Jahren, meiner todkranken Mutter zuliebe getan, die sich an der »frischen Luft« (was auch immer das sein mag!) besser fühlte. Mit dem Hund aber, da musste ich raus … Ich sollte bereits nach wenigen Tagen erkennen, dass »Gassi« gehen niemals sinnlos ist.

Jetzt aber, einen widerspenstigen Regenschirm in der einen, die Leine mit einem zappeligen Hündchen, das noch nicht wusste, dass es ein »Dany« ist, in der anderen, bahnte ich mir den Weg durchs Unwetter. Insgeheim fühlte ich einen Anflug von Reue über meine Entscheidung, mir einen Hund angeschafft zu haben. Und ich wurde nass, zum zweiten Mal an diesem Tag. Aber Dany ebenso.

Babytage

Nun war der kleine Kerl also da. Er wäre fast schon stubenrein, hatte die Züchterin gemeint, dennoch dürfte ich ihn in den kommenden Wochen niemals aus den Augen lassen.

»Wie – nie? Wochen? Wie viele Wochen? Drei, vier?«

»Eher acht oder neun! Es gilt: Wo du bist, muss er sein. Rund um die Uhr. Hat er gegessen, getrunken, geschlummert – raus mit ihm. Und: Schnelligkeit ist Trumpf! Sollte er es doch mal schaffen, unbeobachtet zu pinkeln oder gar zu kacken, gilt: ihn sofort zum Tatort führen und ihm einen Schock versetzen, den er nicht vergisst. Zum Beispiel mit einer leeren Plastikflasche. Man wirft sie nach ihm, er schreckt auf, weiß aber nicht, dass du ihn beworfen hast. Er wird jammern, dass es dir das Herz zerreißt. Aber wenn du dann nachgibst, hat er gewonnen. Und du verloren.«

Klare Anweisung. Kapiert.

Nur mit der Umsetzung haperte es, denn Danys Geschäfte folgten keinem System. Entfernte ich dann, was er gemacht hatte, verfolgte er mein Handeln aufmerksam und stumm. Zwischen den einzelnen Aktivitäten, seinem Forschen, Staunen und Entleeren, rollte er sich mit der plötzlichen Müdigkeit eines Säuglings zusammen und schlief auf der Stelle ein. Ich bewegte mich auf Zehenspitzen. Trank er, kam ich nicht aus dem Staunen heraus, wie perfekt er das jetzt schon beherrschte, ohne zu schmatzen; hörte er auf, schnappte ich ihn mir und trug ihn rasch nach draußen. Diese Handvoll Hund forderte totale Zuwendung.

Am siebten Tag der erste Anflug von Verzweiflung. Das Chaos: die Berge von Zeitungen, mit denen der Boden ausgelegt war und auf die alles plumpste, was hinten fiel, wenn er seinen Rücken krümmte, oder plätscherte (BILD saugt am besten!), wenn er in die Hocke ging – denn zu Beginn ihres Lebens tun das auch die Rüden, die später so unnachahmlich die Hinterpfote heben. Die Halden von einst weißen Handtüchern, mit denen ich ihn abrieb, nachdem er im Garten die Beete mit feuchter, schwarzer Erde erforscht hatte. Klar war das süüüüß. Aber war das genug, um mich mit diesem absurden Totaleinsatz zu versöhnen? Ich ermahnte mich: Ja nicht ungeduldig werden! Lieber Fehler vermeiden.

»Es ist deine Schuld, wenn er nicht draußen pieselt«, sagten – na wer schon? – alle.

Ende der zweiten Woche war ich fest entschlossen, den Hund immer erst wieder reinzulassen, wenn er sein Geschäft erledigt hatte. Wir standen zwanzig, dreißig Minuten in der mitternächtlichen Kälte vorm Haus. Endlich machte er den verheißungsvollen Buckel, drückte und drückte – nichts. Dann schaute mich Dingelchen flehend, nicht fordernd an, drehte sich im Kreis. Presste. Mühte sich ab. Nichts.

Er musste irgendetwas geschluckt haben, was freiwillig nicht wieder rauskam. Also nahm ich einige Papiertaschentücher, befreite ihn von dem Fremdkörper (ich vermute, es war der linke Zeigefinger meines Handschuhs, der neuerdings fehlte) und wollte mir merken, gleich morgen Früh Feuchttücher zu holen, um künftig seinen Dingsda und Po besser reinigen zu können. Doch vor allem war ich: müde. Ausgelaugt wie ein alter Felsen. Setzte mich, egal wo, einfach hin und schlief ein. Ich begann, mich von der Welt, wie sie einst gewesen war, zu verabschieden.

Dany begriff schließlich, dass es besser war, wenn es draußen und nicht daheim stank. An der Heimatfront entspannte sich die Lage. In der großen weiten Welt jenseits der Haustür hingegen benahm er sich seltsam. Saß eine schwarze Katze auf dem Gassiweg, verkrümmte er sich hinter meinen Beinen, statt sie wie jeder normale Hund zu verjagen, obwohl sie aus seiner Perspektive riesig wie ein leibhaftiger Löwe wirken musste. Wo blieben seine Würde bzw. sein Kampfgeist? Da wuchs doch kein neurotisches Einzelhündchen unter meinem Dach auf, oder?

»Du musst mit ihm in die Hundeschule«, sagten alle, »in dieser Prägephase entscheidet sich, ob der Hund eine Nervensäge oder ein Wonneproppen wird.« Ach du meine Güte, ich hatte vor lauter Pinkelalarm vergessen, dass Dany auch »geprägt« werden sollte.

Eine Welpenspielgruppe mitten im Winter ist kein Vergnügen, aber was tut man nicht, um seinen Hund artgerecht zu sozialisieren.

»Warum haben Sie sich für einen Rüden und nicht für ein Mädchen entschieden?«, fragte die Hundetrainerin beim Vorgespräch. »Und obendrein für ein Schoßhündchen?«

Mein Dany soll ein Schoßhündchen sein?! Ich zuckte zusammen. Und nicht die Frage, aber der Ton versetzte mich zurück in meine heroische Jugend, als wir in Prag so herrlich naiv und wildentschlossen unter der Führung eines Brauerei-Hilfsarbeiters namens Václav Havel das Regime stürzen wollten und ich von der tschechischen Stasi zu Verhören geholt wurde.

Während der ersten Unterrichtsstunde wurde aus meinem weißen Hund binnen Sekunden ein verschlammtes Etwas. Dabei tollte er gar nicht mal so wild wie die anderen Welpen. Ich machte mir schon wieder Sorgen: Hatte ich es tatsächlich geschafft, aus diesem Edelgeschöpf in den wenigen gemeinsamen Wochen einen Angsthasen zu machen?

Interessant, meinte hingegen die Trainerin, er beobachtet die Lage auf dem Spielplatz und legt sich erst dann ins Zeug, wenn es dort nach richtig Spaß aussieht.

Mein Dany – ein Stratege? Interessant. Das war ich nie, mir war der direkte Weg, Auf-die-Nase-Fallen inklusive, immer lieber.

Mittlerweile hatten zwei Schäferhundwelpen Dany überrumpelt. Mein Hund übergab sich. Aber kaum war sein Magen leer, schaute er sich selig um: Ich bin wieder so weit, wer spielt mit mir weiter?

Es musste ja auch ein Fest der Düfte für ihn hier sein. Diese vielen Geschlechtsteile, so wenig Zeit, alle zu erkunden. Also, diese Entschlossenheit, mindestens zwei, drei Sachen gleichzeitig anzugehen, um ja nichts zu verpassen – das hat er von mir, dachte ich stolz.

Auf dem Heimweg fiel Dingelchen, endlich mal so erschöpft wie ich seit Wochen, auf dem Beifahrersitz sofort in einen komatösen Schlaf. Ich wollte ihn gerade streicheln, weil er seinen ersten Schultag so fantastisch überstanden hatte, da fiel mir ein, dass (sagen alle) Streicheln umsonst ein Fehler ist. Dass es verdient werden muss.

Aber diesmal ließ ich mich nicht beirren und strich zart über das warme Schlammbündel.

Dingelchen öffnete mit letzter Kraft seine Augen, schmiegte sich an meine Hand, und da war ich endgültig bereit, für ihn auf die Barrikaden zu gehen. Gegen jene rigorosen Besserwisser, die predigen, Zärtlichkeit sei etwas, was in der Natur überhaupt nicht vorkäme und daher lediglich Menschenkindern und keinem Tier zustünde.

 

Fortschritt. Dany konnte »bei Fuß« gehen, wenn auch erst einmal an der Leine. Er schien die Leine zu mögen. Ob er sie für eine zweite Nabelschnur hielt?

Rückfall. Obwohl eigentlich für stubenrein erklärt, bewässerte er alle Säulen, auf denen meine Blumentöpfe stehen. Ich bat um Rat, wurde beraten, aber konnte die unterschwellige Schadenfreude nicht überhören: »Endlich einer, der unsere liebe Powerfrau in die Knie zwingt!« Aber es gab auch einen tollen Ratschlag: »Solange du mit deinem Welpen redest, lenkst du ihn von seinen natürlichen Bedürfnissen ab.«

Ich begann, auf Dany einzureden, quasi pausenlos. Rezitierte ­Gedichte. Dany »kommentierte« mit drei, vier Tröpfchen Urin. Ich las politische Kommentare und Kochrezepte vor. Ich hielt Reden. Plapperte, was mir in den Sinn kam. Und siehe da – es funktionierte! Dingelchen hörte eifrig zu, und kaum hörte ich auf, lief er, womöglich um weiteren Ansprachen zu entwischen, zur Haustür, um draußen zu pinkeln.

Glücksmoment. Dany schaffte in der Welpenschule »Platz!«. Ich schrie überwältigt »Der Hund liegt!!«, woraufhin die Anwesenden ihre Augen verdrehten.

Mein Vokabular bestand inzwischen aus »Nein«, »Feeiiiiiin« und »Pfui«.

Bett oder nicht Bett – das ist hier die Frage

SELBSTVERSTÄNDLICH hatte ich beschlossen, dass mein Bett für Dingelchen eine Tabuzone sein würde. Doch diese Entscheidung wurde gleich in der ersten Nacht auf eine harte Probe gestellt.

Im Schlafzimmer setzte ich ihn in seinen Korb. Er schritt ihn ab und sah mich dann verloren an: Wo sind meine Schwestern? Es folgte ein kaum hörbares Winseln, als würde er sie rufen. Und da sie nicht auftauchten, fing er an, fragend zu heulen: Wo hast du sie versteckt? Sind sie vielleicht bei dir oben im Bett?

Ich setzte mich zu ihm, kraulte ihn in den Schlaf und schlich mich dann ins Bett. Licht aus. Schlief ich? Plötzlich spürte ich heißen Atem im Gesicht. Dany lehnte auf den Hinterbeinen stehend am Bettrand, die Nase knapp über der Matratze, und sah mich wie einen Erlöser an. Diesem Blick zu widerstehen!

Heb ihn doch einfach hoch, er will doch nur kuscheln, Wärme spüren, flehte mein Herz. Mein Kopf protestierte: Du hast dich entschieden, es nicht zu tun. Wer Beschlüsse bricht, verliert das Gesicht. Ist es das, was du willst? Schluss mit der Diskussion!

Ich drehte mich um, hörte Dingelchen tief seufzen, und dann kam ein leises, verzweifeltes Wimmern. Es klang so unwiderruflich, so hoffnungslos wie nichts, was ich je zuvor in meinem Leben gehört hatte. Ich stand auf, sammelte Danys Plüschtiere ein und polsterte damit seinen Korb aus, als Ersatz für das Gedränge in Mamas Bauch, in den er vermutlich zurückschlüpfen wollte in seiner Einsamkeit, obwohl es dort nicht wirklich bequem gewesen sein konnte.

Es funktionierte! Dany quetschte sich rein und schlief ein.

Eine halbe Stunde später. Mein Hund weinte. Aber nicht, um mich zu erpressen, nein, lediglich um sich seinen Kummer erträglicher zu machen, nachdem er sich mit seiner Lage abgefunden hatte: Wieso sieht sie nicht, dass ich zu klein bin, um allein zu schlafen? Vielleicht ist sie gar nicht mein Mensch …

Apropos: Dany neigt, wie ich bereits damals unschwer erkennen konnte, zum Monologisieren, genau wie Zahnärzte, nachdem unsereiner ihren Befehl »Mund öffnen, bitte!« ausgeführt hat und keinen Laut mehr von sich geben kann.

Mein Hund, vermutlich entkräftet, schnäuzte sich leise, beinahe entschuldigend. Ich kam mir vor wie eine böse, böse Rabenmutter.

Wer sagte eigentlich, dass Hunde, vor allem so kleine, niedliche, kuschelige, unschuldige, liebesbedürftige nicht in einem Bett schlafen sollen? Es musste ja keiner erfahren.

Also gut. Ich machte das Licht an, griff nach Dingelchen, erklärte ihm: »Aber nur heute, es ist und bleibt eine Ausnahme, verstanden?«

Dany gab einen vorsichtigen Quietscher von sich, den ich als Zustimmung deutete – da tauchte ein Bild vor meinen Augen auf: Heikes französisches Doppelbett, das sie ihrer geliebten Sandy zur Verfügung stellte. Heike ist eine taffe Geschäftsfrau, Sandy ihre Labrador-Hündin. Heike wiegt um die 50 Kilo, Sandy kaum weniger. Heike bewohnt ein Haus am See und zelebriert vorm Zubettgehen ausgiebige Reinigungsrituale (eine Duftkerze für jede Seelenlage inklusive). Sandy hingegen wird lediglich gebürstet, nicht gebadet, obwohl sie tagsüber beim Spazierengehen ihre Nase in allerlei Unrat steckt. Als ich Heike mal besuchte und eine überaus selige Sandy in »ihr« Bett springen sah, dachte ich, warum leugnen, ein wenig angeekelt: Hundeliebe schön und gut, Hygiene ist was anderes … Dany bleibt, wo er hingehört. In seinem Korb. Licht aus.

Ich drückte mir ein Kissen ans Ohr, um nichts zu hören. Doch Dany gab keinen Mucks von sich. Als hätte er geahnt, dass mich seine Bereitschaft zu ertragen, was weh tut, obwohl man es weder versteht noch verdient, weit mehr bewegen würde als lautstarke Klagen.

Ein Kompromiss musste her. Ich schob Danys Korb neben die Bettkante, damit ich meine Hand reinhängen und, solange noch halbwegs wach, Dingelchen streicheln konnte.

In den folgenden Nächten versuchte er, unermüdlich und aus allen Himmelsrichtungen in mein Bett zu krabbeln. Und ich schubste ihn immer wieder sanft zurück und wiederholte mit tiefer, möglichst männlich klingender Stimme: »Böser Hund! Böser Hund!!!«

Er gab nicht auf, deutete an, dass wir tauschen sollten oder ich mich zu ihm in seinen Korb legen könnte, da wäre Platz genug für uns beide. Es ging ihm um Nähe. Wir sollten uns aneinander schmiegen, egal wo, um sicher zu sein, dass es uns gibt.

So ein Quatsch, spottete mein Kopf, der (noch!) amtierende Herr meines Herzens. Aber ich fühlte mich schuldig, sobald mich Dany anschaute, als wäre ich eine Fremde. Er verstand mich nicht. Wie sollte er auch? Tagsüber streichelte ich ihn, trug ihn herum, ließ ihn auf meinem Schoß sitzen, er durfte pausenlos um mich sein. Kaum wurde es dunkel, war ich für ihn unerreichbar und er im »Exil« …

Als ich 1979, damals, als noch der Eiserne Vorhang Europa teilte, nach Deutschland kam, fühlte ich mich unendlich verloren, denn ich musste davon ausgehen, meine Eltern, meine Freunde und meine Schwester – im Unterschied zu Dany habe ich nur eine – nie wieder zu sehen. Und dieses Gefühl verließ mich nur, wenn mein Mann mich nachts in seine Arme nahm.

Allerdings war ich damals nicht nur um gefühlte Jahrhunderte älter als mein Welpe, sondern ich wusste auch, warum mich die Prager KP-Regierung wie so viele andere Dissidenten loswerden wollte. Dany aber hatte – wenn man von den angeknabberten Schuhen, verschleppten Handschuhen und zerkauten Büchern absah – in meinem Haushalt nichts verbrochen und wurde dennoch Nacht für Nacht verbannt.

Tatsache war jedenfalls: Dany fühlte sich in seinem Korb einsam und ich mich allein in meinem Bett. Ich haderte weiter. Bett oder nicht Bett? Das war hier die Frage.

Weihnachten verbrachten wir bei Heike, die Dany unbedingt kennenlernen wollte. Ich machte mir nur ein wenig Sorgen, dass Sandy Dany zeigen würde, wie sie ihr Frauchen in Sachen Bett rumkriegte.

Als ich dann allerdings mein Dingelchen neben der riesigen Sandy sah, die ihn wie eine leckere Wurstsemmel umkreiste, liefen erst mal meine Beschützerinstinkte heiß. Gerade wollte ich ihn vor ihren Fängen retten, da beruhigte mich Heike: »Nie was vom Welpenschutz gehört?«

Gehört schon. Aber bislang nicht erlebt, dass es funktioniert.

Nun, es funktionierte. Dany fraß Sandys Napf leer, zerrte an ihren Spielsachen, pinkelte in ihren Korb – und überlebte. Sandy fand das natürlich nicht witzig und schon gar nicht fair, aber irgendetwas verbat ihr, den frechen Fremdling umzubringen. Nur ein einziges Mal wurde die Lage brenzlig: Als Sandy am Treppenrand eingenickt war und Dany in seinem Jugend-forscht-Drang ihren Schwanz zunächst lange beobachtete, um schließlich resolut hineinzubeißen. Da schnellte sie im Halbschlaf auf und patschte ihm eine mit ihrer mächtigen Pfote. Aber als Dany aufschrie, begann sie ihn tröstend abzuschlecken, fast, als würde sie sich schämen, als möchte sie sich entschuldigen.

Ich stellte Danys Transportbox neben mein Bett im Gästezimmer. Er kroch zu gegebener Zeit brav hinein, knabberte ein wenig an seinem Spielknochen – alles war gut.

Kurz nach Mitternacht wurde ich aus dem Schlaf gerissen, ­irgendwo hatte eine Tür geknallt. Ein Einbrecher? In dem Moment sprang Dany in mein Bett und schaute mich herausfordernd an: Heute kriegst du mich nicht raus, versuch’s gar nicht erst!

Na gut, dachte ich, das ist schließlich nicht mein Bett, also muss es nicht verteidigt werden. Doch vor allem: Es war schön, das ­angeschmiegte Dingelchen zu fühlen und zu spüren, wie er sich entspannte. Wir schliefen Haut an Fell.

Morgens dehnte Dany sich, begrüßte mich mit einem flüchtig-feuchten Küsschen, sprang vom Bett, schüttelte sich, nahm einen Schluck Wasser, verschwand in seiner Box und schlief weiter.

Nach dieser Nacht gab er auf, mein Bett mit mir teilen zu wollen. Vermutlich hatte er erreicht, was er schon immer ausprobieren wollte, und festgestellt, dass ich kein ruhiger Schläfer bin.

Und nun die ganze Wahrheit.

Monate später, eines Sommertages, es war Mittwoch, war ich ziemlich deprimiert. Ein Stalker, der mich seit Monaten terrorisierte, hatte wieder zugeschlagen. Ich fühlte mich hilflos, machte den Fernseher im Schlafzimmer an, um mich abzulenken. Dany setzte sich vor das Bett, sah mich lange an, als würde er meine Seele abtasten wie ein Ultraschallgerät die inneren Organe. Dann kam er mit ­einem Satz angeflogen, leckte ausgiebig mein Ohr, sprang graziös über mich, um das andere auch noch zu fassen zu kriegen, konnte gar nicht aufhören, mich zu trösten: Ich bin ja auch noch da, zusammen überstehen wir alles!

Er wusste doch, dass es verboten war (»böser Hund!«), in mein Bett zu springen. Doch jetzt war es ihm wichtiger, mich aufzurichten, als einer Rüge zu entgehen. Und dann legte er seinen schweren Kopf auf meinen Arm und schlief ein. In meinem Bett. Ich ließ ihn.

Seitdem »besucht« – auf diese Bezeichnung haben wir uns eines Tages geeinigt – er mich, wenn ich erschöpft bin oder wenn mich irgendein Problem so beschäftigt, dass ich nicht schlafen kann. Dann rollt sich Dingelchen auf der Decke zusammen und schläft ein in der Hoffnung, mich damit anzustecken. Sobald er merkt, dass ich den Schlaf gefunden habe, verschwindet er in seinen Korb, um nach getanem Liebesdienst ungestört weiterschlafen zu können. Woher ich das weiß? Weil, wenn ich mal aufwache und kaum wage, mich zu bewegen, um Dingelchen ja nicht zu wecken, keiner da ist, den ich wecken könnte. So haben wir beide unser Gesicht gewahrt. Ich jedoch merke, dass mein Bett zu groß ist für einen Einzelnen.

Die Erziehungsfrage rund um das Bett wurde also relativ schnell geklärt. Doch das Bett als ein Dauerthema unseres Zusammenlebens war, wie sich zeigen sollte, noch lange nicht ausgestanden.

 

ÜBRIGENS.

26,5 Prozent der deutschen Hundebesitzer, sagt die Statistik, gewähren ihrem Hund ein Plätzchen in ihrem Bett. Und sie können auf prominente Gesinnungsgenossen zurückblicken:

Der »rote Baron« Manfred von Richthofen (1892–1918), dieser ­legendäre Jagdflieger im Ersten Weltkrieg, schickte eines Tages folgende­ Notiz an seinen Kommandanten: »Moritz war letzte Nacht sehr ­unruhig. Er hat mich dauernd aufgeweckt, und ich weiß nicht, ob ich mehr als zwei Stunden geschlafen habe. Wenn ich genug Ruhe finden soll, muss man mir für den Rest des Krieges ein größeres Bett geben.« Moritz war seine Dogge.

Dass die Windspiele von Friedrich II. (1712–1786) nicht nur mit seinen Staatsgästen am runden Tisch speisen durften, sondern auch in seinem Bett Fell an Haut mit dem König schliefen, gehört mittlerweile zum Allgemeinwissen. Weniger bekannt ist wohl die Tatsache, dass der Pekinese Lulu des äthiopischen Kaisers Haile Selassi (1892–1975) auf einem seidenen Kissen Kopf an Kopf mit seinem Herrchen träumen konnte. Oder dass der Großmeister des Horrorfilms, Alfred Hitchcock (1899–1980), für seinen West-Highland-Terrier Sarah Nacht für Nacht ein Kopfkissen zwischen seines und das seiner Gattin legte. Der Yorkshire-Terrier Tony der Krimi-Queen Agatha Christie (1890–1976) verteidigte ihr Bett, das er als seines betrachtete, sogar vor ihrem Ehemann. Ebenso wie Fortune das Bett seiner Herrin Joséphine, lange bevor Napoleon drin landete. Frankreichs Kaiser hasste das Tier und der Mops revanchierte sich, indem er Napoleon in der Hochzeitsnacht biss. Um nur noch einen »Promi« zu nennen: Rudyard Kiplings (1865–1936) Foxterrier-Hündin Vixen hatte, so gestand der »Dschungelbuch«-Autor, gar die liebenswerte Marotte, ihr Herrchen einfach aus dem Bett zu schubsen, wenn er zu unruhig schlief.

Wie kam ich bloß auf den Hund?

Der Gedanke kam schleichend, und es dauerte knapp drei Jahre, bis er sich zu einem konkreten Wunsch verdichtete. Als ich noch »zur Arbeit ging«, gab es um mich lauter Städter, zielorientiert und effektiv, allergisch gegen Ablenkungen, kurz: Großstadt-Dynamiker mit Hang zum Workaholismus. Menschen ohne Hunde, die Hundenarren für Sonderlinge mit schlimmen Defiziten an zwischenmenschlichen Kontakten hielten. Menschen wie mich. Ich gestehe unumwunden: Ich war süchtig nach meiner Arbeit. Und die hatte es in sich.

Als ich Journalistin war, zählte eines typischen Tages mein Sekretär die Anrufe, die er durchstellte: Es waren 56. Als Hamburger Kultursenatorin verwaltete ich einen Etat von 230 Millionen Euro, hielt in meinem ersten Amtsjahr nachweislich, da auf Wunsch der Opposition ermittelt, 168 Reden, Grußworte und Ansprachen. Ich berief Theaterintendanten, Museumsdirektoren, den Landesarchäologen, den Filmfestchef. Mein Fahrer holte mich morgens um sieben ab und brachte mich um Mitternacht, an mindestens sechs Tagen der Woche, wieder zurück. Nach vorgezogenen Neuwahlen schaffte die FDP, die mich in den Senat geschickt hatte, nicht mehr die Fünfprozenthürde, und ich wurde entsorgt, da parteilos, aber auch unbequem.

Was blieb, war der Horror Vacui, Schrecken der Leere. Das ­berühmte Loch, in das jeder frisch gebackene Senior fällt, der von klein auf in ein Gerüst aus Pflichten eingebunden gewesen war. Dieses Gerüst, welches das Welt- und Selbstbild zusammenhält, war nun weggefegt, ohne Vorwarnung. Eine Arbeit, die bislang mein Selbstwertgefühl, mein Standing und meinen Kontostand sicherte, gab es von jetzt auf gleich nicht mehr. Und das in einer Gesellschaft, in der Arbeit alles ist. Ich kenne einige wunderbare Menschen, die im »verdienten Ruhestand« an der vielen Freizeit fast zerbrochen sind und ohne Antidepressiva oder das »eine oder andere Gläschen« nicht mehr klarkommen. Warum aufstehen, wenn eh keine Termine ­anstehen?

Ich saß wochenlang vor gepackten Umzugskisten und nahm ­keine Einladungen an, aus Angst vor der Frage »Was machen Sie denn jetzt so?«. Und ich fühlte mich vergeudet.

Nach knapp zwei Monaten packte mich eine mächtige Wut, die wie ein seelischer Powerriegel wirkte: Genug gejammert. Nichts ist zu Ende, solange man nicht bereit ist, selbst ein Ende zu machen.

Als Erstes putzte ich mein Häuschen vom Dach bis in den ­Keller. Es folgte ein Großputz der Seele. Ich fragte mich: Wie viel Kraft hast du noch? Willst du, kannst du dein Leben noch einmal ändern? Heraus aus alten Gleisen – und das mit Ende Fünfzig? Die Zeit des zelebrierten Selbstmitleids war vorbei. Ich musste handeln, um das Verdämmern zu vermeiden und um den Kopfmüll, der sich in den Jahrzehnten des beruflichen Totaleinsatzes festgesetzt hatte, zu entsorgen. Kein »Dienen«, keine Fremdbestimmung mehr. Ich fing an, Bücher zu schreiben.

Seit ich daheim arbeite, ist meine Welt stiller, unaufgeregter. Schön ist das. Aber das ewige Sitzen am Schreibtisch macht letztlich dick und träge, und dagegen, so drängte meine Eitelkeit, musste etwas getan werden. Außerdem: Das Leben auf dem Land, am Rande eines Naturschutzgebietes, ist zwar bestimmt gesund, doch man kann auch vereinsamen, wenn die Freunde in der Stadt wohnen und einen immer seltener besuchen.

Es wurde also leerer und kälter um mich. Keiner da, den ich verwalten oder verwöhnen könnte. Vielleicht war ich früher nicht weniger einsam gewesen, aber ich hatte immerhin »Stress« gehabt, konnte mich mit diesem Adelsprädikat aller Arbeits-Junkies ausweisen. Und: Um diesen Stress durchzustehen, hatte ich mich gepanzert. Hatte funktioniert, nicht wirklich gelebt. Sprach einer mir von Lebensqualität, winkte ich ab. Und als einer meiner engsten Mitarbeiter in der Hamburger Kulturbehörde eines Tages mit einem Hund aufgetaucht war, war ich kurz davor gewesen, ihn zu versetzen. Ich bestand auf seiner vollen Konzentration für seine Aufgaben.

Jetzt sehnte ich mich nach lebendiger Wärme. Und da kein Mann in Sicht war, sollte ein Vierbeiner her. Natürlich besprach ich meine Absicht mit Freunden und Bekannten.

Die meisten reagierten unmissverständlich: »Du!« – bedeutungsschwangere Pause –»willst einen Hund«? Das war ein Fragezeichen mit Paukenschlag. Du kannst doch nicht kochen, hieß es; mein ­Argument, dass es leckeres Fertigfutter gäbe, ließen sie nicht gelten. Du bist ein Sauberkeitsfanatiker, Hunde machen Dreck. Doch nicht meiner! Einige erzählten von sonderlichen alten Jungfern, die für ihre Hunde Socken strickten. Ich kann nicht stricken, außerdem bin ich Witwe. Diejenigen, die es gut mit mir meinten, gaben zu bedenken, dass ich mich total binden würde. Und wenn schon!

Selbstverständlich war auch vom Kind-Ersatz die Rede. Was, ­bitte schön, soll daran schlimm sein – ich bin kinderlos, der liebe Gott hat mir nun mal das Muttersein verwehrt.

Heike, das Frauchen von Sandy, drohte, mir die Freundschaft zu kündigen, wenn ich mich nicht bereit erklärte, einen Kurs für Hundehalter in spe zu absolvieren, den sie für mich organisieren wollte.

Ein einziger war begeistert: mein ehemaliger Mitarbeiter, der mit dem Hund. Er hätte gewettet, dass es mal so weit kommen würde, weil ich fürs Alleinsein nicht geschaffen bin, und alle Männer, die ein Alpha-Weib wie mich ertragen würden, längst an eine Jüngere vergeben wären. Außerdem würde es kein Hund je wagen, mir zu widersprechen, sondern unverzüglich das »Maul« halten, und dies sei genau das, was ich brauchte. Da musste ich lachen. Früher wäre ich beleidigt gewesen.

Unterschwellig hatte ich trotzdem Angst, zu einer dieser schrulligen alten Frauen zu werden, die auf einer Parkbank mit ihrem Hündchen im schicken Mäntelchen melancholische Gespräche führen. Über die man hinter ihrem Rücken kichert oder den Kopf schüttelt bei der Vorstellung, wie ihre vierbeinige Krücke daheim die Zärtlichkeiten der degenerierten Alten über sich ergehen lassen muss, statt im Rudel zu spielen oder zu jagen.

Ich deckte mich mit einschlägiger Literatur ein und begann, ­Wissenswertes über Hunde aller Rassen zu studieren.

Dany verschwindet

Um ein Stück Normalität zurückzuerobern, nahm ich drei Monate nach Danys Einzug eine Einladung zum Abendessen an. Ich ließ meinen Welpen allein. Erstmals. Nach zwei Stunden machte mich mein schlechtes Gewissen kribbelig. Als ich mich verabschieden wollte, hielten alle meine Erklärung »Mein Hund ist allein daheim« für eine peinliche, unwürdige Ausrede. War sie aber nicht.

Dany hatte es derweil geschafft, mein Schlafzimmer in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Aber er hatte – egal ob aus Verzweiflung oder Wut – offenbar vergessen, auf die Zeitungen, die er überall verteilt, und die Klamotten, die er sich in seinem Korb zurechtgewühlt hatte, zu pinkeln! Begeistert drückte ich ihn an mich und hoffte, dass er es nicht als Belohnung für die Verwüstung auffassen würde. Wir gingen raus, er entleerte sich. Ich hätte nie gedacht, dass mich ein Häufchen »shit« so glücklich machen könnte.

Dreizehnte Woche. Diesmal musste ich abends weg, um einen Vortrag zu halten, versorgte Dany mit meinen, von ihm als Knabberzeugs bevorzugten Socken, ließ das Klassikradio laufen und stellte seinen Korb ins Erdgeschoss, denn die dortigen Fliesen waren, im Falle der Fälle, doch problemloser zu reinigen als die Teppiche im ersten Stock.

Als ich voller Vorfreude auf seine gejaulten Vorwürfe wieder heimkehrte und die Haustür öffnete – keiner da. Ich rief – kein Dany. Wer hatte ihn geklaut? Mein Schloss war so einfach zu knacken! Ich musste mir endlich ein Sicherheitsschloss einbauen lassen, sagen doch alle …

Ich rannte nach oben ans Telefon, um die Polizei zu alarmieren.

Dingelchen saß vor meinem Bett und strahlte mich an.

Und ich wurde vor Stolz und Erleichterung fast ohnmächtig. Aber erst einmal musste ich Dany am Bäuchlein kraulen, wozu er sich praktischerweise auf den Rücken legte, Köpfchen unter die Socken, Beinchen in die Höh’ …

Dazu muss man wissen: Dingelchen hatte panische Angst vor den schwarzen Löchern zwischen den einzelnen Treppenstufen. Ich konnte locken, bitten, betteln wie ich wollte, um ihn von Stufe eins auf Stufe zwei zu bewegen – keine Chance. Also trug ich ihn rauf, trug ihn runter. Nun sollte er alle vierzehn allein geschafft haben?

Seine famose Leistung brachte auch mir einen Schaffensschub. Ich druckte mir die Erstfassung meines neuen Buchmanuskripts aus, rief meinen Literaturagenten an (»Willkommen zurück im Leben!«), begann, Hunderte ungelesener Mails zu beantworten, bis Dany das Kabel für den Internetanschluss anknabberte. Danke, lieber Dany, sagte ich, ich wollte eh auf drahtlos umsteigen!

 

Es passierte zwei Tage später. Ich war sicher, die 24-Stunden-Babytage­ wären überstanden. Wir waren so weit – Dany war stubenrein, ich wieder arbeitsfähig. Also breitete ich das Manuskript auf dem Boden aus, um nochmals über die Reihenfolge der Kapitel nachzudenken, ging mit Dany raus, er pinkelte aus voller Blase. Heimgekehrt sah ich ihn nach oben hoppeln und machte mir unten in der Küche erst mal einen Kaffee …

Und als ich mit dem dampfenden Becher wieder hochkam … ­sickerte die gelbe Flüssigkeit langsam, aber unaufhaltsam durch die Seiten.

Ich traute meinen Augen nicht. Mein stubenreiner Hund urinierte auf meine Texte.

Ich hatte nicht erwartet, dass es leicht sein würde. Aber ich hatte erwartet, dass es irgendwann einmal geschafft sein würde.

»Verschwinde«, flüsterte ich, atmete tief ein und brüllte dann: »Hau ab! Verschwinde!«

Das war’s. Ich war erledigt, kaputt, am Ende. Ich musste mich der Realität stellen, die lautete: Ich kam mit dem Hund nicht klar. Ich wollte nur noch eines: ausschlafen. Mich meinem Arbeitsrhythmus hingeben.