Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (Pädagogische Methoden) - Johann Heinrich Pestalozzi - E-Book
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Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (Pädagogische Methoden) E-Book

Johann Heinrich Pestalozzi

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  • Herausgeber: e-artnow
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Dieses eBook: "Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (Pädagogische Methoden)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Der Grundsatz von Pestalozzis Pädagogik ist, ein sicheres Fundament an Elementarbildung zu legen, das den Menschen befähigt, sich selbst zu helfen (dem ähnelt das Motto "Hilf mir, es selbst zu tun" der späteren Montessori-Pädagogik). Bei der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten strebt Pestalozzis Pädagogik an, Kräfte zu entfalten, die bei den Schülern bereits natürlich angelegt sind. Die unvermeidliche Entwicklung dieser Kräfte wird dadurch in geordnete Bahnen gelenkt, anstatt dem Zufall überlassen. Die Pädagogik vermittelt also zwischen Natur und Kultur, genauer zwischen der natürlichen Entwicklung des Kindes und den äusseren Regeln menschlichen Zusammenlebens und muss über beide Aspekte gut informiert sein. Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) war ein Schweizer Pädagoge. Ausserdem machte er sich als Philanthrop, Schul- und Sozialreformer, Philosoph sowie Politiker einen Namen. Pestalozzi gilt als Vorläufer der Anschauungspädagogik und der daraus Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Reformpädagogik. Sein pädagogisches Ziel war die ganzheitliche Volksbildung zur Stärkung der Menschen für das selbständige und kooperative Wirken in einem demokratischen Gemeinwesen. Die Eltern sollten befähigt werden, mit dieser Bildung im Elternhaus zu beginnen und ihren Kindern entsprechende Vorbilder zu sein. Viele seiner Grundideen findet man in der modernen Pädagogik wieder.

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Johann Heinrich Pestalozzi

Wie Gertrud ihre Kinder lehrt (Pädagogische Methoden)

Ein Versuch den Müttern Anleitung zu geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-2019-2

Inhaltsverzeichnis

I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV

Ein Versuch den Müttern Anleitung zu geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten

Vorrede zur 2. Auflage

Wenn diese Briefe in gewissen Rücksichten schon als von der Zeit beantwortet und zum Teil widerlegt angesehn werden könnten und von dieser Seite mehr der Vorwelt als der Gegenwart zuzugehören scheinen, so ist auf der andern Seite doch auch wahr, wenn die Idee der Elementarbildung an sich selbst und in ihrem Wesen einen Wert hat und sich für die Nachwelt zu behaupten geeignet ist, so haben diese Briefe, insofern sie Licht geben, auf welche Weise sich diese Idee in ihrem Entkeimen in mir selber entfaltet, von dieser Seite für jeden Menschen, der die psychologische Entfaltung der Bildungsmittel unsers Geschlechts seiner Aufmerksamkeit würdigt, auf immer einen bleibenden Wert. Neben dieser allgemeinen Ansicht der Sache ist es gewiß merkwürdig, daß diese Idee, mitten in der Einfachheit und Kunstlosigkeit meines Seins und Lebens, aus meinem Dunkel gleichsam wie aus der Nacht hervorgehend, dennoch schon in ihrem ersten Entkeimen in mir wie ein Feuer brannte, das den Menschensinn zu ergreifen eine Kraft zeigte, die sich später, da sie als Verstandessache in ihrer tiefern Bedeutung ins Auge gefaßt und ausgesprochen wurde, nicht in ihrer ersten Lebendigkeit erhielt und sogar eine Weile zu erlöschen schien. Die Herren Ith, Johannsen, Niederer und mehrere gaben den lebendigen Äußerungen meiner Ansichten schon in diesem Anfang eine Bedeutung, die weit über diejenige hinausging, die ich ihnen selbst gab, die aber darum auch die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Art rege machten, die man in der Folge nicht unterhalten konnte, wie sie rege gemacht worden. Gruner, von Türk und Chavannes faßten ungefähr in der gleichen Zeit die Tatsachen, die aus unsern Versuchen hervorgingen, ebenso bedeutungsvoll auf und brachten sie ebenso auf eine Weise dem Publikum unter Augen, die weit über die ursprünglichen Ansichten meines Gegenstands und über die Kraft, die meinen Bestrebungen zum Grunde lag, hinausging. Es lag freilich im tiefern Gefühl meines Innern eine wirkliche Ahnung des Höchsten, was durch eine tiefere Ansicht des Erziehungswesens erzielt werden könnte und sollte, und es ist unstreitig, die Idee der Elementarbildung lag im Wesen ihrer vollen Bedeutung in meiner Ansicht und schimmerte durch jedes Wort, das ich darin redete, hervor; aber der Drang, der in mir lag, einfache und für jedermann verständliche Unterrichtsmittel für das Volk zu finden und zu suchen, ging in mir nicht aus der in mir liegenden Ahnung des Höhern, das aus den Folgen dieser gefundenen Mittel hervorgehen konnte, sondern im Gegenteil, diese Ahnung ging aus der Lebendigkeit des Drangs, der in mir lag, diese Mittel zu suchen, hervor. Dieser führte mich natürlich und einfach dahin, sehr bald einzusehn, daß allgemeinverständliche Unterrichtsmittel von einfachen Anfangspunkten ausgehn müssen, und wenn sie in lückenlosen Reihen- und Stufenfolgen fortgeführt werden, ihre Resultate zu einem psychologisch gesicherten Erfolg hinführen müßten. Aber diese Ansicht lag nichts weniger als mit philosophisch bestimmter Heiterkeit und in wissenschaftlichem Zusammenhange in mir. Unfähig, durch abstrakte Deduktionen diesfalls ein befriedigendes Resultat herbeizuführen, wollte ich meine Ansichten in praktischen Ausführungen erprobt dastehn machen und suchte wesentlich und ursprünglich durch Versuche und Erfahrungen es mir selbst klar zu machen, was ich eigentlich wollte und konnte, um auf dieser Bahn die Mittel zu finden, das auszuführen, was ich suchte. Alles, wornach ich damals strebte und wornach ich auch heute strebe, lag in mir selbst in inniger, warmer Verbindung mit dem, was ich schon zwanzig Jahre früher auf meinem Gut versuchte.

Aber die höhere Bedeutung, die meinen Ansichten so laut, vielseitig und, ich muß sagen, leichtsinnig voreilig gegeben worden, gab der Art und Weise, wie dieselben in meinem Hause, in der Führung meiner Anstalt behandelt wurden, eine Richtung, die weder im Innern meiner Individualität noch im Innern derjenigen meiner Umgebungen und Gehilfen wohl begründet dastand, und ich ward durch die Art, wie dieses geschah, aus mir selbst auf ein Terrain geführt, das mir ganz fremd war und das ich in meinem Leben nie betreten. Es ist gewiß, der Boden, auf den wir uns in dieser Welterscheinung, in die wir gleichsam wie aus den Lüften herabfielen, hinstellten, war für mich nicht bloß ein ganz neuer Boden, es schienen sogar in meiner Eigenheit, im Mangel meiner wissenschaftlichen Bildung und in der Eigenheit meines ganzen Seins sowie in dem Alter, zu dem ich in diesem Zustand meiner selbst gelangt war, Gründe zu liegen, daß man nicht hätte daran denken sollen, daß für mich auf dieser Laufbahn auch nur ein halbglücklicher Stern aufgehn konnte. Auch in den Eigenheiten meiner Umgebungen und des Personals, das zum Teil im höchsten Grad selbst unbeholfen meinen Bestrebungen auf diesem neuen Terrain hilfreiche Hand bieten sollte, schienen offenbar unübersteigliche Hindernisse gegen die Hoffnung, mit glücklichem Erfolg auf diesem Terrain vorschreiten zu können, zu liegen. Indessen war ein lebendiger Trieb, dieses Terrain zu betreten, in unserer Mitte allgemein rege. Die Stimme, wir können es, ehe wir es konnten, und wir tun es, ehe wir es taten, war zu laut, zu vielseitig, zu bestimmt und zum Teil von Männern ausgesprochen, deren Zeugnis an sich wirkliche Bedeutung hatte und Achtung verdiente, aber für uns zu viel Reiz hatte und uns dahin brachte, daß wir mehr daraus machten, als es wirklich sagte und sagen konnte. Kurz, die Zeit, wie sie war, blendete uns. Doch wir arbeiteten in dieser Zeit noch tätig, um unserm Ziel praktisch entgegenzugehn. Es gelang uns auch in vielen Rücksichten, auf dem Weg einer bessern, psychologischen Begründung einige Anfangs-Unterrichtsfächer in eine bessere Ordnung zu bringen, und unsere Bemühungen hätten von dieser Seite wirklich von bedeutenden Folgen werden können; aber die praktische Tätigkeit, die das Gedeihn unserer Zwecke allein hätte sichern können, verlor sich allmählich in unserer Mitte auf eine bedauerliche Weise. Fremde, unserm Pflichtstand ferne Gegenstände verschlangen bald unsere Zeit, unsere Kräfte und gaben der Einfachheit, dem Geradsinn, der Beschränktheit und wahrlich selber der Menschlichkeit unserer ursprünglichen Bestrebungen einen starken Herzstoß. Große Weltverbesserungsideen, die aus frühe überspannten, höhern Ansichten unsers Gegenstands hervorgingen, beschäftigten unsere Köpfe, verwirrten unsere Herzen und machten, daß unsere Hände die Notarbeit des Hauses, die vor unsern Augen lag, unbesorgt liegen ließen. In diesem Zustand der Dinge mußte sich der alte, ursprüngliche, höhere Geist unserer Vereinigung notwendig verlieren. Unsere alte Liebe konnte nicht mehr die nämliche sein. Wir sahen mehr und minder alle die Übel, unter denen wir litten, aber keiner suchte und sah sie genugsam, und wie er sollte, in sich selbst. Ein jeder gab mehr und minder den andern schuld; jeder forderte von dem andern, was er selbst nicht konnte und nicht tat, und unser größtes Unglück in diesem Zustand war, daß unsere Bestrebungen in demselben vorzüglich und höchst einseitig in tiefen, philosophischen Untersuchungen dahin lenkten, Hilfe gegen die Übel unsers Hauses zu suchen. Wir waren im allgemeinen durchaus nicht fähig, auf diesem Weg zu finden, was wir suchten. Niederer war es allein, der auf dem Terrain, auf das wir uns jetzt hinwagten, in sich selbst Kraft fühlte, und da er eine Reihe von Jahren in dieser Kraft allein in unserer Mitte lebte, gewann er dadurch nicht nur auf meine Umgebungen, sondern auch auf mich einen so überwägenden Einfluß, daß ich eigentlich mich selbst in mir selbst verlor und gegen meine Natur und gegen alle Möglichkeit, es zu können, aus mir selbst und aus meinem Haus das zu machen strebte, was wir hätten sein müssen, um auf diesem Terrain auf irgendeine Weise vorwärts zu kommen. Dieses Übergewicht, das Niederer diesfalls in unsrer Mitte gewann, und die Ansichten, die er in Rücksicht auf unsern Gegenstand aufstellte, ergriffen mich so und führten mich im Streben nach denselben zu einer so hingebenden Unterwerfung und zu einer so vollendeten Hingebung und Vergessenheit meiner selbst, daß ich, so wie ich mich selber kenne, jetzt bestimmt sagen darf und sagen muß, es ist ganz gewiß, wenn er damals, da ich diese Briefe geschrieben, schon bei uns gewesen wäre, so würde ich jetzo den ganzen Inhalt derselben und folglich die Idee der Elementarbildung, wie sie damals schon gleichsam in einem Traum in mir lag und wie aus den Wolken hervorschimmerte, selber als allein von ihm ausgegangen und aus seiner Seele in die meine hinübergetragen ansehn. Man muß freilich, um diese Äußerung zu glauben und sie so natürlich und unschuldig, wie sie aus mir hervorgeht, ins Auge zu fassen, mich näher kennen und bestimmt wissen, wie sehr ich auf der einen Seite von der Überzeugung belebt bin, in welchem Grad mir klare, philosophisch bestimmte Begriffe über diesen Gegenstand gemangelt haben und noch mangeln, und ebenso, in welchem Grad auf der andern Seite mein Vertrauen auf die diesfälligen höhern Einsichten meines Freunds und die Wichtigkeit, dieselbige auf den Erfolg meiner mir selber in großer Beschränkung undeutlich in mir liegenden Idee haben konnten und sollten, in mir selbst lag. Der Umstand, daß Herr Niederer damals, da ich diese Briefe schrieb, noch nicht in unsrer Mitte war, ist es auch ganz gewiß allein, was es mir möglich macht, klar einzusehn, was in Rücksicht auf unsere Bestrebungen einer elementarischen Bearbeitung des Unterrichts Herrn Niederers Verdienst war, und was darin als von mir ausgehend angesehen werden darf. Ich weiß, wie wenig dieses letzte ist und wieviel und was es noch forderte, wenn es nicht ganz zu nichts werden oder wenigstens gar nichts aus ihm werden sollte. In letzter Rücksicht ist mein Glück größer als mein Verdienst. In jedem Fall ist mir jetzt ganz klar, daß die der praktischen Ausführung vorgeschrittene und sie weit überflügelnde und hinter sich zurücklassende Deduktionsansicht unserer Bestrebungen die Ansicht Herrn Niederers war, und daß hingegen meine Ansicht des Gegenstandes aus einem lebendigen Streben nach Mitteln in der Ausführung desselben hervorgeht und mich drang, eigentlich tatsächlich und empirisch zu suchen, zu erringen und zu erkämpfen, was nicht da war und was ich wirklich selber noch nicht kannte. Beide diese Bestrebungen öffneten einem jeden von uns den Weg, welchen er, um zum gemeinsamen Ziele zu kommen, gehn sollte und für den er in sich selber eine vorzügliche Kraft fühlte. Aber wir taten das nicht und hinderten uns vielmehr in unserm Weg, indem wir es lange, und nur gar zu lange, erzwingen wollten, ihn Hand in Hand und, ich möchte sagen, in gleichen Schuhen und in gleichen Schritten zu gehen. Unser Ziel war das nämliche, aber der Weg, den wir betreten sollten, um zu demselben zu gelangen, war von der Natur einem jeden von uns nach einer andern Richtung bezeichnet, und wir hätten früher erkennen sollen, daß jeder von uns in dem Grad sicherer und leichter zu seinem Ziel kommen werde, als er denselben in vollkommener Freiheit und Selbständigkeit betreten und fortwandeln würde. Wir waren zu sehr verschieden. Mich drängt der Brosamen, der am Weg liegt, wenn ich glaube, er sei geeignet, auch dem kleinsten, einzelnen Teil meiner Bestrebungen Nahrung zu geben und ihn auf irgendeine Weise vorwärts zu fördern; ich muß ihn vom Boden aufnehmen, ich muß mich bei ihm aufhalten und ihn einzeln von allen Seiten anschauen und kann ihn, ehe ich ihn auf diese Weise genugsam erkannt, unmöglich in allgemeinen Verbindungen und im Zusammenhang mit dem Umfang der Verhältnisse, in die er als einzelner Teil unsrer Bestrebungen einschlägt, beurteilend und für mich belehrend ins Aug fassen. Das Ganze meiner Lebensweise hat meinem Dasein keine Neigung und keine Kraft gegeben, voreilend in irgendeiner Sache nach heitern und klaren Begriffen zu streben, ehe dieselbe, von Tatsachen unterstützt, in mir selbst einen Hintergrund hat, der mir in mir selbst für sie zum voraus einiges Vertrauen erweckt; darum werde ich auch bis an mein Grab in den meisten meiner Ansichten in einer Art von Dunkel verbleiben; aber ich muß es sagen, wenn dieses Dunkel vielseitige und genugsam belebte Anschauungen zu seinem Hintergrund hat, so ist es für mich ein heiliges Dunkel. Es ist für mich das einzige Licht, in dem ich lebe und zu leben vermag, und ich gehe in diesem Helldunkel meiner Eigenheit meinem Ziel in dem Grad mit Ruhe und Befriedigung entgegen, als ich dieses mit Ruhe und in Freiheit zu tun vermag, und ich stehe auf dem Punkt, auf dem ich mich in Rücksicht auf meine Bestrebungen befinde, in der Überzeugung fest, daß ich, mitten indem ich in meinem Leben zu sehr wenigen, wörtlich in philosophischer Haltbarkeit bestimmten Begriffen gelange, auf meinem Weg dennoch einige Mittel zu meinem Ziel finden werde, die ich auf dem Weg der philosophischen Nachforschungen nach heitern Begriffen über meinen Gegenstand, wie ich ihn zu gehn vermochte, nicht gefunden hätte. Ich klage also über mein diesfälliges Zurückstehen gar nicht. Ich soll es auch nicht. Ich soll den Weg meiner Empirik, der der Weg meines Lebens ist, willig und gern fortwandeln, ohne nach den Früchten des Baums einer Erkenntnis zu gelüsten, der für mich und für die Eigenheit meiner Natur eigentlich verbotene Früchte trägt. Wenn ich den Weg meiner, auch noch so beschränkten Empirik ehrlich, treu und tätig fortwandle, so denke ich, durch sie bin ich, was ich bin, und weiß, was ich weiß, und mein Sein und mein Tun ist doch nicht völlig nur ein blindes Tappen nach wirklich nicht begriffenen Erfahrungen. Ich hoffe mehr. Ich hoffe, es wird auch in meinem Gang in Rücksicht auf meinen Gegenstand einiges philosophisch begründet klar werden, was auf irgendeinem andern Gang nicht leicht zu der gleichen Klarheit hätte gebracht werden können. Die Individualitätseigenheiten unsers Geschlechts sind nach meinem Gefühl die größte Wohltat unsrer Natur und das eigentliche Fundament, woraus ihre höchsten und wesentlichsten Segnungen hervorgehn. Darum sollten sie auch in hohem Grad respektiert werden. Sie können das aber nicht, wo man sie nicht sieht, und man sieht sie nicht, wo ihnen immer alles im Weg steht, sich zu zeigen, und jede Selbstsucht nur dahin trachtet, ihre Eigenheit herrschend und die Eigenheiten der andern der seinigen dienend zu machen. Wo man sie respektieren will, da ist notwendig, daß man das nicht trenne, was Gott zusammengefügt, aber auch ebenso, daß man das nicht zusammenfüge, was Gott getrennt hat. Alles künstliche und gewaltsame Zusammenfügen von an sich heterogenen Gegenständen hat seiner Natur nach in allen Verhältnissen das Stillstellen der Individualkräfte und Individualeigenheiten, die unpassend zusammengeknüttelt werden, zur Folge, und solche unpassend zusammengefügte und dadurch stillgestellte und verwirrte Individualkräfte und Individualeigenheiten sprechen sich dann in jedem Fall als gewaltsam herbeigeführte Unnatur aus und wirken dann auf das Ganze der Massa, zu deren Gunsten sie also zusammengefügt werden wollten, auf eine sie in ihrem ganzen Zusammenhang störende, verwirrende und abschwächende Weise. Ich weiß, was ich nicht bin, und glaube redlich sagen zu dürfen, ich will nicht mehr sein, als ich bin; aber um die Kräfte zu benutzen, die mir, so wie ich bin, in die Hand fallen möchten, mußte ich in meiner Kraft, so klein als diese auch immer war, frei und selbständig dastehn, damit auch an mir das Wort »wer da hat, dem wird gegeben werden« wahr werden könne, und nicht das zweite »wer aber nichts hat, von dem wird auch das, was er hat, genommen werden« gar zu drückend an mir erfüllt werden müsse.

Da ich den Wert, den dieses Buch jetzo noch für die Welt und für mich haben mag, von dieser Seite ins Auge fasse, so mußte ich dasselbe auch vollkommen in der Gestalt, in der es vor zwanzig Jahren den Mut hatte hervorzutreten, wieder erscheinen lassen. Indessen habe ich über das seitherige pädagogische Vorschreiten in den Unterrichtsübungen und Mitteln unsers Hauses in einigen meiner neuern Schriften die nötigen Aufschlüsse gegeben. Ich werde auch fortfahren, dieses mit aller Beförderung forthin zu tun, und besonders werde ich im fünften Teil von Lienhard und Gertrud über diesen Punkt mehr Licht geben, als ich seither darüber zu geben vermochte. Was aber das Historische und Personelle betrifft, das ich in diesen Briefen berühre, trete ich gegenwärtig gar nicht darüber ein. Ich kann nicht wohl. Ich lächle jetzt über vieles und sehe es ganz anders an, als ich es ansah, da ich diese Briefe schrieb. Über vieles davon möchte ich jetzt auch lieber weinen als lächeln. Doch ich tue jetzt auch dieses nicht. Ich mag jetzt weder weinerlich noch lächelnd darüber reden. Mein Gefühl sagt mir, die Stunde meines diesfälligen Schweigens sei noch nicht ausgelaufen. Das Rad meiner Schicksale ist auch noch nicht ausgelaufen. Mein Lächeln und Weinen wäre jetzt noch über vieles voreilend und könnte, wenn es nicht bei geschlossenen Türen geschähe, jetzo noch schädlich werden. Es kann sich in Rücksicht auf die Gegenstände und Gesichtspunkte, die in diesem Buch berührt sind, noch vieles und vielleicht gar bald ändern. Vielleicht lächle ich gar bald über vieles, worüber ich jetzt noch weinen möchte, und vielleicht denke ich über einiges in kurzem ganz ernst, worüber ich jetzt nur lächelnd hinschlüpfte. In dieser Lage der Dinge habe ich das Buch beinahe unverändert gelassen. Die Zeit wird den Kontrast, der zwischen einigem, das darin gesagt ist, und zwischen dem Zustand, worin ich mich des Gesagten halber wirklich befinde, stattfindet und vieles von dem Gesagten unbegreiflich und unerklärlich in die Augen fallen macht, schon heiter machen, wenn es je notwendig werden sollte. Ich glaube es zwar nicht. Würde es aber jemals, wenn auch hinter meinem Grab, notwendig, so möge es dann in milden und nicht in grellen Farben geschehn!

Iferten, am 1. Juni 1820.

I

Inhaltsverzeichnis
Pestalozzi Burgdorf, Neujahrstag 1801
Mein teurer Geßner!

Du sagst, es sei einmal Zeit, mich über meine Ideen von dem Volksunterricht öffentlich zu äußern.

Nun, ich will es tun und Dir, wie einst Lavater Zimmermann seine Aussichten in die Ewigkeit, in einer Reihe von Briefen diese meine Aussichten oder vielmehr diese meine Ansichten so klar machen, als es mir möglich sein wird.

Ich sah den Volksunterricht wie einen unermeßlichen Sumpf vor meinen Augen und watete mit einer Gewaltsamkeit in seinem Kote herum, bis ich endlich mit den Quellen seines Wassers, mit den Ursachen seiner Verstopfungen und mit den Standpunkten, von denen sich die Möglichkeit, sein nasses Verderben ableiten zu können, ahnen ließ, bekannt war.

Ich will dich jetzt selber eine Weile in den Irrwegen herumführen, aus denen ich mich mehr durch Zufälle als durch meinen Kopf und meine Kunst endlich wieder herausfand.

Schon lange, ach, seit meinen Jünglingsjahren wallte mein Herz wie ein mächtiger Strom einzig und einzig nach dem Ziel, die Quelle des Elends zu stopfen, in die ich das Volk um mich her versunken sah.

Es ist schon über dreißig Jahre, daß ich Hand an das Werk legte, welches ich jetzt treibe. Iselins Ephemeriden bescheinigen, daß ich jetzt den Traum meiner Wünsche nicht umfassender denke, als ich ihn damals schon auszuführen suchte.

Aber ich war jung, kannte weder die Bedürfnisse meines Traums, weder die Sorgfalt, die ihre Anbahnung, noch die Kräfte, die ihre Ausführung ansprach und voraussetzte. Das Ideal meines Traumes umfaßte Feldbau, Fabrik und Handlung. Ich hatte in allen drei Fächern eine Art von hohen, mir sicher scheinenden Takts für das Wesentliche meines Plans; und es ist wahr, in diesem Wesentlichen bin ich auch heute nach allen meinen Lebenserfahrungen nur wenig von meinen damaligen Ansichten über die Fundamente meines Plans zurückgekommen. Dennoch war mein Zutrauen auf die Wahrheit dieser Fundamente und auf die mir anscheinende Sicherheit meines Takts mein Unglück. Die Wahrheiten meiner Ansichten waren Wahrheiten in den Lüften, und die Zuversicht auf den Takt in den Fundamenten meiner Zwecke war die Zuversicht eines Schlafenden auf die Wahrheit eines Traums. Ich war in allen drei Fächern, von denen meine Versuche ausgehen sollten, ein unerfahrnes Kind. Es mangelte mir allenthalben an den Fertigkeiten des Details, aus deren sorgfältigen, ausharrenden und gewandten Behandlung die segensvollen Resultate, denen ich entgegenstrebte, allein hervorzugehen vermögen. Die Folgen dieser positiven Unfähigkeit für meine Zwecke waren schnell. Die ökonomischen Mittel zu meinem Ziel gingen schnell in Rauch auf, und das um so mehr, da ich im Anfang versäumte, mich mit einem genugtuenden Hilfspersonale für meine Zwecke zu versehen, und da ich das Bedürfnis einer solchen Mithilfe von Personen, die das, was mir mangelte, gehörig ausfüllen konnten, lebhaft zu fühlen anfing, hatte ich schon die ökonomischen Kräfte und das ökonomische Zutrauen verloren, welches mir die Anstellung dieses Personals hätte möglich machen können. Es trat auch schnell eine solche Verwirrung in meine Lage ein, die das Scheitern meiner Zwecke unausweichlich machte.

Mein Unglück war entschieden, und der Kampf gegen mein Schicksal war jetzt nur der Kampf der schon unterliegenden Ohnmacht gegen einen immer stärker werdenden Feind. Das Entgegenstreben gegen mein Unglück führte jetzt zu nichts mehr. Indessen hatte ich in der unermeßlichen Anstrengung meiner Versuche unermeßliche Wahrheit gelernt und unermeßliche Erfahrungen gemacht, und meine Überzeugung von der Wichtigkeit der Fundamente meiner Ansichten und meiner Bestrebungen war nie größer als in dem Zeitpunkt, in dem sie äußerlich ganz scheiterten. Auch wallte mein Herz immer unerschütterlich nach dem nämlichen Ziel, und ich fand mich jetzt im Elend in einer Lage, in der ich einerseits die wesentlichen Bedürfnisse meiner Zwecke, anderseits die Art und Weise, wie die mich umgebende Welt über den Gegenstand meiner Bestrebungen in allen Ständen und Verhältnissen wirklich denkt und handelt, erkennen und mit Händen greifen lernte, wie es mir bei einem anscheinend glücklichen Erfolg meiner voreilenden Versuche nicht gelungen wäre, die Wahrheit dieser Ansichten also zu erkennen und mit Händen zu greifen. Ich sage es jetzt mit innerer Erhebung und mit Dank gegen die ob mir wartende Vorsehung, selber im Elend lernte ich das Elend des Volks und seine Quellen immer tiefer und so kennen, wie sie kein Glücklicher kennt. Ich litt, was das Volk litt, und das Volk zeigte sich mir, wie es war und wie es sich niemand zeigte. Ich saß eine lange Reihe von Jahren unter ihm wie die Eule unter den Vögeln. Aber mitten im Hohngelächter der mich wegwerfenden Menschen, mitten in ihrem lauten Zuruf: »Du Armseliger! Du bist weniger als der schlechteste Taglöhner imstande, dir selber zu helfen, und bildest dir ein, daß du dem Volke helfen könntest?« – mitten in diesem hohnlachenden Zuruf, den ich auf allen Lippen las, hörte der mächtige Strom meines Herzens nicht auf, einzig und einzig nach dem Ziele zu streben, die Quellen des Elends zu stopfen, in das ich das Volk um mich her versunken sah, und von einer Seite stärkte sich meine Kraft immer mehr. Mein Unglück lehrte mich immer mehr Wahrheit für meinen Zweck. Was niemand täuschte, das täuschte mich immer; aber was alle täuschte, das täuschte mich nicht mehr.

Ich kannte das Volk, wie es um mich her niemand kannte. Der Jubel seines Baumwollenverdiensts, sein steigender Reichtum, seine geweißeten Häuser, seine prächtigen Ernten, selber das Sokratisieren einiger seiner Lehrer und die Lesezirkel unter Untervogtssöhnen und Barbieren täuschte mich nicht. Ich sah sein Elend; aber ich verlor mich in dem umfassenden Bilde seiner zerstreuten isolierten Quellen und rückte in der praktischen Kraft, seinen Übeln zu helfen, nicht in dem Grade vorwärts, in dem sich meine Einsichten über die Wahrheit seiner Lage ausdehnten; und selbst das Buch, das mein Gefühl von diesen Lagen meiner Unschuld auspreßte, selbst Lienhard und Gertrud, war ein Werk dieser meiner innern Unbehilflichkeit und stand unter meinen Zeitgenossen da wie ein Stein, der Leben redet und tot ist. Viele Menschen gaben ihm einen Blick, aber fanden sich so wenig in mir und in meinen Zwecken, als ich mich im Detail der Kräfte und Einsichten, die seine Ausführung voraussetzten, fand.

Ich vernachlässigte mich selber und verlor mich im Wirbel des gewaltsamen Drangs nach äußern Wirkungen, deren innere Fundamente ich nicht tief genug in mir selbst bearbeitete.

Hätte ich dieses letztere getan, zu welcher innern Höhe hätte ich mich für meinen Zweck emporheben können, und wie schnell wäre ich meinem Ziele entgegengekommen, das ich nie fand, weil ich seiner nicht wert war, indem ich es nur äußerlich suchte und Liebe zur Wahrheit und zum Recht in mir selbst zur Leidenschaft werden ließ, die mich wie ein losgerissenes Schilfrohr auf den Wellen des Lebens umhertrieb und die ausgespülten Wurzeln meiner selbst Tag für Tag hinderte, in sicherem Boden wieder anzukeimen und die Nahrung zu finden, die sie für mein Ziel so wesentlich bedurften. – Die Hoffnung war so eitel, daß ein anderer diesen losgerissenen Schilf den Wellen entreißen und ihn in den Boden hineinsetzen würde, in den ich ihn selber hineinzusetzen versäumte.

Teurer Freund! Wer nur einen Tropfen von meinem Blute hat, der weiß jetzt, wohin ich sinken mußte. Und du, mein Geßner, ehe du weiter liesest, weihest meinem Gange eine Träne.

Tiefe Mißstimmung verschlang mich jetzo; was ewige Wahrheit und ewiges Recht ist, bildete sich in meiner Leidenschaft in Luftschlösser um; ich hing mit sinnlicher Verhärtung an Worten und Tönen, die in mir selbst den Fuß von innerer Wahrheit verloren, und sank so mit jedem Tage mehr zur Verehrung von Gemeinsprüchen und zum Trommelschlag der Scharlatanrezepte hinab, mit welchen die neuere Zeit dem Menschengeschlecht helfen wollte.

Doch es ist nicht, daß ich dies Versinken meiner selbst nicht fühlte und ihm nicht entgegenzuwirken trachtete. Ich schrieb drei Jahre lang mit unglaublicher Mühseligkeit an den »Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts« wesentlich in der Absicht, über den Gang meiner Lieblingsideen mit mir selbst einig zu werden und meine Naturgefühle mit meinen Vorstellungen vom bürgerlichen Rechte und von der Sittlichkeit in Harmonie zu bringen. Aber auch dieses Werk ist mir selbst wieder nur ein Zeugnis meiner innern Unbehilflichkeit – ein bloßes Spiel meines Forschungsvermögens, einseitig, ohne verhältnismäßige Kraft gegen mich selbst und leergelassen von genugsamem Streben nach der praktischen Kraft, die ich zu meinen Zwecken so notwendig hatte. Die Unverhältnismäßigkeit meiner Kraft mit meinen Einsichten stieg nur desto mehr und machte in mir die Lücke immer größer, die ich zur Erzielung meines Zweckes ausfüllen sollte und immer weniger ausfüllen konnte.

Auch erntete ich nicht mehr, als ich säete. Die Wirkung meines Buchs um mich her war wie die Wirkung alles meines Tuns; es verstand mich bald niemand, und ich fand in meiner Nähe nicht zwei Menschen, die mir nicht halb zu verstehen gaben, daß sie das ganze Buch für einen Galimathias ansahen. Und noch neulich, noch jetzt drückte sich ein Mann von Bedeutung, der mich sonst liebt, mit schweizerischer Traulichkeit hierüber so aus: »Aber nicht wahr, Pestalozzi, Sie fühlen doch jetzt selber, daß Sie damals, als Sie dieses Buch schrieben, nicht recht wußten, was Sie wollten? –« Doch das war mein Schicksal, mißkannt zu sein und Unrecht zu leiden; ich hätte es benutzen sollen, aber ich benutzte es nicht; ich setzte meinem Unglück nur innern Hohn und Menschenverachtung entgegen und schadete dadurch meinen Zwecken in den innern Fundamenten, die sie in mir selbst hätten haben sollen, unendlich mehr, als alle Menschen, die mich in diesem Zustand mißkannten und verhöhnten, mir darin hätten schaden können. Dennoch wich ich nicht von meinem Ziel; aber es war jetzt in mir sinnlich verhärtet und lebte in einer zerrütteten Einbildungskraft und in einem mißgestimmten Herzen; ich versank immer tiefer dahin, die heilige Pflanze des Menschenwohls auf entweihtem Boden nähren zu wollen.

Geßner! Ich, der ich soeben in meinen Nachforschungen die Ansprüche alles bürgerlichen Rechts als bloße Ansprüche meiner tierischen Natur erklärte und insoweit als wesentliche Hindernisse des einzigen, was für die Menschennatur einen Wert hat, als ein Hindernis der sittlichen Reinheit ansah, erniedrigte mich dahin, mitten unter Vorkehrungen äußerer Gewalt und innerer Leidenschaft, von dem bloßen Schall bürgerlicher Wahrheit und Rechtsbegriffe eine gute Wirkung auf die Menschen meines Zeitalters zu erwarten, die, wenige ausgenommen, allerseits nur in Pausbackengefühlen lebten, Gewalt suchten und nach wohlbesetzten Tischen haschten.

Ich war mit grauen Haaren noch ein Kind; aber jetzt ein tief in mir selbst zerrüttetes Kind; ich wallte zwar auch im Sturm dieser Zeit dem Ziele meines Lebens entgegen, aber einseitiger und irrender, als ich es je tat. Ich suchte jetzt in der allgemeinen Aufdeckung der alten Quellen der bürgerlichen Übel, in leidenschaftlichen Darstellungen des bürgerlichen Rechts und seiner Fundamente und in der Benutzung des empörten Gewaltgeistes gegen einzelne Leiden des Volks eine Bahn für mein Ziel. Aber die bessere Wahrheit meiner frühern Tage war für Menschen, die um mich her lebten, nur Schall und Worte; um wieviel mehr mußte ihnen also meine jetzige Ansicht der Dinge eine Torheit sein. Sie tunkten, wie immer, auch diese Art von Wahrheit in ihren Kot, blieben, was sie waren, und handelten gegen mich, wie ich es hätte voraussehen sollen und nicht voraussah, weil ich im Traum meiner Wünsche in den Lüften schwebte und mir keine Selbstsucht die Augen über meine Menschen öffnete. Ich irrte mich nicht nur in jedem Schlauen, ich irrte mich in jedem Narren und traute jedem, der vor meinen Augen stand und ein gutes Wort redete, auch eine gute Meinung zu. Aber dennoch kannte ich das Volk und die Quellen seiner Verwilderung und Entwürdigung vielleicht wie niemand; aber ich wollte nichts, gar nichts, als das Stopfen dieser Quellen und das Aufhören ihrer Übel; und Helvetiens neue Menschen (novi homines) die nicht so wenig wollten und das Volk nicht kannten, fanden natürlich, daß ich nicht zu ihnen paßte; diese Menschen, die in ihrer neuen Stellung wie schiffbrüchige Weiber jeden Strohhalm für einen Mastbaum ansahen, an dem die Republik sich an ein sicheres Ufer treiben könne, achteten mich, mich allein für einen Strohhalm, an dem sich keine Katze anschließen könnte. – Sie wußten es nicht und wollten es nicht, aber sie taten mir Gutes, sie taten mir mehr Gutes, als mir je Menschen Gutes getan haben. Sie gaben mich mir selbst wieder und ließen mir im stillen Staunen über die Umwandlung ihrer Schiffsverbesserung in einem Schiffbruch nichts über als das Wort, das ich in den ersten Tagen ihrer Verwirrung aussprach: »ich will Schulmeister werden«. Dafür fand ich Vertrauen. Ich bin es geworden und kämpfe nun seit diesem Standpunkte einen Kampf, der mich auch wider meinen Willen genötigt, die Lücken meiner innern Unbehilflichkeit auszufüllen, die meinen Endzwecken sonst entgegenstanden.

Freund! Ich will dir den Umfang meines Seins und meines Tuns seit diesem Zeitpunkt offen enthüllen. Ich hatte bei dem ersten Direktorio durch Legrand für den Gegenstand der Volksbildung Vertrauen gewonnen und war auf dem Punkt, einen ausgedehnten Erziehungsplan im Aargau zu eröffnen, als Stans verbrannte und Legrand mich bat, den Ort des Unglücks für einmal zu dem Orte meines Aufenthalts zu wählen. Ich ging. – Ich wäre in die hintersten Klüfte der Berge gegangen, um mich meinem Ziele zu nähern, und näherte mich ihm wirklich; aber denke dir meine Lage – ich einzig; gänzlich von allen Hilfsmitteln der Erziehung entblößt; ich einzig – Oberaufseher, Zahlmeister, Hausknecht und fast Dienstmagd, in einem umgebauten Hause, unter Unkunde, Krankheiten und Neuheiten von aller Art. Die Kinder stiegen allmählich bis auf achtzig, alle von ungleichem Alter, einige von vieler Anmaßung, andere aus dem offenen Bettel; alle, wenige ausgenommen, ganz unwissend. Welch eine Aufgabe, sie zu bilden, diese Kinder zu entwickeln, welch eine Aufgabe!

Ich wagte es, sie zu lösen, und stand in ihrer Mitte, sprach ihnen Töne vor, machte sie selbige nachsprechen; wer es sahe, staunte über die Wirkung. Sie war freilich ein Meteor, das sich in der Luft zeigt und wieder verschwindet. Niemand kannte ihr Wesen. Ich erkannte es selbst nicht. Sie war die Wirkung einer einfachen, psychologischen Idee, die in meinem Gefühle lag, der ich mir aber selbst nicht deutlich bewußt war.

Es war eigentlich das Pulsgreifen der Kunst, die ich suchte – ein ungeheurer Griff, – ein Sehender hätte ihn gewiß nicht gewagt; ich war zum Glücke blind, sonst hätte ich ihn auch nicht gewagt. Ich wußte bestimmt nicht, was ich tat, aber ich wußte, was ich wollte, und das war: Tod oder Durchsetzung meines Zwecks.

Aber die Mittel zu demselben waren unbedingt nur Resultate der Not, mit der ich mich durch die grenzenloseste Verwirrung meiner Lage durcharbeiten mußte.

Ich weiß es selbst nicht und kann es kaum begreifen, wie ich nur durchkam. Ich spielte auf eine Art mit der Not, trotzte ihren Schwierigkeiten, die wie Berge vor mir standen, setzte dem Anschein der physischen Unmöglichkeit die Gewalt eines Willens entgegen, der den nächsten Augenblick, der ihm vorstand, nicht sah und nicht achtete; aber sich in den gegenwärtigen einklammert, wie wenn er allein wäre und Leben und Tod an ihm hinge.

So arbeitete ich in Stans, bis das Nahen der Österreicher meinem Werk an das Herz griff und die Gefühle, die mich jetzt niederdrückten, meine physischen Kräfte auf den Grad brachten, auf dem sie waren, da ich Stans verließ. Bis auf diesen Punkt war ich über die Fundamente meines Ganges noch nicht mit mir selbst einig; aber da ich das Unmögliche versuchte, fand ich möglich, was ich nicht ahnete, und da ich mich in weglose Gebüsche, die Jahrhunderte niemand betreten hatte, hineindrängte, fand ich hinter den Gebüschen Fußstapfen, die mich zu der Heerstraße führten, die auch Jahrhunderte niemand betreten hatte.

Ich will ein wenig ins Umständliche gehen.

Da ich mich genötigt sah, den Kindern allein und ohne alle Hilfe Unterricht zu geben, lernte ich die Kunst, viele miteinander zu lehren, – und da ich kein Mittel hatte als lautes Vorsprechen, ward der Gedanke, sie während dem Lernen zeichnen, schreiben und arbeiten zu machen, natürlich entwickelt. Die Verwirrung der nachsprechenden Menge führte mich auf das Bedürfnis des Taktes, und der Takt erhöhte den Eindruck der Lehre. Die gänzliche Unwissenheit von allem machte mich auf den Anfangspunkten lange stehen bleiben, und dieses führte mich zu Erfahrungen von der erhöhten innern Kraft, die durch die Vollendung der ersten Anfangspunkte erzielt wird, und von den Folgen des Gefühls der Vollendung und der Vollkommenheit auch auf der niedersten Stufe. Ich ahnete den Zusammenhang der Anfangspunkte eines jeden Erkenntnisfaches mit seinem vollendeten Umriß wie noch nie und fühlte die unermeßlichen Lücken, die aus der Verwirrung und der Nichtvollendung dieser Punkte in jeder Reihenfolge von Kenntnissen erzeugt werden müssen, ebenso wie noch nie. Die Folgen der Aufmerksamkeit auf diese Vollendung übertrafen meine Erwartungen weit. Es entwickelte sich in den Kindern schnell ein Bewußtsein von Kräften, die sie nicht kannten, und besonders ein allgemeines Schönheits- und Ordnungsgefühl. Sie fühlten sich selbst, und die Mühseligkeit der gewöhnlichen Schulstimmung verschwand wie ein Gespenst aus meinem Stuben; sie wollten, – konnten, – harrten aus, – vollendeten und lachten; – ihre Stimmung war nicht die Stimmung der Lernenden, es war die Stimmung aus dem Schlaf erweckter, unbekannter Kräfte, und ein geist- und herzerhebendes Gefühl, wohin diese Kräfte sie führen könnten und führen würden.

Kinder lehrten Kinder. Sie versuchten, ins Werk zu setzen, was ich sagte, das sie tun sollten, und kamen so den Mitteln der Ausführung vielseitig selber auf die Spur, und diese sich vielseitig entfaltende Selbsttätigkeit in den Anfängen des Lernens wirkte mit großer Kraft auf die Belebung und Stärkung der Überzeugung, daß aller wahre, aller bildende Unterricht aus den Kindern selbst hervorgelockt und in ihnen selbst erzeugt werden mußte. Auch hierzu führte mich vorzüglich die Not. Da ich keine Mitlehrer hatte, setzte ich das fähigere Kind zwischen zwei unfähigere; es umschlang sie mit beiden Händen, sagte ihnen vor, was es konnte, und sie lernten ihm nachsprechen, was sie nicht konnten. Sie saßen in inniger Liebe nebeneinander. Freude und Teilnahme belebte ihr Inneres, und ihr gegenseitig erwachtes inneres Leben führte sie beiderseits vorwärts, wie sie nur durch diese vereinigte Selbstbelebung vorwärts geführt werden konnten.

Teurer Freund! Du hast das Gewühl dieses Zusammenlernens gehört und seinen Mut und seine Freude gesehen. Sage selbst, wie war dir, als du es sahest? – Ich sah deine Tränen, und es wallte in meinem Busen die Wut über den Menschen, der es noch aussprechen könnte: Die Veredlung des Volks ist nur ein Traum.'

Nein, sie ist kein Traum; ich will ihre Kunst in die Hand der Mutter werfen, in die Hand des Kindes und in die Hand der Unschuld, und der Bösewicht wird schweigen und es nicht mehr aussprechen: »Sie ist ein Traum.«

Gott! Wie dank ich dir meine Not! Ohne sie spräche ich diese Worte nicht aus und brächte ihn nicht zum Schweigen.

Meine Überzeugung ist jetzo vollendet; sie war es lange nicht; aber ich hatte in Stans auch Kinder, deren Kräfte noch ungelähmt von der Ermüdung einer unpsychologischen Haus- und Schulzucht sich schneller entfalteten. Es war ein anderes Geschlecht; selbst ihre Armen waren andere Menschen als die städtischen Armen und als die Schwächlinge unserer Korn- und Weingegenden. Ich sah die Kraft der Menschennatur und ihre Eigenheiten in dem vielseitigsten und offensten Spiel; ihr Verderben war das Verderben der gesunden Natur, ein unermeßlicher Unterschied gegen das Verderben der hoffnungslosen Erschlaffung und der vollendeten Verkrüppelung der Schulschlechtheit und der Kunstschlechtheit.

Ich sah in dieser Mischung der unverschuldeten Unwissenheit eine Kraft der Anschauung und ein festes Bewußtsein des Anerkannten und Gesehenen, von der unsere Abc-Puppen auch nur kein Vorgefühl haben.

Ich lernte bei ihnen – ich hätte blind sein müssen, wenn ich es nicht gelernt hätte, – das Naturverhältnis kennen, in welchem Realkenntnisse gegen Buchstabenkenntnisse stehen müssen; ich lernte bei ihnen, was die einseitige Buchstabenkenntnis und das ohne einen Hintergrund gelassene Vertrauen auf Worte, die nur Schall und Laut sind, der wirklichen Kraft der Anschauung und dem festen Bewußtsein der uns umschwebenden Gegenstände für einen Nachteil gewähren könne.