Schwanengesang - Johann Heinrich Pestalozzi - E-Book

Schwanengesang E-Book

Johann Heinrich Pestalozzi

0,0

Beschreibung

Die Autobiografie des Schweizer Pädagogen. Außerdem machte er sich als Philanthrop, Schul- und Sozialreformer, Philosoph sowie Politiker einen Namen.

Das E-Book Schwanengesang wird angeboten von Jazzybee Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 400

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Schwanengesang

Johann Heinrich Pestalozzi

Inhalt:

Johann Heinrich Pestalozzi – Biografie und Bibliografie

Schwanengesang

Schwanengesang , J. H. Pestalozzi

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849633233

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Johann Heinrich Pestalozzi – Biografie und Bibliografie

Der einflussreichste Pädagoge der neuern Zeit, geb. 12. Jan. 1746 in Zürich, gest. 17. Febr. 1827 in Brugg (Aargau). Das Vorbild des Großvaters, Pfarrers P. in Höngg (den Vater, einen Chirurgen, hatte er schon 1751 verloren), regte Neigung zum seelsorgerischen Beruf und warme Liebe zum niederen Volk an. Begeistert durch Rousseaus »Émile« (1762), beschloss P., ein Reformator der Volkserziehung zu werden. Das theologische Studium wie das der Rechte gab er auf, noch bevor seine Schulbildung aus Ziel gelangt war, und wurde Landwirt. Um praktisch zu zeigen, wie man durch Verbindung der Landwirtschaft mit Fabrikation und häuslicher Erziehung den Nachteilen einer verkünstelten Kultur entgegenzuwirken und das Volk aus physischem und sittlichem Elend zu Wohlstand und Sittlichkeit zu erheben vermöchte, kaufte er 100 Morgen Wustung bei Birr (Aargau, 1769) und errichtete darauf das Landgut Neuhof (1771). Das Unternehmen, besonders auf Krappkultur gegründet, schlug fehl. Ebenso scheiterte er mit einer Erziehungsanstalt für arme Kinder, die er 1774 mit 50 Zöglingen in Neuhof eröffnete; sie ging 1780 ein. Es folgten Jahre der Not und Demütigung für P. Doch sein Stern ging in andrer Weise wieder auf. Er trat als Schriftsteller hervor. 1780 erschien die »Abendstunde eines Einsiedlers« in Iselins, seines treuen Gönners, »Ephemeriden«. Diese Aphorismen enthalten das pädagogische Programm Pestalozzis. Bald darauf erschien seine berühmte Dorfgeschichte »Lienhardt und Gertrud« (Berl. 1781–89, 4 Bde.; oft aufgelegt). Der Erfolg dieses Buches war großartig; dessen Fortsetzung: »Christoph und Else, Versuch eines Lehrbuches zum Gebrauch der allgemeinen Realschule der Menschheit, ihrer Wohnstube« (Zürich 1782) sprach weniger an. In diese Zeit fällt neben manchen kleineren Aufsätzen sozialpolitischer Tendenz auch seine kleine Schrift: »Gesetzgebung und Kindermord« (1783). Eine Reise nach Leipzig (1792) brachte ihn in nähere Beziehung zu deutscher Wissenschaft und Literatur. Persönlich bekannt wurde er vermutlich mit Schiller. Im folgenden Jahr in der Schweiz trat ihm Fichte näher. Fichtes Einfluss zeigt die tiefsinnige Schrift »Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwickelung des Menschengeschlechts« (1797). Von der französischen Republik zum Ehrenbürger ernannt, trat P. als literarischer Vorkämpfer der neuen Ideen, die er von ihrer edelsten Seite auffasste, in den Dienst des Direktoriums, dessen Mitglieder Stapfer und Legrand ihm geistverwandt und befreundet waren. Im Herbst 1798 infolge der Verwüstung des Kantons Unterwalden durch die Franzosen gründete das Direktorium ein Waisenhaus zu Stans und stellte P. an dessen Spitze. Dieser sammelte im vormaligen Ursulinerkloster zu Stans 80 verwaiste oder verwahrloste Bettelkinder um sich. Das Lernen suchte er, wie früher in Neuhof, mit Handarbeiten, die Unterrichts- mit einer Industrieanstalt zu verbinden. Auch versuchte er, Kinder durch Kinder unterrichten zu lassen. Dies Unternehmen, der eigentliche Glanzpunkt in Pestalozzis Wirken, unterbrach schon 1799 der Wiederbeginn der Kriegswirren. P., körperlich erschöpft, suchte bei der Heilquelle auf dem Gurnigel im Berner Oberland Erholung. Von da ging er nach Burgdorf im Kanton Bern, um hier an mehreren der vorhandenen Ortsschulen seine praktischen Studien über die von ihm angestrebte natur- und kulturgemäße Unterrichtsmethode fortzusetzen. Er musste aber schon nach einem Jahr wegen Brustleidens zurücktreten. Gleichwohl eröffnete er bald darauf in Verbindung mit Krüsi und Tobler eine Erziehungsanstalt nebst Lehrerseminar im Burgdorfer Schloss (1800), die von der Regierung auf Stapfers Empfehlung hin unterstützt wurde. 1802 ging P. als erwähltes Mitglied der Schweizerdeputation nach Paris. Vor seiner Abreise veröffentlichte er: »Ansichten über die Gegenstände, auf welche die Gesetzgebung Helvetiens ihr Augenmerk zu richten hat« (Bern 1802). Eine Denkschrift über das, was der Schweiz not tue, übergab er in Paris dem Ersten Konsul, erhielt aber von diesem die Antwort, er könnte ins ABC-Lehren sich nicht mischen. Während seines Aufenthalts in Burgdorf schrieb P.: »Wie Gertrud ihre Kinder lehrt; ein Versuch, den Müttern Anleitung zu geben, ihre Kinder selbst zu unterrichten« (Bern u. Zürich 1801) und mit Krüsi das »Buch der Mütter, oder Anleitung für Mütter, ihre Kinder bemerken und reden zu lehren« (das. 1803). In Gemeinsamkeit mit den übrigen Lehrern wurden abgefasst und unter Pestalozzis Namen veröffentlicht: »ABC der Anschauung oder Anschauungslehre der Maßverhältnisse« und »Anschauungslehre der Zahlverhältnisse«. Die Berner Regierung räumte für Pestalozzis Anstalt 1804 das Kloster Münchenbuchsee ein und ließ dieses hierzu einrichten. Pestalozzis Bestrebungen wurden inzwischen in immer weitern Kreisen bekannt und beachtet. Er hatte, namentlich aus Deutschland, Zuspruch von vielen Fremden, die seine Methode durch Augenschein kennen zu lernen wünschten. Da aber die Ordnung in der Hauswirtschaft fehlte, ging das Institut bald zurück; weshalb die Lehrer, besonders Tobler und Muralt, Ökonomie und Direktion der Anstalt an den von P. angeregten Philanthropen Ph. E. v. Fellenberg, der nahe bei Buchsee, in Hofwil, wohnte, übergaben. P. folgte darauf gern der Einladung, die von Iferten (Yverdon) aus an ihn erging, dort eine Erziehungsanstalt für Kinder aus allen Ständen und zugleich eine Anstalt für Lehrerbildung zu begründen. Diese Anstalt erlangte unter seiner Leitung europäische Berühmtheit (vgl. Israel, Pestalozzis Institut in Iferten, Gotha 1900). Von P. angeregte und ausgebildete Volksschullehrer wirkten belebend nicht nur in ganz Deutschland, namentlich in dem von Napoleon niedergeworfenen Preußen, sie unterrichteten auch in Madrid, Neapel und Petersburg; Kaiser Alexander von Russland bezeigte ihm persönlich sein Wohlwollen; Fichte erblickte in Pestalozzis Wirken den Anfang einer Erneuerung der Menschheit; Herbart erbaute auf Pestalozzis Grundlagen sein System der Pädagogik. Dieser außerordentliche Erfolg machte P. zu sicher in Bezug auf das, was er erreicht hatte, und verleitete ihn öfters zur Unterschätzung dessen, was bereits anderwärts für Unterricht und Erziehung geschehen war. Zunächst waren allerdings die Leistungen des Instituts glänzend; doch gehörten die Zöglinge je länger, desto mehr den höheren Ständen an; die unmittelbare Wirksamkeit für das niedere Volk, die P. eigentlich als seine Lebensaufgabe ansah, trat zurück. Allmählich erhob sich auch Widerspruch gegen Pestalozzis Ansichten und zumal gegen sein Institut, in dem allerdings bei seiner Unfähigkeit zur Leitung und Haushaltung manches wunderlich durcheinander lief. Infolge der Zwistigkeiten unter den Lehrern, besonders dem Theologen Niederer und dem Rechenmeister Schmid, wich zuletzt aller Segen von der Anstalt und von Pestalozzis Unternehmen. 1818 schloss Joseph Schmid mit Cotta einen Kontrakt zur Herausgabe sämtlicher Werke Pestalozzis. Da bedeutende Subskriptionen einliefen, erwachten in dem immer jugendlichen Geist Pestalozzis neue Hoffnungen für sein Streben; er bestimmte 50,000 franz. Livres, »welche die Subskription ertragen werde«, zu pädagogischen Zwecken und errichtete eine Armenanstalt zu Clindy, in der Nähe von Iferten, die später mit der Hauptanstalt räumlich vereinigt ward. 1825 löste P. das Institut zu Iferten auf und kehrte nach Neuhof zurück, wo er den »Schwanengesang« und seine »Lebensschicksale« schrieb. In diesen letzten Schriften hat P. mit rührender Offenheit die Fehler und Missgriffe eingestanden, die das Misslingen seiner praktischen Versuche mit bedingt haben. Noch im selben Jahre ward er zum Vorstande der Helvetischen Gesellschaft in Schinznach erwählt. Im folgenden Jahre las er noch der Kulturgesellschaft in Brugg eine Abhandlung vor: »Über die einfachsten Mittel, das Kind von der Wiege an bis aus sechste Jahr im häuslichen Kreise zu erziehen«. Bei klarster Kenntnis der menschlichen Natur im allgemeinen war P. unfähig, die einzelnen Menschen zu durchschauen und zu leiten. Er sah die schönsten Ideale als Ziel seines Lebens vor sich und beleuchtete den zu ihnen führenden Weg wie ein Prophet, war aber blind, wenn er diesen Weg im einzelnen praktisch zu zeigen unternahm. Wenn aber auch alle seine äußern Werke wieder zerfielen, so ist doch sein Leben ein großartig fruchtbares und gesegnetes gewesen, und dadurch, dass er Liebe und Begeisterung für die Erziehung der Jugend und des Volkes in weiten Kreisen weckte, hat er sich unsterbliches Verdienst um die Pädagogik, insbes. um die Volksschule, erworben. Am 12. Jan. 1846 ward Pestalozzis 100jähriger Geburtstag an vielen Orten festlich begangen, und seitdem wurden mehrere durch Privatbeiträge gestiftete und unterhaltene Erziehungs-, Bildungs- und Besserungsanstalten, namentlich für die ärmeren Klassen, Pestalozzi-Stiftungen genannt. Vor allen bekannt ist die von Diesterweg 1847 begründete Deutsche Pestalozzi-Stiftung in Berlin, die in Pankow zwei Erziehungshäuser für Lehrerwaisen (zusammen ca. 40 Zöglinge) unterhält. Auch Pestalozzi-Vereine bestehen fast in allen Ländern und Provinzen deutscher Zunge, welche die Unterstützung dürftiger Lehrerwitwen und Lehrerwaisen sich zur Aufgabe stellen. Verbunden mit einer permanenten Schulausstellung (Pestalozzianum) besteht seit 1879 in Zürich ein »Pestalozzistübchen« mit wertvoller Sammlung literarischer und sonstiger Andenken an P. Über Wachstum dieser Sammlung etc. berichten die »Pestalozzi-Blätter« (Zürich 1880 ff.). Glänzend wurde Pestalozzis Andenken 1896 durch die 150jährige Feier seines Geburtstages begangen. Pestalozzis »Sämtliche Schriften« erschienen Stuttgart und Tübingen 1819–26, 15 Bde.; »Sämtliche Werke«, mit erläuternden Einleitungen von Seyffarth, Morf und Hunziker, Berl. und Liegnitz 1881–96, 20 Bde.; hrsg. von Seyffarth Liegnitz 1899–1902, 12 Bde.; in Auswahl hrsg. von Mann (in der »Bibliothek pädagogischer Klassiker«, Langensalza, 4 Bde. in 5. u. 4. Aufl., 1893–1902) und von Natorp (in »Greßlers Klassikern der Pädagogik«, das. 1905, 3 Bde.).

Vgl. Biber, Beitrag zur Biographie H. Pestalozzis (St. Gallen 1827); Blochmann, H. Pestalozzi, Züge aus dem Bild seines Lebens und Wirkens (Leipz. 1846; neue Ausg., Langensalza 1897); Ramsauer, Kurze Skizze meines pädagogischen Lebens (Oldenb. 1838, 2. Aufl. 1880); Christoffel, Pestalozzis Leben und Ansichten in einem Auszug aus Pestalozzis Schriften (Zürich 1846); Morf, Zur Biographie Pestalozzis (Winterthur 1864–89, 4 Bde.); Seyffarth, Joh. Heinrich P. (8. Aufl., Leipz. 1904); Natorp, Pestalozzis Leben und Wirken (Langensalza 1905); Krüsi, P., his life, work and influence (New York 1875); Frau Zehnder-Stadlin, Pestalozzis Idee und Macht der menschlichen Entwickelung (Gotha 1875, Bd. 1); Pompée, Études sur la vie et les travaux de J. H. P. (2.Aufl., Par. 1882); Guimps, Histoire de P. (2. Aufl., Lausanne 1888); Guillaume, P. (Par. 1890); Schneider, Rousseau und P. (5.Aufl., Berl. 1895); Kayser, Joh. Heinr. P. (Zürich 1895); Hunziker, Geschichte der schweizerischen Volksschule, Bd. 2 (das. 1882), P. und Fellenberg (Langensalza 1879), Rousseau und P. (Basel 1885); Vogel, Systematische Darstellung der Pädagogik Pestalozzis (Hannov. 1886); Scherer, Die Pestalozzische Pädagogik (Leipz. 1895); v. Raumer, Geschichte der Pädagogik, Bd. 2 (6. Aufl., Gütersl. 1889); Gundert, J. H. P. (in Schmids »Geschichte der Erziehung«, Bd. 4, Abt. 2, Stuttg. 1898); v. Sallwürk, Pestalozzi (Leipz. 1894); Süß, P. als sittlich-religiöser Erzieher (Weißenburg 1898, 2 Bde.); Rothenberger, P. als Philosoph (Berl. 1898); Pinloche, P. et l'éducation populaire moderne (Par. 1902); Barnard, P. and his educational system (New York 1906); Israel, Versuch einer Zusammenstellung der Schriften von und über P. (Zschopau 1894) und Pestalozzi-Bibliographie (Bd. 25, 29 u. 31 der »Monumenta Germaniae paedagogica

Schwanengesang

Vorrede

Ich habe seit einem halben Jahrhundert mit unermüdeter Thätigkeit gesucht, die Mittel des Volksunterrichts, besonders in ihren Anfangs-Punkten so viel mir möglich zu vereinfachen, und mein Scherflein dazu beyzutragen, dieselben dem Gange, den die Natur in der Entfaltung und Ausbildung der Kräfte der Menschennatur selbst geht, näher zu bringen, und durch diese ganze Zeit mit glühendem Eifer für die Erzielung dieses Endzwecks gearbeitet; aber freylich auch vieles sehr ungeschickt angegriffen und behandelt, und mir dadurch unendliche Leiden zugezogen; aber sie auch mit standhafter Geduld bis jetzt getragen, ohne jemals von der ernsten Bestrebung nach meinem Ziele abzulassen. Bey diesem Gange meines Lebens konnte ich nicht anders, als auf der einen Seite über den Gegenstand meiner Bestrebungen wichtige Erfahrungen machen; anderseits auch zu einigen Resultaten gelangen, die den Freunden der Menschheit und der Erziehung durchaus nicht gleichgültig seyn können. Ich bin nun achtzig Jahre alt, und in diesem Alter hat jeder Mensch Unrecht, wenn er sich nicht jeden Tag so viel als auf dem Todbette liegend ansieht. Ich habe das seit einiger Zeit mehr als je gefühlt. Ich wollte also nicht länger säumen, dem Publikum sowohl über meine dießfälligen Erfahrungen als über ihre gelungenen und mißlungenen Resultate noch vor meinem Absterben eine, so viel mir möglich klare und bestimmte Rechenschaft zu geben. Ich gab meiner Schrift deshalb auch den Titel, den sie trägt.

Freunde der Menschheit! Nehmet es dafür an, und fordert in schriftstellerischer Hinsicht nicht mehr von mir, als ich zu leisten im Stande bin. Mein Leben hat nichts Ganzes, nichts Vollendetes hervorgebracht; meine Schrift kann auch nichts Ganzes und nichts Vollendetes leisten. Gönnet ihr, wie sie ist, Eure prüfende Aufmerksamkeit und würdigt sie in allem dem, was Ihr darin als der Menschheit segenbringend erkennen werdet, Eurer menschenfreundlichen Mitwirkung und einer Theilnahme, die der Gegenstand selber, unabhängend von dem Werth meiner persönlichen Bestrebungen, verdient. Ich wünsche nichts so sehr, als in allem dem, was irgend jemand besser als ich versteht, widerlegt und die Menschheit dadurch besser beholfen zu sehen, als ich es zu thun vermochte. Ich weiß nicht, ob es nothwendig ist, noch beyzufügen, daß ein Mensch in meinem Alter sich oft und gerne wiederholt, und wenn er sich sogar dem Tode nahe fühlt oder gar auf dem Todbette befindet, sich in Gegenständen, die ihm noch vorzüglich am Herzen liegen, nicht genug wiederholen und nicht satt werden kann, davon zu reden, bis sein Athem ihm selber ausgeht. Das nimmt ihm auch kein Mensch übel, sondern man wird allgemein davon gerührt. Ich hoffe also, in meinem Alter und in meiner Lage auch Verzeihung zu erhalten, wenn ich mich in diesen Bogen zum Theil sehr oft wiederholt, zum Theil sehr vieles vergessen habe, das eigentlich hieher gehörte und unter andern Umständen hieher gebracht worden wäre, und glaube jetzt nichts weiter sagen zu müssen, als, wer nähere und bestimmtere Kunde von dem Gange meiner pädagogischen Versuche, seit dem ich an der Spitze meiner Erziehungsanstalten gestanden, wünscht, den muß ich bitten, die gleichzeitig mit dieser Schrift herauskommende Geschichte meiner dießfälligen Bestrebungen zu lesen.

Pestalozzi.

Schwanengesang

Prüfet Alles, behaltet das Gute,

und

wenn etwas Besseres in euch selber gereift,

so setzet es zu dem, was ich euch in diesen Bogen

in Wahrheit und Liebe zu geben versuche, in Wahrheit und Liebe hinzu.

Die Idee der Elementarbildung, für deren theoretische und praktische Erheiterung ich den größten Theil meiner reifern Tage, mir selber in ihrem Umfange mehr und minder bewußt, verwendet, ist nichts anders als die Idee der Naturgemäßheit in der Entfaltung und Ausbildung der Anlagen und Kräfte des Menschengeschlechts.

Aber auch nur von ferne das Wesen und den Umfang der Ansprüche der diesfälligen Naturgemäßheit zu ahnen, fragt sich vor allem aus: Was ist die Menschennatur? Was ist das eigentliche Wesen, was sind die unterscheidenden Merkmale der menschlichen Natur, als solcher? Und ich darf mir keinen Augenblick vorstellen, daß irgend eine von den Kräften und Anlagen, die ich mit den Thieren gemein habe, das ächte Fundament der Menschennatur, als solcher, sey. Ich darf nicht anders, ich muß annehmen, der Umfang der Anlagen und Kräfte, durch welche der Mensch sich von allen Geschöpfen der Erde, die nicht Mensch sind, unterscheidet, sey das eigentliche Wesen der Menschennatur. Ich muß annehmen, nicht mein vergängliches Fleisch und Blut, nicht der thierische Sinn der menschlichen Begierlichkeit, sondern die Anlagen meines menschlichen Herzens, meines menschlichen Geistes und meiner menschlichen Kunstkraft seyen das, was das Menschliche meiner Natur, oder, welches eben so viel ist, meine menschliche Natur selber constituiren; woraus dann natürlich folgt: die Idee der Elementarbildung sey als die Idee der naturgemäßen Entfaltung und Ausbildung der Kräfte und Anlagen des menschlichen Herzens, des menschlichen Geistes und der menschlichen Kunst anzusehn. Die Naturgemäßheit, welche diese Idee in den Entfaltungs- und Bildungsmitteln unserer Kräfte und Anlagen anspricht, fordert demnach eben so gewiß in ihrem ganzen Umfange die Unterordnung der Ansprüche unsrer thierischen Natur unter die höhern Ansprüche des innern, göttlichen Wesens der Anlagen und Kräfte unsers Herzens, unsers Geistes und unserer Kunst; das heißt im Wesen nichts anders als die Unterordnung unsers Fleisches und unsers Bluts unter unsern Geist. Es folgt ferner daraus: der ganze Umfang der Kunstmittel in der naturgemäßen Entfaltung der Kräfte und Anlagen unsers Geschlechts setze, wo nicht eine deutliche Erkenntniß, doch gewiß ein belebtes, inneres Gefühl von dem Gange, den die Natur in der Entfaltung und Ausbildung unserer Kräfte selbst geht, voraus. Dieser Gang ruht auf ewigen, unabänderlichen Gesetzen, die im Wesen jeder einzelnen menschlichen Kraft selbst liegen und in jeder derselben mit einem unauslöschlichen Trieb zu ihrer Entfaltung verbunden sind. Aller Naturgang unsrer Entfaltung geht wesentlich aus diesen Trieben hervor. Der Mensch will alles, wozu er in sich selbst Kraft fühlt, und er muß, vermöge dieser inwohnenden Triebe, das alles wollen.

Das Gefühl dieser Kraft ist der Ausdruck der ewigen, unauslöschlichen und unabänderlichen Gesetze, die in ihrer menschlichen Anlage dem Gange der Natur in ihrer Entfaltung zum Grunde liegen.

Diese Gesetze, die wesentlich aus der Eigenheit jeder einzelnen menschlichen Anlage hervorgehn, sind eben wie die Kräfte, denen diese Gesetze inwohnen, unter sich wesentlich verschieden; aber sie gehen alle, eben wie die Kräfte, denen sie inwohnen, aus der Einheit der Menschennatur hervor, und sind dadurch, bey aller ihrer Verschiedenheit, innig und wesentlich unter einander verbunden und eigentlich nur durch die Harmonie und das Gleichgewicht, in dem sie in unserm Geschlecht bey einander wohnen, für dasselbe wahrhaft und allgemein naturgemäß und menschlich bildend. Es ist eine, sich in allen Verhältnissen bewährende Wahrheit, nur das, was den Menschen in der Gemeinkraft der Menschennatur, d.h. als Herz, Geist und Hand ergreift, nur das ist für ihn wirklich, wahrhaft und naturgemäß bildend; alles, was ihn nicht also, alles, was ihn nicht in der Gemeinkraft seines Wesens ergreift, ergreift ihn nicht naturgemäß und ist für ihn, im ganzen Umfang des Wortes, nicht menschlich bildend. Was ihn nur einseitig, d.i. in einer seiner Kräfte, sey diese jetzt Herzens-, sey sie Geistes- oder Kunstkraft, ergreift, untergräbt und stört das Gleichgewicht unsrer Kräfte und führt zur Unnatur in den Mitteln unsrer Bildung, deren Folge allgemeine Mißbildung und Verkünstlung unsers Geschlechts ist. Ewig können durch die Mittel, welche die Gefühle meines Herzens zu erheben geeignet sind, die Kräfte des menschlichen Geists an sich nicht gebildet, und ebenso wenig können durch die Mittel, durch welche der menschliche Geist naturgemäß gebildet wird, die Kräfte des menschlichen Herzens an sich naturgemäß und genugthuend veredelt werden.

Jede einseitige Entfaltung einer unsrer Kräfte ist keine wahre, keine naturgemäße, sie ist nur Scheinbildung, sie ist das tönende Erz und die klingende Schelle der Menschenbildung und nicht die Menschenbildung selber.

Die wahre, die naturgemäße Bildung führt durch ihr Wesen zum Streben nach Vollkommenheit, zum Streben nach Vollendung der menschlichen Kräfte. Die Einseitigkeit ihrer Bildung aber führt eben so durch ihr Wesen zur Untergrabung, zur Auflösung und endlich zum Absterben der Gemeinkraft der Menschennatur, aus der dieses Streben allein wahrhaft und naturgemäß hervorzugehn vermag. Die Einheit der Kräfte unserer Natur ist unserm Geschlecht als wesentliches Fundament aller menschlichen Mittel zu unserer Veredlung göttlich und ewig gegeben; und es ist auch in dieser Rücksicht ewig wahr: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Thut er es in Rücksicht seiner Bildung, so macht er, nach welcher Richtung er es auch thue, Halbmenschen aus uns, bey denen kein Heil weder zu suchen noch zu finden ist.

Jedes einseitige Übergewicht in der Bildung unserer Kräfte führt zum Selbstbetrug grundloser Anmaßungen, zur Mißkennung seiner Schwächen und Mängel und zur harten Beurtheilung aller derer, die nicht mit den irrthumsvollen Ansichten unserer Einseitigkeit übereinstimmen. Das ist bey Menschen, die Herzens- und Glaubenshalber überschnappen, eben so wahr als bey denen, die ihrer Geisteskraft in liebloser Selbstsucht einen ähnlichen Spielraum der Unnatur und ihres Verderbens eröffnen. Alles einseitige Übergewicht einer einzelnen Kraft führt zur Aufgedunsenheit ihrer Ansprüche, die im Innern ihres Wesens lahm und todt ist. Das ist von der Liebe und vom Glauben eben so wahr als von der Denk-, Kunst- und Berufskraft unsers Geschlechts. Die innern Fundamente der häuslichen und bürgerlichen Segnungen sind in ihrem Wesen Geist und Leben, und die äußern Fertigkeiten, deren Ausbildung das häusliche und bürgerliche Leben auch anspricht, sind ohne das innere Wesen der Fundamente ihres Segens unserm Geschlecht ein Mittel der gefährlichsten Täuschungen und Quellen der vielseitigsten häuslichen und bürgerlichen Unbefriedigtheit und aller Leiden, Kränkungen und Verwilderungen, die sie ihrer Natur nach zur Folge haben und haben müssen.

Das Gleichgewicht der Kräfte, das die Idee der Elementarbildung so wesentlich fordert, setzt ihren Anspruch an die naturgemäße Entfaltung einer jeden der einzelnen Grundkräfte unsrer Natur voraus. Jede derselben entfaltet sich nach ewigen, unveränderlichen Gesetzen, und ihre Entfaltung ist nur in so weit naturgemäß, als sie mit diesen ewigen Gesetzen unsrer Natur selber in Übereinstimmung steht. In jedem Falle und in jeder Art, in der sie mit diesen Gesetzen in Widerspruch kommt, ist sie unnatürlich und naturwidrig. Die Gesetze, die der naturgemäßen Entfaltung jeder einzelnen unsrer Kräfte zum Grunde liegen, sind an sich wesentlich verschieden. Der menschliche Geist bildet sich durchaus nicht naturgemäß nach den Gesetzen, nach welchen das menschliche Herz sich zur reinsten Erhabenheit seiner Kraft emporhebt; und die Gesetze, nach welchen sich unsre Sinne und Glieder naturgemäß ausbilden, sind eben so wesentlich von denen verschieden, die die Kräfte unsers Herzens und unsers Geistes naturgemäß auszubilden geeignet sind.

Aber jede dieser einzelnen Kräfte wird wesentlich nur durch das einfache Mittel ihres Gebrauches naturgemäß entfaltet.

Der Mensch entfaltet das Fundament seines sittlichen Lebens, die Liebe und den Glauben, nur durch die Thatsache der Liebe und des Glaubens selber naturgemäß.

Hinwieder, der Mensch entfaltet das Fundament seiner Geisteskraft, seines Denkens, nur durch die Thatsache des Denkens selber naturgemäß.

Und ebenso entfaltet er die äußern Fundamente seiner Kunst- und Berufskräfte, seine Sinne, Organe und Glieder, nur durch die Thatsache ihres Gebrauches naturgemäß.

Auch wird der Mensch durch die Natur jeder dieser Kräfte in sich selbst angetrieben, sie zu gebrauchen. Das Auge will sehen, das Ohr will hören, der Fuß will gehen und die Hand will greifen. Aber eben so will das Herz glauben und lieben. Der Geist will denken. Es liegt in jeder Anlage der Menschennatur ein Trieb, sich aus dem Zustande ihrer Unbelebtheit und Ungewandtheit zur ausgebildeten Kraft zu erheben, die unausgebildet nur als ein Keim der Kraft und nicht als die Kraft selbst in uns liegt.

Aber so wie sich beym Kinde, das noch nicht gehen kann, die Lust zum Gehen augenblicklich mindert, wenn es bey seinen ersten Versuchen auf die Nase fällt, so mindert sich die Lust zum Glauben in ihm, wenn die Katze, gegen die es das Händchen ausstreckt, es kratzt, und das Hündchen, das es anrühren will, es anbellt und ihm die Zähne zeigt. Hinwieder mindert sich die Lust, seine Denkkraft thatsächlich durch ihren Gebrauch zu entfalten, in ihm nothwendig, wenn die Mittel, durch die man es denken lehren will, seine Denkkraft nicht reizend ansprechen, sondern mühselig belästigen und eher einschläfern und verwirren, als aufwecken und in Übereinstimmung unter sich selbst beleben. Der Gang der Natur in der Entfaltung der menschlichen Kräfte ist, sich allein überlassen, langsam vom Sinnlich-Thierischen unsers Geschlechts ausgehend und von ihm gehemmt. Wenn er sich zur Entfaltung des Menschlichen im Menschen erheben soll, so setzt er einerseits die Handbietung einer erleuchteten Liebe, deren Keim sinnlich beschränkt, instinktartig im Vater-, Mutter-, Bruder- und Schwester-Sinn unsrer Natur liegt, anderseits die erleuchtete Benutzung der Kunst, die sich die Menschheit durch Jahrtausende von Erfahrungen erworben, voraus.

Die Idee der Elementarbildung ist also näher bestimmt nichts anders als das Resultat der Bestrebungen des Menschengeschlechts, dem Gange der Natur in der Entfaltung und Ausbildung unserer Anlagen und Kräfte die Handbietung angedeihen zu lassen, die ihm die erleuchtete Liebe, der gebildete Verstand und der erleuchtete Kunstsinn unsers Geschlechts zu ertheilen vermag.

So heilig und göttlich der Gang der Natur in den Grundlagen zur Entfaltung unsers Geschlechts ist, so ist er, sich selbst allein überlassen, ursprünglich nur thierisch belebt. Es ist die Sorge unsers Geschlechts, es ist das Ziel der Idee der Elementarbildung, es ist das Ziel der Frömmigkeit und der Weisheit, ihn menschlich und göttlich zu beleben.

Fassen wir jetzt diesen Gesichtspunkt in sittlicher, geistiger, häuslicher und bürgerlicher Hinsicht näher ins Auge und fragen wir uns:

I. Wie entfaltet sich das Fundament unsers sittlichen Lebens, die Liebe und der Glaube, thatsächlich, wahrhaft naturgemäß in unserm Geschlecht? und wie werden die ersten Keime unserer sittlichen und religiösen Anlagen, durch den Einfluß menschlicher Sorgfalt und menschlicher Kunst im Kinde von seiner Geburt an naturgemäß belebt, genährt und in ihrem Wachsthum also gestärkt, daß die letzten höhern Resultate der Sittlichkeit und Religiosität und ihr Segen als durch sie menschlich, aber wahrhaft und naturgemäß begründet und vorbereitet anzusehen sind? so finden wir, es ist der gesicherte, ruhige Fortgenuß seiner physischen Bedürfnisse, was die ersten Keime der sittlichen Kräfte des Säuglings von seiner Geburt an naturgemäß belebt und entfaltet; es ist die heilige Muttersorge, es ist die instinktartig in ihm belebte Aufmerksamkeit auf augenblickliche Stillung jedes Bedürfnisses, dessen Nichtbefriedigung das Kind sinnlich zu beunruhigen geeignet ist, was wir bey ihm als die erste, aber wesentlichste Vorbereitung und Anbahnung des Zustandes anerkennen müssen, in dem sich die sinnlichen Keime des Vertrauens gegen die Quelle dieser Befriedigung und mit ihnen die ersten Keime der Liebe zu derselben entfalten, und es ist in der Belebung dieser ersten, sinnlichen Keime des Vertrauens und der Liebe, woraus auch die ersten, sinnlichen Keime der Sittlichkeit und der Religiosität hervorgehen und sich entfalten.

Darum ist die Entfaltung der stillen Ruhe und Befriedigung im Säugekind, und ihre Benutzung für die Belebung der noch schlafenden Keime der Gefühle, welche uns von allen Wesen der Schöpfung, die nicht Mensch sind, unterscheidet, für die Bildung zur Menschlichkeit in der Erziehung unsers Geschlechts von der äußersten Wichtigkeit.

Jede Unruhe, die in diesem Zeitpunkte das vegetirende Leben des Kindes stört, legt den Grund zur Belebung und Stärkung aller Reize und Ansprüche unsrer sinnlichen, thierischen Natur und zur Abschwächung aller wesentlichen Fundamente der naturgemäßen Entfaltung aller Anlagen und Kräfte, die das eigentliche Wesen der Menschlichkeit selber constituiren.

Die erste und lebendigste Sorge für die Erhaltung dieser Ruhe in der frühesten Epoche des kindlichen Lebens ist von der Natur in das Herz der Mutter gelegt. Sie spricht sich in unserm Geschlecht allgemein durch die, ihr inwohnende, Mutterkraft und Muttertreue aus. Der Mangel dieser Kraft und dieser Treue ist mütterliche Unnatur; er ist eine Folge des widernatürlichen Verderbens des Mutterherzens. Wo dieses ist, da ist auch das wirksame Daseyn der Vaterkraft, das bildende Daseyn des Bruder- und Schwester-Sinnes und mit ihm der bildende Segen des häuslichen Lebens in seinem ersten, reinsten Belebungsmittel verlassen und dadurch untergraben. Dieser gründet sich in seinem Ursprung und in seinem Wesen auf das belebte Daseyn der Mutterkraft und Muttertreue; und so wie die Sorge für die Ruhe des Kindes in der ersten Epoche seines Lebens im allgemeinen nur beym Daseyn dieser Kraft und dieser Treue denkbar ist, so ist die Erhaltung dieser Kraft und dieser Treue nur durch die Fortsetzung der naturgemäßen Ausbildung seiner sittlichen Kraft denkbar.

Das Wesen der Menschlichkeit entfaltet sich nur in der Ruhe. Ohne sie verliert die Liebe alle Kraft ihrer Wahrheit und ihres Segens. Die Unruhe ist in ihrem Wesen das Kind sinnlicher Leiden oder sinnlicher Gelüste; sie ist entweder das Kind der bösen Noth oder der noch bösern Selbstsucht; in allen Fällen aber ist sie die Mutter der Lieblosigkeit, des Unglaubens und aller Folgen, die ihrer Natur nach aus Lieblosigkeit und Unglauben entspringen.

So wichtig ist die Sorge für die Ruhe des Kindes und der sie sichernden Mutterkraft und Muttertreue, so wie für die Verhütung aller sinnlichen Reize zur Unruhe in dieser Epoche.

Diese Reize gehen sowohl aus Mangel liebevoller Sorgfalt für die Befriedigung wahrer sinnlicher Bedürfnisse, als aus Überfüllung mit unnützen, die thierische Selbstsucht reizenden, sinnlichen Genießungen hervor. Wo die Mutter dem, nach ihr schreyenden Wiegenkinde oft und unregelmäßig mangelt, und das, im Gefühl des Bedürfnisses, das sie stillen sollte, unbehaglich liegende Kind oft und viel so lange warten muß, bis dieses Gefühl ihm Leiden, Noth und Schmerz wird, da ist der Keim der bösen Unruhe und aller ihrer Folgen in ihm in einem hohen Grad entfaltet und belebt, und die also verspätete Befriedigung seiner Bedürfnisse ist dann nicht mehr geeignet, die heiligen Keime der Liebe und des Vertrauens gegen die Mutter, wie es sollte, naturgemäß zu entfalten und zu beleben. Der erste Keim der thierischen Verwilderung, die böse Unruhe, tritt dann im Kind an die Stelle der durch Befriedigung zu erzeugenden Ruhe, in der sich die Keime der Liebe und des Vertrauens allein naturgemäß entfalten.

Die, in den ersten Tagen belebte Unruhe des Wiegenkindes entfaltet dann so viel als nothwendig die ersten Keime der empörten Gefühle der sinnlichen, physischen Selbstkraft und ihre Neigung zur thierischen Gewaltthätigkeit und mit ihm die Hölle des unsittlichen, irreligiösen, das innere, göttliche Wesen der Menschlichkeit selber mißkennenden und verläugnenden Weltgeistes.

Das Kind, das, aus Mangel an mütterlicher Befriedigung seiner Bedürfnisse, durch seine Leiden innerlich empört wird, stürzt dann, wie ein hungriges und durstiges Thier, an die Brust seiner Mutter, an die es sich, sein Bedürfniß nur leicht fühlend, menschlich froh anlegen sollte. Sey die Ursache davon, was sie wolle, wo dem Kind die zarte Hand und das lächelnde Auge der Mutter mangelt, da entfaltet sich auch in seinem Auge und in seinem Munde das Lächeln und die Anmuth nicht, die ihm in seinem beruhigten Zustande so natürlich ist. Dieser erste Zeuge des erwachenden Lebens der Menschlichkeit mangelt im beunruhigten Kinde; im Gegentheil, es erscheinen in ihm alle Zeichen der Unruhe und des Mißtrauens, welche die Entfaltung der Liebe und des Glaubens gleichsam im ersten Entkeimen stocken machen, verwirren und das Kind so im Wesen seiner ersten Entfaltung zur Menschlichkeit gefährden.

Aber auch das Überfüllen des Kindes mit sinnlichen Genüssen, für welche es im ruhigen, sinnlich nicht unnatürlich gereizten Zustande kein Bedürfniß in sich selbst fühlt, untergräbt den Segen der heiligen Ruhe, in dem sich die Keime der Liebe und des Vertrauens naturgemäß entfalten, und erzeugt hinwieder ebenso den Unsegen der sinnlichen Unruhe und der Folgen ihres Mißtrauens und ihrer Gewaltthätigkeit.

Die reiche Thörin, die, in welchem Stande sie auch sey, ihr Kind täglich mit sinnlichen Genießungen überfüllt, bringt thierische Unnatur nach Gelusten in dasselbe, die kein reales Fundament in den wirklichen Bedürfnissen der Menschennatur haben, sondern vielmehr in ihren Folgen der soliden Befriedigung derselben unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen geeignet sind, indem sie die Kräfte, deren es zur sichern und selbstständigen Befriedigung dieser Bedürfnisse durch sein Leben unumgänglich bedarf, in ihm schon in der Wiege untergraben, verwirren und erlahmen machen und dadurch in ihm leicht und beynahe nothwendig zu einer unversieglichen Quelle immer wachsender Unruhen, Sorgen, Leiden und Gewaltthätigkeiten ausarten. Die wahre mütterliche Sorge für die erste, reine Belebung der Menschlichkeit im Kind, aus der das höhere Wesen seiner Sittlichkeit und Religiosität, menschlicherweise davon zu reden, hervorgeht, beschränkt ihre Sorgfalt auf die reelle Befriedigung seiner wahren Bedürfnisse. Die erleuchtete und besonnene Mutter lebt für ihr Kind im Dienst ihrer Liebe, aber nicht im Dienst einer Laune und seiner thierisch gereizten und belebten Selbstsucht.

Die Naturgemäßheit der Sorgfalt, mit der sie die Ruhe des Kindes befördert, ist nicht geeignet, seine Sinnlichkeit zu reizen, sondern nur seine sinnlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie, die Naturgemäßheit der mütterlichen Sorgfalt, wenn sie schon instinktartig in ihr belebt ist, steht dennoch mit den Ansprüchen ihres Geistes und ihres Herzens in Harmonie; sie ist geistig und herzlich begründet, und instinktartig nur belebt, also durchaus nicht eine Folge des Unterliegens ihrer edlern, höhern Anlagen unter den sinnlichen Gelüsten ihres Fleisches und ihres Blutes, sondern nur eine Mitwirkung ihres Fleisches und ihres Blutes zum Resultat der Bestrebungen ihres Geistes und ihres Herzens.

Auf dieser Bahn ist es, daß der Einfluß der Mutterkraft und der Muttertreue bey ihrem Säuglinge die ersten Spuren der Liebe und des Glaubens naturgemäß entfaltet und zugleich den segensvollen Eindruck der Vaterkraft, des Bruder- und Schwester-Sinnes vorzubereiten und zu begründen, und so allmälig den Sinn der Liebe und des Vertrauens über den ganzen Kreis des häuslichen Lebens auszudehnen geeignet ist. Die sinnliche Liebe und der sinnliche Glaube an die Mutter erhebt sich auf dieser Bahn zu einer menschlichen Liebe und zu einem menschlichen Glauben. Von der Liebe zur Mutter ausgehend, spricht er sich in der Liebe zum Vater und zu seinen Geschwistern und im Glauben an sie aus.

Der Kreis der menschlichen Liebe und des menschlichen Glaubens des Kindes dehnt sich immer mehr aus. Wen die Mutter liebt, den liebt ihr Kind auch. Wem die Mutter traut, dem traut es auch. Selber wenn die Mutter von einem fremden Manne, den es noch nie gesehen, sagt: »Er liebt dich, du mußt ihm trauen, er ist ein guter Mann, gib ihm dein Händchen!«, so lächelt es ihn an und gibt ihm gerne das Händchen seiner Unschuld. So hinwieder, wenn sie zu ihm sagt: »Du hast einen Großvater in fernen Landen, dem du lieb bist,« so glaubt es an seine Liebe; es redet gerne mit der Mutter vom Großvater, glaubt an seine Liebe und hofft auf sein Erbe. Und ebenso wenn sie zu ihm sagt: »Ich habe einen Vater im Himmel, von dem alles Gute kommt, das du und ich besitzen,« so glaubt das Kind auf das Wort seiner Mutter an ihren Vater im Himmel. Und wenn sie als Christin zu ihm betet und in der Bibel liest und an den Geist der Liebe, der in seinem Wort herrscht, glaubt und von ihm belebt ist, so betet das Kind mit seiner Mutter gerne zu ihrem Vater im Himmel, glaubt an das Wort seiner Liebe, dessen Geist es im Thun und Lassen seiner Mutter schon in seiner sinnlichen Unmündigkeit erkennen lernt. So ist es, daß das Kind des Menschen an der Hand seiner Mutter sich naturgemäß vom sinnlichen Glauben und von der sinnlichen Liebe zur menschlichen Liebe und zum menschlichen Glauben und von diesen zum reinen Sinn des wahren christlichen Glaubens und der wahren christlichen Liebe erhebt. Und diese Bahn ist es auch, in welcher die Idee der Elementarbildung das sittliche und religiöse Leben des Kindes von der Wiege auf menschlich zu begründen, zum Ziel ihrer Bestrebungen zu machen sucht.

Ich schreite weiter und frage mich:

II. Wie entfalten sich die Fundamente des geistigen Lebens des Menschen, die Fundamente seiner Denkkraft, seiner Überlegung und seines Forschens und Urtheilens naturgemäß in unserm Geschlechte? Wir finden, die Bildung unsrer Denkkraft geht von dem Eindruck aus, den die Anschauung aller Gegenstände auf uns macht und die, indem sie unsre innern oder äußern Sinne berühren, den, unsrer Geisteskraft wesentlich inwohnenden Trieb, sich selber zu entfalten, anregen und beleben.

Diese, durch den Selbsttrieb der Denkkraft belebte Anschauung führt ihrer Natur nach vor allem aus zum Bewußtseyn des Eindrucks, den die Gegenstände der Anschauung auf uns gemacht haben, und mithin zur sinnlichen Erkenntniß derselben. Sie erzeugt dadurch nothwendig das Gefühl des Bedürfnisses von Ausdrücken, die die Eindrücke unsrer Anschauung auf uns gemacht haben; und vor allem aus das Gefühl des Bedürfnisses der Mimik, zugleich, aber noch weit mehr und weit menschlicher das Gefühl des Bedürfnisses der Sprachkraft, deren Entfaltung den diesfälligen Gebrauch der Mimik sogleich überflüssig macht.

Diese, der Ausbildung der Denkkraft wesentliche Sprachkraft unsers Geschlechts ist hauptsächlich als eine Dienstkraft der Menschennatur, um uns die durch Anschauung erworbenen Kenntnisse fruchtbar und allgemein zu machen, anzusehen. Sie bildet sich auch von Anfang an nur im festen Zusammenhang mit dem Wachsthum und der Ausdehnung der menschlichen Anschauungserkenntnisse naturgemäß aus; und diese gehen ihr auch allgemein vor. Das menschliche Geschlecht kann über nichts naturgemäß reden, das es nicht erkannt hat. Es kann über nichts auf eine andere Weise reden, als wie es dasselbe erkannt hat. Was es oberflächlich erkannt, davon redet es oberflächlich; was es unrichtig erkannt, davon redet es auch unrichtig, und was diesfalls von Anfang wahr war, das ist es auch jetzt noch.

Die Naturgemäßheit der Erlernung der Muttersprache und jeder andern Sprache ist an die, durch Anschauung erworbene Erkenntniß gebunden, und der naturgemäße Gang der Kunst in der Erlernung von beyden muß mit dem Gange der Natur, nach welchem die Eindrücke unsrer Anschauungen in Erkenntnisse hinübergehen, wesentlich in Übereinstimmung stehen. Fassen wir diesen Gesichtspunkt in Rücksicht auf die Erlernung der Muttersprache ins Auge, so finden wir: Wie alles unterschieden und wesentlich Menschliche sich nur langsam aus dem Thierischen unsrer sinnlichen Natur, aus dem es hervortritt, stufenweise entfaltet, so bildet sich auch die Muttersprache, sowohl in Rücksicht auf das Sprachorgan als auf die Erkenntniß der Sprache selber, in langsamen Stufenfolgen. Das Mutterkind kann so lange nicht reden, bis seine Sprachorgane gebildet sind. Es kennt aber auch anfänglich soviel als gar nichts und kann also über gar nichts reden wollen. Sein Wille und seine Kraft zum Reden bildet sich nur nach Maßgabe der Erkenntniß, die es allmälig durch die Anschauung gewinnt. Die Natur kennt keinen andern Weg, das unmündige Kind reden zu lehren, und die Kunst muß in ihrer Nachhülfe zum nämlichen Ziele mit ihm eben diesen langsamen Weg gehen, aber ihns auch mit allen Reizen, die sowohl die Erscheinung der Gegenstände in den Umgebungen des Kindes, als in dem Eindruck des Klanges in der Verschiedenheit der Töne, deren die Sprachorgane fähig sind, auf dasselbe haben, zu begleiten und zu befördern suchen. Um das Kind reden zu lehren, muß die Mutter die Natur selber mit allen Reizen, die das Hören, Sehen und Fühlen etc. auf seine Organe hat, auf dasselbe einwirken machen. So wie das Bewußtseyn dessen, was es sieht, hört, fühlt, riecht und schmeckt, in ihm belebt ist, so wird auch sein Wille, Ausdrücke für diese Eindrücke zu kennen und sie brauchen zu können, d.h. sein Wille, darüber reden zu lernen, sich in ihm immer stärker aussprechen, und seine Kraft, es zu können, sich bey ihm ausdehnen.

Auch den Reiz der Töne muß die Mutter zu diesem Zwecke benutzen. Wenn und in soweit es ihr daran liegt, ihr Kind geschwind reden zu lehren, muß sie ihm die Sprachtöne bald laut, bald leise, bald singend, bald lachend u.s.w., immer wechselnd mit lebendiger Munterkeit und so vor die Ohren bringen, daß es die Lust, sie ihr nachzulallen, nothwendig in sich selbst fühlen muß; und ebenso muß sie ihre Worte mit dem Eindruck der Gegenstände, deren Namen sie dem Kind ins Gedächtniß bringen will, begleiten. Sie muß ihm diese Gegenstände in den wichtigsten Verhältnissen und in den verschiedensten und belebendsten Lagen vor die Sinne bringen und vor den Sinnen festhalten, und in der Einübung der Ausdrücke derselben nur in dem Grad vorschreiten, in welchem ihr Eindruck durch die Anschauung im Kinde selber gereift ist. Die Kunst oder vielmehr die erleuchtete Muttersorge und Muttertreue kann die Langsamkeit dieses Naturganges in der Erlernung der Muttersprache vergeschwindern und beleben, und es ist eine Aufgabe der Elementarbildung, die Mittel dieser Vergeschwinderung und Belebung zu erforschen und den Müttern mit Klarheit und Bestimmtheit in Reihenfolgen geordneter Übungen vor die Augen zu legen, die dieses zu erzielen geeignet sind. So wie die Kunst dieses thut, wird sich ganz gewiß das Herz der Mutter für diese Mittel offen und bereitet finden, sie mit inniger Liebe zu ergreifen und für ihr Kind zu benutzen.

Die naturgemäße Erlernung jeder andern als der Muttersprache, geht diesen langsamen Gang gar nicht. Das Kind, das eine fremde, sey es eine alte oder eine neue, Sprache lernt, hat

1. schon gewandte Sprachorgane. Es hat bey jeder fremden Sprache nur einige wenige, dieser Sprache eigene Töne seinen, an sich im allgemeinen schon kraftvollen Sprachorganen einzuüben.

2. Sind in dem Alter, in dem ein Kind fremde, neue oder alte Sprachen lernt, Millionen Erkenntnisse durch die Anschauung auf eine Weise in ihm zum gereiften Bewußtseyn gelangt, daß es sie in der Muttersprache mit der höchsten Bestimmtheit auszudrücken im Stande ist. Daher denn auch die Erlernung jeder neuen Sprache in ihrem Wesen für dasselbe nichts anders ist, als die Erlernung, Töne, deren Bedeutung ihm in der Muttersprache bekannt ist, in Töne, die ihm noch nicht bekannt sind, zu umwandeln. Die Kunst, diese Umwandlung durch mnemonische Mittel zu erleichtern und in psychologisch geordnete Reihenfolgen von Übungen zu bringen, welche die Verdeutlichung und Erheiterung der Begriffe, deren wörtliche Erkenntniß dem Kind mnemonisch erleichtert wird, naturgemäß und nothwendig zu ihrer Folge haben muß, ist hinwieder als eine der wesentlichsten Aufgaben der Idee der Elementarbildung anzusehen. Das Bedürfniß einer psychologischen Begründung der Anfangspunkte der Sprachlehre wird allgemein gefühlt, und ich glaube bey meinen schon vor einem halben Jahrhundert begonnenen und ununterbrochen betriebenen Versuchen, den Volksunterricht in seinen Anfangspunkten zu vereinfachen, zu einigen naturgemäßen, dießfalls fruchtbaren Mitteln, dieses wichtige Ziel zu erreichen, gekommen zu seyn.

Um aber den Faden meiner Darlegung der Idee der Elementarbildung nicht aus den Händen zu verlieren, kehre ich zum Gesichtspunkt zurück, daß die von der Anschauung ausgehende Geistesbildung in der naturgemäßen Sprachlehre ihren ersten Kunstbehelf suchen muß. Dieser Behelf geht, als zur Verdeutlichung der Erkenntnisse dienend, aus der Anschauung hervor. Die Geistesbildung aber erfordert ihrer Natur nach weiter führende Fundamente. Sie fordert Kunstmittel zur naturgemäßen Entfaltung der Kräfte, die durch die Anschauung erkannten und in sich zum klaren Bewußtseyn gebrachten Gegenstände selbstständig zusammenzustellen, zu trennen und zu vergleichen, und dadurch die Anlage, über sie, über ihr Wesen und über ihre Beschaffenheit richtig zu urtheilen, zur wirklichen Denkkraft zu erheben.

Die Geistesbildung und die von ihr abhängende Cultur unsers Geschlechts fordert fortdauernde Ausbildung der logischen Kunstmittel zur naturgemäßen Entfaltung unsrer Denk-, Forschungs-und Urtheilskräfte, zu deren Erkenntniß und Benutzung sich das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden erhoben. Diese Mittel gehen in ihrem Wesen und Umfange aus der uns inwohnenden Kraft hervor, die durch die Anschauung zum klaren Bewußtseyn gekommenen Gegenstände in uns selbst frey und selbstständig zusammenzustellen, zu trennen und zu vergleichen, d.h. logisch ins Auge zu fassen und zu bearbeiten und uns dadurch zur gebildeten menschlichen Urtheilskraft zu erheben.

Diese Mittel der Kunst, das Denkvermögen unsers Geschlechts zur gebildeten Urtheilskraft zu erheben, sie in ihrem Wesen zu erforschen und zur allgemeinen Brauchbarkeit und Anwendbarkeit auszuarbeiten, ist hinwieder eine der wesentlichsten Bestrebungen der Idee der Elementarbildung. Und da die Kraft, durch die Anschauung deutlich erkannte Gegenstände logisch zu bearbeiten, offenbar in der gebildeten Kraft, zu zählen und zu messen, ihre erste, naturgemäßeste Anregung und Belebung findet, so ist klar, daß in der vereinfachten Bearbeitung der Zahl- und Formlehre das vorzüglichste Mittel zu diesem wichtigen Zweck der Menschenbildung gesucht und anerkannt werden muß, und warum die Idee der Elementarbildung die psychologisch bearbeitete und vereinfachte Zahl- und Formlehre, in Verbindung mit der ebenso vereinfachten Sprachlehre, gemeinsam als das tiefste, einwirkendste, allgemeine Fundament der naturgemäßen Kunstausbildung der menschlichen Denkkraft anerkennt und anspricht.

In Rücksicht auf die elementarisch zu bearbeitende Zahl- und Formlehre ist der Eindruck merkwürdig, den unsre ersten Versuche darüber schon in Burgdorf auffallend allgemein machten. Noch merkwürdiger aber ist, wie unwidersprechlich die spätern Resultate dieser in Burgdorf höchst einseitig begonnenen und später in einen so tödtlich sterbenden Zustand versunkenen Versuche es allein möglich machten, daß meine, so lange in sich selbst zerrüttete, ganze Reihen von Jahren in offenem Aufruhr um ihre Erhaltung kämpfende und am Rande ihres Abgrunds gestandene Anstalt sich bis auf diese Stunde zu erhalten vermochte1 und gegenwärtig, bey der immer wachsenden Abschwächung und beynahe vollkommenen Zernichtung aller ihrer äußern Mittel, in der Errichtung einer Anstalt von Erziehern und Erzieherinnen, mitten im Anschein ihres nahen Erlöschens, noch einen hohen Funken innerer Lebenskraft zeigt, dessen bedeutende Erscheinung die Hoffnung ihrer Errettung auch jetzo nicht ganz in mir auszulöschen vermag.

III. Wenn wir uns drittens fragen: Wie entfalten sich die Fundamente der Kunst, aus denen alle Mittel, die Produkte des menschlichen Geistes äußerlich darzustellen und den Trieben des menschlichen Herzens äußerlich Erfolg und Wirksamkeit zu verschaffen, hervorgehen und durch welche alle Fertigkeiten, deren das häusliche und bürgerliche Leben bedarf, gebildet werden müssen? so sehen wir sogleich, diese Fundamente sind innerlich und äußerlich, sie sind geistig und physisch. Aber wir sehen auch eben sowohl, daß das innere Wesen der Ausbildung aller Kunst- und Berufskräfte in der Ausbildung der geistigen Kraft der Menschennatur, in der Ausbildung seiner Denk- und seiner Urtheilskraft, die in ihrem Wesen von der naturgemäßen Ausbildung seiner Anschauungskraft ausgeht, besteht. Wir können die Wahrheit nicht verkennen, daß, wer zum Rechnen und Messen und dem dießfalls beywohnenden Zeichnen wohl, d.h. naturgemäß und genugthuend angeführt ist, die innern, wesentlichen Fundamente aller Kunst und aller Kunstfertigkeit in sich selbst trägt, und daß er nur noch die äußern Kräfte seiner Sinne und Glieder in Übereinstimmung mit seiner innerlich entfalteten Kunstkraft für den bestimmten Zweck der Fertigkeiten derjenigen Kunst, die er erlernen will, mechanisch auszubilden nothwendig hat.

So wie die elementarisch bearbeitete Zahl- und Formlehre ihrer Natur nach als die eigentliche Gymnastik der geistigen Kunstkraft angesehen werden muß, so müssen hingegen die mechanischen Übungen der Sinne und der Glieder, die zur Ausbildung der äußern Kunstfertigkeiten nothwendig sind, als die physische Gymnastik der Kunstkraft angesehen und erkannt werden.

Die elementarische Ausbildung der Kunstkraft, wovon die Berufskraft nur als eine specielle, auf den Stand und das Verhältniß eines jeden Individuums passende Anwendung dieser Kraft angesehen werden muß, ruht also auf zwey in ihrem Wesen verschiedenen Fundamenten, und ihre naturgemäßen Mittel gehen aus der Belebung und Ausbildung zweyer, von einander verschiedener Grundkräfte, der geistigen und der physischen, hervor, werden aber auch nur durch die gemeinsame und mit ihnen verbundene Belebung und Ausbildung der drey Grundkräfte der Cultur unsers Geschlechts Mittel der wahren, menschlichen Bildung, oder welches eben so viel ist, wirkliche und naturgemäße Bildungsmittel des Eigenthümlichen der Menschlichkeit, das in unsrer Natur liegt. Ich habe das Wesen der elementarischen Ausbildung dieser Mittel in ihren sittlichen und geistigen Fundamenten berührt; ich berühre es noch in ihrem physischen. Wie der wesentliche Reiz der Ausbildung unsrer sittlichen und geistigen Kräfte in ihrem Naturtrieb, sich selber zu entfalten, selbst liegt, so liegen die wesentlichen Reize zur naturgemäßen Ausbildung der Kunstkraft, auch in physischer Hinsicht, in dem Selbsttrieb dieser Kräfte, sich selber zu entfalten, der auch in dieser Hinsicht im Wesen unsrer Sinne, Organe und Glieder liegt, und geistig und physisch belebt, uns die Neigung zur Anwendung dieser Kräfte so viel als nothwendig macht. Von Seite dieser Belebung hat die Kunst eigentlich wenig zu thun. Der physische Antrieb, Sinne und Glieder zu gebrauchen, ist wesentlich thierisch und instinktartig belebt. Die Unterordnung seiner instinktartigen Belebung unter die Gesetze der sittlichen und geistigen Fundamente der Kunst ist das, was die elementarische Bestrebung zur naturgemäßen Entfaltung unsrer dießfälligen Kraft eigentlich zu thun hat, und hierin wird sie vorzüglich von der Gewaltskraft, die in den Umständen und Verhältnissen eines jeden Individuums und in dem Einfluß des häuslichen Lebens, in dem sich diese Gewaltskraft in sittlicher, geistiger und physischer Hinsicht im Umfang ihrer Mittel concentrirt, unterstützt und belebt. Die sorgfältige und weise Benutzung der Bildungsmittel des häuslichen Lebens ist also in physischer Hinsicht so wichtig, als sie es in sittlicher und geistiger Hinsicht auch ist. Die Ungleichheit dieser Mittel wird durch die Verschiedenheit der Lagen und Verhältnisse des häuslichen Lebens, in welchem sich jedes Individuum persönlich befindet, bestimmt; aber mitten im Wirrwar der Verschiedenheit der Bildungsmittel zur Anwendung der Grundkräfte unsrer Natur ist das Wesen der Entfaltung dieser Mittel in physischer, eben wie in sittlicher und geistiger Hinsicht ewigen und unveränderlichen Gesetzen unterworfen, folglich allenthalben sich selbst gleich.

Es geht in der Bildung des Kindes von der Aufmerksamkeit auf die Richtigkeit jeder Kunstform zur Kraft in der Darstellung derselben, von dieser zum Bestreben, jede in Rücksicht auf Richtigkeit und Kraft wohl eingeübte Form mit Leichtigkeit und Zartheit darzustellen, hinüber, und von der eingeübten Richtigkeit, Kraft und Zartheit derselben schreitet es zur Freiheit und Selbstständigkeit in der Darstellung seiner Formen und Fertigkeiten empor. Das ist der Gang, den die Natur in der Ausbildung unsers Geschlechts zur Kunst allgemein geht und allgemein gehen muß; und indem sie in der Stufenfolge ihrer Bildungsmittel dem Zöglinge die Fertigkeit in der Richtigkeit, Kraft und Zartheit bis auf einen gewissen, gegenseitig gleichförmigen Grad der Vollendung einzeln einübt, kommt sie auch dahin, daß die Resultate dieser einzelnen Übungen unter sich in Übereinstimmung und Harmonie gelangen und dadurch sich zu einer Gemeinkraft der Kunst erheben, ohne welche der Mensch weder sich selbst durch die Kunst veredeln, noch selber zu einem soliden, in ihm selbst wahrhaft begründeten Streben nach der Vollkommenheit irgend einer wirklichen Kunst zu gelangen vermag.

Dieser naturgemäße Gang der Entfaltung der mechanischen Fundamente der Kunstkraft ist mit dem Gange der Natur in der Entfaltung der innern, geistigen Fundamente derselben in vollkommener Übereinstimmung, und bahnt ihr überhaupt den naturgemäßen Weg, mit den Fundamenten der Herzens- und Geistes-Bildung in Harmonie zu gelangen und so die naturgemäßen Bildungsmittel der Liebe und des Glaubens mit den naturgemäßen Bildungsmitteln der Kunstkraft (eben wie dieses auch in Rücksicht auf diejenigen der Denkkraft der Fall ist) zu vereinigen, ohne welche das Gleichgewicht unsrer Kräfte, dieses hohe Zeugniß der aus der Einheit unsers Wesens hervorgehenden Gemeinkraft unsrer Natur im Allgemeinen in ihren ersten Begründungsmitteln nicht einmal denkbar, viel weniger erreichbar ist.