Wie man führt, ohne zu dominieren - Rolf Arnold - E-Book

Wie man führt, ohne zu dominieren E-Book

Rolf Arnold

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Beschreibung

Ob im Beruf, im Ehrenamt oder sonstwo – beim Versuch, Menschen zu "führen", kann man schnell an Grenzen stoßen – an die eigenen und die der anderen. Wie überwindet man sie? Wie kann man Führung beanspruchen und dabei seine Ziele in der Kooperation mit anderen umsetzen? Kluge Führung fördert Kontexte, sie gestaltet Beziehungen und schafft "Spirit", indem sie die Eigendynamik von Gruppen, Teams oder Organisationen stärkt. Klug Führende greifen nur selten zu Machtworten oder gar Machtmitteln, auch wenn sie diese kennen und zu handhaben wissen. Kluge Führung ist (und bleibt) riskant, denn wer nach ihr handelt, bewegt sich nicht in einer Welt der Wenn-dann-Gewissheiten. Rolf Arnold stellt das Handwerkszeug für eine wirksame Gestaltung "typische" Führungsanforderungen in dieser Welt bereit. Er stützt sich zum einen auf aktuelle Erkenntnisse aus der Führungsforschung, und zum anderen auf seine umfangreiche Praxiserfahrung, die er während fast dreier Jahrzehnte in unterschiedlichen Führungsfunktionen sowie als Berater und Supervisor von Unternehmen und Organisationen weltweit gesammelt hat. Der Autor erwartet von seinen Lesern, die 29 Regeln nicht als Rezepte zu verstehen, sondern als Aufforderung zur Selbstreflexion. So ist die letzte der 29 Regeln zugleich bezeichnend für einen klugen Führungsstil: Misstrauen Sie Regeln und erforschen Sie Ihre eigene Regelhaftigkeit!

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Rolf Arnold

Wie man führt, ohne zu dominieren

29 Regeln für ein kluges Leadership

Vierte Auflage, 2019

Umschlaggestaltung: Uwe Göbel

Satz: Verlagsservice Hegele, Heiligkreuzsteinach

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Vierte Auflage, 2019

ISBN 978-3-89670-833-5

ISBN 978-3-8497-8450-8 (ePub)

© 2012, 2019 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

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Inhalt

Vorwort

Regeln der Führungsklugheit

Regel 1: Zeigen Sie, wie Sie sich vergewissern, aber stiften Sie Gewissheit!

Regel 2: Üben Sie sich im Visualisieren!

Regel 3: Entdecken und stärken Sie Talente und Potenziale!

Regel 4: Fokussieren Sie in Reflexions-Auszeiten die strategischen Leitlinien Ihrer Organisation, visualisieren und präzisieren Sie diese!

Regel 5: Kümmern Sie sich gezielt um die Infragestellung der Gewissheiten, die ihre Entscheidungen und ihr Handeln bestimmen!

Regel 6: Regen Sie kreative Bilder zu den Aufgaben und Anforderungen an!

Regel 7: Gewährleisten Sie eine systematische Außenwahrnehmung und präzisieren Sie Kriterien oder Kennzahlen für eine informierte Erfolgsbeurteilung!

Regel 8: Entwickeln Sie Verständnis für die soziale Lebenswelt ihres Gegenübers!

Regel 9: Führen Sie regelmäßig und gezielt Sondierungsgespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern!

Regel 10: Üben Sie sich in der Durchführung von Mitarbeitergesprächen!

Regel 11: Üben Sie sich in der Kunst eines »vielsagenden Schweigens« in Besprechungen!

Regel 12: Inszenieren Sie bewusst die Auseinandersetzung mit Neuem!

Regel 13: Üben Sie sich im Kompetenzdialog!

Vier Schritte eines Kompetenzdialogs

Regel 14: Fördern Sie gezielt die Teamentwicklung!

Der Teambildungsprozess

Regel 15: Gestalten Sie die Lernende Organisation!

Regel 16: Üben Sie sich im Capacity Building, der systematischen Förderung der personellen und organisatorischen Vernetzung!

Führen durch Vernetzung

Führung als Moderation der betrieblichen Selbstorganisation

Basis: Neue Wege des Denkens und der Wahrnehmung

Regel 17: Öffnen Sie sich für das Unerwartete und werden Sie sein Freund!

Regel 18: Meiden Sie ausgetüftelte Powerpoint-Präsentationen!

Regel 19: Lernen Sie, sich selbst umso mehr zu misstrauen, je sicherer und entschiedener Sie urteilen!

Es handelt mich? Es führt mich?

Regel 20: Vergewissern Sie sich Ihrer inneren Bilder von Führung und Loyalität!

Regel 21: Prüfen Sie Ihre Haltung und die Motive, aus denen heraus Sie führen!

Regel 22: Kommunizieren Sie eleganter!

10 Kommunikationsregeln

Regel 23: Erfinden Sie sich Ihre »schwierigen Kollegen« neu und üben Sie den Emergenz-Blick!

Regel 24: Üben Sie sich in der Veränderung durch Selbstveränderung!

Regel 25: Bringen Sie den »eiskalten Manager« in sich zum Schweigen und werden Sie zur menschlichen Führungskraft!

»Ich sorge mich um das Wohlergehen ›meiner Leute‹«

Regel 26: Akzeptieren Sie die Grenzen der Führung und üben Sie sich im Dissensmanagement!

Regel 27: Vermeiden Sie die Individualisierungs- und Personalisierungsfalle! Arbeiten Sie mit Synergiemarkern!

Regel 28: Lernen Sie, abschiedlich zu führen, und kümmern Sie sich um den Erhalt des Systems, für das Sie – vorübergehend – Verantwortung tragen!

Regel 29: Misstrauen Sie Regeln und hinterfragen Sie Ihre eigene Regelhaftigkeit!

Nachwort: Führungskräfte sind auch nur Menschen

Die frühe Verankerung innerer Führungsbilder

Unterwegs zu einer emotional resonanten Führung

Emotional Literacy für Führungskräfte

Literatur

Über den Autor

Vorwort

»Führen« ist ein ungeliebtes Wort. Es ist insbesondere im deutschsprachigen Raum historisch problematisch. Das gilt für alle mit diesem Wort zusammenhängenden Begriffe wie »Führer«, »Führung«, »Geführtwerden« etc. Wir verwenden diese Worte nicht oder nur ungern, da sie unangenehme Erinnerungen wecken und das Bild einer rücksichtslos dominanten Kultur mit all ihren Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten, in der die Menschen zu passiven Befehlsempfängern wurden, wieder entstehen lassen. Die Worte selbst können nichts für die Erinnerungen, die sie wachrufen, und doch sind sie kontaminiert oder gar verbraucht. Doch indem wir den Begriff »Führung« meiden und uns sprachlich zurückhalten, werden wir sprachlos. Dies ist verhängnisvoll, da es das Phänomen der Führung sehr wohl gibt. Wir reden dann von Vorgesetztem, Teamleiter usw., ohne uns wirklich auf den Prozess der Führung zu beziehen, die stets beides zugleich ist: orientierende Perspektive und Machtanwendung.

Sprachlosigkeit droht dabei zur Gedankenlosigkeit zu führen. Es spricht vieles dafür, dass die kollektive Begriffslosigkeit auch dafür (mit) verantwortlich ist, dass wir oft nicht wissen, was wir tun, wenn wir uns darum bemühen, einen Führungsanspruch wahrzunehmen und unsere Ziele in der Kooperation mit anderen umzusetzen. Was wir dabei erleben, lässt sich durch einen abgewandelten Satz von Jean Paul Sartre verdeutlichen, der einmal sagte: »Dass mir die Führung1 entgleitet, liegt nicht daran, dass ich sie nicht mache, sondern daran, dass der andere sie auch macht!« (Sartre 1960, S. 123). Führung ist demnach stets Interaktion und somit auch darauf angewiesen, dass der andere kooperiert, sich beteiligt und auch zur Selbstreflexion und zum Nachgeben in der Lage ist. Die Wirksamkeit von Führung hängt demnach von dem Verhalten der Führungskräfte und der Mitarbeiter gleichermaßen ab – will man nicht irgendwelchen Machbarkeitsparolen folgen, die oft martialisch klingen, aber wenig nutzen.

Führungsprobleme sind oft darauf zurückzuführen, dass diese Interaktion gestört ist und die Beteiligten sich unterschiedliche Vorstellungen von ihren Rollen, Zuständigkeiten oder auch der Richtung machen, in die es gehen soll. Führung versagt deshalb immer und immer wieder dann, wenn es keine geteilten Überzeugungen zu den genannten Punkten gibt. Und Führung »entgleitet« häufig auch dann, wenn der andere sich nicht überzeugen lässt und trotzdem den getroffenen Entscheidungen Folge leisten soll. Es ist diese Widerständigkeit der anderen, an der selbst die engagierteste Umsetzung neuester Führungskonzepte und -vorschläge (vgl. Neubarth 2011; Mahlmann 2011; Happich 2011) oft wirkungslos verpufft.

Während eines Führungskräfteworkshops berichtete ein jüngerer Abteilungsleiter über seine oft wirkungslosen Bemühungen: »Irgendwie muss ich richtig darum buhlen, dass die Menschen in meiner Abteilung das auch gut finden, was ich von ihnen verlange. In den Besprechungen bin ich es manchmal, der begründen muss, warum ein bestimmter Schritt, den die Unternehmensleitung von mir erwartet oder den ich vorschlage, auch wirklich notwendig ist. Das empfinde ich als mühsam und auch anmaßend von den anderen. Schließlich bin ich es, der den Kopf dafür hinhalten muss, dass wir die Erwartungen erfüllen. Einmal habe ich auf den Tisch gehauen und gesagt, dass ich mir diese Dauerhinterfragungen in Zukunft nicht mehr länger gefallen lassen würde – eine Aktion, die meine Position eher geschwächt als gestärkt hat. Ehrlich: Mir macht Führung keinen Spaß mehr.«

Sicherlich: Führung setzt Führungskompetenzen auf der Seite der Chefs voraus. Sie bedarf aber zugleich auch der Legitimation. Dabei ist zu beobachten, dass die Kraft der äußeren Legitimation durch Ernennung oder Berufung in eine Führungsposition nachlässt. Mitarbeiter erwarten nicht bloß, dass die Führungskräfte ihre Arbeit »gut« machen, sie sind auch immer häufiger der Auffassung, dass sie selbst es besser könnten. So wusste der amerikanische Soziologe Richard Sennett im März 2011 in seinem Vortrag zur Eröffnung des Hauses der Kulturen in Berlin davon zu berichten, dass die Hälfte der Beschäftigten der Ansicht ist, dass sie die Arbeit ihrer Vorgesetzten besser erledigen könnten als diese selbst (Sennett 2011, S. 56). Dieses Misstrauen gegenüber den Fähigkeiten der Chefs ist kein Randphänomen. Und es ist auch wenig hilfreich, darüber zu streiten, ob solche Einschätzungen nüchtern und zutreffend oder bloß anmaßend seien. Entscheidend ist etwas anderes:

Chefs müssen heute mit der Hinterfragung ihrer Kompetenzen und der Hinterfragung ihres Führungsanspruchs rechnen. Sie müssen sich also um die Glaubwürdigkeit ihres Führungshandelns bemühen. Und glaubwürdig ist ein Führungshandeln, welches auch und gerade in schwierigen Entscheidungssituationen weiß, was zu tun ist.

Ein »kluges Leadership« weiß um die Notwendigkeit, Führungsansprüche und Führungsentscheidungen immer wieder neu zu legitimieren. Dafür ist es erforderlich, dass Führungskräfte selbst über einen klaren und in Zielen verbindlich vereinbarten Führungsauftrag verfügen. Dies allein ist jedoch noch keine Garantie dafür, dass Leadership wirklich gelingt. Notwendig ist vielmehr die Fähigkeit von Führungskräften, Beziehungen gestalten und Teams entwickeln zu können, aber auch Konflikte austragen und Dissens managen zu können. Eine solche Führung wird durch die eigene Person dargebracht. Daher vermag die Persönlichkeit des Vorgesetzten, Managers oder Direktors die Grundlage dafür zu liefern, dass man den Führungskräften ihren Führungsanspruch »abnimmt« und dass ihr Handeln im Gegenüber eine Resonanz zu entfalten vermag.

Machtausübung, Kontrolle und Ermahnung sind zwar unmittelbar wirksame, aber keine dauerhaft Synergie stiftenden Ausdrucksformen erfolgreicher Führung. Diese »lebt« vielmehr davon, dass Führungskräfte in der Lage sind, etwas zu bewirken, was nur das Gegenüber hervorzubringen in der Lage ist – nämlich Vertrauen, Zutrauen und Kooperation. In diesem Sinne stellt auch der Hirnforscher Gerald Hüther fest:

»Man kann niemanden von außen begeistern, höchstens für kurze Zeit. Die Begeisterung muss von innen kommen, als eigenes inneres Motiv« (Hüther 2011b, S. 46).

Kluge Führung ist deshalb mittelbare Führung. Sie fördert Kontexte, gestaltet Beziehungen, schafft »Spirit« und greift nur selten zu Machtworten oder gar Machtmitteln, obgleich sie diese kennt und ebenfalls zu handhaben weiß. Doch kluge Führung weiß auch, dass sie immer, wenn sie zu den alten Mitteln der Machtanwendung greift, eigentlich bereits versagt hat – denn dann ist es ihr nicht gelungen, die notwendige Resonanz in möglichst allen Mitarbeitenden auszulösen.

Kluge Führung ist die permanente Gestaltung einer paradoxen Konstellation: Sie kann Resonanz, Aufgeschlossenheit und Kooperationsbereitschaft im Gegenüber zwar nicht erzeugen, ist aber dafür verantwortlich, dass sich diese systemische Öffnung vollziehen kann und auch vollzieht.

Kluge Führung ist (und bleibt) somit riskant, denn Führungskräfte bewegen sich nicht in einer Welt der Wenn-dann-Gewissheiten. Diese Unterdeterminiertheit der Führung stellt diejenigen, die Verantwortung für »das Ganze« tragen, immer wieder neu auf die Probe. Führungskräfte müssen in der Lage sein, solche Proben zu meistern, wenn sie halten wollen, was man sich von ihnen verspricht. Dafür ist Know-how aus den Gebieten der Personal- und Teamentwicklung sowie des Projektmanagements erforderlich, aber auch Nachdenklichkeit sowie Selbsterfahrung und Selbstreflexivität.

Das vorliegende Buch bietet in »29 Regeln für ein kluges Leadership« ein Handwerkszeug für eine wirksame Gestaltung »typischer« Führungsanforderungen. Diese entstammen zum einen der Führungsforschung, sie reflektieren aber auch umfangreiche Praxiserfahrungen, die der Autor selbst während mehr als drei Jahrzehnten hat sammeln dürfen – in unterschiedlichen Führungsfunktionen sowie als Berater und Supervisor komplexer Organisationen im europäischen sowie außereuropäischen Kontext. Diese eigenen Erfahrungen sind in die zahlreichen Praxisbeispiele des vorliegenden Buches eingeflossen, wurden dabei aber so verfremdet und anonymisiert, dass ihre Herkunft nicht mehr feststellbar ist. Gleichwohl bin ich den vielen Menschen, die in den letzten Jahren ihre Führungserfahrungen mit mir ausgetauscht und reflektiert haben, für ihre Offenheit und ihr Vertrauen zu tiefem Dank verpflichtet. Gleiches gilt für die Kolleginnen und Kollegen, die mich in meinen eigenen Führungsrollen in den vergangenen Jahren unterstützt, angeregt und beeinflusst haben. Von allen habe ich sehr viel lernen können, wodurch sich meine eigene Haltung als Führungskraft wandeln und vertiefen konnte.

Die vor diesem Erfahrungshintergrund formulierten 29 Regeln sind keine Rezepte – d. h., sie können, aber müssen im Einzelfall nicht wirken –, sondern beschreiben eher »Schmierstoffe«, die dazu beitragen können, dass Führung gelingt. Deshalb gilt auch hier, wie bei allen »Verschreibungen«: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den Verlag oder schreiben Sie dem Autor! Die Zahl »29« soll gleichzeitig signalisieren, dass diese Sammlung von Regeln einer »klugen Führung« weder vollständig ist noch sein will. Dadurch können Sie sich als Leser aufgefordert fühlen, Ihr eigenes Regelwerk fortzuschreiben, mit anderen zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Denn eine kluge Führung weiß, dass sie »nicht« weiß, wie uns bereits Sokrates (469–399 v. Chr.) lehrte. Sie weiß: Das, was uns »gewiss« zu sein scheint, unsere Deutung und Interpretation der Wirklichkeit, ist unsere Gewissheit. Diese leitet unser Handeln und Tun, indem wir dem uns Begegnenden spontan einen Sinn zuschreiben und dabei das Selbstgemachte unserer Interpretation meist übersehen und vergessen. Diese Selbstvergessenheit ist besonders dann sehr deutlich wirksam, wenn wir unmittelbar – unter Druck – reagieren müssen oder glauben, dies zu müssen. Diesen Eindeutigkeitsdruck, dem wir erliegen (müssen?), empfinden wir besonders in Situationen, in denen wir Verantwortung tragen, weil andere Menschen dann Eindeutigkeit, Entschlossenheit und Entscheidungen von uns verlangen. Aus diesem Grunde haben es insbesondere Führungskräfte sehr schwer, sich immer wieder vor Augen zu halten, dass sie »nicht« wissen, obgleich sie handeln müssen. Deshalb ist die folgende Forderung von Christoph Bördlein, dem bekannten Verfechter der Kunst eines skeptischen Denkens (Bördlein 2002), nicht ganz unberechtigt:

»Ideal wäre es, wenn ein Manager es schafft, innerlich ausgiebig zu zweifeln, aber nach außen hin nichts spüren zu lassen« (zit. nach Jumpertz 2011, S. 54).

In dem vorliegenden Buch habe ich deshalb versucht, auch die Selbstgemachtheit der hier dargestellten Regeln immer wieder bewusst werden zu lassen. Ich möchte den Eindruck, hier werde universell Gültiges präsentiert, überhaupt nicht erst aufkommen lassen. Neben der Zahl 29, die das prinzipiell Unvollendbare einer Sammlung kluger Führungsregeln ausdrückt, wurde in den folgenden Regeln deshalb auch immer wieder eine Darstellungs- und Präsentationstechnik benutzt, die ersichtlich »aufgesetzt« ist, d. h. von dem beobachtenden Subjekt »Autor« selbst stammen muss, wie z. B. die Merksätze oder die in eine Akronymstruktur gefassten Impulse. Diese sind konstruiert, d. h., es »gibt« sie in dieser Form nur im Deutschen – ein Sachverhalt, der den Werkstattcharakter und die begrenzte »Gültigkeit« solcher Strukturierungen vor Augen führen soll.

Auch die zahlreichen Beispiele und Anekdoten aus der eigenen Führungsforschung und Führungspraxis werden erkennbar als selbst erlebte empirische Realität dargestellt – ohne die Anmaßung, aus ihnen universell Gültiges ableiten zu können. Denn kluge Führung ist sich der Tatsache bewusst, dass die Wirklichkeit vielfältig und kontingent ist und wir uns ihr nur über das eigene Erleben und dessen Reflexion anzunähern vermögen. Bei dieser Reflexion können wir uns allerdings von anderen, auch von Wissenschaftlern, Führungsforschern und Beratern anregen und irritieren lassen – dies die Einladung zu einer wissenschaftlichen Reflexion, die aber auch nur eine besondere Art der Reflexion darstellt.

Kluge Führung ist »selbsteinschließende« Führung2. Sie weiß um ihr eigenes Nichtwissen und sie kennt die Stoffe und Muster, aus denen sich ihre Gewissheit speist. Deshalb bemüht sie sich um die Selbstreflexion und Selbstentwicklung ebenso wie um die Klarheit, Transparenz und Konsequenz ihres Tuns. Kluge Führung ist ein Suchen, kein Finden. Ihre Regeln sind deshalb Suchregeln (im Sinne von »Aufforderungen zum Suchen und Probieren«), keine Finderegeln (im Sinne von »beispielhaften Illustrierungen eines Führungsmodells«).

Rolf Arnold

1bei Sartre: »Geschichte«

2Diese Selbsteinschlussthese stammt von dem Hirnforscher und Konstruktivisten Francisco Varela (1946–2002), der damit auf die unhintergehbare Eingebundenheit dessen, was uns der Fall zu sein scheint, in unsere so und nicht anders beschaffene biologisch und biografisch konstituierte Erfahrung verwiesen hat – ein Impuls, der in seiner hirnphysiologischen Empirie eine starke – neue – Begründung für die durchaus nicht neuen Thesen zur Selbstfabrikation unserer Wirklichkeiten ist (vgl. Varela et al. 1992).

Regeln der Führungsklugheit

Regel 1: Zeigen Sie, wie Sie sich vergewissern, aber stiften Sie Gewissheit!

Führungskräfte sind Menschen, die Richtungen angeben, Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen sollen. Gleichzeitig stehen Führungskräfte unter Beobachtung, andere vergleichen sich mit ihnen, und so mancher ist zu einem unbefangenen Kontakt mit seinen Vorgesetzten nicht in der Lage. Viele Führungskräfte kennen diese Einsamkeit, und sie spüren oft den offenen oder heimlichen Opportunismus des Gegenübers – lädt doch ein bevorzugter Kontakt zur Führungskraft auch dazu ein, eine mögliche Nähe zum Chef strategisch für das eigene Fortkommen zu nutzen. Manche »verfolgen« die Führungskräfte auch mit Kritik, Anfeindungen oder gar Intrigen – worin sich ähnliche Motivationen ausdrücken, die sich psychologisch bloß unterschiedlich verquer artikulieren.

»Seit ich in die Abteilungsleitung aufgestiegen bin«, so berichtete eine Softwareentwicklerin, »gehöre ich irgendwie nicht mehr dazu. Wenn ich zu meinen Kollegen in die Cafeteria komme und mich an ihren Tisch setze, verstummt oft das Gespräch, und ich spüre, dass man mich jetzt anders wahrnimmt, obgleich ich mich doch selbst gar nicht verändert habe. Besonders traurig bin ich darüber, dass meine früheren Kollegen mir irgendwie ›überkritisch‹ begegnen. Meist landen wir bei unseren Gesprächen doch irgendwann bei einem Streit über irgendeine Firmenentscheidung, die ich rechtfertigen und verteidigen muss. Meine eigenen Entscheidungen versuche ich stets im Vorfeld abzuklären – mit durchaus gemischten Erfolgen. Diejenigen, deren Ratschlag ich nicht folge, sind sauer, und es gab auch schon Anfeindungen und Intrigen, wo ich doch nur darum bemüht bin, es allen irgendwie ›recht‹ zu machen. Manchmal sehne ich mich zurück in die Zeit, als ich noch eine unter vielen gewesen bin.«

Führungskräfte sind einsam, und ihre Position ist auch konfliktiv – ein strukturelles Merkmal der Führungspraxis, auf welches Chefs häufig nicht vorbereitet sind und mit dem sie folglich nicht umzugehen wissen. Verbreitet ist das Bemühen um eine »Harmoniekultur« (Vasek 2011), und selbst Führungshandbücher und Führungstrainings liefern häufig nur Vorschläge zur Vermeidung dieser Probleme – ohne den Umgang mit der Konflikthaftigkeit als eine unvermeidbare Gegebenheit und auch als ein »neues« Kompetenzsegment der Führungsrolle nüchtern in den Blick zu nehmen.

Führung ist strukturell ein konflikthaftes Handeln. Führungskräfte müssen deshalb den gestaltenden Umgang mit diesem Konfliktiven lernen und das Ausweichen bzw. Harmonisieren hinter sich lassen.

Sicherlich: Führungskräfte sind zwar keine Helden (mehr) (Baecker 1994), aber sie füllen trotzdem eine herausragende Position aus, in der sie beobachtet und beurteilt, aber auch kritisiert und nicht selten angefeindet werden. Diese Gegebenheit erschwert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, ohne die aber eine nachhaltige Führung nicht gelingen kann. Es ist diese Spannungslage zwischen notwendiger Vertrauenssicherung einerseits und strukturell erschwerter Vertrauensarbeit andererseits, die das Führungshandeln bestimmen. Diese Einsicht findet sich auch bereits bei Niccolò Machiavelli (1469–1527)3, der in seinem weltweit bekannten Werk »Der Fürst« feststellt:

»Daher muss ein kluger Fürst einen (…) Weg einschlagen, indem er weise Männer beruft und ihnen allein verstattet, ihm die Wahrheit zu sagen, aber nur über Dinge, nach denen er fragt, und nicht über andere. Er muss sie aber über alles befragen, ihre Meinung anhören und dann seinen eigenen Entschluss fassen. Mit diesen Ratgebern muss er es so halten, dass jeder von ihnen weiß, dass es ihm desto lieber ist, je freimütiger er spricht. Außer diesen aber muss er niemandem sein Ohr leihen, auf Beschlossenes nicht zurückkommen und in seinen Entschlüssen fest bleiben. Wer es anders macht, den stürzen entweder die Schmeichler ins Verderben oder er wird wankelmütig infolge der Verschiedenheit der Meinungen, und das macht ihn verächtlich« (Machiavelli 1990, S. 113).

In diesem Zitat sind bereits wesentliche Anregungen für eine professionelle, um Nachhaltigkeit und Akzeptanz bemühte Führungspraxis skizziert. In einer systematischen Betrachtung ergibt sich dabei ein Dreischritt, wie ihn Tafel 1 zeigt.

Diese drei Schritte erfolgreicher Führung kennzeichnen zugleich den Umgang von Führungskräften mit Gewissheit. Denn es gilt beides gleichzeitig: Man erwartet von Führungskräften, dass sie wissen, was zu tun ist, und dass sie – insbesondere in Phasen der Unsicherheit – Zuversicht und Gewissheit stiften. Gleichzeitig müssen Führungskräfte den Eindruck vermeiden, immer bereits alles zu wissen. Sie müssen Rat einholen, zuhören, aber auch entscheiden und Entscheidungen umsetzen können. Dieser doppelten Anforderung können Führungskräfte nur durch eine gestufte Verhaltensweise begegnen. Dies fordert von ihnen eine Verhaltensflexibilität, die vielfach erst erlernt und geübt werden will. Denn Führung kann in unterschiedlichen Lagen ganz Unterschiedliches bedeuten. Und alle diese unterschiedlichen Anforderungen sind gleichgewichtig. Wer bei der Klärung von Fragen und der Gestaltung von Problemen bereits alles zu wissen scheint und dieses Wissen kraft seiner Autorität in Geltung setzt, bleibt mittel- und langfristig in der Umsetzung genauso wirkungslos wie eine Führungskraft, die die einmal getroffene Entscheidung immer wieder korrigiert und durch diese Wankelmütigkeit in ihrem Team Unsicherheit und Zweifel schürt. Für eine nachhaltig wirksame Führung gilt:

Tafel 1: Selbstcheck – Drei Schritte erfolgreicher Führung

Alles hat seine Zeit. Nachfragen, Diskussion und Beteiligung haben ihre Zeit, Entscheidung und Entscheidungsfestigkeit haben ihre Zeit, und die Umsetzung und Erfolgskontrolle haben ihre Zeit. Wer unzeitgemäß Gewissheit verbreitet, versagt als Führungskraft ebenso wie derjenige, der Entscheidungen offen hält und sie beständig korrigiert.

3Machiavelli ist ein Interventionist bzw. ungewollter Stichwortgeber für eine vordemokratische Staatstheorie, d. h., er resümiert und akzentuiert die Regeln für eine erfolgreiche Machtausübung. Sein historischer Hintergrund ist der Absolutismus – eine Gegebenheit, die seine Ausführungen deutlich relativiert. Gleichwohl beschreibt Machiavelli auch unterschiedlichste Machtszenarios und untersucht in einer bisweilen unbestechlichen Nüchternheit die Risiken und Nebenwirkungen einer noch so gut gemeinten oder noch so entschlossen vorgetragenen Führung.

Regel 2: Üben Sie sich im Visualisieren!