Wie man seinen Mann umbringt - Kathy Lette - E-Book

Wie man seinen Mann umbringt E-Book

Kathy Lette

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Und morgen bringe ich ihn um…

Jede Frau will ihren Mann umbringen – irgendwann. Doch als Jasmine tatsächlich des Mordes an ihrem Ehemann David beschuldigt wird, sind ihre engsten Freundinnen Cassie und Hannah schockiert. Was ist mit der perfekten Hausfrau und aufopferungsvollen Mutter geschehen? Klar, es war nicht so schlau von ihr, Davids Rekord im Fremdgehen zu brechen, und vor allem, hätte sie sich besser keinen professioneller Killer als Liebhaber ausgesucht. Jetzt sitzt Jasmine im Gefängnis, und ihre Freundinnen versuchen mit Feuereifer ihre Unschuld zu beweisen. Dabei stecken sie selbst in handfesten Krisen. Doch solange die drei zusammenhalten, kann eigentlich nichts schiefgehen. Oder?

„Kathy Lettes Romane sind so straff wie die Oberschenkel von Angelina Jolie.“ The Times

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 448

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wie man seinen Mann umbringt

Jede Frau will ihren Mann umbringen – irgendwann. Doch als Jasmine tatsächlich des Mordes an ihrem Ehemann David beschuldigt wird, sind ihre engsten Freundinnen Cassie und Hannah schockiert. Was ist mit der perfekten Hausfrau und aufopferungsvollen Mutter geschehen? Klar, es war nicht so schlau von ihr, Davids Rekord im Fremdgehen zu brechen, und vor allem, hätte sie sich besser keinen professioneller Killer als Liebhaber ausgesucht. Jetzt sitzt Jasmine im Gefängnis, und ihre Freundinnen versuchen mit Feuereifer ihre Unschuld zu beweisen. Dabei stecken sie selbst in handfesten Krisen. Doch solange die drei zusammenhalten, kann eigentlich nichts schiefgehen. Oder?

„Kathy Lettes Romane sind so straff wie die Oberschenkel von Angelina Jolie.“ The Times

 

 

 

KATHY LETTE

 

Wie man seinen Mann umbringt

 

 

Roman

 

Aus dem Englischen von Ruth Keen

 

 

 

 

 

 

 

Von Kathy Lette sind im Diana Verlag erschienen:

Drei sind ein tolles Paar

Zu gut für diese Welt

Keine Frau ist eine Insel

Wie man seinen Mann umbringt

Besser als Liebe

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Vollständige deutsche E-Book-Ausgabe 08/2016

Copyright © 2006 by Kathy Lette

Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel How to Kill Your Husband (And Other Handy Household Hints) bei Simon & Schuster UK Ltd., London

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 und dieser Ausgabe © 2016 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Frauke Brodd/www.writeandread.lu

Umschlaggestaltung und -motiv: © Hauptmann & Kompanie Werbeagentur,  Zürich

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-641-20357-3V002

www.diana-verlag.de 

Besuchen Sie uns auch auf www.herzenszeilen.de

Meinen Eltern zu ihrer goldenen Hochzeit gewidmet – wieder ein Beweis, dass eine gute Ehe ewig währt,

Die lustige Witwe

Ich war dreiundvierzig und Mutter von zwei Kindern, als ich meinen Orgasmus verlor. Wie kann man seinen Orgasmus verlieren, werden Sie fragen. Ist er so was wie eine Socke? Liegt er irgendwo im Wäschekorb und wartet auf sein Gegenstück, auf dass ein multipler Orgasmus aus ihm werde? Die Leute verlieren ja so manches. Ihre Geduld. Ihren Sinn für Humor. Ihre Figur. (»Miederhöschen mit Bauchkontrolle«, sagt Ihnen das was?) Den Verstand. (Spätestens nach dem ersten Baby.) Aber ihren Orgasmus doch nicht. Nur ich konnte meinen einfach nicht finden. Er hatte sich aus dem Staub gemacht und war wie Thomas Crown nicht mehr zu fassen. Glauben Sie mir, ich habe verzweifelter nach ihm gefahndet als all jene, die versucht haben, das Bermuda-Dreieck, den Yeti, das Ungeheuer von Loch Ness und die Skrupel von George Bush zu entdecken.

Vielleicht glauben Sie jetzt, dass ich, Cassie O’Carroll, eine von diesen beschränkten Typen bin, die immer alles verschusseln? Okay, die Wurzel einer Hypotenuse habe ich auch noch nie gefunden, aber deswegen beiße ich nicht gleich ins Kissen und weine mich nachts in den Schlaf.

Nee. Aber meine Muschi ist auf dem Trockenen, gestrandet und verwaist. Und nirgendwo am Horizont ein Schiff mit acht Segeln, das an dieser gottverdammten Misere etwas ändern könnte.

 

Zugegeben, meine beste Freundin Jazz hat einen wesentlich herberen Verlust wegstecken müssen – den ihres Mannes, Dr. David Studlands, ein international renommierter Chirurg, Menschenrechtler und Experte für die Weltgesundheitsorganisation WHO, und das unter ziemlich mysteriösen Umständen. Tatsächlich wird Jazz im Moment, während ich das schreibe, unter Mordverdacht festgehalten. Und darum beginnt unsere Geschichte eigentlich auch hier, in einem Besucherraum des Frauengefängnisses Holloway in Nordlondon.

 

»Ich sitze wegen Verdachts auf Mord an meinem Mann in Untersuchungshaft« – nie hätte ich mir träumen lassen, diesen Satz eines Tages aus dem Mund von Jasmine Jardine zu hören. »Ich bekomme ein uneheliches Kind von George Clooney« – schon eher, oder: »Wenn nun das ganze Gerede über PMS gar nicht stimmt und ich einfach nur eine Zicke bin?« Aber doch nicht so was.

Als ich endlich wieder sprechen kann, klingt es wie aus einem Synchrondrehbuch: »Waaaas?«

»Ja, Mord … diese blöden Bullen sind der Meinung, ich hätte Studz umgebracht. Sie haben mir Haftverschonung gegen Kaution glatt verweigert!«

»MORD?«, synchronisiere ich wieder. Diese Sache hat tatsächlich das Zeug zum TV-Melodram. Ich sitze im Besucherraum eines Gefängnisses auf einem harten Stuhl meiner besten Freundin gegenüber und starre sie fassungslos und leicht bescheuert an. Das besagte Wort muss mir wohl ein bisschen kreischend entwichen sein, weil mich die Wärterin jetzt mit einem scharfen Blick fixiert, wachsam, aber gleichgültig, gleich einem satten Raubtier, das zu faul ist, zum Sprung anzusetzen. Sie lümmelt auf ihrem Drehstuhl und fährt fort, mürrisch und apathisch in ihrer Zeitung zu blättern.

Angst züngelt an mir mit tausend kleinen Flammen. »Verdammte Scheiße, Jazz.« Obwohl ich flüstere, klingt es wie ein gellender Schrei. »Du … du hast doch hoffentlich nichts Dummes angestellt, oder?«

Jazz sieht mich in etwa so an, wie eine Braut einen Güllewagen anschauen würde, der am Tag der Hochzeit vor der Kirche seine volle Ladung über dem Bräutigam entleert. »Vielleicht ist dir ja in all den Jahren unserer langen Freundschaft entgangen, Cassandra, dass es mir an ein paar entscheidenden Fähigkeiten mangelt, die einen Menschen zum erfolgreichen kriminellen Superbrain machen.« Ihr leicht hysterischer Unterton weckt abermals die Aufmerksamkeit der Aufseherin. Der Stuhl knarrt, als sich die massige Gestalt in unsere Richtung dreht. »Wie kannst du so was nur denken?«

»Du musst schon entschuldigen«, zische ich pikiert, »aber wie oft habe ich schon Sprüche à la ›Die Ehe ist ein aufregendes Abenteuer voller Spaß, das nur gelegentlich tödlich endet‹ von dir gehört, oder ›Wo ein letzter Wille ist, ist auch ein Weg, mir alles zu vermachen‹, oder ›Nicht alle Männer sind Schweine – manche sind auch tot‹. Und was war damals, als du Studz für seine Amnesty-Reise nach Malawi ›versehentlich‹ die falschen Malariatabletten eingepackt hast? Du hattest angefangen, mit Vollfett-Sahne zu kochen, Herrgott noch mal, nur damit er einen Herzinfarkt kriegt! Also ehrlich …«

»Hör mal, ich hab nur Frust abgelassen! Alle Frauen wünschen sich hin und wieder, ihren Mann umzubringen. Ein paar Witzchen darüber zu reißen heißt doch noch lange nicht, dass ich eine Lizenz zum Töten habe!«

Die Vollzugsbeamtin schnaubt höhnisch. »In der Zeitung steht aber was anderes, Puppe.« Sie knallt uns einen Stapel Schmuddelblätter vor die Nase und zündet sich trotz des Rauchverbot-Schilds eine Zigarette an.

»Wie? Du stehst in der Zeitung?« Es ist acht Uhr morgens, und ich habe noch die Kissenfalten auf der Backe, weil ich nach Jasmines Anruf unmittelbar aus dem Bett in ein Taxi gesprungen bin. Ich bin immer noch völlig baff, dass meine älteste Freundin mich überhaupt kontaktiert hat. Zwei Monate herrschte Funkstille zwischen uns – genauer gesagt, seit dem Moment, als sie die Bombe in meinem Leben hochgehen ließ. Wir wussten natürlich alle, dass Dr. David Studlands in Südaustralien, an der Termination Beach von Cape Catastrophe (klingt das nicht nach einem lauschigen Urlaubsort?), vor drei Wochen spurlos verschwand. Wir hatten eine in Tränen aufgelöste Jazz im Fernsehen erlebt. Ich hatte pausenlos versucht, sie zu erreichen, doch sie hatte nie zurückgerufen. Bis zu ihrem verzweifelten Appell heute früh, sofort zu ihr zu eilen, war sie genauso plötzlich und überraschend aus meinem Leben verschwunden wie ihr Mann aus dem ihren.

Mit spitzen Fingern blättert sie auf der zerkratzten Laminat-Tischplatte in den Seiten der Boulevardpresse, als seien sie radioaktiv verseucht. Witwe etwas zu lustig? mutmaßt die Schlagzeile im Käseblatt von gestern, darunter ein altes Foto einer champagnerschlürfenden Jazz. Es dient als Veranschaulichung eines Berichts, demzufolge sie der Polizei »bei ihren Ermittlungen behilflich ist«.

»Das wurde vor Ewigkeiten aufgenommen.« Jazz seufzt so laut, dass man es für einen Asthmaanfall halten könnte. »In Wahrheit wollten David und ich unsere Ehe retten. Darum haben wir Urlaub in Australien gemacht – Sonne, Strand, Surfen, Sex. Aber du weißt ja, wie wahnsinnig risikoverliebt Studz ist – Scuba-Diving bei Nacht, Helikopter-Ski, Autofahren immer übers Limit. Seine Vorliebe für Kampfgebiete, wenn er für Ärzte ohne Grenzen unterwegs ist … Am späten Nachmittag waren wir tauchen. Mir wurde es irgendwann zu anstrengend, also bin ich zurück an Land geschwommen, aber David schnorchelte um die Landspitze herum und weiter raus. Als es allmählich dunkel wurde, ging ich ihn suchen. Am Strand fand ich dann seine Sachen und seine Uhr, so wie er sie hinterlassen hatte. Da wusste ich, dass irgendwas Schreckliches passiert sein musste.« Sie wischt sich eine Träne weg und braucht einen Moment, um sich zu fangen.

»Wir haben dann Boote organisiert und die ganze Nacht nach ihm gesucht«, fährt sie fort. »Die Leute meinten es gut mit mir; sie sagten andauernd, ›Sie dürfen die Hoffnung nicht aufgeben‹. Also habe ich mich an die Hoffnung geklammert, was in gewisser Weise noch schlimmer war. Denn ich habe ihn mir die ganze Zeit als ein Kind vorgestellt, das sich verlaufen hat und jetzt irgendwo verletzt und allein ist. Tagelang kamen mir die absurdesten Theorien – dass er für die CIA arbeitet und untergetaucht ist, dass er einen Versicherungsbetrug geplant hat, ja sogar, dass er von einem U-Boot gekidnappt wurde! Ich war wie in Trance, wie ausgehöhlt. Josh meint, die nackte Wahrheit liegt doch auf der Hand – sein Vater sei aufs offene Meer hinausgetrieben worden. Oder noch Schlimmeres.« Sie schaudert. »Aber ich kann es nicht glauben. Ich weigere mich, es zu glauben.« Sie sackt in sich zusammen.

Während ich warte, dass sie sich wieder fängt, mustere ich die kräftigen, geraden Brauen meiner Freundin, die ein seegrünes Augenpaar mit endlos langen Wimpern einrahmen. Ich betrachte ihre vollen Lippen, die gemeißelten Wangenknochen und das goldene Haar – und frage mich zum hunderttausendsten Mal, warum ihr zartes Profil, das eines Botticelli würdig wäre, so überhaupt nicht zu ihrem Lächeln passen will, das eher anonymem Sex in einem dunklen Hauseingang heraufbeschwört. Und dann dieses Kinn, das leicht nach vorn springt, wie um zu sagen: »Ach ja?«

»Jazz …« Als ich sie anspreche, schaut sie auf und sieht mich aus leeren Augen an. »Wieso hat man dich dann verhaftet?«

Schlagartig wird sie munter. »Kannst du dich an Billy erinnern – diesen Stückeschreiber aus dem Knast, mit dem ich mal ein kleines Techtelmechtel hatte? Na ja, also dieser Typ hat gegenüber der Polizei behauptet, ich hätte ihn als Killer angeheuert. Ich! Unfassbar, oder?«

»Was hast du erwartet, wenn du mit einem Kriminellen in die Kiste gehst? Männer wie der schreiben Erpresserbriefe, keine Liebesbriefe. Was hast du überhaupt an diesem Kerl gefunden?«

Sie sieht mich traurig an. »O Cass. Was glaubst du, wie lange David schon nicht mehr mit mir geschlafen hatte? Du weißt doch, wie das ist, wenn man Diät macht und einem selbst beim Anblick von trockenen Reiskeksen das Wasser im Mund zusammenläuft? Na ja, mehr oder weniger waren Billy und die anderen Männer genau das: sexy Reiskekse.«

»Sie haben deinen Freund eingelocht«, unterbricht die mithörende Wärterin ungefragt, »weil er im großen Stil das Arbeitsamt beschissen hat. Und jetzt versucht er, einen Deal mit dem Staatsanwalt zu machen. Darum lassen sie dich auch nicht auf Kaution frei.«

»Stimmt das, Jazz?«

»Im Prinzip, ja«, räumt sie ein. »Der Mann ist ein widerlicher, verlogener Drecksack von olympischen Ausmaßen … aber natürlich wünsche ich ihm nur das Allerbeste.«

Die Ungeheuerlichkeit des Ganzen trifft mich wie ein Hieb in den Magen. Seit Jahrzehnten verfolge ich aus einer besorgten Distanz heraus Jazz’ Eskapaden, aber dieses letzte Szenario erfüllt mich mit blankem Entsetzen. Wir sind gebildete, zivilisierte Frauen Anfang vierzig. Wir wachsen unsere Bikinizone und rasieren uns die Stoppeln an den Beinen. Wir hinterlassen eine Nachricht an der Windschutzscheibe, wenn wir ein parkendes Auto anfahren. Wir haben ein Adress-, kein Vorstrafenregister. Jazz hat ein Gesicht, aus dem die Botschaft spricht: »Ich reise gern, möchte interessante Leute kennenlernen und meinen Beitrag zum Weltfrieden leisten.« Dieses Gesicht gehört nicht in eine Verbrecherkartei.

»Scheiße, Jazz«, sage ich, »was willst du jetzt machen?«

»Nun ja, meinen Tod vortäuschen, eine neue Identität annehmen und in ein Baumhaus ziehen, zusammen mit dem verschollenen Lord Lucan, ist doch klar.« Man sieht förmlich, wie die Wut in ihr aufsteigt. »Mit vierzig fängt das Leben erst an, heißt es doch; von Lebenslänglich wegen Gattenmords war nirgendwo die Rede. Ich werde kämpfen. Und bis Studz wieder auftaucht, bist du meine beste Waffe, Cassandra O’Carroll.«

»Hä …? Wieso ich?« Im Gegensatz zu Jazz’ wohlmodulierter Intonation klingt mein Gestammel wie aus der Gosse gezogen.

»Was die hier mit mir veranstalten«, sagt sie und zeigt indigniert auf die Zeitungen, »ist reiner Rufmord. Und wer kennt mich am besten? Doch wohl du. Seit dem College sind wir Busenfreundinnen – buchstäblich. Unsere ersten frechen BHs haben wir gemeinsam gekauft – mit Spitzen und Litzen, weißt du noch? Ich möchte, dass du mit meiner Anwältin sprichst, Cass. Ich möchte, dass du ihr alles erzählst. Okay, Studz hat mich betrogen. Er hat mich rasend gemacht. Und ja, manchmal hätte ich ihn umbringen können … aber er ist der Vater meines einzigen Kindes. Wer könnte ernsthaft glauben, ich würde Josh vaterlos machen? Was für eine Frau wäre zu so etwas fähig?«

Eine betrogene, sexuell ausgehungerte Frau mit einem gebrochenen Herzen, will ich sagen, aber ich verkneife mir die Bemerkung. Und als ich sie so aufgelöst dasitzen sehe, das seidige blonde Haar zerzaust und verheddert, diese Naht an der Schulter ihres Kaschmirpullis, die sich langsam aufdröselt, da spüre ich sogar einen Kloß im Hals. Einen Kloß im Hals und einen Anflug zärtlicher Zuneigung, trotz allem, was sie mir im vergangenen Jahr angetan hat. Das Gefängnis riecht nach schalem Zigarettenrauch und dem abgestandenen Mief von Kleidung, die zu lange getragen wurde. Der alles überlagernde Gestank von Desinfektionsmitteln, der aus dem Linoleumbelag dringt, verstärkt nur den Effekt. Fenster gibt es nicht. Der Raum macht mich nervös. Ich komme mir vor wie im Wartezimmer eines Zahnarztes oder kurz vor einem Einstellungsgespräch – für einen Job, den ich nicht haben will.

Ich beuge mich über den wackeligen Tisch und greife nach ihrer Hand. »Was soll ich für dich tun, Kleines?«

Das grelle Schrillen einer elektrischen Klingel ertönt. Die Aufseherin ignoriert es zunächst, da sie zu sehr damit beschäftigt ist, ihre eigenen Schuppen zu zählen, doch dann drückt sie missmutig ihre Zigarette aus und rappelt sich schwerfällig auf die Beine.

»Moment mal«, protestiere ich, nachdem ich entrüstet auf meine Uhr geschaut habe, »mir steht doch noch eine halbe Stunde zu.«

»Willkommen in der wunderbaren Welt des Strafvollzugs«, murmelt Jazz sarkastisch und reicht mir meinen Mantel. Ich glaube zunächst, dass sie mir beim Anziehen helfen will, aber sie greift nur nach meinem Arm. »Cassie«, sagt sie leise und verängstigt. »Die wollen mir was anhängen. Du musst mir helfen. Meine Anwältin hört auf den fröhlichen Namen Quincy Joy.« Sie drückt mir einen verkrumpelten Zettel mit einer Adresse in die Hand. »Ihr Frohsinn resultiert zweifellos aus der Tatsache, dass sie nicht vor den Richter zitiert wird wie die vielen armen Säue, die sie vertritt … Du musst ihr alles erzählen. Erklär ihr das Ganze. Du weißt schon – warum ich mich so aufgeführt habe. Warum es irgendwann kafkaesk wurde.«

Wach auf, ich hab Kafka gekocht, hätte ich früher mal gesagt, aber jetzt stehe ich nur wie betäubt da und sehe zu, wie meine langjährige Freundin wieder in ihre Zelle abgeführt wird. Ich höre sie noch zur Wärterin sagen: »Eine Leibesvisitation bei unserem ersten Date kannst du dir gleich aus dem Kopf schlagen, Schatz. Bevor du mich nicht zum Essen und ins Kino eingeladen hast, läuft gar nichts.«

 

Benommen tapse ich hinaus in den schummerigen Wintertag. Die kalte Januarluft schlägt mir beißend ins Gesicht, und die Backsteinmauern des Gefängnisses werfen lange Schatten über mich wie ein Angelnetz. Dem Holloway-Hades entronnen, atme ich in tiefen Zügen den frischen Sauerstoff ein, haste über die Camden Road, wie um fluchtartig den Styx hinter mir zu lassen, und rufe mir ein Taxi.

Als wir am Inner Temple vorfahren, einer kopfsteingepflasterten Anwalts-Enklave wie aus einem Dickens-Roman nahe der Themse, sagt mir mein ausgeprägter juristischer Sachverstand: Scheiße, Mann! Jazz ist zwar gelernte Köchin, aber so dick hätte sie sich ihre Suppe niemals einbrocken dürfen.

 

Quincy Joys Büro ist vollgestopft mit schweren, krummbeinigen Möbeln, die dem Raum eine gewichtige Aura verleihen. Sie pustet gerade auf eine Tasse mit kochend heißem Tee, als ich eintrete und mich vorstelle.

»Ich habe eine erneute Kautionsentscheidung beantragt.« Ihre Stimme klingt nach zwei Packungen Kippen pro Tag und geht nur schleppend vor Müdigkeit. »Der erste Untersuchungsrichter hat die sarkastische Art Ihrer Freundin Jasmine gegen seinen Hass auf mich sorgfältig mit den Händen abgewogen, wie ein Busengrabscher. Dann hat er fest zugedrückt. Bei beiden.«

Quincy hat rotes Haar, ein Gesicht voller Sommersprossen-Konstellationen und Saturnringen unter den Augen.

»Kann man denn jemanden unter Mordanklage stellen, wenn es gar keine Leiche gibt?«, frage ich verwirrt.

»Ja, sofern ein begründeter Verdacht besteht. Juristen nennen das ›Corpus Christi‹. Es liegen ein paar ziemlich hässliche Indizienbeweise gegen sie vor. Wie um Himmels willen konnte sich eine Klassefrau wie Jasmine Jardine mit einem verurteilten Mörder einlassen? Und was hatte er in Australien zu suchen? Sie hat mir versichert, dass Sie in der Lage seien, die ganze Geschichte objektiv zu schildern.« Die Frau trommelt ungeduldig mit den Fingern auf dem Schreibtisch.

»Ich?« Ich rutsche auf der Ecke eines tiefen Ledersessels herum und starre das Gemälde von zwei toten Enten und einem irischen Setter an. Wie am besten die Geschichte in all ihrer Komplexität erzählen? Die Geschichte einer Dreierfreundschaft: Jazz, Göttin von Heim und Herd. (Für mich hat jede Hausfrau, die behauptet, dass Putzen glücklich macht, eindeutig zu viel Bleichmittel inhaliert.) Hannah, kinderlose Karrierefrau, mit Hedgefonds bis zur Halskrause und einer eigenen Kunstgalerie. Und dann ich, Grundschullehrerin, Kinder-und-Karriere-Jongleuse, die ständig alles fallen lässt.

»Drei ist eine schwierige Zahl, finden Sie nicht, Quincy? Und drei Freundinnen sind eine besonders komplizierte Gleichung. Besonders, wenn man Liebe, Sex, Kinder und Lustknaben dazuaddiert … O je. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«

»Geben Sie mir einfach einen mündlichen Steckbrief von Ihnen dreien«, sagt Quincy hastig und schlürft mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Schluck von ihrem siedend heißen Tee.

Genau, und dann wird sie den Tatort sichern und uns die Gerichtsmediziner auf den Hals hetzen, die dann die Beweismittel für das schwerste unserer Vergehen zusammentragen können – dass wir Freundinnen uns verkracht haben.

»Seit der Zeit am Lehrerseminar waren Jazz, Hannah und ich so was wie ein Mädchen-Eintopf. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander, haben uns brühwarm alles erzählt, auch unsere Streitigkeiten mit unseren Männern … und dann haben wir uns darüber gestritten, worum es bei den Streits mit ihnen überhaupt ging … und warum das Geheimnis einer guten Ehe das bestgehütete der Welt ist! Wir hätten ewig so weitermachen können, wäre da nicht diese Party bei Jasmine vor einem Jahr gewesen. Das nahm das Unheil seinen Anfang.«

Quincy wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr und springt abrupt auf. »Hören Sie, ich muss noch eine eilige Vorlage einreichen«, krächzt sie mit einer Stimme, die nur noch eine Schachtel vom Lungenkrebs entfernt ist. »Schreiben Sie das Ganze doch auf.« Sie schiebt mir einen großen gelben Notizblock quer über ihre edle Schreibtischauflage. »Und rufen Sie mich an, wenn Sie fertig sind. Das ist wahrscheinlich einfacher.«

Einfacher? Ich glaube, sie hat keine Ahnung, auf was für eine emotionale Achterbahnfahrt sie sich einlässt. Man sollte die Frau öffentlich warnen, sich nicht anzuschnallen, falls sie Nackenprobleme hat oder schwanger ist. Am liebsten hätte ich gesagt: »Es wird ziemlich turbulent. Aus Sicherheitsgründen sollten Sie darauf achten, dass Ihre Arme und Beine nicht aus dem rasenden Fahrzeug herausragen.«

Stattdessen greife ich mir den gelben Block.

Eigentlich müsste ich heute Biologiearbeiten von Zehnjährigen korrigieren.

Frage: Was ist ein Einzeller?

Antwort: Jemand, der lebenslänglich gekriegt hat.

Liebe und Hass, wie nah liegt das

Jeder Ehemann hält sich für einen Gott. Und immer mehr Ehefrauen werden Atheistinnen.

Als ich in den Zwanzigern war, meinte ich schon an Tinnitus zu leiden, aber es war einfach nur das pausenlose Läuten der Hochzeitsglocken, als alle meine Freunde nach und nach in den Stand der Ehe traten. Ich heiratete dann Rory, einen Tierarzt, was komisch ist, weil ich nie ein besonderer Tierfreund gewesen bin – möglicherweise, weil ich sie den ganzen Tag unterrichte. (Über so was können wir uns im Lehrerzimmer kranklachen.) Meiner Meinung nach machen sich Tiere am besten auf einem Grill. Speziell Hunde mag ich überhaupt nicht. Für ihre angeblich so freundliche Natur haben sie mir einfach zu viele Zähne. Wäre ich gezwungen, mir ein Haustier zu halten, würde ich ein Krokodil wählen – damit es die anderen Viecher auffressen könnte.

Und ich hasse nicht nur unsere vierbeinigen Freunde. Ich habe eine Scheißangst vor allem, was da kreucht und fleucht, ob nun auf zwei Beinen oder nur einem, oder, o Schreck, auf acht. Jeden Abend vor dem Schlafengehen schaue ich unter der Bettdecke nach, ob sich dort vielleicht ein Skorpion versteckt – in England.

Sie selbst halten sich vielleicht für tierlieb, aber glauben Sie mir, wenn man mit einem Tierarzt verheiratet ist, legt sich das ganz schnell. Wir haben zu jedem beliebigen Zeitpunkt mindestens sieben bis acht Hunde im Haus, dieselbe Anzahl Katzen und jede Menge Mäuse, die keine Haustiere sind. Als ich schwanger war, erzählte Rory überall herum, ich würde demnächst »werfen«. Es kommt auch immer wieder vor, dass er mich hinter dem Ohr krault und »braves Mädchen« sagt. Als Nächstes wirft er mir einen alten Tennisball zu, zum Draufrumkauen.

Wenn ich mir Rory als Tier vorstellen müsste, wäre er ein Labrador – treu und fröhlich. Als ich ihn kennenlernte, hing er gerade am Minutenzeiger unserer Turmuhr im College, wo er im angeheiterten Zustand hinaufgeklettert war, nur um den Anmachespruch »Kannst du mir sagen, wie spät es ist?« anbringen zu können. Rory ist ein Mann für die Wildnis. Seine Schenkel sind ungefähr so breit wie zwei siebenjährige Kinder, sein Bizeps größer als unser Gästeklo, mit einem Wort, er ist für klassische Survivalaufgaben wie geschaffen. Als der geborene Neulanderoberer könnte er reißende Ströme durchwaten, schneebedeckte Berge erklimmen, ganze Wälder fällen, eine Bauernkate bauen und »Futter« auf dem Herd kochen – und das alles, bevor ich »Wer kommt mit zu McDonald’s?« sagen kann.

Für mich bedeutet freie Wildbahn das kleine Areal zwischen dem U-Bahnhof Bond Street und dem Eingang zu Selfridges. Ich bin in Sydney aufgewachsen (meine Eltern sind nach London gezogen, als ich sechzehn war), und meine geografischen Kenntnisse der englischen Hauptstadt beschränken sich darauf, wie man zu Harrods kommt und von dort wieder nach Hause. Wenn Freunde mich in ihr Häuschen auf dem Land in Schottland einladen, sagen sie: »Fahr zu Harvey Nichols, und dann halt dich immer rechts.«

Ich habe Rory geheiratet, weil er mich zum Lachen brachte.

Als er mich zum ersten Mal zu seiner Mutter nach Cricklewood zum Essen mitnahm, nannte er es sein »Mutti-Frutti-Programm«. Seine aquamarinblauen Augen und die sandfarbenen Ringellöckchen, die auf seinem Kopf nach allen Seiten abstehen, haben auch irgendwie geholfen. Ebenso das Leuchten in seinem Gesicht, wenn er lächelt, was oft passiert und ihn unmittelbar sympathisch macht. Ich mag auch die Art, wie er den Ellbogen auf die Fensterlehne seines Autos legt und dabei ein Liedchen pfeift. Oh, und sein Mitgefühl natürlich. Schon damals verbrachte er die Hälfte seiner Zeit mit ehrenamtlicher Arbeit in Tierheimen. Heute hat er eine eigene Veterinärklinik, die in einem Anbau unseres Hauses in Kilburn untergebracht ist, aber er behandelt immer noch viele Bedürftige honorarfrei.

Trotz alledem sind wir – oder waren es damals – Verbündete, ineinander versponnen wie Seidenraupen. Meine Liebe hat ihn schon immer umhüllt wie ein Zuckerguss. Und wenn er mich anschaut, dann schwappt eine dermaßene Zärtlichkeit über sein Gesicht, dass meine Nippel lodern. Nach fünfzehn Jahren Ehe bin ich mir seiner Schattenseiten durchaus bewusst: Er trägt zu jeder Jahreszeit immer dieselbe vergammelte Lederjacke und besitzt die größte T-Shirt-Sammlung der westlichen Hemisphäre. Formelle Kleidung heißt für Rory ein gebügeltes T-Shirt. Schlimmer noch, er mag meine Freunde nicht. Seiner Meinung nach sind Londoner Dinnerpartys für zwei Drittel des Weltvorkommens an Überheblichkeit verantwortlich. Nur unter Androhung von Zwangsmaßnahmen begleitet er mich zu den Einladungen von Jazz und Hannah; dann verkriecht er sich sofort in einer Ecke und spricht kein Wort. »Ach, das ist Ihr Mann? Ich dachte, es sei eine Bücherstütze.« Weshalb er auch letzten Januar nicht wollte, dass wir zu Jazz’ und Studz’ Party zu Ehren ihres zwanzigsten Hochzeitstags gehen. Hätte ich bloß auf ihn gehört …

 

Es hätte ein stilles kleines Dinner werden sollen, im Kreis der engsten und ältesten Freunde aus Uni-Zeiten. Aber weil Studz nicht in der Lage war, Arbeit und Vergnügen zu trennen, hatte sich das Ganze zu einer mittelschweren Katastrophe ausgewachsen.

Jazz hatte David Studlands geheiratet, als er noch junger Assistenzarzt eines Chirurgenteams in einem großen Lehrkrankenhaus in Cambridge war. Für Jazz war es Liebe auf den ersten Blick. »Er ist umwerfend«, hatte sie zu mir gesagt. »Ich würde ihn am liebsten auf ein Kanapee schubsen und mit einem Happs verschlingen.« Jazz, die ihren Abschluss als Hauswirtschaftslehrerin machte, unterstützte ihn als Restaurantköchin, während er die Karriereleiter im Krankenhaus hochkletterte. Studz macht inzwischen so viel Schotter, dass er eine begehbare Brieftasche hat und einen Schnöselarsch-Jaguar fährt, mit dem dazugehörigen Parkplatz direkt vor seiner Privatklinik in der Harley Street. Der Mann ist nicht nur gut aussehend, sondern auch so erhaben groß, dass er sich mit uns Sterblichen per Funk verständigen muss, wenn er wissen will, wie das Wetter hier unten ist.

Obwohl er auf die fünfzig zugeht, ist Studzs immer noch schlank und durchtrainiert. Seine Gesichtszüge sind so scharf, dass man sich damit die Beine rasieren und in die Zunge schneiden könnte. Er hat etwas Spöttisches an sich, obwohl er sich hauptsächlich über sich selbst lustig macht – allerdings auf eine Art, die seinen Charme nur noch mehr unterstreicht. Der Spitzenmediziner und angesehene Rekonstruktions- und Verbrennungschirurg Studz bezieht sein akademisches Renommee über seinen Chefarztposten an einem öffentlichen Lehrkrankenhaus. Den luxuriösen Lebensstil seiner Familie hingegen finanziert er mit seiner Privatpraxis für plastische Chirurgie. (»Sie sind eine neurotische, nichtsnutzige Narzisstin. Wünschen Sie jedoch eine Konsultation als Privatpatientin, lehnen Sie sich einfach zurück und machen Sie Ihr Scheckbuch gaaanz weit auf.«)

Um sein schlechtes Gewissen zu entlasten, weil er Leute operiert, die es gar nicht nötig haben, nimmt Studz regelmäßig unbezahlten Urlaub und arbeitet auf Schiffen, die an der afrikanischen Küste entlangfahren und unentgeltlich Kriegsopfer behandeln. Er wirbt talentierte Kollegen für die Hilfsorganisationen ab und ist bekannt dafür, dass er seinen jungen Krankenhausärzten ans Herz legt, um ihres Seelenfriedens willen ein halbes Jahr Freiwilligenarbeit für Ärzte ohne Grenzen zu leisten. Außerdem opfert er einen Teil seiner Arbeitszeit der Medical Foundation for the Care of Victims of War und ist Fachberater für die WHO. Ganz richtig, der Mann wurde bereits in den Buckingham Palace zitiert, zur Anprobe für seinen Heiligenschein. Und genau wegen dieses altruistischen Aspekts seiner Persönlichkeit hatte Jasmine Jardine, unser faszinierender und fetziger Campusfeger, seinen Namen ins Kopfteil ihres Bettes geritzt.

Jazz hatte das Fest zu ihrer Porzellanhochzeit ursprünglich absagen wollen, da ihre Mutter nach einem sich hinziehenden Kampf gegen Brustkrebs kurz vor Weihnachten gestorben war. Studz hatte aber darauf gedrängt, die Feier stattfinden zu lassen. Hannah und ich hofften, dass die Party unserer Freundin aus ihrem Kummer heraushelfen würde. Um das zu gewährleisten, sahen wir es als unsere Aufgabe an, unter allen Umständen zu verhindern, dass das gefürchtete K-Wort erwähnt wurde.

Es war acht, und ich war spät dran. Hannah hatte mir befohlen, mich schick zu machen – was für mich bedeutet, dass ich jedes Mal ein Stunt-Team für Spezialeffekte engagieren muss, da die Kleiderordnung für Lehrerinnen, falls es Ihnen entgangen sein sollte, flache Schuhe und »interessante« Ohrringe vorschreibt. An meinen verlotterten Klamotten fehlt regelmäßig ein Knopf, dröselt immer irgendwo ein Saum auf, und oft genug sind es eh Rorys Sachen. Mein Modegeschmack richtet sich täglich aufs Neue danach, was nicht noch gebügelt werden muss. Jasmine ist eine Frau, nach der sich die Männer umdrehen. Ich bin eine, bei der sich ihnen der Magen umdreht. Sie glauben, ich übertreibe? In letzter Zeit bin ich dazu übergegangen, weite Norwegerpullis zu tragen, aber nicht, weil ich so bestrickend bin.

Als wir uns kennenlernten, sagte Jazz immer, ich sei das sprichwörtliche »Mädchen von nebenan« – attraktiv genug, um etwas Besonderes zu sein, aber auch wiederum nicht ganz so hübsch, dass mich andere Frauen hassen. Die Frage, ob ich hübsch war oder nicht, interessierte mich aber nicht, denn als ich Rory kennenlernte, war ich endlich schön. Heute, fast zwei Jahrzehnte später, würde ich sagen, dass ich von Weitem immer noch gut aussehe – so aus etwa zweihundert Kilometern. Also, was ist passiert?

Na ja, Mutterschaft eben. Als junges Mädchen hatte ich einen wahren Horror davor, mich mit meinen dürren Gliedmaßen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Am Tag meiner Hochzeit wog ich 48 Kilo. Ein paar Jahre später stand ich in einem Top Shop und hyperventilierte bei dem Versuch, mir eine Jeans Größe 26 über die Hüften zu zerren. Ich schaute in den Spiegel, und was sah ich? Meine Mutter – kleine Titten, dicker Hintern.

Wann hatte ich die Schallmauer von 57 Kilo durchbrochen? Ich hatte mir fest vorgenommen, nach der Geburt meines Babys ins Fitnessstudio zu gehen, aber wer sollte so lange auf den Kleinen aufpassen? Ich war also viel zu Hause und trug dabei meistens Pyjamas, was dazu führte, dass ich ziemlich bald wieder schwanger wurde. Meine Kinder, die elfjährige Jenny und der dreizehnjährige Jamie, sind inzwischen ziemlich selbstständig; ich könnte jetzt theoretisch ins Fitnessstudio gehen. Aber als berufstätige Mutter finde ich es eher erstaunlich, wie ich überhaupt die Kraft aufbringe, die Mikrowelle anzustellen, um das Fertiggericht zum Abendessen aufzutauen. Und Kinder sind ja solche Kalorienbomben. Erst kocht man ihnen was, und anschließend saugt man unmerklich ihre Essensreste auf – in Ketchup getränkte Würstchen, Kartoffelbrei mit ordentlich Butter, Eiscreme, die in Schalen vor sich hin schmilzt, alles echte Schlankmacher. Na ja, soll man vielleicht alles umkommen lassen? Also lagert man es in den Hüften ein. Ein Glück, dass ich meine Mutter so vergöttere, da ich mich nun in sie verwandelt habe!

Als ich endlich so weit war, zur Party loszugehen, in einem Hosenanzug von M&S aus kinderlosen Zeiten (den Hosenbund erweiterte eine Sicherheitsnadel, das Ganze versteckt unter dem relativ langen Blazer), stellte ich fest, dass sich mein Haar bewegte. Es schien mir freundlich aus dem Spiegel zuzuwinken. O bitte nicht schon wieder. Kopfläuse. Ein permanentes Berufsrisiko von Grundschullehrern. Ich hatte die Wahl, entweder mit einem Glöckchen in der Hand durch die Straßen zu laufen und »Unrein! Unrein!« zu rufen, womöglich ein großes X auf unsere Tür zu malen, oder aber, etwas weniger wie beim alten Dickens, meinem Schädel einen Chemikalien-Supergau zu verpassen. Ich entschied mich für Letzteres. Eine Nisse konnte nun da oben nur noch in einem feuerfesten Neoprenanzug mit Taucherflaschen überleben. Ich war zwar nicht mehr ansteckend, aber ich glaube, »schick« sah anders aus.

Während Rory vor dem georgianischen Anwesen der Studlands in Hampstead seinen verbeulten, nach Hundepipi und Meerschweinchen-Aa stinkenden Jeep unter einem Halteverbotsschild quer über dem Bürgersteig parkte, schaute ich zu den Erkerfenstern hinauf. Ich sah jede Menge wirklich schicke Leute, die keine Kopfläuse hatten, im Salon herumstehen. Wir hörten das gedämpfte, feingeistige Stimmengewirr, unter das sich feistes Männerlachen mischte. Mein Mann setzte seinen speziellen Blick auf, bei dem man sofort an einen Hammel auf dem Weg zur Schlachtbank denkt.

»Furchtbar. Jazz und Studz sind endgültig die Edmund Hillarys des gesellschaftlichen Aufstiegs geworden. Du weißt doch, wie sehr ich unter Höhenangst leide, Cassie. Wir sollten lieber eine Seilschaft bilden, falls einer von uns abstürzt.«

Jazz und Studz waren, was die Zeitungen gern ein »Powerpärchen« nennen. Sie hatten in allen angesagten Zentren der gesellschaftlichen Macht angedockt. Obwohl es schon Mitte Januar war, stand garantiert noch die Weihnachtskarte des Premierministers auf dem Kaminsims, neben der von Kofi Annan und zweifellos einer von Nelson Mandela. Die Karte, die auf meinem Kaminsims das meiste hermachte, stammte von meiner Reinigung an der Ecke, mit der Aufforderung, sie bald wieder zu beehren.

Hannah Wolfe öffnete mir die Tür mit einer Champagnerflöte in der Hand. Sie ist eine temperamentvolle Frau mit dunklen, glasigen Puppenaugen, einer weichen Knopfnase, vollem roten Haar, skeptisch gewölbten Augenbrauen, einer rauen Stimme und einem Willen, der so stark ist wie ihr legendärer Espresso. Sie beherrscht drei Sprachen, die sie alle mit demselben sperrfeuerartigen jüdisch-südafrikanischen Akzent spricht, und sie hat ein gewinnendes, polterndes Lachen. Hannah geht auf die vierzig zu, aber aus der falschen Richtung. Die Frau wird einfach nicht älter … was vielleicht an ihren Kollagen-Injektionen zweimal wöchentlich und der Tasache liegt, dass sie sich täglich mit Lammföten-Frischzellen einschmiert.

Ihre entenhafte Haltung – kerzengerader Rücken und flach gedrückte Brust – lässt vermuten, dass Hannah schon in frühster Jugend von ihrer Mutter in Tutus gezwungen wurde.

Hannah, die ihren Job als Kunstlehrerin an einer Gesamtschule aufgegeben und auf Innendesign umgesattelt hatte, bevor es in Mode kam, kann für sich beanspruchen, dem Westen Feng-Shui gebracht zu haben (das ist so was wie Chop Suey, schmeckt bloß nicht so gut). Anfangs hatte man sie gelegentlich mit Martha Stewart verglichen, aber sie besteht darauf, schon JAHRE, bevor Martha am Horizont auftauchte, eine widerliche, verlogene Zicke gewesen zu sein. Ich bewundere Hannah, trotz ihres Hangs zur Ungeduld und ihrer ewigen schnarrenden Aufforderung: »Herrgott, Leute, nun macht doch endlich!« Ms Wolfe weiß immer ganz genau, welche perlenbestickten Pashmina-Tücher oder Überwürfe aus Chinchilla-Imitat dieses Jahr als Accessoires ein Muss sind. Die Design-Diva könnte sich so raffiniert in einer Persenning drapieren, dass es aussähe wie ein Ballkleid und niemand etwas merken würde. Jedes Mal, wenn Hannah mich in meinen ausgeleierten Leggings oder tintenbeklecksten Jeans sieht, schaut sie mich vollkommen entgeistert und schmerzverzerrt an und sieht dabei aus, als würde sie sich ihr Gesicht bis an die Rückseite ihres Schädels saugen.

Nachdem sie ihr erstes Vermögen damit gemacht hatte, reiche Erbinnen zu beraten, ob sie ihre Wände pfirsich- oder pistazienfarben streichen sollten, beschloss Hannah, »nie wieder einen Job anzunehmen, bei dem ich mir die Fingernägel schmutzig machen könnte, Darling«. Kurz darauf eröffnete sie ihre Kunstgalerie in der Old Bond Street und verdiente ihr zweites Vermögen.

Die Welt der Spekulanten und Schaumschläger bescherte ihr ein Haus in Regents Park – es ist so groß, dass es für jeden Anlass eine eigene Toilette hat – sowie einen Heiratsantrag von Pascal.

Als ich Hannah an der Pädagogischen Hochschule kennenlernte, legte sie Wert darauf, nur mit Männern etwas anzufangen, die einem Beruf mit P nachgingen: wir hatten bereits einen Polarforscher, einen Poeten, einen Pornografen, einen Pianospieler, einen Philanthrophen und einen politischen Dissidenten kommen und gehen sehen. Pascal war zwar Maler, aber immerhin begann sein Name mit P. Besser gesagt, er nannte sich Maler. Jazz und ich fanden, dass mit ihm die Serie nicht vorbei war, denn wir hielten ihn für einen Penner.

Pascal mit seinem attraktiven dunklen Äußeren, dem verwöhnten Schmollmund, den träge, halb geschlossenen Augenlidern und den medusenhaften Dreadlocks, die sein Haupt krönten wie eine Aureole, war der heißeste Liebesgott der Kunstfakultät. Machen wir uns nichts vor: »Ich heiße Pascal Swan. Und ja, ich bleibe meiner Partnerin ein Leben lang treu«, ist schon ein ziemlich unschlagbarer Anbaggerspruch. Er schien sogar zu stimmen. Wenn auch sein Haupthaar nicht gehalten hatte, ihre Ehe schon.

Wo Hannah von einem unverwüstlichen Optimismus ist, sieht Pascal in allem die Schattenseite. Wenn man ihn ließe, würde er über EuroDisney in den Himmel schreiben lassen: Es gibt gar keinen Weihnachtsmann!

Obwohl wir es ekelhaft fanden, wie er sich von Hannah aushalten ließ (als Pascal bei der Hochzeit seinen Arm um die Braut legte, flüsterte Jasmine: »Würde er mit seiner Hand in ihrem Portemonnaie nicht viel natürlicher wirken?«), und obwohl wir Rory und David überredet hatten, ihm bei seinem Junggesellenabschied zu verklickern, er sei ein Arsch, wenn er seinen nicht endlich hochkriegte und anfangen würde zu arbeiten, nahmen wir ihm doch am meisten den Deal übel, den er mit ihr gemacht hatte. Er würde Hannah nur unter der Bedingung heiraten, dass sie keine Kinder bekämen, beziehungsweise »kleine Kanalratten«, wie er sie nannte.

Wenn Jazz und ich über unsere Kinder jammerten, vollführte Hannah jedes Mal ein kleines Freudentänzchen. »Ich begehe gerade den Internationalen Tag der Kinderlosen, Darlings. Was war doch diese freiwillige Unfruchtbarkeit für eine weise Entscheidung!«

Mit anderen Worten: Sie gackerte über ungelegte Eier.

Als wir jetzt vor Jazz’ Haustür standen, schüttelte Hannah bei meinem Anblick ungläubig den Kopf. Die Silberohrringe klimperten keck an allen vier Löchern ihrer niedlichen Ohrläppchen.

»Was soll das werden? Willst du mir einen Gebrauchtwagen verkaufen?« Sie zeigte auf mein nach hinten geklatschtes Haar. Hannah ist der unsolidarischste Mensch, den ich kenne. Darum ist es ja so lustig mit ihr.

»Das war Nissen-Napalm. Ich muss es zwölf bis sechzehn Stunden drinlassen. Wer ist alles da?« Noch während ich den Mantel ablegte, sah ich, wie Rory sich schleunigst in die Küche verzog. Ich hörte ihn murmeln, dass er mal nach den Haustieren schauen wolle – obwohl ich genau wusste, dass Jazz ihrem Sohn Josh höchstens erlauben würde, sich einen zahmen Feldspat zu halten.

»Oh, die Guten und die Großartigen. Ein paar Premierminister von irgendwelchen nagelneuen Demokratien«, seufzte Hannah, »der eine oder andere Nobelpreisträger, der größte lebende Dramatiker …«

»Ach herrje. Die Kultur-Kommissare. Amüsiert sich wenigstens Jazz?«

»Na ja, immerhin hat bis jetzt keiner das K-Wort erwähnt. Sie sind alle völlig aus dem Häuschen wegen diesem Popstar, den die Vereinten Nationen gerade zur Goodwill-Botschafterin ernannt haben – zumindest glaube ich, dass sie ein Popstar ist. Mit einem Namen wie Kinkee könnte sie genauso gut Nutte sein. Amerikanerin, Blondine, und das Preisschild auf ihren Supermarkt-Titten kann man auch noch erkennen. Sie sagt, sie will zur Schauspielerei wechseln, Darling, zweifellos als Paris Hiltons Mösen-Double.«

Ich lachte. »Eine echte Rampensau, ja? Ach du Scheiße!« Ich hatte im Spiegel der Eingangshalle meine Al-Capone-Frisur erblickt. Ohne Maschinenpistole wirkte ich underdressed. »So wie ich aussehe, kann ich doch da unmöglich reingehen.«

Aber Hannah hatte mich schon in den Saal gestoßen, wie ein Ausbilder für Fallschirmspringer einen Rekruten mit Lampenfieber. Und da war Jazz, mit lachenden, samtenen Augen, einem göttlichen Busen und honigfarbenem Haar, elegant frisiert und umwerfend in einem bunten Cocktailkleid aus Seide. Sie schenkte mir ein leicht verwirrtes Lächeln, als ich in den Saal segelte.

Ich gab ihr ein Küsschen zur Begrüßung. »Du siehst aus wie ein Traumurlaub. Kann man dich buchen?«

Sie hielt mich mit Armeslänge auf Abstand, während sie mein Nissen-Napalm begutachtete. »Kopfläuse, stimmt’s? Du siehst aus wie ein Kerl. Am besten, du machst einen auf Lesben-Chic, dann glauben alle, du trägst dein Haar absichtlich so.«

Aber ich brauchte mir um mein Aussehen keine Gedanken zu machen, da alle nur Augen für die Pop-Prinzessin hatten. Sie war Mitte zwanzig und hatte lackierte Lippen, Brüste wie Raketen und die obligatorischen makellosen Zähne. Sie war außerdem von einer kadaverhaften Blässe und lag, wie ein Jockey, weit unter ihrem Normalgewicht. Wahrscheinlich ritt es sich so besser, mutmaßte ich. Was soll ich sagen: Sie war geboren für die Rückbank einer Stretch-Limo. Dieser Workout-Junkie war so scharf darauf, allen Leuten zu zeigen, wie viele Stunden sie auf ihrem Heimtrainer verbrachte, dass sie lediglich ein Bustier und passende Hotpants aus Netzstoff trug. Die Frau verströmte eine solche Eitelkeit, dass sie garantiert einen Suchscheinwerfer in ihrem Schlafzimmer installiert hatte.

Trotz der vielen Stunden, die wir Mädels darauf verwendet hatten, gut auszusehen, fiel den Männern nicht einmal auf, dass innerhalb eines Zehn-Meilen-Radius noch andere weibliche Wesen vorhanden waren. Die Gegenwart der Pop-Prinzessin ließ uns unter die Rangstufe minderer Amöben fallen. Während Kinkee dummdreist über Kabbala und asiatisches Schröpfen schwadronierte, lag ihr die männliche sogenannte Intelligenz von London verzückt lachend zu Füßen.

Zu meinem Entsetzen verstummte die Pop-Prinzessin plötzlich und rauschte zu mir herüber. Eine Federboa wand und krümmte sich wie eine exotische Schlange um ihren weißen Hals. »Wow. Lesben-Chic. Geil.« Die Boa zuckte, als wäre sie lebendig. »Bipolar, biatlantisch, bisexuell. Alles ist heute bi, bi, bi. Ich hab schon überlegt, ob mir etwas Lesben-Action karrieremäßig nicht ein paar mehr Optionen bringen würde, weißt du?«

Die Sabbergreise, die alle hoffen durften, irgendwann in naher Zukunft als Briefmarke wieder aufzutauchen, verlagerten nun ihre schlaffen Blicke auf mich. Im Mittelpunkt ihrer flüchtigen Aufmerksamkeit versuchte ich mich ein bisschen kokett zu geben; ich kicherte und schüttelte das Haar. Ein Fehler, denn ich hatte vergessen, dass ich verseucht war. So katapultierte ich eine Pestsalve toter und sterbender Läuse in die Atmosphäre. Lass jucken, hätte ich fast zu ihr gesagt. Ein schlechter Scherz, den ich mir lieber für Jazz aufheben wollte, die begeistert sein würde. »Na ja, eigentlich ist es Goldwasser«, gestand ich.

Die Fürsprecherin von parasitenbefallenen Kindern in der Dritten Welt würgte, kreischte laut auf und schoss dann mit Lichtgeschwindigkeit auf die andere Seite des Saals. Die Vereinten Nationen hatten sie eindeutig wegen ihrer Überlebenstechniken auserwählt. Ich freute mich schon darauf, wie sie sich bei diesen Kongo-Exkursionen machen würde.

Jazz rettete mich, indem sie nun zu Tisch bat, und obgleich Studz noch nicht eingetroffen war, begaben wir uns im Gänsemarsch in das überfrachtete Esszimmer, wo die Elite der männlichen Intelligenz sich ein erbittertes Kopf-an-Kopf-Rennen um den Platz neben der Pop-Prinzessin lieferte. Bei Zucchinisuppe und Piment-Coulis entspann sich zwischen dem Menschenrechtsanwalt, der in Burma im Gefängnis gesessen hatte, dem chilenischen Journalisten, der ein Buch über seine Folterhaft geschrieben hatte, und dem Dichter, der immer noch mit der Fatwa belegt war, ein Wettstreit, wer von ihnen der Heldenhafteste und Opfermutigste war und wer die meisten Todesdrohungen erhalten hatte. »Das hat man nun davon, wenn man sich mit seiner politischen Überzeugung zu weit aus dem Fenster lehnt«, seufzte der Journalist mit dem Pulitzerpreis. Es war eine salonfähige Variante des Penisvergleichs. Grundsätzlich hätte jeder dieser Pazifisten für einen Friedensnobelpreis morden können.

Ich hingegen hatte nie eine Kampfzone aus der Nähe erlebt, es sei denn, man lässt die Schlange vor der Kasse im Supermarkt gelten. Ich kam mir vor wie ein Mensch zweiter Klasse, weil ich auf keiner Abschussliste stand und mein Telefon nicht angezapft wurde. Andererseits, sollte mir irgendwann nach Folter sein, bräuchte ich ja nur an den Elternabenden in der Schule meines Sohnes teilzunehmen.

Die Pop-Prinzessin, die von den Hahnenkämpfen der Männer anscheinend nichts mitbekam, brabbelte ungehemmt weiter über die Vorteile von Tofu-Gesichtscreme, während wir Ehefrauen die Augen verdrehten und uns heimlich belustigte Blicke über die Peinlichkeit des Mädchens und die Eitelkeit der Männer zuwarfen.

Jazz, unsere zupackende Gastgeberin, schleppte gerade Servierplatten mit Gemüse heran. Sie blieb kurz hinter mir stehen, als ein aktivistischer Tattergreis von seiner brutalen Kerkerhaft in Südafrika berichtete. »In Wirklichkeit«, zischte sie mir ins Ohr, »war seine einzige echte Schmerzerfahrung, als ihn einmal ein BBC-Reporter fragte, ob ihm sein ererbtes Vermögen nicht quälende Schuldgefühle bereitete.«

Ich betrachtete ihn von der Seite. Nicht nur war dieser Oxford-Emeritus ein Fossil, er hatte auch ein Gesicht, das eine Vogelscheuche das Fürchten lehren könnte. »Mach dich nicht lustig. Es kommt der Tag, da wird seine Schönheit welken«, flüsterte ich zurück.

Ein Kichern stieg wie Champagnerbläschen in uns auf. Männer sind so eingebildet, dass ihnen nie in den Sinn kommt, sie könnten für ein Mädchen zu alt sein – nicht mal, wenn ihnen beim Cunnilingus das Gebiss rausfällt.

Die Anwälte, die Köpfe gesenkt, die vielen Kinne ineinander vergraben, wetteiferten, wer die meiste pro-bono-Arbeit leistete. Jazz gestand mir, dass sie nur pro Bono war, wenn er Konzerte gab. Man kam sich vor wie in einem Raum voller flachbrüstiger Frauen, die sich um einen BH Körbchengröße 80 C kloppten.

Hannah, Jazz und ich pressten die Beine zusammen und bissen uns auf die Lippen, damit man uns unsere Albernheit nicht anmerkte. Gute Freundinnen haben eine emotionale Geheimsprache, die nur sie verstehen. Wir können fließend und gänzlich ohne Worte darin kommunizieren. Ich sinnierte gerade, wie viel einfacher alles wäre, wenn Männer Geweihe hätten (vielleicht würden sie dann wenigstens aufhören, diese blöden Riesenautos zu fahren), als David Studlands hereinschwebte und sie alle in den Schatten stellte.

Die gleichmäßige Bräune, die maßgefertigten Zähne, die Krone aus üppigem, in würdiger Eleganz ergrauendem Haar, für die allein er schon in den Ritterstand erhoben werden müsste; die frisch gestärkten Seidenhemden mit den rassigen Manschettenknöpfen von Paul Smith – alles an ihm flößte Respekt ein. Als Jazz aufstand, um ihren Mann zu begrüßen, strahlte sie verliebt.

»Entschuldige die Verspätung«, sagte er forsch, »dringendes Meeting mit dem Premier wegen unserer AIDS-Kampagne in Uganda.« Studz war so heiß begehrt, so ausgebucht, so heroisch – wann immer er irgendwo auftauchte, hatte er gerade die Nordwand des Spendensammelns für Folteropfer bezwungen oder ähnlich Bedeutsames geleistet –, dass ihm stets verziehen wurde, man ihn hätschelte und hofierte.

Studz ließ sein umwerfendes Lächeln aufblitzen – das Lächeln eines Spielers, der nur hohe Einsätze riskiert. Als er dann sprach, erleuchtete er den Saal mit seiner Eloquenz. Er berichtete ausführlich von seinem letzten Projekt im Sudan, wobei er den Beitrag der Pop-Prinzessin zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung bei unterprivilegierten Kindern lobend hervorhob. Mit amüsanten kleinen Anekdoten und witzigen, seinen eigenen Anteil herunterspielenden Nebenbemerkungen gelang es ihm, jedem einzelnen Gast in der einen oder anderen Form zu schmeicheln, indem er kurz dessen einzigartige und selbstlose Eigenschaften streifte. Jazz lächelte nur entzückt und ging dann in die Küche, um den Hauptgang zu holen.

Ein großer dampfender Topf mit ihrem berühmten Osso Bucco wurde aufgefahren, dazu Lauch und Rote-Bete-Essenz. Unter den gierigen Ahs und Ohs ihrer Gäste begann sich Jazz sichtlich zu entspannen. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mutter sah ich sie lachen und scherzen. Und das gefürchtete K-Wort war auch nicht gefallen. Ich atmete gerade erleichtert auf, als sich die Pop-Prinzessin ein Stück Kalbfleisch auf die Gabel spießte und es musterte wie ein missglücktes medizinisches Experiment.

»Mit Fleisch können Sie mich jagen. Davon kriegt man Darmkrebs, okay?«, nuschelte sie laut.

Jazz fuhr auf wie von der Tarantel gestochen. Hannah und ich tauschten verzweifelte Blicke. Ich wünschte, Rory würde in diesem Moment zu einem seiner gefürchteten Vorträge über das Paarungsverhalten der Riesenoktopusse ansetzen, aber es war ziemlich schwierig, ihm mein Anliegen nur mithilfe von Zeichensprache zu übermitteln.

»Probieren Sie den Wein«, forderte Hannah die Pop-Prinzessin auf, in der Hoffnung, sie von ihrem leidigen Thema abzubringen. Die anderen Gäste, die alle wussten, dass Jazz’ Mutter kürzlich an Krebs verstorben war, lächelten wie versteinert und beteten, sie würde endlich die Klappe halten.

»Diese Konservierungsmittel, die sie immer in den Wein tun, die sind auch krebserregend«, dozierte Kinkee. Vielleicht wäre es eine gute Idee, sie jetzt auf das Preisschild an ihren Titten aufmerksam zu machen?

Ein nervöses Zucken machte sich auf Jazz’ zarter Wange bemerkbar. Den ganzen Abend hatte man sich in angeregter Unterhaltung die Bälle zugeworfen; plötzlich herrschte ungemütliches Schweigen. Die Dinnerparty schien sich mit einem Mal länger hinzuziehen als der Krieg im Irak – und wir waren erst beim Hauptgang.

»Machen Sie sich nicht so viel Sorgen, davon kriegt man nur Falten«, rief ich lustig der Pop-Prinzessin über den Tisch zu, aber sie schaute mich strafend an.

»Man sollte sich aber um solche Sachen Sorgen machen, echt. Ich meine, was haben Sie da für Zeug im Haar? Sind das Chemikalien?«

»Na klar. Damit könnte man ein ganzes Al-Qaida-Nest ausradieren.«

»O Gott. Davon kriegen Sie garantiert Krebs.«

Jasmines Augenbrauen bebten, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen.

Rorys quäkendes Handy brach die bleierne Stille. Zweifellos ein Zwischenfall mit einem Hamster.

»Oh, Sie benutzen ein Handy? Also ich schon lange nicht mehr«, sagte die Schauspielerin selbstgerecht, als mein Gatte davoneilte, um einem Lemming beim Selbstmord beizustehen, oder in einer ähnlich dringenden »Notlage« zu helfen.

»Weil das nämlich –«

»Ja, ja: krebserregend ist«, fuhr Hannah sie an.

»Ich denke zu viel nach, stimmt’s? Das war schon immer mein Problem«, stöhnte die Pop-Prinzessin.

Alle Männer nickten eifrig zustimmend, eine überzeugende Heuchelleistung. Ich hätte mir denken können, dass der einzige Ehrgeiz der Pop-Prinzessin darin bestand, bei Big Brother mitzumachen – nur dass ihr IQ dafür nicht ausreichte.

Während sie weiter munter drauflosquasselte, welche Krebsgefahr von Handy-Sendemasten ausging, sah Jazz betroffen zu Boden. Hannah machte hilflose Gesten in meine Richtung und ich morste SOS zurück. Es gingen so viele Flaggensignale zwischen uns hin und her, dass wir ein Flugzeug hätten landen können.

Welches Thema könnte ich noch anreißen, um sie abzulenken? Ich zermarterte mein Hirn. Eine spitze Bemerkung mit einem F-Wort würde es wahrscheinlich bringen. Worüber unterhalten sich Leute normalerweise bei Londoner Dinnerpartys? In welche Schule man seine Kinder schicken soll, Außenpolitik, Zweithypotheken. Das einzige Mal, als ich nachhakte, weil ich wirklich wissen wollte, wie viel solche Leute für ihre Häuser bezahlt hatten und was sie heute wert waren, hatte sich das als ziemliche Spaßbremse entpuppt. Wofür könnte sich ein kalifornischer Popstar wohl interessieren? Dann fiel mir der Schlager des Small Talks ein, einer, der immer passt. »Sagen Sie – was ist Ihr Sternzeichen?«, fragte ich begeistert.

Der ganze Tisch blickte erwartungsvoll auf die Pop-Prinzessin.

»Krebs«, sagte sie.

Da hielt es Hannah, Jasmine und mich nicht mehr auf unseren Stühlen. Wir sausten unter dem Vorwand kulinarischer Pflichten in die Küche und brachen dort in hilfloses Gelächter aus. In unserer hysterische Heiterkeit schaukelten wir uns mit Bemerkungen weiter hoch, wie man den Hunger auf der Welt beenden könnte, wenn man einfach mehr Pop-Prinzessinnen essen würde, und wir machten anzügliche Anspielungen auf genmanipuliertes Gemüse, anders gesagt: intellektuelle alte Knacker. Wir lachten jetzt Tränen, wie nur beste Freundinnen das können. Ich echauffierte mich dabei so, dass ich meine Jacke ausziehen musste und die große silberne Sicherheitsnadel, die meine Hose zusammenhielt, zum Vorschein kam, woraufhin wir endgültig zusammenbrachen.

Unsere Ausgelassenheit ließ etwas nach, als Hannah verkündete, sie habe vom vielen Lachen Kopfschmerzen bekommen. Jazz ging nach oben, um Panadol zu holen. »Ich bin sicher, David hat welche bei sich im Bad«, sagte sie, immer noch glucksend. »Schließlich ist er der Arzt.«

Während Jazz im Badezimmerschränkchen ihres Mannes kramte, schaute ich mich in ihrer Küche um. Das Kochgeschirr von Le Creuset – die ganze Serie – passte zur auberginefarbenen Kachelfront hinter der Spüle. An den Wänden, um den Plasma-Bildschirm von Bang & Olufsen herum, hingen geschmackvolle Schwarz-Weiß-Fotografien von Arbeitsurlauben in Namibia und Sri Lanka. Der Edelstahl-Doppelherd von Neff, der Miele-Kühlschrank, die Cappuccinomaschine und der Brotbackautomat, alles hätte direkt den Seiten von Vogue Perfect Living entsprungen sein können. Blumensträuße in Seidenpapier lagen auf der Arbeitsplatte und warteten darauf, in Vasen gestellt zu werden. Ich musste an meine eigene Küche denken – an Müslischalen mit Essensresten, auf denen sich pelzige Schimmelschichten bildeten, himalajaartige Tellerberge im Abwasch, in der Mikrowelle vergessene Hotdogs, die zuschnappten, wenn ich sie drei Wochen später entdeckte. Ich verspürte einen Hauch Neid angesichts des perfekten Ehemannes, des perfekten Sohnes, des perfekten Lebens meiner Freundin. Ich würde mit Satans Sperma gurgeln, nur um auch so ein Leben führen zu können.

»Also, wir haben Panadol, Aspirin …«, las Jazz laut vor, während sie Hannah die Medikamente reichte. »Nurofen, Ibuprofen, Viagra …«

Das Wort war schon heraus, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

»Viagra?«, fragte Hannah. Wir starrten alle drei auf die anstößige Packung. »Wie lange nimmt Studz schon Viagra?«

Jazz’ Miene verfinsterte sich. »Ich wusste gar nichts davon.«

»Oi wej!«, rief Hannah mit weit aufgerissenen Augen, aber sie fing sich gleich wieder. »Das muss gar nichts heißen. Im Grunde ist es sogar sympathisch, dass er es vor dir verheimlichen wollte. Von uns erfährt keiner was, oder, Cassie? Großes Schweigegelübde.«

»Natürlich. Großes Schweigegelübde«, beeilte ich mich zu sagen. »Außerdem bin ich sicher, dass auch Pascal ohne Hannahs Wissen Viagra nimmt. Er braucht eh nur eine Viertelpille, weil er so ein Wichser ist«, lästerte ich.

Normalerweise wäre Jazz über jede Bemerkung, die den Pseudokünstler herabwürdigte, entzückt gewesen, aber ihr Gesicht war starr wie eine Maske.

»Na, Rory nimmt ja auf jeden Fall Viagra, wenn man bedenkt, wie sehr er in letzter Zeit gewachsen ist«, stänkerte Hannah zurück, aber Jazz glich immer noch einer Steinskulptur auf den Osterinseln. »Ach, komm schon, Jazz«, sagte sie beschwichtigend. »Das ist doch wirklich keine große Sache, Darling. Alle Männer in Davids Alter werfen hin und wieder mal eine Lustpille ein, damit sie ihn hochkriegen.«

»Das kann ich leider nicht beurteilen«, entgegnete Jazz eisig, »da wir nicht miteinander schlafen. Und zwar seit einem Jahr, einem Monat, zwei Wochen, fünf Tagen …«, sie schaute auf ihre Uhr, »… und sieben Stunden, um genau zu sein.«

Die Luft im Raum war plötzlich stickig. »Oh«, war alles, was Hannah und ich hervorbringen konnten, nachdem der Groschen gefallen war.

»Statt einem Ständer hat mein Mann ständig Migräne«, fuhr sie tonlos fort. »Ich dachte, es hätte was mit unserer Lebensphase zu tun. Besser gesagt seiner. Ich