Zu gut für diese Welt - Kathy Lette - E-Book

Zu gut für diese Welt E-Book

Kathy Lette

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Beschreibung

An Lizzie nagt der Zahn der Zeit. Eben noch glücklich und erfolgreich, gilt sie mit neununddreißig als Auslaufmodell. Ihre Stelle als Nachrichtensprecherin muss sie für ein hohles hübsches Ding räumen, und Hugo rutscht Herz und Verstand in die Hose, weil er sich in eine Schauspielerin verliebt, die seine Tochter sein könnte und die nur aus Kurven und Knochen zu bestehen scheint. Aber Lizzie nimmt den Kampf gegen Sexgöttinnen und Hormonschwankungen auf. Und es zahlt sich aus, dass sie schon immer mehr Hirn als Hintern hatte.

„Trockener Humor und Unverblühmtes über Mann und Frau – mit brilliantem Sprachwitz begeistert Kathy Lette ihre Fans.“ Freundin

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Seitenzahl: 350

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KATHY LETTE
Zu gut für diese Welt

Roman

Zu gut für diese Welt

An Lizzie nagt der Zahn der Zeit. Eben noch glücklich und erfolgreich, gilt sie mit neununddreißig als Auslaufmodell. Ihre Stelle als Nachrichtensprecherin muss sie für ein hohles hübsches Ding räumen, und Hugo rutscht Herz und Verstand in die Hose, weil er sich in eine Schauspielerin verliebt, die seine Tochter sein könnte und die nur aus Kurven und Knochen zu bestehen scheint. Aber Lizzie nimmt den Kampf gegen Sexgöttinnen und Hormonschwankungen auf. Und es zahlt sich aus, dass sie schon immer mehr Hirn als Hintern hatte.

„Trockener Humor und Unverblühmtes über Mann und Frau – mit brilliantem Sprachwitz begeistert Kathy Lette ihre Fans.“ Freundin

Von Kathy Lette sind im Diana Verlag erschienen:

Drei sind ein tolles Paar

Zu gut für diese Welt

Keine Frau ist eine Insel

Wie man seinen Mann umbringt

Besser als Liebe

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Vollständige deutsche E-Book-Ausgabe 08/2016

Copyright © 2001 by Kathy Lette

Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel Nip ‘N Tuck bei Picador, London

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2002 by Wilhelm Heyne Verlag, GmbH & Co. KG, München, und dieser Ausgabe © 2016 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angela Troni

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, München – Zürich

Umschlagfoto: © Martin Poole/getty images

Alle Rechte vorbehalten

eISBN 978-3-641-20358-0V002

http://www.diana-verlag.de

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Dieses Buch ist meinen Kindern Georgina und Julius gewidmet, ohne die ich um

»Gott hat euch ein

Inhaltsverzeichnis

Buch und AutorinCopyrightWidmung1. - Einleitung: Das Trippeltrappel kleiner Krähenfüße2. - Bist du sicher, dass ein Kuchen für die vielen Kerzen reicht? 3. - Notaufnahme! Wir bekommen zu tun! 4. - Zu alt für Lambada, zu jung zum Sterben 5. - Wenn ich nicht alles kriegen kann, krieg ich dann wenigstens ein bisschen von dem, was sie hat? 6. - Du machst mich an wie Haute Cuisine, Baby 7. - Nach den Michelin-Sternen greifen 8. - Ein wahres Wort, gelassen ausgesprochen 9. - Es kam schlimmer, als es kommen konnte 10. - Das Ehemann-Unsicherheitssyndrom 11. - Wenn die Avon-Lady zweimal klingelt 12. - Danke für Backobst 13. - Was bin ich denn? Ein Hamster? 14. - Ist das eine Brieftasche in deiner Hose oder freust du dich bloß, mich zu sehen? 15. - Ein langer harter Tag endet in der Scheiße 16. - Mit einem Mann wie meinem braucht man kein Klistier 17. - Unglaublich, es riecht nach Ehe, sieht aus wie Ehe, fühlt sich an wie Ehe – aber es ist einfach keine Ehe! 18. - Die Nacht ist jung, du leider nicht! 19. - Lange Fädchen für blonde Mädchen 20. - Stressed to kill 21. - Wassersport und andere Seitensprünge 22. - Sigmund Freud-Etage – Neurosen, Psychosen, Paranoide Schizophrenie, Wahnvorstellungen und Damenunterwäsche, bitte hier aussteigen 23. - Shoppen und Picken 24. - Meine Damen und Herren, aus Krankheitsgründen springt heute Abend Pamela Anderson für Lizzie McPhee ein … lehnen Sie sich zurück und genießen Sie die Show 25. - »Bitte etwas langsamer sprechen, ich bin naturblond« 26. - Vermasselte Möpse 27. - Ich fühl mich ohne dich so mies, es ist, als wärst du bei mir 28. - Mit Geduld und der gütigen Unterstützung eines gelegentlichen Serienkillers 29. - Vorzeitige Einäscherung 30. - Das war damals, jetzt ist alles neu 31. - Hässlichkeit ist Ansichtssache: Nimm Augentropfen Dank

1.

Einleitung: Das Trippeltrappel kleiner Krähenfüße

Gestatten Sie mir, uns vorzustellen.

Zunächst gibt es da jenes Ich, das ein kumpelhaftes Verhältnis zu Schnittlauch zwischen den Schneidezähnen hat. Das Ich, das keinen Haarconditioner benutzt, weil es so lange dauert. Das Ich, das erst heute früh sein Heuschnupfenmit seinem Spermizidspray verwechselt hat. Meine Vagina kann nun freier atmen und meine Nasenlöcher können mindestens die nächsten sechs Stunden sicheren Sex praktizieren.

Es ist das Ich, dessen Vorstellung von körperlicher Ertüchtigung ein kräftiges, ausgedehntes Nickerchen ist. (Die medizinischen Beweise häufen sich, dass Joggen zu Hitzewallungen und Schweißausbrüchen führen kann.) Das Ich, das sich darüber im Klaren ist, dass Schaufensterpuppen zu dünn wären, um zu menstruieren, wenn sie echte Frauen wären. (Ich meine, hallo? Es gibt drei Milliarden Frauen auf der Welt, die nicht wie Supermodels aussehen. Und nur sechs, die wirklich so aussehen.) Hey, wenn Sie sich zu dick finden, stellen Sie sich einfach neben eine hochschwangere Frau – führen Sie immer eine bei sich. So lautet mein Rat. Und tragen Sie Strumpfhosen, die Abweichungen ebenso scharf ahnden wie die Taliban.

Es ist das Ich, das im Sommer die Beine nur bis Rocksaumhöhe rasiert. Im Winter bin ich zu faul, um mich überhaupt zu rasieren. Ich trage dicke Strumpfhosen und hoffe, dass niemand merkt, wie sich die Stacheln durch das Lycra bohren. Was mit den Löchern ist? Die male ich schwarz aus, mit Filzstift. Wenn ich mich doch mal schere, vergesse ich garantiert irgendwo eine Stelle und laufe dann mit einem borstigen Streifen auf der Rückseite eines Beines herum. Und für meine Schamhaare könnte man schon einen Ondulierstab brauchen. Ich mag meine Bikinilinie, verdammt noch mal. Es ist, als hätte man ein kleines Kuscheltier im Höschen. Weshalb ich am Strand auch den Kanalüberquerungs-Look bevorzuge, Anno 1922: vom Kinn bis an die Knie. Nichts geht über einen robusten orthopädischen Badeanzug.

Meine andere Vorliebe in Kleidersachen sind Jogginganzüge. Mein Motto heißt – wenn’s passt, lass es hängen. Ich ziehe gern Klamotten an, die so weit sind, dass sie einen Flugzeugträger bedecken könnten; zusammen mit Großraum-Unterhosen – ja, meine panty-line ist immer gut sichtbar. Ich habe eine ausgemachte Allergie gegen G-Strings. Hey, wenn ich eine Ausschabung bräuchte, würde ich ins Krankenhaus gehen und das ordentlich machen lassen.

Es ist dasselbe Ich, das in Sachen Schönheit den Geist über das Stoffliche stellt – Stoffe gehen mir auf den Geist. Das Ich, das dafür sorgt, dass die Angst vorm Älterwerden immer hübsch unterhalb meines Alarm-Radars kreuzt. Das Ich, das findet, dass Alter keine Rolle spielt, es sei denn man wäre, sagen wir mal, ein Stilton. Oder haben Sie schon mal einen Cheddar gesehen, der sich einer Dermagen-Kur zur Straffung des Muskelgewebes unterzieht?

Dieses Ich verkündet auf Dinnerpartys angeheitert, dass mit Make-up mehr Umsatz gemacht wird als in der Rüstungsindustrie. »Und wenn man’s recht bedenkt, dann sind doch diese Verschönerungsmittelchen nichts anderes als Munition im Sexkrieg.« (Meine Freundinnen sticheln normalerweise an dieser Stelle: »Sag mal, sitzt dein Tampon schlecht?«) »Die meisten Kosmetikhersteller sind erwiesenermaßen Franzosen. Was sagt uns das? Dass sie jede Menge Scheiße im Kopf haben und es auch noch laut hinausposaunen. Darum geht’s doch.« (Sie wundern sich allmählich, dass ich überhaupt Freunde habe, stimmt’s?)

Aber mal ehrlich. »Die Wissenschaft von der Schönheit« … ich bitte Sie. Wenn diese so genannten Schönheitsforscher so wahnsinnig schlau sind, wieso haben sie sich noch nicht drangemacht, das Loch in der verdammten Ozonschicht zu stopfen? Wenn ich die Wahl hätte zwischen einem Dammschnitt und dem Gelaber einer Schönheitstherapeutin, würde ich sagen: »Her mit dem Skalpell.« Das Ganze ist nichts als Protein-angereicherter Hokuspokus. Der einzige Grund, einen Moisturizer »Wunder-Creme« zu nennen, ist doch die Tatsache, dass jemand bereit ist, ganze fünfzig Pfund dafür abzudrücken.

Es ist das Ich, das glaubt, »freie Radikale« hätten was mit Nelson Mandela zu tun. Das Ich, das sich bei der Anrede »Dame« umdreht und guckt, ob die Gräfin von Thurn und Taxis hinter ihm steht. Obwohl ich Moderatorin von The World News Today bei der BBC bin, tue ich ganz offensichtlich nur so, als sei ich erwachsen. In Wirklichkeit werde ich mit jedem Jahr unreifer. Nachdem ich die Ereignisse des Tages zu leicht verdaulichen, aber nahrhaften Nachrichtenhäppchen kastriert habe, verschwende ich in der Arbeit ganze Nachmittage damit, mir unglaublich kindische Spitznamen für meine Vorgesetzten auszudenken. Wenn ich über den jüngsten Vulkanausbruch oder einen politischen Korruptionsskandal berichtet habe, sieht man mich häufig allein in meinem Büro sitzen, mein Deodorant als Mikrofon benutzen und stumm die Lippen zu einer Destiny’sChild-Single bewegen. Oder ich hänge mit den Mädchen von der Maske herum und wir spielen dem Büro des Premierministers Telefonstreiche oder verewigen unsere Labialregionen auf dem Kopierer.

Das ist das Ich, das ich mag – das Ich, dem man nachsagt, Unmengen von Wodka trinken zu können und es fertig zu bringen, in einem fremden Land aufzuwachen, mit nichts als Nippelschmuck am Leib. Das Ich, das eine Cocktailparty nur dann verlässt, wenn es entführt oder mit vorgehaltenem Messer dazu genötigt wird. Das hochkarätige, weltliche Ich mit den niedrigen Betriebskosten, das in sechzehn Sprachen sagen kann: »Hey, Kumpel, ich hab da eine extrem ansteckende Geschlechtskrankheit, die ich irre gern mit dir teilen würde.«

Aber dann ist da noch dieses andere Ich.

Das andere Ich prallte kürzlich gegen ein Polizeiauto, weil es im Rückspiegel prüfend sein Gesicht auf Spuren von UV-Strahlung absuchte. Der Körper dieses anderen Ich ist von Cremeschichten bedeckt, die dick genug sind, dass sich kleine Haustiere darin verfangen könnten – Katzen, Eichhörnchen und ab und zu eine Hausmaus; sie alle kann man sehen, wie sie in meinen niederen Gefilden auf Grund gelaufen sind und hilflos zappeln. Ehrlich, die Dosis an Mittelchen, mit denen ich mich seit neustem überschütte, kann es mit der Ölfördermenge des Irak aufnehmen. Mein Gatte, Dr. med. Hugo Frazer, läuft Gefahr, sich mit einem einzigen Kuss ein Golfkriegsyndrom zu holen. Wirklich, ich habe eine Heidenangst, eine toxische Kettenreaktion auszulösen, weil ich mir versehentlich einen Dekolleté-Softener von Revlon zusammen mit einem Anti-Cellulite-Gel von Clarins auf den Bauch schmieren und dann einfach explodieren könnte! In blutigen kleinen Fetzen werde ich mich über das ganze verdammte Zimmer verteilen. Na ja, wenigstens würden diese Kosmetika ihrem Anspruch alle Ehre machen, »den Alterungsprozess drastisch zu bremsen«.

Das andere Ich, das sich in einem Körper gefangen fühlt, der ihm nicht länger gehört … weshalb ich mich keuchend und schnaufend im Hamsterrad der Selbstvervollkommnung einem frühzeitigen Tod entgegenschleppe … Und weshalb die New York Review of Books zugunsten von Zeitschriftenartikeln wie »Zehn Tipps zur Optimierung des Muskeltonus bei Mammutschenkeln« ungelesen in der Ecke liegen bleibt.

Dieses andere Ich kann man im Narzissmus-Bad rückenschwimmen sehen, und zwar im Turbotempo. Dieses andere Ich findet sich so hässlich, dass es befürchtet, die Leute, die es nur von der Seite anschauen, könnten unmittelbar erblinden.

Was ist bloß los mit dieser Frau, höre ich Sie fragen. Wenn ihr Hirn ein Spielzeug wäre, stünde darauf: »Enthält keine Batterien«; hergestellt von einer Firma namens Depps Incorp. Ich meine, woher kommt diese Schizophrenie?

Woher? Na, weil ich neununddreißig bin.

Daher.

Eines Abends mit neununddreißig legt man sich wie immer mit seiner normalen, angeschmuddelten alten Persönlichkeit ins Bett, im verwaschenen Arsenal-T-Shirt seines Mannes, mit einem Zahnpastaklecks auf dem Kinn und einem Rest Zahnseide, das noch zwischen den Beißern baumelt, wohlig umhüllt von seiner mottenzerfressenen Lieblingspyjamahose, der mit dem Loch, dem Fleck und dem ausgeleierten Gummiband (für den Fall, dass man seine Tage kriegt) – nur um als Fitness-Junkie in Stretchkleidung wieder aufzuwachen, mit Poren, die ständig rehydriert werden wollen, einem Privattrainer, einem Therapeuten der Jungschen Schule, einem Auto in der Form eines sexuellen Stimulationsgeräts, einer Maniküre sowie einer Schwäche für Milchbubis und lange Gespräche über Algen-Gesichtsmasken und tantrische Vaginalspülungen.

Verschönerungstechniken, an die man nie einen einzigen Gedanken verschwendet hat, nehmen plötzlich mehr Platz im Hirn ein als die Gesamtverschuldung der Dritten Welt. Wenn ich die Wahl hätte, ob ich eine neue Diät anfangen oder dem Hunger auf der Welt den Kampf ansagen sollte, würde ich erst mal fragen müssen: »Ähm … Slimfast oder Jenny Craig?«

El Niño und die damit verbundene Umweltzerstörung erscheinen einem weniger besorgniserregend als die Entdeckung einer neuen Falte. Sagte ich Falte? Wem versuche ich was vorzumachen? Ich habe genügend Krähenfüße für einen ganzen Vogelpark. Und Krähenfüße sind es eigentlich auch nicht, es sind gottverdammte gigantische Straußenabdrücke … Wer hat die Flugsaurier losgelassen? Offenbar sind sie mir quer übers Gesicht marschiert, und ich Idiot hab’s nicht gemerkt.

Es ist, als hätten einem UFO-Strahlen aus einer fernen Galaxie den Befehl ins Hirn gebeamt, ausgerechnet wegen der Elastizität seiner Innenschenkel in Verzweiflung zu geraten. Genauso schnell verflüchtigt sich das Geld im Portemonnaie, um sich in den Tresorräumen der Kosmetikfirmen wieder zu materialisieren. Und wozu das Ganze? Für eine »Zaubercreme«, von der einem niemand genau sagen kann, wie sie hergestellt wurde – aber, um’s mal so zu formulieren: Zweihundert Frettchen sind ins Labor reingegangen, und nur zwei sind wieder herausgehoppelt, und die hatten mit einem Mal ein paar zusätzliche Köpfe, und außerdem eine mysteriöse Geschlechtsumwandlung vollzogen.

Aber wen interessiert’s? Man kauft das Zeug ja trotzdem. Irgendwie entwickelt man eine chronische Unfähigkeit, zu Schönheitsberaterinnen bei Harrods Nein zu sagen. Pürierte Panzernashorn-Erektionen? Ja, bitte. Zerriebene Schafsembryos in der praktischen, handtaschengroßen Spenderdose? Aber hallo. Herrgott noch mal, wenn eine Kosmetikerin mir empfehlen würde, meine eigene Monatsbinde zu verzehren, um diese jugendlichen Apfelbäckchen zu bekommen, würde ich’s tun, ohne mit der Wimper zu zucken.

Plötzlich sind Sonnenlicht, durchzechte Nächte, Alkohol, Kaffee und alles andere, was das Leben schön macht, nicht mehr dc – dermatologisch correct. Ohne jede Vorwarnung verspüre ich den mir bisher wesensfremden Wunsch, den Kindern eines Schönheitschirurgen die Privatschule zu finanzieren, von der ersten Klasse bis zum Abi. Aus heiterem Himmel vergleiche ich meinen Arsch mit dem von Frauen auf meterhohen Reklametafeln und führe Listen über alle weiblichen Wesen in meinem Bekanntenkreis, die jünger und schlanker sind als ich.

Ich, Lizzie McPhee, die Frau, die einen Bauarbeiter in den Schwitzkasten nahm, sobald sein Mund nur Anstalten machte, sich zu einem Pfiff zu kräuseln. Ich, Lizzie McPhee, brünettes Großmaul, dem man nachsagte, ihren Vibrator im Kickstart anzulassen.

Wenigstens bin ich nicht die Einzige, die sich dermaßen zum Affen macht. Ich habe den Eindruck, dass alle Frauen über neununddreißig – von der Doppelagentin, die ganze Terroristenringe zerschlug, bis hin zur Fliegerin, die ihre Bruchlandung auf einem Himalajagipfel überlebte – sich wider Erwarten in geistesgestörte Möchtegern-Barbiepuppen verwandeln und verzweifelt nach einem Elixier suchen, mit dem sie jene schreckliche, unheilbare Frauenkrankheit bekämpfen können – das Alter. Es ist kein rassistisches, sondern ein kosmetisches Vorurteil – eine Diskriminierung, unter der allein Frauen zu leiden haben. (Ich meine, Woody Allen treibt’s ja wohl noch immer, oder?) Für uns Weibchen ist doch ein Wortspiel schon ein Vorspiel. Aber für die Kerle? Also wenn ein Mann danach beurteilt wird, wie er auftritt, dann eine Frau nach dem, was sie aufträgt. Und wir brauchen keine Heerscharen von Verhaltensforschern, die uns erklären, warum Männer Frauen nach ihrem Aussehen bewerten. Weil sie nämlich besser gucken können als denken.

Ich frage Sie also, ist es verwunderlich, dass sich der IQ von Frauen, sobald sie die Neununddreißig erreicht haben, drastisch halbiert, wenn sie in die Nähe eines Schönheitsprodukts geraten? Dass wir uns um das neueste Anti-Ageing-Mittelchen scharen wie Berufsrevolutionäre um ihr Freiheitsbanner?

Für Frauen ist vierzig zu werden gefährlicher als ein Beach-Tanga in hoher Brandung.

Ich mache Mutter Natur dafür verantwortlich (verlogenes Miststück!), und Väterchen Zeit (blödes Arschloch!). Jawoll, diese beiden frauenfeindlichen Spielverderber haben mir das Taschengeld gekürzt und Stubenarrest verpasst. Und wenn sich zwei so autoritäre Wichtigtuer verbünden, hat da eine Frau überhaupt noch eine Chance? … Weshalb ich mich auch, ein halbes Jahr nach meinem neununddreißigsten Geburtstag, im Aufwachraum eines Krankenhauses wiederfinde, zwischen pastellfarbenen Tapeten und Fahrstuhl-Gedudel, gerädert, kodderig, groggy und vollgepumpt mit schmerzstillenden Mitteln. In Bandagen gewickelt wie eine Mumie, fühle ich mich wie ein Weihnachtsgeschenk, das darauf wartet, unter lauter Ahs und Ohs ausgepackt zu werden.

Aber werde ich denn auch Ah und Oh machen? Oder wird dies der Tag sein, an dem ich erwache, auf die Algen starre, die meinen Unterleib bedecken, und auf das himbeerfarbene Einlaufröhrchen, das mir im Hintern steckt, und zu mir sage: »Wie konntest du nur so bescheuert sein?«

Mit Nadeln gespickt und benebelt von der Narkose, versuche ich in einen Wachzustand vorzudringen, aber die Ungeheuerlichkeit meiner Tat lässt mich immer wieder wegsacken. So viel geschah im letzten Jahr, das mich letztlich hierher trieb – Ehebruch, Inzest, Tod und Scheidung … ein kleiner Unfall mit einem Do-it-yourself-Bikini-Waxing-Set … Die Tatsachen brechen über mich herein. Ich entsinne mich dunkel, dass alles im letzten Juni begann, an meinem neununddreißigsten Geburtstag. Da fühlte ich zum ersten Mal, dass mich mein Alter zwang, auf der Standspur zu trampen. Und ein Laster namens Leben war gerade an mir vorbeigedonnert.

2.

Bist du sicher, dass ein Kuchen für die vielen Kerzen reicht?

Mein neununddreißigster Geburtstag begann mehr oder weniger wie jeder andere Tag – mit einer kalten Tasse Kaffee und einem Meerschweinchen-Kötel. Wie ich meinen Nachrichtenredakteuren bei der BBC immer erkläre, ist der Grund, warum ich von den aktuellen politischen Entwicklungen häufig keine Ahnung habe, dass meine Kinder den Hamsterkäfig immer mit der Morgenzeitung auslegen, bevor ich sie gelesen habe. Ich besitze die bestinformierten Nager in der westlichen Welt.

Mein Gatte Hugo drückte mir ein hastig verpacktes Gerät zum Unkrautjäten in die Hand, für unseren landschaftlich neu gestalteten Garten – in dem kein Unkraut wuchs. »Und da wird immer behauptet, es gäbe keine Romantik mehr«, lachte ich. Er war schon wieder auf dem Sprung ins Krankenhaus, um einen armen Teufel mit einer geplatzten Halsschlagader zu retten, der seinen Wagen gegen einen Laternenpfahl gesetzt und sich selbst mit dem Gesicht zuerst durch die Vorderscheibe katapultiert hatte.

Aber ehrlich gesagt, es war ja gerade dieses selbstlose Engagement, das ihn für mich so anziehend machte, als wir uns kennen lernten. Herrje, wie lange war das wieder her? Zehn – nein, elf Jahre. Ich hatte mir bei einem Sturz von der Berliner Mauer den Unterkiefer in tausend Teilchen zergeschlagen – die einzige Verwundete der Sanften Revolution. Mein damaliger Arbeitgeber CNN flog mich in ein Londonder Krankenhaus, wo ich die nächsten zwei Wochen damit verbrachte, Hugo Frazer zu beobachten, der mit langen Beinen entschlossen von Station zu Station schritt, als stehe er auf unsichtbaren Skiern. Mein Mann ist nämlich Gesichts- und Kieferchirurg. Er setzt bei Landminen-Opfern die Puzzleteilchen wieder zusammen, entfernt Krebstumore oder richtet schauerliche Geburtsfehler à la Elefantenmensch, meistens in aufreibenden, zwölf Stunden dauernden Operationen. Sein Selbstvertrauen ist so groß wie seine Schultern breit sind, breit genug, um für sich selbst Reklame zu laufen. Wegen seiner Körpergröße, der blauen Augen und des sympathisch knorrigen Gesichts (als würde er jetzt schon für die Stelle trainieren, die frei wird, wenn Robert Redfords Arterien anfangen, sich zu verhärten), benötigte ich genau zwei Untersuchungen, um mich zu verlieben.

Schnell warfen wir berufsethische Bedenken über Bord und gaben uns einer dermaßen heißen, intensiven Leidenschaft hin, dass ich mir Sorgen machte, sie würde das globale Klima beeinflussen. »Wir können nur hoffen, dass Saddam Hussein nie in so eine Ekstase gerät wie wir«, keuchte ich postkoital.

Hugo erwiderte, er empfinde eine solche Hochstimmung, fühle sich so high, dass er jeden Moment erwarte, von Fluglotsen aufgefordert zu werden, seine Position durchzugeben – in diesem speziellen Augenblick auf dem mittleren Regalbrett des Medikamentenschranks.

Es ist klar, warum ich verrückt nach ihm war (Hugo war im Grunde wie jeder andere Typ aus einem griechischen Heldenepos). Aber ich konnte nie begreifen, was er an mir fand. Ich glaube, es hat etwas mit den seriösen akademischen Kreisen zu tun, in denen er damals verkehrte. Wir sprechen hier von weiblichen Bücherwürmern. Wie sprechen hier von Frauen, die knöcheltief in Haarschuppen waten. Weshalb es ihm auch, wie er sagte, meine niedrige Lachschwelle angetan hatte, meine unbeschwerte Neigung, Dummheit messerscharf zu sezieren wie ein Skalpell die Epidermis – wofür er den Umstand verantwortlich machte, dass ich halb amerikanisch und bis zu meinem zehnten Lebensjahr in den Staaten aufgewachsen war. Und ich glaube, dass ihn außerdem mein Job faszinierte: die Staatsstreiche, die gestürzten Diktatoren, und ich mittendrin in meiner Flakweste, einen Klecks Lippenstift auf dem verdreckten, übernächtigten Gesicht, in meinem kugelsicheren BH forsch verkündend: »Hier meldet sich Lizzie McPhee aus der Kampfzone …«

Vielleicht spielte es auch eine Rolle, dass ich, als wir uns kennen lernten, mein Krankenhausnachthemd versehentlich verkehrt herum trug – Sie wissen schon, das Ding mit dem klaffenden Schlitz über die ganze Länge.

Selbst nach all den Jahren fühlte ich, wie mich eine Welle der Liebe durchflutete, als Hugo durch das Schlafzimmer auf mich zukam und die Lippen spitzte, um mir meinen Geburtstagskuss zu geben. Wenn ich jetzt einen Arzt aufsuchen würde, würde er mir folgende Diagnose stellen – unerschütterliche Liebe zum Dr. med.

Meine Kinder – die neunjährige Julia und der siebenjährige Jamie – waren meine nächsten Gratulanten. Während ich für sie lauwarme Toastscheiben dick mit Marmite beschmierte, rissen sie sich von ihren grellbunten Frühstücksflocken mit fröhlichen Namen wie Frech und Fruchtig! los, um mir eine Sammlung selbst gebastelter Diademe aus alten Klorollen zu verehren, die ich lobte, als hätten sie mir gerade die Qumran-Schriftrollen überreicht.

»Mami, gab es schon Fernsehen, als du gelebt hast?«

Hugo hielt unserer Tochter spielerisch den Mund zu. »Weißt du noch, wie begeistert wir waren, als sie anfingen zu sprechen?«, fragte er und schüttelte milde lächelnd den Kopf.

Jamie probierte gerade, ob man Weetabix nicht mit dem Ventilator in dünnere Scheiben schneiden konnte.

Hugo wischte sich Milch von der Stirn, beugte sich zu mir herab und gab mir einen geronnenen Kuss. »Mach dir keine Sorgen. Wenn sie Teenager sind, dann nehmen wir Heroin, okay?«

»Glaubst du, es ist stark genug?«, fragte ich und pflückte eine durchgeweichte Nautische Nuß! von seinem Revers.

Aber er war nicht böse. Hugo betetete seine Kinder an. Wenn wir in die Oper gingen, erkundigte er sich schon per Handy nach ihnen, bevor wir überhaupt an der Straßenecke waren. Er wusste, ohne hinsehen zu müssen, wer von beiden dem anderen ein M & M in den Nasengang geschoben hatte. Er verlor in ihrer Gegenwart nie die Beherrschung, nicht einmal in jenem fürchterlichen Augenblick, als sie auf der Autobahn versehentlich die Aufblasschnur an ihrer Hüpfburg gezogen hatten. Nicht einmal, als er mitten in einer Operation dringend auf seinem Pager gerufen wurde, weil die Kinder gerade die Katzen gewaschen hatten und wissen wollten, welches Programm im Trockner sie einstellen sollten.

Als er ihnen die Hand unters Kinn legte und jedem einen Abschiedskuss gab, sah ich, wie sich die Liebe in kleinen Wellen über sein Gesicht ergoss, und ich verspürte einen prickelnden Schauer puren Glücks.

Hugo hetzte zum Krankenhaus, die Kinder zogen widerwillig nach oben ab, um sich für die Schule anzuziehen, und ich versuchte eine Schnellreinigung der Küche vorzunehmen. Meine Küche war, genau wie ich, mit sich und der Welt zufrieden. Überall angeschlagene Fußleisten infolge heimischen Rollerfahrens, Kaffeeflecken auf allen Oberflächen, ein Chaos kitschiger Magneten, die Stundenpläne und Hausarbeitstermine auf einem Kühlschrank festhielten, der unter Lungenerweiterung litt. Ich entfernte gerade die von nassen Müslilöffeln herrührenden braunen Klümpchen in der Zuckerdose, als meine ältere (was sie natürlich nie nach außen durchsickern lassen würde) Halbschwester Victoria auf dem Weg zum Schönheitssalon hereinrauschte, um sich einen kleinen Koffein-Kick zu holen.

»O Scheiße«, formulierte Victoria überdeutlich, da sie vermeiden wollte, dass ihr roter Lippenstift mit ihren perfekten Zähnen in Berührung kam, »du hast ja Geburtstag. Hab ich ganz vergessen, Schätzchen. Neununddreißig! Also, um Himmels willen«, hier senkte sie konspirativ die Stimme, während sie einen leichten Wildledermantel abstreifte, aus niedlichen, allerliebsten Waldtierchen gemacht – zweifellos einer geschützen Art –, »erzähl’s bloß nicht weiter! Du kannst mir glauben, die zwanzig Jahre zwischen fünfunddreißig und vierzig sind die aufregendsten im Leben einer Frau!«

Ich lachte und verspürte eine Mischung aus Zuneigung und Verzweiflung. »Weißt du, was für eine arme Sau du bist? Das ist wirklich so was von armselig und jämmerlich. Offensichtlich ist dir entgangen, dass ›Älterwerden‹ absolut im Kommen ist.«

Victoria ist Model, und glauben Sie mir, aus ihrer Zeit stammt das »cat« in Catwalk. Den meisten Tiefgang hat bei ihr das Dekolleté. In den Achtzigerjahren war sie eine Legende, aber sobald sie die Dreißig erreichte, flackerte ihr Stern nur noch in der Wattleistung einer Funzel. Inzwischen waren mehr als zehn Jahre vergangen, seit ihr Konterfei zuletzt das Etikett einer Shampooflasche geziert hatte. Ihre Model-Aufträge beschränkten sich mittlerweile auf Auftritte in, sagen wir mal, Helsinki, so gegen, nun ja, halb fünf, am Morgen. Und ihre Drehorte wurden auch immer gefährlicher – Sie wissen schon, wo sich sonst niemand hintraut, Somalia, Belfast oder tiefstes Birmingham. Die harte, nackte Wahrheit? Meine Schwester kam schneller in die Jahre als ein Paar Plateaustiefel von Prada.

»Du wirst staunen«, ich entwand meinen Arm ihren scharlachroten Tentakeln, »aber ich glaube, dass mir die Anonymität des Alters gefallen wird. Mit vierzig kann einem alles egal sein, man kann endlich anfangen, still und leise zu vergammeln.«

Meine Schwester warf mir einen hochmütigen Blick zu. »Mach dich nicht lächerlich, Schätzchen«, antwortete sie und lugte in ein diamantenbesetztes Puderdöschen, um ihr Make-up Marke Spatel & Co. aufzufrischen. »Vierzig werden ist der Auftakt zum Greisentum.« Sie plumpste auf einen Küchenhocker und schauderte. »Alter ist für Frauen das, was Kryptonit für Superman ist.«

»Herrje, Victoria, du klingst so, als wäre ich für die Rolle der Norma Desmond im Remake von Boulevard der Dämmerung vorgesehen!«, sagte ich genervt und warf Selleriestangen und Mohrrüben in die Lunchboxes der Kinder.

»Tu bloß nicht so, als würde es dir nichts ausmachen, Elisabeth. Die Angst, vierzig zu werden, ist vom Internationalen Gerichtshof anerkannt. Und du bist keine Ausnahme.« Sie aß einen Krümel vom Brotschneidebrett – womit das Frühstück für sie erledigt war – und zündete sich eine Zigarette an. »Wo sich doch jede zweite Vierzigjährige verbraucht und missbraucht und auf den Abfallhaufen der Gesellschaft geschmissen fühlt, wieso solltest du dich da anders fühlen?« Sie ließ einen Kringel Krebs erregenden Qualms für Passivraucher entweichen. »Mit der Haltung stößt du nur alle deine Freundinnen vor den Kopf.«

»Hör mal, wenn der große Tag gekommen ist, werde ich wahrscheinlich zu viel trinken.« Ich rammte die Tupperwaredeckel geräuschvoll auf die Lunchboxes der Kinder. »Möglicherweise werde ich weinen und nackt auf dem einen oder anderen Tisch tanzen. Aber ich mein’s ernst. Ich finde es gut, älter zu werden.«

Meine Schwester verdrehte ihre massiv wimpernbetuschten Augen. Angesichts der Tonnen von Lidschatten kam das einem optischen Gewichtheben olympischen Ausmaßes gleich.

»Nein, wirklich. Ich habe keine Angst mehr vorm Leben, so wie früher einmal. Es ist mir egal, ob man mich mag oder nicht. Ich mag mich. Und ich kenne meine Grenzen. Ich habe auch nicht mehr den Ehrgeiz, den Nobelpreis für Astrophysik zu bekommen. Ich werde auch nie Astronautin werden. Oder eine Nacktszene in einem Film drehen. Ich werde nie mit Ben Affleck schlafen. Ich werde nie schön sein. Aber wenn ich vor einer Sache absolut keinen Schiss habe, dann sind es Falten. Oder vorm Tod, wenn man’s recht bedenkt …«

»Herzchen, Falten sind der Tod.«

»Hugo liebt mich so, wie ich bin.«

Victoria ließ ihre kunstfertig gestutzten Augenbrauen nach oben wandern. »Zeig mir die Frau, die glücklich über ihr Alter ist, und ich zeige dir die Brandmale ihrer Elektroschockbehandlung.«

Ich schüttelte den Kopf. Als Halbschwestern lieben wir uns, Victoria und ich, aber als Freundinnen sind wir unausstehlich. Das Einzige, das uns verbindet, ist die gemeinsame Verachtung für unsere mater familias. Unsere Mama, eine drittrangige britische Schauspielerin am Broadway, überlebte eine stürmische Sechsminutenehe mit einem unveröffentlichten New Yorker Lyriker, aus der Victoria hervorging. Alles, was ich je über die Identität meines Vater aus ihr herausholen konnte, erfuhr ich während eines verunglückten Aufklärungsgesprächs. »Wo komme ich her, Mama?«

»Aus Brooklyn«, sagte sie lapidar.

Victoria und ich vermuten, dass sie nur wieder schwanger wurde, weil es eine sinnvolle Ablenkung vom VorabendFernsehen war. Wann immer sie zu einem Gespräch mit unserer Schulleiterin zitiert wurde, zog sie es vor, in die Karibik zu fliegen. Schließlich steckte sie uns in eine Internatshölle im englischen Surrey und verschwand aus unserem Leben – für die nächsten zehn Jahre. Ihr kleines Lieblings-Bonmot lautete, ihr sei so verzweifelt daran gelegen, keine Kinder mehr zu bekommen, dass sie ein Kondom über ihren Vibrator stülpe. (Trotz der endlosen Warnungen unserer Mutter – »Jeder Mann hat schnell genug von einem Fräulein Neunmalklug« – haben wir beide von ihr die uncharmante Gabe einer spitzen Zunge geerbt.) Inzwischen hat sie sich hinter den Mauern eines Hochsicherheits-Altersheims verschanzt und sich kraft einer gerichtlichen Verfügung gegen jegliche Besuche unsererseits verwahrt.

Aber abgesehen von der gemeinsamen Enttäuschung über unsere Mutter könnte man sich kein ungleicheres Geschwisterpaar vorstellen. Victoria mit ihren halbmondförmigen, leuchtend grauen Augen und dem schlanken fotogenen Luxuskörper von einem Meter achtzig sieht nicht im Geringsten wie eine Schwester von mir aus. Ich bin brünett, Victoria ist blond – und entschlossen, noch blonder zu werden. Ich wollte immer groß und herablassend sein wie sie, stattdessen wurde ich gedrungen und wissbegierig. Wir unterscheiden uns also nicht nur äußerlich. Während ich nach dem Abi ein Jahr lang an den Stränden Südostasiens in der Sonne brutzelte, habe ich meine Schwester noch nie in direktem Sonnenlicht erlebt. Ich erzähle allen Leuten, dass sie nachts zum Schlafen kopfüber von der Decke hängt. Während ich der Ansicht bin, dass mein Körper lediglich dazu da ist, meinen Kopf durch die Gegend zu tragen, glaubt meine Schwester, ihrer habe ausschließlich die Funktion, sich Gedanken über ihren Körper zu machen. Nachdem ich an der Brown University Geisteswissenschaften studiert hatte, zog ich infolge meines CNN-Jobs nach Europa – nur um festzustellen, dass Victoria auf den Titelseiten aller englischen Modezeitschriften prangte.

Mein Blick fiel auf unser Spiegelbild in den Scheiben des Wintergartens. Ich sah so erhitzt und zerzaust aus wie meine Schwester gut frisiert und gefasst. Wenn sie morgens um neun Uhr aus dem Haus gehen will, fängt sie um vier an, sich fertig zu machen. Sie ruht nicht, ehe sie sich nicht in ein Kleid Größe XXXS gezwängt hat. Noch im Grab wird Victoria es fertig bringen, eine Collagenmaske und Nachtcreme aufzulegen.

Ich versuchte, meine Funken sprühende Haarmähne mit einem Gummiband im Nacken zu bändigen. Warum war ausgerechnet ich die Schwester, die vom Bäumchen der reizlosen Mädchen abgeschüttelt und im Fallen auch noch von jedem beschissenen Ast zerkratzt worden war, verdammt noch mal?

»Schätzchen, vergiss nicht heute Abend.« Sie ließ im Veronica-Lake-Stil eine blonde Strähne sanft über ihr rechtes Auge fallen. »Es könnte deine besondere Geburtstagsüberraschung werden.«

Meine Schwester war Mitglied im Vulva-Ensemble, das im Rahmen einer großen Wohltätigkeitsveranstaltung die Vagina-Monologe aufführte. Obwohl sie auf einer unerbittlichen Talfahrt in die Drittklassigkeit unterwegs war, krallte sich Victoria mit ihren Acryl-Nägeln eisern an jedes sich bietende Engagement. Und bei einem Event mit hoher Medienpräsenz dabei zu sein, in dem es darum ging, Spenden für ein Frauenhaus zu sammeln, war Teil des Plans zu ihrer Publicity-Rehabilitierung.

Ihr zwergenhaftes rosa Nokia klingelte. Strahlend raunte sie mir das Wort »Sven« zu und schnurrte kehlig ins Telefon: »Darrrrling, sechs Wochen ohne dich waren viel zu lang. Meine Muschi ist schon ganz wuschig. Und, hast du in Amerika einen Job für mich gefunden?«

Ich verzog schmerzhaft das Gesicht. Während ich mich in meinen Büchern vergraben hatte, war Victoria mit sechzehn aus unserer düsteren Internatsschule à la Nicholas Nickleby ausgerissen. Sie fand einen Job als Oben-ohne-Kellnerin in einer spanischen Tapas-Bar, danach hatte sie ein kurzes Gastspiel als »Tänzerin« in Sophisticats, wo ein Model-Scout sie entdeckte. Das Erste, was Sven zu ihr sagte, war: »Du bist zu 99,9 Prozent ideal. Wenn du für mich arbeiten würdest, wärst du hundertprozentig perfekt.« So lautete jedenfalls ihre Version. Ich persönlich glaube eher, dass sie ihren widerlichen Freund nur in einer polizeilichen Gegenüberstellung kennen gelernt haben kann. Herrgott noch mal, der Mann hatte ja Handschellen-Bräunungsstreifen.

ENDE DER LESEPROBE