Wieder Land sehen - Christian Firus - E-Book

Wieder Land sehen E-Book

Christian Firus

4,7

Beschreibung

Wer an einer Depression erkrankt ist, leidet. Die Stimmung ist gedrückt, die Sorgen nehmen überhand, man fühlt sich den Anforderungen des Alltags nicht mehr gewachsen. So schwer eine Depression auch zu ertragen ist, die Heilungschancen sind sehr hoch. Christian Firus beschreibt prägnant und einfühlsam, was Betroffene selbst tun können, um ihre Depression zu lindern. Seine Empfehlung: Gut für sich selbst zu sorgen und seine Bedürfnisse, Werte und Grenzen ernst zu nehmen, ist der erste und wichtigste Schritt raus aus der Depression. Zwölf wirksame Strategien leiten dazu an, das Leben wieder in die eigene Hand zu nehmen und damit die Lebensfreude zurückzugewinnen.

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Cover

Haupttitel

Inhalt

Über den Autor

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Christian Firus

Wieder Land sehen

Selbsthilfe bei Depressionen

Patmos Verlag

Inhalt

Vorwort

1. Woran Sie erkennen, dass Sie an einer Depression leiden

2. Unterschiedliche Verlaufsformen der Depressionen

3. Warum Depressionen oft übersehen werden und wie Sie sie leichter erkennen können

4. Ist die Depression eine Krankheit der Moderne?

5. Erklärungen für das Entstehen einer Depression – das Vulnerabilitäts-Stress-Modell

6. Das Gute am Schlechten – gibt es gute Gründe für eine Depression?

7. Achtung Lebensgefahr! – Warum Depressionen tödlich sein können

8. Was Sie tun können – Selbstfürsorge und Selbstwirksamkeit

8.1 Essen, Trinken, Schlaf und Schlafhygiene

8.2 Dankbarkeit und Gelingen – mit beiden Augen sehen lernen

8.3 Zu eigenen Werten und persönlichen Aufgaben finden

8.4 Das Scheinriesenproblem oder: Wie Sie Gefühle beeinflussen können

8.5 Von der Selbstabwertung zum Selbstmitgefühl

8.6 Das 80-Prozent-Prinzip

8.7 Bewegung entdecken

8.8 Gemeinsam ist man weniger allein – Beziehungen pflegen

8.9 Abschalten lernen

8.10 Verzicht im Überfluss – warum weniger manchmal zufriedener macht

8.11 Vom »Ja, aber« zum »Ja und«

8.12 Was Ihre Stimmung hebt

9. Wann sind Medikamente oder eine Lichttherapie hilfreich?

10. Wie Sie rechtzeitig einen Rückfall erkennen

11. Wann Sie eine Psychotherapie brauchen und wie Sie den Weg dorthin finden

12. Anregungen für Partner und Freunde

13. Zusammenfassung und Ausblick

14. Dank und Anmerkungen

Anmerkungen

Literatur

Zitatnachweise

Für Antje, Nicolai und Julianna

Zauberformel gegen Entmutigung1

Verbünde dich

Mit der Hoffnung

Lass dich nicht einfangen

Im Netz der Zweifel

Schlage dich ins Gebüsch

Der guten Erinnerungen

Tauche ab

In die Wellen zweckfreien Spiels

Birg dich

In den Umarmungen deiner Lieben

Grabe

Nach den Schätzen in dir

Hüte dein Feuer

Zünde ein Licht an in der Dunkelheit

Singe ein Lied

Lass die Traurigkeit Platz nehmen

Schau der Angst ins Gesicht

Geh in den Zauberwald der Worte

Verdichte deine Furcht

Mach sie schön

Habe Geduld mit dir selbst

Sei gut zu dir

Hör nicht auf zu beten

Gib deine Schwäche

In die Hand dessen der stärker ist

Bitte um Verwandlung

Christine Ruppert

Wichtiger Hinweis:

Die im Buch enthaltenen Informationen und Ratschläge wurden sorgfältig geprüft. Verlag und Autor sind jedoch nicht haftbar zu machen für Irrtümer oder negative Folgen, die sich aus der Anwendung der dargestellten Informationen oder Ratschläge ergeben. Sämtliche Übungen und Unterstützungsmaßnahmen werden von Leserinnen und Lesern auf eigene Verantwortung durchgeführt.

Vorwort

Als meine Lektorin mich fragte, ob ich einen Ratgeber zum Umgang mit Depressionen schreiben könne, dachte ich zuerst: Warum ein weiteres Buch zu diesem Thema? Dann allerdings begann ich die Idee immer besser zu finden und mir wurde klar, dass es mit diesem Thema wie mit den meisten ist – es gibt unterschiedliche Sichtweisen, unterschiedliche Perspektiven, unterschiedliche Herangehensweisen und es gibt unterschiedliche Menschen. Niemals können alle Betroffenen mit einem Ratgeber alleine ihren Weg ins Thema und einen besseren Umgang mit ihren Beschwerden finden. Es ist genauso wie mit den vielen Psychotherapeuten – ich muss den für mich passenden finden, sonst wird es mit der gut gemeinten Hilfe nicht klappen.

Außerdem ist das Thema zu wichtig, als dass man es nicht auf andere Weise, mit einem anderen Behandlungsansatz noch einmal vertiefen kann, ja sogar muss. Denn immer noch nimmt sich in Deutschland etwa alle 45 Minuten ein Mensch das Leben, mindestens die Hälfte von ihnen leidet an einer Depression!

Es wird in diesem Buch ganz wesentlich um den Aspekt der Selbstfürsorge gehen. Damit möchte ich keinesfalls einem ungezügelten Egoismus das Wort reden, sondern vielmehr für einen wohlwollenden, fürsorglichen Umgang mit sich selbst werben. Selbstfürsorge ist nicht zu verwechseln mit Selbstoptimierung, der man heute kaum noch entgehen kann, und auch nicht mit Selbstausbeutung, auf die man zunehmend unter dem Deckmantel von mentalen und körperlichen Fitnessangeboten gerade auch in der Wirtschaftswelt trifft. Vielmehr geht es mir darum, zu zeigen, dass ein erster Schritt raus aus der Depression mit einem ernst gemeinten Sichsorgen um die eigene Person gelingen kann. Ja, dass eine Depression geradezu ein Tür­öffner sein kann, sich endlich um sich selbst und seine Bedürfnisse zu kümmern. Depressionen können dazu führen, dass Sie, um wieder gesund zu werden, nicht nur »wieder Land sehen«, sondern Neuland betreten und Ihr Leben verändern.

Schließlich besteht trotz aller Aufklärung zum Thema Depression und trotz einiger Outings prominenter Persönlichkeiten zur eigenen Depression unverändert eine erhebliche Stigmatisierung fort. Wenn zum Beispiel angehende Lehramtskandidaten eine Psychotherapie aus eigener Tasche zahlen, damit nirgends ein »falscher Eintrag« in ihren Akten auftaucht, der der Verbeamtung entgegensteht, dann handelt es sich um eine Stigmatisierung. Sie besagt, dass Menschen mit psychischen Problemen, wie zum Beispiel einer Depression, nicht leistungsfähig genug für unsere Gesellschaft sind.

Auch dem möchte ich mit diesem Buch entgegentreten. Depressionen können jeden treffen, sie sind kein Zeichen von Schwäche oder Versagen. Sie verursachen einerseits Leiden, bergen auf der anderen Seite allerdings auch Potentiale für Wachstum und Veränderung. Auch dazu möchte ich mit diesem Buch ermutigen.

Mögen Sie, wenn Sie von einer Depression betroffen sind, wieder Land sehen! Es lohnt sich, darauf zuzusteuern.

1. Woran Sie erkennen, dass Sie an einer Depression leiden

Der Schmerz der Seele ist schlimmer als der Schmerz des Körpers

Publilius Syrus, 1. Jh. vor Chr.

In dem Hollywood-Film »Der Biber« geht es um Auswirkungen und Auswege aus einer depressiven Erkrankung. Walter Black, gespielt von Mel Gibson, ist Leiter einer Spielzeugfabrik und Familienvater. Er leidet unter einer chronischen Depression, die mit zunehmender Filmdauer immer stärker wird. Schließlich ist er kaum mehr in der Lage, zu kommunizieren und seinen Beruf auszuüben. Sprachlosigkeit macht sich breit und die Familie verliert ihren Zusammenhalt. Als seine Frau Meredith, dargestellt von Jodie Foster, sich von ihm trennt, flüchtet Walter mehr und mehr in den Alkohol, schließlich versucht er sich das Leben zu nehmen.

Doch dann findet er in einem Mülleimer eine Biber-Handpuppe. Mit ihrer Hilfe beginnt er, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten und den Alltag allmählich wieder zu bewältigen. Die Handpuppe wird zu einem zweiten Ich, das vieles von dem verkörpert, das er selbst vermeintlich nicht besitzt: Selbstbewusstsein, Kontaktfähigkeit, Kreativität etc. Auf diese Weise entwickelt sich wieder eine bessere Beziehung zu seiner Familie. Allerdings übernimmt der Biber mehr und mehr die Kontrolle über Walters Leben. Als er diese Abhängigkeit erkennt, versucht er, sich von der Puppe zu trennen.

Walters älterer Sohn Porter lehnt seinen Vater und dessen für ihn peinliches Verhalten lange Zeit ab. Doch als die von ihm verehrte Norah, für die er eine Abschlussrede an der Schule geschrieben hat, öffentlich diesen Betrug gesteht und gleichzeitig über ihr Trauma durch den Verlust ihres verstorbenen Bruders spricht, erkennt Porter die Bedeutung familiärer Bande und beginnt seinen Vater zu verstehen. Erstmals entwickelt sich eine echte und offene Beziehung zwischen Vater und Sohn. Auch dadurch gelingt es Walter, wieder in sein normales Leben zurückzukehren.

Dieser eindrucksvolle und stellenweise auch sehr berührende Film aus dem Jahr 2011 greift das Thema Depression mit vielen seiner Facetten auf. Er beschreibt eindrücklich, welche Auswirkungen vor allem die Sprach­losig­keit, die häufig mit Depressionen einhergeht, haben kann. Diese Sprachlosigkeit der Betroffenen und Angehörigen zu durch­brechen, ist ein wesentliches Anliegen dieses Buches. Allerdings bedeutet die Konfrontation mit der Depression nicht selten einen deutlichen Einschnitt ins bisherige Leben. Auch dies zeigt der Film eindrücklich. Gleichzeitig vermittelt der Film eine zentrale Botschaft, die sich auch durch das gesamte Buch ziehen soll: Sie sind mit Ihrer Depression nicht allein und es gibt viele Wege aus Sprachlosigkeit, Rückzug und depressiver Verzweiflung!

Depressionen sind häufig. Neuste Studien gehen davon aus, dass in Europa innerhalb eines Jahres etwa sieben Prozent der Bevölkerung an einer Depression erkranken.2 Andere Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit im Laufe seines Lebens eine Depression zu bekommen, bei etwa fünfzehn Prozent liegt.3 Die Weltgesundheitsorganisation erkennt in der Depression eine der weltweit häufigsten Erkrankungen, die mit einer »beeinträchtigten Lebenszeit« (gemessen anhand der sogenannten »disability adjusted life years«) einhergeht. Die WHO geht auch davon aus, dass die Beeinträchtigung durch depressive Erkrankungen in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird.

Depressionen sind nicht nur weit verbreitet, sie werden immer noch häufig nicht erkannt und verlaufen auch deswegen oft chronisch. Tragisch ist dieser Verlauf nicht nur wegen des damit einhergehenden Leidens für die Betroffenen und ihr direktes Umfeld, sondern auch deswegen, weil die Depression eine gut behandelbare Erkrankung ist, für die es mittlerweile viele wissenschaftlich anerkannte therapeutische Wege gibt.

Woran können Sie erkennen, dass Sie an einer Depression leiden? Ist jeder Verstimmungszustand schon ein Hinweis auf eine Depression? Ganz sicher nicht! Vielmehr sind Stimmungsschwankungen ein natürlicher Teil unseres menschlichen Erlebens. Sie sind sogar Ausdruck seelischer Gesundheit, die sich in einer großen Bandbreite von Gefühlen ausdrückt. Wer keine schlechten Tage oder Enttäuschungen kennt, vermag auch keine tiefe Freude oder Glücksmomente zu erleben. Wer hat nicht schon die Erfahrung gemacht, dass die aus einem tiefblauen Himmel scheinende Sonne nach einigen Tagen Regen unsere Stimmung auf eine ganz besondere Weise hebt, ebenso wie das Wiedererwachen der Natur nach langen Wintermonaten. Unser Leben spielt sich in einem Pendeln zwischen unterschiedlichen Polen ab. Bleibt das Pendel an einer Stelle längere Zeit stehen, ist der Lebensfluss gestört. Dauerhaftes Glück ist nicht möglich und vermutlich auch nicht gesund und erstrebenswert: weil es dann keinen Bezugspunkt mehr gibt und die Spannung und damit die Motivation verloren geht, die uns in welche Richtung auch immer in Bewegung setzt. Aber auch ein länger dauerndes Verharren in bedrückter oder gar düsterer Stimmungslage ist nicht natürlich.

Depressionen zeichnen sich durch eine über mindestens zwei Wochen anhaltende deutliche Veränderung auf verschiedenen Ebenen des menschlichen Erlebens aus.

In der Regel zeigen sich diese Veränderungen auf einer körperlichen Ebene, zum Beispiel in einer Störung des Nachtschlafs, in Veränderungen von Appetit und Gewicht bis hin zu Veränderungen in der Sexualität. Dies ist unter anderem ein Grund dafür, warum sowohl Betroffene als auch ihre Ärzte oftmals längere Zeit nach einer körperlichen Ursache der Beschwerden suchen und zunächst gar nicht an eine seelische Erkrankung denken.Weiter können sich Veränderungen auf der Verhaltens­ebene zeigen, die Außenstehenden sogar eher auffallen können als einem selbst. Betroffene ziehen sich oft aus sozialen Aktivitäten zurück, sagen Freizeitbeschäftigungen immer häufiger ab, vernachlässigen ihre sportlichen Aktivitäten oder ihre Hobbys. Dennoch klagen manche gleichzeitig über eine quälende innere Unruhe, die sie auf Trab hält, ohne dass sie in guter Weise »produktiv« sind.Psychische Veränderungen gehen damit Hand in Hand. So entwickelt sich häufig eine anhaltend gedrückte Stimmung, nicht selten allerdings auch eine zunehmende Gereiztheit, die viele überhaupt nicht an eine Depression denken lässt. Gerade aber eine solche Gereiztheit, die man an der Person früher gar nicht kannte, ist vor allem bei Männern ein typisches Zeichen einer Depression! Auch depressiv gefärbte Ängste treten auf, zum Beispiel den Anforderungen des Alltags und manchmal des Lebens nicht mehr gewachsen zu sein, sich und vielleicht seine Familie deshalb nicht mehr ernähren zu können, generell nicht mehr lebenstauglich zu sein etc. Die Fähigkeit, sich über Dinge zu freuen und eigene Interessen aktiv wahrzunehmen, verändert sich und kann mit der Zeit ganz verloren gehen. Der Antrieb leidet, viele Betroffene berichten, dass sie sich zu den normalen Dingen des Alltags zwingen müssen. Manchen gelingt dies nicht mehr und sie bleiben tatsächlich im Bett liegen, ohne dass dies Erholung und Regeneration mit sich bringt. Im Gegenteil, die Erschöpfung nimmt zu. Mit der Zeit entwickeln sich Selbstzweifel bis hin zu Selbstunsicherheit und Selbstvorwürfen. Verbunden ist dies nicht selten mit dem Gefühl, selbst an der Misere schuld zu sein. Gleichzeitig schämen sich Betroffene, sich mit ihrem Dilemma anderen anzuvertrauen. Sie fühlen sich für diese »vermeintliche Schwäche« selbst verantwortlich.Schließlich zeigen sich depressive Symptome auch in einer Veränderung des Denkens über sich selbst und seine Umwelt. Die Brille, durch die man die Welt wahrnimmt, ist sozusagen dunkel geworden, man betrachtet sich selbst negativ und sieht nur das vermeintlich eigene Versagen. Die »sonnige Welt« der anderen scheint un­erreichbar, die Kluft zur positiven Seite des Lebens unüberwindbar. Häufig bestehen auch tatsächliche Einschränkungen in Konzentration, Aufmerksamkeit und planvollem Handeln, die zusätzlich verunsichern. Manchmal ist die Verzweiflung so groß, dass die Selbsttötung als einziger Ausweg erscheint.

Auf den Punkt gebracht

Depressive Symptome werden in Haupt- und Nebensymptome untergliedert. Aus der jeweiligen Anzahl von Symptomen lässt sich die Schwere der Erkrankung ableiten.

Die Hauptsymptome der Depression sind:

gedrückte und/oder gereizte depressive Stimmungdeutliche Minderung oder Verlust an Interessen und FreudeAntriebsmangel und Ermüdbarkeit

Die Nebensymptome der Depression sind:

verminderte Konzentration und Aufmerksamkeitvermindertes Selbstwertgefühl und SelbstvertrauenGefühle von Schuld, Scham und Wertlosigkeitübertriebene Zukunftsängste oder »Schwarzsehen«Selbstmordgedanken oder -versuche, SelbstverletzungenBewegungsunruhe oder Bewegungshemmung

Darüber hinaus können auch körperliche Veränderungen auf eine Depression hinweisen:

allgemeine körperliche Abgeschlagenheit oder anhaltende Mattigkeit und ErschöpfungEin- und/oder Durchschlafstörungen, gelegentlich verbunden mit einem deutlich frühzeitigen Erwachen, ohne ausgeschlafen zu seinAppetitstörungen, Beschwerden im Verdauungstrakt mit Völlegefühlen, Verstopfungsneigung oder auch Durchfällen sowie GewichtsveränderungenSchmerzen unterschiedlicher Art, vor allem in Kopf und RückenDruckgefühle in Hals und BrustStörungen von Herz und Kreislauf, z. B. Herzrasen und AtemnotSchwindelgefühleMuskelverspannungenSexuelle Unlust

Was bedeutet das für Sie?

Jetzt werden Sie vielleicht zu Recht einwenden, dass man bei einer derartigen Vielzahl von Symptomen den Überblick verliert. Gleichzeitig werden Sie vielleicht das eine oder andere Symptom bei sich kennen und nun besorgt auf die Suche nach anderen gehen. Genau diese große Bandbreite an möglichen depressiven Symptomen ist ein wesentlicher Grund dafür, dass eine Depression oft nicht erkannt wird.

Deswegen eignet sich an dieser Stelle der Zwei-Fragen-Test, um eine erste Orientierung zu erhalten:

1. Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?

2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Wenn Sie beide Fragen mit »Ja« beantworten, sollten Sie sich an Ihren Hausarzt wenden und mit ihm darüber sprechen. Dieser Test ist lediglich als Orientierung zu betrachten und gilt in dieser Form nicht, wenn Sie zum Beispiel gerade einen lieben Menschen verloren haben und darüber in Trauer sind! Denn dann sind die beschrieben Symptome wahrscheinlich Zeichen einer normalen Trauerreaktion und keine Anzeichen einer Depression. Wenn eine solche Trauer allerdings auch nach zwei Jahren unverändert mit den genannten Symptomen einhergeht, hat sich vermutlich aus ihr eine Depression entwickelt.

Es geht um die Frage, ob Sie zwischen Ihrem früheren und Ihrem heutigen Verhalten einen Unterschied bemerken. Falls ja, kann es sich um eine Depression handeln. Dies sollten Sie aber mit einem Arzt oder einem Psychotherapeuten abklären.

2. Unterschiedliche Verlaufsformen der Depressionen

Die größte Sache der Welt ist, zu verstehen, was man selbst ist.

Michel de Montaigne

Der 55-jährige Herr B. kommt zur Aufnahme in unsere psychosomatische Rehaklinik, sein Hausarzt hatte ihm den Aufenthalt nahegelegt. Doch er selbst versteht die Notwendigkeit überhaupt nicht. Psychisch sei er in Ordnung, er habe sein Leben im Griff, ginge regelmäßig seiner Arbeit nach und seinem Hobby, dem Tauchen. Die Frage, ob denn dann ein Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik überhaupt Sinn mache, beantwortet er mit dem Wunsch nach Gewichtsabnahme, und vielleicht gelänge es ja auch, wieder besser zu schlafen. So vergehen die ersten Tage, wie er später erzählt, auf gepackten Koffern, um jederzeit spontan die Klinik wieder verlassen zu können.

Bereits in der zweiten Woche berichtet er allerdings von Schwierigkeiten in der Partnerschaft, die ihn belasten. Er liebe seine Frau, kurz vor seiner Abreise allerdings sei die Beziehung auf einem neuen Tiefpunkt angekommen. Seine Frau brauche Hilfe. Und er? Na ja, vielleicht auch. Den Vorschlag nach einem gemeinsamen Gespräch greift er dankbar auf. In diesem Gespräch wird das Ausmaß an Sprachlosigkeit einerseits, aber auch seiner Depressivität andererseits erst richtig deutlich. Seine Frau berichtet, dass er nach der Arbeit das Sofa nicht mehr verlasse und am Familienleben nicht mehr teilnehme. Seine drei Kinder hätten ihn schon abgeschrieben und würden gar nicht mehr fragen, ob er etwas mit ihnen unternehme. Schließlich gesteht er, dass ihm eigentlich alles schwerfalle, er die Arbeit nur noch wie im Tran erledige und die Freude am Leben verloren hätte. Immer wieder frage er sich, was das alles noch solle. Dennoch sei ihm die Familie eigentlich das Wichtigste, er wisse nur nicht, wie er wieder mit ihr in Kontakt treten könne.

Plötzlich verändert sich die Gesprächsatmosphäre, die Ehepartner können einander ansehen und sich eingestehen, dass sie für ihre Beziehung kämpfen möchten. Ab da verändert sich die Einstellung zur Reha. Herr B. steigt in die Gruppenpsychotherapie ein und bricht dort erstmals sein jahrzehntelanges Schweigen. Endlich, bekennt er zum Ende des Aufenthalts, habe er begonnen, sein Schneckenhaus zu verlassen und sich einzugestehen, dass er auch als Mann Hilfe annehmen kann, ja, dass es damit leichter wird.

Depressionen treten in unterschiedlichster Form in Erscheinung. Genauso vielfältig wie die in dem vorange­gangenen Kapitel beschriebenen Symptome der De­pression sind auch ihre Verläufe. Im zurückliegenden Kapitel haben wir Haupt- und Nebensymptome einer Depression kennengelernt. Die Schwere der jeweiligen Erkrankung lässt sich nun aus der Anzahl der Symptome relativ leicht ermitteln. Liegen mindestens je zwei Haupt- und Nebensymptome wenigstens über einen Zeitraum von vierzehn Tagen vor, spricht man von einer depressiven Episode. Erhöht sich die Anzahl der Nebensymptome auf drei bis vier, handelt es sich um eine mittelgradig de­pressive Episode. Finden sich hingegen alle drei Hauptsymptome und mindestens vier oder mehr Nebensymptome, spricht man von einer schwer­gradig depressiven Episode.

Für die weitere Einschätzung von Behandlung und Verlauf ist zudem ein Blick in die eigene Vergangenheit notwendig. Gab es in der Vergangenheit bereits eine depressive Episode, spricht man in der Medizin von einer rezidivierenden, also wiederkehrenden depressiven Erkrankung. Diese Information ist wichtig, da nun sowohl eine medikamentöse wie auch psychotherapeutische Behandlung über einen längeren Zeitraum auch im Sinne einer Rückfallprophylaxe erfolgen sollte.

Langzeitstudien weisen darauf hin, dass 50 Prozent der depressiven Patienten unabhängig von einer Behandlung nach einem halben Jahr wieder gesund sind (durch eine Behandlung verkürzt sich allerdings die Dauer). 10 bis 25 Prozent der Erkrankten leiden an einer chronischen Verlaufsform, die länger als zwei Jahre anhält, 7 Prozent leiden sogar nach zehn Jahren unverändert an ihrer Depression.4 Da man den Verlauf nicht vorhersehen kann, sollte man sich in jedem Fall zunächst in hausärztliche Behandlung begeben.

Neben der depressiven Episode gibt es verschiedene leichte depressive Erkrankungsformen. Von einer depres­siven Anpassungsstörung unterschiedlicher Dauer spricht man dann, wenn Menschen unter einem der genannten Hauptsymptome und zusätzlich wenigen Nebensymptomen leiden. Ausgelöst wird eine solche Phase oftmals als Reaktion auf äußere Ereignisse wie Trennungen, Arbeitsplatzverlust oder -wechsel, Tod naher Angehöriger, aber manchmal auch auf freudige Ereignisse wie Heirat oder Familiengründung.

Eine berechtigte Kritik gerade an dem erst kürzlich neu herausgegebenen amerikanischen Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen (DSM-5) ist die zunehmende Pathologisierung an sich gesunder menschlicher Reak­tionsweisen. So kann man, wenn man das genannte Klassifikationssystem zurate zieht, nun bereits nach drei Wochen anhaltender Trauer von einer depressiven Störung sprechen. Dies ist absurd und abzulehnen, spiegelt allerdings eine gesellschaftliche Tendenz eines tabuisierten Umgangs mit Tod, Sterben und Trauer wider. Nicht ohne Grund spricht man in vielen Kulturen hingegen von einem Trauerjahr und verweist damit auf die Notwendigkeit längerer Abschiedsprozesse.

Ist deswegen eine depressive Reaktion eine überflüssige Diagnosekategorie? Mit Sicherheit nicht. Auch wenn der Verlauf einer depressiven Anpassungsstörung in der Regel nur wenige Monate umfasst, kann sich ein solcher Prozess auch chronifizieren und sogar in eine depressive Episode einmünden. Dann ist die depressive Reaktion als Vorläufer zu werten. Auch wenn Menschen auf die beschriebenen Lebensereignisse immer wieder mit anhaltend leichten depressiven Verstimmungen reagieren, weist dies auf eine Veranlagung hin, die beachtet werden sollte. Denn je besser ich meine mehr oder weniger anhaltenden Stimmungsschwankungen kenne, desto eher vermag ich auch einzuschätzen, ob sich die jetzige Verstimmung von den bisherigen unterscheidet und nun unter Umständen Hilfe von außen angezeigt ist.

Ferner gibt es Menschen, die über lange Zeit, nicht selten sogar schon seit der späten Jugend oder dem jungen Erwachsenenalter an einer Form von Depressivität leiden, die ebenfalls als leichtgradig einzuschätzen ist. Man nennt dies Dysthymie. Diese Menschen beschreiben sich zum Beispiel als eher pessimistisch, weniger der Leichtigkeit des Lebens zugetan, sondern eher dem Schweren und Belastenden. Sie sind oft trotzdem, meist mit hohem Kraftaufwand, dazu in der Lage, berufstätig zu sein und Partnerschaften zu führen.

Dennoch kommt es auch immer wieder zu erheblichen Störungen im beruflichen und zwischenmenschlichen Bereich. Einsamkeit, Ausbildungsabschlüsse unter dem eigentlichen intellektuellen Niveau, Arbeitslosigkeit und gelegentlich auch – selbstverschuldete – Unfälle und Suizidversuche können die Folge sein. Gründe hierfür sind ein hoher Kraftaufwand für die Aufrechterhaltung der Alltagstüchtigkeit, so dass die Energie für mehr oftmals fehlt. Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell, das Sie in Kapitel 5 kennenlernen werden, kann dies gut erklären. Auch Menschen mit Dysthymie sollten sich daher psychotherapeutisch behandeln lassen.

Bedeutsam ist diese Kategorie der Dysthymie, die man vielleicht am besten als eine depressive Persönlichkeits­eigenschaft beschreiben könnte, auch deswegen, weil sie mitunter in eine depressive Episode übergehen oder sogar zusätzlich von einer depressiven Episode begleitet werden kann. Man spricht in diesem Fall von einer »doppelten Depression« (»double depression«).

Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass es neben den gefühlsmäßigen Ausschlägen nach unten auch solche nach oben geben kann, die das normale Maß an Freude und Lebensglück deutlich übersteigen. In der Medizin wird dann von einer bipolaren Störung