Wiener Märkte - Georg Renöckl - E-Book

Wiener Märkte E-Book

Georg Renöckl

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Beschreibung

"Wien und der Wein" – das kennen (und lieben) viele. Mit gutem Grund: Über Weinberge mit U-Bahn-Anschluss verfügen nun einmal nicht viele andere Hauptstädte. Mit "Wien und der Weizen" oder "Wien und der Waldhonig" kann dagegen nicht jeder etwas anfangen. Zu Unrecht: Immerhin wird in Wien mehr als doppelt so viel Brotgetreide angebaut wie in den Bundesländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg zusammen. Den Süden der Stadt dominieren nicht nur Weingärten, sondern auch Lauch-, Karotten- und Rübenfelder. Zahlreiche Gärtnereien und Bauernhöfe öffnen an den Rändern Wiens oder gleich dahinter ihre Tore zum Ab-Hof-Verkauf. Mitten in der Stadt werden Bienen gezüchtet, Biere aus alten Wiener Getreidesorten gebraut, Käselaibe gereift, Wildkräuter gesammelt und vieles mehr. Kaufen kann man all diese Köstlichkeiten in Wiens Spezialitäten- und Bauernläden, vor allem aber auf den Märkten der Stadt. Georg Renöckl lädt Sie zu einem Streifzug zu Wiens kulinarischen Nahversorgern ein.

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Seitenzahl: 169

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GEORG RENÖCKL

WienerMärkte

Kulinarische Spaziergänge

Für Moritz, Hanna und Félix,meine liebsten Begleiter auf Wiens Märkten

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie – detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printed in Austria

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

1. Auflage 2017

© 2017 by Braumüller GmbH

Servitengasse 5, A-1090 Wien

www.braumueller.at

Fotos: © Georg Renöckl

Druck: Christian Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan im Lavanttal

ISBN 978-3-99100-192-8

eISBN 978-3-99100-193-5

„Der Wert der Städte bestimmt sich nach der Zahl der Orte, die in ihnen der Improvisation eingeräumt sind.“

Siegfried Kracauer

Inhalt

Vorwort

Eine kulinarische Zeitreise

1. Innere Stadt

2. Leopoldstadt

3. Landstraße

4. Wieden und Margareten

5. Der Naschmarkt

6. Mariahilf

7. Neubau

8. Josefstadt

9. Alsergrund

10. Favoriten

11. Simmering

12. Meidling

13. Hietzing

14. Penzing

15. Rudolfsheim-Fünfhaus

16. Ottakring

17. Hernals

18. Währing

19. Döbling

20. Brigittenau

21. Floridsdorf

22. Donaustadt

23. Liesing

Der Markt als Utopie

Vorwort

Noch nie war es so einfach wie heute, sich mit hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen, vom Gemüsekistl-Lieferservice über den Bioladen bis zur Lebensmittel-Kooperative. Doch nichts davon reicht an das Erlebnis für alle Sinne heran, das ein Marktbummel bietet: das Gespräch mit Verkäufern und Produzenten, die Gerüche, das Wirrwarr, die Auswahl, die Stimmung … und nicht zuletzt: das Unvorhersehbare. Ich könnte wahrscheinlich gar nicht kochen, ginge ich nicht jede Woche auf den Markt – man lernt zu improvisieren, wenn man mit einem Stück Ziegenrücken, einem Buschen Grünkohl, einer ganzen Schleie oder einem Rucksack voll Tarocco-Orangen nach Hause kommt, die Tipps vom Standler oder der Standlerin noch halb im Ohr und schon wieder halb vergessen, und sich bereits auf dem Weg zu überlegen beginnt, was sich denn nun mit all den Herrlichkeiten so anstellen ließe. Von Einkaufslisten und festgelegten Menüplänen für die ganze Woche halte ich wenig: Dass der Bauer gerade ein junges Wildschwein geschossen hat, der Mangold heute so verlockend bunt ist, der Käsehändler eine neue Sorte mithat – das alles kann man im Vorhinein nicht wissen, und ein bisschen Herausforderung macht das Kochen erst interessant.

Der Einkauf auf dem Markt ist mir während der Jahre, die ich in Frankreich verbracht habe, zum Ritual geworden: „Faire son marché“, seinen Markteinkauf zu machen, das gehört dort zur ganz normalen Einkaufsroutine oder zumindest zum guten Ton. In Paris sorgt die Stadtverwaltung dafür, dass in jedem Bezirk der Hauptstadt zwei- bis dreimal pro Woche an verschiedenen Standorten Straßenmärkte abgehalten werden, deren Stände die zuständige Magistratsabteilung bereits am Vorabend aufbaut. Sie sind aus dem ganz normalen Straßenbild und dem Pariser Alltag nicht wegzudenken. Die Wiener Märkte mögen im Vergleich zu Paris, Barcelona oder Amsterdam kleiner und weniger zahlreich sein – eine faszinierende Vielfalt und hervorragende Lebensmittel bieten sie doch. Ich habe im Herbst 2016 versucht, möglichst allen Lebensmittelmärkten der Stadt einen Besuch abzustatten, sofern sie mindestens monatlich stattfinden. Christkindl- und Fasten-, Antiquitäten- oder Flohmärkte zählen also nicht zu den hier beschriebenen. Fünfzig Märkte sind es auf diese Weise geworden. Wahrscheinlich gibt es noch ein paar mehr – bei privaten Veranstaltern ist es nicht immer leicht, an die Information zu kommen. Beim Plaudern mit Marktfahrern und Produzenten konnte ich unkonventionelle, kreative, engagierte Menschen kennenlernen. Oft habe ich mich bei der Rückkehr von meinen Ausflügen wie ein erfolgreicher Schatzsucher gefühlt, der etwas Wertvolles mit nach Hause bringt: natürlich Lebensmittel, die ich dabei gekauft habe, vor allem aber auch Geschichten, Begeisterung und Inspiration.

So viele interessante Menschen ich getroffen habe, so viele andere habe ich wahrscheinlich verpasst. Schade, doch eine komplette Auflistung aller Wiener Marktstände hätte dieses Buch auf viele hundert Seiten anschwellen lassen. Meine Besuche sind daher auch als Anregung für Ihre eigenen Entdeckungen gedacht: Wenn Sie einen der hier beschriebenen Märkte besuchen, werden Sie wahrscheinlich mit ganz anderen Eindrücken nach Hause kommen. Genießen Sie es!

Eine kulinarische Zeitreise

„Es ist kaum zu glauben, wie viel Lebensmittel Tag für Tag nach Wien gebracht werden“, staunte der an der Universität Wien lehrende italienische Humanist Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II, im Jahr 1438. „Viele Wagen mit Krebsen und Eiern langen ein. Mehl, Brot, Fleisch, Fische, Geflügel werden in gewaltigen Mengen zugeführt; und doch, sobald der Abend anbricht, bekommt man von diesen Sachen nichts mehr zu kaufen.“

Wie muss es damals auf Wiens Märkten zugegangen sein! Epizentrum des Geschehens war jahrhundertelang der Hohe Markt: „Auf dem Hohenmarckt kann man verschiedene Sorten Fisch, Hausen und Schildkrotten überkommen, so pflegen dann auch allda die Burgerliche Häringer, Gänß, Ändten, Spanferckl, Stockfisch und Häring zu verkauffen; man findet gleichfalls auf benannten Marckt unterschiedliches Geflügelwerck, sambt Käß, Butter, Schmaltz, Haar und gedörrte Zwespen“, schrieb der barocke Prediger Johann Valentin Neiner in seinem Werk „Vienna curiosa et gratiosa“ im Jahr 1720. Ein weiterer wichtiger Marktplatz befand sich dort, wo später die Peterskirche erbaut wurde: „Auf dem Peters Freythof. Daselbsten werden verkaufft Eyer, Butter, Hönig, Vögel, schwartz- und rothes Wildpret, geselchtes Fleisch sambt unterschiedlichen Geflügelwerk, grüne und düre zur Artzney dienliche Kräuter, Schwammen, Schnecken, Salsen, an diesem Ort haben auch ihren Stand die Krautschneider, deren man sich zur Herbstzeit bedienen kann.“ Der Markt wurde sukzessive verkleinert, nach dem Ersten Weltkrieg verschwanden schließlich auch die „Schneckenweiber“ vom Markt und aus der Stadt. Auch der Platz Am Hof, der Lobkowitzplatz, wo Schweine verkauft wurden, der Stock-im-Eisen-Platz und ein „Ochsengries“ genannter Viehmarkt in der Gegend des heutigen Heumarkts zählten zu den bedeutenden Marktplätzen der Stadt, wie der Historiker Werner T. Bauer in seinem lesenswerten Buch „Die Wiener Märkte“ (Falter Verlag) 1996 schreibt. Nicht nur der Fleischmarkt, das ganze Viertel rund um Lugeck und Lichtensteig quoll einmal über vor Fleischhauerständen. Auf der Brandstätte wurden Wildbret, Ferkel, Fische und Geflügel feilgeboten. Den Graben nannte man um das Jahr 1300 Milchgraben, später Fleischgraben, danach Mehlzeile, Aiermarkt und Grüner Markt, bis der Marktbetrieb in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingestellt wurde. Am Donaukanal landeten mit Obst und Gemüse beladene Zillen aus der Wachau, es gab eigene Anlegeplätze für Erdäpfel-, Kraut- oder Rübenschiffe und selbstverständlich einen eigenen Fischmarkt am Wasser, der nach vielen Standortwechseln erst 1972 verschwand.

In der heutigen Habsburgergasse befand sich ein Vogelmarkt, auf dem es auch lebende Eichhörnchen, Kaninchen, Meerschweinchen, Frösche und Igel zu kaufen gab – Letztere waren beliebte Vernichter von Ungeziefer aller Art.

Auf dem Ochsenmarkt, der zuerst beim Beethovenplatz, ab dem 18. Jahrhundert dann im Bezirk Landstraße abgehalten wurde, stellten junge Burschen Mut und Kraft unter Beweis, es kam immer wieder zu Szenen, wie man sie heute eher mit der Corrida in Pamplona verbindet.

Oft wünscht man sich beim Lesen der Beschreibungen verschwundener Wiener Märkte eine Zeitmaschine, doch auch so entsteht ein buntes, oft wüstes Bild des Altwiener Marktlebens vor dem inneren Auge, während es wahrscheinlich von Vorteil ist, dass man im Regelfall über keine innere Nase verfügt.

Ein Versuch, dem manchmal allzu turbulenten Treiben einen gesitteteren Rahmen zu verpassen, war die Errichtung von Markthallen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen war Wien damit spät dran, den zögerlichen Versuchen war noch dazu mäßiger Erfolg beschieden: Eine Glas-Gusseisen-Halle nach Pariser Vorbild in der Zedlitzgasse bewährte sich im Wiener Klima nicht, da es sommers zu heiß und winters zu zugig darin war. In der in Ziegelbauweise errichteten Landstraßer Markthalle testete man hingegen ein Vertriebssystem, bei dem die Bauern ihre Produkte per Bahn zum kommissionellen Verkauf einschickten – schlechte Zugverbindungen ließen die Ware meist verdorben ankommen, der Markt floppte. Besser funktionierte die moderne zweigeschossige Fleischmarkthalle aus dem Jahr 1899, die mit elektrischen Aufzügen ausgestattet war. Die dritte Landstraßer Halle, die Viktualienhalle, war dem Grünwaren-Großhandel gewidmet, gemeinsam bildeten sie die Wiener „Zentral-Marktanlage für Groß- und Kleinhandel“. Es gab zwar Pläne für die Errichtung zahlreicher ähnlicher Gebäude, doch die Umsetzung ging nur schleppend voran. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man dann ohnehin andere Sorgen. Den vorhandenen, durchaus prachtvollen Hallen erging es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schlecht: 1950 wurde die Markthalle Stadiongasse zum Forum-Kino, das gut zwanzig Jahre später Harry Glücks Glaspalast weichen musste. 1954 wurde die Markthalle in der Burggasse demoliert, 1957 die ursprünglich als Reitstall errichtete Esterhazy-Halle in Mariahilf. 1972 waren dann die Landstraßer Hallen an der Reihe, 1982 der Jugendstilbau des Blumengroßmarktes in der Phorusgasse. Eine letzte Halle steht noch: der Nussdorfer Markt – heute eine Supermarktfiliale …

Das Verschwinden der Markthallen aus dem Stadtbild ging mit einem Dahinsiechen der offenen Märkte im Verlauf des 20. Jahrhunderts einher, das sich bald zum immer rasanteren Marktsterben auswuchs. Die Märkte, so schien es, waren mit dem modernen Arbeits- und Freizeitleben nicht vereinbar, das Interesse der Stadtverwaltung an ihrer Erhaltung gering. Doch während mit dem Markt auf dem Dornerplatz, dem Donaustädter Genochmarkt und dem Simmeringer Markt noch zur Jahrtausendwende einige traditionelle Märkte verschwanden, hatte bereits ein Umdenken eingesetzt: Die Entflechtung der Lebensbereiche Arbeiten, Wohnen und Freizeit, die „autogerechte Stadt“ und ähnliche vermeintlich moderne Konzepte mehr hatten sich schließlich doch als Trugschluss herausgestellt – das Bedürfnis nach einem Einkaufserlebnis, wie es Supermärkte eben nicht bieten können, das neu erwachte Interesse an gesunder Ernährung sowie an Lebensmitteln, die keine Tausenden Kilometer und den entsprechenden CO2-Abdruck auf dem Buckel haben, sorgten für eine Trendwende. Heute blühen Wiens Märkte und werten ganz nebenbei auch ihre Umgebung auf. Auf den belebenden Effekt, den ein Markt für ganze Stadtviertel haben kann, setzen mittlerweile auch Bezirkspolitiker und die Gebietsbetreuungen der Stadt Wien: Auf alten, längst vergessenen Marktplätzen wie dem Margaretenplatz, der Langen Gasse oder dem Servitenplatz finden nun wieder regelmäßig Wochenmärkte statt.

Diese Märkte sind nichts Statisches. Die gerade verfügbare Ware ändert sich im Lauf des Jahres ständig, zwei Besuche auf ein und demselben Markt können entsprechend unterschiedlich ausfallen. Neue Standler kommen dazu, andere ziehen weg oder versuchen ihr Glück auf einem anderen Markt. Vielleicht stößt ein Wochenmarkt auf zu geringes Interesse und wird wieder aufgegeben oder eine Grätzel-Initiative schafft es, einen neuen Markt ins Leben zu rufen oder einem vorhandenen Markt, der mit Problemen kämpft, frischen Schwung zu geben. Die Wiener Märkte bilden heute eine überaus lebendige, nicht immer leicht zu fassende Szene. Etwas Besseres kann man ihnen gar nicht wünschen.

1. Innere Stadt

Wiens erster Bauch

Der Bio-Markt auf der Freyung

Eine gewachsene Stadt hat ihren Bauch am rechten Fleck: mittendrin. Das verraten schon die alten Straßennamen, die in Wien wie in den meisten historischen Innenstädten oft auf -markt enden, vom Bauern- bis zum Wildpretmarkt. Außer den Namen ist davon so gut wie nichts geblieben, die ehemaligen Marktplätze Wiens wurden wie der Neue Markt zu Parkplätzen oder wie der Kohlmarkt zu Luxusshoppingmeilen. Nur ein einziger Altwiener Marktplatz hat seine Funktion behalten: die Freyung. Im Spätmittelalter wurden dort Pferdemärkte abgehalten, im Lauf des 18. Jahrhunderts entfaltete sich vor dem Schottenstift ein beliebter Lebensmittelmarkt mit Anbietern aus dem Umland von Wien, aus Ungarn, der Slowakei, Böhmen und Mähren. Das geschäftige Treiben vor ihrer Haustür war jedoch den Mönchen des Schottenstifts und den Bewohnern des Viertels ein Dorn im Auge oder vielmehr im Ohr: Der Markt, der sich über Freyung, Am Hof und Judenplatz erstreckte, begann um ein Uhr nachts und schloss um sechs Uhr morgens. Das allnächtliche Pferdewagen-Verkehrschaos muss ein unglaubliches Getöse verursacht haben.

Honigstand beim Austria-Brunnen

Gegen Ende des Jahrhunderts musste der Markt schließlich auf einen vormaligen Müll- und Aschenplatz auf der Wieden übersiedeln – der Naschmarkt, der gelegentlich in Anlehnung an die Pariser Hallen „Bauch von Wien“ genannt wird, entwickelte sich später aus dem von der Freyung vertriebenen Markt. Kurze Zeit hatten die Mönche ihre Ruhe, doch im Lauf des 19. Jahrhunderts kehrte das hartnäckige Marktleben auf seinen angestammten Platz zurück.

Nach wechselvollen Jahrzehnten ist die Freyung heute als letzter Innenstadtmarkt noch immer oder endlich wieder in Betrieb: Sie ist der Schauplatz eines kleinen temporären Marktes von Dienstag bis Donnerstag, freitags und samstags ist Bio-Markt. Zwischen Schottenstift und Austria-Brunnen, umgeben von Innenstadt-Palais, kauft man hier vor einer einzigartigen Kulisse ein – was die Stadtbewohner jedoch kaum zu schätzen wissen: „Zu siebzig Prozent sind meine Kunden Touristen“, erzählt Honighändler Siegfried vom „Welthonig“-Stand, der Markt-Dependance eines Bio-Honigladens – „des ersten und besten der Stadt“ – am Hohen Markt. Die Wiener, so der blendend gelaunte Honigfachmann, schauen eben vor allem auf den Preis und kaufen ihren Honig im Supermarkt, wenn das Kilo dort um einen Euro billiger ist. Sie lassen sich dadurch einiges entgehen: etwa die einzige Quelle der Stadt für originalen „Christkindl“-Honig aus Fürst Liechtenstein’scher Imkerei, vor allem aber unzählige, teils ungewöhnliche Honigsorten, die von biologisch arbeitenden Imkern aus Wien, der Steiermark und Niederösterreich hergestellt werden. Kirschenblüte, Hanf oder Lavendel gibt es da neben den „üblichen Verdächtigen“ wie Lindenblüten-, Akazien- oder Tannenhonig, aber auch ein paar – fair gehandelte – Exoten wie Palmen-, Orangen- oder Zitronenblütenhonig. Mit Ausnahme der wenigen Produkte aus Übersee kauft Siegfried stets bei Imkern, die er persönlich kennt und regelmäßig besucht, auch wenn er dafür ein Stück weit fahren muss, wie etwa für den „Aceto di Miele italiano biologico“, den Bio-Honigessig eines piemontesischen Imkers, dessen Familie ihr Wissen bereits in der siebten Generation weitergibt.

„Seebäuerin“ Gunda Dutzler

Exotisches gibt es auch wenige Stände weiter: Steaks von der Seekuh nämlich. Wobei dafür keine gefährdeten Meeresbewohner geschlachtet werden, sondern „normale“ Rinder – oder doch auch wieder nicht, wie im Gespräch mit „Seebäuerin“ Gunda Dutzler rasch klar wird. Sie ist eigentlich Zoologin und forschte an der Universität. „Ich hätte mir nie gedacht, dass ich wieder dort lande“, erzählt sie über den elterlichen Hof inklusive Gastwirtschaft am idyllischen Gleinkersee in Oberösterreich. Den eines Tages angedachten Verkauf des Hofes, auf dem sie aufgewachsen ist, konnte sie sich jedoch noch weniger vorstellen und so führt nun sie die Landwirtschaft mit vierzehn Schweinen und vierundzwanzig Rindern weiter – allerdings so, wie sich eine Zoologin einen idealen Bauernhof vorstellt, und dazu gehören Freilandhaltung und Hausschlachtung. Freitags und samstags steht Gunda Dutzler nun immer mit „ihrem“ Fleischer Heinz auf der Freyung, verkauft neben dem Fleisch der spaßeshalber „Seekühe“ genannten Rinder auch gut gewürzte Banater Wurst, Speck vom „Gleinkersau“ getauften Wollschwein, der kräftig – „Da glaubst du, du schleckst die Wand von der Selchkammer ab!“ – oder zart geräuchert ist, Schinken, Leber- und Blutwurst … und wirkt ansteckend begeistert von ihren Produkten und dem vor Kurzem noch undenkbaren Leben als Neo-Landwirtin.

Das Gefühl, Waren einzukaufen, deren Produzenten sich sehr genau überlegt haben, was sie tun, verlässt einen während des ganzen Marktbummels auf der Freyung nicht: So hat etwa die Wiener Schinkenmanufaktur Thum hier einen Stand. Der Margaretner Fleischermeister gilt als Institution, wovon auch die endlose Schlange zeugt, die sich stets am Osterwochenende vor seinem kleinen, nur vormittags geöffneten Geschäft in der Margaretenstraße bildet: Die Thums sind die einzigen Fleischer Wiens, die sich auf die traditionelle „Adernpökelung“ verstehen, bei der die Pökel-Flüssigkeit nicht ins Fleisch gespritzt, sondern über die Adern im Schinken verteilt wird. Neben traditionellem Wiener Beinschinken gibt es bei Thum auch immer wieder Spanferkelschinken, italienische Salami mit oder ohne Fenchel oder auch Rohschinken vom schwarzfelligen Gascogne-Schwein, das mittlerweile auch in der Buckligen Welt gezüchtet wird – in Freilandhaltung, versteht sich.

Ich bummle noch am Bio-Fisch aus Hernals vorbei, an der schönen Käseauswahl vom Kaszeit-Stand, dem Obst und Gemüse des Waldviertler Bio-Bauernhofs der Familie Haber, deren Mohnkuchen ich uneingeschränkt empfehlen kann, bestaune die Gemüseauswahl des burgenländischen Biohofs Priber, wo man Mairüben oder Grünkohl aus heimischem Anbau findet.

Pielachtaler Garküche

Eine Besonderheit ist der Wein von Johannes Zillinger, der das seit dreißig Jahren biologisch bewirtschaftete Weingut der Familie nicht nur biodynamisch betreibt, sondern noch allerhand andere „wahnsinnige Ideen“ verfolgt, wie er es selbst nennt: Er lässt einen Teil seiner Weine in Amphoren reifen, pflanzt zwischen die Reben Kräuter als Lebensraum für Nützlinge und räumt mit seinen Weinen, deren Entwicklung im Keller er einen so freien Lauf wie möglich lassen möchte, Ranking um Ranking ab.

Auch Streetfood gibt es auf der Freyung, es kommt aus dem Pielachtal: Seit vierundzwanzig Jahren fährt Landwirt Johann Schweiger freitags und samstags auf den kleinen Traditionsmarkt in der Innenstadt. Für den Verkauf von Fleisch oder Gemüse ist seine Produktion zu klein, erzählt er, darum verkocht er einfach alles: Kürbisgröstl gibt es heute, aber auch Blutwurst, Käsekrainer oder Lammwürstel sowie Dirndl-Bratwürste, wie es sich für einen Pielachtaler Betrieb eben gehört, und hofeigenen Most. Und dann steht da auf einer schwarzen Tafel: „Rehleber“. Kaum habe ich das Wort laut gelesen, ist schon ein Gaskocher aufgestellt, eine klein geschnittene Zwiebel brutzelt wenige Augenblicke später vor meinen Augen in der Pfanne, dann kommt die – bereits vorgeschnittene – Leber dazu, ein Schuss Birnenmost zum Ablöschen, kurz mit Mehl gestaubt, Salz und Pfeffer darüber – fertig. Dazu ein bisschen Kürbisgröstl und ein gespritzter Birnenmost – ein unverhoffter Festschmaus, wie er zum imperialen Ambiente dieses nicht nur alten, sondern tatsächlich würdigen Wiener Innenstadtmarktes passt.

Freyung, 1010 Wien: Temporärer Markt

(Mai bis November) von Dienstag bis Donnerstag 10–18 Uhr

Bio-Markt (ganzjährig):Freitag und Samstag 9–18 Uhr

www.biobauernmarkt-freyung.at

Zum Vertiefen

Welthonig:http://honey.wien

Seebauer:www.gleinkersee.at

Zillinger Wein:www.velue.at

Biohof Piber:http://members.aon.at/biohof.priber/

Verweile doch, du bist so schön!

Wien hat doch noch eine Markthalle bekommen, aber nur kurz: die Markterei

Wiens zwar wenige, aber durchaus ansehnliche Markthallen haben die oft blindwütige Modernisierung der 1960er- und 1970er-Jahre nicht überstanden. Traurig, wie man immer wieder auf Urlauben in weniger brachial erneuerten Großstädten bemerkt, aber unumkehrbar. Und dann eröffnet tatsächlich ein Wochenmarkt in einer der schönsten Hallen der Stadt, und das mitten im ersten Bezirk: Die Markterei, ein 2014 als Nachbarschaftsmarkt mit wechselnden Standorten ins Leben gerufenes Projekt, zog im Herbst 2015 in die elegante, von gusseisernen Säulen gestützte Schalterhalle des ehemaligen Hauptpostamts. Leider hat die Freude darüber ein Ablaufdatum: Demnächst soll der Komplex zum Luxushotel mit entsprechender Gastronomie umgebaut werden, die seit zwei Jahren darin untergebrachte Markterei ist nur eine Zwischennutzung. Nun, immerhin! Es wäre ein Fehler, sich die Freude an diesem Markt in spektakulär schönem Ambiente wegen des unerbittlich näher rückenden Schließdatums verderben zu lassen. Sogar Schnäppchenjäger kommen auf dem exquisiten Markt auf ihre Rechnung: Schauen ist schließlich gratis, und ohne die eine oder andere Kostprobe wird man die alte Schalterhalle kaum verlassen.

Marktereihalle

Dabei wollen gar nicht alle eine haben, wie Christoph Thomann weiß, der am Tag meines Markterei-Besuchs unerschütterlich im Zentrum des Geschehens steht und mit einer Holzzange Kostproben verteilt. Es handelt sich um in Vorarlberg hergestellte Spezialitäten, allerdings um ziemlich unkonventionelle: Für den menschlichen Verzehr gezüchtete Insekten wie Heimchen, Wanderheuschrecken, Buffalo- oder Mehlwürmer, getrocknet und gesalzen, oder wie Studentenfutter mit Nüssen gemischt, um zum Aperitif gereicht zu werden. Es braucht zugegeben ein wenig Überwindung, doch die Wanderheuschrecke, die ich erwischt habe, ist knusprig, leicht salzig, als Knabberei gar nicht so schlecht. Für den studierten Gesundheitsmanager Christoph Thomann ist sie viel mehr: die Zukunft der Ernährung nämlich, da es ökologisch und auch ernährungsphysiologisch wesentlich sinnvoller sei, Insekten zu züchten statt etwa Rinder. Während er mir vom vielfach höheren Wasserverbrauch erzählt, den die Herstellung eines Kilos Rindfleisch im Vergleich zu Insekten verursacht, bietet Christoph einer vorbeibummelnden Dame mit seiner Holzzange eine weitere Heuschrecke an – doch die Frau ergreift sofort die Flucht. Wir müssen unser Gespräch auf später verschieben: „Mir ist es wichtig, dass die Leute nicht mit einem negativen Eindruck weggehen“, erklärt mir der Insekten-Experte aus Leidenschaft noch schnell, ehe er der Leider-doch-nicht-Kundin hinterhereilt. Es dürfte noch ein wenig dauern, bis diese Zukunft der Ernährung Realität wird – immerhin habe ich ein Säckchen Insekten-Studentenfutter erstanden, wenn auch eher als Mutprobe für die Kinder.

Jamsession