Wind über dem Fluss - Robyn Lee Burrows - E-Book
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Wind über dem Fluss E-Book

Robyn Lee Burrows

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Beschreibung

Eine große Liebe in Australien - bedroht von Entbehrungen und Intrigen

Australien im 19. Jahrhundert: Roxy Bellue ist eine junge, talentierte Schauspielerin mit einem Engagement in Sydney. Doch als sie Martin Dumas kennen lernt, den Besitzer einer Farm in New South Wales, gibt sie ihren großen Traum vom Theater auf, um ihn zu heiraten. Es scheint die große Liebe zu sein - doch ihre Ehe wird auf eine harte Probe gestellt. Denn nichts hat Roxy auf den Staub, die Isolation und die Kargheit ihres neuen Lebens vorbereitet. Und dann treibt auch noch Guy, Martins Bruder, einen Keil zwischen die Liebenden - weil ihn insgeheim eine verbotene Leidenschaft für Roxy quält ...

Weitere Romane von Robyn Lee Burrows bei beHEARTBEAT: Der dunkle Fluss der Sehnsucht. Der wilde Duft der Akazie. Weil die Hoffnung nie versiegt. Weil nur die Liebe wirklich zählt.

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Seitenzahl: 744

Veröffentlichungsjahr: 2020

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INHALT

CoverWeitere Titel der AutorinÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungTeil IKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Teil IIKapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Teil IIIKapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Teil IVKapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Teil VKapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Teil VIKapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Teil VIIKapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Teil VIIIKapitel 47Kapitel 48Kapitel 49

WEITERE TITEL DER AUTORIN

Der wilde Duft der Akazie

Der dunkle Fluss der Sehnsucht

Die Geschichte der Familie Hall:

Weil die Hoffnung nie versiegt

Weil nur die Liebe wirklich zählt

ÜBER DIESES BUCH

Eine große Liebe in Australien – bedroht von Entbehrungen und Intrigen

Australien im 19. Jahrhundert: Roxy Bellue ist eine junge, talentierte Schauspielerin mit einem Engagement in Sydney. Doch als sie Martin Dumas kennen lernt, den Besitzer einer Farm in New South Wales, gibt sie ihren großen Traum vom Theater auf, um ihn zu heiraten. Es scheint die große Liebe zu sein – doch ihre Ehe wird auf eine harte Probe gestellt. Denn nichts hat Roxy auf den Staub, die Isolation und die Kargheit ihres neuen Lebens vorbereitet. Und dann treibt auch noch Guy, Martins Bruder, einen Keil zwischen die Liebenden – weil ihn insgeheim eine verbotene Leidenschaft für Roxy quält …

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ÜBER DIE AUTORIN

Robyn Lee Burrows wurde in New South Wales, an der Ostküste Australiens, geboren und lebt nun im Hinterland der Gold Coast in Queensland. Bei beHEARTBEAT sind fünf Romane der Australierin lieferbar: Der dunkle Fluss der Sehnsucht, Der wilde Duft der Akazie, Wind über dem Fluss und die Saga um die Familie Hall. Robyn Lee Burrows ist verheiratet, hat drei Söhne, fünf Enkelkinder und diverse Haustiere. Besuchen Sie die Homepage der Autorin unter http://www.robynleeburrows.com.

Robyn Lee Burrows

Wind über dem Fluss

Australien-Roman

Aus dem australischen Englisch von Ursula Walther

Digitale Erstausgabe

»be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 1996 by Robyn Lee Burrows

Titel der australischen Originalausgabe: »Where the River ends«

Published by Arrangement with Robyn Lee Burrows

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2005/2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt, München unter Verwendung von Motiven © BenGoode/Getty Images, © f.ield_of_vision/Getty Images, © miroslav_1/Getty Images, © thekopmylife/Getty Images

E-Book-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-8550-2

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Johnmit Liebe …

TEIL I

Roxy1889–1890

KAPITEL 1

Theatre Royal, Adelaide

Samstag, 22. November 1889

Roxy Bellue holte tief Luft und teilte die schweren pflaumenblauen Vorhänge. Nur einen winzigen Spalt, durch den sie spähen konnte, ohne von den Leuten gesehen zu werden, die schon in dem schwach beleuchteten Zuschauerraum saßen. Das übliche Premierenvolk, dachte sie, als sie die Menge, die sich durch den Eingang drängte, und die Platzanweiser beobachtete, die hektisch hin und her liefen und die Gäste zu ihren Sitzen führten. Stattliche Matronen, deren Busen die glänzenden Brokatstoffe ihrer Kleider zu sprengen drohten, plauderten und lächelten die Herren an, die sehr distinguiert aussahen in ihren dunklen Anzügen. Junge, tollpatschige Mädchen schauten sich eifrig um und betrachteten voller Staunen die im Dämmerlicht glitzernde Relieftapete, die mit Samt bezogenen Sitze und die Plüschteppiche. Ein paar Kinder waren auch da, aber ihre besorgten Eltern hielten sie im Zaum. Aus dem Orchestergraben tönte eine Kakofonie von Violinen- und Flötenklängen – es klang wie Katzengeheul in variierenden Dissonanzen.

Roxys Blick wanderte vom Eingang zur ersten Reihe, in der ihre Eltern saßen. Ihr Anblick wärmte ihr das Herz. Major John Bellue – mit ordentlich gekämmten dunklen Haaren und gewichstem Schnurrbart – saß aufrecht da und studierte konzentriert das Programm. Neben ihm wirkte ihre Mutter Felicite zierlich und sehr elegant in dem dunkelgrünen Taftkleid und dem passenden, mit winzigen Federn geschmückten Hütchen, das kess auf den rabenschwarzen Locken saß. Sie war fast vierzig, sah aber zehn Jahre jünger aus, zumindest in Roxys Augen. Ihre Mutter schaute lächelnd zu ihrem Vater auf und legte die Hand Besitz ergreifend auf seinen Arm – eine liebevolle Geste.

Roxy seufzte glücklich und ließ den Blick weiterschweifen, als sich ihre Mutter nach rechts wandte und sich angeregt mit einem jungen Mann unterhielt. Roxy schätzte ihn auf Anfang zwanzig; er sah gut aus und hatte dichtes sandfarbenes Haar, das ihm in die Stirn fiel. Er beugte sich vor, lächelte und reichte ihrem Vater die Hand. Offensichtlich hatte er sich gerade vorgestellt.

Hinter Roxy hasteten die Schauspieler auf ihre Positionen. Roxy spürte, dass jemand sie am Arm berührte.

»Komm«, zischte Bert, der Inspizient, »alle warten.«

Vorsichtig ließ Roxy den Vorhang fallen, als das Licht im Zuschauerraum gedämpft wurde und das Orchester die ersten Töne spielte.

Alle standen herum, schüttelten Hände und sprachen Glückwünsche aus. Felicite Bellue schlang überschwänglich die Arme um ihre Tochter und drückte sie an sich. »Es war wundervoll, Liebling. War sie nicht eine großartige Portia, John?«

»Das ist mein Mädchen«, sagte John Bellue und steckte einen Finger unter die Krawatte, um sie ein bisschen zu lockern. Es war heiß im Saal, und Roxy merkte, dass ihr Vater jetzt, da die Vorstellung vorbei war, so schnell wie möglich fortwollte. Als könnte er ihre Gedanken lesen, nahm er seine Uhr aus der Tasche und sah nach der Zeit. Wie er schon vorher kundgetan hatte, musste er wegen der Parade bei den Kasernen im Morgengrauen früh schlafen gehen. Und auch wenn er stolz auf sie war, wusste Roxy, dass er gesellschaftliche Anlässe, die vielen Menschen und die seichte Konversation verabscheute. Nur weil sich seine Tochter entschieden hatte, die weibliche Hauptrolle in William Shakespeares Kaufmann von Venedig zu spielen, hatte er sich gezwungen gefühlt, an der Premierenfeier teilzunehmen.

Roxys Blick fiel auf einen der großen kunstvoll gerahmten Spiegel hinter der aufrechten, würdevollen Gestalt ihres Vaters und entdeckte sich selbst. Sie war nicht groß, reichte ihrem Vater kaum bis zur Schulter, und obschon der Spiegel so weit weg war, dass sie das Grün ihrer Augen und die Sommersprossen auf der Nase nicht erkennen konnte, sah sie, dass ihre Wangen in dem blassen Gesicht vor Aufregung gerötet waren. Einige blonde Haarsträhnen hatten sich aus der hastig hochgesteckten Frisur gelöst und umrahmten ihren Kopf wie ein Heiligenschein.

Es war ein eigenartiges Gefühl, die Szene im Spiegel zu verfolgen; sie kam sich vor, als spionierte sie sich und alle anderen aus. Und für den Bruchteil einer Sekunde sah sie sich nicht als Roxy Bellue, Schauspielerin und Tochter, sondern als die Reflexion einer Fremden. Sie wandte sich ab und schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken der Realität zuzuwenden und sich wieder mit dem Theater und der Aufregung zu beschäftigen.

Bert schlenderte strahlend auf sie zu. »Großartige Vorstellung, Roxy. Sieh zu, dass du heute Nacht gut schläfst; wir sehen uns dann morgen zur Matinee.«

Als Roxy zusammen mit ihren Eltern das Foyer durchquerte, entdeckte sie den jungen Mann, der während der Aufführung neben ihrer Mutter gesessen hatte. Er lehnte an dem geschnitzten Geländer und beobachtete sie. Jetzt sah sie, dass er nicht wie die meisten anderen Herren bei dieser Premierenvorstellung einen dunklen Abendanzug mit weißem Hemd, Krawatte und Handschuhen trug, sondern eine weiße – augenscheinlich neue – Moleskinhose und ein Tweedjackett. In der Hand hielt er einen braunen Filzhut.

Als Roxy an ihm vorbeiging, begegnete sie seinem Blick. Es schien ihm nicht im Geringsten peinlich zu sein, dass sie ihn dabei ertappt hatte, wie er sie anstarrte. Stattdessen schaute er sie leicht spöttisch und verwirrt zugleich an. Plötzlich lächelte er und zeigte seine strahlend weißen Zähne.

Am Fuß der Treppe öffnete ihnen ein Türsteher die große Glastür, die ins Freie führte. Die warme Luft schlug ihnen entgegen, und Roxy spürte sie im Gesicht. Felicite nahm ihren Arm und dirigierte sie zu der wartenden Kutsche. Roxy setzte sich ans Fenster und drückte das Gesicht gegen die Scheibe, als die Pferde antrabten.

Während die leichte Kutsche durch die fast menschenleeren Straßen fuhr, dachte sie über die Ereignisse des Abends nach, der, wie sie fand, ungeheuer erfolgreich verlaufen war. Sie hatte nicht ein einziges Mal ihren Text vergessen, war nie irgendwie unsicher geworden. Das Stück war abgelaufen wie ein Uhrwerk, und sie wusste, dass sie gut gewesen war. Roxy seufzte glücklich und dachte wieder an den Fremden im Foyer. Die Wärme seines lakonischen Lächelns hatte sie auf unerwartete Weise berührt und ein Glücksgefühl in ihr ausgelöst.

KAPITEL 2

Die große Sandstein-Residenz der Bellues stand an einer stillen, mit Bäumen gesäumten Straße. Aus den oberen Fenstern hatte man auf der einen Seite einen ungehinderten Blick auf die Stadt, auf der anderen über die Baumwipfel und die umliegende Parklandschaft.

Im Norden waren das Gefängnis und der Bahnhof, an dem mehrmals am Tag die Züge vorbeituckerten. Dahinter der Torrens River – ein dünnes Band aus glitzerndem Wasser. Im Süden befand sich in einiger Entfernung der öffentliche Friedhof, in dem die Grabsteine in ordentlichen Reihen nebeneinander standen und gelblich in der Spätnachmittagssonne schimmerten.

Felicite ging oft auf den Friedhof, um Blumen auf die winzigen Gräber ihrer beiden längst verstorbenen Söhne zu legen. Roxy erinnerte sich kaum noch an ihre Brüder. Irgendwann in der nebulösen Vergangenheit hatten sie mit ihren kleinen Fäustchen in der Luft herumgefuchtelt und sie mit einem Lächeln angesehen, aber einer nach dem anderen war aus ihrem Leben verschwunden. Kein Babygeschrei mehr, kein Duft nach der weichen, zarten Haut, keine Erklärungen. Nur endlose Stille. Ein Mal hatte sie ihre Mutter gefragt, wie das passiert war, doch Felicite hatte sie nur traurig angesehen, und Tränen waren ihr in die Augen getreten. Danach hatte Roxy dieses Thema nie wieder angeschnitten.

Jahre später ertappte sie sich einmal dabei, wie sie bei einem Spaziergang im Park durch die Tore des Friedhofs schaute. Neugierig geworden, schritt sie die langen Reihen der Grabsteine ab, bis sie fand, wonach sie suchte. Die beiden kleinen Gräber waren sorgfältig gepflegt. Das Gras war kurz geschnitten, und in der Mitte stand eine Schale mit Blumen.

Als Roxy so dastand und die eingemeißelten Inschriften betrachtete, kam ihr in den Sinn, dass genauso gut sie hier unter dem von der Sonne beschienenen Marmorgrabstein liegen könnte. Das Schicksal, nicht ein Vorsatz hatte sie zum Einzelkind gemacht. Warum war sie am Leben geblieben, während die Jungen hatten sterben müssen? Was konnten diese kleinen Babys schon verbrochen haben, dass sie es verdient hatten, von ihrer Mutter losgerissen und in der kalten Erde begraben zu werden?

Roxy schauderte bei dem Gedanken.

Das Theater war über Weihnachten und Neujahr zwei Wochen geschlossen. Roxy, die plötzlich ungewohnt viel Zeit für sich selbst hatte, lungerte gelangweilt im Haus herum. Halbherzig half sie Felicite, den kleinen Tannenbaum zu schmücken, den John voller Stolz nach Hause gebracht hatte. In Felicites geräumiger Küche mischte sie unter den wachsamen Augen der Haushälterin Mrs. Featherhaugh Zucker mit allen möglichen Gewürzen, und die ganze Zeit spürte sie eine unbestimmbare Unruhe in sich.

Der erste Weihnachtsfeiertag begann klar und sonnig. Mrs. Featherhaugh sang Weihnachtslieder aus ihrer Kindheit in England, wo zu dieser Jahreszeit Schnee lag und die Luft frisch und kalt war, und wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor sie den gefüllten Truthahn in den Ofen schob. Die Geschenke, die traditionsgemäß nach dem Morgengottesdienst in der Saint-Paul’s-Kirche geöffnet wurden, lagen unter dem Christbaum.

Die Kirche war schon voll, als sie ankamen, und John quetschte sich und seine Familie in die letzte Bank. Zum Glück dauerte der Gottesdienst nicht lange. Die Luft in der Kirche war stickig und heiß. Endlich war das letzte Lied zu Ende. Roxy stand auf und folgte ihren Eltern zum Ende der Reihe. Die Gemeinde drängte auf den Mittelgang und bewegte sich träge auf das Portal zu. Roxy stellte sich auf die Zehenspitzen, um die Leute besser sehen zu können. Das Schönste und Verlockendste des Tages stand ihr noch bevor. Erst durfte sie die Geschenke auspacken, dann würde sie sich Mrs. Featherhaughs Truthahn schmecken lassen und einen gemütlichen Spaziergang im Park unternehmen, wenn es nicht zu heiß draußen war.

Plötzlich stand ihr Verstand still, und ihre Muskeln spannten sich an. Vor ihr stand der fremde junge Mann aus dem Theater. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln. Als er sie unverwandt anschaute, konnte sie an nichts anderes mehr denken als daran, wie gut er aussah. Er lehnte lässig an der Bank, strich sich sorglos die Haare aus der Stirn und zog die Mundwinkel nach oben.

Die Röte stieg ihr in die Wangen. Sie ärgerte sich, als sie die Hitze spürte, die sich bis in die Haarspitzen ausbreitete. Roxy fragte sich, warum er solche Gefühle in ihr weckte, wieso sie so unbeholfen und durcheinander war. Wie durch ein Wunder entstand eine Lücke in der Menge. Roxy senkte den Blick, huschte an ihm vorbei zum Ausgang und überraschte Reverend Wood, indem sie seine ausgestreckte Hand vollkommen ignorierte.

Der Silvesterball im »Botanic Hotel« war der Höhepunkt der Saison für die oberen Zehntausend von Adelaide. Roxy freute sich auf den Abend. Felicite und sie hatten den Nachmittag in Madame Redmondes vornehmem Modesalon Fine Fashion For Ladies in der Flinders Street verbracht und sich all die Kleider angesehen. Felicite hatte sich für ein karminrotes Seidenkleid mit einem Überrock aus Brokat und weiten Puffärmeln entschieden. Die Farbe passte wunderbar zu ihrem dunklen Haar und der Porzellanhaut.

Roxy sah die Abendroben durch, aber keine entsprach ihren Vorstellungen.

»Roxy«, beschwerte sich Felicite schließlich, »da muss doch etwas dabei sein, was dir gefällt.« Sie befühlte die cremefarbene Tussahseide eines Kleides mit einem Mieder aus Spitze und kunstvoll eingewobenen Bändern. »Wie wärs mit dem hier? Ist das nicht himmlisch?«

Madame Redmonde trat näher. »Nein! Nein! Das ist nichts für Sie. Zu blass. Bei dem blonden Haar und der hellen Haut brauchen Sie kräftige Farben.« Sie überlegte einen Moment, dann blitzten ihre Augen auf. »Natürlich! Wieso ist mir das nicht gleich eingefallen?«

Sie eilte ins Hinterzimmer. Roxy zuckte mit den Schultern. Allmählich wurde ihr langweilig, und sie wünschte, die Feiertage wären endlich vorbei. Die vielen Kleider erinnerten sie an den Kostümfundus im Theater. Sie wollte wieder auf die Bühne.

Madame Redmonde kam mit einer großen Schachtel zurück. »Das hätte ich beinahe vergessen«, keuchte sie in bedauerndem Tonfall. »Dieses Kleid wurde vor Monaten bestellt, aber nie abgeholt. Erst vor ein paar Tagen erfuhr ich, dass die Lady, die es haben wollte, bereits mit dem Schiff nach England unterwegs ist. Und wenn ich mich recht erinnere, dürfte es Ihre Größe haben.«

Sie knotete die Schnur auf, hob den Deckel ab und schob die vielen Lagen Papier weg. Eine glänzende Masse smaragdgrünen Tafts kam zum Vorschein.

»O Roxy, das ist wunderschön«, flüsterte Felicite, als Madame Redmonde das Kleid herausnahm und stolz in die Höhe hob.

Es passte wie angegossen. Roxy drehte sich nach der einen, dann nach der anderen Seite und bewunderte im Spiegel den eleganten Schnitt. Das Kleid hatte einen tiefen, runden Ausschnitt, der die sanfte Rundung ihres Busens zur Geltung brachte. Die Ärmel waren an den Schultern gerüscht und wurden am Ellbogen enger; das Mieder lief unter der Taille zu einem V zusammen und betonte Roxys schlanke Figur. Der Rock – ein Traum aus Taft und Spitze – reichte bis zum Boden und raschelte bei jedem Schritt. Wenn sich Roxy bewegte, funkelten hunderte winziger Strasssteinchen im Licht, mit denen die Falten des Rocks bestickt waren. Roxy schwang herum, als stünde sie auf einer Tanzfläche. Der Stoff flog um ihre Füße, schimmerte und glitzerte, als wäre er ein lebendiges Wesen.

»Es ist wunderschön«, erklärte sie verträumt. »Einfach vollkommen.«

Felicite und Roxy nahmen ihre Neuerwerbungen mit ins »Café de Paris« in die King William Street. Mrs. Aish, die Besitzerin des Cafés, führte sie an einen Tisch. Eine Serviererin mit gestärktem Häubchen nahm ihre Bestellung auf, und Roxy lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, schloss die Augen und dachte daran, wie sich das Kleid auf ihrer Haut angefühlt hatte.

Die Serviererin kam mit einem Tablett zu ihnen zurück. Behutsam stellte sie die Teekanne, eine Zuckerschale und ein Sahnekännchen sowie zwei geriffelte Porzellantassen mit Untertassen und einen Teller mit kleinen Plätzchen auf den Tisch.

»Zu viele von denen, und wir passen nicht mehr in unsere neuen Kleider«, sagte Felicite lachend. Roxy fand, dass ihre Mutter noch immer die Figur eines jungen Mädchens besaß, obwohl sie drei Kinder auf die Welt gebracht hatte.

Roxy fächelte sich mit der ledergebundenen Speisekarte Luft zu und sah sich in dem Café um. Es war hell und groß mit etlichen Dutzend Tischen, viele von ihnen waren durch strategisch günstig platzierte Topfpflanzen abgeschirmt. Gedämpfte Stimmen und das Klirren von Besteck und Geschirr bildeten die Hintergrundgeräusche.

Plötzlich beugte sie sich vor. Durch die Blätter einer Palme sah sie einen Mann, der mit dem Rücken zu ihr saß. Er unterhielt sich mit einem Mädchen und gestikulierte heftig. Dann drehte er den Kopf ein wenig zur Seite. Roxy wusste, bevor sie die sandfarbene Haarsträhne in der Stirn und den entspannt lächelnden Mund sah, dass es der Fremde war, der ihr schon im Theater und in der Kirche aufgefallen war. Aus unerfindlichen Gründen klopfte ihr Herz schneller.

Augenblicklich verspürte Roxy einen leichten Ärger. Wer war dieser Mensch? Wo sie auch hinging – er schien immer da zu sein und sah ihr oft direkt in die Augen oder zeigte sein träges Lächeln. Sie war kurz versucht, Felicite nach ihm zu fragen. Er hatte doch bei der Premiere mit ihrer Mutter gesprochen, oder? Aber irgendetwas hielt sie davon ab. Wie sollte sie Felicite erklären, welch eigenartige Wirkung dieser Mann auf sie ausübte? Roxy runzelte die Stirn und schloss die Augen, um sich die Gedanken an ihn aus dem Kopf zu schlagen. Ein paar zufällige Begegnungen, der Blick eines Fremden – was bedeutete das schon?

Felicite knabberte an dem letzten Plätzchen. Die Serviererin brachte eine Kanne mit frischem Tee und räumte die benutzten Teller ab. Als Roxy wieder einen Blick wagte, waren der Fremde und seine Begleiterin nicht mehr da.

Frauen in bunt schimmernden Kleidern und Männer in formellen dunklen Anzügen wirbelten über die Tanzfläche. Roxys Tanzkarte, die an einem dünnen Samtband an ihrem Handgelenk hing, war bereits voll. Während sie von einem Partner zum anderen wechselte, sah sie sich um, lauschte auf die Musik und sog die heitere Atmosphäre förmlich in sich auf.

Der Ballsaal erstrahlte in bescheidener Eleganz. Kunstvolle Kronleuchter hingen an der Decke und tauchten die Tänzer in gedämpftes Licht. An einer Seite des Saales teilten Säulen die Tanzfläche von den Begleitpersonen, die im Wandelgang promenierten und mit Freunden und Bekannten plauderten. Vergoldete Stühle mit roten Samtpolstern standen an den Wänden. Die dazu passenden Samtvorhänge wurden von goldenen Kordeln zurückgehalten, sodass die Buntglasfenster freigelegt waren. Auf dem Podium, das eine Seite des Saales dominierte, zeigten etwa ein Dutzend Musiker ihr Können.

Das Abendessen wurde etwa eine Stunde vor Mitternacht serviert: kleine, waffeldünn geschnittene Sandwiches, exotische Früchte in großen Schalen, leckere Kuchen und Törtchen. Ein Kellner bot Roxy ein volles Glas an. Sie nippte an dem gekühlten, erfrischenden Getränk. Die Nacht war warm und die Luft stickig, obwohl die großen Fenster weit offen standen. Als die Musik wieder einsetzte, forderte sie der nächste junge Mann, der sich auf ihrer Karte eingetragen hatte, zum Tanz auf.

»Noch fünf Minuten bis Mitternacht«, rief der Kapellmeister.

Der Rhythmus der Musik wurde schneller. Die Tänzer sprangen und drehten sich zu den Klängen einer temperamentvollen Polka. Roxy lachte über das frivole Vergnügen. Sie spürte, wie der Saum ihres Kleides um ihre Knöchel schwang. Schnelle Drehung, Schritt zur Seite, nächster Partner: lächelnde, gesichtslose Männer, die die Arme geschickt um ihre Taille schlangen und sie gekonnt über die Tanzfläche führten.

»Fünf … vier … drei … zwei … eins. Prosit Neujahr!«

Roxy kam lachend zwischen zwei Partnern zum Stehen. Glockenklänge der fernen Kirche läuteten das neue Jahr ein. Atemlos wandte sich Roxy dem Podium zu, und plötzlich stand der gut aussehende Fremde vor ihr. Eine sandfarbene Locke war ihm in die Stirn gefallen, und er starrte Roxy mit seinem entwaffnenden Lächeln an.

Mit einem Mal konnte sie weder Arme noch Beine bewegen. Sie war wie erstarrt, gefangen genommen von dem Blick aus seinen blauen Augen. Ihr war, als könnte er durch sie hindurchsehen und ihre geheimsten Gedanken ergründen. Sie stand hilflos da, als er sich langsam zu ihr beugte und mit seinen Lippen über ihre Wange streifte. Roxy hatte das Gefühl, als versengte die Hitze seines Mundes ihre Haut.

»Ein glückliches neues Jahr«, sagte er. »Ein glückliches neues Jahr, Roxy Bellue.«

Die Welt schien stillzustehen. Die Stimmen und das Gelächter der anderen drangen gedämpft und wie von weither an ihr Ohr. Die Menschen, die an ihr vorbeigingen, nahm sie nur noch verschwommen wahr. Im Moment existierte nur dieser Mann, dessen Augen und Nähe sie geradezu hypnotisierten.

Die Musik begann mit einem Paukenschlag. Roxy blinzelte und trat einen Schritt vor. Sie spürte seine Hand auf ihrem Rücken, als er sie zum nächsten Partner führte. Schnelle Drehung, Schritt zur Seite – genau wie vorher. Als wäre nichts geschehen. Roxy schüttelte den Kopf, um die Verwirrung loszuwerden. Es war ja auch nichts geschehen, oder? Ein flüchtiger Kuss von einem Fremden, und plötzlich kam sie sich vor wie ein albernes Schulmädchen.

Sie warf einen Blick zurück, als sie in den Armen des nächsten Tänzers herumwirbelte. Da war er – etliche Meter von ihr entfernt. Er hatte sich von der Tanzfläche zurückgezogen, stand am Rand und sah ihr nach.

KAPITEL 3

Martin Dumas lag auf dem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Die Laken waren wegen der Hitze zurückgeschlagen, denn obwohl die Fenster geöffnet waren, regte sich kein Lüftchen. Die leicht rosa Färbung am Horizont barg das Versprechen auf einen weiteren heißen Tag. Ein Hahn krähte und kündigte das erste Morgengrauen des neuen Jahres an. Achtzehnhundertneunzig.

Martins Gedanken beschäftigten sich hauptsächlich mit dem Ball. Er hatte Emma Dougherty, die jüngste Tochter seines Gastgebers hier in Adelaide, zu dem Fest begleitet. Er fand sie hübsch, aber auch ziemlich kokett, und seine Mutter hatte ihn gelehrt, diese Eigenschaft bei einer Frau rundweg abzulehnen.

In dem Schlafzimmer, in dem es nach und nach heller wurde, ließ Martin die Szenen des letzten Abends noch einmal Revue passieren: schöne Frauen in farbenfrohen, rauschenden Ballkleidern, die süßen, rhythmischen Klänge der Musik, die eleganten Bewegungen der Tanzenden; dies war eine Welt, die sich nicht mehr von seinem harten Leben im Busch unterscheiden könnte.

Die temperamentvolle Musik ging ihm nicht aus dem Kopf. Er streckte sich auf dem gestärkten Laken. Er versuchte zu schlafen, aber seine Gedanken kehrten immer wieder zu der jungen Frau zurück.

Ihr Name war Roxy Bellue. Das hatte er bei der Premiere im Theatre Royal im Programmheft gelesen. Getrieben von einem unerklärlichen Drang, hatte er sich das Theaterstück noch einige Male angesehen. Obwohl er sich große Mühe gegeben hatte, sich auf die Handlung zu konzentrieren, hatte Roxy Bellue seine Blicke magisch auf sich gezogen – der sanft geschwungene Mund, die gerade Nase, das helle Haar, das zu einem Chignon im Nacken zusammengefasst war, das alles faszinierte ihn. Die geschmeidige und zielstrebige Art, wie sie sich auf der Bühne bewegte, schien ihn zu beruhigen. Etwas an ihr erinnerte ihn an die anmutigen Enten, die über die Flüsse im Outback glitten.

Martin hatte noch nie eine Heirat in Erwägung gezogen. Er hatte es nicht eilig, eine Familie zu gründen, schließlich war er erst zweiundzwanzig und hatte noch sein ganzes Leben mit all den verheißungsvollen Möglichkeiten vor sich. Er dachte an zu Hause, an Wirra Downs, den Familienbesitz am Ufer des Darling River in der Nähe von Bourke, und an die vielen Pläne, die er für sich selbst und sein Land hatte. Expansion, Verbesserungen, eine neue Merino-Zucht. Bald würde er mit einer neuen Schafherde, die er zu seiner hinzufügen wollte, über Land nach Wirra Downs zurückkehren. Ihm stand also eine lange, beschwerliche Reise bevor, aber die Mühe würde sich lohnen.

Martin seufzte tief, als seine Gedanken unweigerlich zu dem Ball und zu Roxy zurückkehrten. In der letzten Woche war sie bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten wie aus dem Nichts vor seinen Augen aufgetaucht: in der Kirche, im Café und gestern Abend bei dem Tanz. Diese zufälligen Zusammentreffen waren seltsam – so, als wollte das Schicksal sie zusammenbringen.

Er durchlebte noch einmal die letzten Sekunden des alten Jahres und war wieder ebenso durcheinander wie am Vorabend. Er hatte sich umgedreht, um die Hand seiner nächsten Partnerin zu ergreifen, und plötzlich war sie in ihrem schillernden grünen Kleid auf ihn zugewirbelt und hatte ihn überrascht angesehen. Ihm war zumute, als hätte ihm jemand einen Magenschwinger versetzt, und er musste gegen das plötzliche Bedürfnis ankämpfen, sie zu küssen. Er schmeckte schon fast ihre Lippen auf den seinen, aber dann hauchte er doch nur einen Kuss auf ihre Wange – eine blitzschnelle Geste, fast ohne wirkliche Berührung. Es war geschehen, noch ehe er selbst so recht begriff, was er sich da erlaubt hatte. Aber Roxy hatte etwas an sich, das ihm das Gefühl gab, sie schon lange zu kennen, obwohl sie niemals ein Wort miteinander gewechselt hatten.

Heirat – wieder kam ihm ungebeten dieses Wort in den Sinn. Wenn er einmal heiratete, dann musste seine Frau so wie Roxy sein – schön, würdevoll und unabhängig. Eine starke Frau, die Ziele in ihrem Leben hatte.

In der folgenden Woche besuchten John und Felicite Bellue Roxys letzte Vorstellung der Saison. Danach war das Theater zwei Monate geschlossen, in denen das Ensemble das nächste Stück probte: Ein Mittsommernachtstraum. Roxy war für die Rolle der Feenkönigin Titania ausersehen.

Die letzte Vorstellung! Roxy freute sich schon auf das Fest, das danach in »Grayson’s Coffee Palace« stattfinden sollte. Sie spähte durch den Spalt im Vorhang und ächzte leise, als sie den jungen Mann sah, der wieder in der ersten Reihe saß und sich mit ihrer Mutter unterhielt.

»Der hat ein Auge auf dich geworfen«, behauptete Bert, als er sich neben sie stellte und die Vorhänge so weit auseinander zog, dass Roxy sicher war, vom Zuschauerraum aus gesehen zu werden.

»Sei nicht albern. Ich habe den Mann nie kennen gelernt. Wie kann er sich da für mich interessieren?«

»Ich sehe das«, erwiderte Bert beharrlich. »Er sieht nur dich an, wenn du auf der Bühne stehst. Und er ist auch nicht zum ersten oder zweiten Mal hier. Sag bloß nicht, dass er dir nicht aufgefallen ist.«

Roxy spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Bert schien das nicht zu bemerken und neckte sie weiter: »Du solltest dich geehrt fühlen, Roxy. Es wird gemunkelt, dass ihn die anderen Mädchen aus dem Ensemble zum hübschesten Mann erkoren haben, den sie jemals zu Gesicht bekommen haben.«

»Na ja, vermutlich ist er das«, gab Roxy vorsichtig zurück.

Bert grinste sie an. »Ich könnte ihn zu dem Fest einladen.«

»Das wagst du nicht!«

»Warts ab.« Bert lachte.

Der neue »Grayson’s Coffee Palace« gegenüber vom Bahnhof war sehr weitläufig mit einem großen Speisesaal, verschiedenen Rauchzimmern, etlichen kleineren Restaurants und Cafés. Als sich Roxy zum Abendessen an die Tafel setzte, fand sie heraus, dass der sandhaarige Fremde ihr gegenüber seinen Platz hatte. Wie sich herausstellte, hatte ihre Mutter ihn eingeladen, und wie Felicite ihrer Tochter auf der Fahrt mit der Kutsche erzählt hatte, hatte er die Offerte ohne Zögern angenommen.

Einige Male schaute Roxy auf und sah, dass er sie lächelnd beobachtete. Sein Blick bereitete ihr Unbehagen, auch wenn sie nicht hätte erklären können, weshalb das so war. Seine Anwesenheit machte sie unnatürlich schweigsam.

»Du bist heute Abend so still, Liebes«, bemerkte Felicite. »Was ist mit dir? Fühlst du dich nicht gut?«

»Doch, Mutter«, entgegnete sie. »Mir geht es gut. Ein bisschen müde bin ich vielleicht.«

Felicite neigte sich über den Tisch und berührte die Hand des jungen Mannes. »Martin Dumas«, begann sie, »ich möchte Ihnen meine Tochter Roxy vorstellen.« Sie wandte sich an Roxy. »Martin hat mir vor der Vorstellung erzählt, dass er aus Bourke kommt.«

»Bourke?«, wiederholte Roxy fragend. »Ich habe noch nie von dieser Stadt gehört.«

»Sie liegt im westlichen New South Wales«, erklärte Martin. »Wir haben dort eine Schaffarm. Wirra Downs.«

»Oh, wie aufregend!«, rief Felicite mit einem strahlenden Lächeln aus.

»Wir?«, hakte Roxy nach und funkelte ihre Mutter an. Sie konnte Schafe nicht leiden; sie hielt sie für ausgesprochen dumme Tiere.

»Mein Vater ist vor einem knappen Jahr gestorben. Seither leiten meine Mutter und ich die Farm.« Für einen kurzen Moment verfinsterte sich sein Gesicht.

»Oh.« Hatte sie mit ihrer Frage einen wunden Punkt berührt? Sie sah zu ihrem eigenen vor Gesundheit strotzenden Vater, der sich angeregt mit ihrem Inspizienten unterhielt, und versuchte, sich ein Leben ohne ihn vorzustellen. »Das tut mir Leid.«

Martin zuckte mit den Schultern. »Das muss es nicht. Er hatte ein …«, er hielt inne, als müsste er seine Worte sorgfältig wählen, »… ein interessantes Leben.«

»Und was führt Sie nach Adelaide?«, erkundigte sich Felicite, um das Thema zu wechseln. »Es ist ein weiter Weg von Ihrem Zuhause bis hierher.«

»Ich bin hier, um eine kleine Schafherde zu erwerben. Ungefähr zweitausend Mutterschafe und einige Widder. Sie sollen die Basis für ein neues Zuchtprogramm auf Wirra Downs bilden.«

»Eine kleine Schafherde?«, hakte Felicite nach. »Mir scheint, es ist eine ziemlich große.«

»Dort, wo ich herkomme, sind zweitausend Schafe nicht gerade viel«, erklärte Martin lächelnd. »In der Dunlop-Farm, die in unserer Nachbarschaft liegt, wurden im letzten Jahr hundertachtzigtausend Schafe geschoren – sie sind übrigens die ersten, die mit diesen neuen mechanischen Schergeräten geschoren wurden. Dagegen sind meine zweitausend ein armseliger Haufen.«

»Erzählen Sie uns von Ihrem Wirra Downs«, forderte Felicite ihn auf.

»Die Farm war ziemlich heruntergekommen, als mein Vater starb. Ich möchte sie nach und nach wieder aufbauen und expandieren. Wirra Downs ist derzeit noch klein im Vergleich zu den anderen nahe gelegenen Stationen, aber eines Tages wird es die größte Farm in der Gegend sein. Ich habe sehr viel vor.« Er wandte sich an Roxy. »Waren Sie jemals im Busch?«

»Nein. Und ich bin überzeugt, ich würde es verabscheuen. Großer Gott, dort gibt es sicher nichts – kein Theater zum Beispiel.«

Martin lachte leise. »Für derlei Dinge hat man im Busch keine Zeit. Aber in Bourke gibt es ein Theater. Wir sind nicht gänzlich ohne Kultur, müssen Sie wissen.« Sein Blick schien sie zu verspotten.

Roxy täuschte Gleichgültigkeit vor und fasste nach ihrem Champagnerglas. Doch Felicite konnte sich offenbar für das Outback begeistern. »Möchten Sie nicht morgen zum Abendtee zu uns kommen?«, fragte sie und deutete zum Tischende auf ihren Mann. »John würde sicher sehr gern etwas über Ihr Wirra Downs hören. Und Roxy natürlich auch, davon bin ich überzeugt.«

Vor allen Dingen!, dachte Roxy. Ihre Mutter war so leicht zu durchschauen.

Martin erschien um Punkt fünf Uhr makellos gekleidet in einem grauen Anzug. Roxy öffnete ihm die Tür.

»Hier, für Sie«, sagte er und hielt ihr ein kleines Blumenbukett zum Anstecken hin. »Für die neue Feenkönigin Titania.«

Roxy merkte, dass sie errötete, als sie den mit einem weißen Band zusammengebundenen Strauß betrachtete. Unwillkürlich entfuhr ihr ein kleiner Freudenschrei. »Oh, sind die schön! Was sind das für Blumen?«

Er sagte es ihr: gefüllte gelbe Akazienblüten, winzige weiße Teebaumblüten und in der Mitte eine wilde Orchidee, eingefasst war der Strauß mit silbergrauen Blättern.

»Darf ich?«, fragte er.

Roxy nickte und erlaubte ihm, den Strauß an ihrem breiten Kragen zu befestigen. Seine Finger strichen dabei über ihren Hals. Martin hatte kräftige Hände, aber die Berührungen waren erstaunlich zart. Er sah sie mit seinem entwaffnenden Lächeln an.

Die Akazienblüten verbreiteten einen feinen Duft.

Felicite fand, dass der Abend erfolgreich verlaufen war. »Martin ist sehr nett«, erklärte sie und lobte seine korrekte Kleidung, seine Tischmanieren und sein Geschick, eine angenehme Konversation zu treiben.

»Mmm«, murmelte Roxy und nahm sich Tee und einen Toast.

Den ganzen Tag über erinnerte sie sich immer wieder an sein Lächeln, an seine flüchtige Berührung, als er ihr den Strauß an den Kragen geheftet hatte, und an den Duft der Akazienblüten.

Am folgenden Nachmittag klopfte Martin wieder an die massive Haustür der Bellues. Roxy öffnete ihm.

»Oh, Sie sinds …«, stammelte sie erstaunt.

Er sah sie erwartungsvoll an, als erwartete er, ins Haus gebeten zu werden. Felicite tauchte hinter ihrer Tochter auf und beendete die peinliche Situation. »Martin!«, rief sie erfreut. »Reizend, dass Sie vorbeischauen. Möchten Sie nicht hereinkommen und einen Tee mit uns trinken?«

Felicite plauderte munter drauflos, während sie Biskuits anbot. »Und, Martin, gefällt Ihnen unsere hübsche Stadt?«

»Sie ist ganz anders als die Städte, die ich kenne«, antwortete er. »Die Parks und Gärten – alles ist so grün. Und die Geschäfte! Bei uns in Bourke gibt es natürlich auch Läden«, fügte er hastig hinzu, »doch die Waren hier sind sehr viel teurer.«

»Und haben Sie auch etwas vom Umland gesehen?«, wollte Felicite wissen.

»Ein wenig. Ich habe mir sogar vorgenommen, morgen Nachmittag eine Kutschfahrt zum Brownhill Creek zu unternehmen, allerdings muss ich zugeben, dass ein solcher Ausflug an Reiz verliert, wenn man allein ist.«

»Brownhill Creek. Das ist einer von Roxys Lieblingsplätzen. Sie würde Sie sicher gern begleiten, stimmts nicht, Liebes?«

Was hat Mutter vor?, fragte sich Roxy und blitzte Felicite an. »Vermutlich, ja«, antwortete sie.

Da Felicite selbst verhindert war, schickte sie Mrs. Featherhaugh als Anstandsdame mit auf Martins und Roxys ersten Ausflug. Roxy saß eingequetscht zwischen Martin und der üppigen Köchin auf dem Bock der leichten Kutsche. Martin trieb die Pferde über die von Bäumen gesäumte Straße, und sein treuer Hund saß hinten, streckte die Nase in die Luft und schnupperte eifrig nach fremden Gerüchen. Brownie war ein Kelpie mit rötlichem Fell und bernsteinfarbenen Augen. Roxy hatte ihn zuvor getätschelt, und Brownie hatte an ihrer Hand geschnüffelt und dann seinen Kopf an ihrem Arm gerieben.

»Sehen Sie, er hat Sie gern.« Martin lachte. »Er ist ein sehr wählerischer Hund. Sie können sich geschmeichelt fühlen.«

»Ich hatte noch nie einen Hund«, erzählte Roxy, während sie Brownies seidige Ohren kraulte.

Martin sah sie erstaunt an. »Wirklich? Wir im Busch sind von Hunden abhängig. Sie sind Gold wert. Sie helfen mit der Herde und spüren Schlangen schon von weitem auf. Und nachts im stillen, dunklen Busch wird der Hund zum besten Freund.« Er drehte sich um und streichelte Brownie liebevoll den Kopf. »Wenn wir uns nicht hätten, dann wären wir verloren, was, Brownie?«

Von Zeit zu Zeit deutete Roxy auf eine der Sehenswürdigkeiten am Wegrand. Sie war dankbar für diese Ablenkungen, weil sie sonst nicht gewusst hätte, was sie mit Martin Dumas reden sollte. Es war nicht zu übersehen, dass er gut mit Pferden umgehen konnte. Die leichte Kutsche schwankte von einer Seite zur anderen, aber Roxy sah, dass er die Zügel locker in den sonnengebräunten Händen hielt.

Mrs. Featherhaugh hatte einen Picknickkorb zusammengepackt. Sie hielten in der Nähe des Creeks, und Martin breitete eine Decke auf dem Boden aus, während Roxy das Picknick auspackte. Es gab kaltes Huhn, kleine Kartoffelbällchen, frisches Brot, Tomaten und verschiedene Käsesorten.

Nachdem sie sich gestärkt hatten, erhob sich Mrs. Featherhaugh und wischte die Krümel von ihrem Kleid. »Ich weiß nicht, was Sie beide vorhaben«, sagte sie, »aber ich unternehme einen kleinen Spaziergang.« Sie deutete auf den Creek. »Ich bin da unten, falls Sie mich brauchen.« Sie bückte sich unbeholfen, hob einen Stock auf und schwang ihn über dem Kopf, ehe sie ihn in Richtung Wasser warf. »Los, Brownie, hol das Stöckchen.«

Martin und Roxy blieben im von Sonnenflecken getüpfelten Schatten des Baumes sitzen, während Mrs. Featherhaugh durch das Gras ging und schließlich aus dem Blickfeld verschwand. Der Hund tobte neben ihr her und bellte aufgeregt. Roxy lehnte sich an den Baumstamm und schloss die Augen. Die Vögel trällerten. Man hörte das Plätschern des Wassers, das über die Felsen floss, und das leise Rauschen der Blätter. Eine warme Brise liebkoste Roxys Gesicht und zupfte an ihrem Haar.

»Danke, dass Sie heute mitgekommen sind«, sagte Martin. Seine Stimme war nahe, und sein Atem streifte ihre Wange. »Ich würde mich doch sehr einsam fühlen, wenn ich allein wäre.«

»Oh, ich weiß nicht«, erwiderte Roxy und dachte an das Café und Martins junge Begleiterin, die sie aus ihren Schultagen kannte. »Ich bin sicher, Emma Dougherty wäre auch eine gute Gesellschafterin.«

»Emma Dougherty?«

»Ja. Sie waren mit ihr im Café und auf dem Ball.« Sie hätte sich auf die Zunge beißen können. Warum hatte sie das gesagt? Das musste ja den Eindruck erwecken, dass sie ihn ausspioniert hätte, aber das hatte sie gar nicht … na ja … nicht wirklich.

Martin lachte schallend. »O Roxy, Sie sind doch nicht eifersüchtig wegen Emma Dougherty, oder?«

»Eifersüchtig? Weshalb sollte ich eifersüchtig sein?« Roxy öffnete die Augen und sah, dass er sich nah zu ihr neigte. Sie nahm das schrille Zirpen der Zikaden in den Bäumen wahr und starrte auf die wirre Locke, die Martin in die Stirn gefallen war. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und die Strähne sanft zurückgestrichen. Sie schloss die Augen wieder und schluckte schwer.

»Emmas Eltern waren mit meinem Vater befreundet; sie haben sich vor vielen Jahren in Sydney kennen gelernt. Ich wohne zurzeit bei ihnen.« Er kicherte wieder. »Emma ist ein süßes junges Ding, aber für meinen Geschmack ein bisschen zu frühreif und kess.«

Roxy spürte, wie seine Finger zart ihr Kinn berührten, und riss überrascht die Augen auf. Hatte er vor, sie wieder zu küssen? Er sah sie eindringlich und mit einem verwirrten Ausdruck an. »Ich wollte heute mit Ihnen zusammen sein, nicht mit Emma.«

Sie erschrak, als sich sein Mund auf ihren senkte. Er nahm sie in die Arme, und ein Gefühl der Geborgenheit überkam sie. In ihr regte sich etwas, was sie nicht benennen konnte, etwas Formloses, Unbestimmbares.

Plötzlich zog er sich zurück und sprang auf. Roxy starrte benommen ins Leere, als er sich von ihr entfernte und ohne einen Blick zurück in Richtung Creek stolperte. Als Brownie sein Herrchen entdeckte, bellte er freudig und rannte auf ihn zu.

Roxy lehnte, wie ihr schien, unendlich lange an dem Baum und beobachtete, wie die Schatten langsam über den Boden krochen.

KAPITEL 4

Während der folgenden Wochen war Martin ein regelmäßiger Gast im Hause Bellue. Roxy staunte selbst, als ihr klar wurde, dass sie sich auf seine Besuche freute. An den Vormittagen war sie mit den Proben für das neue Stück beschäftigt, aber ihr war bewusst, dass sich die Nachmittage ohne Martins Gesellschaft endlos lange hinziehen würden. Er wartete auf die Schafherde, die bald in Adelaide eintreffen sollte, dann musste er nach Norden aufbrechen. Es dauerte also nicht mehr lange, bis sich ihre Wege trennten. In ein paar Wochen war Premiere des neuen Stückes, danach gab es unzählige Matineen und Abendvorstellungen. Roxy sehnte ungeduldig diesen aufregenden Tag herbei und wünschte, die Zeit würde schneller vergehen.

Martin fügte sich reibungslos in ihre Familie ein, als wäre er schon jahrelang ein Freund des Hauses. An den meisten Abenden aß er mit ihnen, und nach der Mahlzeit zog sich John mit ihm in sein Arbeitszimmer zurück, und sie tranken ein, zwei Gläser Portwein, bevor sie sich wieder zu den Frauen gesellten, um Karten zu spielen oder am Piano etwas zu singen. Roxy spielte ganz passabel Klavier, aber Felicite war eine Virtuosin, die liebevoll die Elfenbeintasten anschlug und dem Instrument wundervolle Melodien entlockte. Wenn sich Roxy an diesen behaglichen Abenden umsah, verspürte sie eine vage Zufriedenheit.

Martin und Roxy verbrachten viele Nachmittage damit, gemeinsam die umliegende Landschaft zu erkunden. Gelegentlich wurden sie von Mrs. Featherhaugh begleitet, hin und wieder auch von Felicite oder einer von Roxys Freundinnen, damit der Anstand gewahrt blieb. Und Brownie war immer dabei, beobachtete gespannt jede Bewegung und konnte es kaum erwarten, dass er ein Stöckchen apportieren oder am Flussufer herumtollen durfte.

Martin war selten mit Roxy allein, doch er sehnte sich danach, sie ganz für sich zu haben. An den Abenden, wenn sich ihre Eltern für die Nacht zurückzogen, blieben sie manchmal noch eine kleine Weile zusammen im Salon. Er genoss diese gestohlenen Minuten und ließ Roxy nicht aus den Augen; meist saß sie bei diesen Gelegenheiten mit einem aufgeschlagenen Buch auf dem Schoß auf einem hochlehnigen Stuhl. Wenn er glaubte, dass sie nichts merkte, betrachtete er ihr Profil: hohe Wangenknochen, eine schmale, gerade Nase, die kleinen Sommersprossen. Es drängte ihn dazu, die Hand auszustrecken und ihr durch das helle Haar zu streichen. Die Art, wie sie den Kopf drehte, das Kinn nach vorn reckte oder ihre Hände bewegte, weckte in ihm den nahezu überwältigenden Wunsch, sie an seine Brust zu drücken und ihren weichen Mund zu küssen.

Das Gespräch kam oft auf Wirra Downs und die Pläne, die Martin für seine Farm hatte.

»Und was ist mit Ihnen, Roxy?«, fragte er eines Abends. »Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus? Das Theater ist eine ungewöhnliche Wahl, insbesondere für eine Frau.«

»Gefällt Ihnen meine Schauspielkunst nicht?« Sie sah ihn erstaunt an.

Martin lachte. »Ich liebe die Art, wie Sie sich auf der Bühne bewegen und mit ernstem Gesicht Ihre Rolle einnehmen. Aber wie denken Ihre Eltern darüber?«

»Oh, Vater hat eine ziemlich moderne Einstellung«, versicherte Roxy eilends. »Er findet, dass eine Frau einen eigenen Beruf haben sollte, wenn sie das möchte.«

Martin schaute ihr direkt in die Augen. Sie waren grün – grün wie das tiefe Meer. Er hatte fast das Gefühl, in diesen Tiefen zu ertrinken. Ich will dich ganz für mich allein, hätte er ihr am liebsten erwidert. Ich möchte nicht, dass du auf der Bühne stehst und den Blicken der vielen Zuschauer ausgesetzt bist.

»Und möchten Sie das?«, hakte er nach und schloss für einen Moment die Augen, um sich von ihrem bezaubernden Anblick zu erholen.

Roxy seufzte und wandte sich ab. »Seit zwei Jahren träume ich von nichts anderem als davon, mir als Schauspielerin einen Namen zu machen.« Sie drehte den Kopf und sah ihn wieder an. »Ich weiß, dass Sie verstehen können, wie es ist, wenn man sich etwas so schmerzlich wünscht. Die Schauspielerei ist für mich das, was Wirra Downs für Sie ist. Ein Ziel, die Zukunft.«

Martin kannte den Schmerz, der aus der Sehnsucht geboren wurde, nur zu gut. Gerade jetzt fühlte er, wie er von seinem Bauch aus in den gesamten Körper ausstrahlte, bis er fast aufgeschrien hätte vor Qual. Er schluckte schwer und zwang sich zu einem Lächeln. »Ja, das verstehe ich«, murmelte er.

»Wahrscheinlich finden Sie es nicht richtig, wenn eine Frau einem Beruf nachgehen möchte, statt zu heiraten und Kinder zu bekommen.« Ihr Blick senkte sich auf ihre Hände, die sie auf dem Schoß liegen hatte. Ihre Fingerspitzen berührten sich – dies waren zarte, feingliedrige Hände, die niemals harte Arbeit kennen gelernt hatten.

»Wollen Sie keine Familie haben?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Eines Tages vielleicht. Wenn ich den richtigen Mann finde, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte. Aber erst muss ich mir selbst etwas beweisen.«

Martin erhob sich langsam und durchquerte den Salon. Dann ging er vor Roxy in die Knie, nahm eine ihrer Hände in seine und hielt sie fest. Er spürte die Wärme ihrer Finger. »Und woher werden Sie wissen, dass der richtige Mann da ist?«

Sie schaute ihm in die Augen. »Das wird mir mein Herz sagen«, antwortete sie entschieden.

An den Nachmittagen schlenderten sie durch den botanischen Garten oder über die Kais von Port Adelaide und beobachteten, wie die kleinen Schoner anlegten. Sie wanderten durch die Kunstgalerie, das Museum und über den Campus der Universität, um zuzusehen, wie die Studenten von einer Vorlesung zur anderen eilten. Wenn sie Ausflüge in die Adelaide Hills machten, saß Brownie hinten auf der leichten Kutsche und kläffte die Rinder auf den Weiden an.

Sie besuchten Orte mit eigenartigen Namen wie Balhannah, wo hohe Buchen die Hauptstraße säumten, und Hahndorf – ein idyllisches altes Städtchen, in dem sich Deutsche angesiedelt und Häuser mit steilen Dächern erbaut hatten. Sie sahen den Traubenpflückern zu, wie sie die prallen Trauben von den Reben drehten und in große Holzbottiche warfen. Die Luft roch nach Sommer und reifen Früchten.

Martin zog Roxy mühelos die Hänge des Mount Lofty hinauf. Als sie atemlos auf dem Gipfel ankam, küsste er sie. Seine Liebkosung war berauschend wie Wein. Die Stadt breitete sich unter ihnen aus wie eine winzige Landkarte. Ein Stück dahinter sahen sie die weiße Küste und das endlose blaue Meer. Nairne, Uraidla, Lobethal: malerische Ortschaften, die ineinander verschwammen und zu einer verschmolzen. Bewusst konnte sich Roxy nur noch an den Geschmack von Martins Lippen erinnern.

An einem Wochenende begleiteten John und Felicite sie bei einem etwas weiteren Ausflug. Sie übernachteten in Gumeracha in einem kleinen Gasthof, in dem ihnen die Wirtin eine köstliche Mahlzeit servierte. Sie waren die einzigen Gäste. Eine Kerze auf dem Tisch verbreitete einen behaglichen gelben Schein, und an den Wänden tanzten Schatten. Während des Essens sprach Martin von seiner Liebe zum Busch und den Dingen, die er sich für die Zukunft vorgenommen hatte. Seine Augen leuchteten vor Begeisterung und Vorfreude. Roxy musterte Martins Gesicht und sah, dass er trotz seiner Sanftmut fest entschlossen war, sein Leben in die Hand zu nehmen.

Das Ensemble war aufgeregt und hektisch bei der ersten Kostümprobe, die zwei Wochen vor der Premiere abgehalten wurde. Nach der Probe lobte der Regisseur ihre Leistungen.

»Eine gute Vorstellung. Wir sehen uns morgen.« Er drehte sich schon um, um zu gehen, aber dann fiel ihm noch etwas ein. »Übrigens, wie einige von Ihnen inzwischen sicher wissen, saß heute Harold Rasmussen im Zuschauerraum. Er möchte morgen vor der Probe mit einigen von Ihnen sprechen. Also, bis dann.«

Roxy hätte am liebsten Freudensprünge vollführt, Harold Rasmussen! Der berühmte Shakespeare-Regisseur aus Sydney war in ihrem Theater gewesen, hatte miterlebt, wie sie, Roxy Bellue, ihren Text fehlerlos vorgetragen und sich mit einstudierter Leichtigkeit und Anmut auf der Bühne bewegt hatte. Harold Rasmussen! Sie war ihm bestimmt aufgefallen, sicher hatte er sie auserwählt, oder? Ihr Herz klopfte unbändig.

»Ich kann die morgige Probe kaum erwarten«, flüsterte sie vor sich hin. Sie wünschte, die Stunden würden verfliegen, und fragte sich, wie sie ihre Vorfreude im Zaum halten sollte.

Bei der Probe am folgenden Tag spielte Roxy ihre Rolle wie in Trance. Harold Rasmussen hatte eine Ansprache vor dem Ensemble gehalten und erklärt, dass er einige von ihnen gern zum Vorsprechen für eine Inszenierung des Wintermärchen einladen würde, das in der kommenden Saison in Sydney aufgeführt wurde. Roxys Name wurde auch genannt.

Schon am nächsten Tag sollte sie vorsprechen. Roxy malte sich während der schlaflosen Nacht aus, wie sie die Hermione oder die Perdita in Sydney spielte, deshalb war sie ein wenig enttäuscht, als man sie aufforderte, den Text der Dorcas, einer der Schäferinnen, zu lesen. Aber alles verlief gut, und Harold tätschelte ihr den Rücken. »Gut gemacht«, sagte er in einem Ton, der Roxy davon überzeugte, dass niemand außer ihr dieses Lob hören sollte. Sie saß wie auf glühenden Kohlen, während sie auf eine weitere Reaktion wartete.

Die Neuigkeit erreichte sie eine Woche später. Rasmussen bot Roxy die Rolle an, für die sie vorgesprochen hatte. »Es ist nur eine kleine Rolle«, warnte er sie und strahlte sie dabei an, »aber es ist ein Schritt vorwärts. Die Proben beginnen im Juni in Sydney.«

»Das sind ja wundervolle Neuigkeiten, Liebling«, rief John Bellue nach einem Moment des Schweigens aus. Sein übliches Lächeln fehlte jedoch, und Roxy sah seine tief gerunzelte Stirn.

Felicite schaute ihre Tochter besorgt an. »Das würde bedeuten, dass du weg von zu Hause bist«, begann sie. »Ich weiß nicht …«

»O bitte, Mutter! Es ist die Chance meines Lebens.«

»Es kann vielleicht nichts schaden, meine Liebe«, sagte John vorsichtig, »wenn Roxy es wirklich will.«

»Und das ist noch nicht alles«, erzählte Roxy weiter und holte tief Luft. Es hatte keinen Sinn, die Sache aufzuschieben. »Die Rede war von London, wenn die Saison in Sydney ein Erfolg wird. Aber bisher war das nur eine Andeutung …«

»London«, flüsterte Felicite matt. »O Roxy, das ist so weit weg. Und diese beschwerliche Reise! Ich war so seekrank.«

»Zum Teil deshalb, weil du schwanger warst, meine Liebe«, wiegelte John ab und nahm die Hand seiner Frau.

»Unsinn«, protestierte Felicite, entzog John ihre Finger und fächelte sich mit schnellen Bewegungen Luft zu. »London! Das ist auf der anderen Seite der Welt. Und der Gedanke, Roxy so weit von uns weg zu wissen, würde mir keine Minute Ruhe mehr lassen. Es könnte alles passieren. Alles!«

John Bellue nickte seiner Tochter knapp zu. »Roxy, lass uns abwarten und sehen, wie sich alles entwickelt, ja?«

Roxy lächelte, als sie ihren Eltern einen Gutenachtkuss gab und sich in ihr Zimmer zurückzog. Alles würde gut verlaufen. Sie konnte ihren Vater um den kleinen Finger wickeln. Felicite war allerdings schwerer zu überzeugen. Aber irgendwie würde es ihr schon gelingen, ihrer Mutter klar zu machen, dass sie mit fast achtzehn kein Kind mehr war und dass ein aufregendes Leben auf sie wartete. Zumindest in Sydney, wenn nicht sogar in England.

Sie seufzte glücklich, als sie zwischen die kühlen Laken schlüpfte. London. Das war so weit weg, doch schon ein Stückchen näher, als es gestern gewesen war.

John und Felicite kamen an einem heißen, stürmischen Vormittag vor der Matinee-Vorstellung ins Theater, um Harold Rasmussen zu treffen. Die Begegnung verlief nicht gut. John hörte sich Harolds Pläne an und nickte höflich. Felicite schwieg die ganze Zeit. Ihr Mund war uncharakteristisch verkniffen, was ihre ansonsten so sanften Gesichtszüge fast entstellte.

Roxy wollte sie trösten. Ich gehe doch nur nach Sydney, hätte sie ihr gern zugerufen. Du hast diese Reise nach London mit Vater unternommen, als du kaum älter warst als ich. Mit dem Schiff bis nach England. Aber sie wusste, dass das nicht dasselbe war. Als einziges Kind war sie der Mittelpunkt im Leben ihrer Mutter, und dadurch war der Druck, bei der Familie zu bleiben, wesentlich stärker.

Roxy hatte Harold Rasmussen vorgewarnt und ihm von den Bedenken ihrer Eltern erzählt, daher versuchte er, die Wogen zu glätten und die angekündigte London-Reise herunterzuspielen. »Das steht im Moment natürlich noch in den Sternen«, sagte er. »Bis dahin kann noch alles Mögliche geschehen. Habe ich vorerst Ihre Erlaubnis, Roxy für die nächste Saison mit nach Sydney zu nehmen? Es ist eine große Chance für sie.«

John Bellue nickte, beugte sich vor und schüttelte Rasmussen die Hand. »Roxy hat unseren Segen. Aber sie ist alles, was wir haben, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie gut auf sie Acht geben«, erklärte er ernst.

Roxy seufzte leise. Ihre Gebete waren erhört worden. Sie hatte gewonnen. Und ihr Vater sollte diese Entscheidung nie bereuen, dafür würde sie sorgen.

»Felicite! Meinst du nicht, dass du ein wenig unaufrichtig bist? Das passt so gar nicht zu dir, meine Liebe, wenn ich das so sagen darf.«

Roxy, die lautlos durch den Flur in Richtung Küche tapste, um sich ein Glas Wasser zu holen, hörte die erhobene Stimme ihres Vaters im Salon und blieb vor der nur angelehnten Tür stehen. Sie sah durch den Spalt, dass ihre Eltern einander gegenübersaßen – John mit einem fast leeren Portweinglas in seinem Lieblingssessel, Felicite auf dem roten Samtsofa.

»Na ja«, rechtfertigte sich Felicite, »du wirst der Erste sein, der sich beschwert, wenn sie nach England fährt. Ist dir jemals in den Sinn gekommen, dass sie dort drüben heiraten könnte? Vielleicht wird sie nie wieder nach Hause kommen.«

Roxy wich einen Schritt zurück. Sie sprachen über sie und ihre Zukunft. Sie sollte nicht hier stehen und ihre Eltern belauschen wie ein unartiges Kind.

»Deshalb versuchst du, sie mit Martin Dumas zu verkuppeln? Du würdest sie lieber in dieses gottverlassene Nest mitten im Busch schicken – weg von all den Dingen, die sie liebt … auch vom Theater?«

Roxy drehte sich lächelnd um. Darum ging es also: um Martin Dumas.

»Martin hat mir erzählt, dass es in Bourke ein Theater gibt. Außerdem will ich nur das Beste für meine Tochter, wie du sehr wohl weißt. All dieses Gerede von England – es ist nicht richtig für eine Frau, einen Beruf zu haben. Was ist mit einer Ehe und Kindern?«

»Dafür hat sie noch jede Menge Zeit«, gab John mürrisch zurück. »Wenn Roxy etwas tun möchte, bevor sie sich den Anforderungen einer Ehe und der Mutterschaft unterwirft, dann sollten wir sie unterstützen.«

Roxy hörte ihre Mutter seufzen. »Guter Gott, ich habe nie damit gerechnet, dass die Schauspielerei so wichtig für sie wird.«

»Was hast du gedacht, was es ist? Eine vorübergehende Phase? Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, dann hattest du bisher nichts dagegen.«

Felicites Stimme klang steif und formell. »Ich dachte, dass sie eines Tages einen netten Mann wie Martin kennen lernt und eine Familie gründet. Ich habe die Schauspielerei immer nur für ein Zwischenspiel gehalten, für etwas, was sie vorübergehend amüsiert, bis sie heiratet.«

»Meine Liebe, sie ist erst siebzehn. Sie hat noch viel Zeit, um sich einen Mann zu suchen. Wir sollten versuchen, diese Sache von Roxys Standpunkt aus zu betrachten.«

»Oh! Ich war in ihrem Alter bereits verheiratet …«

»Und es wurde eine wunderbare Ehe«, besänftigte John seine Frau.

Roxy schlich auf Zehenspitzen weiter und lachte in sich hinein. Felicite versuchte, sie zu verkuppeln, ihr Vater hingegen wollte, dass sie ihre Ziele erreichte: Was für ein Witz! Martin Dumas war ein angenehmer Mann. Zugegeben, er war charmant und witzig und schien sich in ihrer Gegenwart wohl zu fühlen. Aber es war nichts zwischen ihnen. Zwei flüchtige Küsse waren keine Basis für eine Romanze. Außerdem würde er bald mit seiner Schafherde nach Bourke zurückkehren. Und Felicite redete von Ehe und Kindern! Ha! Auf keinen Fall würde sich Roxy lebendig im Busch begraben lassen. London – das war ihr Ziel. Eines Tages würde sie es ihnen allen beweisen. Die Schauspielerei ein vorübergehendes Amüsement? Ihre Mutter hatte vollkommen falsche Vorstellungen.

Martin zwang sich zu einem Lächeln. »Das ist großartig, Roxy. Sydney! Auf so eine Gelegenheit haben Sie doch gewartet, oder?«

»Ja.«

Seine Miene war wie versteinert. Sicherlich spürte sie seine Anspannung. Sydney war näher bei Bourke als Adelaide, aber London …? Das war am anderen Ende der Welt! Er bemühte sich, seine Enttäuschung nicht zu zeigen. »Sie sind wirklich fest entschlossen, diese Sache durchzufechten, stimmts?«

Sie schrak zurück. Mit sinkendem Mut sah er ihr nach, als sie zum Fenster ging und ihm den Rücken zukehrte. Als sie wieder das Wort ergriff, klang sie unpersönlich, fast ärgerlich. »Ich dachte, dass gerade Sie mich verstehen könnten. Erinnern Sie sich, wie wir uns über Wirra Downs und Ihre Pläne unterhalten haben? Nun, dies ist mein Ziel, meine Ambition.« Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Augen funkelten, als wollte sie ihn zu einem Widerspruch herausfordern. »Ich dachte, Sie würden mich verstehen«, wiederholte sie. »Sie müssten doch wissen, wie ich fühle, und ich habe geglaubt, ich könnte ein wenig Unterstützung von Ihnen erwarten …« Sie brach ab und sah Martin verwirrt an. Einen Moment wirkte sie verloren und durcheinander, als wäre sie unsicher geworden. Doch schon im nächsten Augenblick verhärteten sich ihre Züge. Es war, als hätte sie einen Schutzschild um sich errichtet. Sie streckte die Hand aus. »Wünschen Sie mir Glück, Martin«, bat sie leise.

Er konnte sich nicht länger zurückhalten; er zog sie einfach in die Arme und drückte sie an seine Brust. Seufzend vergrub er das Gesicht in ihrem süß duftenden Haar, schloss die Augen und fühlte ihre Wärme und Nähe. Er nahm von ihren willigen, weichen Lippen Besitz und glaubte, laut aufschreien zu müssen, weil sie solche Gefühle in ihm weckte.

Nach einer Weile schob er sie sanft von sich. »Gratulation, Roxy … und viel Glück«, erwiderte er, ohne auf den Schmerz in seinem Herzen zu achten.

KAPITEL 5

Was ist?«, fragte Felicite und musterte ihre Tochter eingehend. Sie waren in Roxys Zimmer und sortierten die Kleider aus, die sie für die Reise mitnehmen sollte.

Roxy machte ein finsteres Gesicht. Sie hatte keine Lust, Erklärungen abzugeben. »Nichts«, behauptete sie und ging zum Fenster, um den großen Park zu überblicken. Einige Menschen schlenderten über die Pfade. Mütter schoben Kinderwagen vor sich her, kleine Kinder tobten herum und versteckten sich in den Büschen. Ein Paar ging untergehakt spazieren, ein großer Sonnenschirm schützte ihre Gesichter vor den brennenden Sonnenstrahlen. Roxy fragte sich, ob die beiden ein Liebespaar waren.

In den letzten Wochen war sie unsicher geworden. In wenigen Monaten würde sich ihr Leben komplett ändern. Die Auserwählten des Ensembles sollten schon bald nach Sydney aufbrechen und mit den Proben für das neue Stück beginnen. Felicite, die sich um Roxys Garderobe sorgte, hatte bereits einige neue Kleider bestellt, und John schrieb Briefe, um seiner Tochter eine passende Unterkunft zu verschaffen.

Felicite stellte sich zu Roxy ans Fenster und legte einen Arm um ihre Taille. »Roxy, wir waren immer gute Freundinnen, nicht nur Mutter und Tochter, und ich merke, wenn du betrübt oder nachdenklich bist. Was beschäftigt dich? Die bevorstehende Reise?«

»Ich weiß es nicht.«

Die Aussicht, in der großen Stadt Theater zu spielen, war wunderbar, aber auch beängstigend. Obwohl sie unbedingt nach Sydney wollte, meldete eine innere Stimme Bedenken an und hielt ihre Vorfreude in Schach. Sydney war weit entfernt, und sie kannte dort keine Menschenseele. Was, wenn es ihr nicht gefiel?

»Du hast deine Meinung doch nicht geändert, oder?«, hakte Felicite beharrlich nach.

Roxy schüttelte den Kopf. Wie konnte sie erklären, was in ihr vorging? Die vergangenen Wochen erschienen ihr unwirklich. Es war, als harrte sie nur aus und vertriebe sich die Zeit. Sie wünschte verzweifelt das Ende der Wartezeit herbei, damit sie ihr neues Leben anfangen konnte. Trotzdem hatte sie eine ungeheuerliche Traurigkeit erfasst. Es schien, als fehlten ihr John und Felicite schon jetzt, als betrauerte sie bereits ihren Verlust.

»Geht es vielleicht um Martin?«, beharrte ihre Mutter.

Martin. Der Gedanke, ihn nie wiederzusehen, bekümmerte Roxy auf unerklärliche Weise. Sie wandte sich Felicite mit einem erzwungenen Lächeln zu. »Martin? Unsinn, er hat nichts damit zu tun. Natürlich möchte ich nach Sydney. Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, antwortete sie gespielt fröhlich.

Dann brach sie in Tränen aus.

Die letzten Proben für den Mittsommernachtstraum verliefen reibungslos. Der Regisseur gab dem Ensemble einen Tag frei, und ein paar von ihnen fuhren mit der Kutsche nach Glenelg ans Meer. Martin schloss sich ihnen an.

Sie kamen am Dienstagmorgen an und erlebten den Ort ohne die üblichen Sonntagsausflügler. Martin nahm Roxys Arm, als er sie über die Strandpromenade führte. Kreischende Möwen zogen ihre Kreise und tauchten gelegentlich ins Wasser. Einige kleine Boote mit weißen Segeln tanzten auf den Wellen.

»Oh, sehen Sie!« Roxy deutete auf die Delfine, die im Wasser herumtollten. Plötzlich war Martins Gesicht nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Sie blieb stehen, ihr Herz hämmerte wie wild.

Er legte die Hände an ihre Wangen und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Ich habe heute Morgen Nachricht von Elder, Smith und Co. bekommen«, berichtete er. »Die Schafe sind bald bereit, nach Bourke gebracht zu werden. Ich muss allmählich meine Zelte hier abbrechen.«

Roxy spürte, wie sich ein harter Knoten in ihrem Magen bildete. Sie hatte schon seit einigen Tagen befürchtet, dass Martin vor ihrer eigenen Abreise nach Wirra Downs aufbrechen würde. Sie schaute aufs Meer hinaus und fühlte eine unendliche Traurigkeit. Adelaide ohne Martin erschien ihr trübe und freudlos.

»Und«, entgegnete sie betont vergnügt, »wann werden Sie uns verlassen?«

»Ungefähr in drei Wochen.«

»Oh.« Roxy drehte sich zu ihm und legte eine Hand auf seinen Arm. Sie war überrascht, dass Tränen in ihren Augen brannten. »Ich habe die Zeit mit Ihnen sehr genossen, Martin. Ich werde Sie vermissen. Vielleicht kommen Sie irgendwann wieder nach Adelaide und besuchen uns.«

»Aber dann sind Sie nicht da«, entgegnete er verwundert. »Sie werden in Sydney, vielleicht sogar in London sein. So weit weg.«

Ohne ein weiteres Wort nahm er ihre Hand und führte Roxy am Pier entlang, der ins Wasser ragte und am Ende ein T bildete. Auf der Nordseite befanden sich die öffentlichen Bäder. Sie kamen an einer Imbissbude und Umkleidekabinen vorbei; die Planken wackelten, waren uneben und von der Sonne und der salzigen Luft zu einem silbrigen Grau gebleicht. Der Wind drohte, Roxy den Hut vom Kopf zu reißen. Sie hielt ihn mit einer Hand fest, den anderen Arm hatte Martin mit Beschlag belegt. Sie kamen zum Ende des Piers. Das wellige, wirbelnde Wasser reichte bis zum Horizont und verschmolz im salzigen Dunst mit dem Himmel.