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Ronja ist gefrustet. Wieder steht sie an Weihnachten ohne Partner da; und das, obwohl ihre Eltern so darauf beharren, dass sie endlich einen festen Freund zum alljährlichen Fest mitbringt. Die Lösung: Sie braucht ein Fake-Date. Hier kommt der gutaussehende Darius ins Spiel, der Weihnachten auch nicht allein verbringen möchte. Die beiden treffen eine Vereinbarung: Während des Weihnachtsfestes wird Darius Ronjas Freund spielen. Im neuen Jahr wird es dann zu einer überraschenden Trennung kommen – so sind sich beide einig. Allerdings kommt es zwischen Heiligabend und Silvester zu einer völlig anderen Entwicklung: Es entsteht eine Geschichte aus Lügen, Familiengeheimnissen und überraschenden Gefühlen. Ein Weihnachtsroman, der mitten ins Herz trifft.
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Seitenzahl: 396
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Triggerwarnung
Liebe Leser:innen,
dieses Buch behandelt Themen, die potenziell triggernd sein können.
Aus diesem Grund findet ihr am Ende des Buches eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für die gesamte Handlung.
Ich wünsche euch allen ein wunderschönes Leseerlebnis!
Eure Vanessa
© Vanessa Bartsch
Über die Autorin
Vanessa Bartsch schreibt Romane über junge Protagonisten, die große und kleine Probleme zu bewältigen haben. Sie wurde 2001 in Nürnberg geboren und studiert dort nun Wirtschaftswissenschaften. Wenn sie nicht gerade Romane über die Liebe schreibt oder für die Uni lernt, tanzt sie in jeder freien Minute. Sie liebt prickelnde Liebesgeschichten mit ihren Höhen und Tiefen, Tage an denen sie nur schreiben kann und den Austausch mit Schreib- und Lesebegeisterten auf Social Media.
Instagram: vanessasschreibwelt
TikTok: vanessasschreibwelt
WREADERS E-BOOK
Band 290
Dieser Titel ist auch als Taschenbuch erschienen
Vollständige E-Book-Ausgabe
Copyright © 2025 by Wreaders Verlag, Sassenberg
Verlagsleitung: Lena Weinert
Bestellung und Vertrieb: epubli, Neopubli GmbH, Berlin
Umschlaggestaltung: Emily Bähr
Lektorat: Alina Schunk (Literally Lekorat)
Korrektorat: Lea Diamandis
Satz: Elci J. Sagittarius
Illustration: Elci J. Sagittarius (elmooarts)
www.wreaders.de
Alle Rechte vorbehalten. Die Nutzung des Werkes für Text- und Data-Mining ist gemäß § 44b UrhG nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Rechteinhabers gestattet. Bei der Erstellung dieses Buches wurde
keine generative KI eingesetzt.
Für meine Eltern
Danke für all die unvergesslichen Weihnachtsfeste, die ich für immer
in meinem Herzen tragen werde
Playlist
All I want for Christmas – Mariah Carey
Gewissenlos - Madeline Juno
Last Christmas – Wham!
Jingle Bells – Michael Bublé
Driving home for christmas – Chris Rea
Let it snow – Frank Sinatra
Joy to the world – Whitney Houston
We wish you a merry Christmas – Christmas Carol & Song
10.Dezember2025
Kapitel 1
Ronja
»O Gott!« Seufzend schlug ich meine Hand immer wieder gegen meine Stirn, bis meine Schläfen nur so pochten. Eben hatte ich mit meiner Mutter telefoniert und einen großen Fehler begangen. Wie konnte ich nur so blöd sein? Aus dieser Sache kam ich doch nie wieder raus! Wie würde ich denn dastehen, wenn ich meine Worte wieder zurücknehmen würde? Und wie sollte das denn bitte aussehen?
»Ach Mama, was ich da am Telefon erzählt hatte … Ich habe doch keinen Freund und bin deswegen wieder allein hier … Überraschung!« Arrghhh!
Sie hatte mich mal wieder so aufgeregt mit ihrem ewigen Gerede, warum ich nach Tim immer noch keinen festen Partner hatte und ob es mit fast fünfundzwanzig Jahren jetzt nicht mal an der Zeit wäre, mir einen neuen Freund zu suchen. Ich konnte einfach nicht anders als ihr über den Mund zu fahren. Als ich behauptet hatte, dass ich dieses Weihnachten nicht allein aufkreuzen würde – so sprachlos war sie lange nicht mehr gewesen. Zumal mir die mitleidigen Blicke meines älteren Bruders Gabriel, der mit seiner wirklich zauberhaften Frau und seiner Tochter unendlich glücklich war, und die belustigten Blicke meiner kleinen Schwester Cosima, die schon seit dem Teeniealter mit ihrem Freund zusammen war, gewaltig auf die Nerven gingen. Obwohl ich das mittlere Kind war, schien ich diejenige zu sein, die am wenigsten erreicht hatte. Zumindest aus der Sicht meiner Mutter. Dass ich ein abgeschlossenes Psychologiestudium hinter mir hatte und seit kurzer Zeit im Krankenhaus auf einer ganz wundervollen Station arbeiten durfte und dabei anderen Menschen helfen konnte, zählte für sie wohl nicht so viel. Ich liebte meinen Job über alles. Auch wenn ich noch einen großen Schritt davon entfernt war, endlich allein therapieren zu dürfen, machte es mir unfassbar viel Spaß, wenn ich an einigen Tagen im Monat eine Psychotherapeutin bei ihrer Arbeit begleiten durfte. Manchmal ließ sie mich sogar mit den Patienten sprechen, wobei mir jedes Mal mein Herz aufging. Doch meiner Mutter war ein Mann scheinbar mehr wert als ein Job, der mich erfüllte. Willkommen im 21. Jahrhundert.
Stöhnend und sämtliche Flüche ausstoßend, lief ich die wenigen Schritte in meinen dicken Kuschelsocken zur Küchenzeile. Mein Blick fiel dabei auf das Muster - blaue Schneeflocken, die sich über die grauen Socken verteilten. Ich liebte Weihnachten einfach!
Erstmal wollte ich mir eine Tasse Glühwein warm machen. Danach konnte ich immer noch überlegen, wie um alles in der Welt ich aus diesem Dilemma wieder rauskam – und das am besten weitestgehend unbeschadet.
Ich öffnete die oberste Schranktür, die ein jämmerliches Quietschen von sich gab und nur so nach Schmieröl lechzte. Kopfschüttelnd griff ich nach der großen Tasse, welche die Form eines Schneemanns hatte – ein bezauberndes Geschenk meiner Schwester zu Weihnachten vergangenen Jahres.
Als ich den Inhalt aus der Glühweinflasche in die Tasse kippte, fiel mein Blick nach draußen, durch das von Lichterketten beleuchtete Küchenfenster. Es war erst kurz nach vier Uhr am Nachmittag, trotzdem war es schon fast komplett dunkel. Gerade flogen die ersten Schneeflocken des Jahres umher und auf meine Lippen stahl sich trotz des nervenaufreibenden Telefonats ein kleines Lächeln. Auch wenn diese kalte Jahreszeit von viel Negativem geprägt war, hatte sie definitiv auch ihre guten Seiten, wie ich fand. Leider blieb der Schnee nicht liegen, aber bis Weihnachten waren es ja schließlich noch zwei Wochen. Warte, waaas? Nur noch zwei Wochen? Stöhnend ließ ich meinen Kopf erneut in den Nacken fallen, als mir die Erinnerungen an das eben getätigte Telefonat wieder ins Gedächtnis schossen. Ich hatte noch zwei Wochen, um eine Begleitung für das Weihnachtsfest zu finden. Oder zwei Wochen, bis ich mich vor meiner Familie wieder mal vollends blamieren würde. Große Klasse.
Toll gemacht, Ronja.
Das dauerhafte Vibrieren meines Handys riss mich aus meinen düsteren Gedanken. Genervt sah ich auf das Display, nur um kurz darauf das Gespräch entgegenzunehmen.
»Hey Ronja, was machst du gerade?« Emilia zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht, was immer der Fall war, wenn sie anrief. Sie war meine beste Freundin seit Kindheitstagen und schaffte es wirklich jederzeit mich aufzumuntern, egal wie schlecht es mir gerade ging.
»Verzweifeln?«, gab ich ihr als Antwort, was aber eher einer Frage glich. Ich streichelte mir mit meinen Fingerspitzen leicht über die Stirn, als würde mir dabei ein Geistesblitz kommen. Leider vergebens.
»Wieso das denn?« Ich konnte förmlich hören, wie meine beste Freundin ihre Stirn in Falten legte. Das tat sie immer, wenn sie nicht so recht wusste, was ihr Gegenüber gerade meinte.
»Ohhh, Emilia. Ich habe Mist gebaut«, klagte ich ihr mein Leid und wollte am liebsten bei dem bloßen Gedanken an das bevorstehende Fest im Erdboden versinken.
»Was hast du getan? Eine Bank überfallen? Fahrerflucht begangen oder jemanden getötet? Muss ich dir helfen, eine Leiche verschwinden zu lassen?« Emilias Stimme wanderte plötzlich eine Oktave höher, was ihr nur dann passierte, wenn sie sich an Ironie oder Sarkasmus versuchte.
»Ha ha, sehr witzig.« Ich nahm meine Schneemanntasse in die Hand, sog den zimtigen Glühweinduft in mich auf und verzog sogleich das Gesicht - der Inhalt meiner Tasse war noch immer kalt.
»Jetzt sag schon!«, drängte sie mich.
»Na ja … also vielleicht … so ganz vielleicht … habe ich meiner Mutter vor ein paar Minuten erzählt, dass ich an Weihnachten nicht allein kommen würde?!« Ich verzog mein Gesicht zu einer undeutlichen Grimasse, während ich die Wahrheit aussprach, obwohl Emilia mich unmöglich durchs Telefon sehen konnte.
»Du hast was?«
»Ja«, bestätigte ich ihre Aussage kleinlaut und bereute meinen ach-so-tollen Einfall von vorhin sehr.
»Hat sie dich wieder genervt?«, fragte Emilia etwas ruhiger und traf prompt ins Schwarze. Sie kannte mich – und meine Mutter – wirklich zu gut.
»Mhh«, gab ich einen undefinierbaren, zustimmenden Laut von mir und widerstand nur schwer dem Drang, meinen Kopf erneut gegen irgendetwas Hartes zu schlagen, um auszuprobieren, ob man so die Zeit zurück drehen konnte.
»Und jetzt? Wie soll es nun weitergehen?«
»Wenn ich das nur wüsste«, seufzte ich und sah wieder nach draußen. Doch nun konnte mich auch der herabfallende Schnee, der bereits glitzernd die Spitzen der Dächer zierte, nicht mehr aufheitern.
»Oh Mann, Ronja.«
Hörbar atmete ich aus und hoffte, dass das alles nur ein Albtraum war. Doch nach einigen Sekunden der Stille stand ich immer noch in meiner Küche mit einer kalten Tasse Glühwein in der Hand. Gerade als ich sie in die Mikrowelle stellen wollte, kreischte mir Emilia ins Ohr: »Ahhhhh. Ich habe eine Idee!« Ich sah sie bildlich vor mir in die Hände klatschen und musste bei der Vorstellung schmunzeln.
»Was denn?«, fragte ich neugierig, stellte den Timer des Displays auf zwei Minuten und drückte den Startknopf, der ein bestätigendes Piepsen von sich gab.
»Du wirst begeistert sein! Oh, ja. Das wird toll! Ich muss jetzt auflegen. Tschüss«, trötete Emilia ins Telefon und ich verstand nur Bahnhof. Was war denn nur in sie gefahren?
»Ja, tschüss«, murmelte ich. Doch Emilia konnte mich schon lange nicht mehr hören, denn die Leitung am anderen Ende war tot. Sie war doch sonst so redebedürftig. Und weshalb hatte sie überhaupt angerufen? Wir hatten schließlich nur über mich geredet.
»Zwei Wochen«, murmelte ich kleinlaut vor mich hin und wurde von dem regelmäßigen Piepsen der Mikrowelle unterbrochen, die mir mitteilte, dass mein Glühwein nun heiß genug war, um ihn getrost mit einer wohligen Wärme im Bauch genießen zu können.
Darius
»Wahnsinn, wie gut der Weihnachtsmarkt heute wieder besucht ist, oder?«, murmelte mein Kumpel Caleb, während er abwechselnd redete und in seine Tasse pustete, die er mit beiden Händen festhielt. Ich tat es ihm gleich. Es war wirklich eiskalt draußen. Heute Morgen zeigte das Thermometer minus sechs Grad an und obwohl die Temperaturen tagsüber ins Plus kletterten, hätte ich schwören können, dass es gerade ebenfalls Minusgrade waren. Doch der Schnee wollte einfach noch nicht so recht liegen bleiben – es war mir ein Rätsel bei diesen Temperaturen. Was mir jedoch im Moment nur recht war, so musste ich wenigstens nicht Schneeräumen, denn dazu war ich als Hausbesitzer schließlich verpflichtet.
»Ja, stimmt. Aber so kommt man auch einfach am besten in Weihnachtsstimmung«, antwortete ich Caleb, der nun Ausschau nach seiner Freundin Irene hielt, die sich kurz etwas zu essen holen wollte. Doch die Schlange, die dort anstand, war meterlang. Gefühlt war sie erst wenige Zentimeter vorangekommen. Der Duft nach Plätzchen, Lebkuchen und Nelken, gemischt mit frischen Bratwürstchen und dem Glühwein vor unserer Nase, versüßte uns die Wartezeit.
»Sag mal, hast du schon alle Weihnachtsgeschenke?«, flüsterte mir Caleb ins Ohr und drehte sich nervös zu allen Seiten um. Er würde mich sicher gleich fragen, was er Irene schenken konnte. Wie jedes Jahr. Ich musste schmunzeln; die beiden waren schon seit Jahren ein Paar und doch bat mich Caleb immer wieder um Ideen für Überraschungen, die Irene betrafen.
»Ja, tatsächlich habe ich die schon alle. Allerdings kann man die Leute, die ich beschenke, an einer Hand abzählen.« Ich setzte meine Lippen an die Tasse und nahm einen kleinen Schluck, der zwar wahnsinnig heiß war und ein leichtes Kribbeln auf meiner Zunge hinterließ, aber meinen ausgefrorenen Körper sofort mit wohliger Wärme durchflutete. Als ich hineinpustete, um den Inhalt etwas abzukühlen, wurde durch den fruchtigen, heißen Dampf meine Sicht durch die Brille verschleiert.
»Okay … ähm … Du hast nicht zufällig eine Idee, was ich Irene schenken könnte?« Caleb sah sich nach allen Seiten um, so als wolle er in wenigen Minuten eine Bank überfallen und hatte Angst, dass er dabei beobachtet wurde.
»Hmmm«, gab ich nachdenklich von mir, und mein Blick ruhte auf der Freundin meines Kumpels, die sich gerade in die Hände pustete und von einem Bein auf das andere tänzelte. Der eisige Wind machte mir gerade auch wirklich zu schaffen. Trotz warmer Wollmütze fühlten sich meine Ohren ganz taub an, und meine Fußspitzen spürte ich kaum noch.
»Wie wäre es denn mit einem Ring?« Auffordernd lächelte ich Caleb an, während vereinzelte Schneeflocken meine Brille verschleierten.
»Einem Ring?«, fragte er verblüfft.
Als Antwort nickte ich zaghaft und nahm erneut einen Schluck aus meiner immer noch dampfenden Tasse in meinen Händen. Die kurze Stille zwischen uns beiden nutzte ich, um die soeben angegangenen Lichter über, neben und vor uns zu begutachten. Ja, die Winterzeit hatte auch definitiv ihre guten Seiten. Obwohl es bei mir zuhause seit einigen Jahren nie wirklich geschmückt war, sah ich gerne die Beleuchtungen und Dekorationen der Nachbarn in den dunklen Monaten. Ich hatte für das Schmücken und Abnehmen der Dekoration einfach keine Zeit – zumindest redete ich mir das ein. Dass eine leise Stimme in meinem Kopf einen anderen Grund vorschob, verdrängte ich schnell wieder.
»Aber ich habe ihr doch vergangene Weihnachten erst Schmuck geschenkt«, merkte Caleb an und holte mich aus meinen Gedanken zurück. Er hatte meine Anspielung wohl nicht verstanden.
»Ich meine auch nicht einfach irgendein Schmuckstück, sondern den Ring«, verdeutlichte ich meine Aussage und sah meinem Kumpel belustigt zu, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte.
»Du meinst, ich soll ihr einen Antrag machen?« Caleb zog die Augenbrauen nach oben und sah mich erwartungsvoll an.
»Ja, du liebst sie doch. Was hält dich also davon ab, ihr das zu zeigen, indem du sie fragst, ob sie den Rest ihres Lebens mit dir verbringen möchte? Dass sie schon lange darauf wartet, ist wohl kaum zu übersehen.« Ich warf einen Blick zu Irene und sah, dass sie gerade ihre Bratwurstsemmel bezahlte und dem Standbesitzer ein herzliches Lächeln schenkte.
Caleb, der meinem Blick gefolgt war, ließ das Thema abrupt fallen und griff das nächste auf. »Apropos Zeit … wann stellst du uns eigentlich deine Zukünftige vor, Darius?«
Genervt verdrehte ich die Augen. Immer dasselbe leidige Thema. Ich konnte es einfach nicht mehr hören. »Caleb …«, gab ich ermüdet von mir.
»Ja, ja, ich weiß schon. Du brauchst niemanden, um glücklich zu sein. Aber du kannst doch Weihnachten dieses Jahr nicht allein verbringen!«, rief er schon fast empört in die abendliche Dämmerung hinein. So, als müsste er dieses Jahr einsam neben dem Tannenbaum stehen und nicht ich.
Langsam hob ich meine Tasse an, um den letzten Schluck daraus zu trinken und etwas Zeit zu schinden. »Ich bin doch nicht allein. Rocky wird mir Gesellschaft leisten.«
Irene hatte sich gerade zu uns gesellt und biss freudig in ihr Abendessen hinein. »Was ist mit Rocky?«, fragte sie zwischen zwei Bissen etwas undeutlich und pustete daraufhin in die Semmel, um den nächsten Bissen etwas abzukühlen.
»Rocky wird mein treuer Begleiter an Weihnachten sein«, klärte ich sie kurz und bündig auf.
»Ist es jetzt sicher, dass dein Bruder über Weihnachten wegfährt?«, fragte sie mit gesenkter Stimme, nachdem sie hinuntergeschluckt hatte.
»Jap. Sie werden dieses Jahr das Fest der Liebe in der romantischen Stadt Rom verbringen.« Meine Stimme trotzte nur so vor Sarkasmus, obwohl ich insgeheim auch ein wenig neidisch auf meinen Bruder war. Aber ich gönnte ihm sein Glück von ganzem Herzen. Zumal er den tollsten Sohn der Welt, mein Patenkind Luis, in die Welt gesetzt hatte, den ich um kein Geld wieder hergeben würde.
Irene und Caleb sahen mich wie zwei begossene Pudel an. »Du weißt, dass du jederzeit bei uns willkommen bist? Auch an Weihnachten!«, sagte Irene mit Nachdruck in der Stimme, aber dennoch so leise, dass ich selbst entscheiden konnte, ob ich darauf reagieren wollte oder nicht.
»Ich weiß. Das ist wirklich lieb von euch.« Ich schenkte den beiden ein aufgesetztes Lächeln und hoffte, dass sie es mir abkauften. Auch wenn es nicht unbedingt toll war, dass ich dieses Jahr ausgerechnet am 24.12. allein zuhause sein würde und nicht wie die letzten Jahre mit meinem Bruder und dessen Familie feiern konnte, wollte ich Caleb und Irene garantiert nicht auf die Pelle rücken. Sie waren zwar meine besten Freunde, doch sie hatten sich die Auszeit vom Alltagsstress und vor allem die Zweisamkeit wirklich verdient.
Ehe einer von den beiden noch etwas erwidern konnte, wechselte ich schnell das Thema. »Wollen wir dann so langsam gehen? Mir ist wirklich verdammt kalt.« Zum Untermauern pustete ich eine kleine Atemwolke in die Luft. Es war schon früher Abend und bald würde es komplett dunkel sein. Meine beiden Gegenüber, die meinen Wink verstanden hatten, nickten eifrig und Caleb brachte unsere benutzten Tassen zurück, während Irene die letzten Bissen ihres Abendessens verdrückte. Vielleicht würde ich auch irgendwann wieder ganz unbeschwert auf Weihnachtsmärkte gehen können, ohne dass all die Erinnerungen in mir schmerzlich den Verlust, den ich erlitten hatte, hervorriefen.
13.Dezember2025
Kapitel 2
Ronja
»Du hast was gemacht?«, fragte ich aufgebracht, nachdem Emilia soeben völlig durchnässt von dem Schneeregen in meine Wohnung gestapft war und kleine, nasse Abdrücke hinterlassen hatte. Unser Telefonat war einige Tage her, und seitdem hatte ich nichts mehr von ihr gehört.
»Ich habe dir ein Date für Weihnachten besorgt.« Sie lächelte zufrieden, während sie sich ihren Schal vom Hals rollte und anschließend ihre Jacke, ihre Schuhen und ihre Handschuhe auszog.
Mit meinen dicken Hausschuhen an den Füßen schlürfte ich zurück auf mein Sofa, woher ich soeben gekommen war, und deckte mich wieder mit meiner Kuscheldecke zu, unter die nur wenige Sekunden später auch Emilia schlüpfte. Sie brachte eine Wahnsinns-Kälte von draußen mit herein, sodass ich sofort eine leichte Gänsehaut bekam. »So, jetzt nochmal ganz langsam und von vorne. Sag mir, dass das nur ein schlechter Scherz ist und du nur hier bist, um mit mir einen Film zu schauen.«
»Nö.« Emilia schüttelte mit einem breiten Grinsen im Gesicht hastig den Kopf. »Kein Scherz. Ich habe dir ein Date besorgt.« Die letzten Worte sprach sie langsam und deutlich aus, sodass diese Aussage nun auch in meinem Kopf ankam.
»Wer ist es?«, war nun meine erste Reaktion, als ich feststellte, dass sie es wirklich ernst meinte.
»Irgendein Darius.« Emilia kramte in ihrer Tasche nach ihrem Handy, um darauf vermutlich nach einem Bild zu suchen.
»Du kennst ihn nicht mal?«, fragte ich entgeistert. O Mann. Das konnte ja was werden. Aber ich hatte es mir selbst eingebrockt. Ich wünschte, ich hätte meiner Mutter nie erzählt, dass ich für dieses Jahr ein Date mitbringen würde. »Wie bist du denn auf ihn gekommen?«, fragte ich etwas drängender.
»Warte, warte, warte«, murmelte meine beste Freundin, noch immer auf ihrem Handy herumtippend. Sie hatte die Stirn in Falten gelegt und schaute angestrengt auf das Display. So langsam machte mir das ganze etwas Angst. Emilia kannte wirklich viele Leute, doch ob ich mit einem von ihnen Weihnachten verbringen wollte, war wohl eher die Frage. Es war nicht so, dass ich nicht dringend ein Date brauchte, denn das war offensichtlich. Aber der Gedanke, einen völlig Fremden an Weihnachten an meiner Seite zu haben, fühlte sich irgendwie komisch an. Ich konnte es selbst nicht so recht beschreiben. Es war so ein Gefühl.
»Ha!«, stieß sie aus, nachdem sie augenscheinlich das gefunden hatte, was sie mir zeigen wollte, und sogleich hellte sich ihre Miene wieder auf. Sie überlegte es sich aber dann doch anders, legte ihr Handy erstmal mit dem Display nach unten zur Seite und nahm stattdessen meine Hände in ihre. Es musste für Außenstehende sicher komisch aussehen, wie wir gerade gemeinsam in meinem Wohnzimmer saßen. Mit angewinkelten Beinen auf dem Sofa, unter einer kuscheligen Decke und darauf unsere verschlungenen Hände.
»Bitte versprich mir, dass du nicht böse bist!« Emilias Stimme ging ein paar Oktaven nach oben, und sie sah mich mit ihrem Dackelblick an, sodass ich ihr es gar nicht übelnehmen konnte, was auch immer sie gerade damit meinte. Obwohl mir nach diesen Worten vermutlich nicht mehr so entspannt zumute sein sollte. Also nickte ich nur leicht und sah sie auffordernd an.
»Okay … also … Ich habe eine Suchanzeige im Internet aufgegeben …«, begann sie zu erzählen, doch weiter kam sie nicht, denn ich stieß einen lauten Schrei aus; konnte jedoch gar nichts sagen, so sprachlos war ich. Sie hatte in meinem Namen eine Anzeige aufgegeben? Als ich immer noch nichts sagte und sie nur wortlos mit großen Augen anstarrte, fasste sie neuen Mut, um weiterzusprechen. »Na ja, auf jeden Fall hat sich jemand gemeldet.« Sie nahm ihre Hände von meinen und tastete, ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen, nach ihrem Handy. Es schwang Stolz in ihrer Stimme mit. Dabei wusste ich nicht so recht, was ich davon halten sollte. Wenn das meine Eltern mitbekamen …
»Zeig mir bitte die Anzeige«, sagte ich und konnte noch immer nicht fassen, dass Emilia das wirklich getan hatte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis mir Emilia ihr Handy unter die Nase hielt und ein breites Grinsen im Gesicht hatte.
Hallo du!
Hast du Lust ein tolles Weihnachtsfest bei einer tollen Familie zu verbringen?
Ja? Dann bist du hier genau richtig!
Bedingung: Spiele für die Zeit des Aufenthaltes meinen Freund.
Belohnung: Du wirst Weihnachten nicht allein verbringen und bekommst kostenlos Essen und Trinken
Ich freue mich über dein Interesse!
Da diese Anzeige beim ersten Durchlesen mein Gehirn nicht erreichte, las ich sie ein zweites und ein drittes Mal.
»Und darauf hat sich jemand gemeldet?«, fragte ich ungläubig. Diese Anzeige war ja so armselig formuliert, dass ich lieber Weihnachten allein verbringen würde, als mich auf so etwas zu bewerben.
»Jaha, das sag ich doch die ganze Zeit.« Emilia kratze sich mit ihrem Zeigefinger über ihr Kinn. »Zwar nur einer, aber immerhin. Und er sieht gar nicht mal so schlecht aus, finde ich.«
»Du hast ein Foto?«, fragte ich immer noch skeptisch. Diese Euphorie, die Emilia gerade an den Tag legte, konnte ich nicht so recht teilen. Sollte ich meinen Eltern wirklich einen komplett fremden Mann als meinen Freund vorstellen? Mal abgesehen davon, dass das moralisch fragwürdig war, wusste ich nicht mal, ob ich das überhaupt wollte. Weihnachten war etwas ganz Besonderes für mich und eigentlich teilte man solche Momente doch nur mit Menschen, die man liebte, oder? Aber ich hatte mir diese Situation selbst eingebrockt.
Ich unterdrückte ein Seufzen. Wenn ich meine Worte nicht zurückziehen wollte, sollte ich mir Emilias Idee zumindest einmal anhören.
»Ja, hier.« Emilia hielt mir erneut ihr Handy vor mein Gesicht.
Wow. Also gelogen hatte sie nicht. Der Mann sah alles andere als schlecht aus. Auf diesem Foto, vermutlich ein Schnappschuss, lachte er freudig vor sich hin. Sein Blick war nicht direkt auf die Kamera gerichtet, sondern ging ein paar Zentimeter daran vorbei. Im Hintergrund strahlte die Sonne, und die Bäume und Büsche standen in einem saftigen Grün. Was mich vermuten ließ, dass dieses Foto mindestens ein halbes Jahr alt war, wenn es überhaupt dieses Jahr aufgenommen worden war. Der Mann trug eine kleine, rundliche Brille. Eine Haarsträhne hatte sich in sein Gesicht verirrt, die er vermutlich gerade mit seiner linken Hand zurückstreichen wollte, da diese kurz vor seinem Gesicht war. Die andere hing locker herab.
Ich sah von dem Handy auf und direkt in Emilias Gesicht, deren Grinsen noch keinen Millimeter verrutscht war.
»Und er hat sich auf diese Anzeige gemeldet?«, fragte ich, nach wie vor misstrauisch. Wieso würde so ein gut aussehender Mann Weihnachten allein verbringen? Bei ihm standen die Frauen doch sicher Schlange.
»Hey! Was soll das denn heißen?« Eingeschnappt zog sie ihr Handy zurück und spielte die Beleidigte, sodass ich direkt ein schlechtes Gewissen bekam. Sie hatte es nur gut gemeint, und ich wusste ihre Mühe überhaupt nicht zu schätzen. Sie konnte nichts dafür, dass ich meine Mutter angelogen hatte.
»Nichts … Es ist nur, ich kenne ihn ja gar nicht«, versuchte ich, mich etwas herauszuwinden.
»Kein Problem!«, rief sie erneut voller Energie, so als wären die letzten paar Sekunden nicht geschehen. »Dafür habe ich auch schon eine Lösung. Du triffst dich morgen um 15.00 Uhr mit ihm im Stadtpark.«
Jetzt klappte mir erneut die Kinnlade herunter. Was?! Bestimmte Emilia nun auch schon über meine Freizeit?
»Das ist jetzt aber wirklich ein Scherz?«, fragte ich mit wenig Hoffnung, da sie erneut so strahlte, als hätte sie soeben einen Marathonlauf gewonnen.
»Nö.« Sie reckte ihren Zeigefinger in die Luft. »Morgen um 15.00 Uhr im Stadtpark«, wiederholte sie ihre Worte.
»Aber da hatten wir uns doch verabredet«, versuchte ich meinen letzten Schachzug und wusste schon beim Aussprechen, dass ich verloren hatte.
»Jetzt komm schon. Freust du dich denn gar nicht? Ich habe dich soeben von einer Blamage vor deiner gesamten Familie gerettet.« Noch immer schwang purer Stolz in Emilias Stimme mit.
Ich nickte langsam. Es stimmte, wenn ich auf ihre Anzeige eingehen würde, hätte sich mein Problem erledigt. Ich wollte sie nicht verärgern, schließlich hatte sie sich Gedanken gemacht, wie sie mir helfen konnte. Sie hatte wenigstens eine Idee, im Gegensatz zu mir. Ich wusste, dass sie es gut meinte. Und wenn ich ihn nicht mal treffen würde, konnte ich mir das die nächsten Jahre noch anhören.
»Ja, danke.« Ich sollte dem ganzen wenigstens eine Chance geben. Ein Treffen. Was war schon dabei? Wenn ich keine Lust auf ihn hatte, konnte ich ihm sagen, dass die Weihnachtsfeier doch nicht stattfand. Also alles ganz unverbindlich.
»Okay. Ich werde morgen zu dem Treffen gehen«, sprach ich leise meine Gedanken aus und hoffte, dass ich es nicht bereuen würde.
»Juhu!«, kreischte Emilia durch die Wohnung und sprang vom Sofa auf. »Ronja hat morgen ein Date. Ronja hat morgen ein Date. Ronja hat morgen ein Date.« Sie hüpfte singend im Wohnzimmer auf und ab, sodass ich nun auch schmunzeln musste. Ich nahm das weiche Kissen hinter mir und schmiss es in Emilias Richtung, in der Hoffnung, sie würde endlich aufhören zu singen. Doch sie fing es wie ein Profi und warf es lachend zurück. Also war es nun offiziell: Ich würde morgen ein Date haben.
Darius
»Du hast was gemacht?« Ich widerstand nur schwer der Versuchung, mich von meinem soeben eingenommenen Platz zu erheben und wieder zu gehen.
»Jetzt sei nicht gleich so eingeschnappt. Ich habe dir nur dazu verholfen, dass du Weihnachten dieses Jahr nicht allein verbringen wirst.« Caleb kratzte sich verlegen über seinen nicht vorhandenen Bart und griff mit der anderen Hand nach seiner Tasse Kaffee.
»Aber es war doch gut so wie es war.« Lüge.
»Und ich feiere Weihnachten gern allein.« Lüge.
»Ich brauche kein Weihnachtsdate.« Halbwahrheit.
Im Grunde genommen hatte ich schon etwas Bammel davor, Weihnachten dieses Jahr nur mit meinem Hund zu verbringen. Ich hatte Angst davor, dass all die schlimmen Gedanken zurückkommen würden, an damals, und ich den ganzen Tag nur still auf meinem Sofa sitzen würde. Aber das hätte ich weder vor Caleb noch vor meinem Bruder am Telefon zugegeben, der sich schon hundert Mal entschuldigt hatte, dass er mich dieses Jahr allein ließ. Ich wollte ihm kein schlechtes Gewissen machen. Er sollte keinesfalls denken, dass er mich im Stich ließ. Sicher würden er und seine Familie mir fehlen, aber er hatte sich eh schon lange genug um mich gekümmert, als ich mich noch nicht allein um mich selbst kümmern durfte und konnte. Dafür schuldete ich ihm so viel und war ihm auf ewig dankbar, dass er mich vor dem Schlimmsten bewahrt hatte. Auf keinen Fall würde ich ihm sein wohlverdientes Weihnachtsfest in Frankreich kaputt machen. Sobald es mir wieder möglich wäre, würde ich mich einfach in meine Arbeit stürzen.
»Huhu, Erde an Darius. Bist du noch da?«, fragte Caleb ungeduldig und trommelte mit seinen Fingerspitzen auf dem Holztisch herum.
»Was? Ja, ähm … bin ich. Was hast du gesagt?«
Mein Kumpel seufzte. »Dass du dich morgen um 15.00 Uhr mit ihr im Stadtpark treffen wirst.«
»Ein Treffen hast du auch schon ausgemacht?« Ich stieß hörbar die Luft aus. Natürlich wollte ich an Weihnachten nicht allein sein, aber die Festtage mit einer völlig fremden Familie verbringen? Puh.
»Jetzt hab dich nicht so. Sei einmal spontan«, murrte mein bester Freund mit einer quengelnden Stimme wie ein kleines Kind. Er hatte gut reden. Er musste schließlich morgen keine wildfremde Person kennenlernen. Aber andererseits … was hatte ich zu verlieren?
»Okay. Ich gehe hin«, hörte ich mich sagen und wusste selbst nicht so recht, woher diese Antwort kam. Eigentlich hatte ich gar keine Lust auf das Ganze. Auch wenn ich nicht nur schlechte Erfahrungen mit Dates vorweisen konnte, hatte ich gerade einfach keine Zeit dafür, jemanden ernsthaft kennenzulernen. Wie sollte ich zwischen all der Arbeit eine ernsthafte Beziehung führen? O Gott. Wenn das mal nicht im Chaos enden würde.
Calebs Gesicht fing an zu strahlen. »Echt jetzt, Alter?«
Ich nickte leicht. »Wo hast du sie eigentlich aufgetrieben? Eine von deinen früheren Bekanntschaften?«, fragte ich neckend. Obwohl ich ganz genau wusste, dass Caleb mit seinen früheren Bettgeschichten keinen Kontakt mehr hatte.
»Blödmann«, sagte er lachend und trank einen Schluck aus seiner Tasse, ehe er weitersprach. »Irene ist zufällig auf die Anzeige im Internet gestoßen und hat sie mir gezeigt. Und nun ja, ich habe mich dann darauf gemeldet.« Warte. Was? Es war eine Internetanzeige? O je. Ob das was Vernünftiges werden würde? Prompt bereute ich meine vorschnelle Zusage. Wie verzweifelt konnte man sein, um ein Date über eine Internetanzeige zu suchen? Gab es dafür nicht genügend Dating Apps?
»Darf ich Ihnen auch etwas zu trinken bringen?«, unterbrach die Kellnerin mich bei meinen Gedanken.
»Ja, gerne. Einen Latte Macchiato, bitte.« Dankbar lächelte ich sie an und erntete ebenfalls ein Lächeln von ihr. Doch meine Gedanken waren schon wieder ganz woanders.
»Weißt du … da du nicht mit uns feiern wolltest … und dein Bruder nicht da ist …«, druckste er plötzlich herum. »Ach Mann, ich wollte einfach nicht, dass du gerade an Weihnachten allein bist. Und dann auch noch in einem solch großen Haus.«
Irritiert von der plötzlichen Sentimentalität hatte ich keine Ahnung, was ich erwidern sollte. Ich wusste, dass Caleb nicht nur den Tag Weihnachten an sich meinte, sondern das, was für mich dahinter steckte. Und dass er nicht nur das große Haus meinte, sondern das, was es bedeutete. Allein der Gedanke daran setzte mir einen Kloß in den Hals, den ich erfolglos versuchte, herunterzuschlucken.
Dankbar nickte ich ihm zu. Er hat es wirklich nur gut gemeint. Und vielleicht hatte er recht. Ich war an diesem Tag noch nie allein gewesen und wusste nicht, wie mein Körper reagieren würde. Bevor ich irgendetwas Dummes anstellte, war das vermutlich doch die vernünftigste Lösung, um keinem zur Last zu fallen.
14.Dezember2025
Kapitel 3
Ronja
Auch wenn ich anfangs ganz und gar nicht begeistert davon gewesen war, dass Emilia in meinem Namen eine Internetanzeige veröffentlicht hatte, gefiel mir der Gedanke, meiner Familie einen Freund vorzustellen zu können, immer besser. Und nach den Feiertagen würde er mich betrügen, und ich würde nicht als die Dumme da stehen. Was für eine Ironie.
Ich stellte mich vor den im Gang aufgehängten Spiegel und betrachtete mein Outfit. Eine einfache blaue Jeans, kombiniert mit einem lässigen lilafarbenen Strickpullover. Darüber meine weiße Winterjacke und ein weißes Stirnband, das meine dunklen Haare betonte. Perfekt. Nun musste ich nur noch in meine gefütterten schwarzen Winterstiefel schlüpfen und schon konnte ich mich auf den Weg in den Park machen. Ich war zwar viel zu früh dran, doch so konnte ich mir in Ruhe einen Platz aussuchen und mein Weihnachtsdate von weitem beobachten. Sollte er doch irgendwie ganz komisch, oder womöglich sogar ein Axtmörder sein, konnte ich noch abhauen. Gut, vielleicht waren meine Gedanken etwas übertrieben, aber man wusste ja nie. Wie sagt man so schön? Vorsicht ist besser als Nachsicht.
Als ich gerade die Tür öffnen wollte, bemerkte ich, dass mein Handy, das auf der Kommode im Flur lag, aufblinkte. Ich griff danach und sah, dass eine neue Nachricht in der Familiengruppe geschrieben worden war.
Hallo ihr Lieben,
Ich freue mich schon so auf die gemeinsamen Tage. Endlich sehe ich euch alle wieder zusammen und nicht nur jeden einzeln.
Jipiiehhh.
Bis bald,
Mama
PS: Ich bin schon ganz gespannt auf deine Begleitung, Ronja. Wie heißt er eigentlich?
Oh, Mama. Musste das sein? Jetzt wussten auch meine Geschwister von meinem Freund. Jetzt hieß es nur noch beten und hoffen, dass das Treffen in weniger als einer Stunde gut laufen würde, und der Fremde halbwegs vorzeigbar war. Ich hatte ja nicht viel Hoffnung, dass er den Ansprüchen meiner Familie gerecht werden würde, aber das musste er auch nicht. Ich wollte einzig und allein die Weihnachtsfeiertage überstehen und das war‘s. So lange mussten wir miteinander auskommen und danach würde ich ihn nie wieder sehen.
Ich ignorierte die Nachricht meiner Mutter, steckte mein Handy und den Haustürschlüssel in meine Jackentasche und zog hinter mir die Tür ins Schloss.
Darius
Brrrr. War das kalt draußen. Ich zog den Reißverschluss meiner Winterjacke noch ein Stückchen höher, obwohl er schon fast komplett zu war. Es schneite zwar nicht, aber links und rechts von mir glitzerte der Schnee von gestern Abend auf den Wiesen. Über Nacht war wohl doch ein wenig Schnee liegen geblieben. Mal sehen, ob er diesmal länger liegen bleiben würde oder nochmal abtaute.
Langsam zog ich meine Hand aus meiner Jackentasche, was ich sofort bereute, da die Kälte an meiner Haut zerrte. Doch ich musste mir nochmal das Bild von meiner baldigen Freundin zu Weihnachten ansehen, das mir Caleb vorhin noch geschickt hatte. Ronja hieß sie – ein seltener, aber sehr schöner Name. Das war aber auch schon alles, was ich von ihr wusste. Ich musste mich wohl oder übel überraschen lassen.
Kurz tippte ich eine Antwort an Caleb, der mir viel Spaß gewünscht hatte, und öffnete das Foto über der Nachricht. Ronja lächelte vorsichtig in die Kamera und sah so aus, als wollte sie gerade etwas sagen. Der Schnee im Hintergrund verriet, dass das Bild im Winter aufgenommen worden war. Recht viel mehr als ihr zartes, leicht rundliches Gesicht konnte ich vor lauter buntem Schal um ihren Hals nicht erkennen. Doch auf den ersten Blick wirkte sie wirklich nett - sofern man das anhand eines einzigen Fotos beurteilen konnte.
Allmählich erreichte ich den vereinbarten Treffpunkt und sah von meinem Handy auf, um es wieder in die Jackentasche zu stecken, worauf meine Finger mit einem leichten Kribbeln reagierten. Und dann sah ich sie: Mit einer weißen Jacke und einem weißen Stirnband tief ins Gesicht gezogen, auf einer Parkbank sitzend. Auch wenn ich auf dem Foto nicht viel erkannt hatte, spürte ich einfach, dass sie es war. Keine Ahnung, woher plötzlich diese Sicherheit kam, aber sie war es. Ich wusste nicht genau, wie ich sie mir vorgestellt hatte, aber … sie sah wunderschön aus. Ihre Schönheit kam auf dem Foto gar nicht so zur Geltung.
Und sie war so verzweifelt, dass sie eine Internetanzeige aufgegeben hatte, um eine Begleitung für Weihnachten zu finden? Wieso nur? Mit ihrem Aussehen könnte sie doch sicher auch jemanden auf der Straße ansprechen und derjenige würde sofort ja sagen. Oder es lag an ihrem Charakter, dass keiner ihre Begleitung sein wollte? Das würde ich wohl gleich herausfinden. Ich räusperte mich, bevor ich direkt auf sie zusteuerte.
»Hey. Ähm … ich bin Darius und du … Ronja?« Was war denn mit mir los? Wieso konnte ich keinen vernünftigen Satz bilden? Mann, Darius, reiß dich gefälligst zusammen.
»Hey. Ja genau, ich bin Ronja. Wollen wir ein Stück gehen?«, fragte sie mich, und ich konnte mich nur auf ihre zarte Stimme konzentrieren, jedoch nicht auf den Inhalt.
»Äh? Ja, ja klar«, gab ich ihr zögernd zur Antwort und setzte mich neben sie, während sie aufstand. Mist. Sie hatte mich wohl nicht gefragt, ob ich mich setzen wollte.
»Alles gut bei dir?« Sie sah mich etwas verwirrt an.
»Äh ja. Ja, ich wollte nur … ähm … meinen Schuh binden.« Schnell griff ich nach unten zu meinem Schuh, nur um festzustellen, dass ich heute die neuen Schlupfschuhe anhatte, die mir mein Bruder empfohlen hatte. Ich räusperte mich erneut und hoffte, dass ich nicht rot wie eine Tomate war. Zur Not würde ich es auf die Kälte schieben.
Langsam stand ich auf und stellte mich neben sie, um diesmal abzuwarten, was sie tat. Bevor ich mich erneut blamieren würde und sie das Treffen vorzeitig abbrechen wollte, bevor es überhaupt begonnen hatte. Ich wusste nicht wieso, aber mein Herz klopfte wie verrückt. Ronja lief langsam in Richtung des Weihers, der in der Mitte des Stadtparks lag, und ich tat es ihr gleich.
»Bist du …«, gerade, als ich ein Gesprächsthema anfangen wollte, fing auch sie an zu reden.
»Bitte«, sagte ich und forderte sie mit einer kleinen schnellen Geste auf, zu sprechen.
»Also wegen dieser Anzeige«, fing sie an, und ich hatte kurzzeitig Angst, dass sie jetzt schon so einen schlechten Eindruck von mir hatte, dass sie ihr Angebot zurückziehen wollte. »Es wurde nicht erwähnt, dass das Weihnachtsfest in Hallstatt stattfinden soll. Wäre das denn ein Problem?«
In Hallstatt? Wo lag das denn? Sie sagte es so selbstverständlich, als müsste ich es kennen. Aber das tat ich nicht.
»Nein, nein. Das ist kein Problem«, antwortete ich. Ich würde es später im Internet heraussuchen.
»Gut. Meine Eltern besitzen dort eine Hütte, in der wir jedes Jahr Weihnachten feiern.«
Lächelnd sah ich sie von der Seite aus an. Ich wusste nicht so recht wieso, doch irgendwie machte mich der Gedanke glücklich, dass sie ein kleines Ritual in ihrer Familie hatten. Das musste bestimmt schön sein, wenn man sich das ganze Jahr darauf freuen konnte.
Kurz räusperte ich mich, denn ich hatte auch noch etwas zu klären, bevor ich eindeutig zusagen konnte. »Ronja, was ich noch sagen wollte … auf diese Anzeige …« Ich räusperte mich erneut. Wieso fühlte sich mein Kopf plötzlich wie leergefegt an? »Mein bester Freund hat darauf reagiert und eine Sache vergessen zu erwähnen. Ich habe einen Hund, Rocky. Ihn will ich nur ungern allein zuhause lassen. Sonst muss ich ihn in ein Tierheim geben und das möchte ich auf keinen Fall. Kann ich ihn zum Weihnachtsfest mitbringen?«, fragte ich vorsichtig. Irgendwie wollte ich nicht, dass unsere Vereinbarung an Rocky scheitern würde. Doch er war der Mittelpunkt meines Lebens. Für ihn würde ich alles geben.
»Oh, einen Hund? Ich liebe Hunde. Wieso hast du ihn nicht mitgebracht?«, fragte Ronja ganz euphorisch und gleichzeitig auch etwas enttäuscht. Als ich ihr in die Augen blickte, hatte ich das Gefühl, dass mein Herz kurz aussetzte. Ihre Augen glänzten voller Freude.
»Ich wusste nicht, wie lange wir unterwegs sein würden. Bei diesem Wetter ist es Rocky tatsächlich zu kalt«, murmelte ich etwas verlegen. Rocky war super eigen. Aber ich liebte diesen Kerl über alles und würde weiß Gott was für ihn tun. Er war mein Ein und Alles.
»Hast du ein Bild von ihm?« Ronja hatte ihre Schritte verlangsamt und blickte mich mit großen Augen an.
Ich musste schmunzeln. »Klar«, sagte ich und fischte mein Handy aus der Tasche. Sofort drang wieder die klirrende Kälte an meine Finger. Wieso hatte Caleb ein Treffen im Park vorgeschlagen und nicht in einem Café?
»Hier.« Ich hielt ihr mein Handy vor die Nase, worauf mein Rocky, ein Cocker Spaniel, zu sehen war.
»Ohhh, ist der süß. Wie alt ist er denn?«
Dass sie Rocky toll fand, ließ Ronja gleich noch etwas sympathischer auf mich wirken. Vielleicht würde Weihnachten doch nicht so übel werden, wie gedacht.
»Er ist jetzt fünf. Ich habe ihn mir vor ein paar Jahren geholt. Aus dem Tierheim. Der alte Besitzer hatte Rocky seiner Tochter zu Weihnachten geschenkt und dann nach den Feiertagen gemerkt, dass so ein Hund doch mehr Arbeit machte, als er Zeit hatte.« So langsam fiel meine Anspannung ab, und ich fühlte mich immer wohler in unserem Gespräch.
»Oh, wow. Das ist ja schrecklich«, antwortete Ronja und sah sichtlich geschockt aus.
»Ja. Wusstest du, dass circa fünfundzwanzig bis dreißig Prozent aller Tiere, die an Weihnachten verschenkt werden, wieder zurückgegeben werden oder im Tierheim landen?« Dass ich vor einigen Jahren zu Rocky kam, war ein purer Zufall gewesen. Ich hatte ein Aushängeschild nach den Feiertagen beim Einkaufen gesehen. Worunter genau dieser Fakt gestanden hatte. Danach hatte mich dieser Gedanke nicht mehr losgelassen, und ich hatte mich tagelang im Internet informiert, bis ich einfach mal beim Tierheim vorbeigefahren war, um mir den kleinen Rocky anzusehen. Seine traurigen Augen auf dem Foto hatten mein Herz erweichen lassen. Und dann war es Liebe auf den ersten Blick gewesen. Er mochte mich, ich mochte ihn. Und so war es beschlossene Sache. Er hatte ein neues Zuhause gefunden.
»Nein, das wusste ich tatsächlich nicht. Wahnsinn. Ich verstehe echt nicht, wie man so herzlos sein kann.« Ronja senkte ihren Blick und sah für einen Moment wirklich fassungslos aus.
Ronja
Dieser Mann war tatsächlich sympathischer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. In den ersten Minuten fand ich ihn etwas seltsam, was aber vermutlich nur an seiner Unsicherheit lag, denn während unseres Gesprächs fühlte ich mich ziemlich wohl. Von Minute zu Minute wurde die Unterhaltung zwischen uns immer lockerer, und die Atmosphäre war entspannt. Wir mussten uns nicht von Thema zu Thema quälen, die Worte fanden ihren Weg wie von selbst. Es fühlte sich … überraschend gut an.
Doch so süß ich seinen Hund und seine Rettungsaktion auch fand – ich musste wieder auf unser eigentliches Gesprächsthema zurückkommen.
»Darius, wegen dieser Anzeige. Tatsächlich habe ich sie auch nicht selbst aufgegeben. Sondern meine beste Freundin. Sie wollte mir einen Gefallen tun …« Ich blickte ihn leicht von der Seite an. Er hatte schon eine ganz rote Nase. Es war auch wirklich sehr kalt. »Wenn du wirklich mitkommst, müssten wir vielleicht vorweg noch ein paar Dinge klären«, sagte ich mit fester Stimme.
»Klar. Wenn wir ein Paar spielen, sollten wir einiges übereinander wissen«, stimmte er mir zu.
Trotz der Kälte merkte ich, wie es in meiner Magengegend warm wurde. Ich spürte, dass meine Eltern ihn mögen würden. Er sah gut aus. Manieren hatte er scheinbar auch und ein Hundeliebhaber war er obendrein. Der perfekte Schwiegersohn; vielleicht schon zu perfekt. Womöglich würden sie mir nicht glauben, dass er mir fremdgegangen war und mich von heute auf morgen verlassen würde. Ein stechender Schmerz durchzog mein Herz, als ich daran dachte. Jetzt nicht, ermahnte ich mich selbst und schob schnell meine Gedanken beiseite.
»Okay. Am besten machen wir so eine Art Speed-Dating. Schließlich ist schon bald Weihnachten und ich habe vorher noch einiges zu tun«, sagte ich sachlich.
»Speed-Dating?« Darius sah mich mit zuckenden Mundwinkeln an.
»Hast du eine bessere Idee?«, fragte ich ihn leicht genervt.
»Wie wäre es, wenn wir uns einfach gegenseitig Fragen stellen?« Schmunzelnd sah mich Darius an, und ich merkte, dass er mich gerade auf den Arm nahm.
Ich schnaubte hörbar. »Also gut. Dann geben wir dem ganzen eben keinen Begriff und stellen uns nur gegenseitig Fragen«, antwortete ich und musste mein eigenes Schmunzeln unterdrücken.
»Okay … Wer fängt an?«, fragte Darius. Wir liefen geradewegs auf den Weiher zu, der noch nicht komplett zugefroren war. Mittlerweile wurde es allmählich dunkel, und die Beleuchtung des Parks flimmerte schwach. Innerlich freute ich mich riesig darauf, wenn es nun ganz dunkel wurde und die Lichter in ihrem vollen Glanz erstrahlten.
Darius musste scheinbar meinem Blick gefolgt sein. »Wollen wir uns auf die Bank setzen und warten, bis es dunkel ist? Sodass wir die Lichter beobachten können?«
Leicht überrumpelt von seinen Worten nickte ich und steuerte die Metallbank an. Als ich mich setzte, spürte ich die kalten Stäbe durch meine dicke Winterjacke und musste den Drang, sofort wieder aufzustehen, unterdrücken. Auch wenn es wirklich super kalt war, liebte ich die dunklen Winterabende hier draußen doch sehr.
»Gut. Ich fange an.« Ich lenkte geschickt wieder auf unser vorheriges Thema.
»Wie alt bist du?«, fragte ich ihn und vergrub meine Hände noch ein Stückchen tiefer in den Taschen. Mein Körper zitterte ganz leicht vor lauter Kälte.
»Sechsundzwanzig und du?«
»Vierundzwanzig, ich werde aber bald fünfundzwanzig«, antwortete ich. In meinen Jackentaschen rieb ich leicht meine Finger aneinander, um etwas Wärme zu erzeugen.
»Wann hast du denn Geburtstag?«, fragte mich Darius.
»Am ersten Januar, und du?«
»Ohh, das ist fies. Das ist ja direkt nach Silvester. Aber gut, dafür hast du immer eine Vorfeier mit Feuerwerk, das ist auch toll. Ich habe im Sommer. Am 26.07.«
»Wow, wie cool! Dann bist du ja wirklich das totale Sommerkind. Das muss toll gewesen sein, als Kind deinen Geburtstag immer in den Sommerferien feiern zu können«, gab ich beeindruckt von mir. Ich konnte so gut wie nie Geburtstag feiern, da unser Haus nicht besonders groß war. Und um draußen zu feiern, war es zu dieser Jahreszeit immer zu kalt. Außerdem hatte am ersten Januar fast immer jeder etwas vor. Später dann waren wir über Neujahr eh immer in Hallstatt, und die lange Fahrt für ein paar Stunden Geburtstagsparty nahmen die Eltern dann verständlicherweise doch nicht in Kauf.
»Stimmt. Aber oft waren meine ganzen Freunde im Urlaub.«
Da hatte er auch wieder recht. Sommer und Winter; es hatte wohl beides seine Vor- und Nachteile.
»Okay …«, murmelte ich und überlegte. Ich biss mir leicht auf die Lippe, um das Beben meiner Zähne zu überspielen. »Wäre es für dich okay, wenn wir vielleicht doch noch ein Stückchen laufen? Wenn wir nur so da sitzen, wird mir wirklich kalt«, merkte ich vorsichtig an. Doch Darius stimmte mir sofort zu und stand mit mir auf.
Als wir uns in Bewegung gesetzt hatten, führte ich unser Frage-Antwort-Gespräch fort. »Was machst du beruflich?«
Darius sah mich schief von der Seite an. Fast so, als wollte er irgendeinen flapsigen Kommentar abgeben, doch er tat es nicht. »Ich arbeite in einer Anwaltskanzlei.«
Ich unterdrückte einen leisen Pfiff. Wie konnte bitte so ein Mann single sein? Was ist nur dein schmutziges Geheimnis, Darius?
»Und du?«, fragte Darius leise und zog seine Jacke etwas enger um sich.
»Ich arbeite, zum Leidwesen meiner Eltern, als angehende Psychologin im Krankenhaus.«
»Wieso denn zum Leidwesen? Das ist doch ein ganz wundervoller Beruf. Ich habe gehört, dass das Studium gar nicht so einfach sein soll.« Darius beobachtete mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Na ja, es geht. Wenn man immer gut lernt und fleißig seine Hausarbeiten erledigt, kommt man wirklich klar. Hast du Hobbys?« Absichtlich überging ich seine vorherige Frage. Ich wollte gerade nicht über meine Familie sprechen. Das Thema würde früher oder später eh aufkommen.
Darius gab einen undefinierbaren Laut von sich. »Wenn arbeiten als Hobby zählt, dann ja.«
Ich musste schmunzeln. Irgendwie gefiel mir seine Art. Die Stimmung zwischen uns war so leicht und locker. Nicht gezwungen. »Nein, arbeiten zählt nicht als Hobby. Was machst du denn in der Zeit, wenn du nicht gerade arbeitest?«, fragte ich nun neugierig. Wir schlugen gerade beide, ohne uns abgesprochen zu haben, den Weg in die Stadt ein. Es war wirklich super kalt hier. Auch wenn es in der Stadt nicht wärmer war, würden die Häuser zumindest den Wind etwas zurückhalten. Zumindest hoffte ich das. Meine Wangen spürte ich schon gar nicht mehr.
»Hmmm … da treffe ich mich mit meinem besten Freund oder meinem Bruder.«
»Ach wie schön. Hast du wohl ein gutes Verhältnis zu deiner Familie?«
»Ja, schon …« Darius legte gerade eine Pause ein. Er wirkte sichtlich bedrückt. Wäre es unhöflich, ihn danach zu fragen? Wir kannten uns schließlich noch nicht wirklich. Er sollte lediglich mein Weihnachtsdate sein. Nicht mehr und nicht weniger. Doch gerade als ich darüber nachdachte, was ich erwidern sollte, nahm er mir die Entscheidung ab. »Was ist dein Lieblingsessen?«, fragte er. Kurz stutzte ich, weil er mich nicht nach meinen Hobbys fragte, sondern eine völlig neue Frage stellte. Doch ich antwortete ihm. Es gab schließlich keine Regel, die besagte, dass er die gleiche Frage zurückstellen musste.
»Das ist fies, es gibt so viele leckere Gerichte. Hmm …« Ich überlegte, und wir liefen nun an den beleuchteten, weihnachtlich geschmückten Schaufenstern vorbei. »Vermutlich ganz klassisch Spaghetti Bolognese.«
»Oh, ja, die liebe ich auch«, gab mir Darius freudig zur Antwort. »Das einzige Problem ist, dass ich nur nicht besonders gut kochen kann.«
»Kochen kann im Grunde jeder. Man braucht nur gute Gewürze.« Ich lächelte Darius von der Seite an.
»Das sagst du nur, weil du noch nichts probiert hast, was ich gekocht habe.« Darius lachte laut auf. Wie hell seine Stimme klang. Schon fast ein bisschen sexy.
