Winterliebe im kleinen Hofcafé am Deich - Lurleen Kleinewig - E-Book

Winterliebe im kleinen Hofcafé am Deich E-Book

Lurleen Kleinewig

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Von Herzklopfen und Winterromantik im gemütlichsten Café an der Nordseeküste Die 29-jährige Antonia führt gemeinsam mit ihrer Mutter ein kuscheliges Hofcafé am Deich. Sie geht voll in ihrer Arbeit als Bäckerin auf, aber in der Liebe hat sie kein Glück. Eine versehentliche Doppelbelegung ihres Ferienhäuschens beschert ihr kurz vor Weihnachten die Bekanntschaft mit dem sympathischen Gast David und seiner scheuen Hündin Elsa. Zu dumm, dass er vergeben zu sein scheint. Doch während des gemeinsamen Weihnachtsessens bringt er Toni auf eine Idee, wie sie ihr Geschäft ankurbeln kann, und steckt auch sonst voller Überraschungen. Werden Tonis Winterträume am Ende in Erfüllung gehen?  »Ich habe mich beim Lesen (...) köstlich amüsiert. Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung. Das Buch macht einfach Spaß und lässt sich so schnell nicht aus der Hand legen. Hole dir jetzt schon etwas Winterstimmung auf deinen Leseplatz.« ((kerstinskartenwerkstatt.de)) »Einmal angefangen konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen. Ich wollte nur noch wissen, was noch alles geschieht, wie es sich weiterentwickelt und vor allem wie es endet. Ich wurde nicht enttäuscht. Es entstand eine angenehme Leseatmosphäre.« ((Leserstimme auf Netgalley)) »Ein wunderbares Buch an der wunderschönen rauen Nordsee. Das Setting hat mich sofort gefangen genommen und zum ersten Mal denke ich über einen Urlaub im Winter an der See nach. Absolute Leseempfehlung, nicht nur für die kalte Winterzeit!« ((Leserstimme auf Netgalley))

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher: www.piper.de

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Winterliebe im kleinen Hofcafé am Deich« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2023

Redaktion: Julia Feldbaum

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Alexa Kim »A&K Buchcover«

Covermotiv: depositphotos.com (Anarchy1; NewAfrica; Wirestock; ehrlif; Betka82; makkis; timurock); shutterstock.com (karamysh)

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

»Wer einen Fluss überquert,

muss die eine Seite verlassen.«

Mahatma Gandhi

Für Rita und Ratzeund für Gerda, Helmi, Ed und Fritz.

Wir sehen uns auf der anderen Seite.Ich habe euch unendlich lieb!

1

Es war gerade mal neun Uhr morgens, und der Tag drohte sich bereits in einen Albtraum zu verwandeln. Wenn man die eigene Mutter zu so früher Stunde am liebsten bei den Schultern packen und kräftig schütteln wollte, konnte das nicht normal sein, oder? Aber Esther hatte, mit Verlaub, Scheiße gebaut. Und ich konnte jetzt zusehen, wie ich die Kuh vom Eis holte.

Hektisch klickte ich mich durch unsere Buchungssoftware. Es war die kostenlose Version eines großen Anbieters, die mein Bruder Wilko für uns installiert hatte. Ich fand das Programm idiotensicher und enorm hilfreich, um den Überblick über die Belegung unseres Ferienhäuschens zu behalten – vorausgesetzt, man benutzte es auch. Was Esther offenbar mal wieder nicht getan hatte. Denn die Frau, eine Veronika Irgendwas, die ich gerade am Telefon und vorsichtshalber stumm geschaltet hatte, tauchte über Weihnachten nicht im Buchungskalender auf. Wohl aber in Esthers Notizbuch, das sie in der Schreibtischschublade verwahrte. Dort hatte sie am zwölften März dieses Jahres fein säuberlich vermerkt, dass Veronika und ihr Mann Bernd ab dem Tag vor Heiligabend für sieben Nächte Gäste in unserem Ferienhaus sein würden. Pech für mich, dass ich nur kurze Zeit später einen Herrn Weiler aus Köln für exakt den gleichen Zeitraum eingebucht hatte. Über unsere Software, wie sich das gehörte. Nun hatten wir eine Doppelbelegung, und das über die Feiertage, wenn jedes verfügbare Zimmer in Ostfriesland seit Langem ausgebucht war!

Argh. Dieses Mal würde ich Esther wirklich die Leviten lesen. In mir brodelte es wie in einem Vulkan. Doch erst musste ich mich um Veronika kümmern, die immer noch in der Leitung schmorte.

»Hören Sie?«, flötete ich mit meiner liebenswürdigsten Servicestimme, nachdem ich die Stummschaltung aufgehoben hatte. »Alles in Ordnung, unser Programm hatte sich nur verschluckt. Jetzt habe ich Ihre Daten vor mir auf dem Bildschirm. Wie war gleich Ihre Frage?«

»Ich wollte wissen, ob die Endreinigung extra bezahlt werden muss. Mein Mann hat vergessen, danach zu fragen.« Sie klang ein bisschen misstrauisch, was ich ihr nicht verdenken konnte. Wahrscheinlich hatte sie genau wie ich gerade eine Schrecksekunde durchlebt, als ich ihre Buchung nicht hatte finden können. Wenn sie wüsste!

Wenigstens in diesem Punkt konnte ich sie beruhigen.

»Nein, die Endreinigung ist bei uns grundsätzlich im Preis inbegriffen.« Alles andere wäre nämlich wettbewerbswidrig, fügte ich in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus. Die wenigsten Gäste kümmerten derlei Spitzfindigkeiten.

»Oh, super, dann bleibt uns mehr Geld für Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, haha.«

Als ob es in unserer kleinen Stadt einen anständigen Weihnachtsmarkt gäbe! Doch auch diesen Gedanken behielt ich für mich. Eine Handvoll Stände und ein Kinderkarussell vor der Kirche waren das höchste der Gefühle. Aber immerhin mutete die Beleuchtung des historischen Marktplatzes zauberhaft an, und auf der überdachten Eislaufbahn war auch immer etwas los.

»Sagen Sie«, Veronika senkte plötzlich vertraulich die Stimme, »wäre es möglich, eine Flasche Sekt im Schlafzimmer zu deponieren? Natürlich gegen Bezahlung. Es muss keine teure Marke sein, der vom Discounter tut es auch. Wir verreisen zum ersten Mal über Weihnachten nur zu zweit, ohne die bucklige Verwandtschaft im Genick, und da will ich auch richtig in Stimmung kommen, Sie verstehen?« Sie stieß ein gackerndes Lachen aus.

Ich schloss die Augen und zählte im Geist bis zehn. Natürlich waren Gäste schon mit ausgefalleneren Wünschen an mich herangetreten, aber ich wollte unter gar keinen Umständen mit Veronikas und Bernds Liebesleben konfrontiert werden. Na ja, immerhin hatten sie eins. Ganz im Gegensatz zu mir.

»Das ist überhaupt kein Problem«, erwiderte ich höflich, sobald Veronika sich ausgelacht hatte. »Ich werde das für Sie arrangieren.«

Oder Esther dazu zwingen, dachte ich, aber dann kann ich es besser selbst erledigen.

Nach diesem nervenaufreibenden Telefonat machte ich mich mit dem Notizbuch in der Hand auf die Suche nach meiner Mutter. Da unser Hofcafé erst um elf Uhr öffnete, stand sie barfuß in der Küche, eingehüllt in einen wallenden Kaftan, der ihr den Morgenmantel ersetzte. Die wilde, blonde Lockenmähne hatte sie wie üblich mitten auf dem Kopf zu einem gewaltigen Tuff aufgetürmt und mit einer Art Turban gesichert. Im Radio liefen die Backstreet Boys, und Esther wiegte summend die Hüften im Takt zu Larger than life. Sie war damit beschäftigt, einen Berg frisch geschälter Kartoffeln mit geübten Händen in gleichmäßig breite Stifte zu schneiden. Ihre selbst gemachten Pommes frites waren über die Stadtgrenze hinaus berühmt, ebenso wie ihre »Curryvurst«, die sie aus Weizengluten und Tofu mit allerlei Gewürzen selbst herstellte.

Doch heute war mir nicht danach, ihr beim Kochen zuzusehen. Ich war geladen für drei, als ich mich vor ihr aufbaute und ihr anklagend das Notizbuch entgegenstreckte.

»Du hast es wieder getan!«

»Was denn?« Esther musterte mich neugierig aus eisblauen Augen. Konnten zwei Menschen sich weniger ähneln als meine Mutter und ich? Ihre heitere Gelassenheit machte mich rasend. In solchen Momenten brach sich mein hitziges Temperament Bahn, und ich schaffte es einfach nicht, meinen Ärger zu zügeln.

»Dop-pel-bu-chung! Über Weihnachten! Du hast Veronika und Bernd aus Essen nicht über die Software erfasst, sondern in dein dämliches Notizbuch eingetragen! Während ich Herrn Weiler ordnungsgemäß eingebucht habe, aber leider erst, nachdem du den beiden das Haus fest zugesagt hattest!« Jetzt deutete ich sogar mit dem Finger auf sie, so sauer war ich. »Und nun erklär mir mal, wie wir das hinbiegen sollen! Eine schlechte Bewertung von einem wütenden Gast können wir uns nicht leisten, die steht für immer im Internet.«

»Ach, da wird sich doch eine Lösung finden lassen«, versetzte meine Mutter ungerührt und kippte einen neuen Schwung Kartoffeln neben ihr Schneidebrett. Ganz offensichtlich verkannte – oder vielmehr verleugnete – sie den Ernst der Situation. Das war typisch Esther. Alt-Hippie, der sie war, versprühte sie selbst dann noch hartnäckig Optimismus, wenn das Kind bereits im Brunnen lag. Das reizte mich umso mehr, vor allem, weil sie es gewesen war, die die ganze leidige Geschichte verbockt hatte.

»Lösung? Welche Lösung? Ganz Ostfriesland ist über die Feiertage ausgebucht, das weißt du ebenso gut wie ich. Wir können ihn nicht mal eben woanders einquartieren.«

»Das werden wir wohl müssen«, entgegnete Esther trocken. »Es sei denn, er und das Pärchen aus dem Ruhrpott möchten eine kleine Urlaubs-WG gründen. Soll ich dir einen Chai Latte machen?«

Immerhin hatte sie mitbekommen, dass ich mich aufregte und wollte nun die Wogen glätten. Mit ihren köstlichen Heißgetränk-Kreationen konnte sie mich normalerweise problemlos einlullen. In dieser Hinsicht war ich eine typische Ostfriesin, selbst wenn die ihren schwarzen Tee in der Regel lieber ohne Gewürze und Hafermilch tranken. Doch heute hätte mich lediglich eine Doppelpackung Xanax von meiner Palme herunterholen können.

»NEIN!«, schleuderte ich meiner Mutter entgegen, als mir klar wurde, dass Teekochen alles war, was sie an praktischer Hilfe zu bieten hatte. »Der blöde Chai lässt nämlich nicht plötzlich ein zweites Ferienhaus aus dem Boden wachsen!«

Ich ließ das Notizbuch theatralisch auf ihren Kartoffelhügel fallen und stapfte von dannen.

Das Leben schien mir heute wieder mal besonders feindselig gesonnen zu sein. Weil mir nichts Besseres einfiel, marschierte ich das kurze Stück über den Hof zurück ins Büro, schloss die Tür hinter mir und sank in den uralten Chefsessel. Ich stützte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte und presste die Handballen gegen meine geschlossenen Augen. Gestatten: Antonia Janssen, genannt Toni, Italo-Ostfriesin und neunundzwanzig Jahre alt, steckte wie so oft bis zum Hals in Schwierigkeiten.

Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob es an mir lag, dass ständig irgendetwas schiefging, oder doch an meiner Mutter, die sich gern wie ein zu groß geratenes Kind aufführte und dabei vergaß, dass man als Café-Besitzerin und Ferienhausvermieterin eine gewisse Verantwortung trug. Aber sie hatte ja mich, um hinter sich aufzuräumen. Grr.

Statt wie neunundzwanzig fühlte ich mich gerade wie neunundfünfzig. Lass dir was einfallen, Toni, plärrte eine panische Stimme in meinem Kopf, und zwar subito!

Meine rebellische Stimmung war noch nicht verflogen, und plötzlich hatte ich keine Lust mehr, mir allein den Kopf darüber zu zerbrechen, wie wir das Problem mit dem übrig gebliebenen Feriengast lösen konnten. Kurz entschlossen schnappte ich mir mein Handy und rief meinen Bruder an.

»Mhm?«

»Wilko, ich bin’s. Esther hat mal wieder Mist gebaut.« In knappen Worten schilderte ich ihm die Lage, denn ich wusste, dass er bei der Arbeit saß und sich wahrscheinlich gerade mit irgendeinem komplexen technischen Phänomen herumschlug. Als IT-Administrator bei den Stadtwerken tat er quasi den ganzen Tag nichts anderes.

Deswegen hörte er mir wie üblich auch nur mit halbem Ohr zu. Eine Weile vernahm ich bloß Rauschen und Summen im Hintergrund, dazu das leise Klicken von Wilkos Fingern auf einer Tastatur. Schließlich seufzte er.

»Himmel, ich weiß es doch auch nicht. Ich meine, der Typ hat ein Ferienhaus gebucht und kommt mit seinem Hund. Selbst wenn wir noch irgendwo ein Zimmer für ihn auftreiben, was mehr als unwahrscheinlich ist, heißt das noch lange nicht, dass er sich darauf einlässt. Dann können wir ihn genauso gut in der Waschküche einquartieren.«

Ich horchte auf. Waschküche?

»Warte mal. Meinst du deinen, äh, Partyraum?«

Vor ein paar Jahren hatte Wilko sich in den Kopf gesetzt, dass er unbedingt einen Ort für sich und seine nerdigen IT-Freunde brauchte. Ihre Treffen glichen in meinen Augen einer bizarren Freakshow, in der man es als Normalsterblicher keine halbe Stunde aushielt, weil man entweder vor Langeweile einging oder sich totlachte. Trotz meines Spotts hatte mein Bruder, beharrlich wie immer, an seiner Idee festgehalten. Was eignete sich schließlich besser als Treffpunkt für einen Haufen weltfremder Computerfanatiker als ein abgelegener Gulfhof am Deich ohne direkte Nachbarn?

Zu Wilkos Glück gab es im hinteren Teil unseres Wohnhauses, der zum Garten zeigte, eine große Waschküche und ein paar Schritte daneben ein winziges altmodisches Badezimmer. Esther und ich nutzten beide Räume nicht – sie waren demnach perfekt für seine Zwecke. Voller Tatendrang hatte er sich auf die Renovierungsarbeiten gestürzt.

Die Waschküche hatte er entrümpelt, die Wände frisch gestrichen und auf halber Höhe mit einer Holztäfelung versehen, die nicht nur ein hübscher Blickfang war, sondern als Isolierung dienen sollte. Ein handwerklich versierter Kumpel hatte ihm geholfen, zwei Heizkörper in dem ungastlichen Raum zu installieren, sodass man sich im Winter dort aufhalten konnte, ohne Erfrierungen zu riskieren. Dann hatte Wilko einen Kühlschrank, ein paar Sofas, einen riesigen Tisch mit Stühlen und das alte Büfett meiner Oma aufgebaut und zur Einweihungsfeier geladen.

Zunächst war alles gut gegangen. Die normalerweise wenig geselligen Nerds hatten sich äußerst wohlgefühlt in ihrer neuen Enklave und waren von Mal zu Mal mehr in Partystimmung geraten. Bis zu jener Nacht, in der die Jünglinge, die keinen Alkohol gewohnt waren, über die Stränge geschlagen und um drei Uhr in der Früh stockbesoffen im Garten zu den Klängen von Depeche Mode getanzt hatten. Esther – die stets entspannt blieb, außer es ging um ihre kostbare Nachtruhe – war zwischen sie gefahren wie eine zürnende Rachegöttin, mit aufgelöstem Haar und wehendem Kaftan, während ich ein Stockwerk höher am Fenster stand und mir vor Lachen die Seiten hielt. Damit hatte sie die introvertierte Bande allerdings für immer von unserem Hof vergrault, und Wilkos Partyraum war nach und nach zu einer Art Lager geworden für Dinge, die wir selten brauchten, so wie überzählige Gartenmöbel für unser Café. Mein Bruder nutzte ihn bisweilen auch als Gästezimmer, wenn er aus irgendeinem Grund spontan bei Esther und mir übernachtete.

In meinem Hirn machte es plötzlich klick.

»Wilko!« Ich klang wie eine Beschwörerin. »Das könnte unsere Rettung sein. Wenn wir es hinkriegen, die Waschküche und das Bad ein bisschen aufzupimpen, werde ich versuchen, diesem Herrn Weiler das Ganze als brandneu renoviertes Apartment anzudrehen, das gerade erst für die Vermietung freigegeben wurde. Das hat den Hauch des Exklusiven, damit kann ich ihn hoffentlich ködern. Uns bleibt eine Woche! Zu zweit schaffen wir das … vielleicht. Nein, wir müssen!«

»O Mann, Toni, jetzt nerv mich nicht. Ich habe so kurz vor Weihnachten echt andere Sachen zu tun! Bei der Arbeit ist die Hölle los, und ich …«

»Ist es dir lieber, er fordert die Anzahlung zurück und schreibt uns eine schlechte Bewertung auf allen großen Buchungsportalen?«, fiel ich ihm unbarmherzig ins Wort. »Das wäre pures Gift fürs Geschäft, und das weißt du auch. So was können wir uns einfach nicht leisten. Die Waschküche ist unsere einzige Chance.«

Schweigen. Ich hörte Wilkos unwirsches Schnaufen in der Leitung. Er fühlte sich überrumpelt, ganz klar, und wog seine Optionen ab. Allzu viele blieben ihm nicht, und er war klug genug, das zu erkennen. Außerdem wusste er, dass wir nicht auf Esther zählen konnten. Sie war eine großartige Köchin und Gastgeberin – meistens zumindest –, aber als Handwerkerin hätte sie eine glatte Sechs verdient.

Wilko gab sich geschlagen, wenn auch zähneknirschend.

»Okay, von mir aus, verdammt noch mal. Du rufst den Typen an, und wenn er zusagt, treffen wir uns heute nach meinem Feierabend in der Waschküche und gucken, was zu tun ist.« Damit legte er auf.

Puh! Die erste Schlacht hatte ich gewonnen. In meine Erleichterung, dass zumindest theoretisch eine Lösung für die Unterbringung unseres Gastes in Sicht war, mischte sich die Sorge, ob der sich auf den unerwarteten Quartierwechsel einlassen würde. Schließlich hatte er ein Ferienhaus für sich allein gebucht und empfand es vielleicht als Zumutung, in einem Ein-Raum-Apartment untergebracht zu werden, ganz gleich, wie neu und schick es sein mochte – wenn es denn schick wurde. Doch ich würde seine Meinung dazu nur herausfinden, wenn ich ihn anrief.

Seufzend öffnete ich unser Buchungstool erneut und suchte die Telefonnummer heraus. Besser, ich brachte es hinter mich.

2

Es war kurz nach fünf und bereits stockfinster, als ich mit Wilko unsere Waschküche betrat. Wir hatten uns aus dem Café, wo Esther und unsere einzige Servicekraft Finja souverän die Stellung hielten, jeder eine Tasse heiße Schokolade mitgenommen, angerührt nach Esthers Spezialrezept aus geschmolzener Bitterschokolade, erhitzter Pflanzenmilch, Kokosblütenzucker und Vanilleextrakt mit einem Hauch Zimt. Unsere Mutter verstand sich auf die Zubereitung derartiger Köstlichkeiten wie keine zweite. Sie verwendete am liebsten simple, frische Zutaten und ließ allen überflüssigen Schnickschnack weg. Auf tierische Produkte verzichtete sie seit jeher komplett.

»Die Körper zu Tode gequälter Tiere und deren medikamentenverseuchte Absonderungen haben in meiner Küche nichts zu suchen«, erklärte sie barsch, wenn jemand sie nach dem Warum fragte. »Wem sollte etwas so Widerwärtiges denn schmecken?«

Ich teilte ihre Meinung uneingeschränkt, war ich doch vegan aufgewachsen und empfand meine pflanzliche Ernährung als etwas völlig Natürliches. Esther hatte schon vor meiner Geburt allen Fleisch- und Milchprodukten abgeschworen und war bereit, jedem die Stirn zu bieten, der das zu hinterfragen wagte. Dennoch wünschte ich mir manchmal, sie würde neugierigen Gästen ihren Standpunkt etwas weniger vehement auseinandersetzen. Sie wollte einfach nicht einsehen, dass ihre rigorose Art bisweilen Befremden bei den Leuten hervorrief. Esther konnte geradezu furchterregend sein, wenn sie in Fahrt geriet. Dabei sprach ihre hervorragende Küche für sich, auch ohne »Veganer-Pathos«, wie Wilko es liebevoll-spöttisch nannte.

»Also, was hat er gesagt?«, wollte mein Bruder wissen und rührte in seiner Schokolade, bevor er sich gierig einen viel zu großen Schluck des heißen Getränks hinter die Binde kippte. Ich hätte wetten mögen, dass er heimlich einen Schuss Amaretto hineingetan hatte. Er war verrückt nach dem süßen Zeug. Außerdem erweckte er den Eindruck, als könnte er eine Stärkung brauchen, die ein paar Umdrehungen mehr mit sich brachte.

»Was hat wer gesagt?«, gab ich geistesabwesend zurück, während ich mich in dem großen Raum umblickte und mir gedanklich schon mal ein paar Notizen machte.

»Na, unsere Doppelbuchung natürlich. Du hast doch mit dem Typen telefoniert. Aus welchem Grund stehen wir sonst hier?« Wilko starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

»Ach so. Ja, also, das war ganz witzig …«

»Was denn?«

»Na ja, ich hatte mir vorher genau zurechtgelegt, wie ich ihm die Sache beibringen wollte. Trotzdem habe ich ziemlich herumgestottert. Ich hatte richtig Schiss, dass er im nächsten Moment lospoltert und sein Geld zurückverlangt oder mit dem Anwalt droht. Du weißt ja, solche Leute gibt es zur Genüge.«

»Und, hat er?«

»Nö. Er war überhaupt nicht sauer, nur überrascht. Am Ende hat er sich bloß vergewissert, ob sein Hund den Garten benutzen darf. Ich habe natürlich total dick aufgetragen und ihm versichert, dass das Apartment mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet ist. Und dass er pro Tag zehn Euro weniger bezahlt. Das war es im Großen und Ganzen.«

»Krass! Dann müssen wir jetzt richtig ranklotzen, schätze ich. Lass uns am besten eine Liste aufsetzen mit allem, was noch zu erledigen ist. Falls nötig, bringe ich ab morgen Lenne als Verstärkung mit.«

Lenne war Wilkos Mitbewohner. Die beiden hatten sich vor etlichen Jahren über ein Computerforum kennengelernt und kurz darauf eine Zweier-WG gegründet. Mittlerweile wohnten sie schon so lange zusammen, dass sie mir manchmal vorkamen wie ein altes Ehepaar. Aber das war ein anderes Thema.

Ich erzählte Wilko nichts von dem unangenehmen Schweigen am Telefon, das meinem heruntergehaspelten Geständnis von der unglücklichen Doppelbuchung gefolgt war. Den von mir erfundenen »Systemfehler« hatte dieser David Weiler garantiert sofort als faustdicke Lüge entlarvt.

Als er nach ein paar Sekunden immer noch nichts gesagt hatte, war es vor lauter Sorge und Unbehagen aus mir herausgeplatzt. »Es tut mir wirklich furchtbar leid, Herr Weiler, bitte glauben Sie mir das. Wir wären sehr froh, wenn Sie unser neues Angebot annehmen und von einer schlechten Bewertung im Internet absehen würden …«

Weiterhin Stille. Dann war leises Lachen zu hören gewesen.

»Oh, äh, ich schreibe keine Bewertungen«, hatte er schließlich erwidert und sich dabei eindeutig amüsiert angehört. »Ich bin hauptberuflich Werbetexter, da möchte ich in meiner Freizeit keine aufgeregten Pamphlete mehr verfassen.«

Werbetexter? Aha. Wow.

»Das – das freut mich zu hören. Sie würden eine frisch renovierte und voll ausgestattete Unterkunft mit Studiocharakter bekommen, wir legen gerade noch letzte Hand an«, hatte ich geplappert und mich wahrscheinlich selbst wie eine Marketingexpertin angehört. »Unser Hofapartment besteht zwar nur aus einem Raum plus Badezimmer gleich nebenan, aber es ist sehr großzügig geschnitten und hat direkten Zugang zum Garten.«

»Darf mein Hund den auch benutzen?«

»Natürlich. Sie beide hätten den Garten für sich allein. Das Apartment ist sogar ebenerdig, ihr Hund müsste bis auf zwei kleine Stufen also nicht mal Treppen steigen.«

»Das klingt gut. Dann bin ich dabei.«

Halleluja! Ich hätte ihn küssen mögen. Das Poltern der Steine, die mir nach diesem Telefonat vom Herzen gefallen waren, hatte er vermutlich sogar in Köln hören können.

Um keine Zeit zu verlieren, nahm ich mir noch am gleichen Abend das alte Bad vor und unterzog es einer gründlichen Putzaktion mit Chlorreiniger. Danach war in dem kleinen Raum zwar todsicher keine einzige Mikrobe mehr am Leben, doch er mutete immer noch beunruhigend altbacken an. Stirnrunzelnd fügte ich der Einkaufsliste in meiner Notiz-App einen neuen Duschvorhang hinzu und überlegte ernsthaft, auch eine Klobrille dazuzuschreiben. Vielleicht würde ich ja eine für wenig Geld finden, die ein bisschen hochwertiger aussah als die alte aus billigem Plastik. An den in die Jahre gekommenen Kacheln an den Wänden und auf dem Fußboden, die der eine oder andere Sprung zierte, konnte ich auf die Schnelle nichts ändern. Wenigstens waren sie weiß, und ein Milchglasfenster hatte das Bad auch. Ein Stapel flauschiger Handtücher und ein wenig geschmackvolle Deko würden die Nasszelle zusätzlich aufwerten. Damit musste ich mich vorerst zufriedengeben.

Die Waschküche selbst stellte eine weitaus größere Herausforderung dar. Wie war ich bloß auf die Idee gekommen, sie innerhalb einer knappen Woche in das »Hofapartment mit Studiocharakter« verwandeln zu können, das ich Herrn Weiler angepriesen hatte? Hätte ich bloß meine Klappe gehalten!

Doch es gab kein Zurück. Am nächsten Nachmittag opferte ich dreißig Minuten meiner Arbeitszeit und putzte den Raum in Rekordgeschwindigkeit, ehe es abends ans Eingemachte ging.

Dank der Heizung war es in der Waschküche zwar auch bei Außentemperaturen um fünf Grad einigermaßen warm, doch durch die alten Fenster zog es wie Hechtsuppe. Schließlich einigten wir uns auf schlichte weiße Gardinen und zusätzliche Plissees, für die wir sorgfältig Maß nahmen. Auf den kalten, wenn auch irgendwie hippen Betonboden legten wir mehrere Läufer. Von den drei Sofas warfen wir zwei raus und ließen nur die größte – und ansehnlichste – Stoffcouch stehen. Wir mopsten den Zweitfernseher aus Esthers Schlafzimmer, den sie ohnehin nicht benutzte, und befestigten ihn mithilfe einer TV-Halterung an der Wand. Außerdem sorgten wir anhand eines diskret platzierten WLAN-Repeaters dafür, dass der Empfang sogar in dieser abgelegenen Ecke des Hauses tadellos war. Als Werbetexter aus der Großstadt erwartete unser Gast mit Sicherheit auch im Urlaub einwandfrei funktionierende Technik, da wollte ich lieber nichts dem Zufall überlassen.

Geschirr, Töpfe und andere Küchenutensilien sammelte ich im Café zusammen, um das antike Büfett damit zu bestücken, und was noch fehlte, konnte Lenne uns besorgen. Zu unserem Glück arbeitete er in einem riesigen Möbeldiscounter im Industriegebiet etwas außerhalb der Stadt. Dort bekam man solche Dinge wie Wasserkocher und Kaffeemaschinen zu Spottpreisen – und Plissees in allen Größen!

Wir konnten uns auch einen Küchenschrank mit Arbeitsplatte sichern, ein ehemaliges Ausstellungsstück, das wir genau zwischen dem altmodischen Ungetüm von Spülbecken und dem Kühlschrank aufstellten. Leider gab es keinen Backofen, aber ich spendete kurzerhand meine eigene Mikrowelle, die ich höchst selten brauchte. Im Lager des Cafés entdeckten wir außerdem noch eine originalverpackte Doppelkochplatte, auf der wir aus lauter Verzweiflung jeden Abend Glühwein erhitzten, während wir unsere To-do-Liste abarbeiteten. Sie schien kein Ende zu nehmen.

Lenne sorgte für einen Lichtblick, indem er am fünften Tag unserer Operation »Hofapartment« einen kleinen Elektrokamin anschleppte, der in der Waschküche sofort eine heimelige Atmosphäre schuf. Andächtig standen wir zu dritt davor und genossen das künstliche Kaminfeuer, bis Lenne, der sich prüfend umgeschaut hatte, in aller Unschuld fragte: »Und wo schläft er?«

»Scheiße«, entfuhr es mir, doch Wilko zuckte bloß mit den Achseln.

»Er kann sich ja das Sofa ausziehen.«

»Vergiss es«, widersprach ich energisch. »Er braucht ein vernünftiges Bett. Sonst schreibt er uns am Ende doch noch eine miese Bewertung, weil er eine Woche lang schlecht geschlafen hat.«

»Und wo willst du so schnell eins hernehmen?«, maulte Wilko unlustig.

Gute Frage.

Lenne blickte ihn durch seine blonden Ponyfransen nachdenklich an. »Wir haben im Moment jede Menge Paletten im Firmenlager und wissen bald nicht mehr, wohin damit. Davon kann ich bestimmt welche bekommen. Wenn du morgen deinen Akkuschrauber mitbringst, bauen wir fix ein Doppelbett zusammen. Dann könnt ihr hier auch mal zwei Personen unterbringen.«

»Lenne«, ich trat auf ihn zu und griff nach seiner Hand, »habe ich dir schon gesagt, dass ich dich liebe?«

»Ihh«, riefen er und Wilko wie aus einem Mund. Blitzschnell wich Lenne vor mir zurück und versteckte beide Hände hinter dem Rücken. Er schaute so entsetzt drein, dass ich lachen musste.

»Wie einen Bruder natürlich, du Blödi!« Ich verpasste ihm einen Schubs. Was für ein Freak er doch war!

Zu unserem Hofcafé gehörte ein Lieferwagen, den Esther und ich auch privat fuhren. Er hatte uns schon oft gute Dienste geleistet, so wie jetzt, wo es galt, zehn Europaletten zu transportieren.

Zu dritt hievten wir die Ungetüme aus dem Auto und schleppten sie in die Waschküche. Während ich raue Stellen im Holz sorgfältig mit Schleifpapier glättete und Filzgleiter als Bodenschutz anbrachte, begannen die Jungs die Paletten zusammenzuschrauben.

Wir hatten die hintere linke Ecke der Waschküche als Schlafbereich auserkoren. Eine Holzbank und eine wuchtige alte Kommode würden vorerst als Ablagefläche und Kleiderschrankersatz dienen. Beide Möbelstücke hatten bislang in dem Gang gestanden, der an Esthers Wohnung und unserem Büro vorbei zur Waschküche führte. Glücklicherweise trennte eine Zwischentür mit Sprossenfensterchen unseren Eingangsbereich vom Rest des Flurs, sodass unser Gast von unfreiwilligem Familienanschluss verschont blieb.

Das war der Vorteil, wenn man in einem riesigen alten Gulfhof lebte, der seit mehreren Generationen in Familienbesitz war – es gab immer genug Platz und ausreichend Mobiliar, das jahrelang ungenutzt herumstehen mochte, am Ende aber doch wieder gebraucht wurde.

Als wir kurz vor Mitternacht das Bett fertig aufgebaut und das Ungetüm von Kommode an seinen vorgesehenen Platz geschleppt hatten, waren wir schweißgebadet und vollkommen erledigt.

Die »Schlafecke« konnte sich definitiv sehen lassen. Ich versuchte, nicht daran zu denken, was uns allein die neue Matratze gekostet hatte, ganz abgesehen von dem nötigen Zubehör wie Bettzeug und Schonbezügen. Stattdessen tröstete ich mich mit der Gewissheit, dass wir die ungeplanten Ausgaben mit ein paar Vermietungen rasch wieder hereinholen würden.

»Okay, sieht so aus, als wären wir hier fertig.« Ich drehte mich einmal um mich selbst und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Für einen Moment sah ich alles verschwommen. Wahrscheinlich wäre ich umgekippt, wenn Wilko mich nicht festgehalten hätte. Ich war einfach am Ende meiner Kräfte. Die Woche im Café war anstrengend gewesen, weil wir unter Hochdruck Weihnachtsvorbereitungen getroffen hatten, und abends hatte ich mich noch beim Renovieren verausgabt. Viel Zeit zum Erholen war mir zwischendurch nicht geblieben.

»Ich werde morgen alles sauber machen und fertig dekorieren. Dann kann unser Werbetexter übermorgen einziehen. Falls euch noch etwas einfällt, das wir vergessen haben …«

Die beiden Männer schüttelten stumm die Köpfe. Sie waren ganz offensichtlich nicht weniger geschlaucht als ich.

»Am liebsten würde ich das Bett und die Kommode noch weiß streichen, aber das kriege ich zeitlich nicht mehr hin.«

»Dann machst du das eben vor der nächsten Anreise«, brummte Wilko und bugsierte mich am Ellbogen in Richtung Tür. »Schluss für heute, wir müssen jetzt alle ins Bett.«

Nachdem ich rund fünf Stunden wie eine Tote geschlafen hatte, war ich zwar nicht gerade topfit, aber die Welt sah immerhin wieder rosiger aus. Ich backte Kuchen, kümmerte mich um hungrige Gäste und nutzte die übliche Flaute im Café am frühen Nachmittag, um im Hofapartment – ich hatte mir die strenge Anweisung erteilt, es nicht mehr »Waschküche« zu nennen – abschließend Hand anzulegen. Ich wischte Staub, verteilte kuschelige Accessoires und hängte ein paar Bilder auf in der Hoffnung, dem großen Raum damit einen Anstrich von Behaglichkeit zu verleihen. Mit großer Sorgfalt hatte ich einige wenige Dekostücke aus meiner Wohnung zusammengesucht, hauptsächlich Muscheln und hübsch geformte Steine. Auf den großen Esstisch stellte ich eine schlichte Vase mit winterlichen Schnittblumen, die ich aus dem Café hatte mitgehen lassen, und daneben gut sichtbar eine Flasche biologisch produzierten Rotwein. Nein, normalerweise legte ich mich nicht so für unsere Feriengäste ins Zeug, aber ich wollte um jeden Preis verhindern, dass »der Texter«, wie ich ihn bei mir nannte, etwas an der Unterkunft auszusetzen fand – nicht nach all der Mühe, die wir uns damit gemacht hatten.

Als ich schließlich fertig war und mein, nein, unser Werk ein letztes Mal von der Tür aus in Augenschein nahm, war ich vorsichtig optimistisch, dass alles gut werden würde. Auch wenn die hartnäckige kleine Stimme in meinem Kopf mir einzuflüstern versuchte, dass das Apartment zwar einen durchaus gemütlichen Eindruck vermittelte, letzten Endes aber immer noch aussah wie eine Waschküche.

Na, wenn schon, dachte ich tapfer, dann ist es zumindest eine stylishe Waschküche!

3

Der 23. Dezember würde auch in diesem Jahr kein Zuckerschlecken werden. Das wusste ich aus Erfahrung. Da er obendrein auf einen Samstag fiel, hatten wir noch die beiden Anreisen von Veronika und ihrem Bernd sowie Herrn Weiler zu bewältigen. Ich betete, dass bis dahin der größte Ansturm im Café vorüber sein würde.

Viele unserer Stammgäste nutzten nämlich den Tag vor Heiligabend, um einen kleinen Imbiss einzunehmen und uns frohe Weihnachten zu wünschen. Darüber hinaus erstanden die meisten von ihnen noch eine Leckerei in Form von Kuchen oder Dessert für die Feiertage. Der Dauerbrenner zu Weihnachten war meine Ostfriesentorte mit reichlich Sahne und in Branntwein eingelegten Rosinen, natürlich komplett »veganisiert«. Bis zum späten Vormittag hatte ich ein halbes Dutzend Torten hergestellt, von denen vier vorbestellt worden waren. Als Alternative gab es Tiramisu zum Mitnehmen, das ich in einer riesigen Auflaufform zubereitet hatte. Es war sozusagen ein Zugeständnis an mein italienisches Erbe, auch wenn das außer meiner Mutter und mir niemand realisierte.

Esther und Finja kümmerten sich unterdessen ums Tagesgeschäft. Die Speisekarte hielten wir an diesem Tag, abgesehen vom üblichen Kuchenangebot, bewusst klein. Alles andere ließ sich mit unserem Drei-Frauen-Team einfach nicht stemmen.

Das Café war in einem L-förmigen Anbau untergebracht, der unmittelbar an unseren Gulfhof angrenzte. Früher waren in dem flachen Gebäude Schafe und Kälber gehalten worden, heute beherbergte es neben Lager, Küche und Verkaufstheke den Gastraum mit acht Tischen für kaffeedurstige Besucher. Außerdem gab es noch einen separaten Bereich mit weiteren Plätzen an einer langen Tafel, der für besondere Anlässe gemietet werden konnte.

Wir hatten innen alles in Weiß und zarten Pastelltönen eingerichtet, um für möglichst viel Helligkeit zu sorgen. Die kleinen Butzenfenster und alten Holzbalken waren weitgehend erhalten geblieben, ebenso die Lehmwände, die lediglich neu verputzt worden waren. Der urige Charme des ehemaligen Stalls kam bei den Gästen so gut an, dass es selten bei einem einzigen Besuch blieb.

In der warmen Jahreszeit öffneten wir zusätzlich unseren Hofgarten vor dem Café, eine große Wiese unter hohen Bäumen, auf der unsere fünf Schafe frei weiden durften. Das ersparte uns das Rasenmähen. Die meisten Besucher, besonders die Kinder, waren entzückt von den wolligen Gesellen, die Menschen kannten und nichts dagegen hatten, sich streicheln zu lassen. Sobald es ihnen zu viel wurde, spazierten sie von dannen. Platz zum Ausweichen gab es auf unserem Hof zum Glück reichlich.

Als ich die sechste Torte des Tages in den Kühlschrank verfrachtet hatte – drei waren bereits abgeholt worden –, fühlte ich mich schon wieder vollkommen erschöpft. Ich schwor mir, pünktlich Feierabend zu machen, komme, was wolle, und mich einfach nur um mich selbst zu kümmern. Mein Plan war, ein langes, geruhsames Bad zu nehmen, endlich mal wieder meine Beine zu rasieren und mich anschließend mit einem guten Buch ins Bett zu legen. Schließlich war Weihnachten, da war ein bisschen Self-Care wohl sogar den Arbeiterbienen gestattet, Himmel noch mal.

Doch zwischen mir und einem entspannten Abend standen noch ein paar Stunden im Café und nicht zuletzt die Urlaubsgäste, die heute anreisen würden.

Ich servierte einer vierköpfigen Familie mit zwei flachsblonden kleinen Jungen gerade »Curryvurst« mit Pommes frites, als die Tür aufging und ein Paar um die fünfzig die Gaststube betrat. Beide waren klein und stämmig und in nahezu identische bunte Freizeitanzüge aus Microfaser gehüllt. Veronika und Bernd, dachte ich sofort. Ein rascher Blick auf die Uhr an der Wand bestätigte mir, dass es bereits kurz nach drei war, was bedeutete, dass auch der Texter jede Minute eintreffen konnte. Wo war bloß die Zeit geblieben?

Die zwei Essener überschütteten mich mit einem fröhlichen Wortschwall, kaum dass ich mich ihnen vorgestellt hatte. Sie hörten auch nicht auf zu reden, während ich sie zu ihrem Ferienhaus geleitete, das ein kurzes Stück vom Hof entfernt direkt am Zufahrtsweg lag. Meine Großeltern hatten es als Altenteil gebaut und bewohnt, bis sie vor einigen Jahren kurz nacheinander verstorben waren. Nachdem das Haus dann eine Weile leer gestanden hatte, war Esther zu dem Entschluss gekommen, es an Urlaubsgäste zu vermieten. Ich hatte damals noch nicht bei ihr auf dem Hof gewohnt, sondern in Wilhelmshaven, wo ich für den lokalen Tourismusverband im Marketing tätig gewesen war.

Mir schwirrte ein wenig der Kopf, nachdem ich Veronika und Bernd in ihrem Domizil für die kommende Woche abgeliefert hatte. Ihr Ruhrpott-Dialekt war gewöhnungsbedürftig, und ich hatte bereits mehr über die beiden erfahren, als mir lieb war. Sie hatten innerhalb von zwanzig Minuten nahezu ihr gesamtes Leben vor mir ausgebreitet. Nebenbei hatten sie das Haus in Augenschein genommen, das Veronika wiederholt spitze Schreie des Entzückens entlockt hatte. Immerhin etwas.

Auf dem Rückweg ließ ich mir Zeit. Die Sonne schien, doch es war bitterkalt, das Gras auf den umliegenden Weiden und dem Deich silbrig gefroren. Bald würde es dunkel werden, und die Lichter des Cafés würden mit den Leuchtgirlanden am Haus und in den Bäumen um die Wette strahlen.

Als ich mich dem Gästeparkplatz näherte, stellte ich fest, dass der Nissan aus Essen Gesellschaft bekommen hatte, und zwar von einem goldgelben VW Beetle. Ein Mann mit schlanker Statur stieg gerade aus und klappte den Fahrersitz nach vorn. Sofort sprang ein hellbrauner Hund aus dem Wagen und schüttelte sich ausgiebig. Das mussten der Texter und sein vierbeiniger Gefährte sein. Puh! Ich bekam einfach keine Pause. Pflichtschuldig steuerte ich auf die beiden zu, um sie zu begrüßen.

Sobald ich vor ihnen stand, holte ich erst einmal Luft. Okay, vielleicht glotzte ich auch ein bisschen. David Weiler war groß, bestimmt um eins neunzig, und sah ziemlich … hm, cool aus. Wie ein Model aus dieser norddeutschen Bierwerbung, die jahrelang in verschiedenen Varianten im Fernsehen gelaufen war.

Seine vollen Haare schimmerten in einem rötlichen Goldton – erdbeerblond nannte man das wohl, aber sicher war ich mir nicht. Außerdem waren sie erstklassig geschnitten. Die Art von Frisur, die man wahrscheinlich nur bei einem angesagten Barbier in der Großstadt bekam: im Nacken kurz, auf dem Kopf und an den Seiten länger und lässig zurückgestrichen.

Prompt musste ich daran denken, dass ich seit Jahren nicht beim Friseur gewesen war. Meinen überlangen Seventies-Pony und die Spitzen meiner schwarzen Naturlocken bearbeitete ich normalerweise selbst mit der Schere, wenn ich es für nötig hielt. Mit einem perfekten Haarschnitt konnte ich also nicht aufwarten, eher mit einer ungebärdigen Zottelmähne à la Deichschaf. Aber warum, zum Teufel, spielte das überhaupt eine Rolle?

Vielleicht fühlte ich mich bloß ein bisschen unterprivilegiert in Gegenwart eines solchen Supermannes. Passend zu seiner Hugh-Grant-Frisur trug er einen kurzen, gepflegten Bart, der ihm eine Art modernen Wikingerlook verlieh. An seinem sommersprossigen Teint gemessen hatte er erstaunlich dunkle Wimpern, die seine hellen Augen betonten. Ich konnte nicht genau erkennen, ob sie blau oder grün waren, weil ich gegen die tief stehende Wintersonne anblinzeln musste. Auf jeden Fall waren sie von Lachfältchen umkränzt, was mir sein Gesicht sofort sympathisch machte. Es wirkte … gütig, auf schwer zu beschreibende Weise. Ich schätzte ihn auf Anfang, höchstens Mitte dreißig.

Nach kurzem Überlegen warf ich ihn aus der Kategorie »Hipster«, in die ich ihn gedanklich einsortiert hatte, wieder raus. Mein Gefühl sagte etwas anderes. Er trug zwar sichtlich hochwertige Klamotten, doch nichts übertrieben Stylishes – Jeans, robuste Halbschuhe und eine dick wattierte Jacke. Als er sich hinunterbeugte und leise mit dem Hund sprach, der sich hinter seinen langen Beinen zu verstecken versuchte, wurde mir klar, dass seine Sorge ganz sicher nicht seinem Outfit und noch weniger dem Eindruck galt, den er bei mir hinterließ.

Ich kannte mich mit Hunden nicht sonderlich gut aus, aber dieser hier schien aus irgendeinem Grund Angst vor mir zu haben. Es war ein relativ großes Tier, wenn auch noch ziemlich schlaksig und halbstark. Die aufrecht stehenden Ohren wirkten riesig an dem schmalen Kopf mit der langen Schnauze.

»Äh, Moin.« Ich fand, es war Zeit, mich dem Mann und seinem furchtsamen Hund vorzustellen. »Sie sind bestimmt Herr Weiler.«

Er hob den Kopf, und der Anflug eines Lächelns ließ die Fältchen um seine Augen stärker hervortreten. Das machte ihn attraktiver, als mir geheuer war.

»David reicht. So alt bin ich ja noch nicht.«

Ich musste über seine lapidare Feststellung grinsen. »Okay. Ich bin Antonia – Toni. Deine Vermieterin. Herzlich willkommen!«

Zum Glück ahnte unser neuer Gast nichts von meinen wirren Gedankengängen. Er drückte meine Hand mit festem Griff und wies dann auf den Hund, der mich aus angsterfüllten Augen musterte. »Das ist Elsa. Sie kommt aus schlechter Haltung und ist Fremden gegenüber noch sehr zurückhaltend. Daran arbeiten wir. Am besten versuchst du nicht, sie anzufassen.«

»Oh, das hatte ich nicht vor. Ich würde es auch blöd finden, wenn mich einfach jemand streichelt, den ich nicht kenne.« Ein bisschen unsicher zupfte ich an meinen nachlässig geflochtenen Zöpfen. Der Hund tat mir leid. Elsa – klingt fast wie Esther, überlegte ich.

Die Fältchen um Davids Augen vertieften sich noch, und aus dem angedeuteten Lächeln wurde ein breites Grinsen. Anscheinend fand er die Vorstellung mit dem Streicheln lustig. Makellose Zähne hatte er übrigens auch.

»Das wäre ziemlich unverschämt. Du kannst es ja wie Elsa machen und bellen, falls dir das je passiert.«

»Super Idee. Oder ich überspringe das Bellen und beiße gleich.«

»Das würde ich gern sehen.« Sein Lachen klang tief und angenehm in meinen Ohren.

Ehrlich gesagt hatte ich mir unsere erste Begegnung vollkommen anders vorgestellt. Ich war davon ausgegangen, katzbuckeln zu müssen, um die Sache mit der Ersatzunterkunft wiedergutzumachen. Stattdessen betrieben David und ich ganz ungezwungen Konversation, während wir mit Elsa zum Haus liefen. Ich fragte ihn, wie die Fahrt gewesen war, und er wollte wissen, wo er mit der Hündin spazieren gehen konnte, ohne dabei auf allzu viele Menschen zu treffen.

»Schau mal«, ich blieb stehen und deutete nach rechts, wo ein lückenhaft gepflasterter Wirtschaftsweg sich in der Ferne verlor, »dieser Weg ist mindestens zwei Kilometer lang und führt bloß an zwei Höfen vorbei. Rechts und links ist Grünland, ihr seid also völlig ungestört. Wenn ihr auf die Landstraße stoßt, halte dich immer rechts, dann kommt ihr am Deich entlang direkt zurück zu unserem Hof.«

Ha! Der erste Punkt ging an mich.

Allerdings nahte nun auch die Stunde der Wahrheit – wie würde unsere im Rekordtempo renovierte Waschküche bei dem Mann aus Köln ankommen? Wenn er auf elegant-unterkühlten Großstadt-Chic stand, hatten wir ein Problem.

Ich war mehr als nervös, während ich die Haustür aufschloss und David an Esthers Wohnung vorbei in Richtung Hofapartment lotste. Dabei redete ich ununterbrochen, wie zuvor Veronika und Bernd. Uff!

»Der Flur hinter der Zwischentür ist ganz allein dein Bereich. Niemand stört dich hier. Du teilst dir lediglich den Eingang mit meiner Mutter und mir. Sie wohnt im Erdgeschoss und ich oben, aber du wirst uns selten im Haus antreffen, haha. Meistens sind wir im Café und arbeiten. Du kannst auch einfach den direkten Zugang durch den Garten nehmen, wenn dir das lieber ist. Und hier, äh, ist schon mal dein Badezimmer. Nicht sehr groß, wie du siehst, aber es ist hoffentlich alles da, was du brauchst.«

Ich verstand selber nicht ganz, warum ich mir derart große Sorgen machte und der Sache so viel Bedeutung beimaß. Ein unzufriedener Gast und eine schlechte Bewertung wären unangenehm, ja, aber sie würden uns nicht umbringen. Wir lebten in einem äußerst beliebten Feriengebiet, wo Unterkünfte unmittelbar am Deich sich fast von selbst vermieteten. Und doch wollte ich Ärger und üble Nachrede um jeden Preis vermeiden. Unser kleines Team arbeitete hart, damit Café und Hausvermietung reibungslos funktionierten, und trotzdem blieb am Monatsende für Esther und mich nie viel übrig. Die Kosten allein für die Lebensmittel, die wir verarbeiteten, waren hoch, und auch der große alte Hof wollte unterhalten werden. Unter diesen Voraussetzungen fehlten mir einfach die Nerven für Stolpersteine, selbst wenn es davon in meinem Leben einen unerschöpflichen Vorrat zu geben schien.

David blickte mich freundlich an. Falls er sich fragte, warum ich plapperte wie ein Wasserfall, ließ er es sich nicht anmerken. »Es ist super, wirklich. Mehr brauche ich nicht.«

Ich brachte ein Lächeln zustande, dankbar, dass er mir eine Rettungsleine zuwarf. Dann trat ich ein paar Schritte nach rechts, um die Tür zur Waschküche – nein, zum Hofapartment – zu öffnen. Mit zitternder Hand schaltete ich das Licht ein. »Das ist unser Studio. Wie gesagt, es wurde bisher noch nicht vermietet, alles ist brandneu … also, das heißt, frisch renoviert. Wir sind gerade erst fertig geworden.«

Ich machte Platz, um ihn eintreten zu lassen. In diesem Augenblick hätte ich mich am liebsten umgedreht und wäre davongerannt, aber ich riss mich zusammen, lächelte eisern und blieb, wo ich war.

Mit Koffer und Rucksack bepackt, die ängstliche Elsa im Schlepptau, folgte David meiner unausgesprochenen Aufforderung. Ich beobachtete gespannt, wie er sich umschaute und seine Sachen neben dem Sofa abstellte. Als er das Bett aus Paletten entdeckte, stieß er einen leisen Pfiff aus.

Ich hatte mir große Mühe gegeben, die eilends zusammengezimmerte Schlafstätte mit ein paar extra Kissen und Decken gemütlich herzurichten. Das Kopfteil hatte ich sogar mit einer Lichterkette dekoriert.