Zimtsterne und Weihnachtswunder - Lurleen Kleinewig - E-Book

Zimtsterne und Weihnachtswunder E-Book

Lurleen Kleinewig

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine herzerwärmende Liebesgeschichte zur Weihnachtszeit – inklusive leckerer Rezepte! Weihnachten steht bevor, doch die Ostfriesin Svenna ist nicht in Festtagsstimmung: Ihre Mutter Anni, der die kultige Musikkneipe am Deich gehört hat, ist gestorben, ihr Vater hat ein Alkoholproblem und von ihrem Freund hat sie sich gerade getrennt. Keine guten Vorzeichen für ein paar besinnliche Tage. Da schneit plötzlich ihr alter Bekannter Tjado zur Tür herein. Mit selbst gebackenen Zimtsternen versüßt der fürsorgliche Kapitän Svenna nicht nur die Feiertage, sondern hat auch noch ein Weihnachtswunder in Sachen Liebe im Gepäck. Diese zauberhafte Novella zeigt: Weihnachtswunder gibt es doch!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 210

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zimtsterne und Weihnachtswunder

Die Autorin

Lurleen Kleinewig, geboren 1975 im niedersächsischen Langenhagen, ist seit ihrer Kindheit von Pferden fasziniert. Bereits als Teenagerin schrieb sie ihr erstes Manuskript für einen Roman, in dem sie ihre Leidenschaft für Irland zum Ausdruck brachte, die sie bis heute nicht losgelassen hat. Nach einem Studium der Germanistik und Anglistik wechselte sie zum Tourismus und bewarb jahrelang ihre Wahlheimat Ostfriesland als Feriengebiet. Sie blieb ihrer Liebe zum Lesen und Schreiben treu, betrieb einen Blog und veröffentlicht als Hobbyautorin regelmäßig Fachartikel in einem lokalen Tierschutzmagazin. Sie lebt heute mit sechs Katzen und einem Pferd in ihrem eigenen „Minihaus“ im Nordharz.

Das Buch

Weihnachten steht bevor, doch die Ostfriesin Svenna ist nicht in Festtagsstimmung: Ihre Mutter Anni, der die kultige Musikkneipe am Deich gehört hat, ist gestorben, ihr Vater hat ein Alkoholproblem und von ihrem Freund hat sie sich gerade getrennt. Keine guten Vorzeichen für ein paar besinnliche Tage. Da schneit plötzlich ihr alter Bekannter Tjado zur Tür herein. Mit selbst gebackenen Zimtsternen versüßt der fürsorgliche Kapitän Svenna nicht nur die Feiertage, sondern hat auch noch ein Weihnachtswunder in Sachen Liebe im Gepäck.

Lurleen Kleinewig

Zimtsterne und Weihnachtswunder

Eine Liebesgeschichte in Ostfriesland

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei ForeverForever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH,Berlin Oktober 2021 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com 

ISBN 978-3-95818-635-4

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Epilog

Rezepte

Leseprobe: Weihnachten im kleinen Laden am Strand

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Kapitel 1

Widmung

Für Pidi

Kapitel 1

Der Tag vor Heiligabend

Es war der dreiundzwanzigste Dezember. Ich saß im Auto und war auf dem Weg nach Hause an die ostfriesische Nordseeküste, wo meine Familie lebte. Oder besser gesagt die Menschen, die davon übrig geblieben waren. Die Uhr im Wagen zeigte neun Uhr dreizehn, ich hatte das Radio aufgedreht – keine Spotify-Playlist, da war ich altmodisch – und versuchte mir einzureden, dass Weihnachten wundervoll werden würde. Obwohl meine Mutter Anni im August gestorben war, mein Vater Ubbo ein chronisches Alkoholproblem hatte und mein Bruder Jon überwiegend in seiner eigenen kleinen Welt lebte.

Egal. Wir drei würden es uns schon gemütlich machen, dafür würde ich sorgen. Haha! Träum weiter, Svenna, widersprach eine spöttische Stimme in meinem Kopf. Ich musste ihr wohl oder übel recht geben. Eher grasten Elefanten auf Ostfrieslands Deichen, als dass uns ein harmonisches Fest bevorstand. In Wahrheit wusste ich ganz genau, was mich erwartete, aber ich wollte den Gedanken daran wenigstens für eine Weile verdrängen. Um mich abzulenken, probierte ich sämtliche Radiosender durch, bis ich endlich auf einen stieß, der Rockmusik spielte. Zufrieden lehnte ich mich zurück und sang laut den Refrain von Aerosmiths »Crazy« mit. Auf diese Weise brachte ich die rund zwei Stunden Fahrt hinter mich, wobei ich mir die ganze Zeit unschlüssig war, ob ich mich auf meine Ankunft freute oder mich vor ihr fürchtete. Es war eine ziemlich skurrile Mischung aus beidem, die dazu führte, dass mir kotzübel war, als ich endlich auf den Parkplatz neben »Annis Musikkneipe« einbog und den Motor abstellte. Ich musste dringend etwas essen. Der Viertelliter Kaffee, den ich mir an der Tankstelle geholt hatte, war so stark gewesen, dass ich wahrscheinlich noch um Mitternacht Herzstolpern haben würde.

In der kleinen Stadt hinter dem Deich kannten mich alle nur als Tochter von Anni. Der Anni, die annähernd vierzig Jahre lang Kneipenwirtin und eine lokale Berühmtheit gewesen war. Sogar über die Grenzen Ostfrieslands hinaus hatte man sie gekannt, sie und ihren kultigen Tanzschuppen, in dem insbesondere in den Siebzigern und Achtzigern viele angesagte Bands gespielt hatten. Doch dann, vor achtzehn Monaten, war der Krebs in ihr Leben eingedrungen und hatte es ihr schließlich genommen, im Alter von sechsundfünfzig Jahren. So oft ich mir das vor Augen hielt, so surreal blieb es für mich. Ich wusste nur, dass sie nicht mehr dort war, wo sie immer gewesen war, meine schöne blonde Mutter. Aber dass sie auf ewig fort sein sollte, konnte ich nicht glauben.

Ich stieß die Autotür auf und stieg aus. Draußen war es grässlich, kalt und feucht. Von Schnee keine Spur. Aber wir befanden uns schließlich in Ostfriesland. Schnee galt hier seit jeher als Mangelware. Über dem Deich hing der Seenebel wie ein schwerer grau-weißer Schleier, obwohl es bereits elf Uhr am Vormittag war. Ich holte meine Reisetasche aus dem Kofferraum und musste daran denken, dass Jon meinen erst wenige Jahre alten Golf jedes Mal, wenn ich nach Hause kam, als »Spießerkiste« verspottete. Einerseits war das natürlich Quatsch. Andererseits wirkte ein derart solider fahrbarer Untersatz tatsächlich wie der Inbegriff des Kleinbürgertums, wenn man aus einer Familie wie meiner stammte. »Unkonventionell« beschrieb sie ganz gut. Bei uns wurden Autos gefahren, bis sie auseinanderfielen.

Ich lief an dem flachen Gebäude vorbei, das die Kneipe beherbergte, die tagsüber geschlossen war. Mein Elternhaus stand unmittelbar daneben. Es machte einen düsteren und verlassenen Eindruck, die schmuddeligen Gardinen vor den Fenstern waren zugezogen. Auf der Straße war es totenstill. Ich merkte, wie meine Nerven zu flattern begannen. Wenn wenigstens die Sonne geschienen hätte, aber nein. Nach fast drei Monaten kam ich zum ersten Mal wieder nach Hause, und es herrschte das reinste Begräbniswetter. Niemand öffnete die Tür und hieß mich willkommen. Das fing ja gut an.

Ich lief um das Haus herum und stieß die Hintertür auf. Sie führte in einen schmalen Flur, der vollgestopft war mit Jacken, Schuhen, Gartengeräten und anderem zusammengewürfelten Kram. Wenigstens war es warm hier drinnen. Ich schloss die Tür hinter mir und ging mit der Tasche in der Hand in Richtung Küche, aus der leise Stimmen zu hören waren.

»Svenna, mien Tüüt! Wo geiht di dat?« Ubbo saß am Küchentisch und hatte eine Tasse Tee vor sich. Er wirkte höchst erfreut, mich zu sehen. Seine dünnen weißblonden Haare standen ihm zerzaust vom Kopf ab, die Augen waren gerötet und mit beeindruckenden Tränensäcken unterlegt. Er trug eine Art Hausanzug und Pantoffeln, die schon bessere Tage gesehen hatten. Als ich mich hinunterbeugte, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, roch ich … Alkohol. Er hatte sich irgendetwas Hochprozentiges in den Tee gekippt, dessen war ich mir sicher. Rum? Weinbrand? Ich konnte es nicht sofort zuordnen. Wie spät war es gleich? Auf jeden Fall noch nicht mal Mittag. Ich musste mit Jon reden.

»Hallo, Papa. Mir geht’s gut. Wie sieht es bei dir aus?« Unauffällig schaute ich mich in der Küche um und hörte meinem Vater nur mit halbem Ohr zu, während er mir fröhlich auf Platt von seinem Alltag erzählte. Es herrschte das gleiche Chaos wie immer, vielleicht noch eine Spur schlimmer als üblich. Oben an der Wand plärrte der kleine Flachbildfernseher, den Jon besorgt hatte, damit mein Vater seine geliebten morgendlichen Talkshows vom Küchentisch aus verfolgen konnte. Auf der abgeschabten, klebrigen Tischplatte lagen in wildem Durcheinander Zeitungen und Briefe, ein paar Weihnachtspostkarten, Kugelschreiber, Brillenetuis und eine angebrochene Kekspackung. Im Spülbecken und auf der Anrichte türmte sich schmutziges Geschirr, vor allem Ubbos benutzte Teetassen und unzählige Löffel. Den Fußboden nahm ich lieber gar nicht erst näher in Augenschein. Stattdessen fiel mein Blick auf den Tisch unter dem Fenster. Darauf stand der kleine künstliche Weihnachtsbaum, den meine Familie gefühlt seit einem Jahrhundert aufstellte, weil er so pflegeleicht war. Ein echter Baum wurde jedes Jahr erst kurz vor Weihnachten gekauft und in einer Ecke der Kneipe positioniert. Anni hatte stets Wert darauf gelegt, dass es ein Prachtexemplar war, das bis an die Decke reichte. Sie hatte das Schmücken grundsätzlich selbst übernommen und mit viel Liebe Kugeln, Lametta und Lichterketten an den Zweigen befestigt. Ich musste schlucken, als ich daran dachte. Ob Jon dieses Jahr wohl auch einen Baum besorgt hatte?

Ich fuhr zusammen, als mir unerwartet etwas Grünes um den Kopf flatterte, das scheinbar aus dem Nichts in der Küche erschienen war. Mein Bruder stolperte hinterher und schrie: »Achtung, die Geier sind heute auf Krawall gebürstet!«

Geier? Das grüne Etwas entpuppte sich als Wellensittich, der elegant auf dem Plastikbäumchen landete. Eine Sekunde später folgte ein blaues Exemplar, das seinen Kumpel mit einem aufgebrachten Zwitschern beiseiteschubste. Der grüne pampte zurück. Anscheinend hatten sie eine handfeste Auseinandersetzung darüber, wem der beste Platz auf dem Zweig zustand, oder vielleicht ging es auch um etwas ganz anderes. Ich war nicht gerade eine Expertin, was Wellensittiche betraf.

»Moin. Wo habt ihr die denn her?« Ich warf Jon einen strafenden Blick zu. Er schleppte einen überdimensionalen Vogelkäfig, den er neben dem Weihnachtsbaum auf den Tisch stellte. »Ich dachte, es wäre tierschutzwidrig, Wellensittiche in Käfigen zu halten. Die leben doch eigentlich in Schwärmen.«

Jon winkte ab. »Der Käfig steht immer offen. Sie gehen nur zum Schlafen rein, wenn überhaupt. Im Moment wollen sie am liebsten in der Küche sein. Wahrscheinlich, um mit uns Weihnachten zu feiern.« Zufrieden betrachtete er sein Werk, dann sah er mich an. »Ach so, Moin.«

»Aber warum denn Vögel?«, jammerte ich. »Die kacken doch das ganze Haus voll, wenn sie überall herumfliegen.«

»Musst du es vielleicht wegputzen?«, konterte Jon. »Na also. Hör auf zu meckern, es ist Weihnachten. Außerdem sind sie uns zugeflogen. Zumindest einer von ihnen.«

»Jo, so war dat«, bestätigte Ubbo in seiner gemütlichen Art. »Der grüne saß plötzlich draußen auf dem Fensterbrett, und es war doch schon kalt. Da habe ich ihn reingeholt. Jon hat dann im Tierheim angerufen, aber niemand hat ihn vermisst. Sie haben uns gefragt, ob wir ihn vielleicht behalten und noch einen dazunehmen wollen. Der blaue Vogel war im Tierheim nämlich ganz allein und sehr unglücklich. Also haben wir Ja gesagt.« Er griente mich spitzbübisch an.

Ich verdrehte innerlich die Augen. So war es schon immer gewesen. Zu Annis besten Zeiten hatten die Kneipe und das Wohnhaus oft deutlich mehr tierische als menschliche Bewohner beherbergt. Alles hilfebedürftige Getier, das da kreuchte und fleuchte, wurde von meiner Mutter gerettet und aufgenommen. Es konnte passieren, dass man lautstark von einem Papagei begrüßt wurde, wenn man die Kneipe betrat, oder dass einem beim Bierzapfen eine Katze um die Beine strich. Tagsüber, wenn alle Türen und Fenster offen standen, Anni das Lokal schrubbte und der halbe Ort ein und aus ging, um einen Schnack zu halten, steckte auch schon mal ein Pony den Kopf in den Schankraum.

In den vergangenen Jahren war es weniger geworden. Die Katzen und Pferde wurden in gute Hände abgegeben, die Weiden verpachtet. Als der alte Familienhund starb, sprach Anni sich gegen einen neuen aus, als hätte sie geahnt, dass sie sich nicht mehr um ihn würde kümmern können.

Ich ließ mich mit einem ergebenen Seufzer auf den nächsten Stuhl plumpsen und schnappte mir Ubbos Kekspackung. Frühstück würde ich hier sowieso nicht bekommen. Und selbst wenn, wäre ich nicht scharf darauf gewesen. Ubbo und Jon führten seit Annis Tod einen typischen Männerhaushalt und ernährten sich in erster Linie von pappigem Weißbrot, Dosenwurst und Fertiggerichten aus der Mikrowelle. Ihr Lieblingsgericht war Schnitzel mit Pommes vom Imbiss um die Ecke. Obst und Gemüse konsumierten sie nur im Notfall. Für mich stand bereits fest, dass ich morgen an Heiligabend das Weihnachtsessen kochen würde. Als Fitnesskauffrau, die ihr Geld mit Sportkursen und Ernährungsberatung verdiente, war ich vernarrt in gutes Essen aus frischen, möglichst pflanzlichen Zutaten. Ich hatte vor, den beiden vegane Rouladen mit Rotkohl und Kartoffeln vorzusetzen und ihnen zu verschweigen, dass das Gericht kein Fleisch enthielt. Aus Erfahrung wusste ich, dass sie den Unterschied nicht schmecken würden. Ich hatte sie in der Vergangenheit schon häufiger hinters Licht geführt. In dieser Hinsicht belog ich sie schamlos. Irgendjemand musste sich schließlich ab und zu um ihre Arterien kümmern.

Jon goss uns dreien frischen Tee ein und setzte sich neben mich. Ich versuchte, ihm mittels Zeichensprache unauffällig zu signalisieren, dass Ubbo sich anscheinend heimlich etwas in die Tasse gekippt hatte. Er verstand, schüttelte jedoch kaum merklich den Kopf. Nicht jetzt, hieß das.

Nachdem unsere Mutter gestorben war, hatte Jon seine Junggesellenbude ein paar Straßen weiter gekündigt und war wieder zu Hause eingezogen. Um die Kneipe hatte er sich schon allein gekümmert, seit Anni krankheitsbedingt nicht mehr dazu in der Lage gewesen war, und nun behielt er auch unseren Vater im Auge. Allem Anschein nach war es eine friedliche Koexistenz. Zumindest erweckten die beiden den Eindruck, gut miteinander auszukommen. Obwohl mein Elternhaus von außen nicht sonderlich groß wirkte, war es innen erstaunlich geräumig, wenn auch ziemlich verwinkelt. Jon hatte sich in der oberen Etage eingerichtet, wo er über ein eigenes Bad verfügte. Mein altes Kinderzimmer befand sich noch ein Stockwerk höher unter dem Dach. Wir hatten besprochen – vorerst ohne Ubbo einzuweihen –, dass wir im kommenden Jahr ein paar grundlegende Renovierungsarbeiten im Haus vornehmen wollten. Besonders die Elektrik war in die Jahre gekommen, und auch der Rest konnte eine Generalüberholung vertragen.

Nachdem ich ungefähr zehn Kekse verschlungen hatte, fühlte ich mich bereit für die Herausforderungen, die Weihnachten dieses Jahr so mit sich brachte.

»Okay.« Ich wandte mich an meinen Bruder, noch immer kauend. »Wie ist dieses Jahr der Plan? Müssen wir noch einen Baum für nebenan besorgen?«

Jon schüttelte den Kopf. »Das habe ich gestern schon gemacht. Nur schmücken musst du ihn noch, sowas kann ich nicht. Ich habe die Kartons mit dem Glitzerzeug schon aus dem Lager geholt.«

»Oh, super!« Ich war begeistert von seiner Umsicht. »Dann erledige ich das gleich. Morgen früh wollte ich hier noch ein bisschen klar Schiff machen«, das war eine nette Umschreibung für euren Saustall aufräumen, »und mich danach ums Essen kümmern. Wann willst du am ersten Feiertag öffnen?«

»Um einundzwanzig Uhr«, erwiderte Jon. »Da haben alle von der Fresserei genug und sind froh, wenn sie ein paar Stunden vor die Tür können.«

Der fünfundzwanzigste Dezember war traditionell der Tag, an dem man sich abends »bi Anni« traf. Das galt gleichermaßen für Einheimische wie auch für ehemalige Einheimische, die nur über die Feiertage nach Hause kamen. Es war die Gelegenheit, einmal im Jahr alte Freunde und Schulkameraden zu treffen, die sich in alle Winde verstreut hatten. Ich freute mich schon darauf. Es war der einzige Lichtblick an diesem ersten Weihnachtsfest ohne meine Mutter. Heiligabend würde schlimm genug werden, denn da blieb die Kneipe geschlossen, und wir mussten den Tag als Familie irgendwie herumbringen. Ich hatte beschlossen, einen Feierlikör – Eierlikör ohne Eier – zuzubereiten, der sogar Ubbo aus den Puschen haute. Anders würden wir das Ganze nicht überstehen.

Als Jon und ich ein paar Minuten später in die kalte, menschenleere Kneipe hinübergingen, bekam meine Laune einen gewaltigen Dämpfer. Der Baum, den Jon bereits in den Ständer gestellt hatte, war alles andere als ein Vorzeigeweihnachtsbaum. Eigentlich war er eher das Gegenteil – krumm und schief, mit dürren Ästen und ein bisschen kränklich. Er reichte mir gerade bis zum Kinn.

»Ist das ein Witz?«, fuhr ich meinen Bruder an. »Was sollen wir denn mit dem krüppeligen Ding? Den schmücke ich nicht. Von mir aus kannst du Feuerholz draus machen. Wir brauchen einen richtigen Baum!« Damit Anni sich nicht im Grab umdreht, wollte ich hinzufügen, biss mir aber gerade noch rechtzeitig auf die Zunge.

Jon starrte mich düster an. »Das war noch der beste, den sie hatten. Alles ausverkauft. Andere Leute feiern schließlich auch Weihnachten. Meinst du, ich klappere die ganze Stadt ab für so einen Scheißbaum? Das kannst du vergessen, dafür habe ich keine Zeit.«

Ich holte tief Luft und zwang mich zur Ruhe. »Jon. Lass uns noch mal losfahren, jetzt gleich. Ich komme mit. Wir finden schon noch was Vernünftiges. Aber dieses Teil hier geht gar nicht. Okay?«

»Nein, nicht okay«, äffte er mich nach. Er wurde langsam wütend. »Wenn du einen anderen Baum willst, dann besorg selbst einen. Ich habe noch ein paar andere Sachen am Hacken, um die ich mich kümmern muss. Du kommst aus deiner Schickimicki-Großstadt einfach hier reingeschneit und denkst, alle tanzen nach deiner Pfeife. Das kannst du knicken! Ich gehe wieder rüber.« Weg war er.

Scheiße. Einigermaßen ratlos zerrte ich an meinem Zopf und versuchte nachzudenken. Vielleicht hatte er recht, und ich war eine ekelhafte Tyrannin, aber was sollte ich denn tun? Anni hätte diesen Baum niemals gutgeheißen. Ich wollte mich nicht die ganze Zeit vor Scham winden müssen, wenn übermorgen der Laden voll war. Seit ich denken konnte, hatten unsere Besucher die prächtige, liebevoll geschmückte Tanne bewundert, die meine Mutter Jahr für Jahr aufgetrieben hatte, und egal, was es mich kostete, ich würde an dieser Tradition festhalten. Womöglich sollte ich Ubbo fragen, wo Anni die Bäume immer gekauft hatte. Es war zwar unwahrscheinlich, dass er es wusste, aber versuchen konnte ich es trotzdem. Letzten Endes blieb mir ohnehin nichts anderes übrig, als allein noch einmal loszufahren. Hoffentlich lieh Jon mir wenigstens seinen Kombi mit dem Anhänger, denn in den Golf würde ein Baum dieser Größe niemals passen.

»Hi, Svenna«, sagte eine angenehm tiefe Stimme hinter mir. »Brauchst du Hilfe?«

Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Bis eben hatte ich geglaubt, allein in der Kneipe zu sein. Vor mir stand ein Mann in Jeans und Steppjacke, der mir bekannt vorkam. Ich musste mir nur die Strickmütze wegdenken. Das war doch …

»Tjado!«, rief ich erfreut. »Wie cool! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen. Was machst du hier? Ich meine«, schob ich rasch hinterher, »du hast wahrscheinlich Weihnachtsurlaub, aber was treibt dich zu uns?«

Tjado lächelte, sodass sich viele kleine Fältchen um seine Augen bildeten. »Na ja, wie du schon sagst, wir haben uns lange nicht gesehen. Da dachte ich, ich schaue mal auf einen Sprung bei euch vorbei.« Sein Gesicht wurde ernst. »Das mit deiner Mutter tut mir leid. Ich habe kaum noch Kontakt zu irgendwem hier und es erst heute Morgen von meinem Vater erfahren. Sonst hätte ich zumindest angerufen.«

Es war so nett, dass er das sagte. Dankbar blickte ich ihn an. Die meisten meiner Freunde – oder nennen wir sie besser Bekannte – vermieden es, mit mir über Annis Tod zu sprechen, weil das Thema ihnen Unbehagen bereitete. Das war unschwer zu erkennen. Niemand schien zu begreifen, dass ich ab und an gern über sie geredet hätte. Sie war meine Mutter, und sie war noch nicht lange tot. Deshalb saugte ich jedes freundliche Wort über sie auf wie ein Schwamm.

Tjado war der Erste, der souverän mit der traurigen Situation umging, denn er sah mir ganz ruhig in die Augen und wartete darauf, dass ich ihm antwortete.

»Das ist wirklich sehr lieb von dir«, brachte ich schließlich hervor. Meine Kehle fühlte sich mit einem Mal an, als wäre sie zu eng. »Und auch, dass du extra hergekommen bist. Hat Ubbo dich reingelassen?«

Tjado nickte. »Er wusste sofort, wer ich bin. Hat sich sogar daran erinnert, dass ich auf See arbeite. Ich habe früher auch ziemlich oft bei euch rumgehangen, wenn ich so zurückdenke.«

Ich musste lächeln. »Das stimmt.«

Tjado war jemand, den ich eher zu meinem Bekannten- als zu meinem Freundeskreis gezählt hätte. Wir hatten früher die gleiche Schule besucht, aber er war zwei Klassen über mir gewesen. Er hatte lose zu der Clique gehört, die sich jedes Wochenende bei Anni getroffen hatte. Allerdings hatte er sich meist am Rand gehalten und eher sein eigenes Ding gemacht. Schon rein äußerlich hatte er sich von den anderen unterschieden. Er war der Einzige gewesen, der sein Haar schulterlang getragen und im Nacken zum Zopf zusammengebunden hatte. Das war bis heute so geblieben, wie ich mit leisem Schmunzeln feststellte, als er die Mütze abnahm. Seine krausen braunen Locken waren noch genauso lang wie früher.

In meiner Erinnerung hatte er immer ausgeleierte Strickpullis angehabt und war höflich-zurückhaltend, um nicht zu sagen scheu gewesen. Er hatte nur geredet, wenn man ihn angesprochen hatte, aber bei einigen wenigen Gelegenheiten waren wir ins Quatschen gekommen und hatten uns länger unterhalten. Seitdem wusste ich, dass er ein wirklich netter Kerl war, nur eben ziemlich still. Äußerlich hatte er sich kaum verändert. Er war groß und sehr schlank und strahlte eine Art friedliche Gelassenheit aus. Sein Gesicht wirkte allerdings nicht mehr so jungenhaft; es war kantiger geworden, erwachsen, was auch an dem Dreitagebart liegen mochte. Oder an den sympathischen Fältchen rund um seine blauen Augen.

»Bist du noch Kapitän?«, platzte ich heraus, weil es mir gerade einfiel. Tjado hatte sein Kapitänspatent etwa um die Zeit erhalten, als ich mit Stephan zusammengekommen war. Das lag über vier Jahre zurück, wie ich mit Schrecken feststellte. Ich wusste es deshalb so genau, weil Tjado mir während unseres alljährlichen Mittsommerfests davon erzählt hatte, an dem Stephan zum ersten Mal mit dabei gewesen war. Kurz darauf war er – Tjado, nicht Stephan – ziemlich abrupt von der Bildfläche verschwunden, was mir zu jenem Zeitpunkt nicht weiter zu denken gegeben hatte. Seltsam, denn die Svenna von heute hätte sein plötzliches Fernbleiben bestimmt hinterfragt. Damals war ich wie alle anderen einfach davon ausgegangen, dass er seine erste Anstellung in der neuen Position angetreten hatte. Außerdem war ich frisch verliebt gewesen und hatte andere Dinge im Kopf gehabt.

Aber mir war momentan nicht danach, mich an meinen Ex-Freund zu erinnern. Stephan »mit ph«, wie er nicht müde wurde zu betonen. Ürgh. Rasch verbannte ich ihn aus meinem Kopf und konzentrierte mich stattdessen auf das, was Tjado sagte.

»Natürlich. Ich komme gerade aus Bremerhaven. Eigentlich hätte ich schon eine ganze Weile Urlaub, aber ich musste kurzfristig für jemanden einspringen.«

»Liegt dein Schiff in Bremerhaven?«

»Jep. Das gute Timing ist eher Zufall, aber es kam mir sehr gelegen. Ich muss am zweiten Feiertag erst abends wieder an Bord sein.«

»Oh, das passt ja. Dann verbringst du Weihnachten bei deinem Vater?«

»Genau. Von meinen Geschwistern kommt diesmal keiner nach Hause.«

Als Tjado das sagte, fiel mir siedend heiß ein, dass auch er keine Mutter mehr hatte. Seine war gestorben, als er noch ein kleiner Junge gewesen war, doch ich erinnerte mich nicht mehr, unter welchen Umständen. Eske und Sierko, seine Geschwister, lebten schon ewig im Ausland. Tjados Vater hatte früher ebenfalls als Kapitän die Meere bereist, war aber bereits in Rente gegangen, soweit ich wusste. Er wohnte ziemlich zurückgezogen in einem kleinen Haus am Stadtrand. Ich hatte ihn vor Jahren ein- oder zweimal in Annis Gegenwart getroffen, und da war er nicht sehr gesprächig gewesen. Das stille, zurückhaltende Wesen hatte Tjado wohl von ihm geerbt.

Ich war zutiefst erstaunt, dass ich mich plötzlich an so vieles erinnerte. Am meisten beschäftigte mich der Tod von Tjados Mutter. Wie hatte ich das auch nur eine Sekunde lang vergessen können? Wenn einer wusste, wie es mir ging, dann er. Er hatte das Ganze einst selbst durchgemacht, wenn auch lange vor mir.

Wenn ich derart in Gedanken versunken war, führte meine Mimik anscheinend ein Eigenleben. Tjado fragte belustigt: »Svenna, was ist los? Als ich hier reingekommen bin, hast du gerade ganz verzweifelt die Tanne angestarrt, und jetzt guckst du, als hättest du ein Gespenst gesehen. Noch mal, kann ich dir irgendwie helfen?«

Das hast du schon, dachte ich. Dann scheuchte ich die Geister der Vergangenheit für den Moment zurück in ihre Geisterwelt und sagte das Erste, was mir in den Sinn kam: »Fährst du mit mir einen Weihnachtsbaum kaufen?«

Kapitel 2

Immer noch der dreiundzwanzigste Dezember

Es stellte sich heraus, dass Tjado sehr viel besser mit Jons sperrigem Anhänger umgehen konnte als ich. Aber was sollte man auch anderes erwarten von einem Mann, der es gewohnt war, gigantische Frachtschiffe zu steuern? Nachdem ich meinem noch immer brummeligen Bruder den Kombi abgeschwatzt hatte, setzte ich mich zunächst selbst hinters Lenkrad, aber Rückwärtsfahren mit Hänger war irgendwie nicht mein Ding. Genervt gab ich es schließlich auf und tauschte meinen Platz mit Tjado. Er setzte das Gespann so gekonnt zurück, als hätte er nie etwas anderes getan. Dass er kein Wort darüber verlor, dass ich es auch nach mehreren Versuchen nicht hinbekommen hatte, aus der engen Lücke auszuparken, rechnete ich ihm hoch an.

Während wir in Richtung Stadt fuhren und ich an der Heizung herumfummelte, wollte er wissen: »Hast du Stress mit deinem Bruder?«

»Weil er gerade so mies drauf war, meinst du? Na ja, bevor du aufgetaucht bist, habe ich ihm ins Gesicht gesagt, dass der Baum, den er für die Kneipe besorgt hat, der letzte Scheiß ist. War vielleicht nicht besonders nett von mir. Er hat eben kein Auge für so was. Meine Mutter hat sich sonst immer darum gekümmert.«

Tjado warf mir einen kurzen, mitfühlenden Blick zu. »Wir finden schon was Passendes.«