Sommerträume auf der kleinen Ostseeinsel - Lurleen Kleinewig - E-Book

Sommerträume auf der kleinen Ostseeinsel E-Book

Lurleen Kleinewig

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Beschreibung

GÜNSTIGER EINFÜHRUNGSPREIS. NUR FÜR KURZE ZEIT! Von Wellenrauschen und Inselliebe an der sommerlichen Ostseeküste Isa ist 38 und hat eigentlich alles, was sie zum Glücklichsein braucht: einen verlässlichen Partner, ein großes Haus und einen Job, der ihr alle Freiheiten lässt. Dennoch ist sie unglücklich und fühlt sich in ihrem eigenen Leben gefangen. Als ihre Tante, die auf der dänischen Ostseeinsel Fejø ein kleines Tierasyl betreibt, einen Unfall erleidet, springt Isa kurzerhand für sie ein. Auf Fejø trifft sie Menschen wieder, die sie aus den Augen verloren hatte. Und entdeckt Gefühle, die sie längst vergessen glaubte … 

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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© Piper Verlag GmbH, München 2025

Redaktion: Loreen Bauer

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München

Covermotiv: FinePic®, München

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Teil 1

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Teil 2

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Widmung

For H

Thank you for finding me. xxx

Teil 1

Kapitel 1

»Wir sehen uns dann am Freitag, mein Schatz. Ich rufe dich heute Abend an, sobald ich im Hotel bin.«

»Ja, ja«, brummte Isa und ärgerte sich im nächsten Moment über ihre Grantigkeit. Schließlich konnte Magnus nichts dafür, dass sie genervt war. Und das schon um sieben Uhr morgens!

»Was hast du gesagt?«

»Ach nichts. Fahr vorsichtig. Wir telefonieren nachher.«

Magnus, in Gedanken vermutlich schon halb bei seinem Kunden in München, drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund und zog winkend die Haustür hinter sich zu. Isa hob nicht mal die Hand.

»Und tschüss«, sagte sie aufsässig zu der geschlossenen Tür. Dann drehte sie sich um und ging in die Küche, um sich noch einen Kaffee zu machen. Theoretisch sollte sie sich jetzt in ihr Arbeitszimmer setzen und die Buchhaltung für den Surfshop ihres Bruders Dan erledigen, aber alles in ihr sträubte sich dagegen. Das passierte ihr nicht zum ersten Mal. In letzter Zeit war sie rastlos und unzufrieden und schaffte es einfach nicht, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Genau genommen konnte sie sich auf gar nichts konzentrieren.

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf die Tischplatte und starrte aus dem Fenster, den Pott mit frisch aufgebrühtem Kaffee neben sich. Draußen erwachte die Insel allmählich zum Leben. Es war ein traumhafter Morgen im Mai; die Natur zeigte sich in den schönsten Farben, die Vögel sangen aus voller Kehle, und sie selbst saß in ihrem großen, stillen Haus und fühlte sich von der Welt abgeschnitten. Isoliert. Beinahe wie lebendig begraben. Irgendetwas lief seit einer Weile verdammt schief, aber sie schaffte es nicht, den Finger darauf zu legen. Vielleicht traute sie sich auch bloß nicht.

Doch Isa wäre nicht Isa gewesen, wenn sie weiter trübselig herumgehockt und sich ihren düsteren Gedanken hingegeben hätte. Eines hatte sie immerhin schon herausgefunden, und zwar, dass Bewegung ihr dabei half, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Also würde sie sich jetzt aufs Fahrrad schwingen, ein paar Kilometer an der Küste entlangradeln und ihrer Schwägerin Liv im Surfshop einen Besuch abstatten. Mochte der Teufel ihre Buchhaltung holen!

Unterwegs würde sie beim Bäcker anhalten und frische Brötchen und Zimtschnecken besorgen, nach denen ihre Nichte Garnet ganz verrückt war. Natürlich hätte sie sich auch direkt bei Liv und Dan zum Frühstück einladen können, aber sie wollte die beiden nicht beunruhigen, indem sie an einem Montag zu so früher Stunde bei ihnen daheim auftauchte.

Mit einem Ruck erhob sie sich und marschierte ins Bad. Geduscht hatte sie gleich nach dem Aufstehen, um richtig wach zu werden. Jetzt steckte sie ihre langen blonden Haare am Hinterkopf zu einem festen Knoten zusammen und legte sorgfältig Make-up auf, inklusive des kirschroten Lippenstifts, von dem sie immer gleich fünf Stück auf einmal kaufte. Je mieser man sich fühlte, desto sorgfältiger musste man sich zurechtmachen – diesen Grundsatz hatte sie schon vor langer Zeit verinnerlicht. Es hatte weiß Gott Phasen in ihrem Leben gegeben, in denen sie buchstäblich durch die Hölle gegangen war. Durch die Urmutter aller Höllen, um genau zu sein. Isa fragte sich bisweilen, ob ihre depressiv-aggressiven Verstimmungen vielleicht das Resultat jener Jahre waren, in denen ihr Leben einem rauchenden Trümmerhaufen geglichen hatte, ohne den Hauch eines Hoffnungsschimmers am Horizont.

Die Haustür krachte hinter ihr ins Schloss. Sie zog den Reißverschluss ihrer Funktionsjacke bis unters Kinn und schwang sich auf das mintgrüne Tourenrad, das sie letztes Jahr gekauft hatte. An Tagen wie diesem war es Gold wert. Sie trat kräftig in die Pedale und hatte die Siedlung, in der Magnus und sie lebten, bald hinter sich gelassen. Ein Stück voraus sah sie die Ostsee in der Morgensonne blau aufleuchten. Als sie den Radweg erreichte, der direkt am Wasser entlangführte, atmete sie unwillkürlich auf. Mit dem Meer ganz nah zu ihrer Rechten fühlte sie sich auf schwer zu beschreibende Weise getröstet und in Sicherheit. So war es immer schon gewesen – die See war ihr Element, ihre Heimat und der Ort, an dem sie zu sich fand.

Ihr Eigentherapieversuch zeigte Erfolg. Als sie nach einer guten Stunde über ein Drittel der Insel umrundet und Fährlangens Südende erreicht hatte, wo sich der beliebte Badestrand befand, war sie fast wieder die alte, fröhliche, energiegeladene Isa Jespersen, die alle kannten. Aber eben nur fast. Während sie ihr Fahrrad im Hof von Dan surft abstellte und mit der Brötchentüte in der Hand die Hintertür aufstieß, pappten die klebrigen Reste ihrer schlechten Laune wie ein alter Kaugummi an ihrer Schuhsohle.

Hinter dem Verkaufstresen stand Liv, die Lebensgefährtin ihres jüngeren Bruders Dan, und tippte konzentriert etwas in das Kassensystem. Als Isa hereinkam, hob sie den Kopf, und ein erfreutes Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Hey! Du bist aber früh dran heute. Ich fahre gerade erst die Kasse hoch.«

»Ja, ich weiß.« Isa schwenkte die Brötchentüte. »Mir ist zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen, also habe ich mich aufs Rad geschwungen. Und uns gleich Frühstück mitgebracht.«

Liv musterte sie prüfend, und Isa konnte sehen, dass sie versuchte, sich einen Reim auf ihre Worte zu machen. Doch sie fragte nur: »Du bist mit dem Fahrrad hier?«

»Sí, señorita. Ich habe Bewegung gebraucht.«

Liv öffnete den Mund, um zu antworten, aber in dem Moment betrat Dan mit seiner Tochter Garnet den Verkaufsraum. Die beiden waren wie Isa durch die Hintertür gekommen, und Garnet krähte freudig, als sie ihre Tante entdeckte. »Iaa! Iaa!«

Sie streckte die Ärmchen aus, und Dan beugte sich ein wenig vor, sodass Isa die Kleine von seinen Schultern pflücken konnte.

»Was machst du denn so früh schon hier?«, wunderte auch er sich, doch Isa tat, als hätte sie ihn nicht gehört. Sie wirbelte Garnet herum, die vor Vergnügen quietschte.

Isa wäre es nie in den Sinn gekommen, sich selbst als mütterlichen Typ zu bezeichnen, doch ihre Nichte hatte ihr vom Tag ihrer Geburt an das Herz gestohlen. Jetzt, mit gut anderthalb Jahren, war sie das entzückendste Kind, das Isa je gesehen hatte. Ihre Kringellöckchen schimmerten rotgolden, und sie hatte Livs helle Augen geerbt, die mit vereinzelten braunen Sprenkeln versehen waren. Isa staunte immer wieder darüber, wie sehr sie beiden Elternteilen ähnelte, und konnte sich nicht sattsehen an ihr. Zwar liebte sie ihren kleinen Neffen Rune, den Sohn ihres jüngsten Bruders Ole, nicht weniger, aber zu Garnet hatte sie ein ganz besonderes Verhältnis.

Da Liv und Dan im ehemaligen Elternhaus der drei Jespersen-Geschwister gleich neben dem Surfshop lebten, hatten sie einen denkbar kurzen Weg zur Arbeit. Normalerweise schloss einer von ihnen morgens den Laden auf, während der andere Garnet und sich selbst in Ruhe für den Tag fertig machte. Liv hatte Isa einmal anvertraut, dass sie sich keinen besseren Weg vorstellen konnte, ihr Kind großzuziehen. Obwohl sie als Mutter am meisten Zeit mit Garnet verbrachte, hatte sie so regelmäßig den Morgen für sich und konnte kurz durchschnaufen. Dan war ein hingebungsvoller Vater, und Garnet und er lagen manchmal um acht Uhr noch im Bett und kuschelten oder spielten.

Isa fand es herrlich, dass die drei eine so entspannte Einheit bildeten, und gönnte insbesondere ihrem Bruder sein Glück von Herzen. Dennoch verspürte sie seit Neuestem hin und wieder einen Anflug von Neid auf diese perfekte Familienidylle, was völlig untypisch war für sie, zumal sie sich nie ernsthaft Kinder gewünscht hatte. Je öfter sie jedoch darüber nachdachte, desto besser glaubte sie zu verstehen, warum sie so reagierte: Liv und Dan hatten einander und ihren Platz im Leben gefunden. Genau danach sehnte sich auch Isa. Allerdings hatte sie das Gefühl, als sei sie von diesem Ziel nie weiter entfernt gewesen, und das mit achtunddreißig!

Der Gedanke schmeckte bitter, und sie bemühte sich jedes Mal, ihn beiseitezuschieben und zu einer positiveren Einstellung zu finden.

Mit Garnet auf ihrer Hüfte schlüpfte sie in die schmale Küche hinter dem Verkaufsraum, um nachzusehen, was der Kühlschrank hergab. Rasch baute sie ein kleines Frühstücksbüfett aus Brötchen, Margarine, Marmelade und pflanzlichem Käse auf und kochte Kaffee, während ihre Nichte auf der Anrichte saß und genüsslich an einer Zimtschnecke nagte.

Liv, die ihren Platz an der Kasse Dan überlassen hatte, gesellte sich zu ihnen.

»Sag mal«, fragte sie vorsichtig, »brauchst du eventuell so was wie einen Mädelsabend? Nur du und ich und unser Freund, der Sekt?«

Isa hielt beim Apfelschälen inne und starrte sie an.

»Ja«, erwiderte sie langsam, »ja, ich glaube, das ist eine super Idee. Magnus ist mal wieder die ganze Woche auf Geschäftsreise, ich habe also alle Zeit der Welt.«

»Na, dann sollten wir uns gleich heute Abend treffen. Bei dir oder mir?«

»Auf keinen Fall bei mir. Ich komme zu euch«, sagte Isa mit mehr Vehemenz als nötig. Liv zog die Augenbrauen hoch.

»Aber was ist mit dem Schätzchen hier? Sollen wir ihr leckere Blubberbrause besorgen und sie bei den großen Mädchen mitspielen lassen?« Isa drückte Garnet einen liebevollen Kuss aufs Köpfchen.

»Ach, ich verfrachte Dan mit ihr ins Loft, da können sie eine Pyjamaparty mit Garnets Kuscheltieren und Bilderbüchern veranstalten. Wie ich Dan kenne, pennt er sogar eher als das Kind.« Liv kicherte.

Isas Laune stieg spürbar. »Okay, dann haben wir ja quasi sturmfreie Bude. Fantastisch! Ich bringe uns ein paar Schweinereien zum Knabbern mit, so als Grundlage für den Sekt. Aber jetzt lass uns erst mal frühstücken.«

Sie drückte Liv eine volle Kaffeetasse in die Hand. »Nachher will ich euch noch die Website eines Start-ups zeigen, das traumhaft schöne Beachwear verkauft. Ich würde dort gern ein paar Teile zur Probe bestellen. Danach werde ich wohl oder übel zurückradeln. Ich bin vorhin einfach abgehauen, aber irgendwann muss ich mich an die Buchhaltung setzen, ob es mir passt oder nicht. Der Monatsabschluss ist schon wieder fällig.«

Liv blickte sie teilnahmsvoll an. »Isa, du bist nicht verpflichtet, dich ständig damit herumzuschlagen, das weißt du. Wir können das Ganze auch einem Steuerberater übergeben.«

»Nichts da!« Isa grinste, wenn auch ein bisschen schief. »Irgendeine Daseinsberechtigung brauche ich ja auch, oder? Jetzt guck nicht so entsetzt. Hier, iss eine Zimtschnecke, bevor Garnet sie alle angesabbert hat.«

Als Isa am gleichen Abend das frühere Wohnhaus ihrer Eltern betrat, hörte sie schon auf der Treppe Hundegebell, gepaart mit Garnets ausgelassenem Gegacker und Dans tiefem Lachen. Vorsichtig steckte sie den Kopf durch die Wohnungstür und stellte fest, dass sie mitten in einer Reitstunde gelandet war. Dan galoppierte donnernd durch den Flur, und Garnet thronte hoch oben auf seinen Schultern und strahlte über das ganze Gesicht. Livs Terriermischling BC sprang um die beiden herum und bellte aus Leibeskräften. Frites, eine der beiden getigerten Familienkatzen, hockte auf der Kommode und warf dem Hund verächtliche Blicke zu. Offenbar war der Krach ihr zuwider, doch um nichts zu verpassen, blieb sie, wo sie war. Ihre Schwester Pommes ließ sich indes nicht blicken. Wahrscheinlich beobachtete sie das Ganze aus einem sicheren Versteck heraus.

»Heilige Sch…!« Isa streifte ihre Chelsea-Boots von den Füßen und kickte sie achtlos beiseite. »Hier geht’s ja zu wie … äh, wie in einer Reithalle. Einer sehr lauten Reithalle allerdings.« Sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

Dan stoppte vor ihr und grinste sie an, sichtlich erhitzt und bester Laune.

»Du schon wieder. Willst du mitmachen? Wir brauchen noch einen Stallknecht, der meine Pferdeäpfel wegräumt.« Sprach’s und verschwand mit der juchzenden Garnet, die bereits ihren Schlafanzug trug, im Loft zu ihrer Rechten.

BC blieb bei Isa stehen und schnüffelte interessiert an ihrem Hosenbein. Sie kniete sich zu ihm auf den Boden und streichelte sein schnauzbärtiges Gesichtchen. »Na, mein Süßer, und wie geht’s dir so? Erträgst du den Wahnsinn?«

BC, der eigentlich Bradley Cooper hieß, leckte eifrig ihre Hand und wedelte dabei mit dem Schwanz. Isa und er waren schon lange gute Freunde.

In dem Moment streckte Liv den Kopf aus der Küche. »Hey, da bist du ja! Komm rein. Ich habe zwei Flaschen Sekt kalt gestellt, und was zu essen gibt es auch.«

Isa erhob sich und tappte auf Socken in die helle, urgemütliche Wohnküche, in der sie schon so manchen Abend zusammengesessen und bis in die Puppen gequatscht hatten. Nichts erinnerte mehr daran, wie es hier früher einmal ausgesehen hatte, und Isa war nicht unglücklich darüber. Ihre Eltern waren vor etlichen Jahren kurz nacheinander unter tragischen Umständen ums Leben gekommen, und obwohl ihre Brüder und sie das Haus später radikal umgestalteten, hatte außer ihr niemand darin wohnen wollen. Die große Wohnung im Obergeschoss wurde vermietet, während Dan und Ole bis heute einen Teil der Räume im Erdgeschoss als Lager nutzten.

Isa hatte eine Weile allein in dem kleinen Loft mit Meerblick gegenüber der vermieteten Oberwohnung gelebt, ehe sie zu Magnus gezogen war. Und dann war vor gut drei Jahren Liv aufgetaucht, um bei Dan surft als Verkäuferin zu arbeiten. Sie hatte das leer stehende Loft übernommen, und Dan und sie hatten sich ineinander verliebt. Der Rest war Geschichte.

Isa warf einen neugierigen Blick auf die Anrichte. »Gute Frau, hast du etwa noch gebacken? Ich habe doch gesagt, dass ich ein bisschen Schweinkram mitbringe. Du sollst dir keine Umstände machen.«

Liv winkte ab und stellte Wasser- und Sektgläser auf den Tisch. »Ach, ich habe nur schnell ein paar gefüllte Blätterteigröllchen in den Ofen geschoben, das ging ruckzuck. Garnet und Dan haben allerdings schon die Hälfte verdrückt. Was, bitte, verstehst du unter Schweinkram?«

Isa schwenkte den prall gefüllten Jutebeutel in ihrer Hand und grinste. »Antipasti, verschiedene Dips und Pizzabrötchen zum Aufbacken. Als Nachtisch Apfelstrudel, wenn uns danach ist.«

»O Mann. Morgen früh kann Dan uns die Treppe runterrollen! Na los, pack das Zeug schon aus. Heute geben wir uns die volle Dröhnung.«

Ein paar Minuten später saßen sie kichernd am Küchentisch, BC zu ihren Füßen. Sie tranken gekühlten Fruchtsekt aus langstieligen Gläsern, in denen statt Eiswürfeln tiefgefrorene Erdbeeren schwammen. Liv, die Garnet erst seit Kurzem nicht mehr stillte, hatte das süße Zeug zu ihrem neuen Lieblingsgetränk für den Sommer auserkoren, obwohl es gerade mal Mitte Mai war.

»Okay …« Liv reckte den Hals, als wollte sie sichergehen, dass Dan sich mit Garnet ins Loft zurückgezogen hatte und niemand sie hören konnte. »Ich falle direkt mit der Tür ins Haus. Was ist los mit dir, Isa? Das will ich dich schon seit Wochen fragen, aber es hat sich nie eine Gelegenheit ergeben.«

Isa verging schlagartig das Lachen. Sie stellte ihr Sektglas zurück auf den Tisch, legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Sie hatte mit einem Verhör gerechnet, denn Liv war kein Mensch, der sich etwas vormachen ließ. Genau genommen war sie die beste Freundin, die sie hatte, und deshalb würde sie sich nicht mit fadenscheinigen Ausflüchten zufriedengeben. Obwohl Isa das alles wusste, überforderte Livs simple Frage sie restlos.

»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte sie schließlich, während sie den Blick zur Abwechslung auf ihr Glas richtete. »Ich weiß es verdammt noch mal nicht genau.«

Liv überlegte eine Weile.

»Weißt du es nicht, oder willst du es nicht aussprechen?« Sie wartete, doch als die Sekunden verstrichen und klar wurde, dass Isa nicht antworten würde, änderte sie kurzerhand ihre Taktik. »Egal, vergiss es. Dann erzähl mir doch einfach von den Dingen, von denen du glaubst, dass sie mit dem zu tun haben könnten, was nicht stimmt.«

Jetzt endlich schaute Isa sie an, wohl wissend, dass ihr Gesicht ihre Hilflosigkeit widerspiegelte. »Es ist so bescheuert, Liv. Ich meine, ich habe eigentlich überhaupt keinen Grund, mich schlecht zu fühlen. Im Gegenteil. Ich habe alles, was das Herz begehrt: einen anständigen Mann, ein großes Haus und einen Job, in dem ich meine eigene Herrin bin. Das Ganze auf einer wunderschönen Insel, auf der ich fast mein ganzes Leben verbracht habe. Ich habe mir das selbst aufgebaut, weil ich es so wollte. Und jetzt fühlt sich das alles … falsch an. Na ja, vielleicht nicht alles, aber zumindest einiges davon.«

Liv lehnte sich zurück und holte tief Luft. Dann griff sie nach ihrem Glas und trank es in einem Zug halb leer. Isa konnte es ihr nicht verdenken. Natürlich war sie sich bewusst, was für einen Brocken sie ihr da hingeworfen hatte. Doch sie hatten sich getroffen, um zu reden, und nichts anderes tat sie jetzt. Es hatte keinen Sinn, mit alledem noch länger hinter dem Berg zu halten und weiterhin zu versuchen, ihre Probleme auf eigene Faust in den Griff zu bekommen.

Isa hatte am Nachmittag, als sie mehr schlecht als recht den Monatsabschluss für das Finanzamt zusammengebastelt hatte, in einem kurzen Moment der Klarheit blitzartig begriffen, dass sie in einer Sackgasse steckte, aus der sie allein nicht mehr herausfand. Selbst wenn Liv ihr keine Lösungen liefern konnte – und wie sollte sie –, so hatte sie sich immerhin endlich jemandem anvertraut, der ihr nahestand. Der erste Schritt war getan. Isa wusste bloß nicht, ob sie das irgendwie weiterbrachte.

»Weißt du«, fuhr sie fort und merkte plötzlich, wie gut es tat, Liv ihr Herz auszuschütten, »erst dachte ich, es wäre bloß so eine Art Midlife-Crisis. Ich bin achtunddreißig, warum soll es das nur bei Männern geben? Aber so einfach ist es nicht.«

»Das ist es nie«, murmelte Liv. Sie sah Isa aus ihren hellen Augen fragend an. »Was wirst du tun?«

»Keine Ahnung. Ich begreife gerade erst, dass ich etwas tun muss. Oder vielmehr etwas ändern. So kann ich nicht weitermachen. Dabei war ich immer der Meinung, ich hätte eine Menge erreicht und mein Leben im Griff.«

»Vor allem hast du gut funktioniert«, warf Liv trocken ein. »Zumindest in den letzten Jahren. Du hast dich um alles und jeden gekümmert, besonders um deine Brüder. Vielleicht hast du dich selbst dabei ein bisschen aus den Augen verloren. Oder deine wahren Bedürfnisse.«

Isa starrte sie entsetzt an. Livs Worte rührten an einer Wahrheit, die so schnörkellos offensichtlich war, dass ihr ganz schlecht wurde.

»Soweit ich weiß, hast du dir nie Hilfe gesucht, nachdem das mit deinen Eltern passiert war, richtig?« Livs Stimme klang sehr sanft. »Dan hat mir mal erzählt, dass die Therapie, die er gemacht hat, nachdem er mit den Drogen durch war, ihm den Verstand gerettet hat. Glaubst du, es ist möglicherweise an der Zeit, dass du auch nach einem Therapeuten Ausschau hältst?«

Isa schnaubte und winkte ab. Zumindest in dieser Hinsicht war sie sich bombensicher. »Nein, ganz bestimmt nicht. Ich brauche nur ein neues Leben … Oder, um es weniger dramatisch auszudrücken, eine Veränderung. Was auch immer das konkret bedeutet.«

Sie legten eine Verschnaufpause ein, weil Liv dringend pinkeln musste und Isa den Apfelstrudel in den Ofen schieben wollte. Ihr war plötzlich nach etwas Süßem. Die Antipasti und Blätterteigteilchen hatten sie in ihrem Redeeifer kaum angerührt.

Als sie wieder zusammen am Tisch saßen und Liv ihnen Sekt nachschenkte, stützte Isa den Kopf in die Hände und stieß einen verzweifelten Seufzer aus. Sie hatte zu dem Thema wesentlich mehr zu sagen, als sie vermutet hätte, und jetzt, da der Knoten geplatzt war, schien sie mit dem Beichten gar nicht mehr aufhören zu können.

»Du kennst mich, Liv. Wo ich bin, ist immer was los. Ich mag es laut und chaotisch und ein bisschen drüber. Dann bin ich in meinem Element. Am liebsten hätte ich einen alten Hof mit mehreren Hunden, wo ständig jemand spontan vorbeischaut. Familie, Freunde, wer gerade Lust hat.« Sie lachte leise und kein bisschen fröhlich. »Stattdessen lebe ich in diesem großen, sterilen Haus, in das sich auf keinen Fall ein Stäubchen oder Tierhaar verirren darf, weil mein Lebensgefährte eine wandelnde Allergie ist. Ich werde in tausend Jahren keinen Hund halten können. Manchmal ist es so still bei uns daheim, dass ich mich vor meinen eigenen Schritten erschrecke. Magnus ist in jedem Monat gefühlt dreieinhalb Wochen auf Dienstreise. Wenn er zu Hause ist, will er am liebsten nur lesen oder Nickerchen halten. Vergiss die schrillen Partys oder gemeinsame Abenteuer. An manchen Tagen fühle ich mich wie achtzig und lebendig begraben. Als wäre mein Leben schon vorbei.«

Sie verstummte, als sie Livs alarmierten Blick bemerkte. Es tat ihr leid, ihre Freundin dermaßen mit ihrem Kummer zu überrollen, aber die Worte sprudelten aus ihr hervor wie Wasser aus einem geborstenen Damm. Sie konnte sie nicht zurückstopfen und den Riss verschließen – dafür war es zu spät.

Liv wandte die Augen nicht von ihr ab. »Sei ehrlich, Isa. Wenn ich das, was du mir gerade erzählt hast, auf seine Essenz runterbreche, dann hört es sich an, als wäre Magnus das Problem. Oder vielmehr eure Beziehung. Ist es so?«

»Magnus ist kein Problem.« Isa krümmte sich. »Ich will so was nicht mal denken. Es liegt an mir. Er ist ein durch und durch guter Mensch, ein großartiger Mann. Er – er hat mich damals gerettet. Als meine Eltern gestorben sind und wir Dan so lange nicht ausfindig machen konnten, war er für mich da. Erst nur als Freund, bevor aus uns … mehr wurde. Dafür bin ich ihm immer noch unendlich dankbar.«

»Dankbarkeit ist aber keine Liebe, Isa. Verwechsle das nicht.« Liv sprach leise, aber sehr nachdrücklich.

Isa drehte den Kopf zur Seite und starrte aus dem Fenster. Es tat weh, das zu hören, denn sie musste in Betracht ziehen, dass Livs Worte der Wahrheit entsprachen.

»Ich bin ganz offen. Ich dachte immer, Magnus und du, ihr wärt das ultimative Traumpaar. Unzertrennlich und für die Ewigkeit miteinander verschweißt. Deswegen bin ich gerade mehr als überrascht. Aber gleichzeitig geht mir auf, wie naiv ich war, das zu glauben. Denn es ist ja sogar für mich offensichtlich, dass ihr zwei so unterschiedlich seid wie Feuer und Wasser. ›Gegensätze ziehen sich an‹ war deshalb mein Etikett für euch. Allerdings vielleicht nicht solche Gegensätze. Die erfordern wahrscheinlich eine Menge Kompromisse. Ich habe nicht genau hingeguckt.«

Isa schwieg, und auch Liv sagte eine Weile nichts mehr. Als Isa schließlich wieder das Wort ergriff, schwang in ihrer Stimme ein sehnsuchtsvoller Unterton mit.

»Weißt du, Liv, wenn ich mitkriege, wie Dan dich manchmal ansieht und du ihn … Wie verliebt ihr ineinander seid … Dann könnte ich heulen. Und ich denke jedes Mal, das will ich auch. Genau das. Nicht ein Stück weniger.«

Über Livs ernstes Gesicht huschte ein Lächeln, und sie bekam diesen verträumten Blick, der Isa stets an ihr auffiel, wenn es um Dan oder Garnet ging.

»Ich habe so unglaubliches Glück gehabt, Isa. Dass ich deinen Bruder getroffen habe. Dan ist einfach das Beste, was mir je passiert ist. Mein Leben war ein totaler Trümmerhaufen. Manchmal kann ich immer noch nicht glauben, dass es diesen Mann wirklich gibt. Und Garnet. Ich habe angenommen, du wärst privat genauso happy wie ich. Wenn du es nicht bist – na ja, dann wirst du wohl nicht umhinkommen, gewisse … Korrekturen in deinem Leben vorzunehmen. Sonst gehst du verloren.«

Kapitel 2

Als Isa am folgenden Morgen mit schwerem Kopf aus den Federn kroch, wusste sie noch immer nicht, wie es nun weitergehen sollte. Sie hatte im Gästezimmer übernachtet, auf Livs altem Schlafsofa, das noch aus ihrer Anfangszeit auf der Insel stammte und herrlich bequem war. Liv und sie hatten bis halb zwei Uhr nachts geredet, mögliche Lösungsansätze diskutiert und wieder verworfen. Irgendwann waren sie zu müde und beschwipst gewesen, um noch klar denken zu können, sodass sie sich einfach die restlichen Antipasti einverleibt hatten und ins Bett gegangen waren. Manchmal gab es eben keine sofort verfügbare Antwort, schon gar nicht auf so knifflige Fragen.

Es war erst kurz nach sieben, als Isa auf bloßen Sohlen in die Küche tappte und dabei auf Dan stieß, der gerade den Frühstückstisch deckte. Er warf seiner Schwester einen amüsiert-spöttischen Blick zu.

»Morgen, Schnapsdrossel. Habt ihr euch die Kante gegeben? Ich kriege Liv nicht wach. Glücklicherweise hat Garnet heute auch keine Lust aufzustehen. Beide liegen noch in der Kiste und schlummern selig.«

Verstohlen musterte Isa ihren großen, gut aussehenden Bruder, der mit Geschirr und Aufbackbrötchen hantierte. Er wirkte trotz der frühen Stunde geradezu aufreizend heiter; ein leises Lächeln spielte um seine Augen. Nichts erinnerte mehr an den ernsten, verschlossenen Mann, der er noch vor ein paar Jahren gewesen war. Der sich niemandem mitgeteilt hatte und am liebsten für sich geblieben war. Manchmal konnte Isa es nicht fassen, wie sehr Dan sich verändert hatte, seit Liv auf der Bildfläche erschienen war. Sie wagte gar nicht daran zu denken, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn ihre Schwägerin nicht den Weg zu ihnen auf die Insel gefunden hätte. Das größte Geschenk für die beiden war Garnet gewesen, die sich ganz unverhofft angekündigt hatte, als Liv und Dan erst wenige Wochen zusammen gewesen waren. Im Stillen – und nicht zum ersten Mal – dankte Isa dem Universum für alles, was es für ihren Bruder bewerkstelligt hatte. Vielleicht war sie eines Tages ebenfalls an der Reihe, auch wenn es derzeit nicht danach aussah.

Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf die bequeme Sitzbank unter dem Fenster fallen. Sie seufzte in letzter Zeit erstaunlich viel, stellte sie fest. Dan schob ihr einen großen Henkelpott über den Tisch, den er bis unter den Rand mit Kaffee gefüllt hatte.

»O danke. Den brauche ich jetzt.« Isa griff nach dem Becher und nahm gierig einen Schluck, wobei sie sich prompt den Mund verbrannte.

Dan fasste sie genauer ins Auge. »Gibt’s Schwierigkeiten?«, fragte er unvermittelt und setzte sich Isa gegenüber. Er hielt ihr den Brötchenkorb hin, doch sie winkte ab.

»So würde ich es nicht direkt nennen«, erwiderte sie ausweichend. »Es sind nur ein paar Dinge … in Schieflage geraten. Lass dir am besten von Liv die Einzelheiten erzählen, ich kriege das heute nicht hin.«

»Okay.« Dan schnitt sich ein Brötchen auf und bestrich es dick mit Livs selbst eingekochter Erdbeer-Waldmeister-Marmelade. »Wenn du Hilfe brauchst, egal wobei, dann sag es einfach. Ole und ich sind immer da, das weißt du.«

Dankbar blickte Isa ihn an. Früher, besonders als Teenagerin, hatte sie ihre beiden jüngeren Bruder als lästige Plagegeister empfunden, die ihr säuberlich aufgeräumtes Mädchenzimmer verwüsteten und mit ihr um die vorderen Plätze bei Surfwettbewerben konkurrierten. Heute waren sie beinahe alles, was ihr an Familie blieb, und sie liebte sie bis zur Schmerzgrenze.

»Danke, ich komme schon klar. Im Moment zumindest. Irgendwie muss ich das selbst wieder geradebiegen. Aber falls ich demnächst doch eine Leiche zu entsorgen habe, rufe ich euch natürlich an.«

»Tu das.« Dan schmunzelte.

Als sie später im Laden standen und sich die neue Kollektion eines großen Sportswear-Herstellers im Internet anschauten, fühlte Isa sich wieder besser. Der Teil ihres Jobs, der mit Einkauf und Marketing zu tun hatte, gefiel ihr seit jeher. Nur mit den Zahlen stand sie mehr und mehr auf Kriegsfuß.

Liv war ebenfalls mit einiger Verspätung zur Arbeit erschienen, ein wenig blass um die Nase, aber tapfer wie ein pflichtbewusster Soldat.

»Ich fühle mich, als hätte mich ein Bus überrollt und hundert Meter mitgeschleift. Man könnte denken, wir hätten gestern Abend flaschenweise selbst gebrannten Wodka getrunken und nicht nur ein bisschen Sekt!«

»Ach, du wirst einfach alt. Da verträgt man nichts mehr«, lästerte Dan und drückte sie zärtlich an sich.

Sie warf ihm einen schiefen Blick zu, ehe sie ihn fest in den Hintern kniff. »Sei nicht so frech, sonst ziehe ich mit deiner Schwester in eine WG, und du siehst uns nie wieder!«

Dan grinste. »Dann würden Garnet und ich uns so richtig gehen lassen und jeden Tag bei Ole Burger mit Fritten essen. Juchhu!«

Isa hörte ihrem Geplänkel nur mit halbem Ohr zu. Während sie sich geistesabwesend durch die Produktauswahl des Herstellers klickte, um ihrem Sommersortiment noch ein paar besondere Stücke hinzuzufügen, kreisten ihre Gedanken unaufhörlich um das Gespräch mit Liv gestern Abend. Ihre Schwägerin hatte ihr vorgeschlagen, sich eine Auszeit zu nehmen. Allein in den Urlaub zu fahren, zu wandern oder zu pilgern, etwas in der Art. Damit sie sich in Ruhe darüber klar werden konnte, wohin die Reise in Zukunft gehen sollte. Isa fand die Vorstellung, ein paar Wochen nur mit sich selbst zu verbringen, ziemlich verlockend. Allerdings war sie unsicher, wie sie das Ganze praktisch bewerkstelligen sollte. Was würde Magnus sagen, wenn sie ihm mitteilte, dass sie ohne ihn aufbrechen wollte? Und wer kümmerte sich in ihrer Abwesenheit um die leidige Buchhaltung?

Isa ahnte, dass ihr tief verwurzeltes Pflichtbewusstsein sie nach Ausreden suchen ließ, die in Wirklichkeit kinderleicht zu entkräften waren. Sie war es einfach nicht gewohnt, ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen. Irgendwie kam sie sich dabei egoistisch vor, auch wenn Liv das empört zurückgewiesen hatte. »Du denkst wirklich zuallerletzt an dich selbst! Aber jetzt bist du auch mal dran.«

Mitten in ihre tiefschürfenden Gedanken hinein klingelte ihr Handy, das sie auf den Verkaufstresen gelegt hatte. Isa griff danach und stutzte, als sie auf dem Display eine ihr unbekannte Nummer sah. Nanu? War das nicht die Ländervorwahl von Dänemark?

»Hej«, sagte eine männliche Stimme auf Dänisch, als sie das Gespräch mit einem knappen »Hallo?« annahm. »Ist da Isa? Hier ist Alfred auf Fejø, Jettes Nachbar.«

Isa rutschte das Herz in die Hose. Natürlich wusste sie, wer Alfred war. Er und seine Frau bewirtschafteten den Hof neben dem ihrer Tante Jette auf der kleinen dänischen Insel Fejø. Isa kannte die beiden seit ihrer Kindheit. Dass er sie anrief, war jedoch noch nie vorgekommen.

»Hej, Alfred!« Isa verfiel automatisch ins Dänische, wie früher, wenn ihr Vater sie in seiner Muttersprache angesprochen hatte. Mittlerweile war sie ein bisschen eingerostet, denn außer Jette gab es niemanden mehr, mit dem sie sich auf Dänisch unterhielt, obwohl ihre Brüder die Sprache ebenso gut beherrschten wie sie. »Das ist ja eine Überraschung. Wie kommt’s, dass du anrufst?«

Obwohl sie einen betont lockeren Plauderton anschlug, registrierte sie, dass Dan und Liv aufhorchten. Liv verstand im Gegensatz zu ihrem Bruder zwar kein Wort, aber ihrer ernsten Miene nach zu urteilen entging ihr keineswegs, dass der Anruf Isa alarmierte. Offenbar klang sie trotz ihrer Bemühungen alles andere als entspannt. Dan trat sogar einen Schritt näher, um nichts zu verpassen.

Das Gespräch dauerte nur ein paar Minuten. Isa war ganz flau im Magen, als sie sich schließlich von Alfred verabschiedete. Mit zittrigen Fingern griff sie nach ihrem Kaffeebecher und trank einen großen Schluck. Zum Glück hielten sich gerade keine Kunden im Laden auf, um die sie sich hätten kümmern müssen. Isa fühlte sich gerade ganz und gar nicht imstande, verkaufsfördernden Small Talk zu betreiben.

Liv und Dan ließen sie nicht aus den Augen.

»Also«, sagte Dan, »was ist passiert? Ich kann es mir zwar weitgehend zusammenreimen aus dem, was ich gehört habe, aber erzähl es uns einfach, damit Liv auch im Bilde ist.«

Isa atmete tief ein. Am liebsten hätte sie losgeheult. »Jette liegt seit gestern im Krankenhaus. Sie hat sich das Becken gebrochen, als eins der Pferde beim Beschlagen ausgekeilt hat. Sie stand unglücklicherweise im Weg und ist mit voller Wucht auf der Stallgasse aufgekommen. Der Hufschmied hat sofort den Notarzt gerufen. Sie wurde dann mit dem Hubschrauber aufs Festland gebracht.« Isa räusperte sich und trank noch einen Schluck Kaffee. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. »Alfred meint, sie können die Tiere ein paar Tage versorgen, aber auf Dauer schaffen sie es nicht allein. Klar, er und Alma sind nicht mehr die Jüngsten und haben genug mit ihrem eigenen Hof und der Plantage zu tun. Er wollte wissen, ob jemand von uns rüberkommen kann. Jette wird mehrere Wochen ausfallen, und niemand weiß, ob sie danach ohne Hilfe klarkommt.«

Sie blickte ihren Bruder an, bemüht, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. »Das ist das Worst-Case-Szenario, vor dem wir uns immer gegruselt haben, Daniel. Dass Jette mal was passiert.«

Dan stieß einen herzhaften Fluch aus, was für ihn völlig untypisch war. Liv sah mit großen Augen von einem zum anderen. »Was machen wir jetzt?«

»Ich fahre hin. Heute noch.« Isa sprach die Worte aus, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken. »Wir können Jette und die Tiere jetzt nicht im Stich lassen.«

Dan runzelte die Stirn und nickte dann. Er wusste natürlich, dass sie schnellstens einen Notfallplan brauchten, und dafür mussten sie herausfinden, was vor Ort zu tun war. »Okay. Ich rufe gleich Ole an. Wenn du drüben bist und dir einen Überblick verschafft hast, meldest du dich, in Ordnung? Dann sehen wir weiter.«

Ohne Isas Antwort abzuwarten, zog er sein Handy aus der Hosentasche und verschwand nach hinten in Richtung Küche. Mittlerweile hatte ein junges Paar den Laden betreten, und natürlich würde er nicht in Gegenwart von Kunden über familiäre Angelegenheiten sprechen.

Liv, die gleichzeitig Isa und das Paar im Blick behielt, legte ihrer Schwägerin eine Hand auf den Arm. »Ich weiß, es klingt unter diesen Umständen ziemlich geschmacklos, aber ich glaube, das Universum hat dir gerade eine Antwort gegeben.«

Isa wusste sofort, worauf sie anspielte. Die Auszeit, über die sie gestern Abend gesprochen hatten – hier war sie, wenn auch vollkommen anderer Art als gedacht. Doch was scherten eine höhere Macht ihre Schickimicki-Wanderpläne?

Sie war sich darüber im Klaren, dass höchstwahrscheinlich sie diejenige sein würde, die in Jettes Tierasyl die Stellung hielt, bis es ihrer Tante wieder besser ging. Ihre beiden Brüder hatten Kinder, das Café und den Surfshop. Sie konnten schlecht ihren Frauen alles überlassen, um sich in Dänemark um ein paar Tiere zu kümmern. Nur sie, Isa, war länger als ein paar Tage abkömmlich, wenn es hart auf hart kam. Sie fragte sich im Stillen, ob sie sich darüber freuen oder es als weiteres Zeichen nehmen sollte, dass in ihrem Leben einiges schieflief.

»Ja«, erwiderte sie schließlich, »ich schätze, das hat es.«

 

Wieder zu Hause angekommen, holte Isa ihre geräumige Reisetasche aus Segeltuch aus dem Abstellraum und warf sie im Schlafzimmer aufs Bett. Sie ging methodisch vor, um keine Zeit zu verlieren. Als Erstes setzte sie zwei Listen auf: eine für die Klamotten und persönlichen Dinge, die sie auf Fejø brauchen würde, und eine für die Fragen, die sie Jette über die Tiere und den Hof stellen wollte. Sie besuchte ihre Tante zwar alle paar Monate und half ihr beim Versorgen der zwei- und vierbeinigen Hofbewohner, aber wie viel Futter und welche Medikamente die einzelnen Tiere benötigten, überstieg ihre Kenntnisse.

Isa packte Socken, Unterwäsche, T-Shirts, Kapuzenjacken, einen dicken Pullover, Jeans und kurze Hosen ein. Natürlich hatte Jette eine Waschmaschine, aber sie wollte zumindest für die ersten Tage ausreichend Klamotten dabeihaben. Auch einen Regenmantel, Badeschlappen und ihren Bikini suchte sie heraus, dazu bequeme Sneakers und Gummistiefel, die auf einem Hof voller Tiere absolut unentbehrlich waren. Vorsichtshalber würde sie auch ihre Softshelljacke für kühlere Tage mitnehmen. Zur Not konnte sie sich jederzeit an Jettes Stallkleidung bedienen.