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Ein Wintermarkt zum Verlieben - und eine Liebe, die ganz leise beginnt
Auf dem kleinen Apfelhof in der Lüneburger Heide laufen die Vorbereitungen für den ersten Wintermarkt; mit Glühwein und Musik unter dem Sternenhimmel. Doch zwischen Lichterketten und Plätzchenduft sorgen ausgebüxte Alpakas für Aufregung.
Für Abby, die als Helferin auf dem Hof lebt, wird es besonders turbulent, als sie gleich zweimal mit dem wortkargen Musiker Erik zusammenstößt - im wahrsten Sinne des Wortes. Während die beiden einander vorsichtig näherkommen, setzen Emmas Freundinnen mal wieder alles daran, dem Glück ein wenig nachzuhelfen.
Kuschelig wie ein Alpaka, süß wie Zimtsterne und romantisch wie ein Kuss im Schneegestöber - der neue Wohlfühl-Roman der Apfelhof-Reihe von Sonja Flieder.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 289
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Widmung
Festvorbereitungen – Emma
Ein turbulenter Tag – Abby
Die Entschuldigung – Abby
Handfeste Drohungen – Emma
Der Plan – Abby
Noch mehr Pläne – Emma
Auf dem Auerhahnshof – Abby
Es gibt viel zu tun – Emma
Ein folgenschwerer Spaziergang – Abby
In Gefahr – Abby
Wintermarkt reloaded – Abby
Über die Autorin
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Inhaltsbeginn
Impressum
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Ein Wintermarkt zum Verlieben – und eine Liebe, die ganz leise beginnt
Auf dem kleinen Apfelhof in der Lüneburger Heide laufen die Vorbereitungen für den ersten Wintermarkt; mit Glühwein und Musik unter dem Sternenhimmel. Doch zwischen Lichterketten und Plätzchenduft sorgen ausgebüxte Alpakas für Aufregung.
Für Abby, die als Helferin auf dem Hof lebt, wird es besonders turbulent, als sie gleich zweimal mit dem wortkargen Musiker Erik zusammenstößt – im wahrsten Sinne des Wortes. Während die beiden einander vorsichtig näherkommen, setzen Emmas Freundinnen mal wieder alles daran, dem Glück ein wenig nachzuhelfen.
Kuschelig wie ein Alpaka, süß wie Zimtsterne und romantisch wie ein Kuss im Schneegestöber – der neue Wohlfühl-Roman der Apfelhof-Reihe von Sonja Flieder.
eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.
Sonja Flieder
Wintermarkt auf dem kleinen Apfelhof
Für Aidan
»Hoffentlich geht alles gut.« Nach einem schweren Seufzen blickte sich Emma in der großen Scheune des Apfelhofs um, die einst ein Schafstall gewesen war.
»Was sollte denn schiefgehen?« Ihre beste Freundin Lisa kicherte und warf schwungvoll ein paar Strähnen ihrer langen braunen Locken, die ihr ins Gesicht gefallen waren, nach hinten.
Aufgrund ihrer fast identischen Haarfarbe und ihres zierlichen Körperbaus hielten viele Leute sie und Emma für Schwestern. Auch die Locken hatten sie gemeinsam.
Emma schnaubte. »Na, schau dich mal um.« Mit einer Hand wies sie auf den Boden, wo sich Unmengen von Kisten stapelten. »Das ist das reinste Chaos. Ich habe keine Ahnung, was Lukas und Moritz sich dabei gedacht haben, so einen Haufen Zeug hier anzuschleppen.«
»Tja, unsere Göttergatten eben.« Ungerührt zuckte Lisa mit den Schultern. »Im Grunde sind wir selbst schuld. Wir hätten die beiden halt nicht für das Winterfest zum Einkaufen schicken dürfen.«
»Hoffentlich ist wenigstens was Nützliches da drin«, erwiderte Emma und deutete mit dem Kinn erneut auf die ziemlich schwer aussehenden Kisten.
»Wenn sie sich an die Einkaufsliste gehalten haben, schon.« Lisa grinste. »Ansonsten können wir ihnen immer noch den Kopf abreißen.«
Mit gerümpfter Nase blickte Emma sie an. »Meinst du nicht, dass diese Maßnahme ein wenig drastisch wäre?«
»Ansonsten lernen sie es ja nicht.«
Nach einem kurzen Blickwechsel brachen die Freundinnen in Lachen aus.
»Ich verschaffe euch aber kein Alibi«, erklang eine trockene Stimme hinter Emma.
Gleichzeitig mit Lisa drehte sie sich um und sah ihre Oma Luise, die mit in die Hüften gestemmten Fäusten dastand. Das Funkeln in ihren Augen verriet ihre Erheiterung.
Wie gewohnt hatte die alte Dame ihre langen weißen Haare in einem Dutt gebändigt. Sie stützte sich auf einen Stock, da ihr rechtes Bein ihr in den Wintermonaten durch die Kälte mitunter Probleme bereitete. Vor Jahren hatte sie es sich einmal gebrochen.
Begleitet wurde Oma Luise von zwei Hunden. Bigfoot, ein schwarzer Labrador-Retreaver-Mischling mit einem weißen Fleck auf der Stirn, schnüffelte neugierig in allen Ecken des ehemaligen Heidschnuckenstalls herum.
Sein Kumpel Noisy hingegen saß neben Oma Luise und starrte sie mit seinen blauen Augen unverwandt an. Emma hätte darauf wetten können, dass der Husky-Schäferhund-Mischling mit dem grau-braunen, flauschigen Fell auf ein Stück Leberwurst hoffte. Ein möglichst großes, verstand sich.
»Ich glaube, wir lassen die Jungs doch besser leben.« Lisa kicherte. »Wer soll denn sonst auf die Kinder aufpassen, wenn wir was unternehmen wollen?«
»Auch wieder wahr«, stimmte Emma ihr zu und lachte. Sie rieb sich die Hände. »Dann schaffen wir das Zeug mal raus.«
»Ich gehe wieder rüber ins Haus und mache euch einen schönen Apfeltee«, sagte Oma Luise. »Bigfoot, Noisy, kommt!«
Sie wandte sich um und ging langsam hinaus, wobei sie sich schwer auf den Stock stützte. Die beiden Hunde folgten ihr auf dem Fuß.
»Na, dann schleppen wir das Zeug mal raus«, meinte Lisa und griff beherzt nach einem Karton.
Eine halbe Stunde später balancierte Emma gerade mit beiden Händen eine große Kiste über den Schotterweg in Richtung Apfelhain. Das Ding war so riesig, dass es ihr die Sicht verdeckte. Damit sie auch nur ansatzweise erkennen konnte, wohin sie lief, musste sie sich recken, um darüber hinweg zu schielen.
Unvermittelt stieß sie gegen ein Hindernis und hielt abrupt inne. Da sie drohte, das Gleichgewicht zu verlieren, drehte sie sich mit der nun wackelnden Kiste nach links, wobei sie mit dem Bein einen kräftigen Seitwärtsschritt machte.
»Aua, mein Fuß!«, erklang eine weibliche Stimme, die Emma ihrer besten Freundin Lisa zuordnete.
Erschrocken zuckte Emma zusammen, woraufhin die Kiste noch mehr ins Schwanken geriet. Um nicht mitsamt dem schweren Ding zu Boden zu stürzen, verlagerte sie fast ihr gesamtes Gewicht auf die linke Seite, wodurch sie den Druck auf Lisas Zehen erhöhte.
Lisa stöhnte, Emma ächzte. Einen Moment blieb sie stehen, packte die Kiste fester, die ihr zu entgleiten drohte. Als sie wieder festen Halt hatte, atmete sie erleichtert auf.
»Würdest du bitte von meinem Fuß runtergehen?«, erkundigte sich Lisa. »Es mag dir entgangen sein, aber ich lege Wert darauf, nicht mit einem Klumpfuß durch die Gegend zu humpeln. Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht. Ansonsten bleib ruhig weiter da stehen.« Lisas Unterton war eindeutig sarkastisch, doch es schwang auch eine gehörige Portion Belustigung darin mit.
»Was? Oh, sorry.« Rasch trat Emma einen Schritt zurück und gab Lisas Fuß frei.
In gespieltem Tadel schüttelte Lisa den Kopf. »Dich kann man echt nichts allein machen lassen.« Mit einem Grinsen trat sie auf Emma zu und ergriff an einer Seite den unteren Rand der Kiste. »Ich helfe dir besser, sonst rennst du noch eines der Kinder um.«
»Haha.«
Gemeinsam schleppten die Freundinnen das schwere, unförmige Ding auf den Apfelhain. Es war so kalt, dass sich auf den Bäumen, Sträuchern und auf dem Gras kleine Eiskristalle gebildet hatten, die in der Sonne glitzerten.
Lukas und Moritz hatten bereits die rot gestrichenen Holzbuden aufgebaut, die im ehemaligen Heidschnuckenstall lagerten, wenn sie nicht gebraucht wurden. Das Apfelhof-Team benutzte sie bereits seit mehreren Jahren.
Die Bestandteile der provisorischen Umzäunung, in der sich ein paar der sieben Alpakas kurzzeitig aufhalten würden, befanden sich hoffentlich in den schweren Kisten, die Emma und Lisa geschleppt hatten.
Emma hörte eine Stimme hinter sich. »Hey! Sieht so aus, als könntet ihr Hilfe gebrauchen.«
Sie drehte sich um und erblickte Abby, die lächelnd auf sie zukam. Die hochgewachsene schlanke Frau Mitte zwanzig war seit ein paar Monaten Teil des Apfelhof-Teams.
Davor war sie auf Weltreise gewesen und wirkte nach dem Konzept Wohnen gegen Hand tatkräftig auf dem Apfelhof mit. Dieses beinhaltete Kost und Logis im Austausch für bestimmte Arbeiten und Hilfeleistungen auf dem Hof.
Emma hatte sie sehr ins Herz geschlossen. Sie schätzte ihre hilfsbereite, ruhige Art. Kräftig zupacken konnte sie ebenfalls. Gut, sie war manchmal ein wenig schüchtern, wenn sie neue Menschen traf, aber das würde sich sicher ändern, wenn sie noch eine Zeit lang das turbulente Leben der Apfelhofbewohner teilte.
»Hi, Abby!« Mit einer Hand wischte sich Emma den Schweiß von der Stirn, der sich trotz der klirrenden Kälte aufgrund der Anstrengung dort gebildet hatte.
»Du kannst uns helfen, den provisorischen Zaun für die Alpis aufzubauen«, sagte Lisa und grinste Abby an. »Vor der Schlepperei hast du dich ja erfolgreich gedrückt.«
»Entschuldige, ich wusste nicht, dass ...«
»Alles gut«, fiel Lisa ihr ins Wort. »Ich mache nur Spaß, das solltest du doch inzwischen wissen.«
»Okay.« Abby wirkte erleichtert.
Gemeinsam packten die Frauen die Kisten aus, in denen sich glücklicherweise tatsächlich Zaunelemente befanden. Sie funktionierten mittels eines einfachen Klicksystems, was den Auf- und Abbau sehr erleichterte.
Alle drei machten sich nun daran, den Zaun im hinteren Teil des Apfelhains aufzubauen. Dort würde es wohl nicht so voll werden wie in der Nähe der Buden.
Wobei sich die Besucher erfahrungsgemäß sehr für die Tiere interessierten. Daher passten immer zwei Mitglieder des Apfelhof-Teams darauf auf, dass es den Alpakas nicht zu viel wurde und kein allzu großer Trubel herrschte.
Gleichzeitig nutzten sie die Gelegenheit, um ein wenig Werbung für den Apfelhof zu machen. Sie verteilten Flyer und klärten über die möglichst artgerechte Haltung von Alpakas auf. Auch beantworteten sie die zahlreichen Fragen, die immer aufkamen.
»Dieses blöde Ding lässt sich nicht einklicken«, schimpfte Lisa gerade, die mit zwei der Zaunelemente kämpfte. Ungeduldig rüttelte sie daran.
»Lass mich mal.« Energisch schob Emma sie zur Seite und beäugte die unkooperativen Gegenstände.
Im Gegensatz zu Lisa ging sie ruhig an die Sache heran. Doch auch sie benötigte mehrere Anläufe, bis endlich das erlösende Klick ertönte.
Nach einer Weile stand der Zaun, und es fehlte nur noch das Gatter. Abby bot an, sich darum zu kümmern. Dankbar nickte Emma ihr zu und ging mit Lisa zu ein paar großen Kartons, die noch nicht ausgepackt waren.
In einem davon befand sich Dekomaterial, das Emma prüfend musterte. »Kaum zu glauben, unsere Männer haben tatsächlich mal Geschmack bewiesen«, meinte sie an Lisa gewandt.
»Is' nicht wahr«, erwiderte diese und trat mit neugieriger Miene näher heran.
»Doch.« Emma entnahm der Kiste einen durchsichtigen Beutel und hielt ihn in die Höhe. »Diese Schneeflocken sind zum Beispiel echt süß.«
»Stimmt. Die befestigen wir außen an den Buden, das sieht bestimmt toll aus.«
»Komm mal her und schau dir das an!«, rief Emma zu Abby, die sich gerade damit abmühte, das Gatter an den Zaunelementen zu befestigen.
Abby hielt mit ihrer Arbeit inne und ging zu den anderen. »Das ist aber schön«, sagte sie und betrachtete die unterschiedlich großen Flocken aus Schneefilz.
»Ja«, stimmte Emma ihr zu. Sie ließ den Beutel wieder in den Karton fallen und holte eine weiße Lichterkette heraus. Die kleinen Lämpchen wiesen ebenfalls die Form von Schneeflocken auf.
»Mit den Tannenzweigen sieht das bestimmt großartig aus«, stellte Lisa zufrieden fest. »Und passt auch super zu den roten Buden.«
»Das haben die Jungs echt gut gemacht.« Lächelnd blickte Emma von Lisa zu Abby.
Mahnend hob Lisa einen Zeigefinger. »Aber wir sagen es ihnen nicht! Sonst bilden sie sich noch was darauf ein.«
Emma und Abby lachten.
Nach getaner Arbeit wollten Emma und Abby bei den Alpakas auf der Weide vorbeischauen, während Lisa zu ihrem Mann Moritz in den Hofladen ging, den sie seit einiger Zeit gemeinsam betrieben. Nach einer kurzen, aber herzlichen Verabschiedung trennten sich ihre Wege.
»Das Winterfest wird bestimmt toll«, meinte Emma, die sich freundschaftlich bei Abby untergehakt hatte.
»Ich glaube auch. Allerdings bin ich ein bisschen aufgeregt, weil so viele Leute kommen.«
Aufmunternd drückte Emma mit ihrer freien Hand Abbys Arm. »Ach was, das schaffst du schon. Außerdem sind wir anderen auch noch da.«
»Ich hoffe es.« Trotz Emmas Zuspruch klang Abby ein wenig zweifelnd.
Emma wusste, dass Abby aufgrund ihrer Introvertiertheit nicht gern unter vielen Menschen war. Allerdings würde sie die meiste Zeit in einer der Buden verbringen, was sie etwas abschotten und ihr Sicherheit geben würde. So hoffte Emma zumindest.
An der Alpakaweide angekommen, galoppierten alle sieben Tiere wie auf Kommando zum Zaun. Neugierig streckten sie ihre Köpfe darüber.
»Keine Sorge, wir haben Leckerlis dabei«, verkündete Emma grinsend.
Sie zog einen Beutel aus einer Tasche ihres blauen Wintermantels und hielt ihn in Richtung der Alpakas. Sofort wurden deren Hälse allesamt länger, und sie trippelten ungeduldig herum. Da sie sich dabei von links nach rechts und zurück bewegten, sah es aus wie eine seltsame Ballettaufführung.
Von nebenan erschall lautes Gegacker, das von den fünf braun-weißen Hühnern stammte, die gerade ihren Auslauf genossen. Eifrig pickten alle auf dem teilweise gefrorenen Boden herum.
Sobald die beiden Frauen die Weide betreten hatten, wurden sie von den Alpakas umringt. Auch Abby entnahm einer Seitentasche ihres grünen Parkas einen Beutel mit Leckerlis. Die Pellets bestanden aus Grasgrünmehl, Kamillenblüten, Brennnesselblättern und Ringelblumenblüten. Bei allen Alpakas waren sie überaus beliebt.
Die weiße Schneewittchen drängte sich rücksichtslos zwischen den anderen hindurch, schubste dabei sogar ihre Tochter Rapunzel beiseite. Das bildschöne Alpaka war äußerst verfressen und zeichnete sich durch eine besonders ausgeprägte Sturheit aus.
Grinsend hielt Emma Schneewittchen ein paar Leckerlis entgegen, die sie mit spitzen Lippen entnahm. Jetzt erst machte sie Platz für die anderen.
Als Nächste waren Rapunzel und Gretchen an der Reihe, die überaus neugierig waren. Schneewittchens Tochter hatte braunes Fell und einen weißen Kopf. Den Namen Rapunzel hatte sie wegen ihres riesigen Fellbüschels auf der Stirn. Sie hing meistens mit ihrer Freundin Gretchen zusammen, die eigentlich Gretel hieß, aber nie so genannt wurde.
Das grau-weiße Alpaka war die Tochter von Rotkäppchen, die sich vornehm im Hintergrund hielt. Sie wirkte stets ein wenig schüchtern, konnte sich jedoch sehr gut durchsetzen, wenn es sein musste. Von ihrem ehemaligen Besitzer war das sanftmütige braune Alpaka misshandelt worden, wovon glücklicherweise nichts mehr zu bemerken war.
Als Gretchen und Rapunzel mit Leckerlis versorgt waren, kamen Dornröschen und Cinderella an die Reihe. Beide Alpakas hatten braunes Fell und wirkten äußerlich fast wie Zwillinge. Da hörte die Ähnlichkeit aber auch schon auf. Während Dornröschen ein sehr gechilltes Tier war, das fast nichts aus der Ruhe bringen konnte, verhielt sich Cinderella gern wie eine Prinzessin aus dem Bilderbuch.
Zum Schluss erhielten auch Rotkäppchen und Lancelot eine gebührende Menge Leckerlis. Wallach Lancelot war der einzige Mann in der Herde, der sich meist ein wenig abseits hielt und auf die Umgebung achtete. Emma nannte ihn daher oft »ihr Wachalpaka«.
Nachdem alle Alpakas ihre Pellets erhalten hatten, drehten sie sich um und galoppierten davon. Wie immer wippte dabei Rotkäppchens rotes Stirnbüschel auf und ab, wegen dem sie ihren Namen hatte.
***
Am Abend kam das Apfelhof-Team in der ehemaligen Scheune zusammen, um den Ablauf des Winterfestes zu besprechen und die Aufgaben zu verteilen. Es waren jedoch nicht alle da.
Die beiden Weltenbummler Gwen und Frank waren wieder einmal in Asien unterwegs. Auch Radiomoderator Mike und seine Freundin Lena fehlten. Lena, die in einer Werbeagentur als Projektleiterin arbeitete, und Mike hatten ihren restlichen Jahresurlaub genommen, um Südamerika unsicher zu machen.
Journalist Henning war ebenfalls abwesend, da er wieder einmal auf einer Recherchereise war. Emmas Töchter Leonie und Elli befanden sich mit Miris Adoptivtochter Hanna und Lisas Sohn Finn im Haupthaus, wo sie mit den Hunden spielten.
Mit ihren neun Jahren war Hanna alt genug, ein wenig auf die jüngeren Kinder achtzugeben. Zudem stand das Haupthaus nur wenige Meter von der ehemaligen Scheune entfernt. Als zusätzliche Sicherheit hatte Emma Ellis Babyfon mitgenommen, das vor ihr auf dem Tisch stand.
Das restliche Apfelhof-Team saß auf bequemen Stühlen an niedrigen Holztischen. Alle Möbel ließen sich zusammenklappen und in einem kleinen Verschlag verstauen, wenn sie nicht gebraucht wurden.
Es herrschte Stimmengewirr, da sich alle durcheinander unterhielten. Emma griff nach ihrer Tasse und trank einen Schluck Tee. Wie immer fühlte sie sich pudelwohl in der Gesellschaft ihrer Lieben.
Unvermittelt klatschte Oma Luise mehrmals laut in die Hände. Die Gespräche verstummten und alle richteten ihre Aufmerksamkeit auf die alte Dame.
»Wir sollten mal langsam besprechen, wie wir uns beim Winterfest organisieren«, sagte sie, woraufhin alle zustimmend nickten.
Gärtner Kalle lüpfte seinen Strohhut, den er bei fast jeder Gelegenheit trug, und kratzte sich am Kopf. Auch seine Gärtnerkluft gehörte zu ihm wie eine zweite Haut. Seit ein paar Jahren war er mit Oma Luise verheiratet.
»Also, ich übernehme mit Ivan den Stand mit den Spirituosen«, verkündete er in entschiedenem Ton.
»Das könnte dir so passen«, gab Oma Luise genauso entschieden zurück.
»Klar.« Kalle verzog sein faltiges Gesicht zu einem breiten Grinsen.
»Ich finde die Idee auch gut«, meinte Ivan, der ebenfalls breit grinste. Er beugte sich zu Kalle und klopfte ihm kräftig auf die Schulter.
Wie so oft trug der Altenpfleger in Rente seine Lieblingsfarben. Seine an den Seiten mit roten Rosen bestickte Jeans war rosa, was sich farblich mit dem pinken Hoodie biss. Seit Neuestem hatte er seinen sonst grau melierten Vollbart himbeerrosa gefärbt.
»Nichts da!« Oma Luise wies mit einem Zeigefinger von Kalle zu Ivan. »Ihr zwei habt garantiert nichts Besseres zu tun, als selbst euer bester Kunde zu sein!«
»Wir doch nicht«, erwiderte Ivan mit Unschuldsmiene. »Natürlich werden wir sehr professionell sein.«
»Genau!« Kalle nickte zustimmend.
»Ach, Luise, lass den beiden doch ihren Spaß.« Ivans Freundin Frida gestikulierte beim Sprechen wild herum, sodass die goldenen Armreifen an ihren Handgelenken klirrten, die sie immer trug.
Gekleidet war sie in einen Winterkaftan aus Alpakawolle, der mit wilden bunten Mustern bedruckt war. Wie bei Ivans Outfit harmonierten die Farben nicht gerade miteinander.
Oma Luise seufzte. »Na gut. Aber trinkt wenigstens nicht alles durcheinander.«
»Keine Sorge«, erwiderte Kalle. Er beugte sich zu ihr und drückte ihr einen schmatzenden Kuss auf die Wange. »Wir trinken zwischendurch sogar mal einen Apfelsaft.«
Seit einiger Zeit gingen Kalle und Ivan einem Hobby nach: der Herstellung von Hochprozentigem. Daher würden sie an ihrem Stand neben selbst gemachtem Apfelsaft auch Apfelwein, -likör und -schnaps anbieten. Zudem würde es heißen Apfelpunsch – mit und ohne Alkohol – geben, der mittels Gaskochern erwärmt werden würde.
»Wir nehmen die Fressbude, oder?« Fragend blickte Emma zu Abby, die langsam nickte. Emma sah in die Runde. »Oder hat jemand was dagegen?«
Alle schüttelten den Kopf, damit war es beschlossene Sache. Emma und Abby würden die Bude betreuen, von der aus Apfelplätzchen, -waffeln und -kuchen verkauft werden würden. Außerdem war geplant, dort auch Kaffee und Tee anzubieten.
»Welche Bude Miri und ich übernehmen, ist ja klar, oder?«, erkundigte sich Schreiner Sven, woraufhin er als Antwort einhelliges Nicken bekam.
In seinen braunen Haaren befanden sich meist ein paar Sägespäne, die öfter mal herunterrieselten, wenn er eine kräftige Kopfbewegung machte. Zudem roch er meistens leicht nach Holz.
Seine Frau Miri zupfte ihm auch gern die Sägespäne aus den Haaren. Die Tierärztin mit einer blonden Kurzhaarfrisur hatte mit Lukas seit Jahren eine gemeinsame, sehr gut laufende Praxis.
Svens neuestes Hobby bestand darin, dass er Holzfigürchen aller Art schnitzte. Oft waren es kleine Alpakas, aber auch andere Tiere und Gegenstände. Es war geplant, dass er Schnitzkurse auf dem Apfelhof anbieten würde, doch bislang war es noch nicht dazu gekommen.
Dafür würden er und Miri Svens Schnitzereien auf dem Wintermarkt verkaufen. Die meisten davon hatte Miri bunt bemalt, viele davon mit tatkräftiger Unterstützung ihrer Adoptivtochter Hanna.
»Wir übernehmen die Wollbude, oder?« Freundschaftlich stieß Frida einen Ellbogen in Lisas Seite.
»Gern.« Lisa lächelte sie an. »Was hast du denn diesmal alles vorbereitet?«
»Ach, nur das Übliche. Mützen, Schals, Handschuhe ... Natürlich alles aus Alpakawolle.«
Das Übliche beinhaltete auch Fridas Farbkombinationen, die ... interessant waren, zumindest, wenn Emma es sehr wohlwollend formulieren wollte. In Wahrheit waren sie äußerst schräg und passten nur zufällig zueinander. Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb – gingen sie auf den Festen weg wie warme Semmeln.
»Ich kümmere mich um die Kinder und Hunde«, verkündete Oma Luise und deutete mit dem Kinn zu ihrem Stock, der an einem der Tische lehnte. »Mit dem Ding bin ich auf dem Fest keine große Hilfe. Außerdem habe ich die menschlichen und tierischen Racker gern um mich.«
Lukas seufzte theatralisch und fuhr sich mit beiden Händen durch die ohnehin schon verstrubbelten Haare. Das Ergebnis machte deren Zustand nicht besser.
»Tja, dann bleibt für uns mal wieder nur die Drecksarbeit übrig, was?«, meinte er an Moritz gewandt.
»Ich fürchte auch«, erwiderte Moritz und zuckte in gespielter Verzweiflung mit erhobenen Händen mit den Schultern. Er drehte sich zu seiner Frau Lisa und schaute sie eindringlich mit seinen stahlblauen Augen an.
Grinsend legte sie den Kopf schief. »Willst du mir etwas mitteilen?«, fragte sie scheinheilig.
»Nein, nein.« Rasch schüttelte er den Kopf. »Lukas und ich kümmern uns sehr gern den ganzen Tag um die Alpakas. So ist es doch, oder Lukas?«
Lukas schielte zu seiner Gattin Emma, die ihm einen scharfen Blick zuwarf. »Äh ... ja. Selbstverständlich.«
»Ich hatte nichts anderes von euch erwartet«, verkündete Lisa in einem zuckersüßen Tonfall.
»Wie machen wir das eigentlich mit den Alpakas?«, wollte Ivan wissen. »Da abends eine Band spielt, wird das bestimmt zu laut für sie.«
Nachdenklich tippte sich Emma mit einem Mittelfinger gegen den Mund. »Das habe ich auch überlegt. Ich glaube, es ist am besten, wenn wir sie nur nachmittags dabeihaben. Sonst ist das zu viel Aufregung.«
»Gute Idee«, stimmte Oma Luise ihr zu. »Außerdem holen wir am besten nicht alle rüber. Sonst fällt ihnen nur wieder ein Haufen Unsinn ein.«
»Ja, das ist wohl besser.« Frida griff nach einem Plätzchen und schob es sich im Ganzen in den Mund. »Hm, lecker«, nuschelte sie mit vollem Mund.
»Selbstverständlich sind die lecker«, erwiderte Kalle, der seine buschigen Augenbrauen zusammenkniff. »Schließlich hat sie meine Frau gebacken.«
Damit brachte er Oma Luise zum Lächeln. Sie beugte sich zu ihm und tätschelte seinen faltigen Handrücken, aus dem die Adern deutlich hervortraten.
»Du bist schon ein Guter, mein Lieber«, sagte sie in liebevollem Ton.
In gespielter Entrüstung blickte Kalle sie an. »Natürlich bin ich das.«
Abby schloss für einen Moment die Lider und atmete tief durch. Hoffentlich schaffte sie es heil und ohne Stolpersteine durch den Tag. Wenn es stimmte, was die anderen gesagt hatten, würde es bald auf dem Apfelhain vor Menschen nur so wimmeln.
Die Apfelhoffeste erfreuten sich wohl großer Beliebtheit, die sich im Lauf der letzten Jahre immens gesteigert hatte. Mit Menschenmengen hatte Abby mitunter Probleme, da sie seit Kindesbeinen nicht so gut auf neue Menschen zugehen konnte.
Auf ihren Reisen blieb sie gern für sich und sprach oft nur das Nötigste. Dass sie Gwen und Frank kennengelernt hatte, war ausschließlich den beiden zu verdanken. Sie hatten sie am Strand einfach angesprochen und sich neben sie gesetzt.
Durch Gwens und Franks offene Art war sie sofort mit den beiden ins Gespräch gekommen. Als sie sich wieder daran erinnert hatte, war der für sie schwere Anfang einer Kontaktaufnahme schon längst vorbei.
Mit einem Seufzen straffte Abby die Schultern. Es würde heute schon alles gutgehen. Sie musste schließlich keine Rede halten oder ein Theaterstück vorspielen. Nein, das Einzige, was sie tun musste, war, in ihrem Stand zu stehen und ein paar Sachen zu verkaufen. Und dies nicht einmal allein, denn Emma würde bei ihr sein.
Augen zu und durch, sprach sie sich selbst Mut zu. Nach einem entschlossenen Nicken setzte sie sich in Bewegung und ging schnellen Schrittes an Emma vorbei, die ihr bereits aufmunternd zulächelte.
Mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Magengrube betrat Abby den Stand direkt neben der provisorischen Alpakaweide. Ein Infrarot-Heizstrahler sorgte für eine angenehme Temperatur darin, was ihre Stimmung direkt ein wenig hob. Sie hielt ihre eiskalten Hände davor und rieb sie, um zusätzliche Wärme zu erzeugen.
»Ganz schön kalt, was«?, fragte Emma, die ihren Kopf durch die Verkaufsöffnung steckte. »Bestimmt schneit es bald.«
»Hier drin ist es ganz muckelig«, antwortete Abby. »Komm rein und wärm dich auch etwas auf.«
Bedauernd zuckte Emma mit den Schultern. »Geht nicht. Ich muss mit Lukas die Alpakas von der Weide holen. Also nicht alle, nur Rapunzel, Gretchen und Dornröschen. Die drei stört ein bisschen Trubel nicht.«
»Wenn du willst, können wir gern tauschen«, bot Abby an, die insgeheim hoffte, Emma würde darauf eingehen. Dadurch könnte sie den Menschen, die gerade bereits in den Apfelhain strömten, ein wenig länger entgehen.
Leider winkte Emma ab. »Ach, das passt schon. Ich bin ja nicht aus Zucker.«
»Aber genauso süß.« Lukas war hinter seine Frau getreten und nahm sie in die Arme.
»Was bist du nur für ein alter Schleimer«, erwiderte Emma grinsend und versetzte ihrem Gatten mit dem Ellbogen einen leichten Rippenstoß.
Abby musste lachen. »Dann mal los mit euch zwei Turteltauben«, sagte sie. »Sonst kommen die Alpakas noch zu spät zu ihrem großen Auftritt.«
Als sich die beiden verzogen hatten, wandte sie sich von der Heizung ab, denn die erste potenzielle Kundin trat an ihren Stand. Abby beschloss, keinerlei Scheu aufkommen zu lassen. Daher blickte sie der Frau direkt in die Augen und lächelte sie freundlich an.
Sie schätzte sie auf Ende fünfzig, doch das konnte auch täuschen, da die Frau einen verhärmten Eindruck machte. Zwei tiefe Falten hatten sich in ihre Mundwinkel gegraben, ihre Haut erschien Abby irgendwie gräulich. Immer wieder blickte sich die Frau um, als habe sie Angst, verfolgt zu werden.
Eine Welle spontanen Mitgefühls stieg in Abby auf. Sie verstärkte ihr Lächeln, bis sie die Dame mittleren Alters regelrecht anstrahlte. Diese zeigte sogar ein kleines Lächeln, das sofort wieder verschwand, und sah knapp an Abbys Iriden vorbei.
»Hallo! Kann ich Ihnen helfen?«, erkundigte sich Abby freundlich.
Irgendwie hatte sie das Bedürfnis, die Frau ein wenig aufzuheitern. Anscheinend war sie ganz allein auf dem Winterfest. Gerade fuhr sie sich mit einer fahrigen Bewegung durch die braunen kurzen Haare, die mit grauen Strähnen durchzogen waren.
»Ähm ... ich weiß nicht. Ich ... glaube, ich überlege noch«, antwortete die Frau.
Als ein junger Mann neben sie trat und sie versehentlich leicht am Arm berührte, zuckte sie erschrocken zusammen, als hätte sie eine giftige Viper gebissen. Sie wich sogar ein Stück zur Seite.
»Entschuldigung.« In abwehrender Geste hob der Mittzwanziger seine Hände. »Das war keine Absicht, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
»Schon gut.« Wieder zeigte die Frau das kurze, kaum merkliche Lächeln. »Ich bin nur manchmal ... etwas schreckhaft, wissen Sie?«
»Das ist mir nicht entgangen«, erwiderte der Mann in freundlichem Ton und wandte sich an Abby. »Hi. Ich hätte gern einen Apfeltee und ein Stück von dem Kuchen da.« Er zeigte darauf. »Das ist bestimmt ein Apfelkuchen, was?«
Abby, deren vorherige Nervosität wie weggeblasen war, grinste ihn an. »Natürlich, was denn sonst?«
Geschickt goss sie aus einer großen Kanne Apfeltee in einen Pappbecher und platzierte mithilfe eines Tortenschiebers ein großzügig portioniertes Stück Kuchen auf eine Serviette. Diese war mit zwei Alpakas bedruckt, die eine Weihnachtsmütze trugen und dicht nebeneinander in einer Schneelandschaft standen.
Nachdem sich der Mann verabschiedet hatte, drehte sich Abby in Richtung der verhärmten Frau, die in diesem Moment wieder einmal über ihre Schulter schaute. Was mag ihr nur passiert sein, dass sie so ist?, überlegte Abby.
Rasch verscheuchte sie den Gedanken. Es ging sie schlicht nichts an. »Ich kann die Apfelwaffeln sehr empfehlen«, sagte sie stattdessen laut. »Mit etwas Puderzucker bestäubt, schmecken Sie ganz hervorragend, das weiß ich aus eigener Erfahrung.«
Derart angesprochen, zuckte die Frau erneut erschrocken zusammen. Ein panischer Ausdruck zeigte sich in ihren Augen, so kurz nur, dass Abby schon fast dachte, sie habe ihn sich nur eingebildet.
»Ähm ... ja. Apfelwaffeln klingen vielleicht ganz gut.« Ihr Blick huschte zum bereitstehenden Waffeleisen. »Wenn es Ihnen keine Umstände macht?«
»Aber nein«, erwiderte Abby mit einem warmen Lächeln. »Dafür bin ich heute doch da.« Sie zwinkerte der Frau zu. »Und es macht mir sogar mehr Spaß, als ich erwartet habe.«
»Dann ... äh ... hätte ich gern eine Waffel, bitte.«
Umgehend machte sich Abby an die Zubereitung einer Waffel. Es sollte die beste Waffel werden, die sie jemals gebacken hatte. Vielleicht würde der köstliche Geschmack die offensichtlich gebeutelte Frau etwas aufmuntern.
Während sie den Waffelteig auf das Eisen gab, überlegte sie, ob sie die Frau nicht doch auf ihren Zustand ansprechen sollte. Ihrem Verhalten nach zu urteilen, schien sie sich in einer Notlage zu befinden. Aber wäre das nicht anmaßend? Oder ganz im Gegensatz feige, wenn sie es nicht täte?
Sie unterdrückte einen Seufzer und hob den Deckel des Waffeleisens, um ihm die nun fertige Leckerei zu entnehmen. Vorsichtig gab sie die Apfelwaffel auf eine Serviette.
»Mama, was machst du denn hier?«, hörte sie plötzlich eine laute Stimme, was nun wiederum sie zusammenzucken ließ.
Neugierig schaute sie auf und sah Henning, der auf den Stand zulief. Sie blickte zu der Frau, auf deren Gesicht sich jetzt ein echtes Lächeln abzeichnete.
»Henning! Wie schön, dich hier zu treffen.«
Der wie gewohnt mit seinem schwarzen Ledermantel bekleidete Journalist hatte sie erreicht und zog sie in eine herzliche Umarmung. Abby bemerkte, dass die Frau ihrem Sohn ein wenig unbeholfen auf den Rücken klopfte.
»Na, hat dich der Alte mal rausgelassen oder bist du ihm entwischt?« Der sonst so freundliche Henning blickte ausgesprochen grimmig drein.
»Ach, Henning.« Seine Mutter seufzte. »Lass gut sein. Du weißt doch, wie er ist.«
»Ja, eben«, entgegnete Henning in beißendem Ton. »Genau das ist ja das Problem.«
Ein Ausdruck tiefer Trauer trat in die Augen seiner Mutter. Für Abby hatte es den Anschein, als würde sie gleich anfangen zu weinen.
Sie räusperte sich. »Ihre Waffel ist fertig«, sagte sie und hielt sie ihr hin. »Frau Sörensen, richtig?«
Die Frau des Ex-Bürgermeisters nickte. »Genau.« Mit leicht zitternden Händen nahm sie die Waffel entgegen. »Danke sehr, sie sieht köstlich aus.«
»Das ist sie auch.« Abby lächelte.
Während sich Henning mit seiner Mutter unterhielt, überschlugen sich Abbys Gedanken. Was wusste sie noch über Hennings Vater, abgesehen davon, dass er der Ex-Bürgermeister von Undeloh war? Dass er ein Wilddieb war, natürlich. Der erst vor Kurzem eine hohe Geldstrafe hatte zahlen müssen und zurzeit auf Bewährung war.
Außerdem hatte Henning seit seinem Coming-Out, das er sich erst mit über dreißig getraut hatte – wegen seines Vaters –, komplett mit ihm abgeschlossen und nannte ihn nur noch »Erzeuger« oder »der Alte«. Dazu kam, dass Sörensen seine Gattin nicht gut behandelte. Offensichtlich, wenn sich Abby die arme Frau so anschaute.
»Die Waffel war wirklich sehr gut«, sagte Frau Sörensen, die gerade die Serviette ordentlich zusammenfaltete, und riss Abby damit aus ihren Gedanken.
»Das freut mich«, erwiderte Abby. Spontan streckte sie Hennings Mutter über den Tresen ihre Rechte hin. »Ich bin übrigens Abby.«
Nach einem Moment des Zögerns ergriff Frau Sörensen ihre Hand. »Angenehm. Sörensen.«
»Jetzt lass doch den altmodischen Kram, Mama.« Grinsend verdrehte Henning die Augen. »Ich hab dir doch schon von Abby erzählt, da brauchst du nicht so förmlich zu sein.«
Marie lachte, was sie um Jahre jünger erscheinen ließ. »Du hast ja recht. Also: Mein Name ist Marie und wir können uns gern duzen.« Sie wandte sich an ihren Sohn. »Besser?«
»Viel besser.«
Aus heiterem Himmel machte Marie einen Satz hinter ihren Sohn, dessen hochgewachsene Gestalt und breite Schultern sie nun komplett verbargen.
»Was ist denn?«, fragte Abby erschrocken.
Vorsichtig lugte Marie hinter Henning hervor und ließ ihren Blick über die nun schon recht ansehnliche Menschenmenge schweifen. Wenig später atmete sie hörbar aus und stellte sich wieder neben Henning.
»Ach, nichts, entschuldige bitte. Ich dachte nur, ich hätte jemanden ...«
Misstrauisch zog Abby die Brauen zusammen. Irgendetwas stimmte hier ganz gewaltig nicht. Wie sich Marie Sörensen verhielt, ging über normale Frustration in einer unglücklichen Ehe hinaus. Abby beschloss, bei Gelegenheit mit Henning über seine Mutter zu reden.
Während Abby weiter Waffeln, Kuchen und Co. verkaufte, standen Marie und Henning etwas abseits. Die beiden waren in eine angeregte Unterhaltung vertieft. Als Abby einmal kurz zu ihnen hinüberschaute, bemerkte sie, dass Maries Augen leuchteten. Zumindest in der Gegenwart ihres Sohnes schien sie sich wohlzufühlen.
Inzwischen waren zahlreiche Gäste eingetroffen, und Abby hatte alle Hände voll zu tun, die zahlreichen Wünsche der Besucher zu erfüllen. Hoffentlich kam Emma bald zurück, da sich bereits eine kleine Schlange vor ihrem Stand bildete.
Als hätte sie ihre neue Freundin herbeigerufen, erblickte Abby nur Sekunden später Lukas und Emma, die Rapunzel, Gretchen und Dornröschen zur behelfsmäßigen Mini-Weide führten. Die drei Alpakas benahmen sich vorbildlich, trotteten brav an ihren locker hängenden Führstricken hinter Lukas und Emma her.
Lukas, der nur Gretchen führte, nestelte am Verschluss des Gatters herum. Als er es geöffnet hatte, trabte das Alpaka hinein. Dornröschen folgte ihrer tierischen Freundin auf dem Fuß.
Da sie dabei jedoch eine ungeahnte Energie an den Tag legte, stürmte sie regelrecht vorwärts und riss Emma mit. Sie stolperte ein paar Schritte nach vorn, wobei ihr Rapunzels Führungsleine entglitt.
Das neugierige Alpaka schüttelte probehalber den Kopf, schnaubte und ... wandte sich in Richtung Heidschnucks Heimat. Lukas versuchte noch, die Leine zu erhaschen, doch das gewiefte Alpaka schlug einen Haken und galoppierte davon.
»Scheiße!«, schrie Lukas und hetzte Rapunzel hinterher.
Emma schaute hektisch um sich. Als sie Abby sah, rief sie: »Versuch, Rapunzel einzufangen! Ich kann hier gerade nicht weg, sonst haut Gretchen auch noch ab!«
In der Tat beäugte Gretchen bereits begehrlich das Gras im Apfelhain. Es schien schmackhafter zu wirken als das auf der provisorischen Weide, auf der sich natürlich ebenfalls Grünwuchs befand.
Einen Moment huschte Abbys Blick über die immer länger werdende Schlange vor ihrem Stand. Sie konnte ihn doch nicht einfach allein lassen, oder?
»Geh schnell«, sagte Henning. »Meine Mutter und ich kümmern uns um den Stand.«
Das ließ sich Abby nicht zweimal sagen. Sie riss die Tür auf und stürmte hinaus. Nach kurzer Suche erblickte sie Rapunzel, die gerade über den Schotterweg in Richtung Straße trabte. Lukas konnte sie nirgends entdecken. Wahrscheinlich steckte er in der Menschentraube fest, die sich am Rand des Apfelhains gebildet hatte, und Rapunzels Flucht neugierig verfolgte.
Warum greift denn keiner ein, verdammt?, dachte Abby. Alle stehen nur rum und gaffen.
Während dieser Überlegung rannte sie bereits quer über den Apfelhain. An dessen Ende hastete sie an den Zuschauern vorbei. Aus den Augenwinkeln sah sie Lukas, der einige Menschen einfach beiseiteschob und es inzwischen fast auf den Schotterweg geschafft hatte.
Inzwischen war Rapunzel beinahe an der Straße angekommen. Normalerweise war sie nicht stark befahren, doch heute sah dies anders aus. Da sich die Apfelhof-Feste seit Jahren großer Beliebtheit erfreuten, herrschte jedes Mal entsprechend großer Andrang.
Wenn Rapunzel auf die Straße rannte, konnte das ganz schrecklich schiefgehen! Daher beschleunigte Abby ihren Schritt und stürmte voran. Weil sie den Blick auf Rapunzel gerichtet hatte, achtete sie nicht auf ihre Umgebung.
Zum Glück hatte sich das Alpaka jetzt dazu entschieden, stehen zu bleiben. Es hatte am Rand des Schotterwegs etwas entdeckt, das seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Rapunzel senkte den Kopf und zupfte an einem Stängel herum.
Um das Alpaka nicht zu erschrecken, wollte Abby langsamer werden, doch sie kam nicht dazu, denn just in diesem Moment stoppte etwas abrupt ihren Lauf. Sie prallte mit voller Geschwindigkeit dagegen, was ihr die Luft aus der Lunge presste.
Ein lautes Scheppern ertönte, als wäre etwas Schweres zu Boden gefallen. Das schreckte leider Rapunzel auf, die einen kleinen Hüpfer machte und sich wieder in Bewegung in Richtung der Straße setzte.
»Uff«, machte Abby und atmete tief ein.
