Winterträume in New York - Anna Liebig - E-Book
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Winterträume in New York E-Book

Anna Liebig

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Beschreibung

In New York werden Winterträume wahr!

Eigentlich liebt Marie Weihnachten über alles. Nach der Trennung von ihrem Langzeitfreund Lukas ist der Countdown bis zum Fest aber geprägt von Liebeskummer. Um auf andere Gedanken zu kommen, macht sie bei einem Gewinnspiel mit, bei dem eine Reise nach New York verlost wird. Und Marie hat Glück! Kurz darauf fliegt sie nach Manhattan, um vor dem Rockefeller Center Schlittschuh zu laufen und im festlich dekorierten Kaufhaus Macy’s Geschenke für ihre Liebsten zu besorgen. Doch hier treten unerwartet Komplikationen auf – Jack zum Beispiel, ein Angestellter im Elfenkostüm, der Maries Gefühlswelt ganz schön durcheinanderbringt. Wird dieses Weihnachten vielleicht doch noch zum Fest der Liebe?

Warmherzig, winterlich, wundervoll – der Feel-Good-Liebesroman für die schönste Zeit des Jahres!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 332

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Buch

Eigentlich liebt Marie Weihnachten über alles. Nach der Trennung von ihrem Langzeitfreund Lukas ist der Countdown bis zum Fest aber geprägt von Liebeskummer. Um auf andere Gedanken zu kommen, macht sie bei einem Gewinnspiel mit, bei dem eine Reise nach New York verlost wird. Und Marie hat Glück! Kurz darauf fliegt sie nach Manhattan, um vor dem Rockefeller Center Schlittschuh zu laufen und im festlich dekorierten Kaufhaus Macy’s Geschenke für ihre Liebsten zu besorgen. Doch hier treten unerwartet Komplikationen auf – Jack zum Beispiel, ein Angestellter im Elfenkostüm, der Maries Gefühlswelt ganz schön durcheinanderbringt. Wird dieses Weihnachten vielleicht doch noch zum Fest der Liebe?

Autorin

Anna Liebig ist das Pseudonym von Nicole Steyer, einer erfolgreichen Autorin historischer Romane. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern im Taunus. Bereits mit acht Jahren begann sie, Geschichten zu erfinden und niederzuschreiben. Ihre Romane sind Liebeserklärungen an die schönste Zeit des Jahres: Weihnachten.

Weitere Informationen unter: www.literatur-steyer.de

ANNA LIEBIG

WINTERTRÄUME IN NEW YORK

ROMAN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2024 by Anna Liebig

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Redaktion: Matthias Teiting

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

DK · Herstellung: DiMo

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg 

ISBN 978-3-641-31036-3V001

www.blanvalet.de

Für Matthias Ich liebe Dich

1. Kapitel

Du hattest mir fest versprochen, dass ich heute eher gehen kann«, sagte Marie und sah ihre Vorgesetzte, die Leiterin des Kindergartens Sonnenschein, herausfordernd an. »Du weißt, wie wichtig der Termin für mich ist.«

»Das habe ich getan, bevor ich wusste, dass Biggi sich krankmeldet«, antwortete Judith und stieß einen Seufzer aus. »Das ist bereits der dritte Ausfall diese Woche. Wenn Ingrid morgen nicht wiederkommt, müssen wir auf Notbetreuung umstellen. Kannst du die Wohnung nicht an einem anderen Tag besichtigen?«

»Nein, das wird nicht gehen, es ist ein offener Besichtigungstermin«, entgegnete Marie enttäuscht. »Aber vermutlich hätte ich sowieso keine Chance gehabt. Zwei Zimmer für diesen Preis und in dieser Lage in Frankfurt, da kommen bestimmt Hunderte Interessenten. Wieso sollte der Vermieter ausgerechnet mich nehmen?« Ihre Schultern sackten nach unten. »Wenn das so weitergeht, werde ich vermutlich für immer in meinem Kinderzimmer versauern.«

»Jetzt lass den Kopf nicht hängen«, versuchte Judith Marie zu trösten. »Bestimmt findest du bald eine passende Wohnung. Hast du denn an unserem Schwarzen Brett endlich deine Suchanzeige aufgehängt? Oft ergeben sich die Dinge ja unter der Hand und nicht über offizielle Anzeigen.«

»Hab ich längst. Aber bisher hat noch niemand einen der Zettel mit meiner Nummer abgerissen oder mich darauf angesprochen«, antwortete Marie. »Es ist echt schade, dass das heute Nachmittag nicht klappt. Am Ende hätte mich der Vermieter doch genommen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ich hab heute Morgen sämtliche Unterlagen eingesteckt. Einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis, perfekte SCHUFA-Auskunft, ich habe keine Haustiere, keine Kinder, ich rauche nicht, ich fahre kein teures Auto, sondern bloß ein klappriges Fahrrad. Eine bessere Mieterin kann sich doch niemand wünschen, oder?«

»Also gut«, lenkte Judith ein. »Ich rufe Susanne an. Eigentlich kann sie mittwochs nicht, aber vielleicht haben wir heute Glück.«

»Danke dir«, antwortete Marie erleichtert.

Eines der Kinder störte ihr Gespräch. Es war die fünfjährige Paula, eines der Vorschulkinder im Kindergarten Sonnenschein und für ihr Alter erschreckend reif und vernünftig.

»Marie, du musst schnell in die Gruppe kommen. Francesca verkloppt Martin mit einer der Puppen und schimpft ganz laut auf Italienisch.«

Alarmiert eilte Marie zurück in die Bärengruppe, die sie aktuell betreute. Dort war der kleine italienische Wirbelwind Francesca doch tatsächlich damit beschäftigt, Martin mit einer der Stoffpuppen zu verkloppen.

»Maria Donna!«, schimpfte sie dabei.

Sogleich ging Marie dazwischen.

»Francesca, hör auf!«, ermahnte sie die Kleine und nahm ihr die Puppe ab. »Du kannst doch nicht einfach Martin schlagen. So etwas macht man nicht.«

»Aber ich, er hat …« Mehr kam aus der kleinen, zuckersüß aussehenden Person nicht heraus, deren Kopf hochrot angelaufen war. Tränen der Wut standen in ihren Augen, und sie ballte die Fäuste. Francesca hatte langes dunkelbraunes Haar und große Augen, doch so niedlich sie auch aussah, ihr südländisches Temperament galt es nicht zu unterschätzen. Erst neulich in der Mittagspause hatte Biggi den zukünftigen Ehemann des Mädchens bereits bedauert. Der arme Kerl würde nichts zu lachen haben. Allerdings war es bis zur Heirat der Kleinen noch ein Weilchen hin, und in der Gegenwart musste dafür gesorgt werden, dass sie es unterließ, andere Kinder zu verprügeln.

»Egal, was Martin getan hat. Wir schlagen uns nicht.« Marie hob mahnend den Zeigefinger. »Hast du das verstanden?« Sie war vor Francesca in die Hocke gegangen und sah der Kleinen ernst in die Augen.

Die Miene des Mädchens war finster. Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust und streckte trotzig ihr Kinn vor. Einsicht sah definitiv anders aus.

Marie wollte noch etwas hinzufügen, kam jedoch nicht mehr dazu, denn zwei weitere Kinder kamen angelaufen, eines von ihnen hatte blutige Finger, was Marie alarmiert herumfahren ließ.

»Elli, um Himmels willen! Was ist passiert?«, rief sie erschrocken.

»Sie hat die Finger in den Kurbelspitzer gesteckt«, erklärte das begleitende Kind.

»Ach du je«, entfuhr es Judith, die just in diesem Moment den Raum betrat. »Ich sag’s ja. Wir sind definitiv unterbesetzt. Komm, Elli, ich gehe dich verarzten.« Sie legte tröstend den Arm um das weinende Mädchen und führte es aus dem Raum. Maries Blick folgte den beiden, und in ihrem Inneren breiteten sich Schuldgefühle aus. Hätte sie wegen des dummen Besichtigungstermins nicht die Gruppe verlassen, wären Ellis Finger bestimmt noch heile. Wieso musste diese Wohnungsbesichtigung auch schon um fünfzehn Uhr dreißig stattfinden? Welcher Vollzeit arbeitende Mensch hatte denn so früh am Nachmittag Zeit?

»Ich nicht hauen wollte den Martin«, drang nun Francescas Stimme an ihr Ohr, sie klang plötzlich kleinlaut. »Aber er hat mich gezogen an Zöpfen.« Grammatik war noch nicht ganz ihre Stärke. Ihre niedliche Entschuldigung brachte Marie zum Schmunzeln.

»Ach, Liebes«, sagte sie und ging vor ihr in die Hocke. »Das weiß ich doch. Komm. Ihr sagt beide zueinander Entschuldigung. Und danach wird es Zeit für unsere Vorlesegeschichte. Magst du die heute aussuchen?«

»Au ja«, erwiderte die Kleine und konnte nun schon wieder lachen. »Die Glitzerfeen hätte ich gern.« Sie eilte zum Bücherregal und zog eines der Bücher heraus.

Eine Weile darauf war das Wunder tatsächlich geschehen, und Marie hatte vorzeitig gehen können. Gut gelaunt verließ sie die Kita und setzte, nachdem sich die Eingangstür hinter ihr geschlossen hatte, ihre Mütze auf. Ihr Notnagel, Susanne Ebener, sprang ein. Die gute Laune hielt jedoch nur kurz an, denn nun stand Marie im kalten Nieselregen vor ihrem klapprigen, mokkabraun gestrichenen Fahrrad und stellte missmutig fest, dass es einen Platten hatte und außerdem das Rücklicht kaputt war. Städtischer Vandalismus machte anscheinend auch vor einem runtergekommenen Fahrrad vor einem Kindergarten nicht halt.

»So ein Mist, jetzt muss ich mit den Öffis fahren«, fluchte sie. »Wenn ich Pech habe, komme ich deswegen zu spät. Was für Idioten.«

Einige Minuten später saß sie in der Straßenbahn und blickte auf die an ihr vorüberfliegende, in herbstliche Tristesse versunkene Stadtwelt, Regentropfen liefen an der Scheibe hinunter. Die Freude darüber, dass sie eher hatte gehen dürfen, war verflogen, und in ihr breitete sich wieder dieses Gefühl der Verlorenheit aus, das sie häufig empfand, seitdem ihr Verlobter Lukas sie wegen einer anderen verlassen hatte. Die dämliche Straßenbahn fuhr nun ausgerechnet durch die Gegend, in der sie früher gemeinsam gewohnt hatten. In einer kleinen ZweiZimmer-Dachgeschosswohnung, im Sommer kochend heiß, im Winter war ständig die Heizung ausgefallen. Aber sie war günstig gewesen, ihre kleine gemeinsame Insel in der Stadt. Noch letzten Sommer hatte sie mit Lukas an warmen Sommernächten auf dem Dach gesessen und bei einer Flasche billigem Rotwein Pläne für die Zukunft geschmiedet, gemeinsam die Hochhäuser von Mainhattan bewundert. Dann war der Sommer abrupt von einem kühlen September beendet worden, und sie hatte herausbekommen, dass es eine Christina in Lukas’ Leben gab. Die makellos schöne Frau studierte ebenso wie er Literaturwissenschaften und Germanistik, langbeinig, schlank, perfektes, welliges, blondes Haar und eine gemachte Nase, wie Silke, Maries beste Freundin, abfällig angemerkt hatte. Die weltgewandte Christina, die Lukas so viel mehr geben konnte als die kleine Erzieherin aus Sossenheim. Monatelang hatte er sie mit ihr schon betrogen, dieser Mistkerl.

Sie lehnte den Kopf gegen die Scheibe der Straßenbahn. Geplatzt war der Traum von einem gemeinsamen Leben, es würde keine Reise nach Sri Lanka geben oder nach Norwegen, wo sie gemeinsam die Nordlichter hatten bewundern wollen. Fünf Jahre Beziehung, und nun stand sie vor einem Scherbenhaufen und musste sehen, wie sie ihr gebrochenes Herz wieder geflickt bekam.

Sie erreichte ihre Haltestelle im Frankfurter Stadtteil Bockenheim und stieg aus. Die Wohnung lag im fünften Stock eines modernen Mietshauses, in dessen Erdgeschoss sich ein großer Supermarkt befand, überhaupt reihte sich in der Straße ein Geschäft an das nächste. Es gab Restaurants, einen Floristen, eine Bäckerei, ein Friseurgeschäft und eine Pizzeria. Erste Schaufenster waren bereits weihnachtlich dekoriert. Das düstere Wetter passte ganz gut zum Fest. Schnee wäre noch nett, aber der war bei zwölf Grad plus nicht zu erwarten.

Marie steuerte auf den Hauseingang mit der Nummer fünfzehn zu. Davor hatte sich bereits eine recht ansehnliche Menschenmenge versammelt, was ihre Hoffnung, den Zuschlag für die Wohnung zu erhalten, schmälerte. Einige der Anwesenden sahen, im Gegensatz zu ihr, wie die perfekten Mieter aus. Ein Pärchen schien einer Werbeanzeige für die Deutsche Bank entstiegen zu sein. Der Mann trug einen teuer aussehenden Anzug, sie ein dunkelblaues Kostüm, ihre Figur war perfekt, nur mit dem Make-up hatte sie es etwas übertrieben.

Maries Blick fiel auf ihr eigenes Spiegelbild in der gläsernen Haustür. Sie trug ihren heruntergekommenen Übergangsmantel aus braunem Cord, den sie an zwei Stellen bereits geflickt hatte. Darunter eine Jeans von H&M, ein T-Shirt und die bunte, von ihrer Oma gestrickte Wolljacke, die die Kinder in der Kita besonders gern mochten. Ihre blonden Locken hatte sie hochgebunden, sie war ungeschminkt, und an ihrer Backe klebte mal wieder etwas Glitzer vom vormittäglichen Basteln. Vielleicht hätte sie sich noch etwas zurechtmachen sollen? Ihr Blick wanderte zu einer jungen Frau mit einem Kleinkind auf dem Arm, und es befiel sie ein schlechtes Gewissen. Hatte die Mutter die Wohnung nicht viel nötiger als sie? Am Ende würde die arme Frau mit dem Kind noch auf der Straße landen. Sie schob den Gedanken beiseite. In dieser Stadt war sich, wenn es um das Thema bezahlbare Bleibe ging, jeder selbst der Nächste. Zu jeder Besichtigung kamen Leute mit Kindern. Wenn sie denen ständig den Vorzug gäbe, würde sie vermutlich für immer bei ihren Eltern wohnen, zu denen sie nach der Trennung notgedrungen zurückgezogen war.

Es erschien der Makler. Ein schlaksiger Mittdreißiger in einem etwas zerknittert aussehenden grauen Anzug, die Hose war ihm zu kurz. Dem armen Kerl fehlte bereits der Großteil seiner Haare, eine Nerdbrille lag auf seiner Nase. In den Händen hielt er eine braune Bürotasche, und er grüßte mit sonorer Stimme in die Runde.

»Kunze, mein Name. Friedrich Kunze, von Kunze und Stresemann Immobilien. Es ist mir eine Freude, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Dann wollen wir uns mal nicht lange aufhalten. Das Objekt liegt im fünften Stock. Wenn Sie mir bitte folgen möchten.«

Der Großteil der ansehnlichen Gruppe wanderte durchs Treppenhaus, einige drängten sich in den Fahrstuhl. In der Wohnung selbst konnte man sich während der Besichtigung kaum bewegen, so voll war es. Zwei Zimmer, Küche, Bad mit Fenster, und es gab sogar einen Balkon, Südwestseite, der von dem Makler als absolutes Highlight bezeichnet wurde. Für Frankfurter Verhältnisse waren neunhundert Euro kalt ein absolutes Schnäppchen. Maries Blick wanderte zu dem Schnöselpärchen – die beiden hatten sich über irgendetwas zu streiten begonnen. Sie kam nicht umhin, sich darüber zu freuen. Wer sich bei einer Besichtigung stritt, bekam bestimmt nicht den Zuschlag für die Wohnung.

Der Makler wurde belagert, sammelte Unterlagen ein und beantwortete Fragen. Marie ging in die leere Küche, sie würde Küchenmöbel mitbringen müssen. Sie hatte sich am gestrigen Abend noch länger bei eBay Kleinanzeigen umgesehen, da gab es günstige Lösungen. Besonders ein hübsches Küchenbüfett aus den Dreißigerjahren hatte es ihr angetan. Nun begann sie zu überlegen, ob es überhaupt in den überschaubaren Raum passen würde. Wenn da noch ein Esstisch reinsollte, könnte es eng werden. Aber war das nicht gleichgültig? Hauptsache, sie hatte überhaupt eine eigene Küche, in der sie tun und lassen konnte, was sie wollte. Im Moment musste sie ständig die Ermahnungen ihrer Mutter ertragen, unter deren Aufsicht das profane Zubereiten eines Rühreis bereits zu einem Spießrutenlauf mutierte.

»Ihrem Blick nach zu urteilen, kommt Ihnen der Raum auch etwas klein vor«, wurde sie von der Mutter mit dem Kleinkind angesprochen. Der kleine Junge, Marie schätzte ihn auf anderthalb, war trotz des Trubels auf dem Arm seiner Mutter eingeschlafen. Marie fand es bemerkenswert, dass die Frau ihre Bemühungen bei dem Andrang nicht längst aufgegeben hatte. Mit Kind war sie vermutlich die Letzte, die der Makler in Betracht zog. Bei der Auswahl an Interessenten war das das übliche Vorgehen. Meistens wurden die Bewerber mit Kindern zuerst aussortiert, dann die mit den Haustieren, danach folgten die Raucher und schließlich die Erzieher, weil jeder glaubte, dass man in sozialen Berufen grundsätzlich am Hungertuch nagte. Es war und blieb ein Trauerspiel.

»Ja, die Küche könnte größer sein«, antwortete Marie. »Aber heutzutage muss man nehmen, was kommt, und die Wohngegend ist hübsch und die Wohnung bezahlbar. Allerdings werde ich bei dem Andrang bestimmt keine Chance haben.«

»Wem sagen Sie das«, antwortete die Frau und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Wir suchen bereits seit einem halben Jahr nach etwas Größerem, das bezahlbar ist. Mein Mann Uwe sieht sich gerade eine Wohnung im Nordend an. Aktuell wohnen wir zu dritt in seinem WG-Zimmer auf fünfzehn Quadratmetern. Seine Mitbewohner sind wirklich geduldig, besonders mit dem Kleinen, aber auf Dauer ist das natürlich nichts.«

Erneut befiel Marie das schlechte Gewissen. Fünfzehn Quadratmeter, du liebe Zeit.

Das junge Hipsterpaar hatte sich nun so arg in die Wolle bekommen, dass es sich lauthals anbrüllte.

»Wenn das so ist!«, schrie sie ihn an. »Dann such dir doch eine andere!« Sie lief an ihnen vorüber und aus der Wohnung. Er folgte ihr, »Helene warte!« rufend.

»Ich glaube, die sind keine Konkurrenz mehr«, kommentierte die Frau mit dem Kind die Geschehnisse und grinste.

»Das denke ich auch«, erwiderte Marie und lächelte den kleinen Jungen auf dem Arm der Frau an. Er war aufgewacht und blinzelte verschlafen. Im nächsten Moment klingelte das Handy der Frau. Sie fischte es aus ihrer Manteltasche und hielt es sich umständlich ans Ohr. Der Anrufer schien eine gute Nachricht zu überbringen, denn ihr Gesichtsausdruck hellte sich auf.

»Das ist nicht wahr? Oh, das ist ja wunderbar. Ja, wir kommen. Das müssen wir feiern.« Sie legte auf und sah Marie mit strahlenden Augen an. »Wir haben eine Wohnung in Sachsenhausen, sogar drei Zimmer, und nur achthundert warm. Was für ein Segen.«

»Gratuliere«, antwortete Marie, die sich ehrlich für die Frau freute.

»Ihnen dann noch viel Glück bei der Suche!« Sie wandte sich ihrem Sohn zu. »Komm, Marlon, wir gehen zu Papa. Das muss gefeiert werden.«

Die beiden verließen die kleine Küche, und Marie verspürte einen Anflug von Neid. Was gäbe sie dafür, ebenfalls einen solchen Anruf zu erhalten, doch ihr Handy blieb stumm. Seufzend verließ sie den Raum und steuerte auf den Makler zu, um ihm ihre Unterlagen zu überreichen. Als dieser ihrer ansichtig wurde, betrachtete er sie mit einer hochgezogenen Augenbraue, als wäre sie ein giftiges Insekt. In diesem Moment wusste sie, dass sie die Wohnung abschreiben konnte. Trotzdem gab sie dem Makler die mitgebrachten und in eine dunkelblaue Mappe einsortierten Kopien ihrer Unterlagen. Vielleicht hatte der ihr unbekannte Vermieter, so ihre letzte Hoffnung, ein Herz für Menschen, die in sozialen Berufen tätig waren.

2. Kapitel

Marie saß auf ihrem Bett in ihrem Kinderzimmer und starrte auf das Poster von Tokio Hotel an der Wand. In einem anderen Leben, in dem sie eine abscheuliche Zahnspange getragen hatte, war sie in Tom Kaulitz verliebt gewesen und wäre am liebsten auf ein Konzert der Band gegangen. Doch ihre Mutter hatte es nicht erlaubt, weil sie glaubte, dass bei solchen Veranstaltungen Drogen an Minderjährige verkauft würden. In Tom Kaulitz war sie heute nicht mehr verliebt, er gehörte zu ihrer Vergangenheit, wie dieser Raum mit seinem gesamten Inhalt: dem zweitürigen Schrank mit der noch immer klemmenden Schiebetür, ihrem Schreibtisch unter dem Fenster, auf dem noch immer ihr altes Federmäppchen lag, als würde es darauf warten, dass sie endlich ihre Hausaufgaben machte. Auf dem Fußboden die hellbeige Auslegware aus dem Baumarkt. Warum ihre Eltern dieses Zimmer nach ihrem Auszug nicht verändert hatten, konnte sie nicht sagen. Vielleicht ja deshalb, weil es im Haus noch so viele weitere Zimmer gab und es nicht notwendig war. Sie war ein Einzelkind und hätte gern einen Bruder oder eine Schwester gehabt, aber es hatte nicht sein sollen. Ihre Mama hatte ihr vor Jahren während eines ihrer wenigen vertraulicheren Gespräche erzählt, dass sie mehrere Fehlgeburten erlitten hatte. Der Ersatz für das fehlende zweite Kind waren stets Hunde gewesen. Auch heute gab es einen im Haus. Eine struppige Promenadenmischung, genannt Lulu, die Marie als Fußhupe bezeichnete. Auf den ersten Blick hatte sie das Tier nicht leiden können. Dieser Umstand beruhte auf Gegenseitigkeit, Lulu knurrte sie meist an, wenn sie ihrer ansichtig wurde. Marie mochte Hunde, aber Lulu war hinterhältig. Erst neulich hatte der doofe Köter ihre besten Schuhe zerkaut, außerdem hatte Lulu ein Problem mit ihrer Verdauung und pupste ständig. Ihre Mutter gab ihr deshalb irgendein sündhaft teures Spezialfutter, aber es half nichts, Lulu müffelte weiter.

Der Hund war ein Grund dafür, so rasch wie möglich wieder in eine eigene Wohnung zu ziehen. Ihre mangelnde Privatsphäre war ein weiterer. Daran, irgendein Date mit nach Hause zu nehmen, dachte Marie nicht einmal. Sie griff zu ihrem Handy und öffnete die Fotogalerie. Sie wusste, dass es falsch war, das zu tun, was sie jetzt tat, aber sie konnte nicht anders. Sie scrollte in ihrer Fotogalerie durch die Bilder der vergangenen Jahre, und das Herz wurde ihr schwer. Sie und Lukas im Urlaub gemeinsam in Griechenland am Meer, auf einer Party von Freunden, kuschelnd im Bett, ihre Selfies in Paris. Ach, sie waren das perfekte Paar gewesen. Er, dunkelhaarig mit braunen, schmal zulaufenden Augen, sie, die Blondine mit dem Lockenkopf. Er hatte sie immer sein Engelchen genannt. Sogar Bilder von ihrem ersten Date befanden sich noch auf ihrem Handy. Dreiundzwanzig war sie damals gewesen, gerade mit der Ausbildung fertig und so verliebt. Kurz nach ihrer Rückkehr aus Griechenland hatte sie herausbekommen, dass er sie betrog. Sie musste die Bilder endlich löschen und ihn aus ihrem Leben und ihrem Herzen verbannen. Aber das war leichter gesagt als getan. Fünf Jahre Leben löschte man nicht einfach so aus. Und jetzt nahte auch noch Weihnachten. Das erste Fest ohne ihn. Wie sollte sie das überstehen?

Ihr Blick wanderte erneut zu Tom Kaulitz, und sie stieß einen Seufzer aus.

»Damit, dass ich wieder bei dir wohne, haben wir beide nicht gerechnet, was?« Sie begann, sich selbst zu schelten: »Jetzt rede ich Trottel schon mit einem Poster.«

Im nächsten Moment klingelte ihr Handy, und sie schreckte kurz zusammen. Ein Blick aufs Display verriet ihr, dass es kein potenzieller Vermieter war, sondern ihre Freundin Silke. Sie nahm das Gespräch an.

»Hi, Silke, was gibt’s?«

»Wo steckst du denn?«, kam als Antwort – in einem vorwurfsvollen Tonfall.

»Zu Hause, wo denn …« Marie kam ins Stocken. »Verdammt!«, fluchte sie. »Ich hab vergessen, dass ich für dich das Training leiten sollte.«

»Ja, das hast du«, entgegnete Silke. »Die Mädels stehen vor der Halle, schaffst du es noch?«

»Sicher, ich hab’s ja nicht weit. Ich bin in fünf Minuten da.«

Marie legte auf, sprang vom Bett, griff nach ihrer Sporttasche und eilte aus dem Raum und die Treppe hinunter. Im Hausflur begegnete sie ihrer Mutter, die mit Lulu vom Gassigehen nach Hause kam und ihren abgetragenen moosgrünen Parka trug. Monika Hermann war Anfang fünfzig, sah jedoch um einiges älter aus. Sie trug eine Mireille-Mathieu-Gedächtnisfrisur, von Make-up oder teuren Pflegecremes hielt sie nichts, und sie trug meist schlichte Kleidung und flache Schuhe. Und sie war ein ausgesprochen großer Fan von Lukas gewesen und machte Marie unterschwellig den Vorwurf, für das Ende der Beziehung verantwortlich zu sein.

Lulu kläffte und sprang an Marie hoch, bedauerlicherweise hatte die Fußhupe schlammige Pfoten, und nun war ihre Jeans fleckig.

»Mensch, Mama, halt den Hund zurück. Sieh nur, wie ich jetzt aussehe«, fluchte Marie und begann, sich über die Hose zu wischen.

»Ach, das bisschen Dreck«, wiegelte ihre Mutter ab. »So etwas gehört dazu, wenn man einen Hund hält.« Sie lachte, griff nach einem an einem Haken hängenden Handtuch mit Hundeknochen darauf und begann, dem Hund die Pfoten zu säubern. »Na komm, Lulu. Jetzt machen wir dich fein. Ja, braver Hund. So ist es recht.«

»Ich muss dann los«, sagte Marie und zog ihre Jacke über. »Ich übernehme für Silke das Training der Kids.«

»Das ist heute? Wie schade«, entgegnete ihre Mutter. »Ich dachte, wir könnten endlich mal wieder alle zusammen essen. Ich habe eine Lasagne vorbereitet. Ach, die hatte Lukas auch immer so gern. Weißt du noch? Die hat er sich immer von mir gewünscht.«

»Ja, ich weiß, Mama«, entgegnete Marie und rollte die Augen. Ihre Mutter ließ wirklich keine Gelegenheit aus, ihren Ex-Freund in irgendeiner Form ins Gespräch zu bringen. Sie schob sich an ihrer Mutter vorbei und öffnete die Haustür.

Zu der Sporthalle, in der das Volleyballtraining stattfand, waren es mit dem Fahrrad nur wenige Minuten durch das Wohngebiet. Wenigstens diesen Vorteil hatte ihr Wiedereinzug in ihr Elternhaus. Von ihrer gemeinsamen Wohnung mit Lukas hatte sie über eine halbe Stunde zum Training gebraucht. Sie selbst spielte Volleyball seit ihrem zehnten Lebensjahr und hatte es schnell bis in die erste Damenmannschaft geschafft. Ihr Ex Lukas war ebenfalls sportlich aktiv, er spielte Fußball, unter der Woche hatten sie sich wegen ihrer unterschiedlichen Trainingszeiten deshalb nur selten gesehen, am Wochenende hatten sie Spieltage. War ihre Beziehung vielleicht an diesen vielen Verpflichtungen gescheitert? Vielleicht stand Christina ja immer brav am Spielfeldrand und feuerte Lukas an, wie einige von diesen aufgetakelten Spielerfrauen der Nationalmannschaft. Cathy Hummels fiel ihr da ein, die hatte es äußerst gut hinbekommen, aus ihrer Beziehung zu einem prominenten Fußballspieler ein Geschäft zu machen. Andererseits spielte Lukas nur beim ersten FC Rödelheim, prominent wurde man dort am Spielfeldrand nicht wirklich.

Sie erreichte die Sporthalle, die erst vor wenigen Jahren saniert worden war, jetzt funktionierte in allen Hallen das Licht, und es gab sogar Warmwasser in den Duschen. Vor der Eingangstür warteten zwölf Mädchen im Alter zwischen sechzehn und achtzehn Jahren auf sie.

»Es tut mir schrecklich leid, Mädels«, entschuldigte sich Marie und stellte ihr Fahrrad ab. »Dafür machen wir hintenraus etwas länger.«

Sie schloss die Hallentür auf, und die Mädchen strömten ins Innere. Es war eine bunt gemischte Truppe aus aller Herren Länder. Einige der Mädchen waren richtig talentiert, Silke war ganz besonders die aus Eritrea stammende Susan aufgefallen. Das Mädchen war über einen Meter neunzig groß und spielte nach sechs Monaten Training so gut wie andere Mädchen nach drei Jahren nicht. Sie könnte gut zum VC Wiesbaden vermittelt werden – in dem Erstligaclub würde sie die richtige Förderung erhalten.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die Mädchen umgezogen waren, begleitet von einer blumig duftenden Deowolke schwebten sie aus der Umkleide. Einige von ihnen waren so stark geschminkt, als wollten sie zu einer Verabredung gehen und nicht zum Sport. Spätestens nach der ersten Aufwärmrunde, in die Marie gern Sprints einbaute, ähnelte die eine oder andere aufgrund ihres verlaufenen Make-ups einem Waschbären.

Während die Mädchen sich nach dem Warmlaufen und dem üblichen Dehnen zu zweit einzuspielen begannen, erschien zu Maries Verwunderung Silke. Ihr kinnlanges Haar hatte mal wieder eine neue Farbe, nun war es hellrosa.

»Was machst du denn hier?«, fragte Marie verdutzt.

»Mein Date hat mich sitzen lassen«, antwortete Silke in einem missmutigen Tonfall. »Der Trottel ist einfach nicht aufgetaucht. Ich glaube, ich lösche diese dämliche Tinder-App wieder. Bisher habe ich da bloß Idioten kennengelernt.« Sie stieß einen Seufzer aus und fragte: »Wollen wir nachher auf einen Absacker in die Arche? Wir waren länger nicht mehr da, und Piet freut sich bestimmt, uns zu sehen.«

Die Arche war ihre Stammkneipe, eine kuschelige Bar, die besonders bei den jungen Leuten Sossenheims wegen ihrer guten Musik und ihrer Gemütlichkeit beliebt war. Das Problem mit der Arche war allerdings, dass sie dort Lukas zum ersten Mal begegnet war. Er war eines Abends mit einigen Fußballfreunden aufgetaucht, und irgendwann hatte er neben ihr am Tisch gesessen, und zu fortgeschrittener Stunde, als sich die Arche bereits geleert hatte, hatten sie eng umschlungen zu Bon Jovis Hit Always getanzt. Später hatten sie viele Abende mit Freunden in der Arche verbracht, in der Kneipe Karneval gefeiert, miteinander Last Christmas gesungen und gemeinsam das neue Jahr begrüßt. In der Arche hatte sie Lukas auch wegen Christina zur Rede gestellt. Auf sicherem Terrain, wie sie dachte. Am Ende war sie weinend fortgelaufen. Früher war die düstere Kneipe mit den grünen Wänden ihre Arche gewesen, ein Platz zum Wohlfühlen. Doch nun war sie ein Ort voller schmerzhafter Erinnerungen, und sie wusste nicht, ob sie schon dazu bereit war, sich ihnen zu stellen.

Silke schien ihre Gedanken zu erraten.

»Ach, Liebes. Es tut mir leid. Das war unsensibel von mir. Wenn du willst, können wir woanders hingehen.«

»Ist schon gut«, beschwichtigte Marie und schluckte den Kloß hinunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. »Ich kann nicht immer vor den Erinnerungen fortlaufen, außerdem gab es die Arche schon vor Lukas. Du hast recht. Piet ist bestimmt happy, uns zu sehen.«

»Dann ist es abgemacht«, freute sich Silke. »Wenn du magst, bleib ich und unterstütze dich mit den Mädels. Komm. Lass uns zusammen schon mal das Netz aufbauen.«

Die beiden trollten sich in Richtung Geräteraum.

Eine Weile später saßen die zwei jungen Frauen an ihrem Stammplatz in der Arche, und jede von ihnen hatte ein aufwendig dekoriertes Glas des von Piet neu kreierten Christmas-Special-Cocktails vor sich stehen. Alle Jahre wieder versuchte sich der Kneipeninhaber darin, für seine Besucher etwas Neues zu entwickeln, und seine Stammgäste mussten die neuesten Kreationen ausprobieren. Der Christmas-Special-Cocktail schmeckte, als würde man in einen sahnigen Lebkuchen beißen. Nur hatte es Piet mal wieder mit dem Alkohol übertrieben. Rum schien eindeutig die verwendete Hauptzutat zu sein. Bereits drei Schlucke der weihnachtlichen Köstlichkeit sorgten dafür, dass Marie sich beschwipst fühlte. Passend zum Cocktail lief just in diesem Moment Last Christmas von Wham, und Piets Weihnachtsdekoration funkelte dazu in bunten Farben. Alle Jahre dekorierte er seinen kleinen Gastraum mit Lichterketten, und auf dem Tresen stand ein bunt blinkender Plastikweihnachtsbaum neben einem kitschigen Weihnachtsmann, den Piet, gegen jede Tradition, Bob genannt hatte.

Piet war Ende vierzig, sein dunkelbraunes Haar war mit den Jahren immer lichter geworden, weshalb er irgendwann dazu übergegangen war, dauerhaft Baseballkappen zu tragen. Mit seinen einsfünfundsiebzig war er für einen Mann eher klein, zusehends wurde er rundlicher. Seine Arbeitskleidung bestand stets aus einer Jeans und einem T-Shirt mit dem Namen seiner Lieblingsband, ACDC, darauf. Außer in der Weihnachtszeit, da hatte er sich dem Ugly-Christmas-Sweater-Trend angeschlossen, weshalb er auch heute wieder ein äußerst scheußliches Exemplar mit einem kitschigen Schneemann darauf trug. Der Pullover besaß sogar eine integrierte, bunt blinkende Lichterkette. Eine feste Freundin hatte Piet nicht. Die einzige weibliche Konstante in seinem Leben war seine Labradorhündin Gaby, die ihm wie immer Gesellschaft leistete und ein Rentiergeweih auf dem Kopf hatte, das, wer hätte es gedacht, ebenfalls bunt blinkte.

»Na, Mädels, wie schmeckt euch der neue Cocktail?«, fragte Piet und trat an ihren Tisch. »Ich weiß, Eigenlob stinkt, aber ich finde, ich habe mich dieses Jahr selbst übertroffen.«

»Also, was den Anteil von Alkohol angeht, auf jeden Fall«, merkte Silke an. »Ein Glas davon, und alle sind knülle. Gefühlt besteht das Zeug nur aus Rum und Lebkuchengewürz.« Marie pflichtete ihr nickend bei.

»Meint ihr wirklich?«, hakte Piet nach. »Und ich dachte, ich wäre mit dem Rum sparsam gewesen.« Er nahm Maries Glas und nippte ungeniert daran. »Ihr könntet recht haben«, räumte er ein. »Da steckt schon ordentlich Bums dahinter. Habt ihr wenigstens den Honig rausgeschmeckt? Und wie gefällt euch die Deko mit den getrockneten Blütenblättern und den Zimtstangen?«

»Die Deko ist unübertroffen«, lobte Marie.

»Nicht wahr?«, freute sich Piet. »Und die Zimtstangen sind so wunderbar wiederverwendbar. Wenn ich die Gläser abgeräumt hab, wasch ich die gleich mit ab. Ich meine, so eine Zimtstange futtert ja niemand.«

Marie brachten Piets Ausführungen zum Schmunzeln. Die Zimtstange, die neben ihrem Cocktailglas lag, beäugte sie nun jedoch skeptisch. Auf die Idee, diese abzuspülen und wiederzuverwenden, konnte nur Piet kommen.

Silke verkündete, dass sie für kleine Mädchen musste, und verschwand im hinteren Teil der Kneipe.

»Ist schön, dass du mal wieder hergekommen bist, Marie«, kam Piet nun auf Maries längeres Fernbleiben zu sprechen. »Hast mir gefehlt. Soll ich die Cocktails für euch noch mal neu machen? Diesmal mit weniger Rum, geht auch aufs Haus.«

Marie rührten seine Worte, und sie stimmte zu. Er räumte die Gläser ab und verschwand hinter dem Tresen. Entspannt lehnte sie sich zurück und lauschte, Guns N’ Roses. Es lief Knockin’ on Heaven’s Door. Piet hatte ein Faible für Rockklassiker aus den Achtziger- und Neunzigerjahren. In diesem Moment erschienen zwei neue Gäste, und ihr Anblick ließ Marie erstarren. Es waren Lukas und Christina. Ihr Herzschlag beschleunigte sich sogleich, und ihre Hände begannen zu zittern.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie die beiden an. Lukas erdreistet sich doch glatt, diese blöde Kuh mit herzubringen. In ihre Stammkneipe, an den Ort, der in ihrer Beziehung einen solch hohen Stellenwert gehabt hatte.

Lukas’ Blick blieb kurz an ihr hängen, und sie hasste sich in diesem Augenblick so sehr für ihre aufgewühlten Gefühle, dafür, dass sie nicht einfach darüberstehen konnte. Aber wie sollte das jemals funktionieren? Sie liebte ihn noch immer, verdammt, sie hatte diesen Mann heiraten wollen, sie hatten sich ihr Eheleben in den schönsten Farben ausgemalt. Ein Haus auf dem Land, Kinder, ein Junge und ein Mädchen sollten es sein. Keine Hunde, dafür zwei Katzen und sieben Meerschweinchen, wieso genau sieben, hatte Lukas ihr nicht erklären können. Marie hätte auch auf das Haus auf dem Land und das perfekte Familienleben verzichtet und wäre für immer in der runtergekommenen Wohnung im Nordend geblieben, Hauptsache, Lukas wäre noch bei ihr, und sie könnte mit ihm gemeinsam kochen. Gut, er hatte immer nur das Gemüse klein geschnitten, aber egal. Sogar Downtown Abbey und Grey’s Anatomy hatte er mit ihr angesehen und es kommentarlos hingenommen, dass sie für McDreamy schwärmte.

Ob er mit Christina auch Grey’s Anatomy guckte? Natürlich sah sie großartig aus, das musste Marie zugeben. Sie war gertenschlank und trug zu ihrer engen Skinny-Jeans einen bauchfreien Strickpullover. Der Sinn solcher Kleidungsstücke war Marie schon immer schleierhaft gewesen. Strickklamotten sollten einen doch warmhalten, bauchfrei funktionierte das doch gar nicht. Christinas kastanienbraunes Haar glänzte und wellte sich über ihren Rücken, sie war perfekt geschminkt. Ihr Blick streifte Marie. Er war abfällig und arrogant. Marie ahnte, was die Frau nun dachte. Mit so einer hatte ihr Schatz mal was gehabt. Mit diesem Mauerblümchen, das wegen des vielen Volleyballtrainings zu muskulöse Waden und Oberschenkel hatte, um in eine Size-zero-Jeans zu passen.

Plötzlich hatte Marie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

»Ich muss hier raus«, stöhnte sie und stand auf. »Ich brauche frische Luft«, sagte sie zu Piet und eilte zum Ausgang.

Draußen empfing sie kühle, nach Frost riechende Luft. Vielleicht würde es ja doch bald Schnee geben. Marie liebte es, den Schneeflocken dabei zuzusehen, wie sie vom Himmel fielen und die Welt in ein Winterwunderland verwandelten. Allerdings passierte das in Frankfurt immer seltener, und wenn es dann doch mal schneite, taute die weiße Pracht meist rasch wieder weg. Der Verkehr war inzwischen zur Ruhe gekommen. In dem einen oder anderen Fenster der Häuser brannte noch Licht. Niemand war weit und breit zu sehen. Marie atmete tief durch, und ihr Pulsschlag beruhigte sich. Sie lief um das Gebäude herum und blieb verdattert vor dem Fahrradständer stehen. Ihr Rad war fort. Einen Moment lang starrte sie ungläubig auf den Ständer.

»Das jetzt auch noch!«, schimpfte sie. »Kann es noch schlimmer werden?«

Als ob irgendeine höhere Macht sie gehört hätte, wurde sie von einer vertrauten Stimme angesprochen. Sie wandte sich mit klopfendem Herzen um. Es war Lukas, der vor ihr stand. Dieser Trottel trug auch noch den hellblauen Hoody, den sie ihm im vergangenen Jahr zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Gott, was waren seine Augen schön. Die hatte sie an ihm am meisten geliebt. Er hielt ihr ihre Handtasche hin.

»Hallo, Marie«, grüßte er. »Die hast du vergessen.« Er sah sie auf die Art an, die sie so sehr an ihm liebte. Etwas von unten, treuherzig wie ein Dackel. Ihr Innerstes bebte, und sie nahm ihm die Tasche mit zittriger Hand ab.

»Danke dir«, brachte sie heraus und räusperte sich.

»Wie geht es dir?«, fragte er.

Ausgerechnet er stellte ihr diese Frage. Der Mann, der ihr das Herz gebrochen, der sie belogen und betrogen hatte.

Um die Antwort kam sie zum Glück herum, denn Silke trat nun aus der Kneipentür und blickte verdutzt von Lukas zu Marie.

»Was wird das hier?«, fragte sie und sah Lukas herausfordernd an.

»Nichts«, antwortete er. »Ich habe Marie nur ihre Tasche gebracht. Sie hatte sie liegen lassen. Schönen Abend noch. War nett, dich wiederzusehen, Marie.« Er ging zurück in die Kneipe, und nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, atmete Marie erleichtert auf.

»Jetzt taucht er mit seiner Ziege auch noch hier auf«, ätzte Silke. »Die Arche gehört uns. Die passt doch gar nicht hierher, diese doofe Miss Superperfect.« Sie spie die letzten Worte regelrecht aus. »Geht es denn?«, fragte sie und sah Marie mitfühlend an.

Marie nickte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

»Muss ja«, erwiderte sie. »Mein Fahrrad haben sie auch geklaut.«

»Ach du je«, erwiderte Silke, und ihr Blick fiel auf den leeren Fahrradständer. »So ein Mist aber auch. Hat es einen Tracker?«

»Tracker? Ich war froh, dass es fuhr«, entgegnete Marie und zog die Nase hoch.

»Na, dann ist es ja nicht schlimm, dass es weg ist«, erwiderte Silke und fügte pragmatisch hinzu: »Du kannst gern fürs Erste mein Rad haben. Ich fahr sowieso nie damit.«

»Das ist lieb von dir«, antwortete Marie und zwang sich zu einem Lächeln.

»Magst du noch mit zu mir kommen?«, fragte Silke. »Kannst auch bei mir pennen. Ich hab Rotwein und Chips, wenn wir Glück haben, ist auch noch Schoki da. Besser als in deinem alten Kinderzimmer ist es bei mir allemal.«

»Ja, das stimmt wohl«, antwortete Marie und nahm Silkes Angebot an.

3. Kapitel

Marie stand in Silkes Küche am Fenster und bestaunte das morgendliche Wunder. Es schneite, dicke weiße Flocken wirbelten vom Himmel. Sogar die Dächer und Gehwege wurden allmählich weiß.

»Wenn das so weiterschneit, dann können wir mit den Kindern heute im Garten vielleicht einen Schneemann bauen«, meinte Marie. »Hoffentlich denkt unsere Küchenfee an Karotten für die Nasen.«

»Diese elende Kaffeemaschine«, fluchte Silke hinter ihr. »Was hat sie denn jetzt schon wieder? Ich sag dir was: Kauf niemals Elektrogeräte am Black Friday, da drehen sie dir nur den kaputten Schrott an. Zweimal hab ich das Ding schon eingeschickt, und jetzt läuft sie wieder nicht.« Sie betätigte mit Nachdruck einen der Knöpfe, doch der Kaffeevollautomat tat keinen Mucks, es blinkte bloß ein rotes Lämpchen. »Jetzt funktionier endlich, du dummer Kasten.« Sie drückte so fest, dass die Maschine ein Stück nach hinten rutschte und dadurch kurz davor war, von der Küchenarbeitsplatte zu fallen.

Silkes Küche war in den Wohnraum integriert und sah aus wie aus einem Schöner-Wohnen-Prospekt, nur war sie etwas unordentlicher. Silkes gesamte Zweizimmerwohnung war unaufgeräumt. Aktuell noch mehr als sonst, denn das hellgraue Sofa war ausgeklappt, und Maries Bettzeug lag darauf. Auf dem Wohnzimmertisch standen leere Flaschen und schmutzige Teller, daneben lagen Chipstüten. Sie hatten den verregneten Sonntag mit Ausschlafen und einem Serienmarathon verbracht. Beide trugen ihre plüschigen, rosafarbenen und einteiligen Schlafoveralls, die sie sich ein Jahr zuvor aus einer Laune heraus bei einem Internetshop bestellt hatten und die so gemütlich waren, dass man sie am liebsten niemals wieder ausziehen wollte.

»Pass doch auf«, kommentierte Marie das Geschehen und schob die Maschine wieder zurück. »Sie runterzuwerfen, macht es nicht besser.«

»Wenn es doch wahr ist«, grummelte Silke. »Aber ich hab noch Garantie. Dieses Mal lass ich mich von der dummen Ziege an der Service-Hotline nicht abwimmeln. Jetzt will ich endgültig ein Ersatzgerät.« Sie gab der Maschine einen abschließenden Klaps auf den Deckel und rollte die Augen. »Und ich hätte jetzt so gern einen anständigen Espresso gehabt«, maulte Marie. »Wie soll ich es denn ohne die passende Dosis Koffein durch den Tag schaffen? Die Kids sind gerade echt anstrengend.«

»Das sind unsere Schüler auch«, antwortete Silke, begann, die Schranktüren zu öffnen, und murmelte etwas von einem Rest Anrührkaffee.

Silke arbeitete bei der Schulsozialarbeit einer Gesamtschule und erzählte Marie regelmäßig gruselige Dinge aus ihrem Alltag, die Marie selbstverständlich streng vertraulich behandelte. Besonders Mobbing war ein Thema. Als sie jung gewesen waren, hatte man wenigstens zu Hause als Opfer solcher Misshandlungen seine Ruhe gehabt, doch durch die digitale Welt hatte sich die Thematik bis in die Kinderzimmer geschlichen, was die Sache verschlimmerte. In dieser Hinsicht war der Kindergarten wie eine kleine Insel der Glückseligkeit, wenn man mal von den WhatsApp-Elterngruppen absah, in denen regelmäßig von irgendwelchen Helikoptermüttern die Kompetenz der Erzieher infrage gestellt wurde.

In diesem Moment fiel Marie eine Veränderung an dem Luxuskaffeevollautomaten auf.

»Das rote Licht deiner Maschine blinkt jetzt gar nicht mehr«, merkte sie an. »Jetzt leuchtet eine Lampe grün. Was bedeutet das?«

Silke, die gerade damit begonnen hatte, den Küchenschrank auszuräumen, ließ von dieser Tätigkeit ab und sah die Maschine mit großen Augen an.

»Stimmt. Das ist gut. Ich meine, dann funktioniert sie vielleicht ja doch. Das müssen wir sofort testen.«

Sie kramte eine Espressotasse hervor und drückte auf einen der zahlreichen Knöpfe. Keine Minute später lief herrlich duftender Espresso aus der Maschine.

»Es funktioniert«, freute sich Silke. »Ich sollte dem Ding öfter sein Ende androhen.« Sie grinste und fragte: »Milchkaffee, wie immer?«

Marie stimmte zu, und Silke holte einen Kaffeebecher mit Shaun dem Schaf darauf aus dem Schrank und stellte das Radio an. Es lief die übliche Morning Show mit Anja Rossler und Tommi Klemmer. Die beiden kündigten gerade voller Freude ihre diesjährige große Weihnachtsaktion an, die es tatsächlich in sich hatte.

»Fliegt mit uns zum Christmas Shopping nach New York«, plärrte Anja aus dem Lautsprecher. »Das wird der Wahnsinn!«

»Richtig. Fünf Tage New York City, mit allen Highlights«, redete Tommi Klemmer weiter. »Wir laufen Schlittschuh im Central Park, besuchen das Empire State Building und die Freiheitsstatue. Das wird die Reise eures Lebens!«

»Na, das nenne ich mal ein Gewinnspiel«, kommentierte Silke den Beitrag. »New York! Davon haben wir doch schon immer geträumt. Einmal wie Carrie Bradshaw durch die Stadt laufen und nach einem Taxi winken, bei Macy’s shoppen gehen und auf dem Empire State Building genau an der Stelle stehen, wo sich damals Meg Ryan und Tom Hanks gefunden haben. Das wäre schon was. Was meinst du? Wir könnten uns anmelden.«

»Ja, das wäre großartig«, antwortete Marie, der aufgefallen war, dass der Kaffeevollautomat erneut rot blinkte. Mehr als einen Espresso schien ihnen der Kasten nicht zuzugestehen. »Wobei man bei so einem Gewinnspiel ohnehin nie Glück hat. Da meldet sich doch ganz Hessen an. Außerdem werde ich so kurzfristig keinen Urlaub bekommen. Ich muss mich immer an die Schließzeiten des Kindergartens halten.«

»Ach, komm schon. Wenn du diese Reise im Radio gewinnst, dann bekommst du bestimmt frei. Einen solchen Gewinn kann dir Judith gar nicht versauen.«