„Wir lachen, weil wir weinen“ - Walter Kaufmann - E-Book

„Wir lachen, weil wir weinen“ E-Book

Walter Kaufmann

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Beschreibung

“Wir lachen, weil wir weinen” – so lautet ein irisches Sprichwort, das in all seiner Knappheit Charakteristisches über Irland und die Iren aussagt. Dem in jahrhundertelanger Unterdrückung durch die Engländer erfahrenen Leid, aber auch dem unbeugsamen Lebenswillen des irischen Volkes spürt Walter Kaufmann in seinem Buch von 1975 nach. In seinen Reportagen kommt seine Liebe zu diesem Land zum Ausdruck, nehmen Menschen Nordirlands Gestalt an: Iren und Engländer, Katholiken und Protestanten, Männer der IRA und Männer der UVF, Kommunisten und Kapitalisten. Ihre Schicksale – stellvertretend für das Schicksal ganz Nordirlands – machen uns die inneren Widersprüche des leidgeprüften Landes und die scheinbare Ausweglosigkeit deutlich, lassen uns den blutigen Alltag ungleich stärker nacherleben als das lapidare Zeitungsmeldungen vermögen. Sein Leben unter Hafenarbeitern und Seeleuten während seines siebzehnjährigen Australienaufenthaltes machte Walter Kaufmann schon in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren mit der irischen Art vertraut. Der Freiheitsdrang von Einwanderern aus Belfast und Derry, denen er in den Häfen von Sydney und Melbourne und in der Inselwelt des Pazifischen Ozeans begegnete, ihre selbstverständliche Solidarität mit allen Unterdrückten, ihr Humor und ihre Herzlichkeit beeindruckten ihn sehr. Für die bildhafte kraftvolle Sprache dieser Männer entwickelte er ein waches Ohr, ihm war, als blättere er in den Werken von O’Flaherty, O’Casey und Synge, die von jeher einen bedeutenden Einfluss auf sein Schaffen hatten. Diesem Einfluß hat sich Walter Kaufmann nie entziehen wollen – und so war es nur folgerichtig, dass er bei Reisen in Nordirland 1975 seine Bindung zum irischen Leben vertiefte und hier mit besonderem Engagement sein Thema fand.

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Impressum

Walter Kaufmann

„Wir lachen, weil wir weinen“

Im Brennpunkt: Nordirland

ISBN 978-3-96521-276-3 (E-Book)

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

Foto des Autors: Barbara Meffert

Fotos im Buch: Walter Kaufmann

Das Buch erschien erstmals 1977 im VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig 1977. Redaktionsschluss: 15.11.1976

„We laugh because we cry”

Irisches Sprichwort

Aus begreiflichen Gründen wurden verschiedene Eigennamen verändert

Für James Stewart

Belfast

2020 EDITION digital

Pekrul & Sohn GbR

Godern

Alte Dorfstraße 2 b

19065 Pinnow

Tel.: 03860 505788

E-Mail: [email protected]

www.edition-digital.de

1

Um 12.35 Uhr dieses regnerisch-windigen Donnerstags der ersten Oktoberwoche 1975 schwenkte in einem katholischen Getto von Belfast ein blauer Mercedes von der Falls Road in die Leeson Street ein, raste zwischen den rostbraunen, verfallenen Häuserreihen übers Pflaster, durchbrach eine Sperre schwerer Tonnen und kam mit hartem Bremsen vor der Eckkneipe Bush Bar zum Stehen. Die Wagenschläge flogen auf, drei mit Maschinenpistolen bewaffnete Männer sprangen auf die Straße, rannten auf die beiden Eingänge der Kneipe zu und feuerten ohne Warnung, während ein vierter eine Bombe aus dem Auto trug, die er seitlich des Hauses absetzte. Sich gegenseitig durch Salven absichernd, wichen die vier Attentäter zu dem Mercedes zurück und schlugen die Türen hinter sich zu. Kaum hatte das sofort vorschnellende Auto die nahe Grosvenor Road erreicht, da explodierte auch schon die Bombe im Rücken der Männer, die sich fluchtartig aus dem Haus ins Freie gedrängt hatten, neun von ihnen waren durch Schüsse verletzt worden.

Es dauerte knapp zwei Stunden, bis es Feuerwehrleuten, britischen Soldaten und Bewohnern der Leeson Street gelang, die Trümmer der völlig zerstörten Bush Bar so weit wegzuräumen, dass sie sich den Weg ins Nebenhaus bahnen und eine achtundachtzigjährige Frau befreien konnten, die dort verschüttet war.

Zu diesem Zeitpunkt stand schon fest, dass die Attentäter Mitglieder der UVF gewesen waren, der Ulster Volunteer Force, einer protestantischen, paramilitärischen Organisation, und es hatte sich auch erwiesen, dass ein alter Mann bei dem Überfall tödlich verwundet worden war.

Auf den Titelseiten der Zeitungen des folgenden Tages prangten Schlagzeilen wie Gemetzel – Blutbad – Tag des Grauens. Die haarsträubenden Schilderungen von Gewalttätigkeiten, die unter diesen Schlagzeilen zu lesen waren, bezogen sich jedoch nur zum Teil auf das Attentat in der Leeson Street. Denn in den vorhergegangenen vierundzwanzig Stunden waren in ganz Nordirland bei sechzehn Bombenanschlägen neun Männer und drei Frauen ums Leben gekommen und mehr als dreißig Personen erheblich verletzt in Krankenhäuser eingeliefert worden. In der Tat eine erschreckende Bilanz – die uns in gerader Linie zurück zur Bush Bar führt, wo ich nur kurz nach der Explosion am ersten Tag meiner dritten Belfastreise eintraf, um Jack O’Malley aufzusuchen, mit dem ich Monate zuvor bekannt geworden war und den ich in dieser Kneipe vermutete.

Bis zu jenem verhängnisvollen Augenblick, den auch er – wie sich später herausstellte – nur um Minuten verpasst hatte, war die Bush Bar eine Art Arbeiterbörse für Jack O’Malley. Dort trank er nicht nur seinen Guinness in geselliger Gemeinschaft von IRA-Männern, sondern holte sich auch Aufträge und heuerte erwerbslose Arbeiter an, die ihm für ein paar Pfund als Beifahrer zur Hand gingen. Schon im Frühjahr hatte es mich in diese Kneipe gezogen, eine Fundgrube für Informationen; ich war aber damals dem hochgewachsenen, breitschultrigen Mann nicht nähergekommen, der da, stets am gleichen Platz, den James-Connolly- und Che-Guevara-Bildern gegenüber, die neben den Flaschenregalen hingen, trinkend an der Theke lehnte. Erst im Sommer entstand zwischen uns eine jener für dieses Land typischen Männerbeziehungen, die gleich stürmisch-herzlich beginnen und sich an Whisky und gegenseitigen Offenbarungen weiter entfachen. Er erfuhr viel von mir, und darum zögerte er auch nicht, so manches aus seiner eigenen Vergangenheit preiszugeben, was er normalerweise verschwiegen hätte. Sicher half dabei auch, dass wir beide etliche Seefahrtsjahre hinter uns hatten und uns über ferne Häfen und Schiffsrouten rund um die Welt austauschen konnten. Wie so viele Iren erwies er sich als geborener Erzähler mit urwüchsigem Humor. Das Galgenstück, wie er und der Schiffsheizer Patrick Rooney in Amerika zwanzigtausend Dollar ergatterten, zeigt treffend, aus welchem Holz er geschnitzt ist:

„Wie wir zu dem Zaster gekommen sind? Mann Gottes, das war so … Da lag der alte Patrick stockbesoffen mit zerschmettertem Bein auf den Schienen im Hafengelände von Hoboken, seine Schuld durchweg, und ohne diesen pfiffigen Winkeladvokaten Sam Goldblatt wäre aus einer Versicherungsentschädigung nie was geworden. Der aber hatte rausgekriegt, dass der Lokführer schon drei Tage vor dem Unfall im Ruhestand war und keinen Dienst mehr hätte machen dürfen. Da hakte Goldblatt ein. Die Gerichtsverhandlung war das reinste Panoptikum. Der alte Patrick in kurzen Hosen, damit sein Gipsbein auch auffiel, und ich als Zeuge, obwohl ich in der Dunkelheit und meinem Suff überhaupt nicht gesehen hatte, wie mein Kumpel unter die Räder kam. Mit jedem Meineid verschrieb ich meine Seele dem Teufel ein Stück mehr, und am Ende war die Versicherung froh, dass sie so billig davonkam, denn Sam Goldblatt hatte wegen Fahrlässigkeit der Bahnbehörden auf fünfzigtausend Dollar geklagt, sich dann mit der Hälfte abgefunden und fünftausend davon eingestrichen. Machte zwanzigtausend für uns, genug, um den Reeder zu feuern und die Welt zu kaufen. Zwanzigtausend Dollar – das war damals ein Stück Geld, kann ich dir sagen! Hätte sich der alte Patrick nicht gleich wieder besoffen und – Pech im Glück! – den gesunden Fuß so verstaucht, dass er überhaupt nicht mehr laufen konnte, dann wäre das Ganze der Witz des Jahres gewesen. Was soll’s – war auch so sehr lustig, wie wir beide den Zaster niedergekniet haben. Du glaubst das alles nicht? Mann Gottes, der alte Patrick lebt nur ein paar Straßen weg von hier, wir können ihn ja holen.”

Darauf bestand ich nicht. Todsicher hätte der Schiffsheizer jedes Wort bestätigt, und mir wäre es immer noch überlassen geblieben, den Funken Wahrheit in der Geschichte zu erkennen. Großzügig bestellte Jack noch zwei doppelte Whisky und erzählte weiter. Mit jedem neuen Mosaikstein kam die wilde, ungezügelte Art dieses etwa vierzigjährigen Vaters von sieben Kindern und Ehemanns einer deutschen Frau deutlich zutage. Deutschland, besonders Hamburg und Lübeck, spielten im Folgenden eine beträchtliche Rolle. Dorthin hatte es ihn später verschlagen, dort hatte er Agnes Schmidtchen kennengelernt und geheiratet, und von dort war er schließlich wieder ausgerückt, nachdem er sich „für die gute Sache natürlich!” in Altona Unmengen von Falschgeld hatte drucken lassen –im Namen der lRA, die dahintergekommen war, dass die Nazis im Krieg Millionen englischer Pfund produziert hatten, um die britische Wirtschaft zu stören. Eine Mordsidee, hatte Jack O’Malley gefunden: die britische Wirtschaft in die Knie zwingen und so der Heimat nützen! Doch das Unternehmen schlug fehl, ein Komplize von ihm wurde mit dreitausend Pfund Falschgeld an der britischen Grenze verhaftet, und Jack O’Malley, der mit weit mehr bis nach Belfast durchgekommen war, sah sich gezwungen, den Großteil seiner Beute zu vernichten.

„Mann Gottes, hätte ich bloß auch den Rest verbrannt! Die paar Lappen, die sie dann bei dieser wüsten Hausdurchsuchung bei mir fanden, haben mich vier Jahre hinter Gittern gekostet. Noch einen Whisky – was soll’s! Die lumpigen Jährchen hab’ ich eben abgerissen, auf einem Ohr sozusagen, für die gute Sache und für Irland!”

Die achtundachtzigjährige, inzwischen aus dem Nebenhaus befreite Frau wurde gerade durch die zurückweichende Menge zu einem Krankenwagen getragen, während ich mich noch immer nach Jack O’Malley umsah. Der war nirgends zu finden, doch ich spürte den alten John Macnamara auf, der rauchend in seiner Haustür stand und von fern das Geschehen scheinbar gleichgültig verfolgte. Tatsächlich stellte sich heraus, dass er zutiefst verstört war, es hatte ihm die Sprache verschlagen, denn als ich ihn anredete, schüttelte er nur den Kopf, als verstünde er mich nicht. Die Zerstörung der Bush Bar, die für ihn seit eh und je eine Heimstätte gewesen war, kommentierte er nur in Silben: „Ja ja, so geht sich das!” Sein schmales Gesicht war wie immer rot angelaufen, und wenn er schluckte, stieg der Adamsapfel über den Kragen seines Hemdes. Es war, als ersticke er daran. Er hustete, spuckte seinen Zigarettenstummel auf den Bürgersteig und zertrat ihn. Nur durch ein Schulterzucken gab er mir zu verstehen, dass er keine Ahnung habe, wo Jack O’Malley stecke, in der Kneipe solle er nicht gewesen sein, als die Bombe hochging, er selbst auch nicht, „Gottlob!” – war nur eines der wenigen Worte, die er schließlich hinzufügte.

Unter den Männern, die jetzt dabei waren, das, was an Inventar der Bush Bar noch erhalten geblieben war, aus den Trümmern zu bergen, sah ich Ray und Michael, zwei von Macnamaras Söhnen. Mit ihrem leuchtendroten Haar waren sie nicht zu übersehen. Beide schwitzten, Trümmerstaub bedeckte ihre Gesichter, ihre verdreckten Hemden und Hosen klebten ihnen am Leib wie eine zweite Haut. Ich sah sie eine Bank aus dem Schutt ziehen, einen Tisch, ein paar Flaschen, das Che-Guevara-Bild, eine Holzharfe, von der ich wusste, dass sie ein Gefangener aus dem Internierungslager Long Kesh geschnitzt hatte. Als Michael, die Harfe unter dem einen Arm, drei Whiskyflaschen in der Beuge des anderen, in ein gegenüberliegendes Haus verschwand, folgte ich ihm. Zu meiner Verblüffung erkannte ich, dass man dort dabei war, sich eine neue Bleibe einzurichten, die Theke stand bereits, ein paar Bretter auf hochgestellten Kisten und hinter der Theke ein dürftiges Regal mit verschiedenen Schnaps- und einer Reihe Guinness-Flaschen. Der Mann am Ausschank, ein stämmiger Kerl, dessen harten Belfast-Dialekt ich nur mit Mühe verstand, verkündete gerade den Namen der neuen Kneipe: „Cracked Cup”. „Zersprungene Tasse” schien mir unter den Umständen derart unterbetont, dass ich lauthals lachen musste. Auch der Mann lachte. „Die Tiefstapelung des Jahres”, bestätigte er.

Nachdem Michael die Whiskyflaschen abgeliefert und die Harfe aufs Regal gestellt hatte, legte ich zwei Pfund auf die Theke und hielt die Männer frei, die sich zu mir gesellt hatten. Auch Michael lehnte nicht ab, kippte sein Malzbier zwischen die staubigen Lippen und grinste. Wie schon sein Vater vor ihm zeigte er keinerlei Überraschung über mein Auftauchen – auch verstört war er nicht.

„Ein Reporter muss sein, wo was passiert”, sagte er bloß.

„Schlimme Sache, das Ganze!”

„Weg mit Schaden”, meinte er. „War ja nicht das erste Mal, dass es gekracht hat, wird auch nicht das letzte Mal sein.”

Mit einem keltischen Wort, das ich nur vom Klang her wiedergeben kann, hob ich mein Glas zu ihm und den anderen: „Slonche!”

„Slonche.”

Sie alle, das war klar, lebten mit der Gewalt und hatten sich an Explosionen gewöhnt – wie Japaner an Erdbeben.

„Hier vertreibt uns keiner”, verkündete Michael. „Bis morgen floriert der Laden, verlass dich drauf! Bloß schlimm, dass sie zum Schluss noch den Lollypopman über den Haufen geschossen haben.”

„Lollypopman?”

„Einen von diesen alten Rentnern, die an Kreuzungen Kinder übern Damm führen. Weißer Mantel und Signal – du weißt doch! So einen hat’s an der Grosvenor Road erwischt.”

„Und keiner von euch hat zurückgeschossen?”

Die Männer um mich herum schwiegen, auch Michael schwieg betroffen, und erst als ich zwei Tage später Jack O’Malley doch noch aufgespürt hatte, erfuhr ich, dass just zu der Zeit des Überfalls die beiden Posten, die sonst immer die Bush Bar und Umgegend bewachten, in einen nahen Fischladen verschwunden waren, um Fisch und Chips zu kaufen.

„Hast du ’ne Ahnung, wo Jack ist?”, fragte ich Michael.

„Wird wohl ’ne Fuhre haben. Wenn er auftaucht, sag’ ich ihm, dass du hier warst.”

Er trank sein Bier aus und bot mir einen Whisky an, doch ich winkte ab. Er schien erleichtert, das Geld mochte ihm knapp sein, oder es drängte ihn zurück zur Arbeit, und er verabschiedete sich. So kam es, dass ich an diesem Tag die drei Paar Kinderschuhe nicht loswurde, die ich für Jack O’Malleys jüngsten Nachwuchs aus Berlin mitgebracht hatte. Die Schuhe in meiner Tragetasche, verließ ich den kahlen, noch dürftig beleuchteten Raum, trat auf die Straße und ging langsam, die Trümmer der Bush Bar im Rücken, zur Falls Road hoch. An der Ecke hielt ich eines jener zerbeulten Linientaxis an, ohne die in dieser Gegend der Transport erlahmen würde, und fuhr die Strecke zum Stadtzentrum zurück. Sirenen von Polizeiwagen, Krankenwagen, Feuerwehren gellten mir in den Ohren, doch der Mann neben mir sagte nur: „Belfaster Konzert!” und sprach dann übers Wetter.

2

MELDUNGEN

Endstation Tod für Joe Frazier

Ali schlug zu wie mit einem Hammer

Leutnant Clifford Burridge schreibt an die Eltern eines jungen Mannes, den er bei Belfaster Unruhen erschossen hatte

Sie werden nicht glauben, was wir alles verkaufen und wie billig es ist!

Regierungserklärungen und Polizeiberichten zufolge, ist die Schuld für das Gemetzel dieses blutigen Tages der Ulster Volunteer Force und der Provisional IRA zuzuschreiben!

Die Jagd nach den Attentätern geht weiter

Wir haben den Niedergang großer Industriezweige erlebt – jetzt sind die Werften in Gefahr und drastische Maßnahmen nötig, um die Firma Harland & Wolff vor dem Bankrott zu retten

Auch in Belfast entspannen Sie fantastische Londoner Masseusen – The Elite 439 a Lisburnc Road. Tel. 66 93 22

Nordirische Sicherheitsbeamte sind gestern Nacht in die Jagd nach den Entführern einbezogen worden, die den holländischen Industriellen, Dr. Tiede Herrema, unter Todesdrohungen festhalten

Sturz in den Abgrund

Die Situation in Nordirland ist gefährlich und verschlechtert sich täglich

Unsere Anzüge passen langen Männern und allen Männern!

Wer sorgt sich? Wir sorgen uns! Ein Posten bei der Königlichen Polizei von Ulster wird gut bezahlt, und die Aufstiegsmöglichkeiten sind groß

Sie brauchen nicht einsam zu bleiben. Brendan und Marie Coffey helfen Ihnen, einen Partner zu finden

Tag des Todes

Worte reichen nicht mehr, um den Abscheu auszudrücken, den die Todeswelle durch Kugeln und Bomben gestern ausgelöst hat

„Schöner Tag heute, vielleicht ein bisschen windig, könnte wieder Regen geben, wenn der Wind nicht umschlägt – meinen Sie nicht?“

Allerorts in Irland spricht man übers Wetter, das gehört zum guten Ton und gilt als Begrüßung. Es wäre unhöflich, ja geradezu undenkbar, auf diese Art von Fühlungnahme nicht einzugehen, denn das hieße, den anderen der Möglichkeit berauben, zu Tagesereignissen oder Persönlichem überzuleiten. Es dauerte zwar lange, bis der Pensionswirtin mein Name geläufig war und sie sich darauf eingestellt hatte, woher ich kam; doch ich bin sicher, dass sie mich von dem Augenblick an in ihr Herz schloss, als ich, ihr zustimmend, das milde Herbstwetter lobte und aufmerksam zuhörte, wie sie Oktobertage vergangener Jahre mit dem heutigen verglich und mir abschließend erklärte, dass die Morgensonne den in der Nacht gefallenen Regen schon getrocknet habe.

„Sehr schön, Mrs. Gunn.”

Nicht nur an ihrem herzlichen „Wunderbar für Sie!”, sondern noch mehr an ihrem besorgten „Ich hoffe, Sie kommen gesund durch den Tag” war ihre Zuneigung zu spüren.

Auch mein einziger Frühstücksnachbar, der mir als Mr. Arthur Doyle aus Australien vorgestellt worden war, nahm übers Wetter Kontakt mit mir auf, obwohl die Meldungen, die uns aus unseren Zeitungen entgegenschlugen, genügend Gesprächsstoff gegeben hätten: Die protestantische Ulster Volunteer Force war auf Grund der gestrigen Ereignisse vom Staatssekretär Merlyn Rees verboten worden, und in Limerick hatten Terroristen den Manager eines Stahlwerks entführt, um auf diese Weise die Freilassung von drei politischen Gefangenen zu erzwingen, die Katholiken waren. Er aber erwähnte das alles nicht, schließlich war ja nicht abzusehen, wie ich dazu stand, und beschränkte sich auf stimmungsvolle Worte über diesen Belfaster Herbst und den Frühling in Perth, den er noch miterlebt hatte. „Prächtige Jahreszeiten, dort wie hier.”

„Glaube ich Ihnen gern.”

Sein wettergebräuntes Gesicht leuchtete auf, als ich ihm erklärte, dass ich selber lange in Australien gewesen sei. Er schob seine Zeitung fort und streckte mir freudig erregt ein zweites Mal seine tätowierte Hand entgegen.

„Sieh mal einer an – darauf sollten wir einen trinken!”

Nur der Umstand, dass wir in keiner Kneipe waren, half mir aus der Bedrängnis, so früh am Morgen schon Whisky trinken zu müssen. Sehr bald aber nannten wir uns beim Vornamen und tauschten Erfahrungen aus. Er sei mit einer Australierin verheiratet, die zu Hause die Kinder hüte, arbeite schon seit sieben Jahren als Feuerwehrmann in Perth und nutze jetzt seinen Urlaub, um seiner Geburtsstadt Belfast einen Besuch abzustatten. Was er mir danach über die Gründe seiner Auswanderung sagte, erwies sich als aufschlussreich über die Zwangslage katholischer Arbeiter in diesem Land.

„Wie ich mich damals abgerackert habe! Neunzehn Jahre war ich alt, dürr und blass, und jagte den ganzen Tag durch diese Spinnerei, als sei der Teufel hinter meiner Seele her. Fegte auf, stapelte Kisten, ölte die Maschinen, reparierte Spindeln, war der Handlanger für alles und gönnte mir keine Pause. Der Lohn war’n Hungerlohn, aber ich musste froh sein, dass ich überhaupt Arbeit hatte. Hab’ nie aufgemuckt und nur geschuftet. Abends war ich so fertig, ich kriegte kaum das Essen runter, das mir die Mutter vorsetzte, fiel ins Bett wie ein Sack und träumte nicht mal von ’nem Mädchen. Alles, was ich mir gönnte, waren die paar Bier am Samstag, mal ein Film im Kino und die Zeitungen am Sonntag. Montags gings wieder los: ‚He, Artie – wo ist Artie? Hier ’rüber, Artie, die Kisten und die Säcke da gehören auf den Hof! Na los, mach zu!’ Die reinste Tretmühle, und ich immer mittendrin. Fresse gehalten, zugepackt, die Mädchen nicht beachtet, obwohl da ein paar waren, bei denen es sich lohnte. Aber was hatte ich als Katholikenjunge denen schon zu bieten? Für unsereins war da nichts drin, war zum Handlanger verdammt für alle Zeiten. Und eines Tages war’s selbst damit aus, nämlich als der Boss mich rufen ließ und runterputzte, weil ich beim Vormann ’ne Lippe riskiert hätte. Kein Wort hatte ich gesagt. Der wollte nur meinen Arbeitsplatz für jemand anders – das war mir gleich klar. Ich zurück und mich beschweren, das war alles eins. Der Kerl aber jagte mich wieder zum Boss. Da hab ich durchgedreht und um mich geschlagen, weil ich wusste, ich hab’ nichts mehr zu verlieren. Und dann nichts wie weg. Bis die Polizei mich schnappte, verging ungefähr ein Monat. Tut mir heute noch leid, dass ich die Gerichtsverhandlung abgewartet hab’ und nicht gleich nach Australien verduftet bin. Zwanzig Pfund hab’ ich blechen müssen, das ging noch ziemlich glimpflich ab, aber an Arbeit in dieser Gegend war nicht mehr zu denken. Da bin ich weg nach Perth und hab’s keine Minute bereut, dort fragte keiner, ob ich Katholik oder Protestant bin, und die Gewerkschaft ist auch in Ordnung, die hat durchgesetzt, dass wir alle sieben Jahre einen langen Urlaub kriegen, drei Monate bei vollem Gehalt, zusammen mit meinem Gesparten reichte das für diese Reise. Wollte schließlich mal wieder zur Mutter zurück, die jetzt im Altersheim ist, und mich in Ardoyne umsehen, wo ich aufgewachsen bin. Bin zufrieden, dass ich das gemacht hab, und auch wieder froh, dass das heute mein letzter Tag ist. Wie das dort aussieht! Trümmer überall, und du weißt nie, wann und wo die nächste Bombe hochgeht. Hab’ versucht, meine Kumpels von damals zu finden – zwei davon sind tot, dem dritten haben sie die Beine amputieren müssen, und bei noch einer Familie bin ich gewesen, da fehlt auch ein Sohn. Das ist ja wie im Krieg hier und wird auch nicht besser werden, bis Gerechtigkeit herrscht und alle Arbeiter gleiche Rechte haben und keiner auf die Straße fliegt, nur weil er katholisch ist – so wie mir es damals ging. Mit mir nicht mehr, nie wieder! Was sich in diesem Land abgespielt hat in den sieben Jahren seit ich weg bin, das schreit zum Himmel! Nun habe ich Ihnen lang genug in den Ohren gelegen – aber wenn man mal so ins Reden kommt, und Sie wollen doch darüber schreiben … Na ja, Sie verstehen schon, was raus muss, muss raus, gesagt werden musste das mal!”

Er faltete seine Zeitung zusammen, stand auf, nickte mir noch einmal freundschaftlich zu, wünschte mir Erfolg und verließ das Zimmer – dieser stämmige Feuerwehrmann aus Perth, kräftig und braun gebrannt jetzt, keineswegs mehr dürr und blass, wie er vor Jahren gewesen war, und bestimmt ein Verlust für das Land seiner Geburt.

Vor Jahren an australischen Küsten, hatte ich des Öfteren schwerschuftende irische Schiffsheizer und Schauerleute unter Stoßseufzern vom Besitz einer Kneipe in Belfast oder Dublin schwärmen hören: „Wenn ich mal in der Lotterie gewinne, dann steck’ ich den ganzen Zaster in so ein Glas-Bier-Geschäft.” Damals waren mir solche Wunschträume weniger erklärlich, inzwischen aber weiß ich genau, was den Männern vorschwebte – eine Kneipe wie die Phoenix Bar im Stadtzentrum von Belfast, die eine Goldmine ist, eine Zuflucht für Seeleute, Hafen- und Werftarbeiter, nicht allzu feudal, doch behaglich genug, dass sich dort auch Angestellte der nahen Reisebüros und Schifffahrtsgesellschaften wohlfühlen. Selbst Gerichtsbeamte verkehren hier, und um die Mittagszeit und abends ist stets ein Kommen und Gehen von Redakteuren und Reportern aus den Zeitungsgebäuden in der Donegal Street um die Ecke.

Die drei tüchtigen Brüder O’Reilly, denen die Bar gehört, kannten ihre Kunden samt und sonders beim Namen, wussten die Sorte Whisky zu bestimmen, die jeder bevorzugte, das Bier, das ihnen schmeckte, hatten ein Ohr für ihre Sorgen und waren nicht selten bereit, auf Bezahlung zu warten oder gänzlich zu verzichten, wenn sie erfuhren, dass einer in Bedrängnis war. Nie machten sie den Eindruck, dass sie das aus Berechnung taten, was sicher dazu beitrug, dass sie sich eine treue Stammkundschaft geschaffen hatten – zu der auch ich mich allmählich zu zählen begann. Ich fühlte mich hier willkommen, sogar irgendwie geborgen und das weniger wegen der Stahltore vor der Skipper Lane, dem Stahlgitter vor dem langen, schmalen Fenster der Bar oder der Fernsehkamera über dem Eingang, die es möglich machte, von der Theke her verdächtige Handlungen draußen sofort wahrzunehmen und vor Bombenanschlägen zu warnen. Wesentlicher als all das war mir, dass ich mich stets von Männern umgeben wusste, die mir wohlgesinnt waren, wie Alex McMurray, dem stellvertretenden Chefredakteur des Sunday Call, dem ich an diesem Samstag wiederbegegnete.

Kaum hatte er mich entdeckt, bahnte er sich den Weg zu mir, bestellte zur Begrüßung einen doppelten Black Bush, den wohl schmackhaftesten Whisky in der Welt, und erklärte mir dann in dem ihm eigenen ruhigen Tonfall, dass er mich schon seit gestern suche. Als ich wissen wollte warum, antwortete er nicht gleich, sondern sah mich prüfend aus seinen braunen Augen an.

„Geht alles glatt mit deiner Arbeit?”

„Man lebt sich ein”, antwortete ich.

Das sei wohl nicht so einfach, meinte er. Sollten meine Pläne verquer gehen, könne ich getrost mit ihm rechnen. Zwei seiner Mitarbeiter seien auf Urlaub, und so gebe es zum Beispiel die Möglichkeit, dass ich ein paar Wochen lang als Reporter einspringe.

„Wie willst du das durchsetzen?”

„Das lass meine Sorge sein. Wenn ich dem Chef sage, ich brauche dich, redet er mir nicht rein – schließlich weiß er, dass meine Mannschaft die Zeitung verkauft. Also überleg’s dir. Könntest ab Dienstag anfangen. Schreibmaschine, Telefon, Auto – steht alles parat. Der Rest hängt von dir ab.”

„Ist das dein Ernst?”

„Hab’ schon ganz andere Dinger gedreht”, antwortete er nur.

Hätte ich damals schon gewusst, was ich nach und nach über diesen Mann mit dem bärtigen Jesusgesicht erfuhr, keine Zweifel wären mir aufgekommen, und ich hätte gleich geahnt, dass es ihm direkt ein Bedürfnis war, jemanden wie mich einzuschleusen. Hinter seinem sanften Äußeren verbarg sich ein verwegener Typ. Mit kaum sechzehn Jahren war er an dem Überfall auf ein Waffenlager der britischen Armee beteiligt gewesen, bei dem ein Arsenal von Maschinenpistolen erbeutet worden war. Einer seiner Kameraden, aber auch zwei britische Soldaten waren dabei ums Leben gekommen. Alex McMurray hatte entkommen können – wie seiner Großmutter später fünf Maschinenpistolen aus einem Schrank in die Arme fielen und sie schreiend auf die Straße rannte, ist eine Geschichte für sich. Zu dem Zeitpunkt war McMurray längst untergetaucht und über die grüne Grenze entwichen. Sieben Jahre lang hatte er sich in allen möglichen Berufen in der Welt herumgeschlagen, war drei davon in Neuseeland geblieben, wo er zuletzt für Zeitungen Berichte aus der Arbeitswelt geschrieben und durch Gewerkschaftsführer aus verschiedenen Bereichen eine neue Sicht auf die Probleme des Landes seiner Herkunft gewonnen hatte. Reifer, politisch geschulter und auch äußerlich völlig verändert, war er schließlich nach Belfast zurückgekehrt. Dort hatte er sich mit seinen neuseeländischen Zeugnissen um eine Reporterstelle beim Sunday Call beworben und sich allmählich nach oben gearbeitet – immer mit dem Ziel, dieser konservativen Zeitung hin und wieder „was politisch Brauchbares unterzujubeln”. Was ihm nicht selten gelang. Verglichen mit den IRA-Aktionen, in die er verwickelt gewesen war, auf die er aber inzwischen kopfschüttelnd zurückblickte, waren seine Pläne in bezug auf mich eine Kleinigkeit.

„Noch einen Black Bush?”, fragte ich ihn.

Er nickte. Nachdem ich bestellt hatte, saßen wir uns eine Weile wortlos gegenüber. Er musste mein Schweigen missdeutet haben, denn noch prüfender als zuvor lag jetzt sein Blick auf mir, und schließlich sagte er mit einem kaum merklichen Lächeln: „Hast wohl Bedenken, dass dir einer auf die Finger klopft, wenn du wieder anlangst, wo du herkommst?”

Ich lachte. „Hatte nur Bedenken, dass du Bedenken kriegst – lass es mich bis Montag wissen, falls du dir’s anders überlegst.”

Er stemmte die Ellbogen auf den Tisch und strich sich mit den Fingerspitzen über den Bart. Seine Lippen wölbten sich spöttisch.

„Soviel Gras ist über meine Vergangenheit noch nicht gewachsen, dass ich einen guten Ruf zu verlieren hätte – bin noch immer als Rebell verschrien, und die behalten mich an der Zeitung nur, weil ich nützlich bin. Also zerbrich dir nicht meinen Kopf! Vorausgesetzt, du schreibst, was gebraucht wird, seh’ ich keinen Grund, warum du nicht bei uns mitmischen solltest. Was sonst für dich dabei herausspringt, ist dein Bier. Klarer Fall?”

„Klarer Fall.”

Er trank sein Glas leer und klaubte dann aus seiner Innentasche eine Visitenkarte, die er mir hinwarf. Aufstehend, knöpfte er seinen dunklen Mantel zu und ging schnellen Schritts zur Tür. Bevor er verschwand, winkte er mir noch einmal zu. Nur noch kurz war der harte Schlag seiner genagelten Schnürstiefel in der Skipper Lane zu hören – dieser feste, schnelle Schritt, der mir in den folgenden Wochen im Reporterzimmer des Sunday Call noch sehr vertraut werden sollte.