Wir probten die Liebe - Christian Knull - E-Book

Wir probten die Liebe E-Book

Christian Knull

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Beschreibung

Schaffen sie das? Zwölf Theater-Menschen machen sich in diesem Roman auf einen riskanten Probenweg. Das skandalberühmte Schnitzler-Stück „Reigen“, viele Jahrzehnte im Aufführungsverbot, soll auf die Bühne eines kleinen deutschen Theaters gebracht werden. Ein Stück mit einem ganzen Universum aus Sehnsüchten, Avancen und Enttäuschungen. Jede Szene ist pure Erotik, jeder Dialog kreist um Macht und Sex. Diese Theatergruppe hier probt leidenschaftlich solch einen Reigen: Es ist Sommer, es sind Paare, die beständig wechseln. Szene um Szene. Schnitzler wollte es so. Der Autor beschreibt, ein kluger Trick, die Personen einzeln, eine nach der anderen, im Ich-Portrait, zwölf Kapitel, zwölf aufwühlende Gedankenströme. Das Buch taucht in die Persönlichkeitsstrukturen ein und legt die psychischen Befindlichkeiten der Akteure offen. Alle haben sie Narben in ihren Biografien, die Innenarchitektin, die das Alleinsein in ihrer Wohnung nicht erträgt, die Kindergärtnerin, die ihren Job wechseln will, der Steuerberater, der über viel Zeit und Geld verfügt. Dazwischen ein Regisseur, der das Ensemble überfordert. Es bahnt sich eine Katastrophe an.

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Seitenzahl: 186

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INFO | TITEL

 

 

 

Christian Knull

Wir probten die Liebe

Ein Ensembleroman

 

:::

 

K|U|U|U|K

Verlag mit 3 U

INHALT

 

Schaffen sie das? Zwölf Theater-Menschen machen sich in diesem Roman auf einen riskanten Probenweg. Das skandalberühmte Schnitzler-Stück „Reigen“, viele Jahrzehnte im Aufführungsverbot, soll auf die Bühne eines kleinen deutschen Theaters gebracht werden. Ein Stück mit einem ganzen Universum aus Sehnsüchten, Avancen und Enttäuschungen. Jede Szene ist pure Erotik, jeder Dialog kreist um Macht und Sex. Diese Theatergruppe hier probt leidenschaftlich solch einen Reigen: Es ist Sommer, es sind Paare, die beständig wechseln. Szene um Szene. Schnitzler wollte es so. Der Autor beschreibt, ein kluger Trick, die Personen einzeln, eine nach der anderen, im Ich-Portrait, zwölf Kapitel, zwölf aufwühlende Gedankenströme. Das Buch taucht in die Persönlichkeitsstrukturen ein und legt die psychischen Befindlichkeiten der Akteure offen. Alle haben sie Narben in ihren Biografien, die Innenarchitektin, die das Alleinsein in ihrer Wohnung nicht erträgt, die Kindergärtnerin, die ihren Job wechseln will, der Steuerberater, der über viel Zeit und Geld verfügt. Dazwischen ein Regisseur, der das Ensemble überfordert. Es bahnt sich eine Katastrophe an.

DER AUTOR

 

Christian Knull lebt in Köln. Nach einem Jurastudium hat er sich mit Wirtschaft und Wirtschaftsjournalismus beschäftigt. Er schreibt Reiseberichte über nahe und ferne Ziele, über Erlebnisse am Mekong, Niger oder Blauen Nil. Die Idee zu diesem Roman ist aus seiner Leidenschaft für das Theater und Bühnenerfahrungen als Mitglied des Theaters „Das Spielbrett“ entstanden.

IMPRESSUM

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek erfasst diesen Buchtitel in der Deutschen Nationalbibliografie. Die bibliografischen Daten können im Internet unter http://dnb.dnb.de abgerufen werden.

 

Alle Rechte vorbehalten. Insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen und Medien – auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere neuartige Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

HINWEIS: Deutsch ist überaus vielschichtig und komplex. Der Verlag versucht, nach bestem Wissen und Gewissen alle Bücher zu lektorieren und zu korrigieren. Oft gibt es allerdings mehrere erlaubte Schreibweisen parallel. Da will entschieden werden. Zudem ergeben sich immer wieder Zweifelsfälle, wozu es oft auch keine eindeutigen Antworten gibt. Schlussendlich haben auch die Autorinnen und Autoren ureigene Sprachpräferenzen, die sich dann bis in die Kommasetzung, Wortwahl und manche Schreibung wiederfinden lassen können.

 

Coverfoto „Schuhtreppe“ © Christian Knull

 

E-BOOK-ISBN 978-3-96290-025-0

Erste Auflage E-BOOK Oktober 2020

 

HINWEIS: Es gibt dieses Buch auch als Papierbuch.

 

KUUUK Verlag und Medien Klaus Jans

Königswinter bei Bonn

K|U|U|U|K – Der Verlag mit 3 U

 

www.kuuuk.com

 

Alle Rechte [Copyright] © KUUUK Verlag | [email protected] und © Christian Knull

...

Anfang des 20. Jahrhunderts löste das Theaterstück „Reigen“ mit seinen erotischen Dialogen einen Skandal aus – nicht weil Sex angesprochen oder gar gezeigt worden wäre, sondern weil der Autor Arthur Schnitzler das Verhalten seiner Zeitgenossen entlarvt hatte. Die zehn Szenen zeigen schale Affären und nicht erfüllte Sehnsüchte, Enttäuschungen, Lügen, Übergriffe und den beständigen Wechsel von Verführung und Verführtwerden in allen Gesellschaftsschichten. Der Kritiker Alfred Kerr erblickte im „Reigen“ die „seelische Tragikomik des körperlichen Begebnisses“, die Obrigkeit aber sah das anders. Sie beklagte eine Verletzung der Moral und machte nach der Berliner Uraufführung im Jahr 1920 dem Ensemble samt Regisseur und Theaterleitung wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ den Prozess. Immerhin: Die Richter sprachen alle Beteiligten frei: „Der Dichter will darauf hinweisen, wie schal und falsch das Liebesleben sich abspielt. Er hat ... nicht die Absicht gehabt, Lüsternheit zu erwecken ...“

...

Rana Herit

(Ehemann)

Robert Hahnbeißer

(Junger Herr)

Chloe Kern

(Schauspielerin)

Jolene Raeder

(Junge Frau)

Sarah Sonntag

(Süßes Mädel)

Claudia Neuhaus

(Dirne)

Jean Müssig

(Soldat)

Nico Teichmeister

(Regie)

Moritz Pavart

(Graf)

Kim Kovac

(Stubenmädchen)

Sonja Schwert

(Assistenz)

Tom Ruppert

(Dichter)

1 Rana Herit

 

Ich schlafe hier schlecht. Ich glaube, es sind die Tauben. Die Tauben gurren am frühen Morgen in der Dachrinne neben unserem Schlafzimmer. Ich mag keine Tauben. Ihr Flügelschlagen ist schwer und bedrohlich. Es lässt Träume platzen. Um vier Uhr beginnen sie zu gurren, vor dem ersten Amselzwitschern. Lutz hört nichts, er hört nie etwas, aber für mich sind die Geräusche neu, ich habe mich noch nicht an die Stille gewöhnt, die auf diesem Haus lastet, sonntags dringt kein Lärm von der Straße hoch. Der Lärm kommt von oben. Aus der Luft.

Vielleicht schlafe ich auch wegen des Theaters schlecht. Gestern Abend habe ich zugesagt. Nach einer einzigen Probe. Ach was, Probe. Nach einem Treffen mit den Theaterleuten, nach einer aufgeladenen Diskussion über das neue Stück und einer Leseprobe (komm, Rana, lies du mal den Ehegatten). Meine erste Rolle. Ich bin aufgeregt. Ich bin leichtsinnig. Oder mutig? Mutig? Der Kopf schmerzt, mein Rücken zieht, ich brauche einen Kaffee.

In der Küche steht die Maschine, die ich in die Wohnung eingebracht habe, ein Vollautomat. Lutz trinkt keinen Kaffee, er trinkt seit 50 Jahren Kakao, und ich habe schlucken müssen, als er es mir erzählte. Was kann man zu Männern sagen, die zum Frühstück Kakao trinken, jeden Morgen, auch im heißen Sommer, aus einer gelben Kababox? Jetzt muss ich lächeln. Ich kenne seit zwei Jahren einen Mann, der Kaba trinkt, keinen Kaffee mag und Tee nur zu sich nimmt, wenn er krank ist. Für Lutz ist Tee eine anderes Wort für Kamille, für staubige Blüten, nicht mehr als ein Schleimlöser, eventuell ein Kindertrost, aber ich kann mich nicht beklagen, Lutz ist aufmerksam und zurückhaltend, er übt seine Achtsamkeit und drängt sich nicht auf. Er erfüllt meine Wünsche. Lutz ist nett, sagt man nett? Ich meine es nicht abwertend. Er ist da, wenn ich ihn brauche, umsichtig, zuvorkommend, richtig nett, sagt auch Jolene. Aber er hält Kaffee für ein bitteres afrikanisches Getränk.

Die Schlafzimmertür protestiert leise, als ich sie zuziehe, im Flur hallt jedes Knacken und bricht sich im Spiegel, ich trage ein Nachthemd, zerknittert, ich fahre mir durch die Haare, verschwitzt sehe ich aus, es ist warm. Sollte ich mich umziehen? Der Morgenmantel ist zu dick, erst mache ich mir einen Kaffee. Im Küchenschrank stoße ich gegen Teller, fahrig stelle ich die Maschine an und löse ein Handtuch vom Haken. Es ist ein dickes, hellblaues Küchenhandtuch mit Waffelmuster, das ich über die Maschine werfe, um den Schall zu dämpfen.

Mir fällt ein, dass ich in der Nacht aufgewacht bin und im „Reigen“ von Schnitzler gelesen habe. Das Stück ist seltsam anrührend, lauter Szenen mit hilflosen Männern und anzüglichen Frauen, die zueinander finden, fein beobachtet, und doch derb und abgründig. Ich werde eine der Frauen sein, die ab jetzt für den großen Auftritt proben, für öffentliche Aufführungen. Der Gedanke lässt mein Herz klopfen.

Meine Freundin Jolene hat mich überredet einzusteigen, riskiere es, mach mit, hat sie gesagt, probiere dich aus, versuche was Neues. – Wie soll ich denn ...? – Wir üben, jeder beginnt von vorne, du schaffst das auch. – Meinst du? – Na klar, im Ensemble sind fast nur Amateure. Bitte. – Vielleicht, wenn ihr eine Komödie spielt. Ja, das ging womöglich. Eine Komödie. Lachen gibt mir Sicherheit. Ich lache gerne. Aber jetzt Schnitzler.

Nico, unser Regisseur, behauptet allen Ernstes, der „Reigen“ sei eine Komödie, aber ich habe nicht ein Mal lächeln können. Im „Reigen“ irren zehn verlorene Seelen durch Wien. Beim Lesen entstehe keine Komik, sagt Nico, die komme beim Spielen. Er ist freundlich zu mir, obwohl ich Anfängerin bin, eine Exotin mit meinem fremd aussehenden Gesichtsschnitt, aber ich weiß nicht, was ich von diesem Regisseur halten soll. Muss man am Theater so sein? So zerrissen? Nico wirkt ähnlich besessen wie Tom. Tom ist hemmungslos, ich weiß nicht, welcher Dämon ihn treibt.

Ich halte mich lieber an die Frauen, an Jolene, die eigentlich viel zu schüchtern ist, um Theater zu spielen, und an Claudia. Spätestens mit 70 möchte ich so mutig sein wie sie, diese kleine, zierliche, lebenskluge Frau, deren Lebensfreude so ansteckend ist. Ich werde die Rolle des Ehegatten spielen, einen Mann, weil wir zu wenig Männer im Ensemble haben. Ausgerechnet einen Mann. Was für eine Idee.

Die Rollenverteilung war eigenartig, ich glaube, es gab Absprachen. Aber das ist mir gleichgültig, ich habe sogar zu meiner Überraschung angeboten, eine Lesbe zu spielen, aber Nico findet es witzig, wenn ich Mann bin. Also werde ich ein Mann. Kein Wunder, dass ich schlecht schlafe. Heute Nacht musste ich lächeln, als ich meine Szenen las. Ich habe zwei, jeder von uns hat zwei Dialoge. Ich darf ein alberner Gockel sein. Vielleicht wird es lustig. Aber auch überzeugend? Wird es mir gelingen? Mein Vater würde ja sagen, selbstverständlich, Rana, du schaffst, was du dir vornimmst.

Der Kaffeeautomat rumpelt. Lutz löst sein Kakaopulver geräuschlos in heißer Milch, er rührt mit einem gelben Kunststofflöffel, den er aus der Besteckschublade kramt, im Uhrzeigersinn, der Löffel trifft nie den Rand, seine Perfektion ist beeindruckend, und ich mag es, wenn die Dinge auch im Kleinen stimmen, der gelbe Löffel harmoniert sogar mit der albernen Kababox, aber das stoische Rühren macht mich jedes Mal unruhig, es ist bedrohlich leise, dagegen muss das Kaffeebrühen verlieren, besonders wenn ein Vollautomat seine Dienste tut, der erst mahlt und dann brüht. Umrühren ist schwerelos, kein Klang entsteht, bis Lutz den Löffel ableckt und neben der Tasse ablegt.

Robert ist mir dagegen unheimlich, ein Einzelgänger. Ein eloquenter Einzelgänger. Gibt es das? Hm. Er zieht die Menschen an, bei Robert scheinen die Fäden des Ensembles zusammenzulaufen, er ist glatt und kokett und versteckt ein gefährliches Glitzern in den Augen. Jolene hat eine freizügige Szene mit ihm, es sind alles Zweierszenen, und ich habe Glück, großes Glück, ich spiele einen Dialog mit ihr. Natürlich beunruhigt mich, wie Nico den angedeuteten Sex inszenieren will. Ich bin nicht prüde, aber im Text stehen sehr prominent Ausrufezeichen. Das kann alles bedeuten.

Mal schauen.

Es verspricht ein schöner Tag zu werden, die Sonne blinzelt durch das Fenster und ich habe gestern Nachmittag gelernt, Handtücher zu falten. Auf dem Küchentisch liegt das Ergebnis. Ich könnte laut lachen, wenn die Espressobohnen nicht im Mahlwerk knallen würden, die Maschine gibt sich sonntags besondere Mühe, den Kaffee fein zu mahlen, und ich drücke auf die Arbeitsplatte, um die Vibration zu unterbinden. Der Automat faucht. Türkise Handtücher. Falten habe ich bisher nicht gekonnt.

– Darf ich dir das mal zeigen?, sagte Lutz, so wie ich das mache? Und dieses, so wie ich das mache, reichte aus, meinen Hals zu spüren, er wurde plötzlich enger, ich sagte Ja, wie ich oft Ja sage, und er nahm das Frotteehandtuch, das ich gerade zusammengelegt hatte, auseinander, und sagte mit sanfter Stimme, ich falte einmal längs und schlage dann ein Drittel um, seine Handkante traf den Stoff präzise an der richtigen Stelle, ich falte hier, und mache nach dem zweiten Drittel noch einen Knick. Es war ein bizarrer Moment, er guckte unschuldig, das kleine Handtuch hatte nach den Schlägen seine Unschuld verloren. Es duftete noch, aber es sah verletzt aus. Lutz betrachtete sein Werk, schaute mich zufrieden an und sagte, dann sieht es so aus. – Bei mir so, sagte ich, ich nahm energisch das nächste Handtuch aus dem Wäschekorb, strich es glatt, faltete einmal quer, einmal längs und schob es über den Tisch. – Geht auch, sagte Lutz freundlich, ich mache immer zwei Drittel.

Ich weiß nicht, warum mich dieser Satz traf, er hatte etwas Endgültiges. Mich regen Gewissheiten auf, ich kann es nicht ertragen, wenn Menschen letzte Wahrheiten verkünden, das ist mir zu selbstgewiss, zu siegessicher, und ich dachte an einen Samurai, obwohl Lutz nichts Japanisches an sich hat, ganz und gar nicht, aber diese akkuraten Handkantenschläge waren empfindlich scharf, und ich sagte, Lutz, ich bin jetzt 52 Jahre alt, ich falte mindestens seit 40 Jahren Handtücher, was soll das? Was sollen zwei Drittel? Spinnst du? – Nur ein Vorschlag, sagte er erschrocken über meinen Widerstand, und ich will ihm zugute­halten, dass er überrascht war, trotzdem setzte er nach, er kann hartnäckig sein, und sagte, wenn wir zusammen wohnen, müssen wir uns auf ein System einigen.

Das Wort System hat für mich Gewicht, Lutz spürte es und fügte hastig hinzu, mir ist es gleich, wie wir es halten, aber in meinen Badschränken bekommen wir auf diese Weise mehr unter, und mir fiel mein Vater ein, der die angeleckten Briefmarken so exakt im Winkel des Umschlags platzierte, dass der Abstand zum Rand oben und an der Seite identisch war, und ich habe meinen Vater dafür bewundert, damals, als er nach Deutschland kam und ich Kind war und er mit liebenswürdigem Talent den Deutschen nacheiferte. Die Deutschen schätzen ihren Drittelschlag, hätte mein Vater gesagt, das muss man ihnen nachsehen, wir Iraner sind noch nicht so weit, das kennen wir nicht, das ist nicht in unserer DNA. Mein Vater hatte einen Sinn für Ordnung, er mochte Systeme, er hat mir das Wort Wertarbeit beigebracht, und ich habe ihn geliebt, er war Arzt wie ich, und als Chirurg musste er präzise arbeiten. – Gut, sagte ich milde und lächelte Lutz an, ich mache dir einen Vorschlag, wir üben das jetzt.

Es ist nicht so, dass wir nicht zusammen lachen können, Lutz und ich, mir gelingt es oft Situationen aufzubrechen. – Ja?, fragte er erleichtert, echt?, und ich war stolz auf mich. – Ja, sagte ich, das üben wir jetzt, und lachte, komm mach mal Platz, und ich sah die Freude in seinen Augen. Das üben wir jetzt war eindeutig der beste Satz des gestrigen Tages, denn über Lutz Gesicht schob sich ein hüllenloses Lächeln, das Lächeln eines Mannes, der Zuspruch für seine Hausarbeit bekommt.

Ich griff mir ein türkises Handtuch, faltete es auf ein Drittel, kicherte beim Schlag mit der Handkante, lachte Treffer, rief Knick und noch Mal Knick, dir werd ich’s geben, du kleines freches Stück, und mir liefen Tränen aus den Augen. Ich lerne Handtücher zu falten! Lutz, schau, ich kann’s. Dann sah ich mein Werk an, stutzte und sagte, die Grundfläche ist fast gleich, egal ob ich das Handtuch einmal oder zwei Mal einschlage. Lutz guckte irritiert, nahm mir das Frotteetuch aus der Hand, er musste nichts sagen, auch ich sah, dass das letzte Drittel zu kurz geraten war – ich schob es auf die Tränen in den Augen – und erklärte mit erdrosselnder Stimme: Gedrittelt bekomme ich drei Stapel nebeneinander, halbiert zwei. Ich könnte natürlich zwei Stapel bilden und Waschlappen danebenlegen, um den Platz zu füllen, aber so viele Waschlappen habe ich nicht.

Ich werde Theater spielen. Ich werde die Klammer lösen, die sich manchmal um meinen Hals legt. Kann diese Scheißmaschine nicht Ruhe geben? Der Apparat schnarrt und keucht, und jetzt endlich presst er heißen Kaffee aus dem Ausguss, ölig, perlend-schwarz, die Tasse füllt sich, Lutz steht in der Tür. Gestreifter Schlafanzug, die schwarzen Haare wirr, komplett verknittert. Er wankt. – Weißt du, wie viel Uhr es ist? – Ich bin doch ganz leise, flüstere ich. Lutz lässt sich an den Küchentisch fallen. Vor ihm drei türkise Stapel Handtücher.

– Die Maschine bringt mich um, sagt er, jede Bohne ist ein Sprengsatz, wie soll man bei diesen Detonationen schlafen? – Ich kann dir heiße Milch abgeben, sage ich, für deinen Kakao, ich brauche morgens Kaffee, nur einen, dann geht es mir besser. Lutz nickt und ich stelle ihm Milch hin. Sofort löffelt er sich wortlos die halbe Tasse mit Kakaopulver voll, gießt Milch drüber und beginnt mechanisch zu rühren, ich weiß nicht, warum Männer so leiden müssen, er sieht furchtbar aus, ich sagte nichts, wir wohnen erst seit drei Monaten zusammen.

Seine Hand kreist, die Bewegung hat etwas Rührendes, sie füllt mein Herz, und ich denke, man muss gewissenhaft arbeiten, wenn man wie Lutz Software schreibt. Ich verstehe nichts von Software und Algorithmen, zu mir kommen Menschen mit kranken Kaninchen und Meerschweinchen, die einen Infekt haben, ich muss die Menschen trösten, deren Hunde ich einschläfere, ich spreche viel, nicht mit den Tieren, die antworten nicht, ich rede den ganzen Tag mit den Menschen, aber natürlich rede ich auch mit den Tieren, ich tue es von morgens bis abends.

Ich vermute, dass Lutz während der Arbeit nicht spricht. Für ihn gibt es Eins und Null, An und Aus, so habe ich das verstanden. Eine Eins spricht so wenig wie eine Null. Ich weiß nicht, wie man mit Ja oder Nein den Tag verbringt, dafür fehlt mir die Fantasie, und habe ihn ein Mal im Scherz gefragt, ob er auch nur Schwarz oder Weiß sieht, er hat nicht gelacht (und die Bemerkung zum Glück auch nicht verstanden), aber ich will ihm nicht unrecht tun, Lutz bemüht sich sehr um das Grau. Er sucht mit meiner Hilfe Farben, das ist herrlich, ich glaube bereichernd für uns beide, er lässt sich Zwischentöne zeigen, und dann reden wir über Farben, ich habe wirklich Glück, Lutz strengt sich an.

– Lass uns frühstücken, sage ich, und Lutz antwortet, kommst du noch mal ins Bett? Oh, denke ich, jetzt ist er wach, aber nun möchte ich meinen Kaffee trinken, ich sage, ich habe Kopfschmerzen, ein blöder Satz, vielleicht nach dem Frühstück, und Lutz knurrt, mal schauen, sage ich. Ich sehe ihm an, wie er mit der Enttäuschung ringt, er könnte sie benennen, aber er ist müde und auch vorsichtig, sein Tag beginnt mit Misstönen. Erst der Krach der Kaffeemaschine, der ihn weckte, dann mein Nein, zwei Nadelstiche noch vor sieben Uhr, das kann wehtun, aber er sagt nichts, und das mag daran liegen, dass wir in der Probezeit sind. Vorsicht, denke ich. In der Probezeit gelten besondere Kündigungsfristen.

Ich habe noch meine alte Wohnung, wir versuchen unter einem Dach miteinander zu leben, nachdem wir uns jetzt zwei Jahre kennen, gut kennen, und ich gehe zum Kühlschrank und sage mit versöhnlicher Stimme, Müsli oder Brötchen? Der Kaffee weckt mich auf, es gelingt mir einen fröhlichen Ton anzuschlagen, und ich stelle Bio-Fruchtaufstrich Rhabarber mit Orange und Minze auf den Tisch, ein 180-Gramm-Glas, das ich bei Manufactum gekauft habe, und sage, gestern Abend haben wir uns auf ein Stück geeinigt. – Brötchen, murmelt Lutz. – Für unser Theater, sage ich. Unser Theater. Wie das klingt. Wir haben auch die Rollen verteilt. Nach endloser Diskussion, doch Lutz hört nicht hin und greift sich wortlos die Handtücher. Er geht ins Badezimmer, offenbar doch frustriert, trotzdem könnte er nachfragen, so viel Anteilnahme kann ich erwarten, mein Handy fiept. Lara. Gut geschlafen?

Die Nachricht ploppt im hellgrünen Kasten auf, zwei blaue Haken, WhatsApp. Nein, denke ich und freue mich gleichzeitig über die Frage meiner Tochter. Schon auf, meine Kleine?, schreibe ich und lege zwei Brötchen auf den Toaster. Kommen grad vom See. Morgens?, denke ich, um die Zeit?, und erschrecke, gar nicht geschlafen? Wieder ein Piepser: War voll schön. Pieps, vierte Nachricht, und ich frage mich, warum sie ihre Sätze nicht hintereinanderschreiben kann, in die grünen Kästen passen mehrere Gedanken. Wart ihr die ganze Nacht da?, spreche ich ins Handy, das Gerät versteht Fahrt ihr die ganze Nacht?, ich lösche die Wörter, tippe dabei versehentlich auf den Pfeil fürs Versenden, Mist, Fahr ist abgeschickt, Lutz steht wieder auf der Schwelle, jetzt im blauen Bademantel, ich gucke irritiert, frage ihn: Brötchen, nicht wahr, kein Müsli? War voll cool, summt mein Handy, waren schwimmen. Was meinst du mit Fahr??? – Mein Handy versteht mich nicht, schreibe ich, nie. Baggerseen haben Strudel, Baggerseen sind gefährlich, ich sehe Weinflaschen in der Dunkelheit kreisen. – Halte dir mal kurz die Ohren zu, sage ich zu Lutz, ich mache mir ein zweiten Kaffee, gleich einen großen, dann ist es gut, und Lutz lässt dramatisch den Kopf zwischen seinen Händen verschwinden (er könnte auch einen Schauspieler abgeben).

Obwohl wir wegen des Lärms der Maschine nichts hören können, stelle ich das Radio an, klassische Musik, wie immer am Sonntag. – Ich wollte dir noch erzählen, rufe ich, wie es dazu kam, dass wir uns auf den „Reigen“ geeinigt haben. Moritz hätte am liebsten „Das Fest“ gespielt, habe ich dir von Moritz erzählt? Ein komischer Typ, pausbäckig, ein bisschen linkisch, ich glaube, der trinkt.

Kennst du „Das Fest“? Es geht darin um sexuellen Missbrauch innerhalb einer Familie. Der Vater hat sich an seinen Kindern vergriffen, das kommt bei einer Familienfeier raus, interessantes Thema, aber deprimierend, den meisten war es zu düster. Mich hätte es gereizt. Lutz wirft mir einen fragenden Blick zu, na ja, schwäche ich ab, ich habe „Bella Figura“ von Yasmina Reza vorgeschlagen, ein Stück, das Paarbeziehungen auslotet, hat zwar nur fünf Rollen, gleich ist der Kaffee durch, aber die sind großartig, weil man an den Fassaden bürgerlicher Existenz hämmert, bis sie einstürzen.

Lutz hält seine Tasse am Mund, seine Augen klettern an mir hoch. Kims Favorit war die „Lehrernacht“ von Bodo Kirchhoff. Sagt dir das was? Ist mal mit Senta Berger verfilmt worden, eine Lehrerkonferenz, und die Pädagogen diskutieren, ob sie einen Jungen von der Schule verweisen, weil er eine Mitschülerin vergewaltigt haben soll. Von der Inszenierung her würde es statisch, sagte Nico, alle hocken um einen Tisch, irgendwie Abendmahl, und dann muss jeder Blick stimmen und sich auf den nächsten beziehen, das könne man nur realisieren, wenn bei jeder Probe alle anwesend seien.

– Wolltet ihr nicht eine Komödie spielen?, fragt Lutz und polstert sein Brötchen mit Marmelade auf. – Ja, und Nico zog den „Reigen“ aus der Tasche. „Reigen“ von Schnitzler. Kennst du das Stück? Lutz schüttelt den Kopf. Er hat einen Kakaohalbmond um den Mund und sieht müde aus. Mein Gewissen meldet sich. – Schnitzler war ein Zeitgenosse von Freud, das Stück war lange verboten. Lutz gibt ein Geräusch von sich, das wie ein Wort klingt. – Bitte? – Rrrh. – Was? – Rrrh. Hat er Wien gesagt? – Wien? Meinst du Wien? Lutz kaut. – Hast du Wien gesagt? Keine Antwort. – Nico hat den Reigen wegen seiner präzisen Sprache vorgeschlagen. – Hm, sagt Lutz, dieses Mal eindeutig hm. – Und weil das Stück aus Duoszenen besteht, kann man leichter üben. – Praktisch. – Ja, das kommt uns entgegen, es gibt aber noch einen Grund, ich lege eine Pause ein, zögere ein wenig, ob ich es aussprechen soll, sage, weil der „Reigen“ ins Herz der Dinge zielt. Ich warte auf seine Frage. Lutz guckt mich verständnislos an, irgendwie finden wir heute Morgen nicht zueinander, er versenkt einen Bissen in seinem Mund, wobei er fast seinen Finger verschluckt und erneut grunzt. – Was hast du gesagt? Weil Lutz nicht reagiert, sage ich provozierend: Wie bitte?