Wir sind Jäger - Gerhard Böttger - E-Book

Wir sind Jäger E-Book

Gerhard Böttger

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Meine Jagdfreunde und ich: erst in Mecklenburg, dann in Europa unterwegs. Spannende Erlebnisse bei der Jagd auf Rehböcke und Sauen, auf Gams und Steinbock, auf Rothirsche in der Brunft, auf Elch, Bär und Wolf. Auf Pirsch in Deutschland, Österreich, Litauen, Lettland, Estland, Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, der Ukraine und Russland.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 205

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

© 2019 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Film, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeglicher Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Lektorat: Gerhard Seilmeier

Umschlagkonzeption und -gestaltung: BLV-Verlag

Herstellung: Ruth Bost

Layout: Kathrin Michel, München

ISBN 978-3-8354-6252-6

2. Auflage 2019

Bildnachweis

Umschlagmotiv: Hubert Prochaska

Illustrationen: Klaus-Peter Reif

Syndication: www.seasons.agency

Unser E-Book enthält Links zu externen Webseiten Dritter, auf deren Inhalte wir keinen Einfluss haben. Deshalb können wir für diese fremden Inhalte auch keine Gewähr übernehmen. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber der Seiten verantwortlich. Im Laufe der Zeit können die Adressen vereinzelt ungültig werden und/oder deren Inhalte sich ändern.

Die BLV-Homepage finden Sie im Internet unter www.blv.de.

www.facebook.com/blvVerlag

Liebe Leserin und lieber Leser,

wir freuen uns, dass Sie sich für ein BLV-Buch entschieden haben. Mit Ihrem Kauf setzen Sie auf die Qualität, Kompetenz und Aktualität unserer Bücher. Dafür sagen wir Danke! Ihre Meinung ist uns wichtig, daher senden Sie uns bitte Ihre Anregungen, Kritik oder Lob zu unseren Büchern.

Haben Sie Fragen oder benötigen Sie weiteren Rat zum Thema? Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!

Wir sind für Sie da!Montag – Donnerstag: 9.00–17.00 Uhr Freitag: 9.00–16.00 Uhr

Telefon: 00800 / 72 37 33 33*Telefax: 00800 I 50 12 05 44*Mo–Do: 9.00–17.00 UhrFr: 9.00–16.00 Uhr(*gebührenfrei in D, A, CH)E-Mail: [email protected]

GRÄFE UND UNZER Verlag Leserservice Postfach 860313 81630 München

HinweisDas vorliegende ebook wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im ebook vorgestellten Informationen resultieren, eine Haftung übernehmen.

Vorwort: Der Jäger

Auf vielen Blättern wurde geschrieben, an unzähligen Stamm- und sonstigen Tischen berichtet und in mancher Kaminecke gesprochen und erzählt über die Jagd und das sie umgebende Spannungsfeld reichhaltigen, nicht alltäglichen Erlebens, das immer wieder neu und reizvoll gewoben wird. Im Mittelpunkt all dieses Geschehens steht der handelnde Mensch, der Jäger. Wie steht es um ihn und seine Einstellung zum Dasein und zum Mitgeschöpf Tier?

In der Freude über den vielleicht (hoffentlich) über Tage und Wochen gesuchten und erstrebten jagdlichen Erfolg auf den Hirsch, den Rehbock oder die Gams klingt doch irgendwann am gestreckten Stück ein Gefühl der inneren Einkehr, des leisen Bedauerns und des Mitfühlens mit der Würde des Wildes an, sieht der an den Boden gefesselte Zweibeiner den aus pfeilschnellem Flug vom Himmel herabgeholten Erpel wieder durch den ihm verwehrten Luftraum seine Bahn ziehen. Bei dem Wilde, das ehemals zur Hohen Jagd zählte, nennen wir es die Totenwacht des Jägers. Heute haben sich diese Grenzen verwischt, »darf« der Jäger, wie angesprochen, auch nach dem Erlegen von Flugwild oder nach dem Blick in die weisen, wenn auch nun gebrochenen Seher des mit Spannung erwarteten und mit Passion gestreckten Ansitzhasen eine kurze Phase der Besinnung durchleben. Heißt »sinnieren« nicht auch, den Sinn zu suchen? Es ist eine innere Bewegung, die dem Gefühl der Ehrfurcht nahe kommt und durchaus von einem Hauch Demut gestreift werden kann.

»Wir sind Jäger« habe ich diesen Erzählband zusammengefasst und der Grünrock, den ich meine, macht kein Aufhebens von seinem Innenleben. Und nach einem jagdlichen Erfolg, im Kreise der Mitjäger und Kameraden, ist diese Aktivität des Gewissens oft schon wieder überlagert von dem archaischen und gesunden Stolz, waidgerecht, das heißt menschlich und fair gegenüber dem Wild, gejagt, gehandelt und getötet zu haben, sonnt sich der Schütze berechtigterweise im Genuss des erreichten Zieles und im Lob und Waidmannsheil der Waidgenossen.

Er spricht nicht mehr von den tiefen Gedanken seiner Verbundenheit zu dem nun erlegten Bewohner seines Jagdbannes, von seiner Achtung dem Tier gegenüber und seinem Nachbesinnen des niemals ganz zu klärenden Widerspruchs zwischen Leben und Tod, zwischen Erleben und Töten. Aber die Phase der seelischen Einkehr, der respektvollen Achtung vor dem Geschöpf, sei sie kurz, sei sie lang, hat ihn bewegt und darauf kommt es an.

Es hat dann keine Bedeutung mehr, dass der Jäger im Überschwang des spannenden Erlebens buntester Facetten der Pirsch oder des Ansitzes, des Berichtens vom überaus mühsam errungenen Erfolg oder des Nutzens einer urplötzlich gebotenen Chance diese Phase in seiner Erzählung ausklammert – sie geht nur ihn an. »Es« hat ihn bewegt.

Ich wünsche allen lesenden Jägern Waidmannsheil, wünsche ihnen, »es« zu erleben, allen Freunden von Wald und Wild, die große Ausstrahlung der Allmutter Natur zu empfinden und in und aus ihr Ausgleich und Kraft zu schöpfen.

Gerhard Böttger

Tausend Jahre Adelskronen und Hirschkronen – der Sechzehnender vom Karrenberg

Im Jahre 1995 wurde mancherorten im schönen Bundesland Mecklenburg das tausendjährige Bestehen gefeiert. Ein Jahrtausend – welch ein Zeitraum!

Die Mecklenburger blicken auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Die Mecklenburger – wer ist das überhaupt? Die Homogenität eines Volkes gab es zunächst nur vor der Völkerwanderung, als die weitläufige Moränenlandschaft und die Gestade der Ostsee von Germanen bewohnt waren.

Deren Vordringen nach dem Westen und Süden Europas nutzten wendische Stämme (Obotriten und Wilzen), um sich an ihre Stelle zu setzen.

Um das Jahr 600 können wir diese Bewegungen datieren, also gegen das Ende der Völkerwanderung hin. In den weiten Wäldern, in den Brüchen und Mooren, an den zahlreichen Seen und fischreichen Flüssen zogen Wisent und Elch, Hirsch und Sau relativ ungestört ihre Fährten, verfolgt fast nur vom großen Raubwild, denn Bär, Wolf und Luchs fanden hier ebenfalls eine ideale Heimstatt. Der gute Wildbestand war sicher mit ein Grund dafür, dass nicht alle Germanen sich an der großen Abwanderung beteiligten. Hier und da blieben die verstreut und versteckt liegenden Straßendörfer erhalten, von denen die blond- und braunmähnigen Jäger auszogen, um Felle, Decken, Schwarten und Bälge zu erbeuten und das köstliche Wildbret ans heimische Feuer zu schaffen. Wilzen und die von den Awaren aus dem Karpatenkessel vertriebenen Obotriten wiederum, obwohl gleichen Blutes, bekriegten sich gegenseitig aufs heftigste und stritten um die Vormachtstellung im Lande. Die Wilzen siedelten weiter östlich und blickten eifersüchtig auf die neuen, alten Nachbarn mit ihrem grausamen viergesichtigen Gott Svantevit.

Dieser heidnische Götze war dem großen Karl, dem Frankenherrscher, zwar auch ein Dorn im Auge, aber zu seiner Zeit – um 800 – konzentrierte die christliche Kirche ihre Bekehrungsversuche auf die Sachsen; diese zu missionieren war harte Arbeit genug, die Slawen »kamen nebenbei dran«. Weil eben Karl genug Last mit Widukinds Sippe hatte, forderte er von den Obotriten, die sich ihm oder die er sich verbündet hatte, dass sie ihm die Wilzen und besonders die Dänen vom Halse hielten.

Das konnte bei deren Kriegslust allerdings nicht hundertprozentig gelingen. Im Jahre 809 fielen Göttriks Heerscharen in Massen in Mecklenburg ein und zogen eine furchtbare Schneise von Zerstörung und Brand hinter sich her. Dieses Elend zwang die starken Franken, eine Gegenoffensive zu starten, um den Eindringlingen im Lande der Verbündeten eine harsche Lektion zu erteilen. Kaiser Karls Einflussbereich war riesig, groß mussten aber auch seine Anstrengungen zur Sicherung des Reiches sein. Die führungsstarke Persönlichkeit des unermüdlichen Herrschers war dazu imstande, doch schon bald nach seinem Tod wurde das Reich geteilt.

Kampf und Krieg, Krieg und Kampf – Mecklenburg hat genug davon gesehen, war Kriegsschauplatz in fast jedem Jahrhundert! Im 12. Jahrhundert »kümmerte sich« ein Westgermane wieder um das urgermanische Heimatland. Der Sachsenherzog Heinrich der Löwe unterwarf die slawischen Stämme. Der Obotritenfürst Pribislaw trat zum christlichen Glauben über und wurde Heinrichs Vasall. Von seinem Stammsitz »Mikilinborg«, was »große Burg« bedeutet, soll der Name Mecklenburg herrühren. Im Jahr 995 wird die »Michelenburg« erstmals in einer Urkunde Ottos III. erwähnt. Man braucht schließlich etwas Schriftliches, um abgesichert und angemessen feiern zu können!

Im 30-jährigen Krieg erfolgte eine Teilung des Landes in Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Güstrow; die beiden Herzöge wurden jedoch vertrieben und der »Kriegsunternehmer« Wallenstein, böhmischer Adliger und Feldherr der katholischen Liga, durfte sich zwei Jahre mit der ihm vom Kaiser verliehenen mecklenburgischen Herzogskrone schmücken, bis Gustav II. Adolf von Schweden, im Juli 1630 auf Usedom gelandet, die rechtmäßigen Herrscher wieder in ihr Amt einsetzte.

Umsonst ist der Tod – und der kostet das Leben; umsonst tat Gustav Adolf dies natürlich nicht: er heimste Wismar ein. Ironie des Schicksals, dass er in der Schlacht bei Lützen gegen Wallenstein fiel?

Am Ende des grauenvollen Krieges, der nicht nur Mecklenburg furchtbar verheerte, kontrollierte Schweden durch seine strategischen Brückenköpfe die für den damaligen Handel so wichtigen Flussmündungen der Weser, der Elbe und der Oder. Wismar selbst wurde 1803 an Mecklenburg-Schwerin verpfändet, 100 Jahre später verzichtete Schweden auf das Einlösungsrecht.

Die ab 1815 mit der Großherzogswürde ausgezeichneten Herrscher der Linien Schwerin und Strelitz (die 1701 aus der erloschenen Linie Güstrow entstanden war) hoben 1820 die bäuerliche Leibeigenschaft auf. Fast 300 Jahre hat es also gedauert, bis diese Forderung der Bauern, die 1525 zur Zeit der Bauernkriege in den sogenannten Zwölf Artikeln aufgestellt wurde, im Nordosten des Reiches verwirklicht werden konnte. Die Verfassung blieb erhalten, wonach der Landtag aus sämtlichen Rittergutsbesitzern und den städtischen Bürgermeistern bestand.

Die weitere Geschichte verläuft über den Norddeutschen Bund, den Deutschen Zollverein und die Vereinigung zum Land Mecklenburg unter einem Reichsstatthalter am 1.1.1934.

Nach dem Zweiten Weltkrieg die kommunistische Zwangsherrschaft, heute Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.

Wer also sind die Mecklenburger?

Kann man von einem deutschen »Neustamm« seit dem 12./13. Jahrhundert reden?

Die dünne Schicht der slawischen Bevölkerung ging auf in den Strömen der Zuwanderer aus dem Westen, das waren hauptsächlich Flamen, Niedersachsen, Ost- und Westfalen.

Vielerorts sind die westslawischen, also wendischen und sorbischen, Flur- und Ortsbezeichnungen noch erhalten. Konzentrierter erhielten sich die Sorben als Volksgruppe in der Lausitz, wo sie – genau wie im Spreewald – Kulturautonomie genießen. Das ist eines demokratischen Staates würdig, leider werden diese Maßstäbe nicht bei den zerstreuten deutschen Volksgruppen im Osten angelegt.

Die Zahl der freien Bauern wurde seit dem 16. und 17. Jahrhundert durch das »Bauernlegen«, das neben Mecklenburg in England einen unrühmlichen Höhepunkt erfuhr, sowie durch Auswanderung nach Übersee drastisch reduziert.

Neben den Angehörigen der Herzogshäuser an der Spitze wurde das Gesicht des Landes vom städtischen Bürgertum und mehr noch vom mittleren und kleinen, dem Landadel geprägt.

Ihre Besitztümer waren gleichzeitig Eigenjagden, die meisten der Herren frönten eifrig ihrer Waidmannslust.

Um nachhaltig jagen zu können, wurde das Wild auf ihren Flächen gehegt und gepflegt, manchmal sicher auch zulasten des Bauernstandes Überhege betrieben.

Trotzdem: Herzogskronen und Kronenhirsche – da gab es schon einen Zusammenhang!

Das weit ziehende Rotwild fand letzte Refugien in den Forsten der Adligen.

Auf einen Kronenhirsch in Mecklenburg zu jagen – das war mein Wunsch. Ein Mecklenburger – das war und ist nämlich nicht nur der Landjunker, der Stadtbürger, der erdverbundene Dörfler oder der schlitzohrige Fischer, nein, »Das ist wohl ein Mecklenburger«, sagt und fragt man auch in grünen Kreisen, wenn man das Geweih eines klotzigen Rothirsches an der Wand eines Bekannten betrachtet.

Erfahrung hatte ich schon reichlich gesammelt im Land zwischen der Lübecker Bucht und dem Darß. Auf Rot-, Dam-, Schwarz- und Rehwild hatte ich erfolgreich die Büchse geführt, auf Enten und Gänse die Flinte, auf diese Weise Landschaft, Menschen und Wild in so manchem Revier kennengelernt und so war dieses wunderbare Bundesland meine jagdliche Heimat geworden. Ein alter Kronenzehner war schon auf meiner Strecke, auf ihn hatte ich in der sehr früh beginnenden Brunft 1998 in der Lewitz gepirscht, der stillverwunschenen Niederung im Süden der Landeshauptstadt Schwerin. Eine Örtlichkeit mit jagdlicher Geschichte, äußerlich repräsentiert durch das Jagdschloss Friedrichsmoor; das heute in der Nachbarschaft residierende Forstamt hat den gleichen Namen.

Zu meiner Pensionierung sollte es wieder ein Hirsch aus der Heimat werden; wieder wollte ich dort am liebsten jagen, wo es noch Atmosphäre und Abgeschiedenheit gibt. Nur »eben über die Elbe rüber« – ich freute mich sehr, dass ich im zweiten Jahr nach Beantragung im Forstamt Kaliß einen reifen Hirsch der Klasse 4 (früher 1a) zur Bejagung frei bekam. Bei Dömitz auf der neuen Brücke über den breiten Strom, und dann war man fast schon da, insgesamt doch nur ein Katzensprung entfernt von der Kreisstadt Winsen/Luge, wo selbst ich mein Heim und Haus bestellt habe.

Trotzdem wollte ich die anderthalbstündige Fahrt über die Landstraße nicht jeden Morgen und Abend auf mich nehmen, also suchte und fand ich ein Quartier ganz in der Nähe des Reviers Grittel. In Malliß hatte es früher eine Ziegelei gegeben, und zum Abtransport der Tonziegeln war ein Verbindungskanal zur Elde-Müritz-Wasserstraße geschaffen worden. An diesem fischreichen sogenannten Ziegeleikanal lag die Finnhütte, die ich mir für meine persönliche Hirschbrunftwoche gemietet hatte. Ein Biber rann ab und zu vorbei, der Eisvogel blitzte im Flug durch die noch grünen Blätter der das Ufer säumenden Erlen.

Jeden Tag aufs Neue wollten jede Menge Käfer, Frösche und Kröten mit mir zusammen durch den Kellereingang die Hütte betreten, aber sonst hatte ich keinerlei Besuch und somit die notwendige Ruhe, um zwischen den Jagdgängen den Ofen mit Holz zu beschicken und mir frugale Mahlzeiten zu bereiten.

In Eldena holte ich den Revierbetreuer Günther Johns ab, wir erledigten die Formalitäten, die der Staatsforst vorschreibt, und dann ging es über die Ortschaft Liepe hinein in den weiträumigen Kiefernwald. Kaum hatten wir meinen Geländewagen abgestellt und verlassen, zog ich schon den Hut: Zum ersten Mal in diesem Jahr vernahm ich das Schreien der Rothirsche in der Brunft – wir schrieben den 14. September.

Nach langem Anmarsch durch Sanddünen bedeckende Heidelbeerteppiche, immer nur unter den schon von Hermann Löns besungenen Föhren oder niederdeutsch Fuhren, bezogen wir eine niedrige, offene Kanzel an einem Forstweg. Schon bald hatten wir Anblick von Kahlwild, das heißt rote Flecken in kleinen Lücken – je weiter man in das Holz hineinblickt, desto dichter wird es und die Lücken immer kleiner. Nirgends eine Wiese oder Offenland, wo man leichter hätte ansprechen können. Ferne Schreie von Hirschen. Da, kein Tier, eine Geweihstange, und dann zog der ganze Hirsch langsam und die Breitseite zeigend an uns vorbei, Entfernung um die 100 Meter. Ich musste an den alten Jägerspruch denken: Ein junger Hirsch zieht wie ein Pferd, ein alter wie eine Kuh! Dieser zog mit hocherhobenem Haupt und eher schlankem Träger wie ein Pferd, starke und lange Stangen mit guten Kronenenden beiderseits kennzeichneten den hoch veranlagten Zukunftshirsch, der sein siebtes oder achtes Geweih tragen mochte. Bald tat er sich nieder, eine Keule und eine halbe Geweihstange gaben die Lücken zwischen den rauborkigen Kiefernstämmen frei. Immer wieder richteten wir natürlich unsere Gläser auf den ruhenden Geweihten, bis es anderen Anblick gab – ganz hinten auf dem Forstweg tauchte ein Fahrradfahrer auf, der immer wieder anhielt, am Wegesrand oder eine kurze Strecke im Bestand umhersuchte und dann wieder weiterfuhr. Gleichzeitig erschienen mehrere Stücke Kahlwild vor der Dickung, dabei ein starker Hirsch! Sie wechselten über die Schneise nach links. Plötzlich hinter ihnen ein mächtiger Schrei – noch ein Hirsch folgte den Tieren und Kälbern nach! Das war ein toller Anblick, aber dann kam, was kommen musste, das Wild hatte die menschliche Störung mitbekommen und flüchtete zurück. Kahlwild und mit zehn Meter Abstand hintereinander zwei gut aufhabende Hirsche. Jetzt folgte auch der niedergetane Geweihte, der wieder – mit Einblick von hinten – durch seine Stangenstärke beeindruckte.

Alle drei Hirsche zu jung, noch einige Jahre von der Vollreife entfernt, aber bereits Träger von zukunftversprechenden Kronengeweihen. Der Pilzsammler, mit Plastiktaschen links und rechts am Fahrradlenker, fuhr mit schlechtem Gewissen unter unserem Sitz vorbei, antwortete aber mürrisch und uneinsichtig auf die höfliche Ansprache des Revierbeamten, der ihn vor Tagen schon gebeten hatte, diesen Revierteil in der Brunft zu meiden.

Freies Waldbetretungsrecht – was will man da machen? Hier war jedenfalls kein Anblick mehr zu erwarten, wir baumten ab und pirschten vorsichtig durch die Sanddünen einer oben auf einer Kuppe errichteten Kanzel zu. Ein Mäusebussard gab uns kurz das Geleit und segelte dann weiter. Als wir uns auf dem einfachen Sitzbrett niedergelassen hatten, war ich noch ganz erfüllt von dem guten Anblick, doch das sollte noch nicht alles gewesen sein. So langsam wurde das Büchsenlicht schwächer, als wieder eine Bewegung im Altholz auffiel. Wie gesagt, es waren immer nur kleine Teile eines Wildkörpers in den Lücken zu erkennen. Ein Stück Rotwild, schon war es überriegelt verschwunden. Doch wenig später sahen wir Geweihstangen über einen Dünenrand und das Blaubeergrün emporragen, sich hin und her drehen – welche Spannung – und dann erschien langsam und majestätisch der ganze Hirsch, verhielt und brummte tief und eher verhalten in die Senke hinein. Der war älter als die vorhin Gesehenen! Eine ausgeprägte Brunftmähne und die dunkelrote, ins Schwarze gehende Decke sowie natürlich die starken Vierzehnenderstangen verhalfen ihm zu einem höchst imposanten Aussehen. Vielleicht vom neunten oder zehnten Kopf? Die volle Reife hatte auch dieser noch nicht, der jetzt noch einmal laut seine Anwesenheit verkündete und sich dann 200 Meter weiter niedertat. Als wir nicht mehr ansprechen konnten, setzten wir uns vorsichtig ab. Kurz vor unserem Fahrzeug polterte noch einmal ein von uns angerührter Hirsch über den Weg, das lässt sich leider nicht immer vermeiden. Aber welch ein Anblick am ersten Tag! »Das kann ich Ihnen allerdings nicht jeden Tag versprechen«, äußerte Herr Johns, um wohl zu vermeiden, dass bei mir die Bäume – oder die Hirschgeweihe – in den Himmel wuchsen. Nein, das nicht, aber ich freute mich schon auf den Morgen!

So fiel mir das frühe Aufstehen überhaupt nicht schwer, nach einer schnellen Tasse Kaffee schnappte ich mir Gewehr und Rucksack und schon holperte mein Wagen durch die Schlaglöcher und tiefen Pfützen der Privatstraße der Brücke über den Ziegeleikanal zu. An ihm entlang – diese Abkürzung hatte mir Förster Johns gezeigt – fuhr ich zur Einmündung in die Kreisstraße nach Liepe und stoppte dort am verabredeten Treffpunkt am Ortseingang.

Natürlich horchte ich nach dem Austeigen sofort in Richtung Forst – und tatsächlich, sie schrien, mindestens drei unterschiedliche Hirschbässe waren zu hören. Des Weiteren bewunderte ich den prachtvollen, selten so klar und lichtstark zu erlebenden Sternenhimmel.

Man sieht, akustisch und optisch hat Mecklenburg etwas zu bieten! Der Südostwind blies stetig wie gestern, wir konnten es anpacken. Mit meinem Pirschführer dann unterwegs, hielten wir noch einmal an, um zu verhören, stellten später den Wagen ab, um uns auf den langen Anmarsch zu begeben.

Merklich wurde es heller. Ein Kolkrabe strich über uns hinweg, modulierte an seinem ersten Morgengeschwätz und brachte das Büchsenlicht mit, als wir die niedrige Kanzel, die mein Jagdführer für den Ansitz ausgewählt hatte, langsam bestiegen.

Kaum hatten wir uns eingerichtet, hatten wir schon den ersten Rotwild-Anblick. Ein Spießer trollte links durch die Stangen. »Nicht bewegen«, flüsterte plötzlich mein Nebenmann. Zwei Tiere überfielen die Schneise. Da, ein starker Hirsch folgte ganz langsam! Eingedenk unserer Absprache ging ich in Anschlag und betätigte den Stecher, das Zielfernrohr-Absehen stand auf der falben Decke des Hirsches. Er wendete sich in unsere Richtung, hob das Haupt und röhrte lang und anhaltend. Ein herrlicher Anblick bei mittlerweile gutem Licht! Doch auch ich sah jetzt, dass dieser Geweihte zu der Generation um den siebten Kopf herum gehörte, und nahm die Waffe von der Brüstung herunter, entspannte und entstach den Kugellauf.

Diesen Geweihten, mittlerweile den Fünften in diesem Brunftgebiet »am Karrenberg«, sollten wir noch wiedersehen. Aufgrund seiner Deckenfarbe nannte ich ihn den »Hellen«. Der Spießer, den wir auch noch einige Male sahen und wiedererkannten, weil sein linker mittelhoher Spieß einen Knick nach hinten aufwies, und einige Tiere wechselten hin und her. Der Helle meldete bei hoch steigender Sonne in der Dickung, langsam kehrte Ruhe ein. Ein Ringeltäuberich ließ seine Strophe hören, nicht mehr ganz so impulsiv und werbend wie im Frühjahr. Wir baumten ab und – froh über unsere Gummistiefel – stapften durch die morgennassen Heidelbeeren zurück. Dabei bewies Günther Johns, erfahrener Schweißhundführer und Richter im Verein Hirschmann, sein gutes Auge. Wir querten eine frische Fährte, zu erkennen fast nur durch die Ausrisse auf den herbstlich gesprenkelten Blättern des Blaubeerteppichs. Starke Trittsiegel bestätigten wir dann an einer bemerkenswerten Suhle, so gut angenommen und von harten Schalen zerfurcht, wie ich es kaum je gesehen hatte. Das kam nicht von ungefähr, in diesen Sanddünen gab es weder Lehm noch Ton, wobei letzterer noch attraktiver für das Rotwild ist. Nein, diese Suhle war künstlich angelegt worden mit dem grauen Ton aus dem Ziegeleigelände, von dem ich gesprochen hatte. Ein absoluter Anziehungspunkt im Rotwildrevier! Sauen haben wir nicht gesehen, die Mehrzahl steckte noch im Feld und delektierte sich wohl am Mais. Für sie gibt es unter den Kiefern nicht viel zu holen, aber an der Suhle erscheinen sie auch des Öfteren.

Bei meinem selbst bereiteten deftigen Frühstück später sah ich immer noch die spannende Situation mit »dem Hellen« auf der Schneise vor meinen Augen. Gute Auslage, hohe Stangen, aus dem wird noch was. Ein inspirierendes Brunftbild!

»Viertel vor fünf, damit wir um fünf draußen sind«, hatte der Revierbetreuer angesagt. So geschah es. Regenschauer empfingen uns im Revier, dazwischen lugte die Sonne wieder aus den Wolken hervor, der Wind hatte aufgefrischt, aber seine Richtung beibehalten.

Ein schwaches Rehböckchen äugte uns hinterher, als wir eine dicht bestandene Kiefern-Naturverjüngung passierten. Viel Rehwild gab es nicht in dem über 2000 Hektar großen Dienstbezirk, eine alte Geschichte im Hochwildrevier. Ich schaute noch einmal zurück, kerzengerade wachten die Überhälter über ihre Saat. Zweimal hielten wir an, um zu verhören, blieben auch bei der anschließenden Pirsch immer wieder stehen, um den langsam deutlicher werdenden Hirschstimmen zu lauschen. Da, das war schon ziemlich nahe! Gebückt hasteten wir einen Hügel hoch, spähten vorsichtig über die Kuppe und bezogen dann schnell die dortige Kanzel. Wieder ein mächtiger Schrei! Es hörte sich so an, als ob jeden Moment ein Hirsch aus dem Bestand über die vor uns liegende freie Senke wechseln wollte. Ich machte mich fertig, stach den Kugellauf ein. Im Geiste sah ich ihn schon, alles hätte wunderbar gepasst. Doch die Stimme entfernte sich wieder, links hinten im uneinsehbaren Bestand wachte der Hirsch wahrscheinlich bei seinem Kahlwild, schrie immer wieder seine Drohungen gegen die Konkurrenten heraus. Einen davon sahen wir bald. Ein junger Geweihter vom 5. oder 6. Kopf zog mit Tier und Kalb nur eine Schrotschusslänge an uns vorbei. Hatte er dem Platzhirsch tatsächlich ein Tier abspenstig machen können? Es sah aber eher so aus, als hätte das weibliche Stück sich einen selbstständigen Bummel in den schmalen Kopf gesetzt, der dünnstangige Zwölfer folgte eher »errötend ihren Spuren«.

Die tiefe und volle Stimme, die geradeaus hinter einer höheren Düne sich meldete, die konnte bestimmt keinem Schneider gehören. Da schien einer zu sein, der dem Platzhirsch ernstlich gefährlich werden konnte. Zweimal nahm ich den Drilling hoch, weil es sich wirklich so anhörte, als ob er jeden Moment aus der Vegetation auftauchen könnte. Beim dritten Mal riss ich die Waffe besonders schnell hoch – da war er! »Das ist weit, sehr weit«, murmelte Förster Johns. Ein Starker – und er zog mit tief gesenktem Träger wie eine Kuh. Den hätten wir sehr gerne näher angesprochen, aber dazu langten die fünf Sekunden nicht, in denen er über eine Lücke zog. Das ist Waldjagd, hier kann man die Hirsche nicht zehn Minuten und länger auf einer Wiese studieren. Neben dem Stimmenduell dieses Starken mit dem beim Rudel stehenden Hirsch gab es eine dritte Stimme hinter der Tonsuhle, im dichten Anflug dort war ein Angehen jedoch zwecklos. Wir verdrückten uns und fuhren nach Hause bzw. in die gemietete Unterkunft. Wieder hatte ich, diesmal bei der Abendmahlzeit, ein spannendes Brunftbild vor Augen, wie der starke, alte Hirsch majestätisch durch die Lücke auf dem Dünenkamm zog.

Leider musste ich mich am ganz frühen Morgen beim Revierbetreuer abmelden; schon altbekannte massive Herzbeschwerden waren aufgetreten und machten eine Pirsch unmöglich. Als ich mich gegen Mittag wieder erholt hatte, erledigte ich in Ruhe die Hausarbeiten. Anmachholz musste dringend zerkleinert werden, das hatte ich im Keller nicht vorgefunden. Hier hängt ja auch nicht das Leben davon ab, nur die Behaglichkeit. In Kanada, wie man gelesen hat, wäre es eine Todsünde, sich selbst oder dem nächsten Besucher der Hütte nicht das unter Umständen vor dem Erfrierungstod schützende Feuer vorzubereiten. Noch ein kleiner Spaziergang, und dann konnte ich mich Gott sei Dank einsatzbereit melden.

Vor dem Kellereingang herrschte wieder ein schwarzes Gewimmel. Bevor ich losfuhr, setzte ich die vielen Totenkäfer, die sich gern in Kellern, unter dem Fußboden u. Ä. verstecken, in den Wald zurück.

Es regnete leicht, die Temperatur lag bei 17 Grad. In Liepe sah ich ein braunes Etwas aus dem Wald kommen. Im Glas erkannte ich einen Hund, der zielstrebig dem Dorfe zu trabte, direkt neben mir die Straße überquerte und auf der anderen Seite einen Feldweg annahm. Kam er vom Wildern oder wandelte er auf Freiersfüßen?