Wissenschaftliche Bilder: gut gestalten, richtig verwenden - Steffen-Peter Ballstaedt - E-Book

Wissenschaftliche Bilder: gut gestalten, richtig verwenden E-Book

Steffen-Peter Ballstaedt

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Beschreibung

Abschlussarbeiten, Aufsätze, Fachbücher, sie alle werden durch Bilder anschaulicher und verständlicher. Fotos, Zeichnungen, Diagramme, Charts, Karten sind ein unverzichtbarer Bestandteil wissenschaftlicher Vermittlung. Die Digitalisierung gibt Autoren und Autorinnen viele Möglichkeiten der Herstellung und Bearbeitung von Bildern in die Hand. Dieser Band informiert über die wichtigsten Bildtypen und die visuellen Konventionen, die sich in der kulturellen Evolution herausgebildet haben. Als Hintergrundwissen für eine effektive Gestaltung wird die kognitive Verarbeitung von Bildern und von Text-Bild-Kombinationen dargestellt. Der Fokus liegt auf praktischen Hinweisen, wie die verschiedenen Bildtypen didaktisch gestaltet und inhaltlich in den Text eingebunden werden.

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Seitenzahl: 233

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Steffen-Peter Ballstaedt

Wissenschaftliche Bilder: gut gestalten, richtig verwenden

UVK Verlag · München

Umschlagabbildung: © istockphoto, metamorworks

 

DOI: https://doi.org/10.36198/9783838560311

 

© UVK Verlag 2023— ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

Einbandgestaltung: siegel konzeption | gestaltung

 

utb-Nr. 6031

ISBN 978-3-8252-6031-6 (Print)

ISBN 978-3-8463-6031-6 (ePub)

Inhalt

Worum es in diesem Buch geht und wie man es benützt

Dieses Buch ist eine Neufassung seines Vorgängers „Visualisieren. Bilder in wissenschaftlichen Texten“. Es sind nicht nur Aktualisierungen und Erweiterungen eingearbeitet, sondern einige Themen wurden auch anders gewichtet. Es ist also keine 2. Auflage, sondern eine Neukonzeption.

Die visuelle Kommunikation hat in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Aufwertung erfahren. Bilder sind nicht nur Textdekoration, sondern erfüllen im Lehren und Lernen eigene Funktionen. Bilder werden in vielen wissenschaftlichen Disziplinen als visuelle Argumente eingesetzt. Wir denken nämlich nicht nur abstrakt in Begriffen, sondern auch anschaulich in Vorstellungen. Aus der Lern- und Unterrichtspsychologie liegen unzählige Untersuchungen vor, die dem Bild einen Mehrwert gegenüber dem Text bescheinigen. Der Trend zum Bild geht so weit, dass Kulturtheoretiker von einem „pictorial turn“ oder einer „visuellen Wende“ sprechen, nach der die Sprache eine geringere Rolle in der Wissensvermittlung spielt.

Nicht nur die Einschätzung der Bilder hat sich geändert, auch ihre technische Produktion und Reproduktion. Fachtexte waren schon immer bebildert. Schon die ersten Fachbücher aus der Antike enthalten Handzeichnungen, sie mussten beim Abschreiben von den Kopisten abgezeichnet werden. Mit Aufkommen des Holzschnitts nahm die Anzahl der Bilder in Büchern immens zu, die Herstellung der Bildplatten war aber noch aufwändig. Selbst beim Offsetdruck war es umständlich, Bilder einzufügen. Es mussten Druckformen, so genannte Klischees, hergestellt und in den Text eingesetzt werden. Das verteuerte die Produktion und die Verleger waren dankbar, wenn Autoren auf Bilder verzichteten. Erst seit der elektronischen Bilderstellung und -verarbeitung bereiten Bilder weniger Mühe. Heute wird von jedem Autor und jeder Autorin selbstverständlich erwartet, dass sie oder er Fotos, Zeichnungen, Diagramme, Charts usw. in ausreichender Qualität entweder selbst erstellt oder beschafft und mit dem elektronischen Manuskript abliefert.

Während an Ratgebern für Bilder in Präsentation oder im Web kein Mangel besteht, findet man zur Bebilderung von Seminar-, Bachelor- und Masterarbeiten, Dissertationen und Aufsätzen aller Art nur verstreute Hinweise, vor allem in Handreichungen für Autoren. Hier erfährt man, dass die Bilder informativ, prägnant, übersichtlich usw. sein sollen. Aber was heißt das konkret für die Auswahl oder Gestaltung? Was macht ein effektives Bild aus? Es erleichtert das begriffliche Verständnis des Textes und bietet visuelles Wissen an, das über den Text hinausgeht. Didaktisch gelungene Bilder zeigen nur das für die jeweilige Vermittlung Relevante und muten den Betrachtenden keine unnötigen Verarbeitungsprozesse zu.

Dieser Band soll Sie dazu motivieren, Bilder aller Art effektiv zu gestalten, sorgfältig auszuwählen und inhaltlich mit dem Text zu verknüpfen. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten werden dadurch interessanter und verständlicher und damit auch für die Adressaten attraktiver. Bebildern und Visualisieren gehört heute zu den Kompetenzen, die man von Studierenden und Wissenschaftlern erwartet. Dabei ist der Gedanke leitend, dass Bebildern eine kommunikative Aufgabe darstellt: Was soll das Bild für eine Botschaft vermitteln? Wozu soll es dem Verstehen bei den Adressaten dienen?

Fragen, auf die Sie Antworten bekommen

Welche Inhalte können Bilder besser vermitteln als Texte?

Welcher Bildtyp eignet sich für welche kommunikativen Absichten?

Was geschieht in den Köpfen, wenn ein Bild wahrgenommen wird?

Wann hat man ein Bild verstanden?

Wie werden Bilder augenfreundlich und verständlich gestaltet?

Mit welchen Mitteln kann man die Auswertung eines Bildes steuern?

Wie kann man Text und Bild effektiv miteinander kombinieren?

Welche Tools braucht man, um Bilder selbst zu erstellen?

Wie kann man sich Bilder legal aus dem Internet beschaffen?

Wie werden Bilder in Texte eingefügt?

Dieser Band bietet nicht nur praktische Anleitungen, sondern auch Hintergrundwissen. Wer weiß, wie Bilder im Kopf verarbeitet werden, kann viele sinnvolle Entscheidungen zur Gestaltung treffen und plausibel begründen. Sowohl das Hintergrundwissen als auch die Anleitungen gründen in Theorien und Untersuchungen der Kognitions- und Instruktionspsychologie, der Designforschung, der Medienpsychologie, der Ergonomie und anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Um das Buch lesbar zu halten, werden keine Einzeluntersuchungen referiert, sie sind aber im umfangreichen Literaturverzeichnis aufgeführt. Mit horizontalen Balken sind im Text praktische Hinweise hervorgehoben, wie man zu effektiven Bildern kommt, d. h. sie selbst gestaltet oder sie auswählt und gegebenenfalls verändert. Die vertiefenden Lese- und Schautipps gehen über den Band hinaus und stellen die wissenschaftliche Verwendung von Bildern in einen breiten kulturhistorischen Kontext. Sie sind mit einem vertikalen grauen Balken gekennzeichnet.

Das ist ein umfangreiches Programm, aber alles dürfen Sie von diesem Buch auch nicht erwarten. Daher drei Einschränkungen vorweg:

Die Darstellung des Bandes ist didaktisch ausgerichtet und bietet keine technische Einführung in das Fotografieren, das Zeichnen oder den Umgang mit Computerprogrammen. In Kapitel 5 wird auf entsprechende Literatur und auf elektronische Hilfsmittel verwiesen.

Es sind nur statische Bilder in Fachtexten berücksichtigt, nicht bewegte bzw. animierte Bilder. Wissenschaftliche Animationen kennt jeder aus der Wetterkarte im Fernsehen oder aus Wissenschaftsmagazinen im Fernsehen. Sie erweitern die visuelle Kommunikation, können aber nicht in schriftliche Arbeiten, sondern nur in wissenschaftliche Präsentationen oder Lehrvideos eingebunden werden.

Da das Buch sich an Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaftler verschiedener Disziplinen wendet, werden übergreifende Probleme der Bebilderung von Texten behandelt. Um spezielle Bilder wie Strukturformeln in der Chemie, Mikrofotografie in der Biologie, Soziogramme in der Psychologie, Bildquellen in der Geschichte, Screenshots in der Informatik u. a. m. kann es leider nicht gehen.

Das Kapitel I referiert das psychologische Hintergrundwissen, das man für einen effektiven Umgang mit Bildern in der Wissenschaft braucht. Das Kapitel 2 behandelt die Gestaltung von verschiedenen Bildtypen wie z. B. Strichzeichnungen oder Schemabilder. Das Kapitel 3 stellt die zahlreichen visuellen Konventionen zusammen, die sich in der wissenschaftlichen Kommunikation herausgebildet haben, um das Verständnis eines Bildes abzusichern. Das Kapitel 4 befasst sich mit der Kombination von Text und Bild. Das abschließende Kapitel 5 gibt praktische Hinweise und Tipps für die Erstellung und Beschaffung von Bildern.

1Wie Bilder wirken

Wer schnellen und bleibenden Eindruck machen will, bedient sich der BilderOtto Neurath, 1933

1.1 Bilder im Wissenserwerb

1.2 Typen von Bildern

1.3 Visuelle Konventionen

1.4 Ganzheitlicher erster Eindruck

1.5. Detailauswertung mit Blickbewegungen

1.6 Begriffliches Bildverstehen

1.7 Anmutungen und Gefühle

Zusammenfassung Kapitel 1

 

In diesem Kapitel geht es um die Grundlagen für die Verwendung von Bildern in Studium und Wissenschaft. Das Inventar der visuellen Kommunikation wird vorgestellt: die verschiedenen Bildtypen und die visuellen Konventionen. Danach werfen wir einen Blick auf vier Ebenen der Verarbeitung von Bildern in den Gehirnen der Betrachtenden. Was passiert vom ersten Blick auf ein Bild bis zum Verstehen seiner Inhalte und seiner Funktion? Schließlich wird das Potenzial von Bildern angesprochen, ästhetische Anmutungen und Emotionen auszulösen.

1.1Bilder im Wissenserwerb

Wir müssen mit einer wichtigen theoretischen und terminologischen Unterscheidung starten. Unter der Bezeichnung „Bild“ werden oft zwei sehr verschiedene Dinge vermischt: Interne Bilder im Kopf, also visuelle Vorstellungen oder Traumbilder (engl. images), und externe Bilder auf Papier oder in einem anderen Medium (engl. pictures). Zwischen beiden gibt es einen Zusammenhang: Interne Vorstellungen können mit Skizzen, Zeichnungen, Gemälden externalisiert werden. Externe Bilder regen die Bildung interner Vorstellungen an und verankern das Wissen begrifflich und visuell (Bild 1.1).

Bild 1.1:

Der Zusammenhang von internen und externen Bildern. Visuelle Vorstellungen werden in Bildern externalisiert, Bilder werden internalisiert und erzeugen visuelle Vorstellungen. Quelle: Ballstaedt.

Anschauliches Denken

Die Kognitionspsychologen stimmen nach vielen Jahren des Experimentierens und Debattierens überein, dass es in unseren Gehirnen begriffliches Wissen und visuelles Wissen gibt (Kosslyn, 1996; Paivio, 1990). Wir denken sowohl in Begriffen als auch in Vorstellungen, das anschauliche Denken ist vor allem für kreative Prozesse zuständig (Arnheim, 1974), und zwar nicht nur bei Künstlern, sondern auch bei Wissenschaftlern. Dazu zwei Beispiele:

Ingenieure haben oft ein sehr gutes Vorstellungsvermögen. So schreibt Oliver Evans, der um 1785 die automatische Getreidemühle erfand: „Die Anordnung habe ich, bevor ich meine Mühle zu bauen begann, im Kopf so weit vervollständigt, dass ich mir in meinem Bett den ganzen Ablauf mit einiger Anspannung vorstellen konnte“ (nach Ferguson, 1993, 53). Erst dann hat er eine Skizze seiner Erfindung gezeichnet (Bild 1.2).

Bild 1.2:

Getreidemühle. So hat Oliver Evans 1785 die erste automatisierte Getreidemühle gezeichnet, die er vorher in seinem Kopf zum Laufen gebracht hatte. Quelle: Wikimedia Commons.

Albert Einstein, der ganz sicher eine der abstraktesten Theorien erdacht hat, berichtet: „Es scheint nicht so zu sein, daß die Wörter oder die Sprache – und zwar die geschriebene oder die gesprochene – irgendeine Rolle bei den Denkvorgängen spielt. Die psychischen Einheiten, die als Elemente des Denkens zu dienen scheinen, sind zweifellos die mehr oder weniger klaren Zeichen und Bilder, die sich ‚willentlich‘ reproduzieren und kombinieren lassen“ (Einstein, 1904, in Hadamard, 2008). Einstein hat also in Vorstellungen gedacht. Auch von anderen Wissenschaftlern wie Michael Faraday oder Friedrich Kekulé ist überliefert, dass das visuelle Denken bei ihnen eine wichtige Rolle beim Entdecken von neuen Erkenntnissen spielte.

Visuelles Lernen

Wer ein gutes Vorstellungsvermögen hat, für den ist ein Bild beim Einprägen sehr hilfreich. So kann man sich z. B. in der Biologie die Stadien der Embryoentwicklung aus einem Lehrbuch visuell vorstellen. Das anschauliche Denken wird durch den Einsatz von Bildern angeregt und gefördert. Als Ergänzung oder sogar als Ersatz von Texten sind Bilder deshalb beim Lehren und Lernen unverzichtbar.

Einer der ersten, die sich für Bilder in der Wissensvermittlung ausgesprochen haben, war der Pädagoge Johan Amos Comenius (1657, 2022). Zwar hielt er Demonstration am wirklichen Objekt für optimal, aber als Wirklichkeitsersatz im Unterrichtsraum und in Büchern plädierte er für Modelle und Bilder. Sie sind für ihn bei der Vermittlung von Wissen unverzichtbar, weil nicht alle Gegenstände immer greifbar und präsentierbar sind.

Diese Ansichten sind inzwischen durch lern- und kognitionspsychologische Untersuchungen eindrucksvoll bestätigt worden (z. B. Mayer, 2020). Bilder können einige Inhalte besser kommunizieren als ein Text. Die Stärke des Bildes liegt in der Vermittlung visueller Merkmale wie Form, Farbe, Textur und der Vermittlung räumlicher Zuordnungen. Veränderungen visueller und räumlicher Merkmale werden in einem Bildvergleich sofort sichtbar. Fotos und Zeichnungen leisten hier mehr als eine umständliche Beschreibung (Bild 1.3).

Bild 1.3:

Bocksbeutel. Vergleicht man die Beschreibung mit der Abbildung, so wird deutlich, dass Formen im Bild besser zu vermitteln sind als in der Sprache. Es ist schwierig, sich aufgrund der Beschreibung die Form der Flasche vorzustellen. Textquelle: Verordnung (EG) Nr. 607/2009 der Kommission der EU. Bildquelle: Prince Grobhein, Wikipedia Commons.

Den kommunikativen Wert von Bildern hat der Naturforscher Robert Hooke (1635–1703) eindrücklich formuliert: „Denn auch wenn eine Beschreibung in Worten uns eine unvollkommene Vorstellung und Idee des Dinges geben kann, das so beschrieben wurde, so kann uns doch keine Beschreibung durch Wörter eine so vollständige Darstellung der wahren Form dieses Dinges geben, wie es eine Skizze oder Abzeichnung desselben auf Papier vermag“ (Hooke, 1726, 2009, S. 293).

Wissenschaftliche Bilder

Unter wissenschaftlichen Bildern verstehen wir hier alle Bilder, die bei der Wissensgewinnung und der Wissensvermittlung in wissenschaftlichen Disziplinen eine Rolle spielen (Breidbach, 2005).

Fachtexte waren seit jeher bebildert In einer der ältesten erhaltenen technischen Schriften, der „Mechanike Syntaxis“ von Philon von Byzanz (Ende des 3. Jh. vor Chr.) schreibt der Autor, dass er „um des besseren Verständnisses willen im Buch Abbildungen hinzugegeben“ habe (Stückelberger, 1994, S. 96). Oft verweisen die Autoren auf Zeichnungen, die jedoch meist verlorengegangen sind. Die Kopisten haben nämlich nur den Text abgeschrieben und auf das Abzeichnen der Bilder verzichtet.

In den Naturwissenschaften waren und sind Bilder in der Wissensvermittlung unverzichtbar: Karten in der Geographie, anatomische Zeichnungen in der Medizin, Diagramme in der Mathematik, technische Zeichnungen in den Ingenieurwissenschaften usw. Ursprünglich dienten sie nur zum Zeigen von Objekten, während die Theorien rein sprachlich oder als abstrakte Formeln formuliert wurden. Inzwischen haben Bilder in verschiedenen Disziplinen eine erkenntnisschaffende Funktion und werden als visuelle Argumente anerkannt. So beweist eine computertomografische Aufnahme in der Medizin, wo ein Tumor wuchert. Luftbildfotos in der Archäologie belegen die frühere Existenz einer Siedlung. Mit elektronenmikroskopischen Aufnahmen in der Biologie wird das Vorhandensein von Viren nachgewiesen. Die Existenz eines Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße konnte mit Aufnahmen aus acht Teleskopen visuell bewiesen werden.

Eher bildscheu waren und sind die Geisteswissenschaften. Hier ist die treffende sprachliche Formulierung wichtig und Bilder dienen – etwa als Beiwerk in Geschichtsbüchern oder literaturwissenschaftlichen Werken – vorwiegend der Illustration. Geisteswissenschaftler stehen der Verwendung von Bildern eher reserviert gegenüber, weil sie eine Ablenkung von der Sprache und dem begrifflichen Denken befürchten. Reine „Bleiwüsten“ findet man daher fast nur noch in geisteswissenschaftlichen Publikationen, in denen weder Daten anschaulich aufbereitet sind noch Abbilder als Realitätsersatz dienen. Aber selbst hier hat ein Umdenken begonnen: Gemälde oder Fotos werden in der Geschichtswissenschaft als historische Dokumente ausgewertet. In den Literaturwissenschaften findet man zunehmend Bilder, um geistesgeschichtliche Entwicklungen zu visualisieren. Beispiel: Ein Chart, das wichtige literarische Epochen an einem Zeitstrahl anträgt (s. Bild 2.16).

Die visuelle Wende

In den vergangenen Jahren sind Bilder derart ins Zentrum des Interesses gerückt, dass von einigen Kulturtheoretikern eine visuelle Wende ausgerufen wird, mit der angeblich eine sprachzentrierte Kultur zu Ende geht. Ob wir tatsächlich in einem so dramatischen Umbruch leben, werden Historiker erst in einem Rückblick feststellen. Zwei Entwicklungen sind jedoch unübersehbar:

1. Die Anzahl der Bilder, mit denen wir konfrontiert werden, hat stark zugenommen. Jede Tageszeitung enthält zahlreiche Fotos und Diagramme, das Fernsehen präsentiert auf unzähligen Kanälen Bilder, im Web sind Billionen von Bildern verfügbar und auch in wissenschaftlichen Abhandlungen wächst der Anteil an Bildern.

2. Bilder werden gegenüber der Sprache deutlich aufgewertet, vor allem in den Wissenschaften. Bilder sind nicht mehr nur illustratives Beiwerk, sondern sie werden als visuelle Argumente in Begründungen und Erklärungen eingesetzt. Charts und Diagramme können komplexe begriffliche Zusammenhänge sichtbar und damit besser verständlich machen.

Im Folgenden vertreten wir die These, dass Text und Bild ein didaktisches Traumpaar bilden, weil sich beide in ihren Stärken und Schwächen ergänzen und für die Wissensvermittlung optimale Bedingungen bieten (Ballstaedt, 2009). Voraussetzung ist allerdings, dass die Bilder durchdacht gestaltet und sinnvoll in den Text integriert sind.

Vertiefende Lese- und Schautipps

Das Buch des Professors für Mediengestaltung Ralf Landkau zeigt die Potenziale der visuellen Kommunikation in verschiedenen Medien auf, ordnet sie theoretisch und historisch ein und reflektiert sie kritisch. Anregende Lektüre für den philosophisch anspruchsvollen Bildgestalter:

Lankau, Ralf (2007): Lehrbuch der Mediengestaltung. Grundlagen der Kommunikation und Visualisierung. Heidelberg: dpunkt.

 

Ein Sprachwissenschaftler, der Visualisierungen sehr kritisch gegenübersteht und befürchtet, dass damit eine Verarmung der sprachlichen Kommunikation und Argumentation einhergeht:

Pörksen, Uwe (1997): Weltmacht der Bilder: Eine Philosophie der Visiotype. Stuttgart: Klett-Cotta.

 

Wer einen Streifzug durch die Vielfalt und Ästhetik der wissenschaftlichen Bilder unternehmen möchte, dem seien hier drei Bildbände empfohlen:

Robin, Harry (1992). Die wissenschaftliche Illustration. Von der Höhlenmalerei zur Computergraphik. Basel: Birkhäuser.

 

Kemp, Martin (2000). Bilderwissen. Die Anschaulichkeit naturwissenschaftlicher Phänomene. Köln: DuMont.

 

Escardó, Anna & Wiedemann, Julius (2022). Science illustration. A history of visual knowledge from the 15th century to today. Köln: Taschen.

1.2 Typen von Bildern

In den Bezeichnungen zur bildlichen Kommunikation herrscht ein wirres Durcheinander. Abbildung, Diagramm, Illustration, Visualisierung usw., alle Wörter werden in verschiedenen Bedeutungen verwendet, es gibt keine einheitliche Terminologie. Damit klar ist, wovon wir reden, treffen wir einige terminologische Festlegungen. Das Repertoire der visuellen Kommunikation setzt sich aus Bildtypen und visuellen Konventionen zusammen. In diesem Abschnitt führen wir die Bildtypen ein, im nächsten die Konventionen.

Bild 1.4:

Typen externer Bilder. Die Visualisierung bringt eine hierarchische Ordnung in die Vielfalt unterschiedlicher Bilder. Quelle: Ballstaedt

Externe Bilder. Darunter verstehen wir alle nichtsprachlichen Formen der visuellen Kommunikation. „Bild“ ist also ein sehr weiter Begriff, der zahlreiche Unterbegriffe umfasst. Das Bild 1.4 zeigt ein hierarchisches Chart von Bildtypen, für die jeweils gilt:

Jeder Bildtyp erfüllt bestimmte kommunikative Basisfunktionen, d. h. er kann bestimmte Informationen besonders effektiv übermitteln. Das ist wichtig, wenn man sich für einen Bildtyp entscheiden muss.

Jeder Bildtyp stellt bestimmte Anforderungen an die Wahrnehmung und an das Verstehen. Ob ein Bild mit Stiften gezeichnet, analog oder digital fotografiert oder mit einem Computerprogramm erstellt wird, spielt dabei keine wesentliche Rolle.

In diesem Kapitel werden die Bildtypen nur kurz charakterisiert, bevor wir sie dann im Kapitel 2 ausführlich behandeln.

 

Nicht darstellende Bilder. Hierzu zählen alle Bilder, die nichts abbilden, also keine Gegenstände, Personen oder Szenen enthalten, sondern durch Formen, Farben und Texturen nur ein sinnliches Erlebnis vermitteln. In diese Kategorie gehören grafische Kompositionen, Muster, Ornamente oder abstrakte Gemälde.

 

Piktogramme. Piktogramme und ihre elektronischen Geschwister, die Icons, sind einfache, schematisierte Bildchen, die auf einen Blick einen Begriff aktivieren und eine Handlung auslösen. Das sollen sie nicht nur sprachfrei, sondern auch kulturfrei tun, um interkulturelle Kommunikation zu ermöglichen.

 

Notationen. Hierunter versteht man die Aufzeichnung von Prozessen und Abläufen mit Hilfe von visuellen Zeichen. Für bestimmte Domänen sind eigene Notationssysteme entwickelt worden. Beispiele: Aufzeichnung von Musik in Partituren, Choreografien als Aufzeichnung von Tanzschritten, die Notation logischer Schlüsse oder die Dokumentation von Schachpartien. Notationen sind Symbolsysteme, die gelernt werden müssen. Wir werden sie hier nicht weiter behandeln.

 

Abbilder. Darunter verstehen wir Bilder, welche einen Ausschnitt der Wirklichkeit (Gegenstände, Personen, Handlungen, Szenen) abbilden. In diese Gruppe gehören farbige und schwarz-weiße Realbilder, Texturbilder, Strichbilder und Schemabilder. Wahrnehmungspsychologisch ist ein Abbild eine Oberfläche, die eine Anordnung von Lichtstrahlen ähnlich wie das wirkliche Original reflektiert. Für die Wahrnehmung ist es zunächst unwichtig, ob die Oberfläche durch Belichtung fotosensitiver Schichten oder Sensoren, durch Farbauftrag mit einem Pinsel oder mit Pixeln auf dem Monitor sichtbar wird. Mit dem Wort „Abbild“ verbindet man die Vorstellung, dass etwas aus der Wirklichkeit abgebildet wird. Die meisten wissenschaftlichen Abbilder zeigen auch Objekte, die in der natürlichen Umwelt vorkommen. Dies gilt auch für Bilder, die aus gemessenen oder eingegebenen Daten errechnet sind. Einige Beispiele: Bilder von fernen Galaxien oder schwarzen Löchern, Bilder der inneren Organe mithilfe von Ultraschall oder der Computertomografie. Auch diese errechneten Bilder beruhen aus Daten aus der Wirklichkeit, sie erschließen uns Bereiche, die für das Auge nicht sichtbar sind. Einen speziellen Fall bilden errechnete Vorbilder, die bisher nicht in der Wirklichkeit existierende, fiktive Dinge zeigen, z. B. Konstruktionszeichnungen und Prototypen sind derartige entwerfende Bilder, ebenso ein architektonischer Entwurf, bei dem wir ein zukünftiges Haus virtuell begehen können. Das sind kreative Visionen, die erst Wirklichkeit werden sollen, sozusagen vorweggenommene Wahrnehmungen der Wirklichkeit.

 

Karten. Darunter werden durch verschiedene Projektionen entstandene zweidimensionale Darstellungen von Arealen zusammengefasst, von der Oberfläche der Erde bis zum Lageplan eines Friedhofs. Karten dienen der räumlichen Orientierung. In der Geografie werden abbildende, topografische und thematische Karten unterschieden. Die klassischen Karten als Darstellungsform geografischen Wissens klammern wir hier aus, denn die Kartographie ist eine eigene wissenschaftliche Disziplin (Kohlstock, 2018). Wir behandeln nur die Plan Maps, die in vielen Fachtexten vorkommen (Bild 2.12).

 

Charts. Es gibt einige Grundtypen in zahllosen grafischen Varianten, die jedoch alle denselben Aufbau haben: Sie bestehen aus Einheiten und Verbindungen zwischen ihnen. Dazu zählen Tabellen, Zeitcharts, Organogramme, Flowcharts, Netzwerke wie Mind Maps und Concept Maps. Das Bild 1.4 ist z. B. ein Chart, das begriffliche Zusammenhänge veranschaulicht. Charts kommunizieren nicht sichtbare begriffliche oder kategoriale Zusammenhänge und sind damit echte Visualisierungen. Sie sind besonders in den Sozialwissenschaften zur Veranschaulichung von theoretischen Modellen beliebt („Boxologie“). In den Naturwissenschaften spricht man auch von Blockbildern. Ein treffender Ausdruck bezeichnet sie als topologische Wissensbilder (Schmidt-Burkhardt, 2017).

 

Tabellen. Auch Tabellen sind Charts, die eine nicht sichtbare, systematische Ordnung als Matrix aus Spalten und Zeilen visualisieren. In verbalen Tabellen stehen in den Zellen Wörter und Aussagen, also kategoriale Informationen wie in gewöhnlichen Charts. Bei numerischen Tabellen stehen in den Zellen Daten, sie sind die Vorformen der Diagramme. Da Tabellen in den Wissenschaften eine herausragende Rolle spielen, behandeln wir sie in einem Abschnitt 2.6 als eigene Bildform.

 

Diagramme. Weil sie nicht sichtbare quantitative Zusammenhänge in der Wirklichkeit veranschaulichen, handelt es sich auch hier um Visualisierungen im engeren Sinn. Die häufigsten Typen von Diagrammen sind Kreis-, Balken-, Kurven-, Säulen- und Streudiagramme. Es gibt aber eine unüberschaubare Anzahl anderer Visualisierungen quantitativer Daten und Zusammenhänge.

 

Visualisierungen. Den beliebten Ausdruck „Visualisierungen“ reservieren wir für Bilder, die Strukturen und Prozesse sichtbar machen, die eigentlich für die Augen unzugänglich sind. Damit wird die Kernbedeutung „Veranschaulichung“ beibehalten. Oft werden Visualisierungen daher auch als analytische Bilder bezeichnet, denn sie decken Zusammenhänge in der Wirklichkeit auf. Echte Visualisierungen sind Charts und Diagramme.

 

Wie bei jedem Versuch einer Einteilung gibt es auch hier manchmal unklare Grenzen und Überschneidungen. In der Praxis haben sich die Definitionen jedoch bewährt. Das gilt auch für die visuellen Konventionen im nächsten Abschnitt.

1.3Visuelle Konventionen

Konventionen sind Übereinkünfte, die zur Verbesserung der Kommunikation erfunden und tradiert werden. Zunächst zufällig und unverbindlich, werden sie oft mit der Zeit standardisiert und teilweise sogar in Normen festgeschrieben. Während Charts und Diagramme an sich schon konventionalisierte Bilder sind, haben Konventionen in Abbildern meist die Funktion, die Schwächen der bildlichen Kommunikation auszugleichen. Dabei geht es um die Darstellung von Inhalten, die visuell eigentlich gar nicht oder nicht eindeutig darstellbar sind. Beispiele kennen wir aus dem Comic, wo Bewegung durch Speed-Lines, Sprechen und Denken in spezifischen „Blasen“ oder ein Knall mit einem Stern dargestellt werden. Konventionen sollen die Verarbeitung des Bildes lenken und das Verstehen absichern (Weidenmann, 1994).

Einige Konventionen bestehen aus Einzelzeichen, wie z. B. Pfeile oder Bezugslinien. Hierher gehören auch Symbolfarben, denen eine klare Bedeutung zugeordnet ist, z. B. in der Medizin Rot für arterielles und Blau für venöses Blut. Weidenmann spricht hier von expliziter Steuerung durch visuelle Zusätze. Andere Konventionen betreffen den gesamten Aufbau, die Komposition eines Bildes, wie z. B. das so genannte Explosionsbild. Weidenmann spricht hier von einer impliziten Steuerung durch die Bildgestaltung.

Eine Einteilung der visuellen Konventionen haben wir im Bild 1.5 versucht. Dabei orientieren wir uns an drei Beschränkungen oder Schwächen der Bildkommunikation, für die jeweils verschiedene Konventionen als Abhilfe erfunden wurden:

Das Problem der Abbildung des dreidimensionalen Raumes und dreidimensionaler Objekte auf zweidimensionalen Flächen.

Das Problem der Oberflächlichkeit der Bilder, die nur das äußere Aussehen der Dinge zeigen, aber nicht den inneren Aufbau aus Komponenten.

Das Problem, dass statische Bilder keine Bewegungen und damit auch keine Handlungen zeigen können.

Bild 1.5:

Visuelle Konventionen. Das Chart bringt eine hierarchische Ordnung in die Vielfalt unterschiedlicher Konventionen. Das Problem der Abbildung von Räumlichkeit nimmt dabei den größten Stellenwert ein. Quelle: Ballstaedt.

In Kapitel 3 wird jede visuelle Konvention ausführlich behandelt und es werden Richtlinien zur Gestaltung formuliert. Hier sind die Konventionen nur kurz charakterisiert.

 

Ansichten. Das sind orthogonale Projektionen, z. B. maßstabsgetreue Grund-, Auf- und Seitenrisse in der Architektur. Mindestens drei Ansichten müssen aber im Kopf der Betrachtenden erst zu einem räumlichen Eindruck integriert werden.

 

Perspektiven. Auch die Perspektive ist eine Konvention, denn es gibt nicht nur eine, sondern mehrere perspektivische Darstellungen mit unterschiedlichem kommunikativen Potenzial: Man unterscheidet verschiedene Linearperspektiven und Parallelperspektiven.

 

Einsichten. Sie bieten eine Lösung des Problems, dass der Blick immer nur die Oberfläche von Objekten abbildet, und so wesentliche Komponenten hinter der Oberfläche verborgen bleiben. Diese zeigen das Schnittbild, das Aufschnittbild und das Transparentbild.

 

Aufbau. Einige visuelle Konventionen zerlegen komplexe Objekte in Komponenten und zeigen sie als Teil-Ganzes-Beziehungen: Der Klassiker ist das Explosionsbild, dazu gehören auch Detailbilder (Lupendarstellung), Überzeichnungen und Einfärbungen, die zusammengehörige Teile optisch markieren und herausheben. Auch Hinweispfeile können auf Teile und Details eines Ganzen zeigen.

 

Bewegungen. Ein Problem statischer Bilder ist die Darstellung von Bewegungen. Damit sind zunächst mechanische Bewegungen und Veränderungen in der Zeit gemeint. In diese Kategorie gehören Bewegungspfeile und -linien, Bewegungsunschärfe, Phasenbilder und Bildsequenzen. Humane Bewegungen zeigen den Vollzug von komplexen Handlungen. Von Handlungsverläufen können immer nur Momentaufnahmen abgebildet werden, die im Kopf ergänzt werden müssen. Um Bewegungen darzustellen, werden gern Pfeile oder Hände eingesetzt (Ballstaedt, 2017b).

 

Vergleiche. Hier geht es um die Gegenüberstellung von zwei Bildern zur Vermittlung von Unterschieden und Veränderungen. Sie sind im Bild 1.5 nicht aufgeführt, denn es gibt sie für räumliche Konstellationen, Komponenten des Aufbaus und den Ablauf von Bewegungen bzw. Handlungen. Das können Abbilder, Charts, Diagramme oder Karten sein.