Wo nur die Wiege stand - Ludwig Laher - E-Book

Wo nur die Wiege stand E-Book

Ludwig Laher

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Beschreibung

Kaum fünfzehn Kilometer liegen Braunau und Marktl voneinander entfernt. Gemeinsam ist beiden Orten am Inn, dass sie kurz Elternpaare mit Wickelkindern beherbergten, die Weltgeschichte machen sollten. Während Marktl versuchte, aus den ersten zwei Lebensjahren des deutschen Papstes möglichst viel Kapital zu schlagen, hadert Braunau mit seinem Schicksal, dauernd mit dem Winzling Adolf in Verbindung gebracht zu werden, der dort übers Windelfüllen doch nicht hinauskam. Ludwig Lahers geistreicher, ebenso kurzweiliger wie vielschichtiger literarischer Essay über früh verlassene Geburtshäuser Prominenter spürt unter anderem der Frage nach, was es mit der vielbeschworenen, kaum je aber nachvollziehbar begründeten Aura solcher Schauplätze auf sich hat. Wie gehen die Kommunen mit ihnen um, wie die Gedenkinstitutionen selbst? Welche Blüten treiben merkantile und/oder politische Erwägungen? Warum ziehen bloße Windelorte überhaupt Neugierige an? Wie äußern sich die ehemaligen Windelträger selbst dazu, wenn sie es denn tun? Von Hitler und Benedikt XVI. über Albert Einstein, Jean Paul, Robert Musil, Bert Brecht, Martin Luther, Johann Sebastian Bach, Paul Celan, Engelbert Dollfuß, Rosa Luxemburg bis hin zu Paul Klee reicht der assoziative Bogen eines Streifzuges, der wahrscheinlich Kopfschütteln, Schmunzeln und ungläubiges Staunen hervorrufen wird, aber auch zum ernsthaften Nachdenken anregen will.

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Seitenzahl: 75

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Ludwig Laher

WO NUR DIEWIEGE STAND

Über die Anziehungskraftfrüh verlassener Geburtsorte

www.omvs.at

ISBN 978-3-7013-1265-8eISBN 978-3-7013-6265-3

© 2019 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIENAlle Rechte vorbehaltenSatz: Media Design: Rizner.atDruck und Bindung: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. StefanCover: Leopold Fellinger

Für Laurin,den wunderbaren kleinen Mann

Da bereitete mir meine Mutter unverhofft eine Überraschung, als sie mit triumphaler Emphase ausrief:

„Und hier wurdest du geboren!“

Ich hatte das nicht gewusst oder wieder vergessen, im anschließenden Zimmer fanden wir aber die Wiege, in der ich bis zum vierten Lebensjahr schlief und die meine Großmutter für immer aufgehoben hatte. Ich hatte die Wiege vergessen, aber sobald ich sie sah, erinnerte ich mich an mich selbst, wie ich in einem nagelneuen Strampelanzug mit blauen Blümchen weinte und schrie, damit jemand käme und die voll gekackten Windeln entfernte.

Gabriel García Márquez

Jedenfalls ist da nicht mein Geburtshaus, sondern auf dem Markte, (…) wo damals ein Herr Krackart einen wohlassortirten Kinderspielwaarenladen hatte den ich beßer im Gedächtnis behalten habe, als mein Geburtshaus, von dem ich nicht weiß, ob es das nächst anstoßende oder etwas weiter hinauf war.

Friedrich Rückert

Salzburg ohne Mozart? Nahezu denkunmöglich ist das. Sein herausgeputztes Geburtshaus in der zentralen, meist überlaufenen Getreidegasse gehört heute zu den bestbesuchten Museen Österreichs, obwohl von den dort gezeigten Exponaten nur recht wenige mit seiner Familie oder gar mit ihm selbst in Verbindung gebracht werden können. Siebzehn lange Jahre wuchs Wolfgang Amadé in der elterlichen Wohnung im dritten Stock auf, könnte man bei oberflächlicher Betrachtung meinen. Fast die Hälfte davon muss man freilich gleich wieder abziehen, gastierte das vom Vater gemanagte Wunderkind während dieser Zeit doch auf ausgedehnten Konzertreisen in weiten Teilen Europas.

Sich einmal in jenen Räumlichkeiten aufzuhalten, wo der früh verstorbene Rokokostar seinen Anfang nahm, gehört trotzdem zum Pflichtprogramm unzähliger Touristen aus aller Welt. Aber warum eigentlich? Keine Frage, die barocke Pracht und Atmosphäre der fürsterzbischöflichen Residenzstadt hatten zweifellos großen Einfluss auf den überaus talentierten jungen Musikus, der in den besseren Kreisen Salzburgs von Kindesbeinen an aus und ein zu gehen hatte, um sie gepflegt zu unterhalten. In jenem Gebäude aus dem Hochmittelalter, in dem seine Wiege stand, ist davon wenig zu spüren.

Die unweit des Geburtshauses am anderen Salzachufer realisierte Installation einer international angesehenen bildenden Künstlerin siedelt den Geist Mozarts im Wortsinn turmhoch über dem Rest der Menschheit an, indem sie acht normalen Stühlen aus Edelstahl einen mit fünfzehn Meter hohen Beinen und ausgesparter Sitzfläche gegenüberstellt. Auf ihm darf der ätherische Genius loci residieren. Liegt in diesem außergewöhnlichen Höhenflug eines ursprünglich gewöhnlichen Säuglings womöglich der Schlüssel zur Neugierde des Publikums, innerhalb welcher vier Wände allmählich die Grundlagen für solch eine fragwürdige Apotheose geschaffen wurden? Darüber ließe sich immerhin diskutieren.

Wie aber verhält es sich dann mit den Geburtsstätten nachmals berühmter Persönlichkeiten, deren Eltern aus höchst unterschiedlichen Gründen, als der Nachwuchs noch Windeln trug, bald wieder verzogen, bei deren Müttern gar irgendwo auf der Durchreise die Wehen einsetzten?

Dieses Buch unternimmt einen abwechslungsreichen Streifzug durch früh verlassene Windelorte von Leuten, denen ihre Prominenz nicht in die Wiege gelegt worden war. Es kann durchaus sein, dass die Leserinnen und Leser am Ende über den Homo sapiens sapiens im allgemeinen mindestens ebenso viel erfahren haben werden wie über den eigentlichen Gegenstand dieser Unternehmung.

INHALT

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Quellen und Anmerkungen

I

Die langjährige Besitzerin wurde, um endlich reinen Tisch zu machen, vom Staat per Gesetz enteignet. Dagegen wehrte sie sich, doch der Verfassungsgerichtshof wies ihre Beschwerde ab und beschied im Sommer 2017, die erfolgte Maßnahme sei im öffentlichen Interesse geboten, verhältnismäßig und überdies nicht entschädigungslos.

Ein Schleifen wäre für ihn die sauberste Lösung, ließ der Innenminister schon ein Jahr zuvor höchstpersönlich wissen und kündigte im gleichen Atemzug an, man werde das auch so durchziehen. Einzig die Kellerplatte könne bleiben. In der von kriegerischen Zerstörungen weitgehend verschonten malerischen Altstadt würde dann eben an jener Stelle, wo sich das im Kern gut erhaltene, denkmalgeschützte Gebäude aus dem siebzehnten Jahrhundert jetzt noch vorbildlich einfügt, im derzeit lückenlosen Ensemble vorübergehend eine solche klaffen. Denn auf den alten Fundamenten entstünde selbstverständlich bald Neues. Und das Problem hätte sich somit in nichts aufgelöst.

Einst beherbergte die stattliche Liegenschaft, deren alter Bausubstanz eine hübsche, mittlerweile freilich ziemlich heruntergekommene Biedermeierfassade vorgesetzt ist, eine beliebte Gaststätte, ursprünglich sogar mit eigener Brauerei. In den beiden Stockwerken darüber und im Hinterhaus wurden Wohnungen vermietet. 1938 hatte es mit all dem ein abruptes Ende wie mit dem Staat, in welchem das Objekt bis dahin verortet werden konnte. Die einzig übriggebliebene politische Partei kaufte es um ein Vielfaches des Verkehrswertes an und gestaltete es um.

Nur fünfzehn Kilometer weiter westlich räumte vor einiger Zeit die private Besitzerin eines anderen unscheinbaren Gebäudes für sehr gutes Geld freiwillig das Feld, um dem schlagartig aufgetauchten öffentlichen Interesse am ehemaligen Mauthaus nicht im Wege zu stehen. Selbiges ziert, seit es um 1700 nach dem großen Ortsbrand wieder errichtet wurde, wenig verändert den Marktplatz mitten im Zentrum. Einen von oben angeordneten Abriss braucht es nicht zu fürchten, ganz im Gegenteil. Heute gehört es einer rührigen Stiftung, die für den kostspieligen Erwerb neben Mitteln der Kirche eine freistaatliche Millionenspritze ergattern konnte. Für den von einem Tag auf den anderen überlebensgroß gewordenen Sohn des Marktfleckens zu einem seiner Person wie ihrem vielfältigen Wirken gewidmeten Museum samt devotionalienreichem Shop umgestaltet, steht es gegen mäßiges Entgelt Besuchern aus nah und fern offen. Im ebenfalls adaptierten Nebengebäude, durch das man die Gesamtanlage mittlerweile betritt und dabei zunächst einmal die Kassa passiert, wurde außerdem ein zweckmäßiger Multifunktionssaal eingerichtet, in erster Linie für Filmpräsentationen zum Thema.

Hier erblickte, wie eine Gedenktafel links neben dem nunmehr funktionslos gewordenen ehemaligen Haupteingang verrät, Ende März 1779 ein gewisser Georg Lankensperger das Licht der Welt. Ihm verdankt sie, schenkt man der Inschrift Glauben, die segensreiche Erfindung der Achsschenkellenkung. Nun, ganz so war es offenbar nicht. 1816 erwirkte Lankensperger dafür zwar ein Patent, die im Fahrzeugbau ungebrochen aktuelle technische Revolution von einst ist allerdings, wie sich leicht in Erfahrung bringen lässt, wesentlich älteren Datums und das Werk des Großvaters von Charles Darwin. Das alles soll aber nicht weiter vertieft werden, es ist nämlich die falsche Spur.

Georg Lankensperger, bestenfalls also der zweitgrößte Sohn am Platz, findet deshalb lediglich im Heimatmuseum eine vergleichsweise bescheidene Würdigung. Dieses liegt, nur wenige Schritte entfernt, direkt gegenüber dem aus anderen Gründen wesentlich bedeutenderen Geburtshaus des geschäftstüchtigen Patentinhabers. Rechts von dessen ursprünglichem Eingang prangt nämlich noch eine weitere, um einiges jüngere Ehrentafel, denn auch ein zweites lexikontaugliches Kind tat hinter den Mauern des alten Mauthauses seine ersten Schreie, diesfalls Mitte April 1927.

Jenes dem ministeriellen Abrissvorsatz schließlich doch noch knapp entgangene, seit Jahren leerstehende und das andere, museal genutzte Geburtshaus sind, wie erwähnt, in mittelbarer Nachbarschaft gelegen. Durch einen etwa dreistündigen Fußmarsch, eine neunzehnminütige Bahnfahrt inklusive Umsteigen oder einen kurzen Rutsch im Auto lassen sie sich bequem verbinden. Dabei muss man freilich jeweils die 1779 gezogene und seit 1945 wieder bestehende deutsch-österreichische Grenze überqueren, oder genauer gesagt: die bayerisch-oberösterreichische. Gleich diesseits und jenseits des Inn schenkten, so viel steht jedenfalls fest, dereinst zwei Mütter weltgeschichtlich bedeutenden Persönlichkeiten männlichen Geschlechtes das Leben.

Deren Herkunft weist übrigens, nicht nur was die Geographie anlangt, erstaunliche Parallelen auf. Beide Väter verdienten ihr Geld als Staatsdiener, verantwortlich für Ordnung und Sicherheit. Der eine trug die Uniform eines Gendarmerie-, der andere jene eines Zollbeamten. Ihre Berufe brachten hüben wie drüben häufige Versetzungen mit sich, und so kam es, dass die später berühmten Wickelkinder Joseph und der zufällig ebenfalls Mitte April geborene, allerdings achtunddreißig Jahre früher gezeugte Adolf nur jeweils den allerersten, sehr kurzen Lebensabschnitt dort verbrachten, wo ihre Wiegen standen.

Die jeweiligen Elternpaare hatten überdies nicht den geringsten Bezug zu Braunau und Marktl, ja überhaupt zur gesamten Region, in der sie vorübergehend ihren Wohnsitz nahmen. Die des einen kamen beide aus Niederösterreich, der Vater des anderen stammt aus dem nördlich der Donau gelegenen Bayerischen Wald, die Mutter mit Südtiroler Wurzeln hingegen aus dem äußersten Süden Bayerns, gleich an der Grenze zu Nordtirol bei Kufstein.

Der Bezirkshauptmann von Braunau brachte es denn auch auf den Punkt, als er in Zusammenhang mit der weit über Österreichs Grenzen hinaus hitzig geführten Debatte zur Zukunft des ungeliebten Gebäudes pointiert, aber sichtlich genervt erklärte, Hitler habe in dieser Stadt definitiv keinen bleibenden Eindruck hinterlassen, bestenfalls die Windeln gefüllt. Denn als der Knabe im Schlepptau seiner Familie auf Dauer von der örtlichen Bildfläche verschwand, war er ganze drei Jahre alt. Und außerdem: In seinem zum ewigen Zankapfel gewordenen Geburtshaus ist er bloß das allererste davon aufgewachsen. Man käme, lassen auch andere Braunauer Honoratioren gerne verlauten, gleichsam wie die Jungfrau zu diesem gewesenen Kind.