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Unsterblich verliebt? Als ob! Charlotte ist ein Loser. Sie driftet in einem miesen Job vor sich hin und ihr Freund James hat sie für eine andere verlassen … oh, und sie liegt im Koma! Irgendwo zwischen Leben und Jenseits soll sie nun eine Stelle als Schutzengel antreten, um sich eine zweite Chance zu verdienen. An sich ein guter Deal – da ist nur ein Problem: Ihr Schützling ist kein anderer als James, mit dem sie immer noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Vielleicht wird der Engel dann doch eher zum Poltergeist … Gleichzeitig ist Charlotte mit Feuereifer daran, ihrer Schwester Kate und ihrer besten Freundin Fiona mit göttlicher Intervention in deren Liebesleben zur Seite zu stehen – doch ihre Eingriffe richten oft nur mehr Chaos an … Eine romantische Komödie über die ultimative zweite Chance von der irischen Bestsellerautorin Claudia Carroll – für Fans von Mhairi McFarlane.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 497
Veröffentlichungsjahr: 2025
Über dieses Buch:
Charlotte ist ein Loser. Sie driftet in einem miesen Job vor sich hin und ihr Freund James hat sie für eine andere verlassen … oh, und sie liegt im Koma! Irgendwo zwischen Leben und Jenseits soll sie nun eine Stelle als Schutzengel antreten, um sich eine zweite Chance zu verdienen. An sich ein guter Deal – da ist nur ein Problem: Ihr Schützling ist kein anderer als James, mit dem sie immer noch ein Hühnchen zu rupfen hat. Vielleicht wird der Engel dann doch eher zum Poltergeist … Gleichzeitig ist Charlotte mit Feuereifer daran, ihrer Schwester Kate und ihrer besten Freundin Fiona mit göttlicher Intervention in deren Liebesleben zur Seite zu stehen – doch ihre Eingriffe richten oft nur mehr Chaos an …
Über die Autorin:
Claudia Carroll ist eine irische Bestsellerautorin und Schauspielerin. Geboren und aufgewachsen in Dublin, studierte sie dort Musik und besuchte die ›Gaiety School of Acting‹. Ihre ersten Romane schrieb sie zwischen Takes am Set der TV-Show »Fair City« – heute widmet sie sich voll und ganz ihren Romanen und ihrer geliebten Heimatstadt.
Die Autorin auf Instagram: @claudiacarrollbooks
Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre humorvollen Liebesromane »Irisches Wiedersehen«, »Davenport Hall – Liebe nach Drehbuch«, »Liebeschaos auf Irisch«, »Du stehst in meinen Sternen«, »Wolke Sieben kann mich mal« und »Ein irischer Gentleman«.
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eBook-Neuausgabe Juni 2025
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2009 unter dem Originaltitel »If this is Paradise, I want my money back!« bei Transworld Ireland. Die deutsche Erstausgabe erschien 2011 unter dem Titel »Einmal Paradies und zurück« bei S. Fischer
Copyright © der Originalausgabe 2009 Claudia Carroll
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2011 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)
ISBN 978-3-98952-861-1
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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!
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Claudia Carroll
Wolke Sieben kann mich mal
Irland-Roman
Aus dem Englischen von Christine Strüh
dotbooks.
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Dank
Lesetipps
Für Pat Kinevane
In Liebe und großer Dankbarkeit für deine Geduld, deine Klugheit und deinen Humor bei unseren spätabendlichen Telefongesprächen, wenn ich kurz davor bin, meinen Computer an die Wand zu schmeißen.
Ich weiß ehrlich nicht, was ich ohne dich machen würde.
Was Beziehungen angeht, gibt es zwei Arten von Frauen. Diejenigen, die beim ersten Anzeichen von Problemen die Flucht ergreifen, und die, die um jeden Preis bei der Stange bleiben – und sei es auch nur, um genau mitzukriegen, wie holprig der Weg wird, der vor ihnen liegt.
Ich gehöre eindeutig in die zweite Kategorie.
Weswegen ich vermutlich auch hier gelandet bin. Nicht dass ich die leiseste Ahnung hätte, wo ich bin. Eigentlich weiß ich nur, dass dieser Ort sehr friedlich ist und sehr, sehr still. Nur ich und meine Gedanken. Irgendwie nett. Gefällt mir. Beinahe so erholsam wie ein Tag im Wellnesscenter, nur ohne die Anwendungen und das nervige Panflötengedudel.
Über mir müssen sich unzählige Kubikmeter Luft befinden, die mich von dieser anderen Welt trennen, die ich, glaube ich, nicht wirklich verlassen habe – ich mache sozusagen nur eine kleine Werbepause. Bis ich meinen Kopf wieder sortiert habe und das Chaos, in dem ich mich befinde, sich etwas lichtet. Aber je länger ich hier unten bin, ungestört und ruhig, desto weniger möchte ich zurück.
Nicht dass sie das aufhalten würde: Meine Mutter, meine Schwester, meine beste Freundin Fiona – eigentlich alle, denen ich in meinem ganzen Leben begegnet bin – scheinen wild entschlossen, mich hier wieder rauszuholen. Jemand muss ihnen erklärt haben, dass Menschen in meinem Zustand auf physische Reize reagieren und dass das Gehör das Sinnesorgan ist, das am längsten erhalten bleibt – und dass sie deshalb, wenn sie mit mir plaudern oder mir Musik vorspielen oder mir allgemein emotionales Cheerleading angedeihen lassen, eine reelle Chance haben, mich aus der Tiefe wieder emporzulocken.
Wenn sie so weitermachen, bringen sie mich lediglich um den Verstand.
Im Ernst, sie veranstalten eine Art Wettbewerb: Wer schafft es, mich zurückzuholen? Tag und Nacht erzählen sie mir bis ins kleinste Detail alles, was in der Welt draußen vor sich geht – und ich meine damit wirklich alles.Mum beschreibt mir in aller Ausführlichkeit, was für ein leckeres Bananensoufflé Delia Smith gestern Abend im Fernsehen zubereitet hat, Fiona erzählt mir von dem Kerl, den sie bei Facebook getroffen hat und der ihr – ungelogen! – beim ersten Date gestanden hat, dass er in einer Frau so etwas wie einen weiblichen John Wayne sucht. Aber beim Thema Männergeschichten sollte ich den Mund wahrscheinlich nicht zu voll nehmen. Fiona will trotzdem noch ein paar Dates mit ihm arrangieren, wie ein Eichhörnchen, das Nüsse für den Winter bunkert. Sie hat die Fähigkeit, romantische Begegnungen zu speichern und noch monatelang zu verwerten.
Mum, es ist mir egal, wenn Delia sagt, es ist okay, wenn man ein bisschen mogelt, und Fiona, du musst aufhören zu glauben, dass du im Netz die große Liebe findest, sonst nennt dich bald jeder nur noch Facebook-Fifi.
Mein Zustand muss wohl ziemlich besorgniserregend sein, wenn um mich herum alle so penetrant optimistisch sind, vor allem Mum. Jeder Fernsehprediger würde vor Neid erblassen. Dann noch die Musik, die sie mir in Endlosschleife vorspielen, lauter Zeug, von dem sie meinen, dass ich es gern höre. Von wegen. Es sind Sachen, die sie gern hören. Anscheinend ist Mum zu der Überzeugung gelangt, dass ich Swing mag, und wenn sie mir noch einmal »My Way« vorspielen, dann bleibe ich endgültig hier unten, ohne Scheiß.
Die Sachen legst du nur auf, weil sie dich an Dad erinnern, Mum. Er hat Frank Sinatra geliebt, und sein liebster Partysong war immer ...
»You’re Nobody Till Somebody Loves You«, seufzt Mum leise und voller Wehmut. Wenn sie von Dad spricht, bekommt sie sofort eine ganz andere Stimme. »Das kam vorhin im Radio, als ich zum Krankenhaus gefahren bin, und bis zum heutigen Tag krieg ich einen Kloß im Hals, wenn ich es höre, weißt du. Ich werde nie vergessen, wie euer Vater mir bei unserer Silberhochzeit diesen Song vorgesungen hat. Natürlich warst du damals erst vierzehn oder so ...«
Aber ich kann mich sehr gut daran erinnern, Mum.
»Er hatte so eine schöne Stimme. Alle haben immer gesagt, er hätte als Sänger Karriere machen können. Ach, wenn Gott ihn doch nicht schon so jung zu sich gerufen hätte. Na ja, Liebes, jedenfalls hab ich gute und schlechte Nachrichten für dich. Die schlechte ist, dass dein Auto Totalschaden hat ...«
Das ist nun wirklich meine geringste Sorge. Du hast den Slip nicht gesehen, den ich anhatte, als man mich hierhergebracht hat. Bis unter die Achseln ausgeleiert und eine Farbe wie nasser Zement.
»Aber die gute Nachricht ist, dass ein sehr hilfsbereites Mädchen von der Versicherung angerufen hat, und na ja, sie hat gesagt, in Anbetracht dessen, was passiert ist, kriegst du, sobald du hier rauskommst und alles wieder normal ist, ein schönes neues Auto.«
Ach Mum, wie ich deinen schrankenlosen Optimismus liebe!
»Diesmal suchst du dir aber bitte einen Wagen aus, der deutlich sicherer ist, hörst du, Charlotte? Ein Toyota Yaris wäre doch genau das Richtige. Vielleicht könntest du ja auch was ganz Verrücktes tun und dir einen hübschen, vernünftigen Ford Ka zulegen. Und wenn du je mit der Idee spielst, schneller als zwanzig Stundenkilometer zu fahren, dann musst du das vor mir verantworten. Ich möchte nämlich so etwas nicht noch mal erleben.«
Ach, komm schon, es war ein Unfall! Ich hab das nicht absichtlich gemacht.
»Wie auch immer, jedenfalls bin ich gestern mit diesem sehr attraktiven Arzt aus Ghana ins Plaudern gekommen – frag mich jetzt bitte nicht, wie er heißt, ich kann seinen Namen nicht aussprechen –, und er hat gesagt, die nächsten Tage sind kritisch, aber wenn alles einigermaßen gut läuft, müsste die Schwellung im Gehirn etwas zurückgehen. Irgendein kompliziertes Wort hat er benutzt, ich konnte es mir leider nicht merken. Aber ich hab Sarah, die Nachtschwester, die gestern Dienst hatte, nach dem Arzt ausgefragt. Anscheinend ist er geschieden, hat zwei Kinder, momentan aber keine feste Beziehung. Also, den könnte ich mir sehr gut mit dir zusammen vorstellen.«
Hier liege ich im Koma, und du versuchst mich zu verkuppeln, Mum?
»Und da ist noch was, Liebes – die haben zwar auch was von möglichen Langzeitschäden gefaselt, aber du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen, ich hab alles im Griff. Ich bete drei verschiedene Novenengebete, eins zur Heiligen Jungfrau, weil sie mich noch nie im Stich gelassen hat, eins zum heiligen John Licci, dem Schutzheiligen für Kopfverletzungen ... ich wusste gar nicht, dass es dafür einen extra Heiligen gibt, das hat mir deine Tante Anne erzählt, obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob sie ihn nicht mit diesem anderen verwechselt hat, der sich darum kümmert, wenn Leute schlimm verkatert sind. Aber egal, ich bete für alle Fälle auch noch eine dritte, absolut zuverlässige Novene zum heiligen Judas Thaddäus, damit wir auf der sicheren Seite sind ...«
So quasselt sie immer weiter, und mir ist klar, dass sie sich schrecklich um mich sorgt, denn dann reagiert sie so: Sie füllt die Luft mit Worten. Leider kann ich ihr nicht mitteilen, dass es mir eigentlich ganz gut geht und dass ich einfach nur eine kleine Auszeit nehme, weiter nichts. Also lasse ich mich wieder in die wundervolle, friedliche Tiefe hinuntergleiten. Hier habe ich keine Schmerzen, nichts, ich fühle mich ruhig, warm und absolut glücklich. Besser als auf einer tropischen Insel. Wenn man mir noch eine Margarita, ein bisschen Bräunungsspray und einen guten Schundroman dazugibt, würde ich mir fast vorkommen wie im Himmel.
Allem Anschein nach verabreicht man mir erstklassige Medikamente.
Keine Ahnung, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, aber nach einer Weile komme ich wieder nach oben, weil ich spüre, dass Fiona da ist. Ich weiß, dass sie es ist, weil mir der Geruch von Cheese-and-Onion-Pringles in die Nase steigt und sie die einzige Person in meiner Bekanntschaft ist, die immer einen Notvorrat an Chips mit sich herumschleppt. Fiona ist Lehrerin an einem Mädchengymnasium (Englisch und Geschichte, Oberstufe), muss wahnsinnig viele Aufsätze korrigieren – über Themen wie: »Hat Heathcliff aus ›Sturm- höhe‹ selbst mehr Unrecht erlitten als anderen zugefügt?« – und findet deshalb oft keine Zeit, sich wie ein normaler Mensch an den Tisch zu setzen und eine Mahlzeit mit Teller und allem Drum und Dran zu sich zu nehmen. Deshalb isst sie entweder unterwegs oder zu Hause vor dem Computer, gewöhnlich während sie bei Facebook nachschaut, wer von ihren Freunden gerade online und chatbereit ist.
Sie klingt so fertig, dass sie mir von Herzen leidtut.
» ... James hat x-mal angerufen, er macht sich totale Sorgen um dich, Charlotte, so hab ich ihn noch nie erlebt. Ehrlich, er ist in meiner Achtung deutlich gestiegen. Übrigens hat er auch erwähnt, dass ihr kurz vor deinem Unfall eine kleine Auseinandersetzung hattet, stimmt das?«
Nein, Süße, das war keine kleine Auseinandersetzung. Dieser Scheißkerl hat mir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen und mich dann ganz cool gefragt, wann ich bereit bin auszuziehen.
Aus SEINEM Haus. Nur damit da kein Irrtum aufkommt.
» ... er hat sogar gesagt, dass er versuchen will, nachher noch vorbeizuschauen ...«
Na toll, genau das hab ich noch gebraucht.
Dann kommt wohl meine Mum zurück ins Zimmer, denn Fiona wechselt elegant das Thema und fährt in ihrer schönsten Lehrerinnenstimme fort: » ... jedenfalls hat mir wie gesagt das Foto und das Profil von diesem Typen supergut gefallen, und wir haben unsere Telefonnummern ausgetauscht. Momentan liegt die Anruffrequenz bei zweimal die Woche, was ich ziemlich vielversprechend finde. Ich weiß ja, dass du das ganze Onlinedating nicht leiden kannst, Charlotte, aber sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Ich hab Cellulitis, und das ist Gottes Methode, einem Menschen zu sagen, dass es Zeit ist, endlich eine feste Beziehung einzugehen.«
Mum hasst es nämlich, wenn jemand in ihrer Gegenwart auch nur James’ Namen in den Mund nimmt.
Und das sagt eine ganze Menge. Glaubt mir, momentan würde sie sich mit fast jedem Mann abfinden, solange ich mit ihm glücklich wäre und ein geregeltes Leben führen würde. Das heißt, mit jedem außer James Kane natürlich. Erst vor ein paar Tagen hat sie mich nicht sonderlich subtil darauf aufmerksam gemacht, dass ihr Biogemüselieferant sich gerade von seiner Frau getrennt hat. Und der ist fünfzig und nahezu zahnlos.
Versteht mich nicht falsch, meine Familie und meine Freunde sind durchaus nett zu James – jedenfalls in seiner Gegenwart –, aber tief im Innern war mir immer klar, dass sie ihn nur mir zuliebe tolerieren. Er selbst hat überhaupt keine Freunde, nur »Bekannte zweiter Wahl und Interessenten«, wie er es ausdrückt. Ein weiteres Warnsignal, das ich tunlichst ignoriert habe. In völlig unangebrachter Loyalität habe ich gedacht, dass es für normale Menschen ja wahrscheinlich auch echt schwierig ist, sich mit einem supererfolgreichen Produzenten anzufreunden, der ganz nebenbei Filmangebote verteilt, Kneipentouren mit Colin Farrell macht und Bono mal eben fünfzig Euro fürs Taxi leiht. Außerdem, so hab ich mir immer gern eingeredet, außerdem kannte ja niemand außer mir James’ wundervolle Privatpersönlichkeit. Wenn ihr wüsstet, wie oft ich Sätze wie »Wir, Probleme? Wie kommst du denn auf so eine absurde Idee?« von mir gegeben habe – bei den unterschiedlichsten Anlässen.
Und dann finde ich in der Unfallnacht auf die gemeinste Weise, die man sich vorstellen kann, heraus, dass alle anderen recht hatten. Offenbar war der Kerl die ganze Zeit ein Arschloch.
Und da ist noch etwas, aber es will mir einfach nicht mehr einfallen, so sehr ich mir auch das Hirn zermartere. Ich irre wie im Nebel durch die chaotischen Rumpelkammern meines Kopfs, taste umher und suche ... ohne den geringsten Erfolg. Je mehr ich mich anstrenge, desto mehr entzieht es sich mir. Ich weiß nur, dass es etwas sehr Schmerzhaftes ist, so schmerzhaft, dass ich es verdrängt und unter dem Etikett: »Später erledigen, bodenlos schlimm« archiviert habe. Aber jetzt liege ich hier im Bett herum und hätte alle Zeit der Welt, und es ist weg. Typisch. Ich habe sowieso nicht das allerbeste Gedächtnis der Welt. Ich meine, ich kann mir schon Kleinigkeiten nicht merken und muss überall im Haus gelbe Klebezettel aufhängen. Auf denen stehen dann gekritzelte Ermahnungen wie: »Müll rausbringen! Sky Plus einstellen, Grey’s Anatomy aufnehmen! Putzmittel kaufen!« Entsprechend schwierig ist es also, mich an ein wichtiges Ereignis aus jüngerer Zeit zu erinnern. Kann gut sein, dass ich monatelang hier rumliege und mir den Kopf zerbreche. Am Ende stellt sich noch heraus, dass ohne Hypnose gar nichts mehr geht.
Keine Ahnung, wie lange ich abdrifte, aber das Nächste, was an mein Ohr dringt, ist amerikanisches Gebrabbel. Das ganze Zimmer ist voll davon: Zuerst zwei laute Frauenstimmen, die damit drohen, der jeweils anderen den Kopf abzureißen, weil die eine mit dem Exmann der anderen eine Affäre hat, dann ein Kerl, der verkündet, dass seine Mutter, die er für tot gehalten hat, in Wirklichkeit lebenslänglich im Gefängnis sitzt ... ach du Scheiße, als hätte ich sonst keine Sorgen! Was ist hier los? Sind irgendwelche Irren in die Klinik eingedrungen? Werden sie gleich anfangen, sich über meinen armen lädierten Kopf hinweg mit dem Mobiliar zu bewerfen? Oder meine guten Medikamente und Spritzen aus dem Nachtschränkchen zu klauen?
Meine wunderbaren Medikamente, die mir helfen, das alles durchzustehen.
Dann habe ich plötzlich das Gefühl, dass meine Schwester Kate bei mir ist. Ich erkenne sie an der Wolke Estée Lauder Pleasures, von der sie stets umgeben ist.
»Mum, stell den Fernseher ab, das ist vielleicht unangenehm für Charlotte.«
»Aber es läuft Desperate Housewives! Das ist doch ihre Lieblingssendung. Wenn die sie nicht zurückbringt, fällt mir bald nichts mehr ein.«
»Nein, ich mach lieber Musik. Angeblich reagieren schon ungeborene Babys sehr stark auf diesen Song.«
Ich höre Kates Absätze durch den Raum klacken, und kurz darauf erfüllen Klänge den Raum, die ich wirklich liebe: Amy Winehouse’ Album Black to Black.
Danke, Kate, das ist ein großer Fortschritt nach dem ganzen Swing, mit dem Mum mich gequält hat. Ich kann mich allerdings nicht gegen den Verdacht wehren, dass du die Sache mit den ungeborenen Babys frei erfunden hast.
Wieder tauche ich ab, aber als ich wieder hochkomme, habe ich den Eindruck, dass ich mit Kate allein bin. Ich bin sogar ziemlich sicher, denn sie erzählt mir Sachen, die sie in Anwesenheit einer anderen Person niemals erwähnen würde – es sei denn, diese andere Person liegt im Koma. Kate ist extrem reserviert. Manchmal ist sie sogar ein bisschen furchteinflößend, und bis sie ihren Mann kennengelernt hat, war sie keinen einzigen Tag Single, eine Tatsache, die Fiona und mich immer wieder mit Neid und Hochachtung erfüllt. Wir haben es uns so erklärt, dass die Typen sich einfach nicht getraut haben, ihr den Laufpass zu geben. Kate ist genau die vernünftige, leicht autoritäre große Schwester, wie jeder Mensch eine haben sollte, aber bei einigem von dem, was sie mir jetzt erzählt, komme ich mir vor wie ein stummer Kummerkasten.
» ... ich hab gerade einen Eisprung, aber Paul ist nach Galway gefahren, weil er unbedingt mit seiner blöden Band proben muss, keine Ahnung, warum die sich überhaupt die Mühe machen, für mich klingen ihre Songs alle gleich beschissen. Das ist so typisch für ihn. Weißt du, manchmal denke ich, dass er das Ganze überhaupt nicht ernst nimmt, echt mal. Deshalb versuche ich es jetzt noch drei Monate, und dann melde ich mich für eine In-vitro-Prozedur an, die kostet ja auch nur vier Riesen pro Versuch, unglaublich, oder?«
Kate, weißt du eigentlich, was für ein Glück du hast, dass du mit einem anständigen Mann verheiratet bist, einem Mann, der dich wirklich liebt? Weißt du, dass Fiona und ich ihn hinter deinem Rücken Perfect Paul getauft haben? Und dir fällt nichts Besseres dazu ein, als hier zu sitzen und über deine Eierstöcke zu jammern?
» ... und ich hab die Nase so voll von Mums Kommentaren, wie furchtbar sie sich danach sehnt, endlich Großmutter zu werden. Neulich hat sie mich gefragt, ob ich das Kinderkriegen verschiebe, weil ich lieber Karriere machen will. Da hätte ich sie am liebsten angeschrien: ›Was für eine Karriere meinst du denn bitte schön?‹ Ich meine, Herrgott nochmal, ich bin Teilzeit-Rezeptionistin in einem Fitnessstudio, und der größte Erfolg, den ich da verbuchen kann, ist die Anschaffung von zwei neuen Laufbändern. Schließlich hab ich den Job ja auch nur angenommen, weil ich dachte, ich wäre inzwischen längst schwanger, und so ein lockerer Job wäre genau das Richtige für mich. Zu allem Überfluss müssen wir nächstes Wochenende auch noch zu einer Taufe, was bedeutet, dass ich den ganzen Tag von Müttern umringt bin, jede mit mindestens zwei perfekten Bälgern, und alle starren mich voller Mitleid an und fragen sich, was mit mir eigentlich nicht stimmt. Ich stecke echt in einer Krise, weißt du.«
So sieht für dich also eine Krise aus? In meinen Augen ist das lediglich Jammern auf hohem Niveau. Kate, du bist grade mal dreiunddreißig, und du hast in deinem Leben praktisch alles erreicht. Du hast Perfect Paul, du hast ein Haus wie aus dem Bilderbuch, mit einer Gästetoilette im Erdgeschoss, die niemand benutzen darf, weil sie noch so neu ist, und einem Extrazimmer, für das ihr wahrscheinlich schon die Babyfarben ausgesucht habt. Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, wirst du eine dieser Yummy Mummys, die in ihrem Jeep mit Allradantrieb rumkutschieren. Aber jetzt verzieh dich bitte, ich brauche Ruhe.
Doch mein Wunsch geht nicht in Erfüllung. Heute reißt der Besucherstrom überhaupt nicht ab. Sogar Anna, meine Chefin, taucht auf, stinkt nach abgestandenem Zigarettenrauch und erzählt mir mit ihrer Reibeisenstimme, dass alle Kunden nach mir fragen, wie es mir geht und wann ich endlich zurückkomme. Anna hat eine Schauspielagentur, und ich bin ihre bescheidene Assistentin, was hauptsächlich bedeutet, dass sie all die berühmten Schauspieler und Schauspielerinnen zu den Premieren und Preisverleihungen begleitet und regelmäßig den nächsten Tag mit einem fürchterlichen Kater im Bett verbringt, während ich die Stellung halte und mich bemühe, die verbleibende Kundschaft zu überzeugen, dass das Geschäft momentan etwas ruhig ist, der große Durchbruch für den oder die Betreffende jedoch sicher schon hinter der nächsten Wegbiegung wartet.
» ... und weißt du, seit du weg bist, steht das Telefon keine Sekunde still. Es klingelt ununterbrochen, ehrlich.«
So ist das immer, Anna. Du bist nur so gut wie nie da.
»Diese ganzen Schauspieler, mit denen ich seit Monaten nicht gesprochen habe und die jetzt unbedingt wissen wollen, warum sie nicht für die neue Serie über Heinrich den Achten zum Casting eingeladen worden sind. Ein paar sind echt unverschämt geworden, als hätte ich nicht genug um die Ohren ...«
Du musst nett zu ihnen sein. Manchen dieser Leute reicht es einfach nicht an Publicity, wenn sie mal wegen Geschwindigkeitsübertretung geblitzt werden. Ob du es glaubst oder nicht.
» ... dann steht nächste Woche auch noch das Casting für diesen großen Waschmittelwerbespot an, und ich hab keinen Schimmer, wo du die ganzen Lebenslauf-Fotos von den Leuten aufbewahrst ...«
Die sind im Aktenschränkchen mit den Lebensläufen, in einer großen Schublade. Mit der Aufschrift »Fotos«, Schwarz auf Weiß. Um sie zu finden, braucht man eigentlich keinen Uniabschluss, Anna.
» ... ich meine, der ganze Alltagskram im Büro ist einfach nicht mein Ding. Du musst wirklich aufwachen, Charlotte. Ohne dich bricht der Laden zusammen.«
Weißt du was? Das lockt mich überhaupt nicht. Hol dir doch irgendeine Aushilfe und lass mich in Ruhe. Manche Leute haben echte Probleme, und im Vergleich zu dem, was ich grade durchmache, ist dein Leben Euro Disney.
Gott, dieses Koma macht mich wesentlich mutiger, als ich normalerweise bin. Sonst bin ich nämlich viel zu feige, um so was auch nur zu denken.
Im weiteren Verlauf gibt es noch mehr Lärm, Gebrabbel und Gedöns, fast so, als würde zu meinen Ehren eine Party veranstaltet, an der ich selbst leider nicht teilnehmen kann. Der Krawall wird immer größer, chaotisches Stimmengewirr, einer versucht den anderen zu übertönen, aber dann tritt plötzlich und unerwartet ... totale Stille ein.
Ich denke gerade, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für den Auftritt irgendeiner herrschsüchtigen Krankenschwester wäre, die der rücksichtslosen Bande Mäßigung gebietet, aber dann weht mir auf einmal ein durchdringender Schwall Burberry-Aftershave um die Nase, und ich kenne nur einen Menschen, der das benutzt – ach du Scheiße!
Er ist es. James.
Er muss es sein. Wenn an nichts anderem, würde ich es daran erkennen, dass die Temperatur im Zimmer ungefähr um zwanzig Grad absinkt. Hier liege ich im Koma und spüre es trotzdem. Plastikfolie knistert, Lilienduft breitet sich aus, und ich höre Anna irgendetwas Anerkennendes sagen – dass die Blumen ja wirklich göttlich sind oder so. Sie hatte ja schon immer ein großes Talent, den Produzenten in den Arsch zu kriechen. Und ich kriege plötzlich einen Flashback, wie ich James kennengelernt habe.
Im Grunde ist nämlich Anna an allem schuld: Sie hat mich James bei einem Filmfestival vorgestellt, und ich weiß noch, dass ich ihn instinktiv sofort in die Schublade »irre, böse, gefährlich« gesteckt habe. Ein Charisma, auf dem man hätte surfen können, aber mir war auf den ersten Blick klar: Wer sich mit so einem Mann einlässt, schluckt irgendwann hundert Milligramm Valium am Tag. Damals trug er eine Lederjacke, fuhr eine Harley und sah ein bisschen aus wie James Dean, wenn er die dreißig erreicht hätte. Unausstehlich, unbeherrscht, umwerfend. Wie Hillary Clinton einmal so treffend über Bill sagte – ein Hund, den man nur schwer auf der Terrasse halten kann. Irgendwie schaffte er es, immer so auszusehen, als hätte er sich gerade geprügelt. Außerdem kursierte das Gerücht, dass er einmal in einem Fünf-Sterne-Hotel in Cannes ein Sofa über die Balkonbrüstung in den Pool geworfen hatte, in einem dieser Etablissements, wo man kein Wort über den Vorfall verliert und nur ganz diskret einen Posten für »Ersatzsofa« auf die Rechnung setzt.
Ja, ich war scharf auf ihn, wie wahrscheinlich jede Frau mit einem einigermaßen funktionsfähigen Blutkreislauf, aber ich habe mich keine Nanosekunde der Illusion hingegeben, er hätte das Zeug für eine feste Beziehung. Ganz ehrlich, ich war NICHT interessiert. Ich weiß sogar noch, dass ich ihn nach unserer ersten Begegnung nur ein einziges Mal gegoogelt habe. So wenig Interesse brachte ich James entgegen. Wodurch sich der Verdacht aufdrängt, dass ihn genau das angezogen hat. Deshalb hat er mir den Hof gemacht.
Der Job eines Produzenten besteht darin, andere Leute zu überreden. Sie überreden Schauspieler, in ihren Filmen die Hauptrolle zu übernehmen, sie überreden Investoren, Geld dafür lockerzumachen, sie überreden das Publikum, dass der Film, der dabei herauskommt, der absolute Hit ist. Und diese Taktik hat James auch bei mir angewandt. Er hat mich überredet, mit ihm auszugehen, er hat mich dazu gebracht, mich in ihn zu verlieben und nach lächerlich kurzer Zeit bei ihm einzuziehen. Wie es sich für ein wandelndes Klischee gehört, war ich überzeugt, dass ich die Frau war, die den bösen Jungen zähmen und in ein Schmusekätzchen verwandeln würde, das auf dem Sofa sitzt und sich Filme wie Tatsächlich Liebe anschaut. Und seht euch an, was es mir gebracht hat. Mein Gott, jede Singlefrau auf der ganzen Welt sollte meine Geschichte wie ein Lehrbuch studieren, als Paradebeispiel für das, wie man sich unter gar keinen Umständen verhalten sollte.
Jetzt ist James ganz dicht bei mir, ich fühle, wie er meine Hand nimmt.
»Du bist so schön, Charlotte.«
Offensichtlich ist das zu viel für Kate, die allem Schwachsinn gegenüber schon immer eine sehr niedrige Toleranzschwelle hatte, und ich höre, wie sie ihn anfaucht: »James, sie hat einen Schädelbruch, eine ausgerenkte Schulter, ein gebrochenes Wadenbein und ist genäht worden – und du findest, sie sieht schön aus? Glaub mir, das muss an der Beleuchtung liegen.«
In unserer Familie geht so was als geistreich durch.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass Gott so etwas zugelassen hat«, schnulzt James unbeirrt weiter, vermutlich, weil Mum mit im Zimmer ist. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie ihm falsche religiöse Inbrunst aus allen Poren dringt.
»Ach wirklich?«, kontert Kate. »Hast du das Alte Testament nicht gelesen? Gott kennt keine Skrupel.«
Wieder tritt unbehagliches Schweigen ein, aber allmählich fange ich an, das Geplänkel amüsant zu finden. Vermutlich sind die drei anwesenden Frauen die Einzigen auf der Welt, die gegen James’ legendäre Anziehungskraft immun sind. Nur damit ihr Bescheid wisst: James teilt seine Charmeoffensiven in verschiedene Phasen ein. Als Erstes fixiert er die Zielperson mit einem Laserblick, so intensiv, als gäbe es auf diesem Planeten kein anderes Lebewesen. In Phase zwei überhäuft er die bereits leicht Hypnotisierte mit allerlei einfühlsamen Fragen, die stets genau ins Schwarze treffen. Doch das Meisterstück folgt in Phase drei, in der er aus heiterem Himmel etwas dermaßen Komisches aus dem Ärmel schüttelt, dass die Zielperson nicht anders kann, als in hilf- und haltloses Gelächter auszubrechen. Ich habe miterlebt, wie er sich mit dieser Methode aus allen möglichen heiklen Situationen herausgemogelt hat, aber hier ist das nicht möglich, nicht unter diesen Umständen, und schon gar nicht vor diesem Publikum. Wenn das Koma nicht wäre, würde ich mich wahrscheinlich diebisch freuen, dass er mit seiner Masche ausnahmsweise mal nicht ankommt.
Geschieht ihm recht.
»Du siehst erschöpft aus, Kate«, versucht er es auf einer anderen Schiene und klingt dabei so ehrlich, dass es tatsächlich entwaffnend wirken könnte. »Und Sie auch, Mrs Grey. Sie sind bestimmt am Ende Ihrer Kräfte. Warum gehen Sie nicht einfach runter in die Cafeteria und trinken einen Kaffee oder essen eine Kleinigkeit? Ich bleibe solange bei Charlotte. Ich ... ich wäre wirklich gern einen Moment mit ihr allein, wenn das für Sie in Ordnung ist.«
NEIN! Geht bitte nicht weg, auf gar keinen Fall! Habt ihr gehört? Ich möchte nicht mit diesem Menschen allein sein!
Aber er bekommt seinen Willen. Eine Weile gibt es widerwilliges Gemurmel, aber dann werden die Handtaschen unter die Arme geklemmt, und ich höre noch, wie Mum widerborstig brummt: »Na gut, aber in zehn Minuten bin ich wieder da«, mit einem Unterton, dem unmissverständlich der Nachsatz zu entnehmen ist: »Und es wäre besser, wenn Sie dann weg sind.«
»Nur damit das klar ist«, lautet Kates Abschiedskommentar. »Ich akzeptiere es, wenn du sie dieses eine Mal besuchst, aber ab jetzt wäre es uns lieber, wenn nur noch die nähere Familie hier auftaucht. Familie und Fiona. Ich komme demnächst bei dir vorbei und hole ein paar von Charlottes Sachen ab.«
»Kein Problem. Wann etwa?«
»Wann es mir passt.«
Dann fällt krachend die Tür ins Schloss, und spätestens, als James meine Hand loslässt, weiß ich, dass wir allein sind.
»Charlotte ... Himmel, es tut mir so weh, dich in diesem Zustand zu sehen ...«
Ach bitte, muss es denn unbedingt eine kitschige Filmszene werden?
»Weißt du, mir geht dauernd dieser Streit im Kopf herum, und ... na ja, ich kann mir nicht helfen, aber ich fühle mich teilweise für das verantwortlich, was dir passiert ist.«
Hab ich richtig gehört? Hast du gerade TEILWEISE gesagt?
»Du warst so aufgeregt, als du aus dem Haus gerannt bist, und ich könnte mir in den Hintern treten, dass ich dich in diesem Zustand durch das verdammte Gewitter hab fahren lassen ...«
Gut. Hoffentlich tut der Tritt ordentlich weh.
»Ich fühle mich so mies wegen allem ...«
Geschieht dir recht. Dass du dich mies fühlst, ist die beste Nachricht des Tages.
»Weißt du, es liegt nicht an dir, sondern an mir.«
Ach, verschon mich bloß damit! Ich bin ziemlich sicher, dass ich genau diese Textzeile in einem von deinen beschissenen B-Movies gehört habe. Was Besseres fällt dir wohl nicht ein, was?
»Ich weiß, ich hätte früher kommen sollen und dir sagen, was ich empfinde, aber ... na ja, es ist einfach so, dass ich diese eingefahrene Paarbeziehung nicht ausgehalten habe, in die wir reingerutscht sind – zusammen Kreuzworträtsel lösen, darüber streiten, wer als Erster die Sonntagsbeilage lesen darf, lauter solches Zeug ... ich hab neben dir auf der Couch gesessen, hab zum tausendsten Mal eine Wiederholung von Lost angeschaut und dabei gedacht, das bin nicht ich, das passt nicht zu mir.«
Na klar, du willst lieber wieder Sofas aus Hotelzimmerfenstern werfen, richtig?
»Und ich weiß, dass ich ziemlichen Mist gebaut habe, als ich es dir erklären wollte, aber es ist ja nicht für immer, ich glaube ... na ja ... ich glaube, ich brauche einfach ein bisschen Freiraum ...«
Und da passiert es. Genau in dem Moment, als er diesen ganzen altbekannten Rechtfertigungsmist absondert.
Auf einmal tauchen die Erinnerungen auf. An den Unfallabend. Wie ich nach Hause gefahren bin, nachdem ich bei der Arbeit die Gerüchte gehört hatte.
Jetzt erinnere ich mich.
Starker Verkehr, strömender Regen, pechschwarzer Himmel, die Scheibenwischer auf höchster Stufe, meine Herzfrequenz ungefähr im gleichen Takt. Ich erinnere mich an die heißen, wütenden Tränen, die in meinen Augen brannten. Ich erinnere mich, dass ich kaum Luft kriegte und mit trockenem Mund krampfhaft schluckte. Dass meine Hände zitterten, als hätte ich eine ausgewachsene Panikattacke. Ich erinnere mich sogar noch daran, dass ich ungefähr zum vierzigsten Mal versuchte, James am Handy zu erreichen, und er nicht dranging. Ich erinnere mich, wie mir die Galle hochkam und ich mit aller Willenskraft an mich hielt, um mich nicht zu übergeben – denn der einzige Behälter, der mir zur Verfügung stand, war die leere Pringles-Rolle neben mir auf dem Beifahrersitz.
Natürlich wusste ich, dass es eine Konfrontation geben würde, und versuchte deshalb, meine Argumente zu proben. James kann unheimlich gut diskutieren, und ich bin absolut nutzlos, weil ich so emotional werde. Deshalb musste ich ihm bei einem Streit immer zwei Schritte voraus sein, wie eine gute Staatsanwältin. Ich weiß noch, dass ich im Kopf eine Liste gemacht habe mit den Gründen, warum es vielleicht doch nicht der Weltuntergang wäre, wenn das, was ich gehört hatte, wirklich stimmte und wir uns deswegen trennten. Auf dieser langen, grässlichen Heimfahrt habe ich mich eingehend mit sämtlichen Pros und Contras beschäftigt.
Wie gesagt – von den Menschen, die mir nahestehen, hatte keiner viel für James übrig. Fiona beispielsweise hat fast von Anfang an prophezeit, dass alles mit Tränen enden würde. Mit meinen natürlich. Ihre Hypothese lautete, dass James’ Traumfrau eine Frau ohne Nachnamen wäre. Und dass sein Jack-Nicholson-Grinsen selbst einen Hai aus dem Konzept bringen würde. Nach ein paar Gläschen Pinot Grigio hat sie mich auch immer sehr eindringlich darauf hingewiesen, dass er, solange ich in seinem Haus, unter seinem Dach wohnte, alle Trümpfe in der Hand hielt. Und was machte ich? Ich vergaß alles, selbst den wichtigsten Grundsatz: Liebe ist blind, aber Freundschaft sieht alles. Ich habe nicht auf meine Freundin gehört – und nun liege ich hier.
Seltsam, aber ich erinnere mich genau, wie ich in jener stürmischen Nacht, als ich hilflos im Verkehrschaos stand, in einem Schwall von Optimismus den Entschluss fasste, dass ich, falls unsere Beziehung nun tatsächlich zu Ende sein sollte, zu neuen Ufern aufbrechen und einen neuen Mann kennenlernen würde. Außerdem würde ich mich erfolgreich als Produzentin etablieren und steinreich werden. Dann würde James alles furchtbar leidtun. Womöglich würde ich sogar in der Late Late Show auftreten und auf der Reichenliste der Sunday Times landen, was ihn endgültig um den Verstand bringen würde. In meiner kleinen Phantasiewelt war ich so berühmt, dass ich sogar einen eigenen Stalker hatte – das Markenzeichen aller wahrhaft Prominenten –, und jedes Mal, wenn ich mit einem Journalisten sprach, erwähnte ich, dass ich zwar fünf wertvolle Jahre meines Lebens mit einem treulosen Schwachkopf verschwendet, es aber trotzdem geschafft hatte, mein Leben zu ändern und endlich zum Erfolg zu führen, so dass nun alle meine Wünsche in Erfüllung gegangen waren, komplett mit einem liebevollen Ehemann und entzückenden Kindern und allem, was sonst noch so dazugehörte.
Aber noch bis zu diesem Nachmittag hatte ich James so geliebt, dass es weh tat. Ich hatte so viel Zeit und Mühe in diese Beziehung gesteckt, und schon der Gedanke, dass vielleicht Schluss sein könnte, brachte mich fast um den Verstand. Ja, gut, vielleicht war er nicht in jeder Hinsicht perfekt, aber welcher Mann ist das schon? Wie Fiona immer sagt – letztlich sind alle Mistkerle, und das Beste, was man sich erhoffen kann, ist ein netter Mistkerl. Und James war doch perfekt für mich. Das dachte ich jedenfalls. Der Spaß, den wir zusammen hatten, unsere albernen kleinen Insiderwitzchen, der sensationelle Sex, unsere Einmütigkeit, selbst wenn es darum ging, den Gewinner bei Big Brother vorherzusagen ...
Wahrscheinlich muss ich akzeptieren, dass ich zu den Leuten gehöre, bei denen nie, aber auch gar nie etwas richtig funktioniert. Automatische Türen. Selbstbräuner. Geldautomaten. Und jetzt kann ich auch noch Beziehungen auf die Liste setzen. Schaut mich an: Ich verkörpere offiziell das, was einem passiert, wenn man auf die kleine Stimme im Kopf hört, die einem zuflüstert: »Trenn dich nicht von ihm, du brauchst eine feste Beziehung.« Vielleicht sollte ich eine Selbsthilfegruppe zu diesem Thema gründen.
Und da ist noch etwas anderes. Etwas, was ich angestrengt aus den tiefsten Tiefen meines Gedächtnisses hervorzuholen versuche. Ohne Erfolg. Bis James mich von der Last erlöst und es ganz direkt anspricht.
» ... bitte versteh doch, ich hab es wirklich versucht, aber irgendwie gab es nie den richtigen Zeitpunkt, es dir zu sagen. Das musst du mir glauben. Ich hatte echt nicht vor, mich in Sophie zu verlieben ...«
Und ... ta-daa! Ladys and Gentlemen, ich präsentiere Ihnen ... das fehlende Puzzleteilchen: Sophie Kelly!
Ich fürchte, das muss ich etwas genauer erklären. Bis zum Abend des Unfalls hätte ich wahrscheinlich nur mit den Achseln gezuckt, wenn ihr mich nach Sophie Kelly gefragt hättet. Sie gehört zu den Menschen, die zwar ein bisschen nervig sind, über die es aber nicht viel zu sagen gibt, weder im Positiven noch im Negativen. Inzwischen ist meine Meinung über sie allerdings nicht mehr ganz so entspannt, wie ihr gleich sehen werdet. Ich hoffe, ihr habt genügend Zeit.
Also, zum einen ist sie eine sauschlechte Schauspielerin, das hat James oft genug selbst gesagt – sie verfügt über das dramatische Talent und die Präsenz einer Besteckschublade. Und noch eine Kleinigkeit wäre zu erwähnen, nämlich ihre hohe, durchdringende Quietschestimme. Ehrlich, im Vergleich zu ihr klingt jede Türklingel melodisch. Ich erinnere mich noch genau, dass ich das zu James gesagt habe, nachdem wir Sophies letzten Film angeschaut hatten. Und er war uneingeschränkt meiner Meinung.
Zumindest hab ich ihn damals so verstanden.
Leider muss ich zugeben, dass sie gut aussieht. Man könnte beinahe glauben, dass sie einen Privatkameramann im Gefolge hat, der sie immer perfekt ausleuchtet. Außerdem hat sie blonde Korkenzieherlocken, riesige Bette-Davis-Augen und ist beneidenswert dünn. So dünn, dass ich ihr jedes Mal, wenn ich sie sehe, am liebsten ein Pfund Schweineschmalz in den Rachen stopfen würde. Von Frauensolidarität hat sie auch noch nie etwas gehört, denn sie vermittelt ihren Geschlechtsgenossinnen nur zu gern das Gefühl, dass sie etwas Besseres ist. Vor allem, wenn es um Männer geht. Okay, ich hatte die einmalige Gelegenheit, hautnah mitzuerleben, wie sie sich James an den Hals geworfen hat, aber blöd, wie ich manchmal bin, hab ich sie nicht ernst genommen. Schließlich ist sie Schauspielerin, hab ich gedacht, und James ein erfolgreicher Produzent. Ob es mir gefällt oder nicht, hab ich gedacht, das gehört eben zum Geschäft.
Keine Spur von weiblicher Intuition. Kein sechster Sinn. Kein Gespür für den drohenden Blitz aus heiterem Himmel. Und genau das war mein Verderben. Innerhalb eines einzigen Tages habe ich alles verloren: meinen Freund, mein Zuhause, sogar meine Karriere. Denn so sehr ich meinen Job liebe – auch wenn Anna mich die Hälfte der Zeit wahnsinnig macht –, ist es eben auch so, dass unsere Agentur Sophie Kelly alias Heliumstimme vertritt, und ich könnte nicht damit umgehen, dass ich, wenn sie anruft und Castingtermine möchte, nett zu ihr sein muss. Vielleicht bin ich eine schlechte Verliererin, aber ich würde mir lieber den Arm abbeißen, als nett zu ihr sein. Und dann auch noch die ganzen Klienten in der Agentur. So etwas spricht sich doch rum wie ein Lauffeuer. Auf die Buschtrommeln der Schauspieler wäre jeder Pygmäe neidisch.
Mein Leben ist eine ziemlich jämmerliche Geschichte, stimmt’s? Achtundzwanzig Jahre auf der Welt, und es ist mir gelungen, ein totales Chaos anzurichten. Also ehrlich, im Grunde müsste man meinen Kopf vor dem Büro der Dating-Polizei für jeden sichtbar zur Schau stellen, als warnendes Beispiel für alle weiblichen Singles, die sich irgendwelchen Mist von den Männern gefallen lassen. Und was könnte ich zu meiner Verteidigung vorbringen? Dass die Liebe uns alle zu hoffnungslosen Romantikern degradiert? Na toll.
Und das Groteske an der Geschichte ist, dass ich erst ins Koma fallen musste, um das zu begreifen.
»Du musst mir glauben«, blubbert James unterdessen weiter. »Es gab einfach keine Gelegenheit. Ich hatte nie vor, mich in Sophie zu verlieben, aber du weißt ja, wie das ist. Nicht du suchst die Liebe, sondern die Liebe sucht dich ...«
Schon wieder ein Text, den ich aus einer deiner grottigen TV- Sendungen kenne. Wahrscheinlich war es eine von denen, die nicht mal den Strom wert waren. Was willst du hier eigentlich? Dein Gewissen erleichtern? So egoistisch, wie du bist, wäre es ja kein Wunder, dass du bloß gekommen bist, um dich nachher besser zu fühlen.
Ja, das erscheint mir die wahrscheinlichste Erklärung zu sein.
Er findet kein Ende mit seiner Zerknirschung, er weiß gar nicht, was mit ihm los war, der Teufel muss ihn geritten haben. Er möchte mir allen Ernstes einreden, dass Sophie Kelly ihn gnadenlos verfolgt und ihn sich praktisch mit Gewalt gefügig gemacht hat. Dabei hat der arme James sich doch die ganze Zeit so vorbildlich verhalten, ein Muster an Treue und Anstand, unschuldig wie ein Chorknabe, der nur immer wieder flehen konnte: »Lass ab von mir, Dirne!« Versteht mich nicht falsch, ich würde ihm wirklich liebend gerne glauben, aber ich weiß, dass das, was er mir hier auftischt, von A bis Z Bockmist ist. Also schalte ich ab, gleite wieder in die Tiefe hinunter, in die friedvolle Stille, und lasse ihn alleine weiterplappern.
Nur um mir ein bisschen die Zeit zu vertreiben, zähle ich im Kopf nach, wie oft Kate mich gedrängt hat, ich soll mich von James trennen. Du hast den ganzen Scheiß nicht nötig, hat sie immer gesagt. Der Kerl ist Gift für dich. Aber ich liebe ihn, habe ich jedes Mal geantwortet. Die ultimative Verteidigung aller Liebesdoofen.
Als ich wieder empordrifte, ist James immer noch da, riecht nach Burberry und schlechtem Gewissen und sülzt weiter, was das Zeug hält.
»Ich bin mehr oder weniger zufällig zum Filmfestival nach Venedig gefahren, und jetzt ... na ja, jetzt bin ich ziemlich sicher, dass sie die Richtige für mich ist. Es tut mir leid, Charlotte, ganz ehrlich.«
Nein, eigentlich bin ich diejenige, der es leidtut. Der es leidtut, so viele Jahre an dich verschwendet zu haben, die ich viel besser hätte anderswo verbringen können. Dich so sehr geliebt zu haben, dass es weh tat. So idiotisch naiv gewesen zu sein, dass ich ernsthaft geglaubt habe, ich wäre die Frau, die dich ändern kann, und wir würden den Rest unseres Lebens zusammen verbringen. Es tut mir leid, dass ich nicht auf meine Familie und Freunde und auf die Menschen gehört habe, die mich wirklich lieben und mit dir nie etwas zu tun haben wollten. Und weißt du, was? Ganz gleich, wie schlimm der Tod ist, er kann nicht schlimmer sein als hier zu liegen und der Tatsache ins Auge zu blicken, dass mein Leben in jeder Hinsicht ein Fehlschlag war.
»Wie friedlich du hier liegst. Schade, dass ich deine Gedanken nicht lesen kann.«
Sei froh, sie würden dir nicht gefallen.
Dann klingelt sein Handy, und er geht dran, wie nicht anders zu erwarten. Wieder wünsche ich mir, dass eine Krankenschwester hereinkommt, ihm das Telefon abnimmt und ihn ordentlich zusammenstaucht, weil man auf der Intensivstation für Patienten mit gebrochenen Schädeln kein Handy benutzen darf, aber ...
Ich kann es nicht glauben. Sie ruft an! Sophie Kelly! Selbst vom anderen Ende der Leitung erkenne ich ihre nervige Quietschestimme.
»Hallo, Schätzchen!«, begrüßt er sie total fröhlich. »Nein, du störst überhaupt nicht. Mein Meeting ist gleich fertig.«
Die Lüge rutscht ihm so leicht über die Lippen, dass ich nur staunen kann.
»Ich will so schnell wie möglich hier raus und könnte auch einen Drink vertragen ... Ja, cool, ein Gläschen Sekt im Four Seasons in einer halben Stunde, das klingt super. Also ... hmm ... warum willst du so schnell auflegen? Magst du mir nicht erzählen, was du ... äh ... was du anhast? Komm schon, du kleines Biest, du weißt ganz genau, was ich meine. Unter dem sexy schwarzen Mini, in dem du heute früh losgezogen bist. Eigentlich hab ich ja noch eine viel bessere Idee – wir lassen die Drinks sausen und treffen uns gleich bei mir, ja? O Baby, du bist die Beste ... hey, ich liebe dich auch, komm, das weißt du doch ...«
Ich glaube, das war der letzte Nagel zu meinem Sarg, denn an alles, was danach passiert, erinnere ich mich nur noch ganz verschwommen. Ein Monitor, mit dem ich verbunden bin, übersteuert plötzlich, Warnsignale ertönen, eine Schwester blafft James an, er soll meine Angehörigen zurückholen, und zwar schnell, dann wird der diensthabende Arzt angepiept und informiert, dass es sich um einen Notfall handelt. Türen werden aufgerissen, noch mehr Monitore stimmen mit ihrem Gepiepe in den allgemeinen Höllenlärm mit ein, ich spüre Hände überall auf meinem Körper, eiskalte Elektroden auf meinem nackten Brustkorb. Dann ein Elektroschock, so heftig, dass meine Augen sich für den Bruchteil einer Sekunde öffnen und ich Mum weinend in der Ecke stehen sehe, im Arm einer Schwester, die tröstend auf sie einredet ... Aber im nächsten Moment sackt mein starrer, regloser Körper wieder ab.
Die Monitore piepen weiter, aber nun viel, viel langsamer.
Beängstigend langsam.
Ich höre eine scharfe, panische Männerstimme, die alle aus dem Raum schickt, während ich noch einmal reanimiert werde. Dann sagt eine andere, sanftere Stimme – die einer Schwester vermutlich – zu meiner Mutter: »Die Herzfrequenz Ihrer Tochter hat sich nur verlangsamt, weiter nichts. Keine Sorge, sie ist eine Kämpfernatur! Und wir tun alles, was wir können.«
Dann verschwimmt die Welt vor meinen Augen, und alles wird weiß.
»Charlotte?«
Meine Augen sind fest geschlossen. Im Moment habe ich viel zu viel Angst, um sie aufzumachen. Zu viel Angst vor dem, was ich dann womöglich sehe.
»Charlotte, kannst du mich hören?«
Eine Männerstimme. Weich und angenehm. Eine Stimme, die ich ewig lange nicht mehr gehört habe.
Eine Gänsehaut rieselt mir über den Rücken, und auf einmal weiß ich genau, wem diese Stimme gehört.
Meinem Dad.
Langsam, ungläubig öffne ich die Augen, und ... da ist er, direkt neben mir, und greift nach meiner Hand. Mein Dad. Er sieht besser aus, als ich ihn in Erinnerung habe, fit und gesund, in einer abgewetzten Cordhose und einem großen unförmigen Pullover, genau wie früher, wenn er im Haus herumgewerkelt hat, irgendetwas reparierte oder bastelte und mit der Bohrmaschine Löcher in den guten Möbeln meiner Mutter hinterließ. So war er immer am glücklichsten.
»Dad?«, ist alles, was ich herausbringe, ein mühsames Stottern. »Ist es ... bist du das wirklich?«
»Psst, ganz ruhig, mein Mäuschen, alles okay. Du hast viel durchgemacht, aber jetzt ist alles wieder gut. Nur die Ruhe.«
»Aber wenn du hier bist, dann ... dann ... dann bin ich ...«
»Darüber müssen wir jetzt nicht reden, später haben wir noch genug Zeit, Mäuschen. Jetzt musst du nur eines wissen, nämlich, dass du in Sicherheit bist.«
Ich kann das alles nicht so schnell verdauen, und auf einmal mache ich schlapp. Es ist einfach zu viel für mich: James und der Unfall, die letzten Tage, die Situation im Krankenhaus ... Ich schluchze wie ein hilfloses Kind, und Dad nimmt mich fest in den Arm, genau wie früher, als ich noch klein war.
»Alles okay, Charlotte, ich bin ja bei dir. Ich war die ganze Zeit bei dir. Und dir wird nichts Schlimmes mehr passieren, das verspreche ich dir, mein Mäuschen.«
Mein Mäuschen. Ich hatte schon fast vergessen, dass er mich immer Mäuschen genannt hat. Überhaupt habe ich viel vergessen – seinen Geruch, seine sanfte, angenehme Stimme. Dass er immer ein bisschen wie ein golfspielender Priester außer Dienst ausgesehen hat. (Dad hat seinen Stil im Jahr 1982 gefunden und seither nie eine Notwendigkeit gesehen, ihn zu verändern.) Er kommt mir auch viel größer und breiter vor, genau wie auf dem alten Foto von damals, als er noch Rugby gespielt hat. Viele Jahre, bevor er wegen seiner Krankheit immer dünner geworden ist.
»Dad ... Dad ...«, schluchze ich, halb hysterisch, halb überglücklich, ihn wiederzusehen. »Aber ... aber ... wenn ich hier bei dir bin, dann bedeutet das doch, dass ich ... dass ich einfach ...«
Ich bringe es nicht über mich, den Satz zu vollenden.
Aber wie es aussieht, bin ich tot, es kann nicht anders sein.
Herr des Himmels. Als wäre meine Lage nicht schon schlimm genug.
Ich denke an Mum und Kate und Fiona, was sie in diesem Moment durchmachen, und es bricht mir das Herz, dass ich so von ihnen weggerissen worden bin. Wenn ich nicht schon tot wäre, würde mich der Kummer wahrscheinlich umbringen.
Ein neuerlicher Weinkrampf, so heftig, dass ich das Gefühl habe, ich ersticke an meinen Tränen.
»Schschsch, Mäuschen, du hast einen Schock, das wird schon wieder.«
»Ach Dad ...«
»Ich bin da, Charlotte. Denk dran, alles wird gut.«
»Aber ... ich versteh das alles nicht. Wo bin ich denn?«
Ich sehe nicht mal richtig, alles um uns herum ist irgendwie unscharf. Und blendend weiß.
Er nimmt meine Hand und hält sie ganz fest.
»Am einfachsten kann ich es dir so beschreiben, dass du in einer Art, na ja ... in einer Art Bewertungsbereich bist. Ja, das ist wahrscheinlich die beste Beschreibung, Mäuschen. Hier wird entschieden, wo der beste Platz für dich ist. Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben.«
Meine Gedanken beginnen zu rasen. Vor allem deshalb, weil ich immer Panik kriege, wenn jemand mir sagt, ich soll keine Angst haben. Ein Bewertungsbereich? So eine Art Fegefeuer, oder was? Und wenn man jetzt mein jämmerliches kleines Leben bewertet und zu dem Schluss kommt, dass ich ein ganz miserables menschliches Wesen war? Was dann? Wenn man mir einen dicken Stempel mit einer Sechs für »ungenügend« aufdrückt und mich geradewegs in die Hölle verfrachtet?
»Komm schon, Mäuschen, jetzt mach dir mal keine Sorgen.« Dad lächelt mich an und hält weiter meine Hand. »Ich verspreche dir, dass es überhaupt keinen Grund gibt, Angst zu haben.« Wieder legt er den Arm um mich, und ich beruhige mich tatsächlich ein wenig. »Schau dich doch nur mal um.«
Endlich wird das weiße Licht, das uns hier umgibt – wo und was dieses Hier auch immer sein mag –, ein wenig sanfter. Langsam, kaum merklich kann ich Dinge erkennen, und mein armes verwirrtes Hirn beginnt die Umgebung wahrzunehmen. Nicht dass ich jetzt weiß, wo ich bin, weit gefehlt. Bin ich womöglich direkt vor dem Himmelstor gelandet? Hält Petrus hier Wache, wie ein Rausschmeißer vor einem Nachtclub, und muss erst mal seine VIP-Liste kontrollieren, ob ich draufstehe? Vielleicht erwartet mich aber auch eine riesige Halle mit Rolltreppen zu den anderen Stockwerken, wie in einem Einkaufszentrum. Nur dass vermutlich manche Treppen rauf in den Himmel führen und andere runter in die Hölle, wo bestimmt alles voller Qualm ist, wo Flammen züngeln und kleine rotgehörnte Teufel bösartig kichernd durch die Gegend laufen und die armen Verdammten mit Speeren pieken.
Und davor hängt eine Plakette mit dem Dante-Zitat: »Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren.«
Das hätte ich mir alles vorstellen können. Aber nicht, dass ich mich in einer Art ... na ja ... in einer Art Altersheim zu befinden scheine. Zum Glück ohne den Geruch nach Urin und gekochtem Kohl. Aber während sich meine Augen an das Licht gewöhnen und ich mir die Umgebung genauer anschaue, gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass Dad und ich uns in einer Art Tagespflege befinden. Er sitzt auf einem Sofa ganz hinten und beobachtet mich fürsorglich, aus dem Fernseher dröhnt das Pferderennen aus Cheltenham. Außer uns sind noch vier oder fünf Leute da, und alle starren gebannt auf die Flimmerkiste. Ich fasse mir ein Herz und wandere ein bisschen im Raum umher. Keiner beachtet mich oder nimmt Blickkontakt mit mir auf, alle sind viel zu sehr in das Rennen vertieft. Nur ab und zu schreit einer: »Los, Northern Dancer!«
Übrigens ist außer Dad keiner der Anwesenden unter achtzig.
Ich trotte zurück zu ihm und lasse mich benommen neben ihn aufs Sofa fallen.
»Hast du gedacht, es wäre alles voller Flauschwolken und Engel, mein Mäuschen?«, fragt er leise und hat damit genau meine Gedanken erraten. »Vergiss nicht, das hier ist nur vorübergehend. Du bist zu uns gekommen ... na ja, sagen wir mal, du bist gekommen, bevor es Zeit für dich war.«
»Und ich bin ... ich bin bloß hier, bis ... bis man mich bewertet hat?«
»Aber deswegen brauchst du dir wie gesagt überhaupt keine Sorgen zu machen.«
»Und ... na ja ... wann wird das passieren?«
Er antwortet nicht sofort, sondern sieht mich nur scharf an.
»Alles zu seiner Zeit.«
»Aber angenommen, sie schicken mich weg von dir? Ich meine, du bist doch bestimmt im Himmel, du hast ja in deinem ganzen Leben nie was Falsches getan. Aber ich hab jede Menge Mist gebaut und ... na ja, was ist, wenn sie uns trennen? Stell dir vor, du musst wieder nach oben, und ich schmore für den Rest der Ewigkeit in der Hölle?«
Er lächelt über meine Panik und das weinerliche Zittern in meiner Stimme, was mich seltsamerweise tröstet.
»So funktioniert das nicht, Mäuschen. Vertraust du deinem alten Dad etwa nicht?«
»Natürlich vertrau ich dir«, schluchze ich. Gott, ich höre mich wahrscheinlich an, als wäre ich ungefähr fünf Jahre alt.
»Dann komm und setz dich zu mir. Wir haben uns eine Menge zu erzählen, Mäuschen.«
Ich weiß nicht genau, wie viel Zeit vergeht. Irgendwie scheint hier alles stillzustehen. Ich weiß nur, dass es mir vorkommt, als würde ich mich eine halbe Ewigkeit mit Dad unterhalten, völlig vertieft. Inzwischen bin ich etwas ruhiger, aber ich umklammere immer noch Dads Hand, denn ich will ihn auf gar keinen Fall wieder verlieren. Das würde ich nicht aushalten. Diesen unerträglichen Schmerz ertrage ich nicht noch einmal. Ich fühle mich neben ihm so sicher und geborgen, wenn er bei mir ist, brauche ich mir keine Sorgen zu machen.
So lange man mich bei ihm bleiben lässt.
Je mehr wir reden, desto mehr komme ich ins Staunen. Es ist unglaublich – Dad weiß alles über unser Leben, bis ins kleinste Detail. Ihm ist nichts von dem entgangen, was bei uns passiert ist, und er ist immerhin schon zehn Jahre tot. Ich war achtzehn, als er gestorben ist, und ich weiß noch, dass ich dachte, die Leere, die sein Tod in meinem Leben hinterlassen hat, würde sich niemals wieder füllen lassen und ich würde nie einen Mann kennenlernen, der ihm das Wasser reichen könnte. Beides korrekt – die Leere ließ sich nicht füllen, und ich habe auch nie so einen Mann kennengelernt. Es ist fast, als würde unser kleines Leben auf der Erde rund um die Uhr mit Videokameras beobachtet und live nach hierher übertragen. Das Weltraumzentrum in Cape Canaveral ist nichts dagegen ...
So ist Dad bestens informiert über Kates Ehe mit Perfect Paul, er weiß, dass sie verzweifelt versucht, schwanger zu werden, und er kennt auch unwichtige Details, wie zum Beispiel, dass Mum einem Buchclub beigetreten ist und jetzt so tut, als hätte sie die gesamte Weltliteratur gelesen. Dabei checkt sie, wenn ein Buch sie langweilt, einfach nur die Kritiken bei Amazon durch und wirft dann das eine oder andere Zitat in die Debatte, um ihre Freundinnen zu beeindrucken. Dad weiß sogar Dinge über Fiona, obwohl ich sie erst auf dem College kennengelernt habe, kurz nachdem er gestorben ist.
»Dad«, stammle ich immer wieder, abwechselnd schluchzend und lächelnd, während ich seine großen Pranken drücke, ständig in der Angst, dass er verschwindet oder ich plötzlich von ihm weggerissen werde. »Ich liebe dich, und ich hab dich so, so sehr vermisst. Ich denke jeden Tag an dich.«
Seltsam. Früher, als er noch am Leben war, konnte ich ihm solche Dinge nie sagen, aber jetzt kommt es mir ganz leicht über die Lippen.
»Aber ich bin ja da, Mäuschen. Selbst wenn du es nicht merkst, bin ich immer bei dir«, erklärt er mit einem leisen Lächeln. »Wie in diesem wunderschönen Gedicht, das du bei meiner Beerdigung rezitiert hast. Ich habe euch nie verlassen, ich bin nur ins Nebenzimmer gegangen. Ich bin ganz in deiner Nähe, ich passe auf dich auf, und damit werde ich niemals aufhören.«
»Und Mum und Kate?«
»Also komm, Mäuschen, du kannst doch nicht ernsthaft denken, dass ich die drei tollsten Mädels der Welt auch nur eine einzige Sekunde aus den Augen lasse!«
Nein, nein, natürlich nicht. Er hat uns alle sehr geliebt und war immer am glücklichsten, wenn wir einfach »zu viert unter uns« waren, wie er es immer ausgedrückt hat. Wir alle zusammen. Plötzlich erinnere ich mich, wie ich acht Jahre alt war und ihn ständig genervt habe, weil ich unbedingt mit dem Bus zur Schule fahren wollte wie ein »erwachsenes«, großes Mädchen. Irgendwann hat er nachgegeben, aber ich werde nie vergessen, wie er im Auto hinter dem Bus hergefahren ist, um sicherzugehen, dass mir nichts passiert. Dann fällt mir ein, wie ich mit vierzehn gebettelt habe, mit dem Rest meiner Clique ins Wesley, unsere Disco, zu dürfen.
Oh, wie peinlich mir das war – er hat mich nicht nur hingefahren, er ist auch noch zum DJ gegangen und hat ihn ausgesucht höflich gebeten, ein Auge auf mich zu haben.
Immer hat er sich gekümmert, hat uns beschützt und nie im Stich gelassen.
»Ich schicke dir manchmal kleine Zeichen«, erklärt er mir lächelnd und drückt meine Hand. »Um dir zu zeigen, dass ich direkt neben dir stehe. Aber deine Mum ist bei weitem am empfänglichsten für so was.«
»Wie machst du das denn?«, frage ich und denke ... Zeichen? Ist das nicht ein bisschen ... ein bisschen wie aus Unheimliche Begegnung der dritten Art?
»Da gibt es viele Methoden, du würdest staunen. Manchmal gebe ich ihr irgendwelche Gedanken ein, wie man es manchmal bei der Hypnose macht. Aber am einfachsten ist es, wenn ich warte, bis sie schläft, denn dann kann ich mich mit ihr unterhalten, und sie denkt, es ist ein Traum. Inzwischen hat sie sich so daran gewöhnt, dass ich sie nur ein kleines bisschen anzuschubsen brauche, um sie beispielsweise daran zu erinnern, den Müll rauszubringen oder die Hintertür abzuschließen. Was sie sonst ständig vergisst. ›Hast du schon Öl in die Lampe gefüllt?‹, frage ich sie dann immer.«
Jetzt habe ich einen dicken Kloß im Hals. Diesen Satz kenne ich so gut. Dad hat ihn benutzt, wenn er uns fragen wollte, ob wir auch wirklich auf alle Eventualitäten und Notfälle vorbereitet waren. Ihr wisst schon, Sachen wie: Ist genug Benzin im Tank? Genug Kleingeld im Portemonnaie? Ist der Verbandskasten im Auto? Ist auf der Fahrt zum Flughafen genügend Zeit für ZWEI Reifenpannen eingeplant? (Ihm ist das in den siebziger Jahren tatsächlich mal passiert, und noch Jahrzehnte später hat er dafür gesorgt, dass keiner von uns es je vergisst.) Oder: Hast du dir eine extra Stunde Zeit gelassen, damit du bestimmt pünktlich zu deiner wichtigen Prüfung kommst?
Die Liste war endlos.
»Manchmal, wenn deine Mum ein bisschen traurig ist, dann krieg ich sie dazu, dass sie das Radio anmacht, damit sie ...«
» ... damit sie sich ›You’re Nobody Till Somebody Loves You‹ anhören kann«, ergänze ich, zwischen Lachen und Weinen hin und her gerissen. »Ich weiß, den Song hört sie dauernd, und sie sagt immer, dass er sie am meisten an dich erinnert.«
Beim Gedanken daran, wie abgöttisch er meine Mutter geliebt hat, füllen sich meine Augen erneut mit Tränen. Sobald Mum ins Zimmer kam, ist er richtig aufgelebt – sogar nach fast dreißig Jahren Ehe. Ich glaube, ich habe nie mitbekommen, dass die beiden gestritten haben. Dad hat Mum