Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse - Thomas Meyer - E-Book + Hörbuch

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse E-Book

Thomas Meyer

4,4

  • Herausgeber: Salis Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2012
Beschreibung

Motti Wolkenbruch lebt noch immer zu Hause, mit seiner geschwätzigen mame und seinem tate, der es seit längerem vorzieht zu schweigen und sich am liebsten hinter der aktuellen Ausgabe des Tachles versteckt. Die zufällige Begegnung mit einer hübschen Schickse wirft Mottis Leben aus der Bahn; ihm wird bewusst, dass er in seinen Kreisen kein Liebesglück finden wird. Und je mehr seine mame auf ihn einredet, umso stärker regt sich in ihm der Wunsch nach einem mamefreien Leben in den Armen ebendieser Schickse. Schritt für Schritt, manchen auch zurück, tritt Motti aus der orthodoxen Welt heraus in die säkulare, was auch grundlegende Veränderungen an seinem Äußeren mit sich bringt - der Bart kommt ab und die zu kurzen, schwarzen jüdischen Hosen machen modischen Jeans Platz. Mehr und mehr verwandelt sich Motti in einen typischen urbanen jungen Mann. Zwar ist er nun seine mame los, die ihn keines Blickes mehr würdigt, doch mehr Glück mit den Frauen hat er auch nicht. Jene, die er jetzt kennenlernt, haben wohl keinen dicken tuches, aber dafür nicht alle Tassen im Schrank.

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Thomas Meyer

Wolkenbruchswunderliche Reise in dieArme einer Schickse

Anmerkung zum Jiddischen

Falls Ihnen ein jiddisches Wort unverständlich ist, lesen Sie es laut. Falls das nicht hilft: Am Schluss des Bandes gibt es ein Glossar.

Jiddisch ist eine aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangene Sprache, die in hebräischen Buchstaben geschrieben wird. Es gibt unzählige Formen der Transkribierung; der Autor war hier um eine einheitliche Darstellung bemüht.

Den zauberhaften Damen der Confiserie

Sprüngli, die mich während der

Erstellung dieses Romans so liebevoll

umsorgt haben

Inhalt

Erster Teil

Mottele, du bringst mich noch ins Grab!

Ich habe ihr Fotos von dir gezeigt, sie findet dich auch nett!

Kennenlernen Frau Herbstlaub,kennenlernen Frau Tannenbaum

Di schpajskart, sajt asoj git!

Sejer schejn, mein schaz, sejer schejn!

Sie sind zuker-sis, die Bilder, zuker-sis!

Herr Wolkenbruch, machen Sie nicht ein solches punem!

De cholere sol sej chapn!

»Farkakt«, rief meine Mutter hinter ihrem geblähten Luft-bajtl hervor

Tomorrow Noon

Mit »nackte Frau« erzielte ich schon bessere Resultate

Sie haben vermutlich selten jüdische Kundschaft, die einen Rasierer kauft, nicht wahr?

Auch der Bruder ist ein Geräusch

Communication Breakdown, it’s always the same

Das Leibchen roch ebenfalls nach Räucherstäbchen

Zweiter Teil

Heimbringen! Vorstellen! Chassene machen!

Oj, wie sage ich das bloss Ihrer mame

Nu, wus tit a jid?

Mir fiel nun auch auf, dass Laura eine recht grojse nos hatte

Ah, die Störche, die Störche

Sag deinem Sohn, er soll mir seine dreckigen hemdn bringen!

»Quäquäquä!«, machte die Ente, als wäre sie völlig einverstanden

Nicht nur eppes, sondern eppes viel!

Meine jarmelke wäre in hohem Bogen fortgeflogen

Der da und du: amore

Haben Sie mir heute auf den tuchesgeschaut, Herr Wolkenbruch?

Sofort stand ich wieder in heller flam

Doch Moische schwieg hinter dem Tachles hervor

Dritter Teil

Sie weiss es, er weiss es nicht

Früher gab es immerhin nur keinen brif

Anderthalb Stunden! Herr Wolkenbruch!

Ich klopfte und klingelte und klopfte und klingelte

Thorsten mag allerdings keine Juden

In finsternisch gehilt

Hast du genug zu essen?

Sie spielt das Matzenknödelspiel mit dir

Und wie viele Objekte hat Herr Professor Wolkenbruch schon studiert?

Das ist der Geschmack von G’t

Ein zornentbrannter dajtsch und ein untrainierter jid in einem Raum

Immerhin waren meine zejner noch alle im Mund

Nach irgendwo

Glossar

Sprichwörter

Mame Wolkenbruchs knajdl-Rezept

Zum Autor

Impressum

Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

erster teil

Izt, bruder, trink ich, un wen es rojscht in kop, fajf ich ojf der ganzer welt un tanz mir hop-hop-hop!

Jüdisches Trinklied

Mottele, du bringst mich noch ins Grab!

»Mottele, wo bist du? Ich mache mir sorgn!«

Meine mame war den Tränen nahe. Dabei war gerade mol eine halbe schtunde vergangen, seit sie sich von meiner gesunthajt hatte überzeugen können. Und mir, für alle Fälle, ein frisches nostichl in die Manteltasche gesteckt hatte.

Doch das Höchstmaß an zajt, die meine mame ohne Nachricht ihres Sohnes ertragen konnte, war damit eindeutig überschritten. Ich hatte ihren Anruf daher jeden Augenblick erwartet.

»Ich bin in der Migros am Einkaufen«, gab ich artig Auskunft.

Das wusste sie eigentlich. Schließlich hatte sie mich hingeschickt. Mit einer Liste in ihrer hant-Schrift, die nebst ihr – nach jahrelangem Unterricht – nur ich entziffern konnte. »Unsere Geheimschrift!«, nannte meine mame ihre Schreibart mir gegenüber verschwörerisch. Eine von vielen Weihen, auf die ich gerne verzichtet hätte.

»Hast du alles?«, fragte sie.

Ich war gerade dabei, einen Viererstrauß Bananen zu wiegen, und hielt das Handy mit der Schulter ans ojer geklemmt, um die Hände frei zu haben.

»Noch nicht«, antwortete ich und brachte das ausgedruckte Etikett auf dem Plastikbeutel an.

»Was fehlt?«

»Nicht mehr viel.«

»Was?«

Sie schien es genau wissen zu wollen.

Ich stellte den Einkaufskorb auf den Boden und hielt das Handy richtig ans ojer. Ich stand ungünstig zwischen einem Regal und der Gemüsewaage. Ein Schüler des nahen Gymnasiums rempelte mich an.

»Mame, es ist kein guter Moment …«

Sie nötigte mich, den Inhalt des Korbes mit ihrer Liste zu vergleichen und aufzuzählen, was noch fehlte. Ich tat es und wurde in die Abteilung mit den Haushaltswaren beordert. Ohnehin mein nächstes Ziel.

Ich sagte es: »Das wäre sowieso mein nächstes Ziel gewejn.«

»Mordechai! Werd nicht frech!«

»Entschultig, mame.«

»Mottele, du bringst mich noch ins Grab!«, rief meine mame, wozu das leise Geklirr der bombelech an ihren ojern zu hören war, ließ ihre Worte noch einen Moment wirken und legte dann auf.

Wieder zu Hause, erwartete mich eine neue Liste: das umfassende Protokoll der sorgn, die sich meine mame während meiner Abwesenheit gemacht hatte. Antisemitische Angriffe kamen darin vor sowie rein kriminell motivierte Raubüberfälle und allerlei Formen des körperlichen Versagens.

»Was alles hätte passieren können!«, rief meine mame. Einer ihrer Lieblingsausrufe.

Doch entgegen allen Befürchtungen war ich auch diesmal wohlbehalten zurikgekehrt. Erleichtert drückte mich meine mame an ihren gigantischen busem, bedeckte mich mit kischn und gestand eine libe, wie sie tiefer und schöner nicht sein könne: »Sininke, sininke«, sang sie wieder und wieder, »geliebter Sohn!«

Unfähig zu flüchten, wogte ich mit ihr in ihren feisten Armen nach links und nach rechz.

Und irgendwie brachte sie es fertig, mir dabei ein zweites nostichl in die keschene zu schmuggeln.

Ich habe ihr Fotos von dir gezeigt, sie findet dich auch nett!

Mein Name ist Mordechai Wolkenbruch, kurz Motti. Meine mame heißt Judith. Sie besitzt einen enormen tuches und das beste Matzenknödel-Rezept der Welt. Bejdes hat sie von ihrer mame geerbt.

Mein tate heißt Moische. Er ist, wie ich, dünn und blass. Von ihm habe ich den rötlichen Schimmer im Bart, wobei er mir zahlreiche weiße Stellen darin voraushat und auch einiges an Volumen. Denke ich an meinen tate, sehe ich ihn, wie er auf dem Sofa sitzt: schwarze hojsn, weißes Hemd, ein schtik Bart, darüber das Tachles, das jüdische Wochenmagazin, oder die Jüdische Zeitung und ganz oben, über einer hohen Stirn, seine jarmelke.

Ich habe zwaj ältere Brüder. Salomon, genannt Schloime, und David. Bejde haben von meiner mame den tuches geerbt und von meinem tate die Hautfarbe, was ihnen starke Ähnlichkeit mit einem Schneemann verleiht. Schloime, von Beruf Chirurg und von meinem tate deshalb häufig »Koschermetzger« genannt, ist außerstande, in Zimmerlautstärke zu sprechen. Ein weiterer Wesenszug, den ihm meine mame mitgegeben hat. David hingegen, ein Biologe, ist ein stiller Mensch.

Zwaj teg pro woch arbeitete ich bei der Wolkenbruch Versicherung, der Firma meines Vaters. Die übrige zajt widmete ich mich dem Studium der Wirtschaft, was meine mame mit großem schtolz erfüllte. Bei jedem Familientreffen verkündete sie, ihr Motti stehe kurz vor der Doktorwürde, was ich jeweils beschämt relativierte: »Mame, es dauert doch allein noch ein jor bis zu meinem Master.« Sie lachte: »Mottele, das schaffst du in draj Monaten, du bist ein so gescheiter jing; schon als kleiner Bub bist du gescheit gewejn; und nachher wirst du auch sofort Doktor!« Doch das sagte sie nicht mehr zu mir, sondern in die Runde hinaus, heftig nickend, und ich widersprach nicht mehr. Widerspruch war in den ojgn meiner mame ein schweres Vergehen und wurde mit sofortigem Einfrieren der Beziehung geahndet: Anstatt dass sie mich zur Begrüßung umarmte, hielt sie mir dann vorwurfsvoll die bak entgegen, auf dass ich ihr einen reumütigen kisch draufgebe. Die nostichl-Versorgung wurde für die Dauer der Sühne natürlich eingestellt.

Irgendwann entschied die mame jeweils, ich hätte genug für meinen schlechten Benimm gebüßt, und wärmte das Verhältnis wieder auf: Ich war wieder der geliebte sininke und wurde wieder an die bristn gepresst, und griff ich in die keschene meines Mantels, so stieß meine erleichterte hant wieder auf das vertraute Quadrat aus Stoff.

Ansonsten führten wir ein gewöhnliches, frommes jüdisches Dasein: Meine mame kochte knajdlech und hielt die allgemeine Disziplin aufrecht, und mein tate verkaufte den Zürcher jidn Versicherungen. Der Satz »Man weiß ja nie!« war dabei sein liebstes Verkaufsargument. Und auch das überzeugendste, hatte er es doch mit Leuten zu tun, deren Vorfahren von einem tog auf den anderen erst nicht mehr mit der Straßenbahn reisen durften und schpejter nur noch im Güterwaggon.

Jeden tog gingen wir in die schul zum dawenen. Mein tate am frimorgn und am uwnt, ich manchmal nur am uwnt.

Jeden frajtik nach Einbruch der Dämmerung zündete meine mame die lichtlech an, und wir sangen und aßen miteinander und unseren Gästen.

Mein Bruder Schloime hatte schon eine eigene mischpuche.

Mein Bruder David ebenso.

Ich nicht.

Das machte meine mame, deren Brautvermittlungsbemühungen für ihre bejden anderen Söhne schon mit dem jeweils ersten Versuch voll ins Üppige getroffen hatten, hochgradig nervös. Denn bei mir taten sie dies nicht. Der Grund lag darin, dass meine mame auch mich ausschließlich mit Duplikaten ihrer selbst bekannt machte: Rachel, Dania, Sara, Mazzal, Rifka, Joelle, Bracha, Schoschanna; und alle schwatzten sie mich in Grund und Boden, während sie in unserem Wohnzimmer milchikes gebek in sich hineinstapelten, das meine Mutter vom Koscherbäcker besorgt hatte. Ich schwieg jeweils dazu, und auch schpejter, nachdem die jungen, dicken frojen gegangen waren und die mame meine Meinung hören wollte, schwieg ich.

»Die ist doch nett!«, behauptete meine mame etwa von Rachel.

Ich saß da und zählte konzentriert die Kuchenkrümel auf dem leeren gebek-teler. Zwajunfirzik waren es; die ganz kleinen, schlecht zählbaren nicht eingeschlossen.

Nett war Rachel gewejn, durchaus.

»Und hipsch!«

Das nun weniger.

»Mordechai! Du rufst sie jetzt an!«

Doch ich schwieg einfach und starrte auf den teler, bis meine mame sich erhob und schnaubend die tir hinter sich zuwarf. Und mich wieder amol vom nostichl-Nachschub abschnitt.

Da Zürichs jüdische Gemeinden von überschaubarem Charakter sind, musste meine mame bald auf andere Städte ausweichen. Sie schickte mich nach Bern, nach Basel, nach St. Gallen und nach Lugano und errechnete mit gespenstischer Präzision den Zeitpunkt, an dem meine eventuelle Ehefrau und ich den zweiten Kaffee erhielten. Genau dann rief sie jeweils an und erkundigte sich über den Verhandlungsverlauf: »Und, Mottele, wie gefelt sie dir?«

»Mame, ich bin eben erst angekommen.«

»Aber wie gefelt sie dir? Ich will doch einen gitn schidech machen!«

»Ich rufe dich zurik, ja?«

»Sie ist sejer nett!«

»Ist gut, ich –«

»Ich habe ihr Fotos von dir gezeigt, sie findet dich auch nett!«

»Mame, wir –«

»Auch Fotos von früher, als du klein warst; weißt du, das Bild, wo du naket bei Guggenheims im gortn herumrennst, sie hat es richtig betamt gefunden!«

»Also, mame, ich muss los.«

»Motti! Willst du deiner mame das Telefon aufhängen?«

»Nein, aber –«

»Dann hörst du mir jetzt zu! Sie ist sejer nett, glojb mir!«

»In ordenung. Wir hören uns schpejter.«

»Du hängst mir nicht das Telefon auf! MORDECHAI!«

Als ich vor einiger zajt von einer solchen Reise heimkehrte, erwartete mich meine mame am Esstisch, vor sich die zerknüllten Verpackungen von zwaj Tafeln Schokolade.

»Nu, Motti?«, fragte sie, ihre ojgn wie chanike-Kerzen.

»Ich wajs nischt, mame«, wich ich aus, um doch irgendwann mol etwas zu sagen.

»Wus wajstu nischt?«, blähte sie ihre Brust.

Ich fuhr mir mit der hant in den bort, denkend: Jetzt kannst der eigenen Mutter ja schlecht sagen, das mejdl gefelt mir nicht, die sieht aus wie du.

Also sagte ich: »Da war nischt kejn funk zwischen uns, mame.«

»Kejn funk!«, rief die mame. »Was brauchst du a funk! Du brauchst a froj!«

Wie sejer dem ihrem Dafürhalten nach so war, demonstrierte sie am darauffolgenden schabbes in unserer Synagoge an der Freigutstraße. Der tate und ich setzten uns zu den menern und die mame ächzte sich zu den anderen frojen hin, wo sie, noch bevor sie den Mantel abgelegt hatte, vernehmlich durch den Raum rief: »Habt ihr jetzt endlich a mejdele für meinen Motti gefunden?«

Die anderen mener drehten sich alle zu mir um, aber nicht mitleidig, eher mitfühlend. Sie hatten auch eine mame. Das verbindet.

Mich beunruhigte vor allem das »endlich« – sollte das heißen, hier war seit längerem eine offizielle, gemeindeumspannende Kampagne am Laufen?

Vieles deutete darauf hin. So brachte mich meine mame einige teg schpejter unter einem Vorwand mit dem ojto nach Basel. Angeblich sollte ich ihr helfen, bei einer alten froj, die ihre Wohnung räumte, ballenweise Stoffe für mames wöchentlichen Nähabend abzuholen. Tatsächlich war aber die froj gar nicht so alt und auch weit davon entfernt, ihre Wohnung aufzugeben; und es gab auch keine Stoffe, dafür eine Tochter, zu der ich kurzerhand in ein stockiges zimer gescheucht wurde. Die tir blieb sittsam offen.

Die junge froj, Hannah ihr Name, war von fesselnder Hässlichkeit und sah nur kurz auf, als wir miteinander bekannt gemacht wurden. Danach schaute sie nur noch auf ihre fis hinab. Zudem sprach sie sejer leise, so dass ich immer wieder nachfragen musste, was sie gesagt hatte.

So muss es früher im Königsschloss mit der ungestalten Prinzessin gewejn sein, dachte ich; man sperrte sie ins Turmzimmer und schleuste Prinz um Prinz hinauf, in der hofenung, einer habe schlechte ojgn.

Es gelang Hannah und mir nicht, eine Unterhaltung zum Laufen zu bringen, und als sich nach zwanzik minutn unsere Mütter dazugesellten, um uns einander schmackhaft zu machen, indem sie Charaktereigenschaften herausstrichen, die wir gar nicht besaßen, zumindest ich nicht, kippte die schtimung vollends ins Unerträgliche. Als auch den bejden Müttern nichts mehr zu sagen einfiel, verabschiedeten uns meine mame und ich und stiegen wieder ins ojto.

Während wir unseren Weg aus der schtot heraus suchten, probierte ich, meine Empörung darüber zu bekunden, derart skrupellos in einen Hinterhalt chauffiert worden zu sein, wurde aber von meiner mame übertönt, die mich den störrischsten jid schalt, der ihr je untergekommen; was denn nun mit dieser Hannah wieder nicht in ordenung sei.

Ich zählte es auf.

»Asoj«, rief meine Mutter maliziös und trat aufs Gaspedal, »der Herr Wolkenbruch hat Ansprüche!«

Ich bestätigte es.

»Selbst ist Herr Wolkenbruch aber auch nicht unbedingt der König der jidn!«

»Wie meinst du das?«, fragte ich mit der Stimme eines Zwölfjährigen und ärgerte mich darüber. Immer wenn ich gegen meine Mutter aufbegehrte, klang ich wie ein Kind.

»Ich will nur sagen: Überleg dir, ob du es dir leisten kannst, wählerisch zu sein.« Man konnte ihren Schweiß riechen.

»Ich möchte glücklich sein, nicht wählerisch«, sagte ich nach einer Pause.

»Haha! Glücklich!« Meine Mutter war ehrlich amüsiert. »Weißt du, von wem du abstammst?«

Oj, dachte ich mir, jetzt kommt wieder die Leier von der armen polnischen Urgroßmutter, die seks teg die woch als Wäscherin arbeiten musste und deren höchstes glik darin bestand, ihre finf kinderlech satt ins bet zu bekommen.

Ich sagte besser nichts mehr.

»Weißt du, von wem du abstammst!« Jetzt klang meine mame nicht mehr so amüsiert.

»Von Mimi Eisengeist aus Polen«, antwortete ich brav.

»Glik, mein Lieber«, dozierte meine mame, »ist etwas für die Märchenbücher. Und zwar für gojische Märchenbücher.«

Wir erreichten die Autobahn. Meine Mutter fuhr zu schnell, die ojgn gekniffen. Zwischendurch sah sie auf den Tacho und nahm den fus etwas vom Pedal, beschleunigte aber bald darauf wieder.

Bis Rheinfelden redeten wir kein Wort.

Dann fragte ich: »Mame, warum ist es so wichtig, dass ich jetzt heirate? Das kann doch auch schpejter sein.«

Keine Antwort.

Schweigen bis zur Ausfahrt Stein-Säckingen, dort von mir gebrochen: »Und überhaupt, ich kann das doch auch selbst organisieren.«

Keine Antwort.

»Mame?«, probierte ich es nach der Ortschaft Frick wieder.

Blik steif geradeaus.

Erst als wir in Zürich in die Hopfenstraße einbogen, sagte sie wieder etwas: »Übermorgen fahren wir noch amol nach Basel.«

Dann parkte sie, würgte den Motor ab, wuchtete ihren kerper aus dem ojto und rauschte zu unserem Haus.

Am uwnt versalzte sie mir das Essen.

Kennenlernen Frau Herbstlaub, kennenlernen Frau Tannenbaum

»Borech habo!«, rief mein tate und blickte von einem papir auf; gesegnet sei der Eintretende!

»Borech nimze!«, antwortete ich und ging zu meinem Schreibtisch; gesegnet sei der Angetroffene!

So begrüßten wir uns immer, doch wir gebrauchten den Segensspruch scherzhafterweise auch, wenn einer von uns von einem längeren Aufenthalt auf dem kloset zurikkehrte, so wie ich an diesem morgn, der für März viel zu warm war. Draußen auf der Straße trugen die Leute ihre dicken Winterjakn unter dem Arm und blinzelten ungläubig in die sun.

»Ojsgekakt?«, erkundigte sich mein tate, nachdem er den blik wieder zu seinen Unterlagen genommen hatte.

»Ojsgekakt!«, bestätigte ich, meinen Bedürfnissen Genüge getan zu haben.

»As men hot nischt wus ze tin, is kakn ojch an arbet«, tönte es darauf fröhlich vom Pult des Herrn Hagelschlag herüber, einem Experten für Sachversicherungen und jiddische Redensarten. Herr Hagelschlag war ein lieber und kugelrunder mentsch mit glänziger Glatze und schmutziger briln und hatte stets eine große Papiertüte vom Koscherbäcker mit dabei, die er bescheiden »a klejner nasch« nannte. Während der arbet bediente er sich munter daraus; so auch jetzt wieder. Doch sein Griff ging ins Leere; die Vorräte waren offenbar erschöpft. Herr Hagelschlag machte grojse ojgn in die Tüte hinein, rief: »Einer hot kejn apetit zim essn, der anderer hot kejn essn zim apetit!«, erhob sich und verschwand, um mit neuem nasch zurikzukehren.

»Borech habo!«, riefen mein Vater und ich zwanzik minutn schpejter aus einem Mund, und weil Herr Hagelschlag den seinen schon voll hatte, holte er zu einer entschuldigenden Geste mit den Händen aus, die wiederum voll waren mit der neuen Papiertüte und koscherem gebek. Das gab ein großes Knistern und Krümeln und wir lachten alle draj.

Ich nahm Herrn Hagelschlags Präsent, ein koscheres Vanillehörnchen, entgegen, biss hinein und rief meinen Online-Kalender auf, um mir einen Überblick über die geschäftlichen Termine für diese woch zu verschaffen.

Es waren sibn an der Zahl. Und sie waren alle durch ebenso viele private Termine ergänzt; jeweils direkt im Anschluss.

Kennenlernen Frau Herbstlaub, Kennenlernen Frau Tan≠nen≠baum, stand da unter anderem.

Ich hörte auf zu kauen.

Nach kurzem Überlegen stand ich auf und trat zu Frau Kahn ins Vorzimmer.

Frau Kahn, eine birnenförmige, unverheiratete Dame von circa finfzik jorn, deren Zivilstand mir immer wieder als Schreckensexempel vorgehalten wurde, war die Sekretärin der Wolkenbruch Versicherung. Sie stand wohl im brojt meines Vaters, doch die tatsächliche Befehlsgewalt über sie lag bei meiner mame, die Frau Kahn regelmäßig und entgegen jeder Wahrheit erzählte, die Finanzen unserer firme bewegten sich in eine bedenkliche Richtung und Frau Kahns Anstellungsverhältnis dürfe keineswegs als gesichert betrachtet werden; jedoch werde sie, meine mame, selbstverständlich ein gutes Wort einlegen.

Im Gegenzug war Frau Kahn nur zu gern bereit, meiner mame hin und wieder einen Wunsch zu erfüllen und beispielsweise meine Kundentermine kurzfristig in Kennenlerngespräche mit jungen frojen abzuändern. So war es erst kürzlich geschehen, dass ich im Sitzungszimmer, bewehrt mit Versicherungsofferte und koscherem Kaffeerahm, den alten Herrn Sonnenblum erwartet hatte und Frau Kahn dann ein mir unbekanntes Fräulein hereinführte, für ein ganz anderes gescheft. Das war für bejde etwas unangenehm; allerdings konnte ich auf diese Weise schon die eine oder andere Police abschließen.

Brachte also mein Vater seine Verträge für gewöhnlich mit dem Satz »Man weiß ja nie!« unter Dach, lautete meiner: »Wenn Sie schon mal hier sind.«

»Frau Kahn?«, sprach ich sie an.

»Ja, Herr Wolkenbruch?« Sie war gerade dabei, Rechnungen in konwertn zu stecken. Vor ihr lag ein Haufen hellblauer Klebeflächen-Schutzfolienstreifen, zu Girlanden verdreht.

Klebeflächen-Schutzfolienstreifen, ein langes Wort, dachte ich mir, während ich unschlüssig vor Frau Kahns Pult herumstand. Dann bemerkte ich: »Sie haben mir da ein paar Termine eingetragen.«

»Ja, sejer interessante Kunden; unter anderem Herr und Frau Maisfeld, die –«

»Ich meine die sibn privaten.«

»Ja, sejer interessante frojen; unter anderem Frau Leibowitz, die –«

»Frau Kahn, Sie können nicht …« – ich überlegte – »… wir sind eine Agentur fürs Versichern, nicht fürs Heiraten.«

»Aber Sie brauchen doch eine froj?« Sie sagte es, als hätte mein Drucker kein papir mehr.

»Frau Kahn …« Ich schloss kurz die ojgn und rieb mit Daumen und tajtfinger meine Nasenflügel.

»Ja?« Unsere Sekretärin betrachtete mich seltsam. Ihr linkes Lid flatterte dabei zwaj mol leicht.

»Berichten Sie diesen frojen bitte wieder ab.«

Frau Kahn senkte ihren blik auf den Tisch. »Das geht nicht«, brachte sie dann mühsam hervor.

»Wieso nicht?«

»Weil … weil …«

»Ja?«

»Weil … ich die numern nicht habe.«

»Warum nicht?«

»Ihre … Ihre … Ihre mame hat das organisiert.«

Sie betrachtete noch immer aufmerksam die Tischplatte.

Und mir fiel ein, warum meine mame das organisiert hatte.

Draj teg zuvor hatte ich mich geweigert, an einen geplanten schidech zu gehen. Es lag gerade einer hinter mir, und da dies jedes mol ein hypnotisches Vorbereitungsgespräch sowie hinterher eine Manöverbesprechung bis in alle Nacht bedeutete, fehlte mir der kojch, bereits in die nächste Runde zu steigen. Also wagte ich, auf die Bekanntgabe des neuen Termins, die bei meiner Heimkehr von der uniwersitejt erfolgte, zu entgegnen: »Mame, danke, aber ich mag nicht schon wieder. Können wir das nicht amol für einen Moment bleiben lassen?«

Ich befürchtete eine Maßregelung der Spitzenklasse, doch meine Mutter nahm die Verweigerung wortlos entgegen. Sie raffte lediglich leicht indigniert die Rockschöße und gab ein farwolkntes »Hm!« von sich.

Ich freute mich über diese geradezu wohlwollende Reaktion.

Zu fri, wie sich nun zeigte.

Ich berichtete die Angelegenheit meinem tate, der die mütterliche Methodik auch nicht als unbedingt ideal empfand, den ihr zugrunde liegenden Bedarf jedoch nicht von der hant weisen mochte und somit nicht dafür zu haben war, meiner mame in die Parade zu fahren. Für ein solches Wagestück hätte ich ihm aber ohnehin nicht die günstigsten kortn bescheinigt; und er sich wohl auch nicht.

Sibn aufgeregte, in züchtiges X-Large gewandete frojen klingelten in der unabwendbaren Folge bei uns im ofis und wollten gar nicht mehr aufhören zu schwatzen: von ihrer letzten Reise nach Israel und den Besuchen bei ihren vielen Verwandten, vom nahenden pajsech und den dazugehörigen Köstlichkeiten (macht deine mame auch so phantastische knajdlech?), vom Kinderkriegen (mindestens vier!), von ihrer mame (wunderbare Person!), vom Nahostkonflikt, für den jede eine Lösung parat hatte, von ihrer goldenen zajt im jüdischen Kindergarten und schließlich von den Unterschieden zwischen polnischem und litauischem Jiddisch, ob man nun »dus« oder »dos« sagt, wobei sie, je nach Herkunft ihrer Ahnen, den einen der bejden Dialekte als unechtes, vor allem aber unschönes Jiddisch bezeichneten.

Und alle plünderten sie währenddessen die Papiertüte des armen Herrn Hagelschlag, der hilflos von meinem Vater zu mir und zurik sah, irgendwann beim Koscherbäcker Nachschub herbeischaffte und letztlich entsetzt mitansehen musste, wie auch dieser weggeputzt wurde.

Es entstand Herrn Hagelschlag, wie dieser schpejter geknickt zu Protokoll gab, ein Schaden von insgesamt zwölf Berlinern, sibn Mandelgipfeln, sechzehn Croissants, vierzehn Vanillehörnchen und seks Nussschnecken.

Mein tate gab ihm hundert Franken. Herr Hagelschlag wehrte ab; er habe die Quittungen nicht mehr und könne die Summe nicht belegen. Doch schließlich ließ er sich überreden und brach auf, um das gelt in zuker zu verwandeln.

Wenig schpejter schrieb mir jede der sibn Damen einen blizbrif und setzte darin ihre Schilderungen munter fort, wobei alle mehr oder weniger elegant durchblicken ließen, es stehe einem näheren Kennenlernen nichts im Weg. Es wurden auch baldige erneute Besuche in Aussicht gestellt: Man freue sich, hieß es, mit meiner zuvorkommenden mame die nötigen Arrangements treffen zu dürfen.

Ich ließ alles unbeantwortet.

Mehrmals vernahm ich während dieser teg aus dem Vorzimmer, wie Frau Kahn diversen Anrufern bestätigte, unser Internetanschluss funktioniere einwandfrei. Daraufhin erhielt ich die ganzen blizbrifn abermals.

Dass meine Mutter die arme Frau Kahn beeinflusste, war mir übrigens bekannt, seit ich sie vor ungefähr einem jor zufällig beim Telefonieren belauscht hatte. Mein tate und ich wollten nach dem frischtik gemeinsam das Haus verlassen, doch ich hatte meinen Hemdsärmel mit eingemachts bekleckert und musste mich umziehen; und so ging mein tate, der einen wichtigen Anruf aus Israel erwartete, schon amol voraus.

Meine mame, die sich im Wohnzimmer aufhielt, wähnte sich nach dem Zufallen der tir anscheinend allein. Während ich in meinem zimer meinen schnips neu knüpfte, hob sie den Hörer auf, wählte eine numer und trällerte kurz darauf: »A gitn tog, Frau Kahn! Ist mein man schon im buro?«

Ich glaubte, nicht recht zu hören, wusste ich doch so gut wie meine mame, dass mein tate für den Weg zehn minutn benötigen würde.

»Ach, er macht sich so viele sorgn … Ja, ums gescheft … Hat er Ihnen nichts gesagt? Der letzte Monat war wieder ganz schlecht … Ja, kaum Abschlüsse … Wie? … Ja, es gibt zwar viele Verkaufsgespräche im buro, aber die lajt überlegen es sich dann im letzten Moment doch anders … Vermutlich die konkurenz; die gojim versichern heute ja so billig … Ich hoffe nur, mein man kann Sie behalten … Sie tun dem gescheft doch so gut …«

So ging das eine Weile; meine Mutter zeichnete den Untergang der Welt in den fürchterlichsten farbn, hier und dort von einem Tüpfchen der hofenung aufgehellt.

Währenddessen schlich ich mich aus dem Haus.

Im ofis empfing mich Frau Kahn mit bittendem blik.

Meinem tate sagte ich nichts.

Di schpajskart, sajt asoj git!

»Nu, Motti?«, flötete meine mame, als ich am frajtik-uwnt jener woch nach Hause kam. Sie traf gerade die Vorbereitungen für den schabbes und entzündete im Wohnzimmer finf Kerzen; eine für jeden von uns.

Sie fragte es völlig beiläufig, doch es gab keinen zwajfl daran, dass sie mich mit diesen Worten nicht etwa begrüßte, sondern umweglos auf die Besuche der sibn schidech-Kandidatinnen ansprach.

»Wus?«, stellte ich mich mit polnischem Jiddisch ahnungslos und ließ mich aufs Sofa fallen, wo ich meinen schnips lockerte.

»Nu, die mejdlech!«, machte sich meine mame mit einem kleinen Seitwärtsschritt an die letzte Kerze. Nachdem deren Lichtlein sich zu den vier anderen gesellt hatte, sprach meine Mutter rasch und leise, während sie das Streichholz auswedelte: »Baruch ata adonai, elohenu melech ha’olam, ascher kidschanu bemizwotaw, weziwanu lehadlik ner schel schabat.«

Damit hatte der schabbes begonnen.

»Ah, die mejdlech …«, lockerte ich meinen schnips abermals, obgleich er bereits gelockert war.

»Du darfst aber nur eine nehmen, nicht alle sibn!«, lachte meine mame herzhaft, aber irgendwie auch angriffslustig.

Ich schwieg. Das Eis war dünn.

»Du nimmst doch eine?«, stützte meine mame die Hände in die Hüfte.

Ich schob meinen blik zur want hinüber. Dort befand sich, seit ich denken konnte, ein Behang aus dem Orient. Obgleich er schon alt war, leuchteten seine farbn noch immer aus voller Kraft. Eine Karawane von kleinen Kamelen marschierte seine vier Seiten entlang. Ich mochte die Kamele schon als kleiner jing. Dass sie einander alle hinterherliefen und ihre Kolonne dadurch weder einen Anfang noch ein Ende hatte, hatte mich immer fasziniert. Ich konnte schtundnlang vor den Kamelen sitzen und den vermeintlichen Rudelführer ausmachen, um mich dann auf einen anderen festzulegen.

»Motti?«

Meine Mutter war zwaj Schritte zum Sofa herangetreten.

Interessant, wie drohend man einen Namen aussprechen kann, dachte ich mir.

»Ja, mame?«, sah ich hoch.

»Du nimmst eine!« Meine mame hielt noch immer das abgebrannte Streichholz zwischen den Fingern, wies damit in meine Richtung und fixierte mich; ihre dicken, schwarzen Augenbrauen wie verkeilte Panzersperren. Dann fiel ihr ein, dass sie ja nach Beginn des schabbes nichts mehr in der hant halten durfte, was zum Feuermachen dient, und entledigte sich rasch der hölzernen Fehlbarkeit.

Ich betrachtete wieder den Wandbehang und stellte mir vor, wie ich auf eines der kleinen Kamele stieg und davonritt; aus der schtot hinaus, zum Meer hinab, die Küste entlang, in die Dünen hinein und von der mame fort.

»Mir hat aber keine gefallen«, sagte ich.

»Was soll das heißen?«, brodelte es aus der mame heraus.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, blickte ihr fest in die ojgn und sagte: »Kejne hot mir nischt gefeln, mame.«

»Willst du sagen, ich gebe mir keine Mühe?«, ließ sie ihre Hände sinken. Es lag so viel Enttäuschung in dieser Geste, dass der ohnehin schon magere wint in meinen Segeln gänzlich daraus wich.

»Nein, das nicht, aber ich –«

»Weißt du eigentlich, wie viel zajt es mich kostet, dir eine froj zu suchen? Immer wieder einen neuen schidech zu organisieren?«

»Das ist lieb, aber –«

»Du könntest ruhig ein bisschen dankbarer sein. Oder überhaupt dankbar!« Ihre schtim bröckelte, die ojgn begannen zu glänzen.

»Ich bin ja dankbar«, beschwichtigte ich.

Meine mame schaute mich tieftraurig an. »Motti, ich will die mezinke tanzen«, äußerte sie dann nach einer kurzen Pause ihren Wunsch nach diesem speziellen Tanz, den die Eltern aufführen, wenn ihr jüngstes Kind heiratet.

Wie um ihr Begehr zu bekräftigen, hob sie ein wenig den linken fus und trat auf dem Parkett auf.

»Und ich will eine froj heiraten, die mir gefelt«, entgegnete ich.

Wir sagten nichts mehr; meine mame betrachtete den Fußboden, als stünde dort die adres der froj, mit der man mich verheiraten konnte, und ich widmete mich den gestickten Kamelen, als lüde mich irgendwann eines dazu ein, auf ihm davonzureiten.

Doch weder der Boden noch die Kamele boten einen Ausweg aus der Unvereinbarkeit von mütterlichem und söhnlichem Wunsch, und es fühlte sich so an, als gäbe es überhaupt keinen.

Schließlich erklang dumpf das Spülgeräusch aus dem kloset. Die tir ging auf und mein tate trat heraus; in die Achsel geklemmt eine gerollte Ausgabe der Jüdischen Zeitung, während er seinen Hosengurt schnallte.

Der Auftritt weckte meine mame aus ihrer Vertiefung. Sie schaute von ihren fis auf, besah mich kurz mit gekniffenen ojgn, murmelte: »Ich bin geschtroft. Geschtroft!«, und verschwand in der kich, um dort lautstark mit irgendwelchen Gerätschaften herumzuklappern. Sie hatte schon den halben tog lang das schabbes-Essen vorbereitet und schickte es nun in seine Vollendung. Den Esstisch hatte sie schon am frimorgn feierlich gedeckt.

Mein tate sah ihr verwundert nach, schloss dabei den Gürtel, klopfte mir mit der Zeitung kameradschaftlich auf die Schulter und zog sich die Schuhe an, um mit mir in die schul zum dawenen zu gehen. Er war bereits geduscht und frisch angekleidet. Ich beeilte mich, es ihm gleichzutun.

Als wir zurikkehrten, holte mein tate zwaj Etagen höher die alte Frau Zuckerbrot ab, die wir häufig zum schabbes-Essen einluden. Weil Frau Zuckerbrot nahezu taub war und das Klopfen nicht hörte, galt die Abmachung, dass mein tate jeweils einfach ihre Wohnung betreten durfte. Dort traf er sie, da auch Frau Zuckerbrots Gedächtnis nicht mehr das beste war, gar nicht selten beim kakn oder schlufn an.