»Hat sie recht?« - Thomas Meyer - E-Book

»Hat sie recht?« E-Book

Thomas Meyer

0,0
13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn man Thomas Meyer um Rat fragt, bekommt man ihn auch. Und wie! In pointierten Texten beantwortet er Fragen zu Partnerwahl und Beziehungen aller Art, zwischenmenschlicher Kommunikation, Haustieren, Moral, Glück und Respekt. Dabei geht es Meyer nicht darum, einfache Lösungen anzubieten – er lenkt den Blick vielmehr auf die Fragenden selbst und lädt auf inspirierende und provokante Weise zu neuen Sichtweisen ein.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 236

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thomas Meyer

»Hat sie recht?«

Unbequeme Antworten auf allerlei Lebensfragen

Diogenes

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

in den vergangenen sieben Jahren, in denen ich rund 350 Ratgeberkolumnen geschrieben habe, bin ich einige Male gefragt worden, was mich eigentlich dazu befähige. Ich sei ja kein Psychologe oder so was.

Stimmt. Bin ich nicht. Aber wir erteilen einander alle ständig Ratschläge, oft sogar durchaus hilfreiche. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich eingeladen worden bin, es öffentlich zu tun.

Das führt allerdings dazu, dass ich nicht nur durch mich selbst und mein Umfeld mit allerlei drängenden Fragen konfrontiert werde, sondern auch aus der Ferne. Viele Menschen haben mir von immensem seelischem Leid berichtet, das sich verstörenderweise vor allem dort abspielt, wo es am wenigsten hingehört: in Familien, Beziehungen und Freundschaften.

Das ist eine der Einsichten aus meiner kolumnistischen Tätigkeit: Wenn einander Zugewandte schon so grausam miteinander umgehen, sind bewaffnete Konflikte, Tierleid und Umweltzerstörung nur die logische Folge.

Und: Alles beginnt und endet bei uns selbst. Wenn wir uns nicht achten, wenn wir nicht nett sind zu uns selbst, wird unser Leben zur Hölle.

Und: Das merken viele erst, wenn es zu spät ist.

Und: Schmerz auszuhalten ist eine richtig schlechte Idee. Man gewinnt damit weder Glück noch einen Orden für besondere Tapferkeit.

Aber auch: Menschen wollen froh sein. Das ist unser aller Wunsch. Wir wünschen uns Geborgenheit und Harmonie, und wenn das Gegenteil herrscht, wollen wir es unbedingt zum Guten hin verändern. Das misslingt zwar immer wieder, weil uns oft der Mut für die wesentlichen Veränderungen fehlt, aber das ändert nichts an unserer ureigenen Aufgabe: dem Leid, wo immer es herrscht, ein liebevolles Ende zu setzen. Unserem eigenen, jenem unserer Kinder, unserer Geliebten, und schließlich, vielleicht, irgendwann, jenem der Natur.

 

Thomas Meyer, im Mai 2021

 

 

PS: Ich danke dem Ringier Verlag von Herzen für seine Treue, die mir – neben derjenigen von Leser:innen und Veranstalter:innen – gestattet, was alle Autor:innen sich wünschen: vom Schreiben leben zu können. Und dem Diogenes Verlag dafür, dass meine im SonntagsBlick-Magazin publizierten Gedanken noch weitere Kreise ziehen dürfen. Am Ende dieses Bandes gibt es übrigens ein Register, damit Sie alle Texte zu einem bestimmten Thema sogleich finden.

 

PPS: Haben Sie auch eine Frage? Schreiben Sie mir, ich werde eine persönliche und möglichst hilfreiche Antwort für Sie verfassen, unter Wahrung der Diskretion: [email protected]

»Mein Job belastet mich sehr. Aber ich bin Familienvater und verdiene sehr gut.«

Sie haben ein klassisches Dilemma, also eine Zwangslage, in der Sie zwischen zwei ähnlich unangenehmen Wegen wählen müssen: Entweder Sie fühlen sich schlecht, weil Sie Ihren Job weiter ausführen, oder Sie fühlen sich schlecht, weil Sie ihn kündigen und daraufhin mit Existenz- und Zukunftsangst konfrontiert sind. Viele Menschen, vielleicht die meisten, entscheiden sich in einer solchen Situation gegen die Veränderung, aus simplem Grund: Das alltägliche Missbehagen spielt sich in einem vertrauten und damit berechenbaren Rahmen ab – Sie wissen exakt, was Sie morgen bei der Arbeit erwartet. Was hingegen auf Sie zukommt, wenn Sie morgen kündigen, entzieht sich Ihrer Kenntnis, und das verunsichert Sie. Ihr Verstand wird Ihnen deshalb das Gleiche erzählen wie Ihr Umfeld: dass man nicht alles haben könne, dass Sicherheit wichtiger sei als gute Laune, dass man in jedem Job Kompromisse eingehen müsse, dass Sie als Familienvater Verantwortung zu ‌tragen hätten, dass man manchmal auf die Zähne beißen müsse. Das klingt alles sehr vernünftig. Aber vernünftig ist nicht immer weise.

Ihr Job belastet Sie, das ist ein Problem, und zwar ein schwerwiegendes. Schließlich verbringen Sie den größten Teil Ihrer alles andere als unlimitierten Lebenszeit damit. Wem ist gedient, wenn Sie Ihr eigenes Wohlbefinden so weit zurückstellen, dass es überhaupt keine Rolle mehr spielt? Was haben Ihre Kinder von einem Vater, der morgens schon griesgrämig ist, weil er zu einer verhassten Tätigkeit aufbricht, und am Abend völlig erledigt ist davon? Was heißt das für Ihre Beziehung? Was heißt es für Sie selbst, wenn Ihr Daseinszweck sich einzig darauf beschränkt, Geld zu verdienen? Es ist ein fauler Handel, den Sie machen, indem Sie diese Stelle behalten. Nicht für Ihr Portemonnaie, aber für Ihre seelische Zukunft. Und die sollte Ihnen mehr wert sein.

»Muss man sich wirklich immer gleich trennen? Man kann doch an einer Beziehung arbeiten.«

Was Beziehungen anbelangt, existiert eine Reihe von bemerkenswerten Glaubenssätzen, die das Handeln von Millionen bestimmen – allerdings meist zum Schlechten. Einer dieser Glaubenssätze lautet: »Wenn zwei sich lieben, können sie jede Schwierigkeit meistern.« Und das ist ein fataler Irrglaube. Liebe bedeutet nicht automatisch, dass man zueinander passt. Sie bedeutet lediglich, dass man einander zugeneigt ist. Liebe kann jedoch keine Schwierigkeiten lösen, sie kann einen diese nur erdulden lassen – und das leider beinahe grenzenlos. Man sagt nicht umsonst, dass sie blind mache. Blind gegenüber der Inkompatibilität und dem Schmerz.

Natürlich muss man sich nicht »immer gleich« trennen. Das macht allerdings auch kaum jemand – obschon immer wieder zu hören ist, dass die Leute heutzutage beim ersten Konflikt davonliefen. Im Gegenteil, die Menschen möchten, dass ihre Beziehung funktioniert, und versuchen, ihre Probleme zu lösen. Aber es gibt eben Probleme, die nur deshalb entstanden sind, weil sich da zwei zusammengetan haben, die nicht zusammen sein sollten. Und dieses Problem ist unlösbar. An einer solchen Beziehung kann man nicht arbeiten. Zumal man ohnehin nur an einer Beziehung arbeiten kann, in der beide Partner:innen gewillt sind, an sich selbst zu arbeiten, aber das nur am Rande.

Man muss sich im Klaren sein darüber, was man von einer Beziehung erwartet und was für einen inakzeptabel ist. Und wenn man jemanden kennenlernt, muss man diese Fragen zu zweit erörtern. Denn an den Antworten wird sich nie etwas ändern. Nie hat jemand aufgehört zu sein, wie er ist. Man ist daher gut beraten, seine Verliebtheit mit einer guten Portion Nüchternheit zu würzen, bevor es ernst wird. Romantiker:innen leben nämlich bald sehr ungesund.

»Ich (w, 41) hatte eine sehr schwierige Kindheit. Es belastet mich bis heute, vor allem in Beziehungen. Was kann ich dagegen tun?«

Leider nichts. Ihre Kindheit ist wie das Drehbuch eines bereits produzierten Films. Andere haben vor langer Zeit entschieden, was geschieht, und was Sie heute zum Ergebnis sagen, ändert nicht das Geringste daran. Sie können nichts dagegen tun. Aber Sie können damit etwas tun, indem Sie es nämlich umdeuten vom Fluch zum Segen, von der Last zur Fähigkeit, vom Schmerz zur Kraft.

Gehen Sie – bloß als Gedankenspiel, es muss nicht Ihrer Haltung entsprechen – davon aus, dass Ihre ungeborene Seele sich Folgendes überlegt hat: Was möchte ich erleben auf der Erde? Woran möchte ich wachsen, inwiefern möchte ich mich entwickeln? Versuchen Sie Ihre Eltern nicht als unfähige Grobiane zu sehen, auch wenn sie es gewesen sind, sondern als Lehrmeister, die Sie darin unterrichtet haben, über den Schmerz und die Furcht hinauszuwachsen. Und das geht eben nur durch Schmerz und Furcht. Was könnte also die Lektion sein, die Ihre Eltern Ihnen vermittelt haben? Was ist aufgrund dessen Ihre Aufgabe im Leben? Inwiefern profitieren Sie und andere von den Einsichten, die Sie aus Ihrer Kindheit gewonnen haben? Schreiben Sie alles auf!

Was Ihre Beziehungen angeht, müssen Sie sich damit anfreunden, dass Sie einen seelischen Schaden haben. Vielleicht hilft es Ihnen zu wissen, dass fast alle einen haben, weil von fast allen Elternpaaren mindestens einer der beiden einen therapiewürdigen Knall hat. Reden Sie mit künftigen Partnern oder Ihrem aktuellen einfach offen darüber. Es ist nicht sinnvoll, so zu tun, als sei man souverän, wenn man es nicht ist. Eine Beziehung kann nur funktionieren, wenn man um die Schwachstellen des anderen weiß und sich bemüht, möglichst achtsam damit umzugehen. Wie auch mit den eigenen.

»Ich (m, 42) habe sehr hohe Ansprüche an mich und meine Umwelt. Wie schaffe ich es, großzügiger zu werden?«

Was die Anspruchskrankheit anbelangt, sind Sie offenbar ein milder Fall. Erstens, weil Sie erkannt haben, dass Sie selbst nicht verschont bleiben von den Erwartungen, die Sie an die Welt stellen. Und zweitens, weil Sie nicht fragen, wie Sie Ihre Mitmenschen dazu bringen, mehr zu leisten, sondern wie Sie es schaffen, Ihre Vorstellungen der Realität anzupassen. Ein echter Anspruchsjunkie würde genau das Gegenteil versuchen. Ihre Heilungschancen stehen also sehr gut. Doch das Bemühen um Großzügigkeit wäre reine Symptombekämpfung.

Die Frage ist ja nicht, was Sie unternehmen können, um Ihre Strenge loszuwerden – sondern woher Sie diese überhaupt haben. Die Antwort liegt auf der Hand: aus Ihrer Kindheit. Auf die eine oder andere Weise, verbal und nonverbal, werden Ihre Eltern Ihnen vorgelebt haben, dass Liebe etwas ist, das man sich hart erarbeiten muss: Nur wer brav und fleißig ist, nur wer durch eindrückliche Leistung hervorsticht, ist ein guter Mensch und somit einer, der Zuwendung verdient hat.

Das ist natürlich kompletter Humbug, aber dennoch eine weitverbreitete Überzeugung. Und wie das so ist mit den Überzeugungen: Sie schwimmen im Bewusstsein nicht sichtbar obenauf, sondern liegen tief auf dem Grund. Und von dort gilt es sie nun zu bergen.

Schreiben Sie auf, welche Glaubenssätze Sie im Zusammenleben mit Ihren Eltern erlernt haben. Streichen Sie dann durch, was Ihnen Missbehagen beschert, und ersetzen Sie es durch etwas, das Sie froh macht. Vielleicht so: »Liebe ist immer da für mich.« Oder: »Ich bin gut, wie ich bin, und alles ist gut, wie es ist.«

Sie sind die Herrin Ihrer Wahrheit, niemand sonst. Und großzügig werden Sie, indem Sie verstehen, warum Sie ungroßzügig geworden sind. Niemand kommt streng und hartherzig zur Welt.

»Viele Ehen starten glücklich, scheitern aber bald. Sollte man nicht das Prinzip aus der Großelternzeit walten lassen – ›Prüfe, wer sich ewig bindet‹?«

Doch, unbedingt. Bevor man sich ernsthaft aufeinander einlässt, sollte man in der Tat prüfen, ob die Beziehung das Potential besitzt, im Alltag zu bestehen. So machen es die frommen Juden, wenn sie Interesse aneinander haben: Sie treffen sich für ein offenes, radikal ehrliches Gespräch darüber, was sie von einer Beziehung erwarten, was für sie unerlässlich ist und was inakzeptabel – und gehen je nachdem wieder auseinander. Sie heiraten nur, wenn sie überzeugt sind, jemanden vor sich zu haben, mit dem sie sich auch wirklich verstehen.

Alle anderen jedoch vertrauen allein auf ihre Empfindungen. Und die sind anfangs immer großartig. Man kann gar nicht anders, als daraus eine sonnige Zukunft abzuleiten, aber das ist ein fataler Fehler, denn Anziehung und Kompatibilität sind nicht dasselbe. Darum fangen so viele Ehen märchenhaft an und enden schon bald im Fiasko: Weil die beiden Partner aus Liebe heiraten – statt aus Freundschaft – und erst danach entdecken, wie verschieden sie sind (oder sie wissen es und heiraten aus Trotz).

Man sollte alles daran setzen, die charakterlichen Differenzen vor der Hochzeit ans Licht zu schaffen. Und das geht nur, indem man darüber redet, wer man ist, was man braucht und was man keinesfalls in seinem Leben haben will. Das aber wiederum setzt ein entsprechendes Gespräch mit sich selbst voraus. All die schlechten Beziehungen da draußen sind nichts anderes als das Ergebnis davon, dass so viele Menschen überhaupt keine Ahnung haben, was ihnen guttut und was nicht. Drum prüfe, wer sich ewig bindet – aber zunächst einmal sich selbst. Und erst dann den anderen beziehungsweise die Verbindung zu ihm: Bringt mich das zum Blühen? Kann ich hier ich selbst sein? Werde ich verstanden? Wenn nein – Schluss damit. Besser wird es nämlich nie.

»Ein Freund hat sich während der Corona-Krise in einen Verschwörungsgläubigen verwandelt und redet nur noch von Bill Gates, der die Menschheit versklaven wolle.«

Damit ist er leider nicht allein. Eine ganze Reihe von einst vernünftigen Menschen ist in der Pandemie dem Glauben anheimgefallen, es gebe eine Verschwörung, die nur sie durchschauten, dank ihrer »Recherchen« auf YouTube – übrigens ein herrlicher Widerspruch. Leidenschaftlich empören sie sich über die Machenschaften »der Rothschilds« sowie über die Dummheit der »Schlafschafe«, die einfach nicht einsehen wollen, »was wirklich geschieht«. Ihrer Ansicht nach existiert Covid-19 gar nicht, sondern ist nur eine Lüge von »den Eliten«, um »Geheimpläne« ins Werk zu setzen.

Mit solchen Leuten kann man nicht diskutieren, da sie von den Märchen, die sie durch nichts belegen können, aber trotzdem pausenlos verbreiten, felsenfest überzeugt sind und jedes Gegenargument nur als Beweis werten, dass man den Lügen der »Propagandamedien« aufgesessen ist. Diese geistige Verirrung hat zwei Gründe: Erstens fehlt es den Betroffenen – meist infolge traumatischer Erfahrungen – an innerem Halt. Die Verschwörungserzählungen, in denen alles perfekt zusammenpasst, bieten ihnen eine stabile Heimat, zumal sie sich im Kampf gegen das Böse auf der Seite der Guten wähnen dürfen. Das hat schon bei der Religion, dem Faschismus und Star Wars bestens funktioniert.

Und zweitens sind diese Leute ziemlich eitel. Sie halten sich für klüger als den Rest der Welt. Mythen, die scheinbar nur den Scharfsinnigsten zugänglich sind, sind da natürlich sehr willkommen – im Gegensatz zu allen, die eine andere Meinung haben und darum mit Links zu bizarren Videos und Texten bombardiert werden, damit sie endlich »aufwachen«. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern ein Af‌front, auf den leider nur mit dem totalen Bruch zu antworten ist. Aus dem Reich der Verrückten ist ohnehin noch nie einer zurückgekehrt.

»Mein 18-jähriger Sohn lehnt mich (w, 48) richtiggehend ab. Dabei möchte ich einfach nur gut mit ihm auskommen. Was kann ich tun?«

Wenn wir vom Ablösungsprozess sprechen, meinen wir damit unsere Kinder. Dabei sind die Eltern genauso davon betroffen – und es fällt ihnen oft wesentlich schwerer. Vor allem den Müttern, die ihren Daseinszweck häufig auch dann noch in der Rundumbetreuung ihrer Kinder sehen, wenn das denen nur noch lästig ist.

Dass Ihr Sohn Sie ablehnt, ist nicht gegen Sie gerichtet, sondern gegen Ihr Verhalten. Sie sagen, dass Sie »einfach nur gut auskommen« möchten mit ihm – da liegt wohl der Hund begraben. Was tun Sie genau? Fragen Sie nach Dingen, die Sie nichts angehen? Geben Sie Tipps, die er nicht braucht? Sehen Sie in ihm generell den kleinen süßen Jungen, der er mal war und der sich nicht mehr knuddeln lassen will – oder eine erwachsene, unabhängige Person? Und kann es sein, dass Sie fürchten, ihn für immer zu verlieren, wenn Sie sich nicht ständig um ihn bemühen?

Lassen Sie sich gesagt sein: Ihr Sohn ist immer noch an einer guten Beziehung mit Ihnen interessiert. Das war als Kind so, das ist jetzt so, und das wird immer so sein. Aber er hat mittlerweile eine eigene Vorstellung davon, und die sollten Sie respektieren. Also hören Sie auf, ihn wie einen Grundschüler zu behandeln (achten Sie auch auf Ihren Tonfall), und lassen Sie mal ihn auf Sie zukommen. Das ist auch sein Bedürfnis. Aktuell dürf‌te er jedoch vor allem daran interessiert sein, einfach nur seine Ruhe zu haben vor dieser bedürftigen Glucke, die ihm ständig hinterherwatschelt. Das ist ja, was er ablehnt: Ihre Rückwärtsgewandtheit. Die Distanz, die er einnimmt, ist eine natürliche, gesunde Reaktion darauf. Freuen Sie sich, dass er so klar und selbstbewusst ist. Alles andere wäre alarmierend.

»Meine Freundin und ich (m, 33) sind uns nie einig, wo und wie wir unsere Ferien verbringen sollen. Die Kompromisse machen immer einen von beiden unglücklich.«

Beziehungen funktionieren am besten, wenn die beiden Partner einander in den zentralen Aspekten ähnlich sind. Wenn sie also einen ähnlichen Humor haben, eine ähnliche Weltanschauung, ähnliche Lebensumstände – und eine ähnliche Vision der gemeinsam verbrachten Zeit. Andernfalls herrscht ein endloses Gezerre darum, wer nun rechthabe und sich durchsetze, und das ist dann keine Partnerschaft, sondern ein Machtkampf, der täglich Kraft vernichtet und Schmerz generiert. Ein zentraler Aspekt ist beispielsweise die Kinderfrage: Will der eine welche, der andere aber nicht, wird die Beziehung daran zerbrechen – oder derjenige Partner, der nachgeben musste, um sie weiterzuführen. Die Ferienfrage ist hingegen nebensächlich, zumal sie ja nur wenige Wochen im Jahr betrifft. Solange Ihre Beziehung ansonsten gut funktioniert, Sie sich also wohlfühlen miteinander und nur diesen einen Streitpunkt haben, sollten Sie ihn nicht zum Zentralaspekt erheben. Dann sind Sie sich bezüglich der Feriengestaltung eben nicht ähnlich. Sobald Sie das akzeptieren, werden Sie zu Ihrem Wohlgefühl zurück- und neue Lösungen finden. Sie könnten beispielsweise einfach unabhängig voneinander Ferien machen. Oder abwechslungsweise bestimmen, wo’s hingeht, und einander dabei freie Tage zugestehen. Es gilt, wie so oft, sich von der Idealvorstellung des Partners zu verabschieden und mit ihm einen Kompromiss auszuhandeln, mit dem beide gut leben können. Das ist, siehe Kinderwunsch, nicht immer möglich, und ein Kompromiss, den man nicht akzeptieren kann, ist ein Grund, die Beziehung zu beenden. Ihn aber gar nicht erst zu suchen, sondern vom Partner stattdessen die Selbstaufgabe einzufordern, ist ein Zeichen von mangelnder Reife. Setzen Sie sich also miteinander hin und seien Sie kreativ.

»Ich (m, 43) bin seit einem Jahr getrennt und habe wieder jemanden kennengelernt. Nun will mich meine Ex zurück. Sie droht, ich werde sonst meine Kinder nicht mehr sehen.«

Ihre Ex scheint ein zutiefst selbstunsicherer Mensch zu sein, der sich in seelischer Not nicht anders zu helfen weiß, als zu Psychoterror zu greifen. Das ist ebenso ‌tragisch wie therapiewürdig – aber wie das eben so ist mit den ‌tragischen Fällen: Sie gehen nie in Therapie, weil sie überzeugt sind, dass ihre Probleme sich lösen, wenn die Umwelt ihre Ansprüche erfüllt. Folglich setzen sie alles daran, dass die Umwelt das endlich kapiert.

Ihre Ex hat die Trennung anscheinend nie bewältigt, sondern betrachtet sie als Phase der Distanz oder gar als paradoxe Maßnahme zur Rettung der Beziehung, aber nicht als deren Ende. Nun, da Sie sich einer anderen Frau zugewandt haben, wird ihr bewusst, was Sache ist, weswegen sie gewaltsam versucht, die Realität ihren Idealvorstellungen anzupassen. Warum sie glaubt, das tun zu müssen, weiß sie vermutlich selbst nicht, jedenfalls scheint es ihr völlig egal zu sein, was Sie wollen. Sie ignoriert auch, dass Stress und Manipulation eine denkbar schlechte Basis für einen möglichen Neubeginn bilden. Stattdessen ordnet sie alles dem Ziel unter, dass der Kindsvater wieder an der Seite der Mutter steht. In welchem Zustand, spielt keine Rolle.

Machen Sie nicht den Fehler, auf diese Forderung einzugehen. Sie würden damit jeglichen Respekt verspielen, vor allem jenen vor sich selbst. Eine Beziehung soll man eingehen, weil man mit diesem Menschen zusammen sein will und nicht, weil man glaubt, das tun zu müssen. Sie brauchen auch keine Angst zu haben, dass Sie Ihre Kinder nicht mehr sehen. Sie sind der Vater und haben ein Anrecht darauf, sie hälf‌tig zu betreuen. Wer Ihnen dieses Recht streitig machen will, ist ein niederträchtiger, herzloser Mensch. Das sollten Sie sich immer wieder vor Augen führen, wenn Sie erwägen, dem infantilen Drängen Ihrer Ex nachzugeben.

»Meine Eltern (86 und 89) wollen nicht ins Altersheim. Es wäre aber höchste Zeit. Wie gehe ich vor?«

Niemand will ins Altersheim! Es sind oft ziemlich triste Orte, und der Umzug dorthin ist nur ein vorbereitender Akt für den endgültigsten aller Umzüge – die Beerdigung. Es ist nichts anderes als vernünftig, sich dagegen zu wehren. Wer will schon von lauter alten Knackern umgeben sein und mit ihnen auf den Tod warten? Und wer will sich schon eingestehen, selber einer zu sein und sein Leben nicht mehr allein meistern zu können?

Für Sie ist die Sache ebenso unerträglich: Ihre Eltern, die Sie einst behütet und beschützt haben, benötigen nun selbst Umsorgung, und das kann schnell zu einem 200-Prozent-Job ausarten, von der emotionalen Belastung gar nicht erst zu reden. Es ist auch aus Ihrer Sicht nur vernünftig, einen Platz in einem Heim zu suchen für die beiden (ob Sie innerhalb nützlicher Frist einen finden, ist eine andere Frage). Womit einander zwei unvereinbare Positionen gegenüberstehen.

Mit logischen Argumenten werden Sie Ihre Eltern nicht überzeugen können, das haben Sie bestimmt schon versucht. Führen Sie lieber ein persönliches Gespräch: Fragen Sie die beiden, was sie am Übertritt ins Altersheim genau belastet, und wie diese Dinge gemeinsam gemildert werden könnten. Ein Teil davon wird sich nicht beseitigen lassen – beispielsweise die Angst vor dem Tod. Aber es wird helfen, alles einmal offen an- und auszusprechen. Erstellen Sie zudem einen Plan, bei dem Ihre Eltern mitbestimmen dürfen, an dessen Ende aber der Umzug steht, und über den sollten Sie nicht mehr verhandeln. Es muss sein, es muss jetzt sein, und es muss auch Ihretwegen sein. Man ist auch in dieser Situation eine Familie und muss Rücksicht aufeinander nehmen. Und die geht immer in beide Richtungen. Daran dürfen Sie Ihre Eltern erinnern.

»Ich (m, 33) habe beim Online-Dating immer wieder Matches, aber nach der ersten Nachricht werde ich ignoriert oder gleich gelöscht. Warum?«

Zwar kennen alle dieses eine glückliche Tinder-Paar, aber üblicherweise berichten Singles fast ausschließlich von verstörenden Kontakten mit eleganten verheirateten Männern, die offen fremdgehen wollen, und von schönen Asiatinnen, die Investoren für dubiose Geldgeschäfte ködern. Und immer wieder passiert, was Sie beschreiben: Man gibt jemandem einen »Like«, freut sich über die Gegenseitigkeit, die in einem »Match« resultiert, schreibt – und hört nichts mehr. Und fragt sich: Warum liken, wenn man dann nicht weitermacht? Viele werden in solchen Fällen von Selbstzweifeln geplagt: Habe ich was falsch gemacht? Hat er oder sie sich meine Fotos nochmals genauer angeschaut und gemerkt, dass ich gar nicht so toll aussehe? Diese Fragen sind jedoch unbegründet, da nicht alle, die auf Dating-Apps aktiv sind, tatsächlich eine Beziehung suchen. Viele haben gerade eine hinter sich und wollen nur ihren Marktwert prüfen, andere suchen einfach ein bisschen Unterhaltung und gucken Tinder-TV, und eine ganze Reihe von Nutzer:innen hat schlicht keine Ahnung, was sie überhaupt wollen, sondern geben einfach einem diffusen Gefühl nach, wenn sie sich registrieren, verteilen dann mal hier, mal da einen »Like«, und sind offenbar zutiefst verstört, wenn sie feststellen, dass hinter dem Profil ein echter Mensch steht, der soeben konkret mit ihnen in Kontakt getreten ist und nun auf eine Antwort von ihnen wartet. Genau genommen ist ein »Match« der erste Schritt in eine intime Beziehung, und wenn man diese, aus welchen Gründen auch immer, gar nicht eingehen will, ist ein simples »Hallo, wie geht es dir?« natürlich schon zu viel, und man sucht gleich wieder das Weite. Beim Online-Dating geht es oft nur um Ego-Pflege, Langeweile und um Überforderung. Und nichts davon hat etwas mit Ihnen zu tun. Lassen Sie sich also nicht entmutigen!

»Ein alter Bekannter von mir, ein selbständiger Grafiker, hat schwere finanzielle und gesundheitliche Probleme. Ich unterstütze ihn immer wieder, weil er sich weigert, zum Sozialdienst zu gehen. Er will es unbedingt selber schaffen. Was kann ich tun, damit er sich helfen lässt?«

Die Frage ist hier vor allem: Was können Sie tun, um sich zu helfen? Es ist nobel, dass Sie jemanden in Not unterstützen, aber man sollte das nur bedingt tun, da erstens tatsächlich der Sozialdienst dafür da ist, und zweitens die Probleme oft viel tiefer liegen. Niemand, der in Not steckt, ist über Nacht da hineingeraten. Da lagen schon vorher destruktive Verhaltensweisen und falsche Entscheidungen vor, deren Konsequenzen sich über Jahre aufeinandergestapelt haben. Wenn Sie also nun kommen und eine dieser Schichten ab‌tragen, indem Sie beispielsweise aktuelle Mietschulden tilgen, dringen Sie damit nicht zur Wurzel des Übels vor, sondern verschaffen diesem lediglich eine Atempause.

Hier wirkt ein negatives System, und wie alle Systeme will auch dieses überleben. Im Falle Ihres Bekannten heißt der entsprechende Satz »Ich will es selber schaffen«, aber offenbar gelingt ihm das ja nicht, und seine Weigerung, staatliche Hilfe anzunehmen, ist demzufolge nicht als falscher Stolz zu werten, sondern vielmehr als perfekte Maßnahme, um sein dunkles System am Leben zu erhalten. In diesem haben Sie offenbar eine ‌tragende Rolle: Sie sind der verständnisvolle Tröster, der immer zuhört und den Geldbeutel öffnet, sobald es wirklich eng wird.

Wie gesagt: Das ist edel. Aber ist es auch klug? Helfen Sie Ihrem Freund damit wirklich – oder halten Sie ihn nicht vielmehr in seiner Unfähigkeit fest, sein Leben in den Griff zu bekommen? Helfen ist gut und richtig, aber nicht, wenn es missbraucht wird. Sie sollten Ihre Unterstützung sofort einstellen, auch auf der freundschaftlichen Ebene. Überlassen Sie die Behandlung dieses Falles den Profis und kümmern Sie sich wieder um sich selbst und um Dinge, die Ihnen guttun, statt Sie herunterzuziehen.

»Eine Freundin von mir (w, 29) will seit zwei Jahren Schluss machen, sagt aber immer, sie traue sich nicht, und der ›Aufwand‹ sei zu groß, wegen der Wohnung und des gemeinsamen Umfelds. Ich kenne ihren Freund auch und habe schon fast ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber.«

Die Anzahl von Beziehungen, die nur deswegen weiterbestehen, weil einer der Partner oder beide den Prozess und die Konsequenzen einer Trennung scheuen, dürf‌te beträchtlich sein. Wobei »scheuen« nicht das richtige Wort ist – »in Panik erstarren« wäre wohl passender. Allein schon der Gedanke daran, der Partnerin oder dem Partner gegenübertreten und ihr oder ihm sagen zu müssen, dass es aus sei, und eventuell für längere Zeit allein zu sein, lähmt die Betroffenen komplett. Sie sind gefangen in ihrem Dilemma zwischen gehen wollen (wegen des bestehenden Unglücks) und nicht gehen wollen (wegen des befürchteten Unglücks) und können es nicht auf‌lösen, weil die Angst vor der Trennung den Schmerz, den diese erzeugen wird, deutlich überwiegt.

Und das nicht ohne Grund: Eine Trennung ist ein extremer Schritt mit erheblichen Veränderungsfolgen. Man verletzt jemanden, steht überall als schlechter Mensch da und muss umziehen und die Einsamkeit erdulden – wer will das schon? Allerdings muss man auch fragen: Wer will schon jahrelang unglücklich sein? Eine Trennung ist schmerzhaft, gewiss, aber nicht für lange. Schon nach einem Monat kann man wieder lachen. Eine schlechte Beziehung hingegen kostet einen wertvolle Lebensjahre, in denen man gar nichts mehr zu lachen hat.

Machen Sie Ihrer Freundin das noch einmal deutlich und weisen Sie sie auch auf Ihren Loyalitätskonflikt hin. Es ist in der Tat unangenehm, auf diese Weise zum heimlichen Komplizen gemacht zu werden. Und schließlich müssen Sie sich auch fragen, warum Sie befreundet sein wollen mit jemandem, der sich selbst und seine Bedürfnisse nicht ernst nimmt, sich dauernd von neuem belügt und generell unaufrichtig ist. Die Nähe zu solchen Menschen tut einem nicht gut. Eine Trennung steht also möglicherweise – wenn Ihre Freundin nicht zügig handelt – auch Ihnen bevor.

»Meine Partnerin will viel mehr Sex als ich (m, 39). Mittlerweile ist das Thema sehr streitbehaftet.«

Was sexuelle Bedürfnisse anbelangt, werden diese interessanterweise meist nur anhand der Häufigkeit verhandelt. Sicherlich gibt es eine Schwelle, unterhalb deren man mit gutem Grund frustriert ist, aber ist ein Sexleben wirklich erfüllt, bloß weil es mindestens alle drei Tage stattfindet? Wäre Ihre Partnerin tatsächlich glücklicher mit mehr Sex? Oder meint sie eventuell anderen Sex? Was ist es, das sie genau unzufrieden macht? Das sind die Dinge, über die Sie miteinander reden müssen. Es reicht nicht, dass Ihre Partnerin Ihnen sagt, dass sie gern häufiger Sex hätte, denn ein solcher Hinweis wird Ihnen gewiss keine Erektion verschaffen. Sex findet nicht auf Geheiß hin statt, sondern infolge von Lust. Und deren größter Feind ist der Erwartungsdruck.

Die Kommunikationsverantwortung liegt aber nicht allein bei Ihrer Partnerin, sondern auch bei Ihnen. Streit ist ja nichts anderes als der missglückte Versuch, sich einander verständlich zu machen, und dazu werden auch Sie einen destruktiven Bei‌trag leisten. Teilen Sie Ihrer Partnerin also mit, wie es sich für Sie anfühlt, wenn man Sie einfach zum Geschlechtsverkehr auf‌fordert, als wären Sie ein Automat, und was Sie stattdessen genau brauchen, um in Fahrt zu kommen. Was Sie nicht so geil finden, ist klar – aber was finden Sie geil? Und dann stellen Sie dieselbe Frage Ihrer Partnerin. Sie werden dabei beide feststellen, dass die Lösung Ihres Problems nicht in mehr Sex besteht bzw. in der Einstellung des Wunsches danach, sondern in besserem Verständnis und damit mehr Nähe zwischen Ihnen. Der Grundstein für eine erfolgreiche Beziehung besteht schließlich darin, den anderen verstehen zu wollen.

»Meine beste Freundin hat sich umgebracht. Sie hat es nicht angekündigt und keine Erklärung hinterlassen. Ich bin stinkwütend auf sie. Ist das egoistisch?«

Nein, ehrlich. Es ist – neben Ihrer Trauer – das vorherrschende Gefühl, das eine solche Tat nun einmal auslöst. Hätte ein Krimineller Ihre Freundin getötet, wären Sie auf diesen wütend. Sie würden ihn hassen, weil er Ihnen einen geliebten Menschen geraubt hat, und alle würden Sie verstehen. Niemand würde Ihren Hass egoistisch nennen. Nun hat Ihre Freundin die Rolle des Mörders eingenommen, und Sie sind auf sie wütend. Weil aber jemand, der sich umbringt, offensichtlich verzweifelt gewesen ist und sehr gelitten hat, erlauben sich die Hinterbliebenen nur Mitleid, aber nicht die Wut, die sie in diesem Fall für völlig deplatziert hielten. Dabei spielt es letztlich keine Rolle, ob ein Dritter Ihre Freundin getötet oder diese sich selbst – eine Beziehung, die Ihnen wichtig war und die Sie gern weitergeführt hätten, ist gewaltsam beendet worden, und man hat Ihnen keine Möglichkeit gegeben, irgendeinen Einfluss darauf zu nehmen. Es ist nur logisch, dass Sie traurig, verletzt und wütend sind, und Sie sollten all Ihren Gefühlen den nötigen