Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt - Henry Bienek - E-Book

Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt E-Book

Henry Bienek

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Beschreibung

Fantastisch, merkwürdig und nicht ganz ungefährlich ist das Leben mit einem wundersamen Haustier. In 16 Geschichten erzählen uns die Geschichtenweber von den Haustieren unserer Träume und Albträume, ihren Besitzern und deren Leben miteinander. Chaos ist vorprogrammiert – da macht es keinen Unterschied, ob sie auf unserer Welt in unserer Zeit gehalten werden oder in einer anderen Galaxie, Jahrhunderte in der Zukunft. In einer kleinen Taschendimension findet der, der einen Eingang entdeckt, ein Areal mit einer riesigen Auswahl an Tieren. Der feurige Salamander in seinem sandig-steinigen Gehege gehört zu den kleineren Bewohnern dieser Tierhandlung. Mit seinen großen Augen sieht er so freundlich und niedlich aus. Doch ist er der richtige tierische Begleiter für den Farmer mit strohgedecktem Haus? Vielleicht eignet sich einer der unscheinbaren Sittiche mit seltsamen Kräften oder der verschmuste Höllenhund mit Beschützerinstinkt besser?

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Stefan Cernohuby und Henry Bienek (Hrsg.)

Wundersame Haustiere

& wie man sie überlebt

Eine Anthologie der Geschichtenweber

Inhaltsverzeichnis

Eine lange Nacht – Teil 1

Gerd Scherm

Der Traumbeutler

Damaris McColgan

Kuschel

Kassandra Schwämmle, Stefan Cernohuby

Das Speichermedium

Yann Krehl

Fischfutter

Rainer Wüst

Pelzibub

Agga Kastell

Tausend Türen

Ronja Scherz

Das Erbe

Eine lange Nacht – Teil 2

Agnes Sint

Die Königin

Julia Heuer

Ein Sturm zieht auf

Klaus Lichtenegger

MächTiger Ärger

Nadine Muriel

Jans Schweinehund

Christina Bittner

Marley

Barbara Petersmann

Carnivourus Egomanipitikus

Anke Höhl-Kayser

Stranger

Alisha Pilenko

Hippalektryons Kapriolen

Eine lange Nacht – Teil 3

Die Herausgeber

Stefan Cernohuby, geboren 1982 in Wien, studierte Elektronik und ist nach einigen Jahren im Ausland wieder in seiner Heimat ansässig. Er schreibt schon seit vielen Jahren kurze und lange Erzählungen in verschiedenen Genres. Neben seinen literarischen Aktivitäten war und ist er für unterschiedliche Medien als (Chef-)Redakteur tätig. Zahlreiche seiner Kurzgeschichten und Gedichte sind in unterschiedlichen Werken veröffentlicht worden. Er ist zudem Herausgeber von mittlerweile neun Anthologien, von denen zwei für den Deutschen Phantastik Preis nominiert wurden. Zuletzt erschienen mehrere Heftromane und ein Science-Fiction-Roman in der Reihe „Die neunte Expansion“. Er ist Mitglied der Geschichtenweber und zweiter Vorstand des Phantastik-Autoren-Netzwerks PAN.

Henry Bienek, geboren 1973 in Darmstadt und auch dort geblieben, fing schon in der 5. Klasse mit dem Schreiben an, ließ es dann aber aus Zeitgründen wieder sein. Erst mit Ende Zwanzig startete er einen neuen Versuch. Getrieben von zu vielen anderen Hobbys (drei Chöre, unzählige Filme, Serien und Bücher, diverse Pen & Paper-Rollenspielrunden) schafft er es nur selten selbst an die Tastatur, um auch mal wieder etwas zu schreiben.

In der Regel arbeitet er an düsterer Phantastik oder Humorvollem, versucht sich aber gelegentlich und bei ansprechenden Themen auch in anderen Sujets.

Sein bisher größtes Projekt war die Herausgeberschaft der Jugendbuchreihe 'Gaias Schatten' in sieben Bänden

(2014, TextLustVerlag).

Eine lange Nacht – Teil 1

von Henry Bienek, Nadine Muriel und Stefan Cernohuby

Martin trat heftig auf die Bremse. Das Reh, das mitten auf der Straße stand, schien ihm einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen, ehe es ins Gebüsch sprang und sofort wieder von der pechschwarzen Finsternis des Waldes verschluckt wurde. Verdammt, das war knapp! Obschon Martin ein geübter Autofahrer war, umkrallte er das Lenkrad wie ein Schiffbrüchiger eine Planke. Die Straße war eine Aneinanderreihung von Haarnadelkurven, noch dazu völlig unbeleuchtet. Die Leute vom Straßenbauamt, die für diese Strecke zuständig waren, mussten ausgesprochene Sadisten sein – genau wie sein Chef, der ihm den heutigen Kundentermin am anderen Ende der Republik zugeteilt hatte.

Das Geschäftsgespräch war zwar überraschend gut gelaufen, doch inzwischen wurde Martins Freude darüber von bleierner Müdigkeit erdrückt. Es war zehn Uhr nachts und er wollte nur noch heim. Bloß deswegen war er ja von der Autobahn abgefahren, um die deutlich kürzere Strecke durch den Odenwald zu nehmen. Eine Entscheidung, für die er sich inzwischen am liebsten ohrfeigen würde. Martin hatte keine Ahnung mehr, wo er sich befand, und seinem Handy, das er für das GPS verwendet hatte, war schon vor Stunden der Strom ausgegangen. Nun rollte er durch eine ihm unbekannte düstere Waldlandschaft. Wenn sich hier nicht Fuchs und Hase gute Nacht sagten, dann wusste er nicht, wo …

Martin hätte laut vor sich hin geflucht, wenn er nicht selbst dafür viel zu erschöpft gewesen wäre. Er merkte, wie ihm hinter dem Steuer langsam die Augen zuzufallen begannen. Die ungewohnte und kurvenreiche Gegend hielt seine Nerven momentan noch auf Trab und zwang ihn, sich zu konzentrieren. Aber wenn das so weiterging, würde er wohl eine Parkbucht im Wald ansteuern müssen, um sich dort ein paar Stunden aufs Ohr zu hauen.

Doch nach der nächsten Kurve tauchte am Horizont ein großes Haus auf, das in rotem und weißem Licht regelrecht gebadet wurde. Eine ausgeleuchtete Einfahrt führte direkt bis zur großen Eingangstür. Mit einer Übernachtungsmöglichkeit rechnete Martin zwar nicht, nichtsdestotrotz bremste er ab und bog in die Einfahrt. Jetzt sah er auch einen Wegweiser. Yollas Haus der Tiere stand darauf.

Nun gut, das klang definitiv eher nach einem Zirkus als nach einer Herberge. Aber vielleicht kannte dieser Yolla ja ein Hotel in der Gegend. Und bevor Martin noch länger umherirrte …

Mit diesen Gedanken stieg Martin aus seinem Wagen und ging zu dem Gebäude. Eine Klingel konnte er nirgends entdecken. Oder war er bloß zu müde? Egal, an der halb offenen Tür hing ohnehin ein Schild mit der Aufschrift „Hereinspaziert“ und aus dem Gebäudeinneren fiel ein heller Lichtschein. Also waren Besucher wohl trotz der späten Stunde willkommen. Erleichtert betrat Martin eine Welt der Tiere. Aber nicht irgendwelcher Tiere.

Gleich am Eingang befand sich eine riesige Voliere. Ein großer Vogel, der aussah wie eine Mischung aus Strauß und Kakadu, drehte den Kopf mit dem dreieckigen Schnabel in Martins Richtung und begann sich krächzend aufzuplustern. Dann flogen seine Federn wie ein explodierender Ball in alle Richtungen davon und wurden nur vom engmaschigen Gitter der Voliere aufgehalten. Eine kurze Zeit stand der Vogel nackt und ohne Federkleid da, bevor die eben noch von sich geworfenen Federn in einem wilden Tanz zurück an den Körper des Vogels strebten und sich wieder anlegten, als wäre nichts gewesen. Erneut begann das krächzende Aufplustern …

In einem großen Terrarium daneben befanden sich vier stromlinienförmige, unterarmlange Echsen in einem neonfarbenen Blauton mit einem orangefarbenen Strich in der Mitte. Offenbar machten sie Jagd auf die Riesenheuschrecken, mit denen sie ihre Behausung teilten. Dazu nutzten sie allerdings nicht ihre Zungen, stattdessen spie der orangefarbene Strich auf ihren Rücken in hohem Bogen einen gleichfarbigen Klumpen aus, der auf die Heuschrecken zuschoss und sie schmelzen ließ. Danach ging ein Ruck durch die Echsen, sie verschwanden vom jeweiligen Standort, tauchten direkt neben der getöteten Heuschrecke auf und schlürften deren Überreste in sich hinein.

Verwirrt rieb Martin sich die Augen. Halluzinierte er bereits vor Müdigkeit? Oder handelte es sich um irgendeinen Trick? Vielleicht waren diese merkwürdigen Kreaturen ja gar keine lebendigen Tiere, sondern täuschend echte Apparaturen? Er trat näher an das Terrarium, um die Echsen genauer zu inspizieren.

„Faszinierend, nicht wahr?”, ertönte genau in diesem Moment eine angenehm tiefe Stimme neben ihm. „Mangolesische Spuckechsen. Nur für Asbest oder ähnlich feuerfeste Terrarien geeignet. Und das nebendran ist ein Plustervogel. Sie können sich ja denken, wie er zu dem Namen kam. Er kann seine Federn bis zu zwei Meter weit schleudern. Diese sind übrigens hochgiftig für die meisten Tiere und auch für die meisten Terra-, äh, Menschen.”

Martin wandte sich um. Dort stand ein Mann, der Martin gerade mal bis zum Bauchnabel reichte. Er konnte kaum anderthalb Meter groß sein. Seine Kleidung – ein grüner Gehrock, eine lilafarbene Fliege, Lederflicken an der altmodischen Kniebundhose – schien aus einem anderen Jahrhundert zu stammen.

„Ich kann Euch beruhigen. Wir haben weitaus freundlichere Tiere in unserer Behausung als diese“, redete der Mann weiter. „Als Teil einer interdimensional agierenden Kette von Zoohandlungen mit zahlreichen Filialen innerhalb und außerhalb des Universums führen wir Wesen aus allen Welten. Auch Kreaturen, die gerade nicht vorrätig sind, können wir problemlos für Euch bestellen. Womit kann ich dienlich sein? Ein kuscheliges Nerztier für die Gemahlin? Ein Spielgefährte für die Kinder? Oder ein treuer Freund für Euch? Darf es ein kleiner Rundgang sein? Wenn Ihr mir folgen würdet …”

„Stopp!”

Wie ein Sturzregen war der Redeschwall auf Martin niedergeprasselt. Von all dem Gequassel über andere Welten, Dimensionen und Universen schwirrte ihm der Kopf. Zumindest stand jetzt fest, dass er nicht halluzinierte. Solche Absurditäten konnte er gar nicht herbeiphantasieren. Wahrscheinlich handelte es sich bei Yollas Haus der Tiere wirklich um ein Automatenkabinett mit ausgefeilten Special Effects. Für Familien, die in dieser Gegend Urlaub machten, mochten die phantastischen Haustiere eine tolle Attraktion sein. Aber er, Martin, war nicht in der Stimmung, sich jetzt eine lang andauernde Show anzusehen.

Der Ladenbesitzer blieb stehen, drehte sich um und musterte Martin indigniert. Klar, üblicherweise reagierten seine Besucher sicherlich mit deutlich mehr Enthusiasmus auf seine Darbietung.

Martins Gesicht rötete sich etwas. „Entschuldigung, aber ich bin nur auf der Durchreise und suche eine Unterkunft. Ich fahre schon seit einer gefühlten Ewigkeit durch die Gegend und hätte einfach nur gerne ein Bett zum Schlafen. Kennen Sie zufällig ein Hotel in der Gegend?”

Der beleidigte Gesichtsausdruck wich einem Stirnrunzeln, das wiederum einem breiten Lächeln Platz machte. „Eine Herberge? Oh, da hatte ich Euer Anliegen total missverstanden. Und Ihr seid auf der Durchreise?” Interessiert kam das Männchen ein paar Schritte näher. “Entschuldigt meine Neugier, aber ist Euer Ziel noch weit entfernt von diesem Ort, an dem Ihr Euch jetzt befindet?”

„Na ja”, grübelte Martin laut, während er die seltsame Wortwahl des Ladenbesitzers in eine einfache Sprache umzusetzen versuchte. „Ich schätze, irgendwas zwischen zweihundert und dreihundert Kilometer habe ich schon noch vor mir.”

Unvermittelt machte der fein Gekleidete einen Sprung in die Höhe und rief: “Potzblitz!” Als er den überraschten Gesichtsausdruck seines Gegenübers bemerkte, strich er seinen Gehrock glatt und sagte wieder mit der wohlklingenden Butlerstimme: „Dann solltet Ihr unbedingt Eurem inneren Begehren nachgehen und vorher eine Rast einlegen. Ich habe da genau das richtige Etablissement für Euch. Ich suche Euch die Informationen schnell heraus.”

Damit eilte das kleine Männchen einen langen Gang entlang, verschwand hinter einer Tür und werkelte an etwas herum, das Martin nicht sehen konnte. Es klang groß und wuchtig und nach Metall. Kurz darauf tauchte der Ladenbesitzer wieder auf, in der linken Hand ein zusammengerolltes Stück Pergament, in der rechten ein in edles Leder gebundenes Buch. Die Linke zuckte zuerst nach vorne.

„Ich habe Euch die Informationen schnell aufgeschrieben. Ihr könnt den Weg gar nicht verfehlen.”

Danach die andere Hand. „Und als Erinnerung an Euren Besuch in meinem bescheidenen Etablissement habe ich hier einen Band mit ein paar wunderlichen, aber wahren Tiergeschichten für Euch. Es sind Anekdoten, die meine Kollegen aus den anderen Filialen zusammengetragen haben.“

Verblüfft über so viel Freundlichkeit nahm Martin den Band entgegen. „Wundersame Haustiere und wie man sie überlebt” lautete der Titel. Soso, wahre Tiergeschichten … Der Kleinwüchsige spielte seine Rolle wirklich perfekt. Und das war wahrscheinlich das edelste Werbegeschenk, das Martin jemals erhalten würde. Es passte zu dem ganzen Aufzug des Ladenbesitzers. Eigentlich eine nette Idee und mal was anderes als all der billige und meist unnütze Schnickschnack. Also bedankte er sich höflich und ging wieder hinaus zu seinem Wagen. Sollte er unter stressfreieren Umständen mal wieder zufällig in diese Gegend kommen, würde er sich Yollas Haus der Tiere gerne anschauen.

Martin grinste, während er das Stück Pergament entrollte und die großen, geschwungenen Buchstaben las. Diese gesamte Inszenierung ließ nichts zu wünschen übrig. Zudem war die Beschreibung wirklich gut und nach weiteren fünf Minuten hatte Martin das kleine Bed & Breakfast gefunden, in dem er die Nacht verbringen konnte.

Allerdings hatte Martin ein Problem: Er war nicht mehr müde. Stattdessen kam er sich vor, als hätte er sich mehrere Tassen mit starkem Kaffee hintereinander gegönnt. Er spürte förmlich, wie sein Herz mit voller Kraft schlug und damit jeden Versuch, zu schlafen, zunichtemachte. Und auch das Fernsehprogramm sowie die damit verbundene Dauerwerbung nervten ihn zu sehr und machten ihn eher wütend als schläfrig.

Also griff er nach dem Buch, das er erhalten hatte. Das könnte eine geeignete Einschlafhilfe sein. Er strich kurz über den Einband, lächelte erneut über den seltsamen Titel der ach so wahren Tiergeschichten, schlug es auf und begann dann zu lesen:

Gerd Scherm

1950 in Fürth geboren, Schriftsteller und bildender Künstler. Er lebt seit 1996 in einem alten Fachwerkgehöft in Binzwangen auf der Frankenhöhe. Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in mehr als 30 Ländern. Sein literarisches Schaffen umfasst Gedichte, Erzählungen, experimentelle Texte, Satiren, Essays, Romane, Dramen und Texte für Musik.

Scherm wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit zwei Stipendien des Auswärtigen Amtes, dem Wolfram-von-Eschenbach-Förderpreis, dem Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, dem Deutschen Phantastik Preis und zuletzt 2020 mit dem internationalen Gregor Calendar Award of Excellence.

Der Traumbeutler

Von Gerd Scherm

Sundance, der natürlich nicht so heißt, Manolito, der wirklich so heißt, und ich, der sich Cassidy nennt, hatten einen Job für den Sommer gefunden: Die Betreuung eines Bungalows am Strand von Santa Barbara in Kalifornien. Sollten wir das zur Zufriedenheit des Besitzers machen, so versprach er, gäbe er uns die Chance, in der nächsten Saison alle seine 20 Bungalows zu managen. Doch er erwartete von uns nicht nur einen Rund-um-die-Uhr-Service für seine Gäste, sondern auch ausgefallene Ideen, den Aufenthalt besonders angenehm und einzigartig zu gestalten. Denn sein Publikum sei anspruchsvoll und exzentrisch, Vorschläge wie Grillpartys oder freizügiger Eskortservice würden zu unserem sofortigen Rausschmiss führen.

So kam Sundance auf die Idee mit den Haustieren. Leute, die hier Urlaub machen, leisten sich als einziges „Bio-Spielzeug“ höchstens einen Chihuahua, der nur zum Fotoshooting und zum Pinkeln seine Taschenbehausung von Louis Vuitton verlässt. Zu allem anderen fehlen den Urlaubern die Zeit, die Lust und das Interesse. Es musste also schon etwas ganz Besonderes, etwas extrem Besonderes sein, um den Urlaub hier unauslöschlich ins Gedächtnis der Gäste zu brennen. Etwas, dass sie quasi süchtig macht, immer wieder hierher zurückzukommen und in einem der Bungalows unseres Auftraggebers zu wohnen.

Bei uns dreien gilt, wer einen Vorschlag macht, der muss ihn auch umsetzen. Also zog Sundance los, um in einer Zoohandlung geeignetes Material zu finden.

Viele unterschätzen unseren Freund Sundance, denken er sei einfältig und nicht besonders clever. Dabei folgt er nur seiner inneren, sehr geradlinigen Logik, die den meisten Menschen fremd ist. Seine Art zu denken ist, wenn wir besondere Haustiere suchen, dann müssen wir dahin, wo solche am wahrscheinlichsten angeboten werden. Deshalb ging er schnurstracks in den Laden ZOOSP – Zoo Sensational Pets nördlich des Golfclubs nahe der Küste.

Sundance war überrascht, denn von außen hatte der Laden gar nicht so groß ausgesehen. Er hatte Regale mit Futter, Pflegemitteln und Käfigen und Aquarien erwartet, doch vor ihm erstreckte sich ein riesiges Areal. Das war viel mehr als ein Shop, das war wirklich ein Zoo! Gehege reihte sich an Gehege, manche mit Absperrbändern, manche mit Gitterstäben, manche mit Sicherheitsglas. Das war kein Geschäft für niedliche Haustiere, das war ein Panoptikum mit allem, was kreucht und fleucht und läuft und schwimmt.

„Wonach steht dir der Sinn?“, riss ihn eine Stimme aus seinen Betrachtungen. Neben ihm stand ein freundlich lächelnder junger Mann, der laut Namensschild ZOOSP-Berater war und Mike hieß. Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er eine überschwängliche Geste mit beiden Armen und forderte Sundance auf, ihm zu folgen. Was der sah, ließ ihn staunen. Als eifriger Fantasy-Leser kannte er von Illustrationen und Geschichten das Aussehen und die Namen einer Menge mythischer Tiere – Greif, Einhorn, Drache, Basilisk, Chimäre, Zentaur, selbst Zerberus und Hydra waren ihm vertraut. All das war hier und noch vieles mehr. Das sprengte alles, was ihm bisher an fantastischen, magischen, mythischen Wesen in Literatur, Comics und Film je begegnet war.

Er wandte sich an den Verkäufer und sagte leise, als hätte er Angst, die Monster könnten beleidigt sein: „Sehr beeindruckend. Doch ich suche etwas Kleines, Kuscheliges. Das Tier sollte familientauglich sein, anschmiegsam, vor allem auch für Kinder geeignet.“

„Ich verstehe“, erwiderte Mike. „Da haben wir doch gerade etwas ganz Bezauberndes hereinbekommen. Du wirst es mögen.“ Der Verkäufer deutete auf ein kleines Gehege hinter Sundance, der sich sicher war, dass es vor einigen Sekunden noch nicht dort war. Den Bereich trennte nur ein niedriger Holzzaun vom Rest des Ladens, es war also ungefährlich, beruhigte sich Sundance. Darin lag ein Tier, flach, platt wie eine Flunder oder ein Rochen und von der Größe eines zu klein geratenen Gästehandtuchs.

„Was soll das sein? Ist das überhaupt etwas Lebendiges?“

„Durchaus, du wirst überrascht sein. Es ist das anschmiegsamste Wesen, das ich je gesehen habe. Und ich habe wirklich viele gesehen“, fügte er hinzu und machte eine vielsagende Geste, die den ganzen Raum hinter ihm mit all seinen Monstern umfasste. Er hob das Tier hoch und zeigte die Unterseite. Sundance war überrascht. Er sah ein süßes Babygesicht, das ihn an einen Delphin erinnerte. Darunter zeichnete sich schwach ein kleiner Körper ab, nicht größer als der Kopf. Außerdem hatte das Tier zwei dicke Beinchen. Es entsprach absolut dem Kindchen-Schema.

„Ich habe keine Ahnung, wo das Tier herkommt“, sagte der Verkäufer. „Die einen sagen aus der Nähe von Ayers Rock, die anderen aus irgendeinem Chemielabor in China.“

„Das heißt Uluru“, verbesserte Sundance.

„Du weißt, wie das Chemielabor heißt?“

„Nein, ich habe keine Ahnung von dem Labor. Aber der heilige Berg in Australien wird jetzt in der Sprache der Aborigines Uluru genannt. Aus Respekt vor den Ureinwohnern.“

„Ach so. Aber ist eh egal. Wichtig sind die Tiere. Fass den Kleinen mal an, streichle ihn!“

Sundance tat es und spürte sofort eine beruhigende Wirkung. Je länger er das kleine Etwas streichelte, desto wohler fühlte er sich. Es tat ihm gut, so gut. Am liebsten hätte er nie mehr mit dem Streicheln aufgehört.

„Willst du es kaufen?“, riss ihn die Stimme des Verkäufers aus seinem Tagtraum.

Der Rücksturz in die Realität war ein kurzer Schock, doch dann war Sundance wieder völlig klar.

„Was soll das Schätzchen kosten?“

„Wie wäre es mit hundert Bucks?“

„Nein. Das ist viel zu viel für so wenig Tier.“

„Okay, gib mir achtzig und es gehört dir.“

„Das kann ich mir nicht leisten. Da kann ich meiner Kleinen leider nur ein Plüschtier kaufen.“

„Es ist für dein Kind?“

„Ja, sie hat morgen ihren zweiten Geburtstag und ich wollte ihr etwas ganz Besonderes schenken. Dieses süße Tierlein wäre optimal.“

„Hm. Wie viel kannst du ausgeben?“

„Zwanzig.“

„Mein Chef tritt mich in den Hintern. Aber du scheinst ein netter Kerl zu sein. Gib mir dreißig und du kannst es mitnehmen.“

„Okay. Abgemacht. Wie nennt man diese Tiere eigentlich?“

„In den Papieren steht ‚Papatahi‘, aber frag mich nicht, was das bedeutet.“

Sundance grinste. „Da ich der Papa bin, nenne ich das kleine Wesen Tahi.“

Als er beim Bungalow ankam, grinste er immer noch. Der Vatertrick hatte ihm eine Menge Geld gespart.

„Dieses Tier ist besser als jeder Happymaker! Wahnsinn!“, rief Manolito begeistert.

„Genau, es ist wirklich verrückt. Man sagt ja, dass Hunde und Katzen streicheln beruhigt, aber hier läuft viel mehr“, pflichtete ich ihm bei. „Mann, fühle ich mich gut, ach was, sauwohl. Alles ist so easy.“

„Wir könnten das Tier doch stundenweise gegen Geld vermieten“, schlug Sundance vor.

„Nein, nein! Dieses Tierlein ist unsere Eintrittskarte für den Superjob. Wir werden nächstes Jahr 20 Bungalows managen und unheimlich viel Kohle abräumen. Zu all unserem Gehalt kommt bestimmt eine Menge Trinkgeld von den Besuchern. Wenn die das erleben, gehen ihnen die Herzen und Geldbeutel auf“, prophezeite ich.

„Lasst uns den Boss anrufen und ihm die frohe Botschaft verkünden.“

Während des Telefonats ruhte meine rechte Hand ständig auf dem Tier und das gab mir das Gefühl, dass nichts schiefgehen konnte. Ich erzählte dem Boss, dass wir etwas ganz Tolles für die Gäste gefunden haben, ein absolutes Wohlfühl-Tier. Er war neugierig, aber wie immer misstrauisch. „Klingt gut. Ich schicke morgen meine Assistentin Jane vorbei, die soll sich das mal ansehen.“ Und schon war das Gespräch beendet. Verheiratete Firmeninhaber haben wohl immer eine Assistentin, zu der sie sehr viel Vertrauen haben, sogar in geschäftlichen Dingen.

Am nächsten Tag, so gegen Mittag, ertönte ein lautes Hupen vor dem Bungalow.

Sundance, Manolito und ich stürmten aus dem Haus. Bisher kannten wir Jane nur vom Hörensagen und wir waren gespannt, wie sie aussieht. Und was soll ich sagen? Vor uns sahen wir eine Inszenierung, ein Arrangement aus den Glanzzeiten Hollywoods: Eine blonde, fantastisch gutaussehende junge Frau in Weiß, umrahmt von einem roten Austin Healey Cabrio Oldtimer aus den frühen 1960ern – ein filmreifer Auftritt, Marilyn Monroe ließ grüßen.

Nachdem sie uns einige Sekunden schweigend gemustert hatte, sagte sie: „Hi Boys! Ich bin Jane.“

Wir rannten alle drei gleichzeitig los. Es war sicher der kürzeste Wettlauf aller Zeiten und dennoch gewann Manolito mit merklichem Vorsprung. Er errang unangefochten den Siegespreis und durfte die ausgestreckte Hand freudig ganz sanft drücken. Nach einer gefühlten Ewigkeit durften auch wir Jane begrüßen und ich bat sie ins Haus. Dadurch lag der Vorteil nun bei mir. Aber nur kurz, denn nun übernahm Sundance, der das Tier ja besorgt hatte. Zähneknirschend überließen wir ihm den Vortritt.

„Das ist das Kuscheltier des Jahres!“, begann er euphorisch. „So etwas hat die Welt noch nicht gesehen, nicht einmal im Fernsehen.“

Jane betrachtete das leicht pelzige, flache Etwas skeptisch, räusperte sich und meinte schließlich: „Besonders attraktiv wirkt es aber nicht. Zumindest nicht auf den ersten Blick.“

Ich bewunderte sie für ihre Zurückhaltung. Im Prinzip hatte sie ja recht. Unser Tier sah auf den ersten Blick aus wie ein liegengebliebenes Gästehandtuch. Doch Sundance ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „Setz dich in den Sessel, Jane“, forderte er sie auf. Dann legte er ihr das Papatahi auf den Schoss. „Leg deine Hände auf das Tier und schließ die Augen. Entspann dich!“

Ich konnte ahnen, was nun mit Jane geschah. Und ich sah in ihrem Gesicht, dass es gut war.

„Wir sollten sie in Ruhe lassen und nicht stören“, sagte Manolito und wir verließen den Raum.

Jane war irritiert. So putzig, wie sie erwartet hatte, sah das Tier nicht aus. Eher nichtssagend, unauffällig, unscheinbar. Doch die Berührung mit dem zarten Fell empfand sie als überaus angenehm. Fast automatisch begann sie das kleine Wesen zu streicheln. Wohlbefinden durchströmte ihren Körper und ihr Geist entspannte sich. Ihre Gedanken entfernten sich aus ihrer eigenen Welt, jener Welt, die am Jetset und an der High Society schnupperte. Immer knapp davor und doch stets Lichtjahre davon entfernt. Im Gegensatz zu ihrem Sugar Daddy Billy the Boss war jene Welt nicht ihr Ziel.

Billys Gesicht in ihrem Geist wurde mehr und mehr von Ornamenten in allen Regenbogenfarben überlagert. Sterne streuten sich darüber, ab und zu flitzte ein Komet vorbei, Jane fühlte sich gut. Sie bemerkte nicht, dass das Tier durch ihre Zuwendung immer größer wurde, zu einer Art Decke wuchs, die sich um sie schmiegte. Alles, was sie bemerkte, war, dass es ihr so gut ging wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

Sundance kehrte als Erster in das Zimmer zurück, um ihre Einschätzung zu hören. Immerhin war sie es, die der Boss zur Besichtigung geschickt hatte. Von ihrem Urteil hing die Zukunft der drei Freunde ab.

Zu seiner Verblüffung war Jane nicht mehr da. Das konnte nicht sein. Das Zimmer lag direkt hinter dem großen Aufenthaltsraum, hatte nur diese eine Tür, durch die er es gerade betreten hatte. Jane konnte den Raum nicht unbemerkt verlassen haben. Angst stieg in Sundance auf und er rief die anderen.

Ich checkte das Fenster zum Garten, es war geschlossen und fest verriegelt. So konnte sie den Raum also nicht verlassen haben. Wir gingen nach draußen. Der rote Austin Healey Cabrio strahlte mit der Sonne um die Wette, Jane war also auf keinen Fall heimlich abgehauen.

Wir gingen in das Zimmer zurück, in dem sie sich zuletzt aufgehalten hatte. Plötzlich sagte Manolito: „Hey! Sagt mal, habt ihr nicht auch den Eindruck, dass das Tier ziemlich gewachsen ist?“

„Ja, genau“, sagte Sundance, „Das Tier ist größer geworden! Es ist schon fast so groß wie ein Bettlaken. Stellt euch vor, es vermehrt sich und die netten Kuscheldecken fressen dann alle Menschen.“

Das fand ich nun doch zu drastisch. „Wie kommst du darauf, dass das Tier sie gefressen hat? Das ist doch Unsinn!“

Was mich viel mehr umtrieb, war die Angst vor unserem Boss. Wie sollten wir ihm erklären, dass seine Freundin nur ein paar Meter von uns entfernt aus einem geschlossenen Zimmer verschwinden konnte? Wir wussten es ja selbst nicht. Ich musste herausfinden, was geschehen war.

Vorsichtig näherte ich mich dem Sessel, in dem Jane zuletzt gesessen war. Das Tier bedeckte inzwischen wie eine Tagesdecke das gesamte Möbel. Als ich es mit einer Hand berührte, stellten sich sofort wieder die angenehmen Gefühle ein, die ich bei der kleinen Version gespürt hatte. Vielleicht ernährte sich das Wesen von Zuneigung? Immerhin gibt es Pflanzen, die besser wachsen, wenn man freundlich mit ihnen spricht. Und dass sich Tiere wohler fühlen, wenn man sie gut behandelt, das weiß man seit Menschengedenken. Ich konnte nichts Negatives spüren, nur Wohlbefinden. War das eine Falle? So wie Insekten vom betörenden Duft fleischfressender Pflanzen angelockt werden? Ich beschloss, einen Selbstversuch zu machen. Langsam hob ich das Tier an einer Seite hoch und schlüpfte wie bei einer Decke teilweise darunter.

„Also entweder die beiden verarschen uns und sind gemeinsam abgehauen oder …“

„Oder was?“, fragte Manolito.

„Oder das Vieh hat die beiden gefressen.“

„Wie gefressen?“, argwöhnte Sundance. „Du meinst, einfach so, mit Haut und Haar und allen Knochen?“

„Was bleibt denn für eine andere Möglichkeit?“

„Das ist krass!“, rief Sundance. „Und mir hat er das Monster als Kuscheltier für meine kleine Tochter verkauft.“

„Du hast eine Tochter?“, fragte Manolito erstaunt. „Das wusste ich noch gar nicht.“

„Nein, ich hab keine Tochter. Das war nur mein Trick, um das Vieh billiger zu bekommen. Verdammt noch mal, ich will meine dreißig Dollar zurück!“

„Ich denke, wir haben ein größeres Problem als deine dreißig Bucks. Stell dir vor, das Vieh ist irgend so ein Alien! Ich bin mir zu Hundert Pro sicher, dass es nicht von dieser Welt stammt. Vielleicht ist es ein einzelner Forscher, der die Erde erkundet und die anderen kommen noch. Oder …“ Manolito brach seinen Satz ab.

„Was oder?“

„Oder die anderen müssen gar nicht kommen. Ein Monster reicht für die Invasion. Es hat Nahrung gefunden, die ihm schmeckt, es ist größer geworden und jetzt kann es sich vermehren. So könnte es doch sein, oder meinst du nicht?“

Sundance schüttelte den Kopf. „Wie soll sich das Ding denn vermehren, es hat doch niemanden zum Vö…?“

„Ich sage nur: Sex-Kannibalismus! Ich habe darüber eine Doku im TV gesehen. Das Vieh hier ist doch erst gewachsen, als es in Kontakt mit einer Frau kam. Vielleicht ist das seine Art von Schwangerschaft“, erwiderte Manolito.

„Du meinst, das Ding vermehrt sich durch den sexuellen Kontakt mit Menschen und dann frisst es sie auf?“

„Genau! So denke ich mir das.“

„Weißt Du, wovor ich mich im Moment am meisten fürchte, Manolito?“

„Dass dem Biest lange Beine wachsen, es uns jagt und frisst?“

„Nein. Am meisten habe ich Angst davor, dass der Boss hier auftaucht. Er wird denken, Cassidy sei mit Jane abgehauen und dann wird er sich an uns rächen.“

Beim letzten Wort fuhr er mit dem Daumen über seine Kehle.

„Wir sind geliefert“, jammerte Sundance. „Was auch immer passiert ist, wir sind im Arsch, wenn wir nicht schleunigst die Fliege machen! Und zwar subito, bevor uns das Monster oder der Boss erwischt.“

Manolito nickte nur und die beiden begannen, alles an Lebensmitteln und Brauchbarem aus dem Bungalow zusammenzuraffen. Dann warfen sie alles samt ihrer Habseligkeiten in das Cabrio und flohen mit Janes Wagen.

„Du weißt schon, dass wir gerade einen Oldtimer geklaut haben?“, fragte Manolito.

„Klar weiß ich das! Na und? Das sind doch Peanuts. Wenn Du die Wahl hast, von einem Alien gefressen oder von einem amoklaufenden Boss erschossen zu werden, ist die Entscheidung einfach: Nimm das Auto und hau ab!“, antwortete Sundance und drückte das Gaspedal durch.

Ich erwachte. Mit geschlossenen Augen überprüfte ich meinen Körper, checkte die Beweglichkeit aller Gelenke vom Kiefer bis zu den Zehen. Alles schien in Ordnung zu sein. Mehr als in Ordnung, ich fühlte mich gut. Es war, als erwachte ich aus einem erholsamen Schlaf. Ich setzte mich auf, dann erst öffnete ich die Augen, – um sie gleich wieder zu schließen. Nach einigen tiefen Atemzügen wagte ich einen zweiten Blick und betrachtete die Landschaft. Ich war auf keinen Fall in Santa Barbara. Und auch nicht irgendwo anders in Kalifornien. Eigentlich durfte es solch eine Gegend gar nicht geben. Ich sah Bäume mit blauen Strahlen, ich sah in allen Farben schillernde Pfade, die kreuz und quer durch die Landschaft führten und ich sah in der Ferne einen Berg mit einer roten Aura.

„Auch schon aufgewacht?“, ertönte eine Stimme hinter mir.

Ich erschrak. Erst nach einigem Zögern drehte ich mich vorsichtig um – hinter mir stand Jane.

„Schön, dass ich nicht mehr alleine hier bin. Du hast sicher auch keine Ahnung, wo wir sind?“

„Nein, definitiv nicht.“

„Woher kommt eigentlich dieses Wohlfühl-Kuscheltier?“, wollte Jane wissen.

„Von ZOOSP – Zoo Sensational Pets in Santa Barbara, nicht weit von der Küste“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Ja, und die Milch kommt aus dem Tetra Pak und das Steak vom Metzger! Ich will wissen aus welcher Gegend, welchem Land, welchem was-auch-immer dieses Tier kommt!“

Ich weiß nicht, ob ich rot geworden bin, aber meine unüberlegte Antwort war mir im Nachhinein ziemlich peinlich. Laut sagte ich: „Sorry, das hatte ich vergessen. Sundance erzählte, dass es entweder aus einem Labor in China oder vom Uluru in Australien stammt. In den Einfuhrpapieren stand die Bezeichnung ‚Papatahi‘.“

„Na geht doch! Man muss Dich nur nerven.“ Jane lachte.

Ich mochte dieses Lachen.

„Für ein verunglücktes Gen-Experiment halte ich das Tier nicht. Dazu ist seine Ausstrahlung viel zu positiv“, sagte sie. „Und nachdem ich beim exzessiven Streicheln und Kraulen eine Bauchtasche gespürt habe, bin ich mir absolut sicher, dass es aus Australien stammt.“

„Okay, klingt logisch und überzeugend. Aber wo sind wir? Nach Australien sieht die Gegend hier nicht aus.“

Ich deutete mit einer ausladenden Geste auf die bizarre Landschaft, die uns umgab.

„Real ist anders“, stimmte Jane mir zu. „Das ist wie auf einem LSD-Trip. Oder als ob man einen halluzinogenen Pilz gegessen hat.“

Ich wagte nicht zu fragen, woher sie wusste, wie LSD- oder Pilzvisionen aussahen.

Als langjähriger Phantastik- und Science-Fiction-Leser schlug ich eine drogenunabhängige Version vor: „Entweder sind wir auf einem anderen Planeten oder in einer Parallelwelt.“

Jane nickte. „Du hast doch mehr Grips, als ich von einem Bungalow-Aufpasser erwartet habe“, sagte sie anerkennend.

„Aber …“, setzte ich an, aber sie unterbrach mich sofort.

„Das war nicht böse gemeint. Ein Scherz. Sicher hast Du mehr in der Birne und jeder hat mal eine schlechte Phase im Leben und muss miese Jobs bei miesen Typen wie Billy machen. Für mich ist meine Anwesenheit bei ihm auch nur temporär.“

„Jetzt bist du ihm ja quasi durch einen Notausgang entkommen.“ Wir lachten beide. Dann schlug ich vor, einem der bunten Pfade zu folgen.

Nach einer Weile sahen wir in einiger Entfernung eine aufrechte Gestalt. Mutig gingen wir weiter auf sie zu. Sie hob den Kopf in unsere Richtung, blieb aber ansonsten unbeweglich stehen. Als wir nahe genug waren, um Details zu erkennen, rief Jane: „Das ist ein Känguru!“

Bald erreichten wir das Tier.

„Ihr seht mich also als Känguru? Interessant!“

Ich sah Jane fragend an, sie schüttelte den Kopf, ich zuckte mit den Achseln und wir wandten uns wieder dem sprechenden Tier zu.

„Es ist so“, erklärte es, „Die meisten sehen mich als Regenbogenschlange. Andere als Waran und wieder andere, so wie ihr, als Känguru. Das liegt aber nicht an mir, sondern an euch. Hat irgendetwas mit dem archaischen Gehirn zu tun, sind wohl frühe Prägungen durch eure Ahnen.“

Bei Regenbogenschlange regte sich etwas in meinen Erinnerungen und ich fragte mutig das Tier: „Du meinst, wir sind in der Traumzeit der Aborigines?“

„Mit Meinung hat das nichts zu tun. Das ist Realität, aber nicht in dem Sinn, wie ihr Realität definiert. Und Traumzeit ist auch nicht das, was sich die Weißen darunter vorstellen. Mit dem Träumen hat das nichts zu tun, sondern mit allem, was existiert hat, existiert und existieren wird. Hier ist die Quelle für alles, was entsteht und das Archiv für alles, was vergeht.“

Das Känguru schien eingeschnappt zu sein. Aber das war wohl zu menschlich von mir interpretiert. Das Wesen fuhr fort: „Ihr seid auf einer Songline, auf einem Traumpfad zu mir gelangt. Allein die Tatsache, dass ihr hier seid, beweist, dass es wichtig ist. Für das Gefüge, für die Ahnenwesen, für die Künftigen. Und natürlich für euch.“

„Das klingt aber sehr groß für zwei kleine Menschlein wie uns beide“, wandte Jane leise ein.

„Keiner ist klein und keiner ist groß! Jede und jeder ist wichtig. Die Traumzeit ist der Entstehungsort von allem und alles kehrt hierher zurück, um die Energie für Neues zu werden. Jeder eurer Atemzüge ist hier aufgezeichnet. Und alles, was noch kommen wird, hat hier seinen Ursprung. Seht diese Landschaft! Sie träumt. Sie ist die Verkörperung der mystischen Wirklichkeit“, erwiderte das Känguru, das die meisten als Regenbogenschlange sehen.

„Aber wir entstammen einer ganz anderen Kultur. Das ist alles so fremd“, versuchte ich mich zu rechtfertigen.

„Die Traumzeit ist mit allem und jedem verbunden. Es gibt in ihr kein fremd. Was sich auf der Erde bewegt, was kreucht und fleucht, alles hat eine Verbindung hierher. Auch ihr beide. Ihr habt zwei Möglichkeiten: Die eine, ihr bleibt hier und findet heraus, warum ihr hier seid. Ihr hättet die Chance, das Prinzip zu erkennen und zu verstehen. Oder ihr geht zurück in das, was ihr Realität nennt. Ich habe die Macht, euch das Tor zu öffnen. Die Entscheidung liegt bei euch!“

Das Wesen schaute Jane und mir lange in die Augen.

Jane ergriff meine Hand. „Lass uns bleiben“, flüsterte sie.

Und ich sagte: „Ja, wir bleiben.“

Damaris McColgan

Damaris ist in einem kleinen Dorf nicht weit von den Alpen aufgewachsen, wo sich Zwerg und Heinzelmann gute Nacht sagen. Sie hat Psychologie und Germanistik studiert und für eine Studierendenzeitschrift geschrieben. Gegen Ende des Studiums hat sie einen Welshman geheiratet. Mit diesem ist sie nach England gezogen, wo sie später in einer Bibliothek gearbeitet hat. Sie schreibt auf Deutsch und Englisch und träumt davon, ein Kinderbuch zu veröffentlichen. Vor knapp einem Jahr hat sie eine Tochter bekommen, die gleich einem wundersamen Haustier alles fressen will und zwei magische Fähigkeiten besitzt: Teleportation und hypnotische Niedlichkeit.

Kuschel

Von Damaris McColgan

Es klingelt zweimal. Ich tippe meinen Satz kurz zu Ende, bevor ich zur Tür gehe. Merkwürdig, ich erwarte kein Paket.

„Hallo.“ Die Postbotin hält einen einzelnen Brief in der Hand. Über uns strahlt die Sonne mit dem Blau des Himmels um die Wette.

„Guten Tag.“ Ich strecke meine Hand aus, um den Brief entgegenzunehmen, aber sie macht keine Anstalten, ihn mir zu reichen. „Muss ich noch unterschreiben oder so?”

„Nein, nein, ich wollte nur mal sehen, wer hier eigentlich wohnt.“

Erstaunt blicke ich auf und sehe, wie sie mich unter getuschten Wimpern anlächelt. Was meint sie damit? Ich deute auf das Schild neben der Klingel. „Den Namen wissen Sie ja bereits.“

„Ja. Und ich bin Julia.“

„Freut mich.“

Einen kurzen Moment schweigen wir beide. Die Postbotin, Julia, schaut mich an, als wolle sie etwas von mir. Es ist absolut windstill hier draußen und der Straßenlärm erreicht uns ungebremst. Ohne viel Nachdenken verschränke ich die Arme und lehne mich gegen den Türrahmen.

„Es ist superheiß“, setzt Julia wieder an und beginnt sich mit meinem Brief Luft ins Gesicht zu fächeln. Dabei tänzeln einzelne Strähnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst haben, um ihre geröteten Wangen. Ihre Uniformmütze sitzt etwas schräg.

„Nicht anders zu erwarten, mitten im Sommer“, sage ich, weil ich gerade nichts Besseres zu sagen weiß.

„Könnte ich vielleicht ein Glas Wasser haben? Meine Lippen sind so trocken.“

Meine Augen wandern ohne mein Zutun zu ihren Lippen und mein eigener Mund wird plötzlich so trocken, dass ich denke, ich könnte wohl auch ein Glas mit kaltem Wasser gebrauchen.

„Sicher, kein Problem.“ Ich löse mich betont lässig vom Türrahmen und gehe in die Küche. Dass mir vorher die schmale Taille der Postbotin noch nie aufgefallen ist …

Als ich mit zwei Gläsern zurück in den Flur komme, sehe ich, dass sich meine neue Bekanntschaft bereits selbst hereingelassen hat. Mit einer fließenden Bewegung streift sie ihre Tasche von der Schulter. Ihre Finger gleiten zu den Knöpfen ihrer Uniformbluse und sie beginnt langsam, beinahe genüsslich, die Knöpfe zu öffnen.

„Ich glaube, ich nehme doch lieber ein kaltes Bad.“

Die Gläser rutschen mir fast aus den Händen. Nicht schon wieder!

„Halt! Stopp! Warte!“ Hastig stelle ich das Wasser auf der nächstbesten Oberfläche ab. „Ich helfe dir gleich!“

Mit drei großen Schritten bin ich bei ihr. Ich strecke meine Arme aus, als wolle ich sie bei den Schultern fassen, bewege sie dann blitzartig nach oben und reiße ihr die Mütze vom Kopf. Da ist er ja!

„Kuschel, du elendes Biest!“, rufe ich. Das Blut rauscht in meinen Ohren. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du das nicht machen darfst!“

Kuschel sieht alles andere als kuschelig aus, sondern eher wie eine Qualle; wenn Quallen ein breites Maul und darüber ein einzelnes Auge hätten. Seine feinen Tentakel lösen sich vom Kopf der Postbotin und diese sackt augenblicklich zusammen. Zum Glück habe ich damit gerechnet und fange sie auf. Kuschel nutzt seine Chance und schwabbelt durch die offene Haustür hinaus. Für eine Kreatur, die aussieht, als sollte sie in den Untiefen des Meeres leben, kommt er schnell vorwärts. Ich trage die Postbotin nach draußen und setze sie an die Wand gelehnt ab, um auch ihre Tasche und die Mütze zu holen.

„Sie werden sich in wenigen Minuten wieder richtig fit fühlen“, verspreche ich ihr. „Es hat keine ernsthaften Folgen.“ Ihre Augen sind immer noch von Benommenheit überschattet.

„Dieser Mistkerl!“, schimpfe ich laut und schaue mich nach Kuschel um. Wo hat er sich nun versteckt? Ich schiele in den Briefkasten, schüttle den Busch im Vorgarten. „Wenn ich dich kriege!“ Da, ein blauer Faden hängt aus dem Abfluss der Regenrinne!

Ich stecke meine Hand das Rohr hinauf, im Versuch, ihn zu erwischen, aber komme nur bis zum Ellbogen. Mit der anderen Hand hämmere ich gegen das Blech. „Komm raus, du mieses Vieh!“

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie die Postbotin ihre Dinge zusammenklaubt und Hals über Kopf davon sprintet. Daraufhin schlage ich mit noch mehr Nachdruck gegen das Rohr. „KUSCHEL!!“ Doch er weiß, dass er in Schwierigkeiten steckt.

Ich verschnaufe einen Moment. Dann stampfe ich immer leiser werdend, drücke mich neben der Rinne an die Wand und verhalte mich so ruhig wie möglich. Es dauert nicht lange, dann lugen ein paar fädige Tentakel hervor und bald darauf Kuschels Glubschauge. Er löst sich und plumpst auf den Boden. Meine Hand packt zu, bevor er merkt, was passiert.

„Wie oft habe ich dir schon eingebläut, dass du mir keine Menschen mehr bringen sollst?“ Er windet sich und schwabbelt unter meinem Griff. „Und schon gar keine Kinder oder hübsche Frauen! Kapierst du das denn nicht? Irgendwann bekomme ich wegen dir echt Probleme. Was, wenn jemand zur Polizei geht? Was, wenn die denken, dass ich ein Kidnapper bin?“

Kuschels Auge schaut immer noch überall hin, nur nicht zu mir. Seine Fadententakel zucken und kringeln sich, aber er tut mir nichts. Manchmal frage ich mich, ob ich immun gegen seine elektrischen Impulse bin. Wahrscheinlicher ist, dass er auf seine eigene Weise loyal ist. Obwohl er keine Hemmungen hat, mit den Gehirnen anderer zu spielen, hat er mir nie auch nur den kleinsten Schock verpasst. Ich seufze. Wer weiß, ob ich je wieder Post bekomme.

„So kann das nicht weitergehen.“ Ich erhebe mich, Kuschel noch immer fest in der Hand. Im Haus suche ich meine Schlüssel, den Geldbeutel und einen Plastiksack, den ich über Kuschel in meiner Hand stülpe. Mit dem Bus kann ich in einer Viertelstunde im Stadtzentrum sein.

Ich ernte einige verstohlene Blicke mit meiner Hand im Plastiksack, aber das ist mir lieber als etwaige Schreie. In der Altstadt steige ich aus und mache mich auf die Suche nach dem Eingang. Die Erinnerung daran ist verschwommener, als sie sein sollte. Unter den Alkoven sind all die malerischen, kleinen Kellergeschäfte; es muss eins von denen gewesen sein. Ich gehe die Straße auf und ab,