Wundersame Weihnacht – Im Bann des Nussknackers: Geschichten und Märchen zur Weihnachtszeit - Hans-Jürgen Raben - E-Book

Wundersame Weihnacht – Im Bann des Nussknackers: Geschichten und Märchen zur Weihnachtszeit E-Book

Raben Hans-Jürgen

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Beschreibung

Wenn sich das Jahr dem Ende nähert, es draußen zeitig dunkel wird, dann wissen alle – Weihnachten steht vor der Tür – und damit die Zeit der Märchen und Geschichten rund um das Weihnachtsfest, das Fest, das Kinderaugen zum Leuchten bringt, und selbst Erwachsene sich ein kleines Stück Kindheit zurückwünschen.
Dieser Band ist für die ganze Familie gedacht und soll helfen, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen und somit die Vorweihnachtszeit zu verschönern …


In diesem Buch sind folgende Geschichten und Märchen enthalten:
› Das Lied des Sterndeuters – von Lion Obra
› Der Weihnachtsmann und die vier Elfenstämme – von Kevin Gratzel
› Vom kleinen Franz – von René Deter
› Auf dem Weihnachtsmarkt – von Stefan Lochner
› Weihnachten am Nil – von Rainer Keip
› Das zweite Wunder – von Asmodina Tear
› Das vertauschte Weihnachtskind – von Victor Blüthgen
› Das Paket – von Anita Schmitz
› Das Wunder einer Weihnachtsnacht – von Karl Plepelits
› Als wir mit dem Herrn Baron Weihnachten feierten – von Wolfgang Bittner
› Zehn Herzschläge – von Lynda Lys
› Das Christkind kommt – von Hans-Jürgen Raben
› Die Weihnachtsfeder – von Antje Ippensen
› Weihnachtsmärchen – von Franz von Pocci
› Eine Tasse Liebe mit Zimt und Zucker – von Alea Raboi
› Im Bann des Nussknackers – von Stefan Lochner
› Die Sterntaler – von den Gebrüdern Grimm
› Weihnachtliches Wunder – von Angela Planert
› Lieber Onkel Weihnachtsmann! – von Corinna Kosche
› Modern Business – (k)ein Weihnachtsmärchen – Manuela P. Forst
› Donner und Blitz – von Hans-Jürgen Raben mit Marten Munsonius
› Kein Geschenk für den Weihnachtsmann – Tomos Forrest › Jerry – von Gabby T.
› Larissa und der Weihnachtsmann – von Ralf Oldenburg
› Ein Weihnachtsmärchen – von Heinrich Seidel
› Eine unappetitliche Weihnachtsgeschichte – von Walter Gödden

Bonus:
Eine kleine Auswahl schöner Gedichte zur Weihnachtszeit
Zitate und Sprüche zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel
Backrezepte für die Weihnachtsbäckerei

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Ähnliche


 

 

 

 

 

 

 

Wundersame

Weihnacht

 

Im Bann des Nussknackers 

 

 

Geschichten und Märchen zur Weihnachtszeit

 

Herausgegeben von Kerstin Peschel

 

 

 

Mit Geschichten und Märchen unter anderem von Lion Obra, Hans-Jürgen Raben, Kevin Gratzel, Wolfgang Bittner, Alea Raboi, Rainer Keip, Tomos Forrest, René Deter, Stefan Lochner, Asmodina Tear, Anita Schmitz,Karl Plepelits, Lynda Lys, Antje Ippensen, Angela Planert, Corinna Kosche, Manuela P. Forst, Gabby T., Ralf Oldenburg, Walter Gödden, Gebrüder Grimm … 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Author/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Kerstin Peschel nach Motiven, 2022

 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Das Lied des Sterndeuters 

Der Weihnachtsmann und die vier Elfenstämme 

Der junge Mann am Nordpol 

Die Prüfung des Weststammes 

Die Prüfung des Nordstammes 

Die Prüfung des Ostens 

Finale im Süden 

Vom kleinen Franz 

Auf dem Weihnachtsmarkt 

Weihnachten am Nil 

Das zweite Wunder 

Das vertauschte Weihnachtskind 

Das Paket 

Das Wunder einer Weihnachtsnacht 

Als wir mit dem Herrn Baron Weihnachten feierten 

Zehn Herzschläge 

Das Christkind kommt 

Die Weihnachtsfeder 

Weihnachtsmärchen 

Eine Tasse Liebe mit Zimt und Zucker 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

Im Bann des Nussknackers 

Die Sterntaler 

Weihnachtliches Wunder 

Lieber Onkel Weihnachtsmann! 

Modern Business – (k)ein Weihnachtsmärchen 

Donner und Blitz 

Kein Geschenk für den Weihnachtsmann 

Jerry 

Larissa und der Weihnachtsmann 

1 – Larissa 

2 – Alles, was im Regen anfängt 

3 – Der Geheimauftrag 

4 – Im weihnachtlichen Nachtexpress 

Ein Weihnachtsmärchen 

Eine unappetitliche Weihnachtsgeschichte 

Anhang 

Eine kleine Auswahl schöner Gedichte zur Weihnachtszeit 

Zitate und Sprüche zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel 

Backrezepte für die Weihnachtsbäckerei 

Folgende Weihnahtbände sind ebenfalls erhältlich: 

 

Das Buch

 

 

Wenn sich das Jahr dem Ende nähert, es draußen zeitig dunkel wird, dann wissen alle – Weihnachten steht vor der Tür – und damit die Zeit der Märchen und Geschichten rund um das Weihnachtsfest, das Fest, das Kinderaugen zum Leuchten bringt, und selbst Erwachsene sich ein kleines Stück Kindheit zurückwünschen.

Dieser Band ist für die ganze Familie gedacht und soll helfen, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen und somit die Vorweihnachtszeit zu verschönern …

 

 

***

 

 

In diesem Buch sind folgende Geschichten und Märchen enthalten:

 

› Das Lied des Sterndeuters – von Lion Obra

› Der Weihnachtsmann und die vier Elfenstämme – von Kevin Gratzel

› Vom kleinen Franz – von René Deter

› Auf dem Weihnachtsmarkt – von Stefan Lochner

› Weihnachten am Nil – von Rainer Keip

› Das zweite Wunder – von Asmodina Tear

› Das vertauschte Weihnachtskind – von Victor Blüthgen

› Das Paket – von Anita Schmitz

› Das Wunder einer Weihnachtsnacht – von Karl Plepelits

› Als wir mit dem Herrn Baron Weihnachten feierten – von Wolfgang Bittner

› Zehn Herzschläge – von Lynda Lys

› Das Christkind kommt – von Hans-Jürgen Raben

› Die Weihnachtsfeder – von Antje Ippensen

› Weihnachtsmärchen – von Franz von Pocci

› Eine Tasse Liebe mit Zimt und Zucker – von Alea Raboi

› Im Bann des Nussknackers – von Stefan Lochner

› Die Sterntaler – von den Gebrüdern Grimm

› Weihnachtliches Wunder – von Angela Planert

› Lieber Onkel Weihnachtsmann! – von Corinna Kosche

› Modern Business – (k)ein Weihnachtsmärchen – Manuela P. Forst

› Donner und Blitz – von Hans-Jürgen Raben mit Marten Munsonius 

› Kein Geschenk für den Weihnachtsmann – Tomos Forrest

› Jerry – von Gabby T.

› Larissa und der Weihnachtsmann – von Ralf Oldenburg

› Ein Weihnachtsmärchen – von Heinrich Seidel

› Eine unappetitliche Weihnachtsgeschichte – von Walter Gödden

 

 

Bonus:

Eine kleine Auswahl schöner Gedichte zur Weihnachtszeit

Zitate und Sprüche zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel

Backrezepte für die Weihnachtsbäckerei

 

 

***

 

 

Wundersame Weihnacht

– Im Bann des Nussknackers –

 

 

 

Das Lied des Sterndeuters

 

 

von Lion Obra

 

 

 

Müde vom Spiel, erschöpft vom Laufen, zufrieden mit der Ruhe saßen in der spätsommerlichen Sonne drei Jungen am Rande des Marktplatzes der Stadt und sahen dem bunten Treiben zu.

Ein dicker Bauer namens Walfred trieb seinen alten Esel, der einen quietschenden, windschiefen Karren zog, zur Eile an. Walfred hatte keinen Erfolg damit wie stets. Die Marktfrau Aldegund bot Eier und Käse an. Lautstark wie stets. Ein buckeliger Alter trippelte an den Jungen vorüber, verharrte plötzlich in der Bewegung, musterte sie neugierig, und setzte sich in ihre Nähe. Die Jungen raunten sich zu: »Schau, da ist der böse Zauberer, er soll die Tochter des Bürgermeisters verhext haben.«

»Ja, die hübsche Apollonia. Seitdem ist sie stumm. Und dabei hätte sie den Sohn des Herzogs heiraten sollen, aber der hat ja nun eine andere genommen.«

»Seht mal, wie böse der Alte uns anschaut. Ich sage euch, der führt etwas im Schilde.«

»So böse sieht der gar nicht aus«, meldete sich Salus, ein besonnen wirkender Blondschopf. »Ich werde ihn fragen, ob er eine trockene Feige kauen will.« Zum Entsetzen der anderen Kinder ging Salus zu dem Alten und bot ihm eine Feige an. Dieser nahm sie und kaute darauf herum. Als ihn der Alte nach seinem Namen fragte, erklang vom Tor her plötzlich lautes Hufgeklapper. Ein Bote ritt über den Marktplatz geradewegs zum Haus des Bürgermeisters.

Da fragte der Alte ein zweites Mal: »Wie heißt du?«

»Ich bin Salus.«

»Der Sohn des Hauptmanns?«

Salus nickte. Auf dem Markt wurde Geschrei laut. Die Leute deuteten aufgeregt zum Himmel, andere liefen verschreckt durcheinander. Jetzt erst bemerkte Salus, dass es unheimlich finster geworden war. Wolken wie vor einem heftigen Gewitter zogen heran. Er blickte nach oben: Die Sonne war schwarz geworden, nur noch ihr Rand strahlte. Salus wurde schwindelig, doch der Alte hielt ihn fest, nahm ihn in den Arm und sagte: »Hab’ keine Angst, Salus! Es ist gleich vorüber.«

»Woher weißt du das? Was hat das zu bedeuten?«

»Leid, Not, vielleicht unser aller Untergang.«

Da blickte Salus den Alten voller Furcht an. Doch trotz der beklemmenden Finsternis leuchteten die Augen des Alten. Sein Gesicht strahlte eine milde Güte aus, und Salus fasste Vertrauen: »Was können wir tun?«, fragte er.

»Nun hast du keine Angst mehr, nicht wahr? Besuch mich draußen im Bühl bei den Quellen. Dort werde ich dir mehr sagen.«

Da wurde es wieder hell, die Sonne wuchs schnell zu einer leuchtenden Sichel.

Dankbar und voller Freude hielt Salus sein Gesicht ihren wärmenden Strahlen entgegen. Als er sich wieder umblickte, war der Alte verschwunden.

 

*

 

In der Nacht tobte ein fürchterlicher Sturm, der die Getreideernte vernichtete. Der Morgen danach war trübe und wolkenverhangen. Zur vierten Stunde lief Salus’ Vater wie alle anderen Männer zum Rathaus. Salus blieb bei seiner kranken Mutter, die seit dem vergangenen Weihnachten bettlägerig war, und sah aus dem Fenster. Er hätte gerne etwas getan, geholfen, aber er war noch zu jung und hatte keine Stimme im Rat. Da erinnerte er sich an den Alten, der sagte, dass Leid und Not kommen würden. Seine Unruhe wuchs. Bald hielt er es zu Hause nicht mehr aus. Er machte sich auf, über die plattgewalzten Felder hinaus in den Bühl, und fand die Hütte des Alten, die dick mit Moos überwachsen zwischen großen Birken stand. Doch wagte er nicht zu klopfen. Unentschlossen stand er da. Was sollte er tun?

Da streckte der Alte seinen Kopf heraus und rief: »Salus! Ich wusste, dass du kommen würdest. Tritt ein!«

Der Alte sah gar nicht mehr so buckelig aus wie gestern, als er über den Marktplatz getrippelt war. Sein wacher Blick, die flinken Hände, inmitten der alten Bücher, staubigen Fläschchen und Instrumente – das machte auf Salus einen merkwürdigen Eindruck. Wer war der Alte? War er ein Heiler oder ein Gelehrter? Salus nahm seinen Mut zusammen und fragte: »Wer seid Ihr?«

»Nenn mich Oswin.« Der Alte nickte und murmelte vor sich hin: »Nun ist es also so weit.«

»Wusstet Ihr von der Finsternis und dem Sturm? Wisst Ihr auch, was noch alles kommen wird?«

Der Alte antwortete: »Ich weiß nur wenig. Was ich weiß, habe ich aus dem Buch der Weissagungen, das ich zuletzt bei meinem Lehrmeister gesehen habe. Damals war ich noch ein junger Mann. In dem Buch steht alles über die Finsternis, den Sturm, der unsere Ernte fraß, und großes Unheil, das kommen wird. Kälte, Krankheiten, wilde Horden und schließlich unsagbare Angst.« Der Alte barg das Gesicht in den Händen. Dann hob er die Augen zur Decke und sog scharf den Atem ein. »Sieben lange Tage. Sieben lange Tage werden wir erdulden. Doch das Ende können wir nicht ertragen, wenn uns nicht der Große Magier beisteht. Und du wirst ihn zu uns führen.« Der Ton seiner Stimme war unerbittlich.

Salus erschrak, als ihn der Alte so ansprach, und wich zurück: »Warum ich? Ich kenne diesen Magier nicht.«

Da entgegnete der Alte: »Ich habe auf dich gewartet, seit dem Tag deiner Geburt. Es erschien mitten im Nebel ein Regenbogen, der am Himmel stand, bis zum Abend. Dies war das Zeichen aus der Weissagung. Wie der Regenbogen den Himmel mit der Erde verbindet, so wirst du dem Großen Magier den Weg in unser Land zeigen. Du bist der Auserwählte. Deine Aufgabe ist es, den Großen Magier zu finden. Es gibt einen Hinweis, den dir das Buch der Weissagung gibt.«

Da hob der Alte seine Stimme und sang:

»… jenseits von Hitze und Eis, nicht diesseits von Blüte und Laub, liebt doch die Stille im Wind, der Spinne Netz zarten Hauch.«

Der Alte sank in sich zusammen, als hätte er sich völlig verausgabt.

Als er weitersprach, war es, als spräche er zu sich selbst. Seine Stimme war ein Flüstern: »Man sagt, das beziehe sich auf den oberen Gletscher, wo der Große Magier einst seine Wohnstatt genommen haben soll. Niemand hat ihn bisher finden können. Aber du bist der Auserwählte. Wenn du ihn nicht findest und zu uns führst, haben wir keine Hoffnung.«

Plötzlich erklang Hufgeklapper von draußen. Der Alte horchte auf.

Ein Wiehern und die Stimme eines Mannes drangen an ihre Ohren. Gleich darauf flog die Tür auf und Jaromir, einer der tapfersten Männer der Garde und das Idol aller Jungen der Stadt, betrat den Raum. Seine Miene war ernst. Er begrüßte den Alten, den er mit »Ehrwürdiger Oswin« ansprach, und forschte mit dunklen Augen in Salus’ Gesicht.

Salus, der ihm noch nie so nahegekommen war, blickte verlegen zu Boden.

Jaromir löste seinen Reiterumhang, ließ ihn zu Boden gleiten und kniete sich vor dem Jungen nieder: »Du bist der Auserwählte. Ich werde dich schützen. Das schwöre ich bei meinem Leben.«

Salus schien es, als taumele er in einen Traum hinein. Schnell sagte er: »Und wenn ich ihn nicht finde? Ich verstehe die Zeilen des Gedichtes nicht.«

»Wenn du ihn nicht findest, war es uns so bestimmt. Aber jetzt lass uns keine Zeit verlieren. Wir reiten in die Stadt, um warme Kleider für dich zu holen, dann brechen wir auf.«

»Aber was soll ich meinem Vater sagen? Er wird nie erlauben …«

Da unterbrach Oswin ihn: »Das lass nur meine Sorge sein.«

 

*

 

Oswin legte einen Zauber über die Stadt. Es war, als hätte er die Zeit angehalten. Die Straßen waren leer, als Jaromir mit Salus ankam, der hinter ihm auf dem Pferd saß.

Nicht nur Salus’ Mutter hatte fest geschlafen, auch die Bürger, die auf den Bänken vor ihren Häusern saßen, waren eingenickt. Und sogar der dicke Walfred hatte sich in den Eselskarren gelegt, um ein Schläfchen zu halten. So gelangten sie ungesehen zurück zum Bühl, wo Oswin sie bereits erwartete. Er war auf einen einfachen Wanderstab gestützt, doch hatte er nicht die Absicht, sie zu begleiten. Vielmehr sagte er: »Diesen Stab darfst du nicht verlieren. Es ist Cassians Stab. Er war einer unserer Helden aus alter Zeit. Du brauchst ihn, wenn du am Ziel bist. Viel Glück!« Oswin wollte sich abwenden, doch dann verharrte er mitten in der Bewegung. Er sah Salus in die Augen: »Hab’ keine Sorge deswegen, weil du noch so jung bist. Dem Auserwählten wird das Glück zur Seite stehen, wenn er nur den Glauben nie verliert und den Mut nie sinken lässt. Vor allem aber darfst du keine Angst haben.«

Salus nahm den Stab und fühlte das weiche und zugleich griffige Holz. Jaromir fragte: »Ist der Cölestin bereit?« Oswin deutete wortlos nach oben und Jaromir nickte.

»Ein Cölestin?«, fragte Salus.

»Wir brechen jetzt besser auf«, sagte Jaromir.

 

*

 

Jaromir zwang das Pferd zu einer schnellen Gangart, sodass Salus sich mit beiden Händen an ihm festhalten musste. Da er auf den Satteltaschen mit den Vorräten saß, konnte er Jaromir über die Schultern blicken. Als sie die Wegmarke Richtung Norden ins Bergland passiert hatten, bat Salus: »Erzähl mir von dem Großen Magier!«

»Ich habe das Buch, das von ihm berichtet, nie gesehen, doch Oswin weiß vieles auswendig. Vor allem das Gedicht müssen wir behalten: … jenseits von Hitze und Eis, nicht diesseits von Blüte und Laub, liebt doch die Stille im Wind, der Spinne Netz zarten Hauch. Das Buch ist uralt. Es wurde geschrieben, lange bevor Nisow, der böse Herrscher des Schluchtenlandes, zu einer Gefahr für uns wurde. Nisows Truppen lagern zur Stunde keine zwei Tagesmärsche vor der Stadt. Gestern hat ein Kundschafter die Nachricht gebracht.«

»Das ist ja …« Salus rang nach Worten. »Ich wusste nicht, dass Krieg droht.«

»Hat dir dein Vater von Nisow nichts erzählt? Er plant seit Langem unsere Vernichtung. Durch Oswin wissen wir jetzt, dass er Zauberkräfte besitzt. Dass die Plagen gerade vor seinem Angriff über uns kommen, ist gewiss kein Zufall. Er will die Herrschaft über unser fruchtbares Land, aber vor allem Oswins Vernichtung. Nisow ist sehr mächtig geworden, auch als Zauberer. Ohne den Großen Magier droht uns der Untergang.«

Inzwischen hatten sie das Bergland erreicht und Jaromir zügelte das Pferd. Vor ihnen wand sich ein steil ansteigender Pfad. »Wir müssen absteigen, bis wir den Pass erreichen, hier ist es zu steil und zu eng. Nimm deinen Stab.«

Jaromir führte das Pferd, Salus ging voraus. Der Pfad wand sich steil und schier endlos in immer höhere Höhen. Salus verwendete Cassians Stab als Stütze, dennoch schwindelte ihn, wenn er hinabblickte. Er stellte sich Nisow vor, der ein furchterregender Mann sein musste. »Was wird Nisow tun, wenn wir in seine Hände fallen?«

Bevor Jaromir etwas sagen konnte, wurde über ihnen plötzlich ein Grollen laut, das einen Steinschlag ankündigte. »Drück dich an die Felswand. Schnell!«, rief Jaromir, und schon polterten die Felsbrocken über sie hinweg. Das Pferd stand mitten in der Furt. Es stürzte hinab. Sein Wiehern erstarb, als es am Fuß des Pfades zerschmettert liegen blieb. Salus klammerte sich an den Fels, er konnte sich nicht rühren. Jaromir ergriff ihn schließlich an den Schultern. Er sagte nur: »Wir wurden verschont. Komm, lass uns weitergehen!«

Zögerlich setzte Salus den Aufstieg fort. Grübelnd fragte er sich, ob das Unglück ein Zufall sein konnte, und er bekam große Angst. Wenig später ging abermals ein Steinschlag nieder. Diesmal ein Stück hinter ihnen. Eine Menge Geröll versperrte jetzt den Weg.

»Voraus wäre schlimmer«, lachte Jaromir. Doch sein Lachen verging ihm, als ein gewaltiger schwarzer Bär hinter einem Felsen hervorkam, und sich zu doppelter Mannshöhe aufrichtete. Sein Brüllen war tief und kehlig. Als er auf allen Vieren auf sie zukam, presste Salus sich wieder an die Felswand.

Jaromir zog sein Schwert, stellte sich mitten auf den Pfad und vertrat dem Bären den Weg. Als dieser sich vor ihm hoch aufrichtete, schlug er auf ihn ein. Der Bär war so groß, dass Jaromir wie ein Zwerg aussah. Obwohl das Schwert wirbelnd sein Ziel fand, schien es dem Bären keine Wunden zu schlagen. Da traf die gewaltige Pranke Jaromir an der Schulter, und riss ihn von den Füßen.

Das Schwert entglitt Jaromirs Händen und fiel Salus vor die Füße. Aber Salus war wie gelähmt. Er vermochte nicht es aufzuheben. Atemlos starrte er in den Rachen des Bären, der langsam immer näher rückte und Salus’ Gesichtsfeld ganz ausfüllte. Er sah nur noch den Rachen und die grauenhaften Zähne des Untiers. Als der Bär eine Stocklänge entfernt war, und ihm der heiße, stinkende Atem ins Gesicht schlug, stieß er in einem letzten, verzweifelten Reflex seinen Wanderstab in Richtung des Bären. Aber der Stab glitt durch den Bären hindurch wie durch Luft.

Darauf knallte ein Blitz und der Bär war verschwunden. Eine dünne, violette Rauchfahne stand über ihnen in der Luft.

Jaromir wankte. Er kam unsicheren Schrittes auf ihn zu, die Schulter zum Hals gezogen: »Ohne den Cölestin wäre es um uns geschehen gewesen.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Salus. Seine Stimme zitterte. Der Schrecken steckte ihm noch in den Gliedern.

»Der Bär war Zauberei, ein Trugbild, aber ein sehr gefährliches. Der Cölestin muss bemerkt haben, dass es sich um Zauberei handelte, und wirkte einen Gegenzauber.«

»Cassians Stab ging durch ihn hindurch.«

»Ah. Dann hat der Stab den Zauber entlarvt. Pass gut auf den Stab auf. Ich wusste nicht, welche Eigenschaften er besitzt.«

»Ist der Cölestin dort in der Rauchfahne?«

»Gewissermaßen. Ihn selbst siehst du nicht, weil er ein Geisthelfer ist.«

»Und er kämpft für uns?«

»Ja. Die Rauchfahne zeigt an, ob ein Cölestin in der Nähe ist. Dieser hier begleitet uns.« Jaromir schnupperte in die Luft. »Riech mal! Wie glühendes Harz, wie Weihrauch. Ein weiteres Zeichen für seine Anwesenheit. Aber jetzt weiter, bis zu Gaudenz’ Hütte haben wir nichts zu essen und zu trinken.«

 

*

 

Ohne das Pferd geriet der weitere Weg zu einer Quälerei, zumal die Luft auf dem Passweg dünn und eiskalt war.

Aber Salus fasste neuen Mut. Hinter sich hatte er die kräftige Gestalt Jaromirs im Augenwinkel, und wenn er den Kopf ein wenig nach oben wandte, erkannte er eine feine Rauchfahne, die vor ihnen herwehte.

Müde und hungrig aber ohne weitere Überraschungen erreichten sie Gaudenz’ Hütte. Die Anspannung wich von Jaromir, als er den Freund herzlich umarmte. Nachdem Gaudenz Jaromirs Schulter behandelt hatte, bat er sie zu Tisch: »Dank Oswins Vorsorge kann ich euch heute ein wenig mehr vorsetzen als das übliche Mahl der Wanderer.«

Als Vorspeise reichte Gaudenz Wachteleier in süßem Senf, dazu starken Wein. Dann servierte er Hirschbraten mit Kastanien und Preiselbeeren. Spätestens jetzt wurde den beiden klar, was Gaudenz mit Oswins Vorsorge gemeint hatte. Als Nachtisch gab es geraspelten Ingwer in wildem Honig auf Waldbeeren.

Durch solch ein Mahl gesättigt, fielen sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf. Als sie sich am nächsten Morgen verabschiedet hatten, und schon ein Stück gegangen waren, bemerkten sie auf einmal Schritte hinter sich. Es war nur Gaudenz, der ihnen nachgelaufen war. Er rief: »Den Räucherschinken wollte ich noch zu eurem Proviant legen und habe ihn dann vergessen. So bringe ich ihn nach, auf dass er euch schmecke und kräftige!«

Beide freuten sich darüber, dass Gaudenz sie bis zur ersten Rast begleiten wollte. Offenbar hat es ihn gereut, dass er ihnen nicht gleich angeboten hatte, sie zu begleiten. War seine Angst so groß gewesen?

Aber jetzt war er da und so wurde der Marsch Richtung Norden mit Gaudenz als wegkundigem Führer fast zu einem vergnüglichen Ausflug, der sie den Ernst ihrer Situation vergessen ließ. Sicher führte Gaudenz sie über gefährliche Pfade und Grade, und ersparte ihnen durch viele Abkürzungen einen Teil des Weges. So kamen sie weit zügiger voran, als erwartet. Unversehens stolperte Salus, als er wieder einmal zu dem Cölestin aufgesehen hatte, über eine Wurzel und haltsuchend im Fallen die Arme von sich gestreckt, entglitt der Stab seinen Händen und flog gegen Gaudenz.

Da wurde klar, dass ein Dämon sich in die Gestalt des Freundes verwandelt hatte, um sie ins Verderben zu führen. Denn als der Stab den vermeintlichen Freund berührte, verlor er jede Ähnlichkeit mit einem Menschen, wurde schwarz wie Pech, zerfloss und verteilte sich zäh in einer stinkenden Pfütze auf dem Geröll, wo diese Scheußlichkeit langsam versickerte und schließlich ganz verschwand. Übrig blieben nur abgestorbene Büschel mageren Grases.

Salus und Jaromir sahen sich an. Das Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Mit dem Wesen war nicht nur der grässliche Schinken verschwunden, der ihnen sicher nicht gut bekommen wäre, sondern auch die Karten, die sie in Gaudenz’ Hütte eingepackt hatten. Nun wurde ihnen ihre Lage in all ihrer Bitternis bewusst: Nisow kannte jeden ihrer Schritte und hatte sie weitab vom richtigen Weg geführt, wo sie sich in fremdem Gelände und ohne Orientierung hilflos verlaufen hatten.

Salus verlor allen Mut. »Wer hat uns verraten?«, jammerte er.

»Ich glaube nicht, dass uns jemand verraten hat«, antwortete Jaromir. »Man sagt, Nisow könne mit den Steinen reden. Wann immer du also einen Stein berührst, wird sein Wissen über uns zunehmen.«

»Dann weiß er dauernd, wo wir sind und was wir tun.« Die Angst nahm Salus wieder in ihren erbarmungslosen Griff. Am liebsten hätte er sich in sich selbst verkrochen. Da kam Jaromir auf ihn zu und legte ihm einen Arm um die Schultern: »Schau hinauf zur Rauchfahne, sie ist noch da. Noch sind wir nicht allein. Und durch Cassians Stab vermögen wir mehr, als es den Anschein hat. Und eines immerhin wissen wir. Die Richtung, in die wir bisher gingen, brauchen wir nicht mehr einzuschlagen. Ich denke, wir sollten versuchen, westlich aus dem Gebirgsstock herauszukommen.«

Doch Salus schüttelte den Kopf: »Der Cölestin weist aber Richtung Osten.«

»Das kannst du sehen? Ich erkenne zwar, dass die Rauchfahne über uns weht, aber mir scheint sie keinen Weg zu bevorzugen.«

»Wir sollten Richtung Osten gehen«, sagte Salus mit Bestimmtheit.

Jaromir blickte angestrengt zur Rauchfahne, und wirklich, sie schien ein Stück nach Osten zu wehen und gleich wieder innezuhalten, als wollte sie auf die beiden Wanderer warten. »Auch gut«, sagte Jaromir schließlich. »Aber nun weg von diesem grausigen Ort.«

Während sie nach Osten wanderten, bewegte sich die Rauchfahne stetig vor ihnen her. Doch die Angst ließ Salus nicht mehr los. Er befürchtete, jeden Augenblick einen neuen Angriff Nisows erwarten zu müssen.

Sie folgten einem kaum sichtbaren Pfad, der sie in immer höhere Lagen führte. Es wurde so kalt, dass die Feuchte ihres Atems im Gesicht gefror. Salus murmelte die Verse über den Großen Magier vor sich hin und fragte sich, ob wirklich der obere Gletscher gemeint war. Er blickte zur Rauchfahne. Diese folgte ihnen nun eher, als dass sie führte. Salus befiel eine panische Angst. Bestimmt würden sie erfrieren, wenn sie noch höher stiegen.

Er erinnerte sich an Oswins Rat, auf keinen Fall Angst zu haben und nie die Zuversicht zu verlieren. Doch jetzt verschwand auch noch die Sonne hinter fahlen Wolken und die Kälte kroch ihm eisig an den Beinen nach oben.

Schließlich blieb er stehen. Jaromir blickte ihn an, als wollte er fragen: »Was ist?«

Salus deutete voraus und sagte nur: »Tod.«

Jaromir verstand: »Wohin also? Zurück?«

Salus sah sich ratlos um. Einer Eingebung folgend, deutete er auf einen schmalen Einschnitt im Fels, der nach unten in gefährliche Steilabhänge führte. Sie traten an den Rand und blickten hinab. Etwa haushoch ging es fast senkrecht nach unten, dann öffnete sich die Spalte und fiel von da an sanft zu dem Tal hin ab. Jaromir nickte Salus zu und stieg als Erster. Salus folgte ihm keine Armeslänge entfernt.

Es war eine Qual. Sie mussten sich mit Füßen, Knien und Ellbogen jede Kante, jede Ritze nutzend nach unten arbeiten. Der Abstieg schien sich ewig hinzuziehen. Sie hatten noch nicht die Hälfte geschafft, als mit einem Schlag die Felsvorsprünge und Tritte, an die sie sich klammerten, glatt wurden, ihre Griffigkeit verloren und sich herauslösten. Die Felswand hatte sich, einem Befehl Nisows folgend, gegen sie verschworen. Salus rutschte ab, fiel auf Jaromir, der sich mit verzweifelter Anstrengung zu halten versuchte. Ohne Erfolg. Beide stürzten sie ab. Jaromir schlug hart auf. Der Stab entglitt Salus’ Händen, als er auf Jaromir krachte.

Mit Entsetzen sah Salus, wie Cassians Stab sich bewegte. Er wurde keine zwei Meter von ihm entfernt von unmerklichen Bewegungen des felsigen Untergrunds zu einer flachen Rinne im Stein befördert. Immer weiter von ihm weg. Salus warf sich heftig auf den Stab und umschloss mit seinen Fäusten das Holz so fest, dass niemand seine Faust hätte lösen können. Augenblicklich wurde er wieder ruhig. Er fühlte das Holz und gewann an Zuversicht.

Jaromir stöhnte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Hilf mir auf die Beine«, stöhnte er. Aber seine Kraft reichte nur zu einem halben Sitzen. »Wir müssen von den Felsen weg. Dort hinüber, wo die Bergkiefern wachsen.«

Salus reichte Jaromir seinen Stab. Er zog sich daran in die Höhe. Aufeinander gestützt schafften sie es bis zu dem dürren Gras zwischen den Bäumen. Dort ließ Jaromir sich zu Boden sinken. Er hustete und spuckte. Sein Auswurf war rot von Blut. Schließlich keuchte er: »Ich kann nicht weiter. Du musst allein gehen.«

»Ich werde dich nicht im Stich lassen. Nisow würde dich finden.«

Jaromir krächzte ein heiseres Lachen: »Auf mich hat er es nicht abgesehen. Hier, nimm meinen Dolch. Das Schwert könntest du doch nicht führen. Finde den Großen Magier, sonst war alles umsonst. Viel Glück.«

Das Gesicht zu einer bitteren Grimasse verzerrt, blieb Jaromir an einen verdorrten Baum gelehnt zurück, während Salus sich mehrmals umblickend talwärts wandte. Je tiefer er kam, desto wärmer wurde es. Er kam an einen kleinen Bach, der in der Mitte nicht mehr gefroren war und munter plätscherte. Salus roch in die Luft. Außer dem harzigen Weihrauchduft des Cölestin war da noch etwas anderes. Es war der Geruch von Frühling, von Blüten und Pollen, von frischem Grün.

Auf einmal war er wieder zuversichtlich. Seine Beine wurden leicht, sein Marsch flott, neuer Mut strömte ihm zu. Der Stab schien in seiner Hand zu strömen und zu pochen, als hätte er Herz und Adern. Auf einmal wanderten Salus’ Gedanken zu Oswins Versen, und da erkannte er ihren Sinn. Kein Gletscher war in den Versen beschrieben, auch kein Ort, wie man ihn auf Karten finden könnte. Es war eine Zeit gemeint, eine ganz bestimmte Zeit. Eine Zeit des Jahres.

Salus blieb stehen. Fast hätte er sich mit der flachen Hand auf die Stirn geklatscht. Es war so einfach. Im Sommer war er aufgebrochen und hatte seine Suche begonnen. Es war ein herbstlicher Sturm, der die Ernte vertilgte. In den Bergen herrschte der eisige Winter und hier nun der Frühling.

Doch überall dort war keine Spur von dem Großen Magier, wie in den Versen stand: …jenseits von Hitze und Eis, nicht diesseits von Blüte und Laub. Aber wo ist der Große Magier, wenn nicht in den vier Jahreszeiten? Etwa außerhalb des Jahres? Wie konnte das sein? Nun hatte das Gedicht aber zwei Teile: Liebt doch die Stille im Wind, der Spinne Netz zarten Hauch. Was hatte das zu bedeuten? Und was ist mit dieser Spinne? Da fielen ihm die Spinnweben ein, die manchmal im Altweibersommer durch die Lüfte wehten, getragen von einem stillen, fast unmerklichen Wind. In dieser Zeit des Übergangs, wenn der Sommer schon zu Ende, aber der Herbst noch nicht begonnen, wenn die Natur für ein paar Tage den Atem anhielt, die Sonne die Landschaft mit goldenem Licht übergoss, die Zeit still zu stehen schien … Das musste es sein! Diese Zeit ist weder Frühling, noch Sommer, weder Herbst, noch Winter. Also war der Große Magier außerhalb der Zeit.

Zuletzt war Salus an einem munter plätschernden Flüsslein hinauf in eine Schlucht hineingewandert, und stand nun an deren Ende, wo der Bach als Wasserfall herabgeschossen kam und die Felswand mit einem Vorhang aus Gischt und funkelnden Tropfen eines nie enden wollenden Sprühregens umgab.

Der Weg war hier zu Ende.

Salus blickte sich um. Nachdenklich stützte er sich auf seinen Stab. Da erschrak er. Der Stab veränderte sich unvermittelt. Zarte, winzige Knospen zwängten sich aus dem Holz, wurden größer, begannen zu grünen, öffneten sich und leuchteten in wundervollem, smaragdenem Grün. Da erkannte er, dass er seinem Ziel nicht mehr fern sein konnte.

Salus lachte. Er lachte wie einer, der seine Angst ein für alle Mal abgelegt hatte, wie einer, der den Sinn verstand, der begriffen hatte, der wusste, dass er es war, der Auserwählte.

Salus stieg in den Bach und trat ohne jedes Zögern unter den Wasserfall, der ihn dem reinigenden Bade gleich wusch, schlüpfte durch einen Spalt in der Felswand, der von dem Wasserfall verborgen gewesen war, zerstörte dabei mit leichter Hand ein feines Spinnennetz, und stand in einer Höhle, in der es stockfinster war.

Von Ferne hallten Schritte, ein funkelndes Licht näherte sich. Eine Gestalt kam auf ihn zu, mit Augen, die leuchteten wie Oswins, mit Gesichtszügen, die Reife und Stärke ausstrahlten.

Da erkannte Salus, dass die Gestalt kein Fremder war.

Derjenige, der da auf ihn zukam, spiegelte ihm seine eigenen innersten Züge wider, das Gute dessen, was er hatte werden müssen, indem er dies alles, was hinter ihm lag, durchlitten hatte. Dieser andere spiegelte ihm wider, was er immer schon werden sollte, wofür er auserwählt war nach uraltem Ratschluss. Die Gestalt war er selbst. Als er sich erkannt hatte, verschmolzen beide, wie ein Spiegelbild im Wasser mit dem verschmilzt, der in es eintaucht, der umfangen wird, eins wird, neu wird, … groß wird.

Dann schritt er dorthin, woher sein Spiegelbild gekommen war, und erreichte eine Halle tief im Inneren des Berges, deren Wände die Form eines Eies bildeten. Die Halle war kahl und leer bis auf eine Nische am anderen Ende in der Wand. Während Salus seine Schritte dorthin lenkte, der Raum sich vor ihm weitete, er die Halle mutig betrat, vollzog sich der Wandel seines Selbst. In der Mitte des Raumes, dort, wo sich die Echos von allen Seiten trafen, verklang sein von den Eltern gegebener Name, wurde zurückgegeben, hatte seine Aufgabe erfüllt, wurde ersetzt.

Vor der Nische angekommen, bückte sich dieser Neue und ergriff ein umwickeltes Bündel. Er löste die Bänder, die es hielten. Darinnen fand er einen langen, schwarzen Umhang, ein schneeweißes Untergewand und eine leichte, matt glänzende Leibrüstung.

Er legte sein Weggepäck und seine nassen Kleider in die Nische, zog das seidene Untergewand, anschließend die Rüstung an, warf sich den Umhang um die Schultern und zog sich die Kapuze übers Haupt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, entsprach er nun bis ins kleinste Detail seiner Bekleidung der Miniaturmalerei in dem alten Buch der Weissagungen bei den Versen, die ihm den Weg gewiesen hatten. Doch im Grunde war das alles für ihn ohne Bedeutung. Was brauchte der Wissende ein Buch, der Sehende ein Bild? Er hatte noch die letzte Stufe zu erklimmen, das Schwierigste zu tun, das Werk zu vollenden.

Von seinem Gepäck nahm er nur den Stab und eine leere Wasserflasche mit, die er am Wasserfall füllte. Danach schritt er den Weg zurück zu Jaromir.

 

*

 

Dieser lag benommen an den dürren Baum gelehnt in dem Gehölz. Ein Stoß der Stiefelspitze weckte ihn. Jaromir erschrak. Angesichts der verhüllten Gestalt brachte er kein Wort über die Lippen. Stumm nahm er die ihm gereichte Flasche, trank, ließ sich emporziehen an den Händen, stand, schwankte, fühlte voller Verwunderung seinen Leib, die zurückkehrende Kraft, starrte auf die Kapuze, wie sie zurückgezogen wurde, sah das vertraute und doch veränderte Gesicht, bemerkte ein Lächeln, wich scheu zurück, ließ sich in den Arm nehmen, wollte fragen, wissen, den alten Namen nennen, doch wunderte er sich stattdessen schweigend, stand da und wartete.

»Jaromir, du treuer Gefährte! Ich gebe dir den Dolch zurück. Reich mir jetzt dein Schwert für kurze Zeit. Ich will es führen. Du aber nimm meinen Stab, besteig dieses Pferd dort, das angebunden wartet, und reite in die Stadt! Ramme den Stab in der Mitte des Marktplatzes in die Erde, denn siehe, er will wachsen. Nimm auch dieses Trinkgefäß und gib davon der Frau, die meine Mutter war, zu trinken, auch der schönen Tochter des Bürgermeisters und allen Kranken. Ein neues Zeitalter wird anbrechen. Man wird künftig die Jahre von diesem Tag an zählen. Denn gekommen ist heute das Heil. Aber nun spute dich, es steht hart um die Stadt.«

 

*

 

Stunden später, als Jaromir in der Stadt anlangte, sah er, dass vor ihren Toren eine Schlacht getobt hatte. Viele Angreifer lagen in ihrem Blut. Von Weitem sah er eine Gestalt in einem schwarzen Umhang, die über einem geschlagenen, am Boden kauernden Nisow stand, das Schwert senkrecht zum Himmel gereckt. Blitze schienen von seiner Spitze auszugehen, um die verborgensten Winkel dieser Welt zu erhellen. Geister heulten in ihrer Hilflosigkeit, Dämonen in ihrer Schwäche, Teufel in ihrer Ohnmacht. Trockener, heißer Wind erhob sich, der den gewöhnlichen Menschen nur heiß ins Gesicht schlug, Nisow aber die Essenz seines Lebens raubte, das Böse ihm entriss, dem anderen verlieh, dem Sieger: Als zweite, andere Seite der Medaille ihn ganz machte, gebend zur Liebe nun den Hass, zum Leben den Tod, zum Guten das Böse. Nisow aber wurde versengt, zermalmt wie Papier in der Glut, als nutzloser Staub verweht.

Überall hallte Jubel wider. Die Menschen ließen den Großen Magier in ihrem Taumel der Begeisterung hochleben. Jaromir dirigierte sein Pferd durch die feiernde Menge und lenkte es zu dem Großen Magier, über dem sich ein strahlender Regenbogen wölbte. Jaromir stieg ab und kniete nieder.

Da erhob der Große Magier seine Stimme: »Der neue Primus der Garde soll nicht vor mir knien. Sein Schwert hat eine große Schlacht geschlagen. Hier erhältst du es zurück. Es wird dich und deine Garde zu hohen Ehren führen. Apollonia wird dir zur Gattin gegeben.«

»Was wird mit euch?«, fragte Jaromir.

»Für mich ist diese Welt, die die eure ist, zu eng geworden. Ich werde Dinge tun, die ihr nicht denken könnt. Tu mit dem Stab wie ich dir geheißen, und die Stadt wird im Schatten seiner Blätter erblühen, solange ihre Kinder unter ihm spielen. Leb’ wohl!«

»Wollt Ihr nicht Oswin Lebewohl sagen?«

»Auch Oswin ist vergangen, aber tröste dich, das Beste von ihm trage ich in mir.« Und auf seinem Gesicht, das faszinierend und schrecklich zugleich anzusehen war, stand der Glanz des Regenbogens, in dem seine Augen leuchteten in milder, freundlicher Güte. In der Tat war ein neues Zeitalter angebrochen, das man von diesem Tag an zählte, denn gekommen war das Heil.

 

 

ENDE

Der Weihnachtsmann und die vier Elfenstämme

 

von Kevin Gratzel

 

 

 

Der junge Mann am Nordpol

 

 

Ein Mann in einem roten Mantel und Hose, schwarzen Stiefeln und Handschuhe sowie einer roten Haube mit einem weißen Rand am unteren Ende stapfte durch den Schnee am Nordpol. Der Mann war recht schlank und hatte einen weißen Bart der sich kreisrund um Lippe und Kinn erstreckte. Es begann zu schneien und die Sonne ging langsam unter, bald würde die Nacht über den Nordpol hereinbrechen und die Temperaturen noch schneller sinken lassen. Zum Glück hatte der Reisende einen Unterschlupf am Nordpol sich erbaut und so beschloss er, zu diesem zurückzukehren. Als er aus der Ferne ein Haus mit einem rauchenden Schornstein sah, begann ein Rentier kreisend sich in die Lüfte zu erheben und verschwand am Himmel. Kaum, dass der Weihnachtsmann sich dem Haus näherte kam im Sturzflug das Rentier heruntergebraust und landete sanft im Schnee ein paar Meter vor dem Weihnachtsmann.

»Nicht schlecht, Rudolf. Du wirst immer besser.«, sagte er lächelnd.

Rudolf war noch ein recht junges Rentier, sein Geweih war noch nicht voll entwickelt, seine Beine waren noch recht kurz und sein Körper noch nicht ganz ausgewachsen. Er hatte ein schönes braunes Fell und eine ungewöhnliche rote Nase die in der Nacht leuchtete.

»Mit jedem Tag, der vergeht, werde ich schneller und besser, Weihnachtsmann. Hast du schon die Elfen gefunden?«

Der Weihnachtsmann senkte den Blick zu Boden und legte die Hände an seine Hüfte.

»Nein, noch nicht. Es gibt hier vier Elfenstämme und ich habe keinerlei Hinweise gefunden wo sie zu Hause sind. Wenn ich den braven Kindern und Erwachsenen dieser Welt Geschenke machen möchte, brauche ich deren Hilfe. Wir zwei können es nicht alleine schaffen mein lieber Rudolf.«, sagte der junge Weihnachtsmann niedergeschlagen.

»Wenn ich doch nur schon besser fliegen könnte! Dann könntest du auf mir reiten und wir würden die vier Elfenstämme im nu finden.«

»Mach dir keine Vorwürfe, Rudolf. Wir finden sie«, sagte der Weihnachtsmann voller Hoffnung.

Beide gingen sie zum Haus, wo der Weihnachtsmann aus seinem roten Sack der mit einer goldenen Schnur zugeschnürt war, ein paar Karotten herausholte und sie Rudolf als Abendessen übergab. Anschließend ging er hinein, während sein Begleiter sich draußen im Schnee wälzte und es sich gemütlich machte. Der Weihnachtsmann machte sich einen Kakao warm und zauberte eine Karte des Nordpols herbei. Trinkend studierte er die Karte und sah sich die Stellen, die mit einem X markiert waren, genau an. Je ein Elfenstamm befand sich im Süden, Norden, Osten und Westen des Nordpols. Aber der Nordpol war sehr groß und zu Fuß war es schwierig, schnell unterwegs zu sein.

Laut der Karte war der Weststamm, der ihnen am nächsten gelegene. Für den noch jungen Weihnachtsmann war klar, dass sie morgen gemeinsam weiterziehen werden, um den Weststamm zu finden. Egal ob das Wetter auf ihrer Seite sein würde oder nicht.

Das Feuer im Kamin prasselte vor sich hin und gab eine wohltuende Wärme ab. Das Haus, in dem sich der Weihnachtsmann eingerichtet hatte, war recht weihnachtlich geschmückt, überall hingen leuchtende Sterne an den Wänden, ein Mistelzweig zierte den Eingang, an den Fenstern waren schöne Papiersterne angebracht worden und neben dem Kamin stand ein großer Weihnachtsbaum, der mit den schönsten Kristallkugeln geschmückt wurde sowie einem goldenen Stern auf der Spitze des Baumes. Das Bett hatte ein weißes Laken, rote Polster und eine rote Decke. Da der Abend über sie hereinbrach und der Weihnachtsmann müde war, zog er sich die Stiefel aus, schlüpfte in einen roten Pyjama und legte sich zu Bett. Als er sich niederlegte, wurde das Feuer wie von Zauberhand schwächer und auch die Helligkeit schwand dahin, bis das Zimmer nur noch sehr schwach beleuchtet war. Kurz darauf hörte man nur noch den Weihnachtsmann schnarchen.

 

*

 

Am Morgen nachdem der junge Weihnachtsmann einen Kakao getrunken und dazu ein Plätzchen gegessen hatte, ließ er das Haus mit seiner Magie im Boden versinken. Dazu klatschte er zweimal in die Hände und richtete sie auf das Haus, kurz darauf leuchteten seine Hände und schon versank das Haus. Rudolf staunte über die magischen Künste des Weihnachtsmannes und war bereit, ihm zu folgen.

Sie gingen in Richtung Westen, da sie laut der Karte näher am westlichen Elfenstamm waren und sich schon bald erste Hinweise auf deren Aufenthalt versprachen. Doch ihre Hoffnung sank mit jeder Stunde, die sie unterwegs waren, außer Schnee und Eis fanden sie nichts Nützliches. Rudolf ließ schon den Kopf hängen, war aber nicht bereit aufzugeben.

»Warum bist du dir so sicher, dass hier Elfen leben?«, fragte Rudolf.

»Laut der Geschichte halten sie sich von Menschen fern und da der Nordpol für Menschen sehr unangenehm ist, beschlossen sie vor vielen Jahren, sich hier niederzulassen. Du musst wissen, lieber Rudolf, die Elfen sind sehr tüchtige und friedliche Wesen. Sie lieben wie ich Kekse, Kakao und das Weihnachtsfest. Aber sie sind leider durch Ungereimtheiten in vier Stämme aufgeteilt. Ich hoffe, sie zusammenbringen zu können, damit sie mir helfen, Weihnachten weltweit zu einer schönen Zeit mit Geschenken werden zu lassen«, antwortete der Weihnachtsmann strahlend.

»Aber bist du dir sicher, dass sie uns helfen werden?«

»Mit Sicherheit, Rudolf! Die Elfen haben ein gutes Herz und trotz ihrer Uneinigkeit haben sie sich gegenseitig nie bekämpft. Sie regeln ihre Zwistigkeiten auf die sportliche Weise, die ich sehr begrüße. Wenn wir zu ihnen Kontakt aufgenommen haben, werde ich alles daransetzten, sie zu vereinigen.«

Mit den Ausführungen des Weihnachtsmannes zufrieden, hob Rudolf seinen Kopf wieder an und war nun positiver gestimmt. Aber leider fanden sie auch an diesem Tag keine Spuren von den Elfen und als die Nacht kam, beschlossen sie zu rasten. Der Himmel leuchtete grün, als die Nachtlichter sich zeigten. Es war ein schönes Naturschauspiel und beruhigte die Seele ungemein. Nach mehreren Tagen der erfolglosen Suche fanden sie endlich eine Spur im Schnee. Kleine Fußspuren nebeneinander waren zu sehen, woraufhin Rudolf und der Weihnachtsmann den Spuren schnell folgten. Da es langsam zu schneien begann und dadurch die Spuren bald verschwinden würden, beeilten sie sich umso mehr. Sie folgten diesen sogar in der Nacht, hier kam ihnen Rudolfs rote leuchtende Nase zur Hilfe. Rudolf ging voraus und der Weihnachtsmann folgte seinem treuen Begleiter. Ohne Pause zu machen, marschierten sie die Polarnacht durch, als die Sonne aufgegangen war, erlosch auch Rudolfs Licht. Müde und erschöpft gingen sie weiter, nur um dann das Ende der Spur zu entdecken.

»Seltsam? Wie kann die Spur einfach so verschwinden?«, fragte Rudolf, der sich umblickte.

»Wahrscheinlich haben die Elfen sie verwischt. Fliegen können sie nicht«, sagte der Weihnachtsmann nachdenklich.

Er nahm seine Karte zur Hand und sah sich ihre Position an, diese Karte war keine gewöhnliche, denn diese dachte selbständig mit. Sie verzeichnete jeden Ort und jeden Weg den sie genommen hatten wie auch markante Stellen. Laut dieser Karte befanden sie sich am westlichsten Punkt des Nordpols.

»Vielleicht verstecken sie sich vor uns?«, spekulierte Rudolf.

»Wir haben es nicht nötig, uns vor euch zu verstecken, Rentier.«, sagte eine erhöhte Stimme ernst.

Erschrocken fuhren der Weihnachtsmann und Rudolf herum und blickten nach unten. Vor ihnen stand eine kleine Elfe mit spitzen Ohren, einem blauen Spitzhut, einem blauen Mantel sowie Hose und Schuhe.

Die Elfe reichte dem Weihnachtsmann gerade so bis zu dessen Hüfte und blickte recht verwundert drein.

»Noch nie war ein Mensch hier am Nordpol. Was willst du und dein sprechendes Rentier hier im Gebiet des Weststammes?«

»Ich möchte mit eurem Häuptling sprechen, wenn ihr es mir gestattet. Es gibt da ein Anliegen an euren Stamm und die drei anderen, das mir sehr am Herzen liegt«, antwortete der Weihnachtsmann ehrlich.

Immer mehr Elfen tauchten um sie herum auf, die meisten brachen aus unterirdischen Höhlen heraus, andere wiederum schienen sich im Hintergrund gehalten zu haben und warteten ab, bis sie die zwei sicher einkreisen konnten. Schließlich kam eine Elfe aus der Menge heraus und musterte den Weihnachtsmann sowie das Rentier eindringlich, plötzlich befahl er ernst:

»Bringt sie beide zu Häuptling Natak!«

Daraufhin kamen die Elfen näher und gemeinsam umkreisten sie Rudolf und den Weihnachtsmann und forderten sie auf mitzukommen. Beide beschlossen, die Ruhe zu bewahren und der Aufforderung Folge zu leisten, da ihre Absicht rein war.

Stunde um Stunde stapften sie durch den Schnee und kamen dabei an Bäumen und anderen Tieren am Nordpol vorbei, die Eisbären nahmen kaum Notiz von ihnen und suchten das Weite, als sie den Aufmarsch mitbekamen. Pinguine watschelten neugierig heran als sie den jungen Mann im roten Weihnachtsanzug erblickten. Rudolf war ganz unwohl und spielte mit dem Gedanken. einfach abzuheben und die Elfen hinter sich zu lassen. Doch der Weihnachtsmann riet ihm zur Ruhe und versicherte seinem treuen Begleiter, das ihnen nichts geschehen würde, da Elfen selten zur Gewalt greifen würden. Davon unbeeindruckt folgte Rudolf recht widerwillig der Anweisung des Weihnachtsmannes und hielt Ausschau nach jedem noch so verdächtigen Verhalten der Elfen.

Nach einem halben Tagesmarsch ohne eine Pause erreichten sie eine Siedlung. Diese war umgeben von einer runden Palisade, die aber nicht abschreckend wirkte, sondern einladend. Die Holzpalisade war geschmückt mit buntem Lametta, Kugeln und Sternen in verschieden Farben, Kränzen und Zuckerstangen. Sie hielten vor einer großen Doppeltür, die sogar den Weihnachtsmann überragte, am Aussichtsposten standen drei Elfen, die sofort auf Rudolf und den Weihnachtsmann blickten.

»Wer sind die zwei?«, rief eine der Elfen neugierig herunter.

»Sie wollen zu unserem großen Häuptling! Sie kommen in friedlicher Absicht!«

»Öffnet das Tor!«, befahl die Elfe auf dem Posten und sogleich knarrte die Tür und schwang nach innen auf.

Als sie alle eintraten und das Tor hinter sich ließen, konnten Rudolf und der Weihnachtsmann ihren Augen kaum trauen. Noch nie hatten sie beide so einen schönen Ort erblickt. Elfen wanderten in ihrer blauen Kleidung auf den Straßen umher, Keksstände und andere Bäckereien verströmten einen wohltuenden und hungrig machenden Duft in der Gegend, überall waren die kleinen Häuschen aus Holz und Stein, die mit weihnachtlicher Deko geschmückt waren. Rentiere in Koppeln übten gerade das abheben und in der Ortsmitte stand ein großer Weihnachtsbaum mit einem sich drehenden blauen Stern an der Spitze.

Sie gingen an dem Baum vorbei und machten vor einem Haus Halt, das sich von den anderen deutlich unterschied. Es hatte eine große Doppeltür, welche selbst für einen normalen Menschen zu groß wäre. Darauf war eine blaue Flagge zu sehen, worauf eine große Schneeflocke skizziert war und das westliche Gebiet des Nordpols. Das Dach war rund und hatte in der Mitte einen blauen Lichtkegel, der sich nach oben erstreckte. Ringsum von dem runden Dach hingen Eiszapfen herunter, die allen Anschein nach nicht natürlich entstanden, sondern gezielt dort angebracht waren. Die Wachen musterten Rudolf und den Weihnachtsmann misstrauisch und nur durch gutes Zureden einer der Elfen wurde ihnen allen Einlass gewährt.

Als sie in den Thronsaal geführt wurden, saß dort eine Elfe, die alle anderen überragte, selbst als sie saß. Der Weihnachtsmann und Rudolf mussten in der Mitte des Saales stehen, während die Elfen, die sie begleiteten, sich um sie gruppierten. Als dies erledigt war, erhob sich der Häuptling, der ein blaues Zepter trug, welches einen strahlenden Stern auf der Spitze besaß. Als er sich erhob, reichte er dem Weihnachtsmann bis zum Kinn. Eine Elfe trat vor und beriet den Häuptling flüsternd. Im Saal stand ein Weihnachtsbaum, der mit Lametta und Zuckerstangen geschmückt worden war. Zusätzlich waren überall Kristallkugeln sowie Kerzen verteilt. Nachdem eine der vielen Elfen dem Häuptling erklärte, warum der Weihnachtsmann und sein Rentier hier waren, widmete sich dieser seinen Gästen.

»Häuptling Natak ist nun bereit, euer Gesuch anzuhören«, verkündete eine hervortretende Elfe, worauf der Häuptling näherkam.

»Gegrüßt seien unsere Besucher aus den Landen der Menschen! Ich bin Häuptling Natak, der Anführer des Weststammes. Noch nie hat ein Mensch unsere Gefilde aufgesucht! Einer meiner Berater hat mir euer Anliegen vorgetragen, dennoch möchte ich dies mit euren Worten hören, damit ich mir darauf ein Urteil bilden kann. So sprecht und seid Gewiss, dass ich und meine Elfen euch anhören werden«, sagte Häuptling Natak mit einer hohen aber respektablen Stimme.

Daraufhin begann der Weihnachtsmann, ihm seine Vision eines Weihnachtsfestes zu erzählen, von den vereinigten Elfenstämmen, seiner Geschenkauslieferung und einem Ort, wo sie alle leben konnten. Die Elfen des Weststammes und der Häuptling waren begeistert von diesem ambitionierten Plan und lauschten jedem Wort aufmerksam. Als der Weihnachtsmann fertig war, hörte man die Elfen heimlich tuscheln und Natak schien in Gedanken versunken zu sein. Es dauerte mehrere Minuten, bis Häuptling Natak das Wort ergriff.

»Euer Vorhaben ist sehr schön anzuhören, junger Weihnachtsmann, dennoch, wie wollt ihr es schaffen, die vier Elfenstämme zu einigen? Wir haben uns aus gutem Grund in alle Himmelsrichtungen verstreut und ich befürchte selbst, wenn ich eure Vision teile, werden wir es nicht schaffen, den anderen Häuptlingen dies begreifbar zu machen«, sagte Natak betrübt.

»Mit eurer Hilfe kann es gelingen, Häuptling Natak! Versammelt die anderen Häuptlinge und lasst sie rufen. Gebt mir die Möglichkeit auch bei ihnen vorzusprechen, damit ich meine Vision vortragen kann«, bat der junge Weihnachtsmann.

Natak ging vor seinem Thron, der aus durchsichtigem Kristall gemacht war, auf und ab. Rudolf folgte ihm mit seinem Kopf und wippte hin und her, bis ihm schwindelig wurde.

»Ich kann die anderen Stammesoberhäupter unter meinem Ruf zu einer Aussprache einen, aber alles weitere liegt an Euch, Weihnachtsmann. Ich teile Euren Wunsch, den braven Menschen Geschenke zu machen, aber ohne die Mithilfe der anderen Stämme werden wir Euch nicht unterstützen. Ich habe gesprochen«, beendete Natak das Thema und bat eine Elfe ihren Gästen ein Quartier einzurichten und diese dorthin zu geleiten.

»Wenn die anderen Häuptlinge eingetroffen sind, werdet ihr mich wieder sehen«, verabschiedete Natak den Weihnachtsmann und Rudolf worauf sie aus dem Thronsaal gebracht wurden.

 

*

 

Eine Woche dauerte es, bis die drei Häuptlinge beim Weststamm eintrafen. Natak empfing sie mit dem gebührenden Respekt, der ihnen zustand und kurz darauf berieten sie sich im Thronsaal. Der Weihnachtsmann und Rudolf mussten warten, bis man sie rief, es dauerte ein paar Stunden, aber schließlich durfte der Weihnachtsmann eintreten.

Als er den Thronsaal betrat, stand dort ein runder Tisch, an denen die vier Häuptlinge saßen. Sie alle waren gleichgroß und unterschieden sich nur an der Farbe ihrer Kleidung. Der Weihnachtsmann und Rudolf mussten in der Mitte des Saales stehenbleiben und dann begann eine Elfe vom Weststamm die Häuptlinge vorzustellen.

»Edle Gäste, ich darf Euch die vier Oberhäupter der vier Elfenstämme vorstellen! Häuptling Brodas vom Nordstamm, Häuptling Polara vom östlichen Elfenstamm, Häuptling Konro vom südlichen Stamm und Häuptling Natak Euer Gastgeber vom Weststamm. Eurer Bitte, eure Visionen den vier Häuptlingen des Nordpols vorzutragen, wurde stattgegeben«, verkündete die Elfe feierlich.

Der Weihnachtsmann war ruhig und gelassen, währenddessen Rudolf die Kontrolle über seine Nase verlor, die einmal stärker, einmal schwächer zu leuchten schien. Die Häuptlinge räusperten sich und waren gespannt darauf zu hören, was ein junger Weihnachtsmann ihnen denn vorzuschlagen hätte.

Brodas aus dem Norden trug seine Kleidung in der Farbe Rot und wie Natak trug auch er ein Zepter mit einem Stern, Polara aus dem Osten trug die Farbe Grün. Sie besaß kein Zepter, dafür aber eine Krone mit einem pulsierenden Stern darauf, Konro aus dem Süden trug gelbe Kleidung und besaß weder ein Zepter noch eine Krone. Er wirkte wie der bescheidenere aus dem Kreis, während Natak sein blaues Outfit mit Stolz trug wie auch sein Zepter. Der Weihnachtsmann trat selbstbewusst einen Schritt nach vorne und begann, seine Vision zu erzählen.

»Ich möchte allen braven Menschen auf dieser Welt zu Weihnachten Geschenke bringen wie auch Freude in deren Herzen.

---ENDE DER LESEPROBE---