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Wilfried Härle

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Beschreibung

Menschenwürde ist ein Begriff, der für letzte Begründungen dient. In seinem Namen wird Krieg geführt und Pazifismus proklamiert, natürliches Altern geschützt und Sterbehilfe gewährt, ungeborenes Leben getötet und für unantastbar erklärt. Am Ende ethischer Argumentationen steht fast immer der Verweis auf die Würde. Der Heidelberger Theologe Wilfried Härle durchleuchtet diesen Begriff und erläutert an konkreten Beispielen und Fällen seine unterschiedlichen Facetten. Am Ende steht die Erkenntnis: Nur wo groß vom Menschen gedacht wird, ist seine Würde nicht in Gefahr.

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Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
1 Würde als Anrecht auf Achtung
Copyright
Für Luisa
1 Würde als Anrecht auf Achtung
Wenn von »Würde« die Rede ist, bewegen wir uns auf einer gehobenen Ebene. Das gilt für den Begriff »Würde« selbst, aber auch für die ihm zugehörigen Verben, Adjektive und abgeleiteten Substantive wie »würdigen«, »würdig«, »würdevoll«, »ehrwürdig«, »Würdigung«, »Würdenträger« oder auch »Hochwürden«.
Das heißt zunächst, dass die aufgezählten Wörter allesamt zur gehobenen Sprache gehören und in der normalen Alltagskommunikation nur selten oder gar nicht vorkommen. Und das gilt grundsätzlich auch für die verschiedenen Negationen: »unwürdig« und »Unwürdigkeit« (»Unwürde« gibt es interessanterweise nicht), »würdelos« und »Würdelosigkeit« sowie für »entwürdigen« und »Entwürdigung«, »herabwürdigen« und »Herabwürdigung«. Am ehesten sind es wohl noch die Adjektive »unwürdig« und »würdelos«, oder konventionelle Höflichkeitsbezeichnungen wie »Würdenträger« oder »Hochwürden«, die gelegentlich in der Alltagssprache auftauchen.
Wichtiger und bedeutsamer ist jedoch, dass das, wovon dabei die Rede ist, einer gehobenen Ebene angehört. Solche Würde, die dem Ansehen und der Ehre verwandt ist, wird in den meisten Kulturen dem Alter und den Alten zuerkannt. Würde besitzt, wer es zu etwas gebracht hat, sei es durch Begabung oder durch Anstrengung oder durch eine Verbindung von beidem. Wer eine große Lebensleistung in Familie, im Beruf oder im öffentlichen Leben erbracht hat, wer durch beeindruckenden Einsatz oder Aufopferungsbereitschaft, durch großartige Entdeckungen oder Erfindungen, durch überragende künstlerische Begabung, durch großes soziales Engagement oder erfolgreiche politische Tätigkeit weit über den Durchschnitt hinausragt, hat eine damit verbundene bzw. daraus resultierende Würde, und dem wird sie in der Regel auch zuerkannt und an ihm respektiert.
Würde strahlt aber auch eine Person aus bzw. würdig verhält sich eine Person, die in schwierigen Situationen oder angesichts eines schweren Geschicks Haltung bewahrt, wobei man ihr möglicherweise anmerkt, wie tief sie getroffen ist, wie schwer sie leidet, welche inneren Kämpfe sie zu bestehen hat. Das ist die Form von Würde, der Friedrich Schiller - als Gegenüber und Pendant zur Anmut - ein beeindruckendes Denkmal gesetzt hat, indem er sie beschreibt als »Ausdruck einer erhabenen Gesinnung«, von der gilt: »Beherrschung der Triebe durch moralische Kraft ist Geistesfreiheit, und Würde heißt ihr Ausdruck in der Erscheinung.«1 Dabei unterscheidet sich diese moralische Würde von den zuvor genannten Formen differenzierter Würde dadurch, dass sie als moralische Größe zur Bestimmung jedes Menschen gehört, also ein Ziel und eine Bildungsaufgabe ist, die sich nicht nur einigen, sondern grundsätzlich allen Menschen stellt. Aber sie gehört insofern doch selbst zu den differenzierten Formen der Würde, als die Erfüllung dieser Bestimmung nicht schon mit dem Menschsein gegeben ist. Sie stellt eine Aufgabe dar, die bei den verschiedenen Individuen oder auch innerhalb der verschiedenen Entwicklungsphasen eines menschlichen Lebens in unterschiedlicher Weise und in verschiedenen Graden erfüllt wird.
Alles bisher Gesagte wird jedoch missverständlich und problematisch, wenn dabei nicht zwischen bloß angemaßten oder vorgetäuschten und berechtigten, echten Würdeansprüchen unterschieden wird. Gerade weil Würde auf einer gehobenen Ebene angesiedelt ist, ist sie durch Überheblichkeit, Großtuerei, Blenderei und Heuchelei in besonderem Maße gefährdet. Und dort, wo vorgebliche Würde sich als reine Show und bloße Vortäuschung erweist, gibt sie sich selbst - zu Recht - der Lächerlichkeit oder Verachtung preis, sobald die Täuschung durchschaut wird. Die Achtung vor der vermeintlichen Würde schlägt dann schnell in ihr Gegenteil um, wird zur Verachtung, Entrüstung und Empörung. Gespielte, vorgetäuschte, angemaßte Würde gehört offenbar zu dem Hochmut, der biblisch-sprichwörtlich vor dem Fall kommt (Sprüche 16,18).
Das Widerspiel von Größe und bloßer Großmannssucht, Bewundernswertem und bloßer Effekthascherei, Glanz und bloßem Schein begründet auch, dass und warum Würdeansprüche in der Regel unter aufmerksamer Beobachtung stehen, warum sie oft beargwöhnt werden und vom Absturz bedroht sind, und warum sie als bloß angemaßte »Würde« immer begleitet sind von der Gefahr der Blamage, Herabsetzung und Demütigung. Diese Unterscheidung muss von Anfang an im Blick behalten werden, wenn es gelingen soll, so von Würde zu sprechen, dass dies dazu beiträgt, groß vom Menschen zu denken.
Das bisher Gesagte handelte nur von »Würde«, nicht von »Menschen würde«. Um sie geht es in diesem Buch aber vor allem. Dabei ist es nützlich, die Menschenwürde als eine allen Menschen gemeinsame Größe zu unterscheiden von den zwischen Menschen differierenden Formen und Graden von Würde, von denen bisher die Rede war. Jene unterschiedlichen Formen und Grade von Würde sind abhängig von den zufälligen Gegebenheiten des Lebens, müssen erst im Laufe einer Biografie durch Bildung, Begabung und/oder Leistung (in früheren Zeiten häufig auch durch Abstammung oder Heirat) erworben werden und können auch wieder verloren gehen, sie werden teilweise gesellschaftlich zuerkannt und dann gelegentlich auch wieder aberkannt, sie können bloß angemaßt oder sachlich begründet sein, und durch sie werden Unterschiede zwischen Menschen markiert. All das gilt für die Menschenwürde nicht.
Daher kann man fragen, ob der Blick auf diese anderen, differenzierten und differenzierenden Formen von Würde überhaupt weiterführende Einsichten für die Beschäftigung mit Würde im Sinne von Menschenwürde erbringen kann, oder ob er nicht eher ablenkt und in die Irre führt. Letzteres ist zu verneinen: Der Blick auf die differenzierten Formen der Würde führt dann nicht in die Irre, wenn er durch Abgrenzung dazu anleitet, von Menschenwürde in größerer Trennschärfe und Genauigkeit zu sprechen, und damit eine wichtige Funktion einer De-finition, also einer Abgrenzung, erfüllt. Und der Blick auf die differenzierten Formen der Würde kann insofern brauchbare Einsichten auch für die Beschäftigung mit Menschenwürde erbringen, als er zu der Frage nötigt oder jedenfalls anleitet, was denn beides (differenzierte Formen der Würde und Menschenwürde) so miteinander verbindet, dass es berechtigt ist, für beides denselben Begriff »Würde« zu verwenden. Und genau darum soll es nun gehen und damit um die Frage, was denn »Würde« eigentlich bedeutet.
Ein wichtiger Hinweis steckt in der Tatsache, dass Würde vom Gegenüber Achtung, man könnte auch sagen Respektierung oder Respekt, fordert. Zwar ist Würde - wie sich noch zeigen wird - von Achtung grundsätzlich zu unterscheiden, aber Würde ist etwas, das Achtung fordert - heischt, wie man früher vielleicht gesagt hätte. Würde ist etwas, was in der Person (oder allgemeiner ausgedrückt: in der Instanz) liegt, die Würde hat und die deshalb Achtung verdient.
Damit unterscheidet sich Würde grundsätzlich von einem Preis, der als Ausdruck der Wertschätzung für etwas gefordert und bezahlt oder an etwas verliehen wird. Denn nichts hat von sich aus und in sich einen Preis. Allenfalls wenn das Wort »Preis« im übertragenen, metaphorischen Sinn verwendet wird, lässt sich sagen, dass etwas in sich einen Preis hat. In diesem Sinne wäre die Möglichkeit des Bösen der Preis personaler Freiheit. Aber im wörtlichen Sinn entsteht ein Preis erst dadurch, dass er gefordert, geboten, ausgehandelt, akzeptiert oder zugesprochen, kurz: dass er gemacht wird. Würde ist nicht, wie der Preis, eine Wertangabe, die wir einer Person oder Instanz beimessen und beilegen, sondern Würde ist ein »Wert«, den eine Person oder Instanz in sich trägt und dessen Anerkennung von ihrem Gegenüber gefordert ist.
Diese Gedanken hat bereits Immanuel Kant einprägsam formuliert, um den grundlegenden Unterschied zwischen Preis und Würde zum Ausdruck zu bringen. Er schreibt:
»Im Reich der Zwecke [d. h. überall, wo etwas erstrebt wird] hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent, gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet [d. h. erlaubt], hat eine Würde.«2
Kürzer und treffender kann man wohl kaum begründen, dass und warum man Menschen nicht käuflich erwerben oder veräußern darf. Und das heißt jedenfalls, dass Menschenhandel eine Missachtung der Menschenwürde darstellt. Dabei geht jedoch aus Kants Formulierungen ein für unseren Zusammenhang wichtiges, eben betontes Element der Unterscheidung nicht so deutlich hervor, wie man das eigentlich wünschen möchte: Der relative Wert bzw. der Preis ist etwas, was irgendein Interessent einer Sache zuerkennt - sei es als Verkäufer oder Käufer, als Anbieter oder Nutzer -, hingegen ist die Würde etwas, was der »Sache«, in diesem Fall also dem Menschen selbst eignet, sozusagen innewohnt. Damit wird ein grundlegender Unterschied zwischen Preis und Würde sichtbar, der für das Verständnis von Menschenwürde von großer Bedeutung ist: Wenn man sich Kants Unterscheidung zu eigen macht, und dafür gibt es gute Gründe, dann ist »Würde« jedenfalls nichts, was einem Menschen durch andere Menschen (oder auch durch sich selbst) erst zugeteilt oder zugeschrieben und dementsprechend auch wieder weggenommen oder abgesprochen werden könnte, sondern etwas, das dem Menschen mit seinem Dasein als Mensch unverlierbar gegeben ist.
Zwar ist auch die Menschenwürde ausgerichtet auf ein Gegenüber, von dem sie anerkannt werden will und soll, indem sie Achtung fordert, aber das Gegenüber schafft nicht die Würde, es erkennt oder spricht sie auch nicht zu, sondern die Würde liegt im Würdeträger selbst begründet und fordert von seinem Gegenüber, dem »Würdeadressaten«, »nur« Anerkennung.
Was also ist dann Würde? In einer von evangelischen und katholischen Sozialethikern gemeinsam verfassten, von Bernhard Vogel herausgegebenen kleinen Schrift unter dem Titel: »Im Zentrum: Menschenwürde«, heißt es kurz und bündig: »Würde ist Anspruch auf Achtung«3. Das ist ein leistungsfähiger Ansatz, der wichtige Einsichten aus der Interpretationsgeschichte von »Würde« und »Menschenwürde« aufnimmt und auf den Punkt bringt. Eine gewisse Schwäche dieser Definition liegt jedoch im Begriff »Anspruch«, der von den Verfassern des Textes als objektiver, weil mit dem Dasein gegebener Anspruch verstanden wird. Das deckt sich mit den hier vorgetragenen Überlegungen. Aber die Nähe des Begriffs »Anspruch« zu allen möglichen subjektiven Ansprüchen oder zu einem kritikwürdigen Anspruchsdenken empfiehlt die Suche nach einem noch besser geeigneten Begriff als es der Begriff »Anspruch« ist. Der scheint mir im Begriff »Anrecht« gegeben zu sein, in dem ohne die problematischen Assoziationen des Begriffs »Anspruch« das gut zum Ausdruck kommt, was der oben genannte Text als einen objektiven Anspruch bezeichnet. Die weiterentwickelte, präzisierte Formel hieße also: Würde ist Anrecht auf Achtung.
»Anrecht« unterscheidet sich auch ein wenig von »Recht«, von dem gelegentlich im Zusammenhang von »Würde«, insbesondere von »Menschenwürde«, die Rede ist, wenn (Menschen-)Würde definiert wird als »das Recht, Rechte zu haben«4. Da ein »Recht« im allgemeinen Sprachgebrauch jedoch als etwas durch Rechtssetzung Zustandegekommenes verstanden wird, das man vor einem Gericht einklagen kann, und da dies für »Anrecht« nicht gilt, erscheint mir den Begriff »Anrecht« besser geeignet zu sein, um das Wesen von »Würde« und insbesondere von »Menschenwürde« umfassend zum Ausdruck zu bringen. Daher schlage ich folgende Begriffsdefinitionen vor: »Würde ist Anrecht auf Achtung«, und »Menschenwürde ist das mit dem Dasein als Mensch gegebene Anrecht auf Achtung als Mensch«. Das sind freilich noch recht formale Definitionen, die der weiteren Erläuterung und Veranschaulichung bedürfen.
Als feststehender Terminus entstand der Begriff »Menschenwürde« wohl erstmals in Form des lateinischen Ausdrucks »dignitas humana«. Die Entstehung dieses lateinischen Begriffs lässt sich in ihren Anfängen bis zu Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) zurückverfolgen. Zwar findet sich der Begriff »dignitas humana« bei ihm noch nicht wortwörtlich, wohl aber lässt sich dort seine Herausbildung und Entstehung beobachten. Cicero geht der Frage nach, »welche Auszeichnung und Würde [dignitas] in unserer (menschlichen) Natur liegt«, und zwar im Vergleich zu den Tieren. Zu ihrer Beantwortung vertritt er die These:
»Man muss … erkennen, dass wir von der Natur gleichsam mit zwei Rollen [persona] betraut sind. Die eine von ihnen ist gemeinsam, daher, dass wir alle teilhaben an der Vernunft und dem Vorrang, durch den wir vor den Tieren herausragen, von dem sich alles Ehrenvolle und Schickliche (her-)leitet und aus dem die Methode, das rechte Handeln zu finden, entwickelt wird. Die andere aber ist die, die einem jeden eigentümlich zugewiesen ist. Wie nämlich in den Körpern große Verschiedenheiten sind, … und ebenso den Gestalten teils Würde [dignitas], teils Anmut [venustas] innewohnen, so treten in den Seelen noch größere Verschiedenheiten auf.«5
Das Entscheidende ist die von Cicero vorgenommene Unterscheidung zwischen den beiden Arten von Würde, die dem Menschen zukommen können bzw. zukommen, von denen bereits die Rede war. Die eine ist eine individuell differenzierte Würde, die sich aus den unterschiedlichen Ausstattungen, Begabungen, Leistungen oder Entscheidungen der Menschen ergibt; die andere ist eine allen Menschen gemeinsame und für alle gleiche Würde, die durch die allen Menschen gemeinsame Teilhabe an der Vernunft gegeben ist. Dabei spielt es für Cicero keine Rolle, dass Menschen mit dieser Vernunft unterschiedlich stark begabt sind oder dass diese sich im Lauf der Lebensgeschichte unterschiedlich entwickelt, sondern allein die Teilhabe aller Menschen an der Vernunft, in irgendeiner Form, ist ausschlaggebend für diese grundlegende und gemeinsame Würde, also für die Menschenwürde.
Es wäre ein Missverständnis der Argumentation Ciceros, wenn man annähme, dass diese beiden Würde-Formen seiner Meinung
© 2010 Diederichs Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: Weiss | Werkstatt | München
eISBN 978-3-641-05104-4
www.diederichs-verlag.de
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