Wüstenprinzessin des Ewigen Eises - Ellie Sparrow - E-Book
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Ellie Sparrow

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Beschreibung

**Die Magie von Feuer und Eis** Schon seit sie denken kann, hat Prinzessin Avianna eine große Bestimmung: den Thron des Wüstenreichs zu besteigen. Doch dies ist an eine Bedingung geknüpft. Nur wer in der Lage ist, die Magie des Feuers zu beherrschen, ist auch würdig das Land Iralia zu regieren. Für Avianna scheint dies aber zu einer unüberwindbaren Hürde zu werden, denn so sehr sie sich auch bemüht, die Flammen wollen ihr nicht gehorchen. Als ihr Vater, der König, davon erfährt, kommt es zum Unvermeidlichen. Avianna wird enterbt und dem kühlen Herrscher von Glacien versprochen, dem Land der alles durchdringenden Eismagie. Für die Prinzessin ein wahrgewordener Alptraum, auch wenn der Eiskönig einen merkwürdigen Sog auf sie ausübt… //»Wüstenprinzessin des Ewigen Eises« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Ellie Sparrow

Wüstenprinzessin des Ewigen Eises

**Die Magie von Feuer und Eis** Schon seit sie denken kann, hat Prinzessin Avianna eine große Bestimmung: den Thron des Wüstenreichs zu besteigen. Doch dies ist an eine Bedingung geknüpft. Nur wer in der Lage ist, die Magie des Feuers zu beherrschen, ist auch würdig das Land Iralia zu regieren. Für Avianna scheint dies aber zu einer unüberwindbaren Hürde zu werden, denn so sehr sie sich auch bemüht, die Flammen wollen ihr nicht gehorchen. Als ihr Vater, der König, davon erfährt, kommt es zum Unvermeidlichen. Avianna wird enterbt und dem kühlen Herrscher von Glacien versprochen, dem Land der alles durchdringenden Eismagie. Für die Prinzessin ein wahrgewordener Alptraum, auch wenn der Eiskönig einen merkwürdigen Sog auf sie ausübt …

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Vita

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© privat

Ellie Sparrow lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in Niedersachsen. Schon als Kind hat sie gern Geschichten gehört und selbst erzählt. Mit dem Schuleintritt kam dann auch die Liebe zum geschriebenen Wort. Seitdem trifft man sie meist an ihrem Arbeitsplatz an, wo sie in fantastische Welten eintaucht und Herr über ihren eigenen kleinen Kosmos ist. Außerhalb der schöpferischen Arbeit findet man sie mit der Nase tief in einem Buch vergraben, mit dem Controller vor der Konsole oder zusammen mit ihrer Familie in der Natur.

Für C.

Weil ohne dich das Leben nur halb so fantasievoll wäre.

Kapitel 1

Die Flamme verpuffte, bevor man sie mit bloßem Auge hätte erkennen können. Sie war nur ein flüchtiges Gefühl, ein Kribbeln in den Fingerspitzen, eine Welle in meinem Körper, die zu schnell verebbt war.

Frustriert sank ich an das Ufer der Oase und betrachtete die aufgewühlte Wasseroberfläche. Mira stand am anderen Ufer, das von hohen Palmen und ein wenig Buschwerk umgeben war, und warf Steine, die kunstvoll über den See hüpften und mit jedem Sprung kleine Wellen hinterließen. Dabei versuchte sie nicht allzu auffällig zu mir herüber zu starren. Sie war jedoch nicht sehr geschickt darin, ihre Neugierde zu verbergen und mit jedem gescheiterten Versuch meinerseits sanken ihre Schultern mehr in sich zusammen.

Ich war womöglich Iralias erste Kronprinzessin, die ihre Magie nicht einzusetzen wusste. Ich hatte Zugang zu ihr, spürte sie in jeder Faser meines Körpers, aber es gelang mir nicht sie freizusetzen. Ihre Energie zu kanalisieren, zu visualisieren.

Ich atmete tief durch. Spürte dem übernatürlichen Fluss in mir nach, der wie Blut durch mich hindurch pulsierte, im ständigen Einklang mit mir. Nahm das kribbelige Gefühl wahr, wenn ich mich auf diese Kraft konzentrierte. Sie war da, in mir, und ich fühlte sie. Sie erfüllte mich, war ein Teil von mir.

Dann öffnete ich die Hände, ließ den Fluss aus purer Energie in sie hineinfließen. Hitze durchströmte mich, vor meinen Augen loderte es Rot-Orange, bevor die Farbe in tausend kleine Funken zersprang. Das Kribbeln kehrte in meine Fingerspitzen zurück, wuchs zu einem heißen Brennen heran. Vor mir, als Trugbild in meinem Kopf, entstand ein Funke, wurde zu einer kleinen Flamme, die in meinen Gedanken an meinen Fingern leckte und sich um meine Hand herum zu einem flammenden Inferno entwickelte. Ich ließ die Magie frei. Ein Lichtblitz, der sicher eine Flamme geworden wäre, wenn ich meine Kraft festhalten hätte können. Die Magie kollabierte und mit ihr beinahe auch ich.

Heiße Tränen sammelten sich in meinen Augen und ließen das Wasser und die Welt um mich herum verschwimmen, bis alles nur noch einem Gemisch aus ineinanderlaufenden Farbtupfen ähnelte. Meine Sicht bestand nur mehr lediglich aus Blau- und Beigetönen.

Trotzig wischte ich mir mit dem Ärmel meiner Tunika über die Augen, blinzelte die ersten Tränen mit aller Macht fort. Mein Atem kam stoßweise. Erneut hatte ich mich in der Hoffnung, endlich die Magie zu entfesseln, voll verausgabt. Stattdessen raste mein Herz in meiner Brust, ohne dass ich den Hauch einer Flamme zustande gebracht hätte.

»Es ist genug für heute, Prinzessin.« Mira war neben mir aufgetaucht. Ich hatte nicht einmal gemerkt, wie sie zu mir getreten war. Jetzt legte sich ihre zierliche, schlanke Hand auf meine Schulter und drückte aufmunternd zu. »Morgen ist ein neuer Tag.«

»Die Zeit spielt gegen mich«, fuhr ich sie an und ihre schmale Gestalt zuckte unter meinen harschen Worten zusammen. Etwas sanfter fuhr ich fort: »Wenn ich bis zur Verlobungszeremonie nicht meine Magie beherrsche, werde ich meines Amtes als rechtmäßige Thronfolgerin enthoben.«

»Bis dahin wirst du die Magie beherrschen«, versicherte sie mir, ließ ihre Hand von meiner Schulter zu meinem Oberarm rutschen und zerrte leicht daran. »Nun komm schon. Wir müssen dich für den Ball zurechtmachen.«

Ich schluckte schwer, nickte aber. Der Ball. Der Abend, an dem es mir vergönnt sein würde, mir einen Prinzen zum Verlobten zu nehmen, um bald mit ihm Iralia zu regieren. Meine baldige Krönung verkörperte all das, wofür ich geboren worden war, und mein fehlendes Feuer war in der Lage alles, wofür ich immer gearbeitet hatte, zunichtezumachen.

***

Die Zofen schwirrten emsig um mich herum wie Bienen um eine pollenreiche Blüte. Hier zupften sie an meinen Haaren, dort zerrten sie an dem Mieder des Kleides. Schichten aus Tüll und Taft und Seide wurden drapiert, Bänder in Haarsträhnen geflochten, Wangen gepudert.

Am Ende starrte mir eine junge Prinzessin aus dem Spiegel entgegen, die ich kaum wiedererkannte. Anmutig und bereit, den ersten Teil ihres Erbes anzutreten. Alt genug, um sich zu verloben, zu heiraten.

»Aufgeregt?«, fragte Mira hinter mir und ihre Finger strichen nervös die orange-rote Seide meines Rocks glatt.

»Nicht so sehr wie du«, lächelte ich und drehte mich zu ihr um. Sie knetete ihre Finger und trat von einem Fuß auf den anderen, als wäre es an ihr, sich einen Gemahl zu suchen.

Ich selbst war mit dieser Tradition aufgewachsen. Bereits als kleines Mädchen hatte ich meinen Platz gekannt, meine Aufgabe und all die Verpflichtungen, die damit einhergingen. Mir kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag einen Prinzen zu suchen gehörte dazu. Und immerhin hatte ich freie Wahl.

Mira atmete tief durch und lächelte. »Nun gut«, sagte sie und wandte sich ab. Kurz bevor sie die Tür erreichte, sah sie über die Schulter noch einmal zurück zu mir. »Euer Vater, König Mitras, wird Euch abholen, sobald es an der Zeit ist«, eröffnete sie mir, jetzt vollkommen in der Rolle der königlichen Zofe, nicht in der meiner besten Freundin. »Viel Glück, Prinzessin Avianna.« Mit einem kurzen Knicks rundete sie ihre förmlichen Worte ab und verschwand durch die Tür. Ich blieb zurück.

Langsam erfüllte mich die Aufregung. Die Gedanken kreisten um junge stattliche Prinzen, die um meine Gunst buhlten, deren Begehr es war, an meiner Seite einst über Iralia zu herrschen. Und es gab keinen Grund bescheiden zu sein, meine Auswahl war groß. Iralia war beliebt auf dem Kontinent. Derjenige, der meine Gunst gewann, würde eines der größten, wohlhabendsten und mächtigsten Königreiche erhalten.

Ein letztes Mal sah ich in den Spiegel und betrachtete das Mädchen, das ich bald nicht mehr sein würde. Heute Abend begann ein Leben, in dem kein Platz für Unbeschwertheit und Naivität mehr bliebe.

Sofern ich denn meine Magie entfesselte. Mein Blick wanderte hinunter zu meinen Händen, die ich beim bloßen Gedanken an das Feuer in die rot-orangene Seide gekrallt hatte. Nutzlos, komplett nutzlos.

Hinter mir öffnete sich die Tür mit einem leisen Kratzen über den Boden und ich erschrak kurz, ehe ich die Schultern straffte und mich umdrehte. Den Kopf hielt ich erhoben, das Kinn leicht vorgestreckt und den Rücken gerade.

»Du siehst hinreißend aus. Wie ein Sonnenstrahl im Sommer. Wie eine Blüte auf einer Frühlingswiese.« Mein Vater, der König, trat mit weiten Schritten auf mich zu. Seine bärengroßen Hände griffen nach mir und zogen mich in eine Umarmung. Überrascht atmete ich ein und legte die Arme um sein breites Kreuz. Ich genoss für einige Augenblicke diese Geste der Zuneigung, die er sonst nicht für mich oder meine Geschwister übrighatte.

Er ließ mich los und ich schluckte, sah ihm in die dunklen, beinahe schwarzen Augen, die ein wenig schräg standen und die ich von ihm geerbt hatte. Der Blick in seinen war jedoch wie üblich kalt und berechnend und mein Herz blieb stehen, als seine nächsten Worte zu mir durchdrangen.

»Wie sieht es mit deinem Feuer aus, Avianna?«

Ich schluckte. Mein Blick glitt sehnsüchtig über das Bett zur Tür. Der Ball, wenn ich nur schon auf dem Ball wäre.

Unauffällig wischte ich meine schweißnassen Hände an meinem Rock ab. Die Hände, die so nutzlos waren. Die Hände, die nicht in der Lage waren, die Magie zu bündeln und zu entfesseln. Die Hände, die nicht lichterloh brannten, um ganze Armeen auf dem Schlachtfeld in Brand zu stecken.

»Avianna?«, polterte mein Vater ungeduldig.

Ich vermied es, ihn bei meiner Antwort direkt anzusehen. Stattdessen starrte ich über seine Schulter hinweg an ihm vorbei. »Ich  … ich habe es nicht geschafft«, flüsterte ich ermattet.

»Was gedenkst du aufgrund deiner Schwäche zu tun?« Seine Stimme war schneidend, durchbohrte mich wie ein Pfeil, pfählte mein Herz mit der mitschwingenden Enttäuschung.

»Vater, ich trainiere hart. Härter als jeder andere in diesen Mauern. Ich bin sicher-«

»Schweig!«, fuhr er mir über den Mund. Seine Worte kamen einer Ohrfeige gleich und ich taumelte zurück, weil die Wucht mich vollkommen unvorbereitet traf.

»Trainieren scheint nicht zu genügen, Avianna. Egal wie hart, egal wie ausdauernd. Niemand hat dich auch nur eine kleine Flamme zustande bringen sehen.« Er holte tief Luft, schritt auf mich zu. Sein Gesicht verwandelte sich mit jedem Atemzug weiter in eine groteske Maske aus Enttäuschung und Wut. Und der Grund dafür war ich.

»Bis zur Zeremonie sind es noch zwei Monde. Ich habe noch Zeit«, flehte ich verzweifelt. »Bis dahin werde ich die Magie entfesseln! Ich werde brennen, Vater, Ihr werdet sehen.« Wie zur Bestätigung rauschte die Magie durch meinen Körper, brodelte in mir wie kochendes Wasser.

Wenn es mir nur gelingen würde sie freizulassen.

»Elionora hat bereits mit zehn Jahren ihre erste Flamme erschaffen. Jetzt ist sie noch keine fünfzehn Jahre alt und beinahe mächtiger, als ich es bin. Auch dein Bruder beherrscht bereits das Feuer. Nur du bist nicht fähig genug.«

Nicht fähig! Die Worte hallten in meinem Kopf nach wie Trommelschläge. Laut, unnachgiebig und gewaltig. Nicht fähig. Niederschmetternd, wenngleich treffend.

»Vater  …«, begann ich und wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Wie ich ihn überzeugen konnte, mir eine Chance zu geben. Eine weitere, obwohl er mir bereits so viele gegeben und ich sie alle nicht genutzt hatte.

»Deine Schwester ist bereits auf dem Ball und sucht sich einen Prinzen aus. An ihrem sechzehnten Geburtstag wird die Zeremonie vollzogen und kurz darauf wird sie verheiratet.« Seine Stimme war ein kaltes Flüstern.

»Was ist mit mir?«, wisperte ich mit zitternden Knien und brennenden Augen, in denen sich erste Tränen sammelten. Alles, wofür ich gelebt hatte, alles, was in den letzten sechzehn Jahren von Bedeutung gewesen war, stürzte wie ein Kartenhaus über mir zusammen. Die Trümmer rissen meine Träume, meine Sehnsüchte mit sich in die Tiefe. Hinein in ein endloses Meer aus Tränen.

»Darüber reden wir, wenn ich mir darüber klar geworden bin. Als Herrscherin Iralias bist du jedoch nutzlos, Avianna. Es tut mir leid, du weißt, wir alle haben uns das anders gewünscht.« Seine Worte sollten mich trösten, doch die Art, wie er sie aussprach, machte unmissverständlich klar, wie wütend er war. Wie sehr ich ihn enttäuscht hatte.

Ohne einen weiteren Blick auf mich zu werfen, wandte er sich ab. Ab von mir. Ab von seiner ältesten Tochter, die einst Königin werden sollte, jedoch nur eine bittere Enttäuschung war.

»Aber der Ball!«, rief ich und wischte mir mit dem Unterarm grob über die tränennassen Augen.

»Wir werden deine Abwesenheit mit einer Unpässlichkeit entschuldigen. Deine Anwesenheit dort ist nicht länger vonnöten.«

Bevor ich in der Lage war etwas zu erwidern, verließ der König endgültig meine Gemächer, während ich zurückblieb.

In meiner Brust war in den letzten Minuten ein Loch entstanden. Die Vorfreude, die den ganzen Tag für ein warmes Kribbeln in meinem Bauch gesorgt hatte, war einer inneren Leere gewichen. Einer Einsamkeit, die ich in dieser Form noch nie im Leben empfunden hatte.

Letztendlich gaben meine zitternden Beine nach und ich sank zu Boden. Umgeben von einem orange-roten Traum aus Seide, Tüll und Taft. Schön wie die Sommersonne, wie eine Blüte auf einer Frühlingswiese. Ich lachte, obwohl mir die Tränen wieder in die Augen traten. Elionora sollte also irgendwann Königin werden. Meine selbstgerechte, egoistische kleine Halbschwester.

In meinen Venen rauschte erneut die Magie. Flehte darum endlich freigelassen zu werden. Sich in einen Sturm aus Macht zu entfesseln. Ich vibrierte innerlich, konnte sie flüstern hören, spürte, wie gigantisch und alles verzehrend sie war. Und doch fand ich ihr Ventil nicht. Es war, als verzehrte sie mich, fraß mein Innerstes auf und dehnte sich gleichzeitig so weit in mir aus, dass ich glaubte zu explodieren. Irgendwann würde das vielleicht auch geschehen, weil die Magie sich so mannigfaltig in mir ansammelte, sich so heftig in meinem Körper manifestierte, dass sie meine Knochen splittern, meine Haut sprengen und sich endlich Bahn brechen könnte. Obwohl diese Vorstellung grausame Bilder in meinem Kopf zeichnete, erschreckte mich dieses Szenario nicht, denn gleichzeitig wäre es eine Befreiung von all den Qualen, die ich momentan empfand. Eine Magiekundige, die nicht fähig war ihre Kraft zu nutzen. Ich war wertlos. So nutzlos wie das niedere Volk.

»Prinzessin?« Miras Stimme ließ mich aufsehen. Meine Zofe und beste Freundin kniete einige Meter von mir entfernt. Ihr Blick lag auf mir, abschätzend und besorgt. Als würde ich jeden Moment zusammenbrechen oder war ich das nicht längst? Immerhin hockte ich auf dem rauen Stein, dicke Tränen durchtränkten die Seide des Kleids und hatten auf ihrem Weg dunkles Puder von meinen Wangen gewaschen, das dunkelbraune Flecken auf dem edlen Stoff hinterließ.

Ich straffte die Schultern, auch wenn es mich unvorstellbare Kraft kostete, und erhob mich. Dabei stolperte ich beinahe über den Saum, fing mich aber, bevor Mira mir zur Hilfe eilen und mich stützen konnte.

»Prinzessin?«, fragte sie erneut, besorgter als zuvor.

»Es geht mir gut«, presste ich trotzig hervor. »Es ist alles in Ordnung. Ich muss nur aus dem Kleid raus.« Und das war keine Lüge. Mit jeder Sekunde mehr in diesem Traum aus Stoff, der eigens genäht worden war, um einen Prinzen um den Finger zu wickeln, glaubte ich weniger Luft atmen zu können. Als würde das Mieder sich immer enger um meine Taille schnüren.

»Es tut mir so leid«, flüsterte Mira, ehe sie still zu arbeiten anfing. Ihre flinken Finger lösten die Schleifen und Knoten, lockerten die Bänder. Sie arbeitete schneller als sonst, obgleich genauso sorgfältig.

Ich erwiderte nichts, sondern sah ihr im Spiegel dabei zu, wie sie den Stoff vorsichtig über meine Schultern zog, über meine Brust und über meine Hüften. Meine Unterröcke bestanden aus schlichtem Leinen. Leicht und luftig und geschaffen für ein Land, in dem die Kälte nur in der tiefsten Nacht Einzug hielt.

Unser Königreich war aus einem umherziehenden Wüstenvolk entstanden. Eines Tages hatten die Nomaden auf ihrem Weg durch die Wüste eine riesige Oase entdeckt. So groß, dass sie damit gerechnet hatten, im unendlichen Sand den Tod zu finden, weil ihnen ihr Verstand Streiche spielte. Aber das riesige Wasserbecken, das sich bis zum Horizont erstreckte, und die saftig grünen Bäume und Gräser waren keine Fata Morgana gewesen. So hatten sich die Nomaden entschlossen, hier sesshaft zu werden, es zu bleiben und in dieser bunten Welt mitten in der unwirtlichen Hitze ihr Königreich zu errichten. Die Geburtsstunde Iralias.

Nachdem Mira mir das Puder und die Farbe von Augen und Lippen gewaschen hatte, schlüpfte ich eigenständig in mein Nachtkleid und entfernte die letzten Spangen aus meinem Haar, das mir sofort bis auf die Hüften fiel. Dick und schwarz glänzte es im Licht der Öllampe und rahmte mein rundes, herzförmiges Gesicht ein. Das Gesicht meiner Mutter, die ich nie kennenlernen durfte, weil sie bei meiner Geburt gestorben war.

Statt zu meinem Bett, das Mira gerade aufschüttelte, trugen meine Füße mich automatisch über den kalten Steinboden zu den gläsernen Flügeltüren, die hinaus auf meinen Balkon führten. Wenn ich schon nicht den Ball besuchen konnte, so wollte ich wenigstens einen Blick in den Garten wagen. Nur einen Blick auf die Prinzen, die mir verwehrt blieben, riskieren. Vielleicht heiratete ich irgendwann doch einen von ihnen, aber es war mir nicht mehr gestattet, mir selbst einen Prinzen auszusuchen. Das Privileg war an Elionora übergegangen. Ich musste mich mit dem zufriedengeben, was mir die Kronprinzessinnen anderer Länder überließen und was mein Vater für geeignet hielt.

Der Wind fuhr durch mein Nachtkleid, küsste meine warme Haut und hinterließ ein sanftes Kribbeln. Meine Hände legte ich auf die Balustrade. Kurz schloss ich die Augen, lauschte den Stimmen unter mir nach. Es waren nur wenige. Die meisten Gäste hielten sich im Ballsaal und in dem Gartenstück nahe der Terrasse auf. Dennoch hatten sich einige Besucher weiter vorgewagt und ich hörte sie tuscheln und tratschen.

Voller Neugier umklammerte ich die Balustrade fester, öffnete die Augen und beugte mich weit hinüber. Die Tiefe unter mir ließ mich kurz schwindeln, ehe ich mich daran gewöhnte, und ich versuchte, um die Ecke zu spähen. Dort stand nur eine einzige Person in Sichtweite. Beschienen vom matten Licht einer einzelnen Laterne. Dennoch schien seine schwarze Kleidung den Lichtschein zu absorbieren, ja fast zu verschlingen. Er war von stattlicher Figur mit breiten Schultern und schmalen Hüften. Sein Haar war ebenso dunkel wie seine Kleidung. Mehr konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen, weil er mir den Rücken zugewandt hatte. Ob er wohl einer der heiratsfähigen Prinzen war? Außerdem stellte ich mir die Frage, warum er dort alleine stand, ohne sich zu rühren.

Ehe ich meinen Blick abwenden und mich zurückziehen konnte, drehte er sich zu mir um. Ich wollte erschrocken zurückweichen, aber sein kalter Blick hielt mich gefangen. Der Lichtschein fiel auf sein blasses, kantiges Gesicht. Unter den eisblauen Augen lagen tiefe Schatten und seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst.

Erschrocken drückte ich mich nach hinten, um schleunigst aus seinem Sichtfeld zu kommen. Dabei rutschte ich mit der Hand am Geländer ab, verlor für eine Sekunde das Gleichgewicht und drohte vornüber zu fallen. Im letzten Moment fanden meine Füße auf dem Boden wieder Halt und mein Schwerpunkt ließ mich zurück auf den Balkon sinken. Mit schwer klopfendem Herzen lehnte ich mich mit dem Rücken an die Wand. Das Blut rauschte in meinen Ohren, die Panik wegen meines Beinahesturzes ebbte langsam ab. Trotzdem meinte ich ein dunkles, unheimliches Lachen unter mir zu hören. Ich wollte es als Hirngespinst abtun und der aufwühlenden Situation zuschreiben, als eine Stimme sich erhob. Dunkel und samtig, gefährlich wie ein Raubtier. »Fallt nicht, Prinzessin. Mit gebrochenen Flügeln kann man nicht fliegen.«

Kapitel 2

Die letzte Nacht hatte ich kein Auge zugetan. Noch immer kreisten meine Gedanken um den König und darum, mit welcher Kälte er mir eröffnet hatte, dass es nicht mehr länger an mir war, seine Nachfolge anzutreten. Aus der Kronprinzessin war innerhalb eines Wimpernschlags ein Niemand geworden.

Mira stand wie jeden Morgen hinter mir und kleidete mich an. In Roben, mit denen ich aufgewachsen war, die einer Prinzessin würdig waren – und die sich jetzt falsch an mir anfühlten. Dessen ungeachtet hielt ich das Kinn oben, den Rücken gerade und den Blick geradeaus. Verließ meine Gemächer mit derselben Würde, demselben Stolz wie jeden Morgen und ignorierte dabei den besorgten Blick meiner besten Freundin, der mir in die Eingeweide schnitt. Das Geräusch meiner Absätze hallte von dem Marmor der Flure wider. Paukenschläge in meinem Kopf, der wegen der Übernächtigung ohnehin hämmerte, als würde man auf ihn einschlagen.

Als ich wenig später den Speisesaal betrat, saßen meine Geschwister bereits an der langen Tafel. Neben Elionora saß ein junger Mann von durchschnittlicher Größe mit strohblondem Haar und grünen Augen. Seinem Aussehen nach zu urteilen, stammte er aus Aguana, dem Land der Wassermagier. Ich kam nicht umhin, den Kontrast zu bemerken, den er zu meiner Schwester bot, die mit ihrer schwarzen Haut und ihren finsteren Augen wie das dunkle Gegenstück dieses Jünglings wirkte. Auf eine groteske Art ergänzten sie sich perfekt.

Elionora gegenüber saß mein kleiner Bruder Kamil, vollkommen konzentriert auf sein Frühstück. Während ich langsam den Raum durchschritt und sich nach und nach jeder Blick auf mich richtete, blieb er ungerührt und verspeiste weiter Unmengen an Brei und Käse.

Mein Vater hingegen ließ mich nicht aus den Augen. Am Kopf der Tafel sitzend, hielt er in seinem Gespräch inne und betrachtete mich aus immer schmaler werdenden Augen. Er war auf der Suche und ich konnte mir vorstellen, was er suchte. Beweise dafür, wie hart mich seine Entscheidung getroffen hatte, verräterische Spuren um meine Augen herum, die von zu vielen Tränen und zu wenig Schlaf erzählten, aber Mira hatte ganze Arbeit geleistet. Dergleichen würde er nicht finden.

Also hielt ich seinem Blick stand, hob das Kinn noch ein wenig weiter gen Himmel und schritt so majestätisch, wie es mir möglich war, zu meinem Platz an der Tafel. Erst kurz bevor ich den Stuhl erreichte, bemerkte ich, dass links neben Vater eine weitere Person an der Tafel speiste. Kohlrabenschwarzes Haar, das dem jungen Mann bis auf die Schultern reichte, ein kantiges, männliches Kinn, hohe Wangenknochen, eine spitze Nase, die aussah, als hätte sie bereits einige Schläge wegstecken müssen. Und unter einem paar dunkler Augenbrauen die kältesten blauen Augen, die mich je angesehen hatten.

Mir gefror das Blut in den Adern und in meinen Ohren hallte das Echo seines dunklen, samtigen Gelächters. Auch heute trug er wieder einen schwarzen Anzug, mit dem er jederzeit in den Kampf hätte ziehen können. Lediglich die Waffengürtel fehlten, trotz alledem bezweifelte ich, dass er gänzlich unbewaffnet war. Und wenn es nur die scharfen, giftigen Pfeile waren, die er mit seinem Blick immer wieder in Richtung der anderen Anwesenden verschoss.

Mit größtem Unbehagen ließ ich mich neben ihm auf meinen Stuhl fallen.

»Guten Morgen«, grüßte ich emotionslos, jedoch laut genug, um unmissverständlich klarzumachen, dass man mich nicht gebrochen hatte.

»Guten Morgen, Schwesterherz«, flötete Elionora und stützte kokett das Kinn in ihre Handflächen. Gleichzeitig warf sie einen glücklichen Blick auf den jungen Mann neben sich, ehe sie mir erneut in die Augen sah, diesmal ganz offensichtlich feindselig.

Lio und ich hatten schon immer einen Kampf ausgefochten. In ihren Augen hatte ich den Thron nicht verdient. Und jetzt stand er mir nicht mehr länger zu. Für sie lief es geradezu perfekt, trotzdem hasste sie mich weiter aus tiefster Seele, ohne dass ich jemals erfahren hatte warum.

»Guten Morgen, Avianna«, begrüßte mich mein Vater und sorgte mit der Präsenz von Macht in seiner Stimme dafür, dass ich mich zu ihm umdrehte und Elionora in ihrem Ruhm schwelgen ließ.

In mir brodelte es. Ich gierte danach, ihr an die Kehle zu springen, wollte sie von ihrem Stuhl reißen, mir meinen Platz zurückerobern. Auch wenn es kein Zurück für mich gab, weil ich die Magie in mir nicht beherrschte, mochte ich meinen Platz als Kronprinzessin nicht aufgeben. Ohne diese Zukunft war ich nichts. Was machte mich aus, wenn nicht meine Pflicht einst über Iralia zu herrschen? Wen sollte ich ehelichen, wenn nicht einen Prinzen, würdig genug, um an meiner Seite zu regieren?

In Gedanken sah ich mich bereits stickend neben irgendeinem Lord sitzen, mit anderen Damen Handarbeiten verrichtend und über die Erfolge unserer Männer tratschend. Eine Handvoll Kinder um mich herum, die erst Jahre später hätten geboren werden sollen, wenn der Thron mein gewesen wäre.

»Darf ich dir im Übrigen König Byron von Glacien vorstellen? Er leistet uns heute beim Frühstück Gesellschaft«, stellte mein Vater mit einer wohlwollenden Geste meinen Sitznachbarn vor.

König Byron also. Ich schluckte das aufkommende Unbehagen herunter und nickte ihm zu. Glacien war ein Land weit im Norden. Groß und unwirtlich. Viel zu kalt in den Sommern und mit Wintern so eisig, dass Menschen wie wir aus der tiefsten Wüste zu erfrieren drohten, wenn sie sich zu lange im Freien aufhielten.

Zumindest lauteten so die Erzählungen. Es gab seit etlichen Jahrzehnten keine diplomatischen Beziehungen mehr zu Glacien. Vor allem nicht, seitdem der schreckliche Herrscher König Yllias den Thron errungen hatte und mit ihm die Beziehungen zu Glacien so dramatisch wurden, dass man jederzeit kriegerische Handlungen zu befürchten hatte.

»Es freut mich, Eure Bekanntschaft zu machen, Prinzessin.« König Byron neigte neben mir sein Haupt, griff nach meiner Hand und hauchte einen Kuss auf ihren Rücken.

Ein Schauder jagte durch meinen Körper und ließ mir die Knie weich werden. Nicht wegen seiner Geste, nicht wegen seiner samtigen Stimme, die mir noch von gestern Abend im Gedächtnis geblieben war, sondern wegen der Art, wie er Prinzessin aussprach. Hart und unnachgiebig. Als wäre ich ihm ein Dorn im Auge, gleichzeitig hob er jedoch mit einem verschlagenen Lächeln, das tiefste Zufriedenheit signalisierte, den Kopf.

»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte ich und schickte mich an vor ihm zu knicksen, bevor ich mich aber erheben konnte, schoss seine Hand vor und hielt mich auf dem Stuhl zurück.

»Ich lege keinen Wert auf solcherlei Etikette«, zischte er gefährlich leise und das kalte Blau seiner Augen blitzte mit einer Härte auf, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Statt einer Antwort neigte ich ergeben den Kopf, was seine Hand dazu veranlasste mich ein weiteres Mal in den Stuhl zu drücken, ganz kurz nur, ohne dass jemand es merkte, ehe er sie endlich wegnahm und ich befreit durchatmete. Ich wagte nicht, ihm ein weiteres Mal in die Augen zu sehen.

»Avianna!« Die harsche Stimme meines Vaters riss mich aus meinen Gedanken. Mein Herz jagte in meiner Brust dahin und mir war elend, aber ich schluckte die Übelkeit und den Kloß herunter, kämpfte gegen meine Angst an, die Byron in mir ausgelöst hatte, und konzentrierte mich ganz auf das, was mein Vater zu sagen hatte.

»Nachdem gestern einige schwerwiegende Entscheidungen getroffen wurden, wünsche ich, dich nach dem Frühstück in meinen Räumen zu treffen. Es gibt Dinge, die es zu besprechen gilt.«

Ich nickte entkräftet. All die Kraft, die ich in mir gesammelt hatte, um das Frühstück zu überstehen, war in den letzten Minuten verpufft. Erst hatte Byron mich aus der Fassung gebracht und jetzt war es Vater, der sich immer nur dazu herabließ mit mir zu sprechen, wenn es meine Zukunft betraf. Eine Zukunft, die bisher strahlend und wichtig war, die sich allerdings gestern innerhalb von Sekunden zerschlagen hatte. Ich wollte nicht wissen, welche Pläne er für mich hatte, auch wenn ich nicht naiv war und mir denken konnte, in welche Richtung dieses Gespräch gehen sollte.

Verstohlen warf ich einen Blick auf den dunklen König neben mir und erschauerte. Noch bevor ich wieder auf meinen Teller sehen konnte, traf mich sein Blick und in diesem Moment durchzog kaltes Eis meine Adern und ließ mich erstarren. Byron hob abschätzig eine seiner dunklen Brauen, dann presste er die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Seine Hand, die bisher neben seinem Teller gelegen hatte, ballte sich zur Faust und ich musste mir eingestehen, dass dieser König aus diesem fernen Land mir eine höllische Angst einjagte.

***

Die Räumlichkeiten meines Vaters waren so pompös, wie sie es mitten in der heißesten Wüste der uns bekannten Welt sein konnten. Unser Schloss war nicht so prächtig wie das anderer Königreiche, sondern bestand aus hellem Sandstein. Die Möbel waren aus Palmholz gefertigt, das wir eigens aus einem Nachbarkönigreich hatten kommen lassen, weil unsere Oase nicht genug hergab, um einen ganzen Palast und dessen Hof auszustatten. Es gab nur wenige Fenster hier unten in der Bibliothek meines Vaters, um die Bücher vor dem Sand zu schützen, den der heiße Wüstenwind vor sich hertrieb und der es schaffte in die kleinsten Poren zu dringen.

Mein Vater saß an seinem Schreibtisch und versiegelte ein wichtig aussehendes Schriftstück mit Wachs, in dessen Mitte er das Siegel seines Rings presste – das Wappen Iralias. Eine Wüstenrose, eingefasst von den stachelbewehrten Schwänzen zweier Skorpione.

»Du kommst reichlich spät«, waren die ersten Worte, die er an mich richtete. Anstatt mich anzusehen, befreite er seinen Ring von den Resten des erkalteten Wachses.

»Lyrica hat mich aufgehalten«, entschuldigte ich mich. Lyrica war meine Amme gewesen, die mein Überleben gesichert hatte, nachdem meine Mutter bei meiner Geburt ihr Leben verloren hatte. Allein diese Tatsache war der Grund, warum mein Vater sie niemals für meine Verspätung zurechtweisen würde. Sie hatte das Überleben seiner Erstgeborenen gesichert, seiner Lieblingstochter – bis gestern.

»Setz dich«, wies er mich an, ohne auf meine Entschuldigung einzugehen. Während ich ihm gegenüber am Schreibtisch Platz nahm, stand er auf und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

Eine erdrückende Stille breitete ihren Mantel über uns. Es war gewiss nicht so, dass Vater mich schonen wollte, aber es gab Dinge, die fielen selbst ihm schwer. Wenn er auch ein ganzes Wüstenkönigreich souverän regierte, war er nie begnadet darin gewesen, uns Kindern ein guter Vater zu sein. Er sah unsere Fehler, die Dinge, die es uns zu lehren galt, nicht jedoch die Menschen, nicht uns. Niemals uns.

»Du wirst morgen unseren Hof verlassen«, eröffnete er mir. Damit hatte ich bereits gerechnet. Nur nicht so schnell und nicht ganz so endgültig.

»Ich  …«, begann ich, aber die aufsteigende Panik schnürte mir die Luft ab. Legte sich wie ein Ring aus Eisen um meine Brust und machte es mir unmöglich nach Luft zu schnappen. Die beinahe fensterlose Bibliothek war dem nicht zuträglich. Mein Kopf gaukelte mir vor, die hellen Wände bewegten sich auf mich zu.

Ich sprang auf und strich mein dünnes Leinenkleid glatt, nur um mich auf etwas zu konzentrieren, weil ich sonst durchzudrehen drohte.

»Es ist zu deinem Besten, Avianna. Du wurdest geboren, um zu regieren. Alles, was wir dich hier gelehrt haben, war darauf ausgerichtet dir einst ein Königreich zu unterstellen. König Byron ist jung und ohne Braut. Wir benötigen dringend Rohstoffe aus seinem Königreich und müssen einen drohenden Krieg um jeden Preis verhindern.«

»Ich werde aus rein diplomatischen Gründen verheiratet«, wisperte ich fassungslos. Dabei ergab das einen Sinn und ich konnte nicht einmal abstreiten, dass ich an seiner Stelle ähnlich gehandelt hätte. Machte mich das zu einer geeigneten Regentin oder zu einem miserablen Menschen?

»Nicht nur das, Avianna. Ich möchte, dass du mir berichtest, was in diesem Königreich vor sich geht. Dass du meine Augen und meine Ohren an einem potenziell bedrohlichen Ort bist. Sollte König Byron sich je dazu entschließen, Krieg gegen uns zu führen, sind wir verloren.«

Ich wusste, worauf er hinauswollte. Jeder kannte die Geschichten von König Yllias. Alle Königreiche waren bisher gleichermaßen vor ihm erzittert, immer in der Hoffnung, er würde seine grausamen Armeen nicht gegen sie schicken. Denn in Glacien gab es mehr Magie als in jedem anderen Königreich. Beinahe jeder Mensch dort konnte auf das Ewige Eis, wie es genannt wurde, zurückgreifen. Selbst mit einem Bündnis und einer zahlenmäßigen Übermacht hätten wir keine Chance.

Mit einem Knicks akzeptierte ich ergeben mein Schicksal und als ich mich aufrichtete, war ich wieder die Avianna, die gestern am See verbissen an ihrer Magie gearbeitet hatte. Vielleicht hatte sich das Blatt gewendet und Elionora würde einst Ilaria regieren, aber auch ich hatte nun eine Aufgabe. Eine von höchster Wichtigkeit. Meine Existenz hatte wieder einen Sinn.

Wenn nur König Byron nicht mein zukünftiger Ehemann wäre. Ein Mann, der mit einem Blick aus seinen blassblauen Augen mein Blut zu Eis gefrieren lassen konnte. Der Sohn des grausamsten Herrschers, den unsere Welt je gesehen hatte. Die Frage war, wie viel Grausamkeit steckte in ihm, meinem zukünftigen Ehemann und König?

***

Am nächsten Morgen stand ich mit gemischten Gefühlen vor einer kleinen Karawane, die mein Vater jedem Besuch unseres Hofes zur Verfügung stellte, weil Pferde die heiße Wüste nicht überlebten, unsere Kamele hingegen schon. Den letzten Tieren schnallte man gerade Bündel auf den Rücken, die vorderen beiden Tiere trugen jeweils ein Holzgestell zwischen den Höckern, das mit Leinen ausgekleidet war und König Byron und mir während unserer Reise Schatten spenden sollte.

Mira reiste mit mir und wahrscheinlich war sie das Zünglein an der Waage, das mich davon abhielt auf der Stelle weinend zusammenzubrechen. Bisher hatte ich mich für zäh gehalten, aber die Aussicht auf ein fremdes Land, einen fremden Hof und auf einen zukünftigen Ehemann, der für seine Grausamkeit berüchtigt war, machte mir eine höllische Angst.

»Mylady.«

Erschrocken fuhr ich herum. Neben mir stand ein Mann wie ein Geist. Er war in einen schwarzen Mantel gehüllt, hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und trotzdem konnte ich seine weiße Haut sehen. Mein Blick wanderte automatisch zu seinen Händen, aber sie waren unter ebenso schwarzen Handschuhen verborgen.

»Mein Name ist Elric, ich bin königlicher Berater. Während Eurer Anfangszeit in Glacien werde ich Euch jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen.« Er verbeugte sich tief vor mir. Als er wieder zu mir aufsah, schimmerten seine blauen Augen blassviolett und eine Strähne schlohweißen Haares fiel ihm in die Stirn.

»Äh  …« Ich straffte meine Schultern. Sein fremdartiges Aussehen hatte mich aus der Bahn geworfen. »Ich danke Euch, Elric«, brachte ich schnell hervor.

»Er wird Euch schon nicht fressen«, rumpelte eine samtige Stimme hinter mir und ich hörte die Erheiterung heraus. »Oder, Elric? Stehen junge Prinzessinnen noch auf deinem Speiseplan?«

»Nein, Hoheit«, antwortete Elric und ich glaubte ihn grinsen zu hören, auch wenn ich sein Gesicht unter der Kapuze nicht sehen konnte, weil er sich seinem Gesprächspartner zugewandt hatte. »Junge Prinzessinnen sind zugunsten draller Dirnen gestrichen worden.«

Mein Gesicht brannte, während ich ihren Witzeleien lauschte. Die Gepflogenheiten Glaciens waren mir nicht bekannt, aber hier in Iralia sprach man nicht über den Akt körperlicher Liebe und wenn, dann hinter vorgehaltener Hand. Das unbefangene Geplänkel zwischen Elric und König Byron beschämte mich daher zutiefst.

»Na los, Prinzessin, steigt auf Euer Kamel, wir wollen abreisen«, wurde ich lachend von Byron angewiesen. Statt mich zu ihm umzudrehen, nickte ich lediglich und ging auf eines der Tiere zu, ohne dem König einen Blick zu schenken. Ich würde ihm so lange wie möglich aus dem Weg gehen, nahm ich mir vor.

Mira zwang das Kamel auf die Knie und ich kletterte zwischen die Höcker in die Sänfte. Schaukelnd richtete sich mein Reittier wieder auf und ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. In einem der Beutel neben mir steckte ein Wasserschlauch. Wasser war in den nächsten Tagen unser kostbarstes Gut, wenn weit und breit nur Sand und sengende Hitze unsere Wegbegleiter waren.

Neben mir tauchten mein Vater und meine Geschwister auf, um mir eine gute Reise zu wünschen. Ich lächelte über ihre Worte hinweg, obwohl in mir kurzzeitig das Bedürfnis aufflackerte, ihnen einen Dolch zwischen die Rippen zu stoßen. Elionora, weil sie dort stand, stolz und mit einem überheblichen Lächeln auf den Lippen, nachdem sie ihre verhasste große Schwester endlich ausgestochen hatte. Egal mit welcher Engelszunge sie mir versicherte, mich zu vermissen, wir wussten es beide besser. Meinem Bruder Kamil, weil er einst der stärkste Feuermagier in Vaters Armee sein würde und mir nicht einmal eine kleine Flamme gelang. Weil ihm alles zufiel, während ich gezwungen war für jede Kleinigkeit zu kämpfen und am Ende doch verloren hatte.

Und meinem Vater, weil er mich fortschickte in die Hände eines Mannes, der über alle Grenzen als grausam und unbarmherzig bekannt war. Ich war ein Geschenk an die Diplomatie, eine Spionin im Namen des Friedens und tief in mir brach mein Herz, weil ich entbehrlich war. Sollte die Rolle, die mein Vater mir zugedacht hatte, jemals aufgedeckt werden, hätte ich mein Leben verwirkt. Spione lebten nicht lange, in keinem Königreich.

Nachdem meine Familie sich zurück in den Schatten begeben hatte, sah ich über meine Schulter zu Mira. Sie saß auf ihrem Kamel, eingehüllt in Leinen, einen Schal um Kopf und Gesicht geschlungen, um ihre Haut vor dem gnadenlosen Feuerball am Himmel zu schützen. Einzig ihre Augen schauten mich wachsam und besorgt an, aber ich hielt das Kinn hoch, hielt es immer hoch, weil ich keine andere Wahl hatte.

Ich atmete tief durch und sah mich zum letzten Mal nach meinem Zuhause um. Betrachtete die Palmen, die Wüstenrosen, das Gras und den großen Wasserlauf der Oase. Prägte mir unseren Palast ein. Heller Stein auf hellem Sandboden und direkt dahinter das Paradies inmitten der Wüste.

»Seid Ihr soweit, Prinzessin, oder wollt Ihr noch ein Bild malen, um auch ja kein Detail zu vergessen?« Byron stand neben mir im Sand und sah mit hartem Blick zu mir auf. Seine Aufmachung war der von Mira nicht unähnlich und ich wunderte mich, warum er nicht auf seinem Kamel saß.

Er folgte meinem Blick, ehe er ein schroffes »Ich laufe« von sich gab. Und dann setzte er seine Worte in die Tat um, ohne meine Antwort auf seine Frage abzuwarten. War ich soweit? War ich bereit? Würde ich das je sein?

Es machte keinen Unterschied, denn die Karawane setzte sich in Bewegung, ob ich wollte oder nicht. König Byron stampfte entschlossen neben mir durch den Sand. Sein Blick blieb unnachgiebig in die Ferne gerichtet. Vor mir führte Mesmut, unser Stallmeister, die Karawane an und ebnete uns einen sicheren Weg durch unwirtliches Land.

Ich wandte mich nach links zu dem anderen Kamel mit leinenem Baldachin und erstarrte. Der Platz zwischen den Höckern war nicht leer wie erwartet, sondern von Elric besetzt. Er ließ seinen König laufen, während er selbst auf dem Kamel ritt? Verwirrt schnappte ich nach Luft und sah mich erneut nach Mira um. Ihr Tier trampelte direkt hinter meinem durch die Wüste und dahinter ein weiteres, vollbepackt mit Gepäck und Proviant.

»Warum lasst Ihr Elric reiten, Eure Hoheit?«, wagte ich zu fragen.

An unserem Hof wurde stets Etikette gewahrt, Hierarchien wurden großgeschrieben. Verstöße wurden mit harten Strafen belegt und wehe, jemand widersetzte sich den strengen Regeln. Meine Freundschaft mit Mira wurde zähneknirschend geduldet, da meine Zofe sich nie etwas zu Schulden kommen ließ und ihre Arbeiten gewissenhaft und schnell erledigte.

»Das fragt Ihr besser Elric«, lautete die knappe Antwort, bei der er mich nicht einmal ansah, während er stur weiter Richtung Horizont blickte, als könnte er es nicht erwarten in sein Königreich zurückzukehren.

»Warum wart Ihr in Iralia? Ihr werdet wohl kaum um die Gunst der Kronprinzessin gebuhlt haben. Immerhin seid Ihr kein Prinz mehr und regiert Euer eigenes Land«, wagte ich weiter zu fragen.

»Warum fällt es Euch so schwer, Euer vorlautes Mundwerk zu halten?«, zischte er gefährlich und erinnerte mich dabei an die Wüstenkobra, die hier lebte.

»Ich weiß nicht.« Ich zuckte leichthin mit der Schulter. »Vielleicht deswegen, weil ich meinen zukünftigen König und Gemahl gerne kennenlernen würde, bevor ich ein Bett mit ihm teile.« Ich hatte keine Ahnung, woher der Mut und die Unverfrorenheit mit einem Mal kamen, aber die Worte verließen meinen Mund, bevor ich sie zurückhalten konnte.

Sein Blick schoss augenblicklich zu mir. Kalte blaue Augen, die mich wie Eiszapfen durchbohrten und mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagten. Wenn Blicke die Macht hätten zu töten, wäre ich augenblicklich leblos vom Kamel gefallen.

Neben mir unterdrückte Elric ein Glucksen, das allerdings nicht sonderlich geschickt, und nachdem er zum dritten Mal zitternd Luft geholt hatte, brach es aus ihm heraus.

Weder König Byron noch ich fanden weitere Worte, während Elric lachte und sich dabei Tränen aus den Augen wischte. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ebbte der Anfall ab und verlor sich in einem leisen Kichern, bis es vollkommen still wurde. Nur der heiße Wüstenwind strich uns sengend über Kleidung und Haut.

»Tut mir leid, Byron, aber du musst zugeben, du hattest dir das einfacher vorgestellt, oder?«

Byron warf seinem Berater einen Blick zu, der auch diesen locker in den Wüstensand geschickt hätte, hätte der König Glaciens über solche Fähigkeiten verfügt, und Elric hielt den Mund, schluckte alle Worte, die er vielleicht noch auf der Zunge liegen hatte, herunter.

Was hatte er sich einfacher vorgestellt? Warum klang das alles, als sei es von langer Hand geplant gewesen und warum beschlich mich das Gefühl, verraten worden zu sein? Ich sah hinaus zum Horizont. Vor mir, neben mir und hinter mir nur Sand und flimmernde Hitze unter einem blauen Himmel und einem orange-roten Feuerball. Ich fühlte mich einsam. Vor allem aber verloren – in mehr als einer Hinsicht.

Kapitel 3

Die Reise durch Iralia führte mir vor Augen, wie wenig ich tatsächlich mit meinem Königreich vertraut war. Wie wenig die Bücher mir das Land hatten näherbringen können. Ich wusste, warum der umherziehende Wüstenstamm sich in der Oase niedergelassen hatte, wusste, dass es noch immer Karawanen gab, die zwischen einzelnen kleineren Oasen hin- und herzogen und Handel trieben. Und ich wusste von der großen Küstenstadt, die mittels Schiffen Handel mit anderen Königreichen trieb.

Aber ich hatte nicht gewusst, wie gefährlich meine Heimat war. Hatte nicht geahnt, wie heiß die Sonne auf den Sand brannte. Meine Zunge klebte seit Stunden trocken unter dem Gaumen und ich ermahnte mich immer wieder, nicht den letzten Schluck aus meiner Feldflasche zu trinken. Wasser war kostbar und solange ich es noch aushielt, würde ich es nicht anrühren.

Sehnsüchtig sah ich hinüber zu Mesmut, dem die Hitze in keiner Weise zuzusetzen schien. Seit zwei Tagen führte er unsere kleine Gruppe unermüdlich an. Stapfte Schritt um Schritt durch den unwegsamen Sand, überwand Dünen, als wären sie nicht mehr als ein befestigter Weg. Dabei trank er nicht mehr als Elric oder ich, die wir im Schatten der Leinentücher auf den Rücken der Kamele getragen wurden.

Viel mehr beeindruckte mich aber Byron, auch wenn ich das niemals vor ihm zugegeben hätte. Er hatte kein einziges Mal eine Pause gefordert oder gar Elric gebeten vom Kamel zu steigen, um selbst den Platz einzunehmen, der ihm zustand. In der Nacht, als Mira und ich in dicksten Tierfellen und eng aneinandergeschmiegt in der Kälte zitterten, hatte er keinen Ton von sich gegeben, sondern war noch aufgestanden und hatte eines seiner Felle vor Elric abgelegt, damit der sich wärmer einwickeln konnte.

Auch jetzt, am Ende von Tag zwei in der Wüste, ließ er sich nichts anmerken, obwohl unser aller Kräfte schwanden. Außer Mesmut war niemand an die Hitze in der offenen Wüste gewöhnt. Unsere Augen waren gerötet, die von Mira sogar entzündet, weil der Wind unaufhörlich Sandkörner hineintrieb und niemand von uns noch genug Tränenflüssigkeit besaß, um sie auszuspülen. Bis vor wenigen Tagen hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ich mein Land einst hassen könnte, aber die Unwirtlichkeit Iralias machte es mir gerade zumindest sehr schwer es zu lieben.

Ich war vollkommen in meinen Gedanken versunken, als Mesmut ankündigte, dass wir für die Nacht rasten würden. Erst jetzt fiel mir der violette Streif am Horizont auf. Innerhalb der nächsten Stunde würde die Nacht über uns hereinbrechen. Die Dunkelheit kam in der Wüste schnell und konnte einen überraschen, wenn man nicht wusste, mit welcher Schwärze man es aufnehmen musste.

Während Elric von seinem Kamel kletterte, griff ich nach meinem Trinkschlauch und genehmigte mir endlich den letzten Schluck der Tagesration. Das kühle Wasser rann meine Kehle hinab und erfrischte mich in einer Art, die ich bisher nicht für möglich gehalten hatte. Ich hatte im Palast nie Hunger oder Durst leiden müssen, nicht so, wie ich es hier tat.

Mesut wies die Kamele an, sich niederzulassen und überprüfte unsere Beutel und Taschen, teilte unsere Nachtrationen ein und kümmerte sich um Trockenfleisch und Früchte für das Abendessen.

»Wollt Ihr auf Eurem Kamel übernachten, Mylady?« Elric hielt mir seine Hand hin, die ich jedoch ausschlug. Wenn auch nicht sonderlich anmutig, konnte ich doch zumindest ohne fremde Hilfe von meinem Kamel klettern.

»Wir sind nicht Euer Feind, Prinzessin«, erklärte Elric ernst, als er meine trotzige Reaktion beobachtete.

»Sagt wer?«, spuckte ich ihm entgegen und schwang das zweite Bein über eine hölzerne Querstrebe, die das Tuch auf dem Kamel hielt. Dabei blieb ich mit meinem Fuß hängen, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Aus dem Augenwinkel nahm ich noch wahr, wie Elric versuchte mich aufzufangen – jedoch vergeblich.

Aus vollem Schwung fiel ich in den Sand, der vom Tag erhitzt war. Viel grausamer war die Tatsache, dass ich Sand bisher immer als weich empfunden hatte. Nun war ich jedoch mit solcher Wucht aufgekommen, dass mir jeder Knochen im Körper schmerzte, vor allem der Steiß, auf den ich gestürzt war.

»Alles in Ordnung mit Euch?«, fragte Elric besorgt und reichte mir erneut seine Hand, um mir aufzuhelfen.

Gleichzeitig eilte Mira herbei. »Oh nein, Avianna!«, rief sie erschrocken aus.

»Alles gut«, ächzte ich und versuchte mich aufzurichten, was mir überraschenderweise gelang, ohne das Reißen und Stechen in meinem unteren Rücken zu offensichtlich zur Schau zu tragen. Als ich jetzt meine ersten Schritte machte, konnte ich ein schmerzvolles Aufstöhnen nicht vollständig unterdrücken.

»Wer das Kinn zu hoch trägt, der fällt auch tief.«

Ich hasste ihn allein dafür, dass der Samt in seiner Stimme fähig war, mir jedes Mal Schauer über den Rücken zu jagen. Ich hasste ihn dafür, dass es ihm gleichgültig schien, wer ich war und wen er heiraten würde. Hasste ihn dafür, wie er mit mir sprach.

»Stolz ist keine Eigenschaft, die es zu verachten gilt«, antwortete ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Ganz im Gegensatz zu Hochmut.«

»Ihr wart hochmütig, Prinzessin, nicht stolz. Glaubt mir, ich kenne den Unterschied«, spottete er weiter und trat im selben Augenblick vor mich. Ehe ich protestieren konnte, schlang er die Arme unter meinen Armen und Knien durch und hob mich hoch. Kurz und knapp wies er Elric und Mira an, mir ein Lager zu errichten, auf das er mich schließlich bettete. Und obwohl ich wusste, ich sollte mich bedanken, blieben mir die Worte im Halse stecken.

»Es ist mir eine Ehre Euch zu Diensten zu sein, Mylady.« Vielleicht hätte ich ihm geglaubt, nach dem, was er gerade für mich getan hatte, aber seine Stimme triefte vor Missachtung und Sarkasmus. Wenn eines gewiss war, dann, dass er mich genauso sehr verachtete wie ich ihn.

***

Die Nacht hatte sich, wie prophezeit, viel zu schnell über uns gelegt. Wir hatten noch eine Weile um ein kleines Feuer gesessen, das Mesmut mit seiner kümmerlichen Magie entfacht hatte und uns an den Flammen gewärmt und gegessen, ehe wir uns alle in unseren Nachtlagern niedergelassen hatten. Die Tage in der Wüste erschöpften uns und niemandem war nach Unterhaltung zumute.

Um mich herum hörte ich das tiefe Atmen meiner Reisebegleiter. Elric schnarchte zwischenzeitlich laut auf, drehte sich dann auf die andere Seite und schlief ruhig weiter. Mira schmatzte einige Male vor sich hin und Mesmut sprach im Schlaf, allerdings so unverständlich, dass seine Worte keinerlei Sinn für mich ergaben. Lediglich Byron lag da wie ein Toter. Kein Schmatzen, kein Schnarchen, keine gemurmelten Worte, nicht mal ein Wälzen oder Drehen. Er legte sich nieder und bewegte sich einfach nicht mehr. Würde die Wüste nicht an unseren Kräften zehren, hätte ich geglaubt, er schliefe gar nicht.

Auch wenn ich müde war, machte ich in dieser Nacht kein Auge zu. Mein Steiß pochte immer noch hell und in regelmäßigen Abständen. Der Sturz hatte mir mehr ausgemacht als ich anfangs glauben wollte. Die Schmerzen hielten mich wach und langsam kroch auch die nächtliche Kälte in jede meiner Poren. Hin und wieder schlugen meine Zähne aufeinander, wenn mich ein besonders kalter Schauer durchlief, weil der kühle Wind über mich hinweg strich.

Ein wenig verzweifelt, weil die Müdigkeit bleischwer auf mir lag und mich meine Gedanken nicht zur Ruhe kommen ließen, schloss ich die Augen und drängte mich näher an Mira. Ihre Körperwärme beruhigte mich, vertrieb ein wenig die Kälte aus meinen Knochen und ich spürte langsam, wie der Schlaf mit barmherzigen Händen nach mir griff und ich hinüber driftete in diese leise Dunkelheit, diese beruhigende Stille

 … und dann brach die Hölle los!

Noch bevor ich richtig eingeschlafen war, hörte ich laute Männerschreie. Dann Mesmut, der etwas von »Wüstenräubern« brüllte, und Mira, die neben mir kreischte, als sie von mir weggerissen wurde.

Mein Herz donnerte schmerzhaft gegen meine Brust. Meine Augen gewöhnten sich schnell an das Restlicht in der Wüste, das Mond und Sterne am klaren Himmel spendeten, und ich sah schemenhaft die Gestalten, die über unser Lager herfielen, Mira mit sich zerrten und Beutel und Säcke von unseren Kamelen schnitten.

Obwohl die Angst mich lähmen sollte, obwohl meine Hände zitterten und meine Knie beim Aufstehen unter mir nachzugeben drohten, kämpfte ich mich hoch. Ich ignorierte die Schmerzen in meinem Steiß und ging in die Hocke. Mir war schleierhaft, warum sie sich nicht auf mich gestürzt hatten. Eventuell hatten sie mich übersehen, weil ich so nah an Miras Rücken gelegen hatte, dass ich ihnen gar nicht aufgefallen war. Mesmut und Mira kämpften gegen die Männer, die sie festhielten, aber ihr Kampf schien aussichtslos. Mesmuts Feuer hatte keine Kraft, weil in Iralia schon lange das Gesetz galt, starke Magier nur unter Adeligen zu verheiraten und die Magie dem einfachen Volk vorzuenthalten. Nur wenige Menschen aus ärmeren Verhältnissen beherrschten noch einen Rest Magie.

Langsam hockte ich mich zwischen die Tierfelle und tastete nach irgendeinem Gegenstand, den ich als Waffe benutzen konnte. An die Kamele, die Brennholz mit sich trugen, kam ich nicht heran. Steine gab es hier weit und breit keine, wir waren schließlich in der Wüste. Eine Handvoll Sand direkt in die Augen konnte zumindest einen Mann für kurze Zeit aufhalten, ihn aber nicht ausschalten, und damit machte ich mich angreifbar für die anderen Räuber.

Ungeachtet dessen tasteten meine Hände vorsichtig in den Fellen herum, in der Hoffnung auf irgendetwas zu stoßen, das mein Kopf in seiner Panik vergessen hatte. Mein Atem ging flach, auch wenn meine Lungen zu platzen drohten, weil meine Furcht mir einreden wollte, schneller und lauter zu atmen. Ein Geräusch zu machen war etwas, das ich mir nicht leisten konnte. Meine Augen suchten die Umgebung ab und ich versuchte zu überschlagen, wie vielen Angreifern ich mich gegenübersah. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Bettstätten von Elric und Byron leer waren. Hatten sie sich aus dem Staub gemacht oder steckten sie mit den Dieben gar unter einer Decke?

Die Zeit lief mir davon und ich hatte keine Idee, wie ich uns aus dieser Situation befreien sollte. Da, endlich stießen meine Hände auf kühles Metall in meinem Rücken. Verwirrt drehte ich mich um, weil ich mich an keinen Gegenstand erinnern konnte, der sich so anfühlte. Direkt hinter mir hockte Byron und ich hätte beinahe aufgeschrien, doch seine Augen mahnten stumm, mich zu kontrollieren, wenn ich nicht wollte, dass wir in den nächsten Sekunden aufflogen. Das kalte Metall gehörte zu einem Langdolch, den er mir entgegenhielt. Ich hatte nie eine Waffe in der Hand gehalten, aber jetzt war nicht der Moment für Zweifel, also griff ich zu.

Bevor ich mich über das Gewicht in meiner Hand wundern konnte, sprang Byron mit einem Brüllen auf und zog die gesamte Aufmerksamkeit auf den Fleck, an dem wir hockten. Hinter ihm tauchte Elric aus dem Schatten auf, ebenfalls zwei Dolche wie meinen in der Hand. Und dann konnte ich seinen Bewegungen kaum noch folgen. Elegante Drehungen wechselten sich mit kraftvollen Hieben ab und er streckte zwei der Wüstenräuber innerhalb von Sekunden nieder.

Byron kämpfte ähnlich anmutig und legte sein Hauptaugenmerk darauf, Mesmut und Mira zu befreien, ohne sie dabei in Gefahr zu bringen. Sein dunkler Schemen wirbelte durch die Nacht, das Schwert erhoben, und in dem Moment, in dem er einem Räuber den Kopf vom Rumpf trennte, musste ich wegsehen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis der beißende metallische Geruch von Blut in meine Nase drang. Sie tränkten den Sand mit dem Blut der Räuber.

Ich kniff die Augen fester zusammen, würgte und schluckte gegen die Übelkeit an, die sich tief in mir bildete. Mein Herz, das sich kurzzeitig beruhigt hatte, hämmerte wieder mit seinem Stakkato gegen meinen Brustkorb. Hart, schmerzvoll. Kalter Schweiß rann mir über die Stirn und meine Hände umklammerten den Langdolch fester, als wäre er ein rettender Anker in all dem Blut und all dem Sterben.

Etwas prallte gegen mich und diesmal kreischte ich panisch auf. Jemand schlang seine Arme um meinen Nacken und kurz durchzuckte mich der Impuls, die Klinge in den dazugehörigen Körper zu stoßen, bis ich begriff, dass es sich um Mira handelte.

»Nein!«, rief sie schrill und ich riss die Augen auf, um zu sehen, was passierte. Und wünschte mir im gleichen Augenblick, ich hätte sie geschlossen gelassen. Vor mir brach Mesmut gurgelnd zusammen. Warmes, dunkelrotes Blut sprudelte aus seinem Bund und spritzte aus dem Schnitt in seiner Kehle. Heiße, brennende Tropfen auf meinem Gesicht, meiner Kleidung, ehe sein Körper endgültig vor mir in den Sand stürzte. Hinter ihm ein Mann in schwarzem Leinen, der sich kaum von der Nacht abhob. Seine Klinge blitzte im fahlen Mondlicht, als er sich als Nächstes auf uns stürzte.

Mira wich kreischend zurück. Mir blieb nur der Bruchteil einer Sekunde, um mich für Flucht oder Angriff zu entscheiden. Nur wenige Millisekunden, ehe sein Messer mich durchbohren würde.