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In Wedlock, Wyoming, muss etwas im Wasser sein. Denn hier erblicken mehr Babys das Licht der Welt als irgendwo sonst! Erleben Sie mit, wie junge Familien entstehen und sich ihr dauerhaftes Glück erkämpfen.
Miniserie von MELISSA SENATE
ZWEI BABYS UND EINE BLITZHOCHZEIT
DER RING AN MEINER HAND
SÜSSER IST KEIN WINTERWUNDER
ZWEI WIE MOND UND SONNE
PLÖTZLICH EINE KLEINE FAMILIE
SEHNSUCHTSTRÄUME IN WEDLOCK
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Seitenzahl: 1083
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Titel
Inhalt
Zwei Babys und eine Blitzhochzeit
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
Dein Ring an meiner Hand
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
Süßer ist kein Winterwunder
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
Zwei wie Mond und Sonne
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
Plötzlich eine kleine Familie
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
Sehnsuchsträume in Wedlock Creek
Cover
Titel
Impressum
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
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Contents
IMPRESSUM
Zwei Babys und eine Blitzhochzeit erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2018 by Melissa Senate Originaltitel: „The Baby Switch!“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA , Band 74 Übersetzung: Alina Lantelme
Umschlagsmotive: GettyImages / LSOphoto, Damla Ozturk
Veröffentlicht im ePub Format in 05/2022
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck
ISBN 9783751514378
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag: BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de
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Liam Mercer ging im Kopf seinen Terminplan für Freitag, den vierzehnten April, durch: Neben Verhandlungen über den Kauf von Kenyon Corp., vier Meetings, dem Unterzeichnen unzähliger Papiere und der Vorbereitung des vierteljährlichen Vorstandsberichts wollte er seinen Sohn für dessen allerersten Haarschnitt zu Kidz Kutz bringen, wo es einen Kindersitz in Form einer Eisenbahn geben sollte.
Sein letzter Tagesordnungspunkt sah außerdem vor, beim wöchentlichen Abendessen der Familie auf der Mercer-Ranch den Riss in der Beziehung zwischen seinem Vater und seinem jüngeren Bruder Drake zu kitten. Drake machte schon immer, was er wollte.
Also ein Freitag wie jeder andere, mit Ausnahme des Friseurbesuchs. Wenn es um Alexander ging, liebte es Liam, wenn sich Dinge zum allerersten Mal ereigneten. Er notierte alle Geschehnisse dieser Art in einem Entwicklungsbuch, das ihm seine Cousine Clara am Tag nach der Geburt seines Sohns zusammen mit einer riesigen Plüschgiraffe geschenkt hatte. Der allererste Eintrag lautete:
Eine knappe halbe Stunde nach seiner Geburt hat Alexander West Mercer mit seiner winzigen Faust meinen Zeigefinger umschlossen.
In diesem Moment hatten sich alle Sorgen in Luft aufgelöst, ob er als achtundzwanzigjähriger Single und Unternehmenschef tatsächlich ein Baby aufziehen könnte, zumal er keine Ahnung gehabt hatte, dass er Vater werden würde. Natürlich waren all die Sorgen kurz darauf zurückgekehrt, aber er hatte den kleinen Jungen sofort ins Herz geschlossen.
Um kurz vor neun Uhr öffnete er die Tür von Mercer Industries und betrat mit Alexander auf dem Arm den Eingangsbereich des Unternehmens. Die schwere Tasche mit den Babysachen trug er über der Schulter.
„Ah, da ist Wyomings glücklichstes Baby!“
Seine Lieblingscousine Clara, die Vizechefin von Mercer Industries war, tippte Alexander auf die Nase. „Ja, du bist ein Glückskind, Millionär von Geburt an. Schöne graublaue Augen, das Grübchen der Mercers und eine Familie, die in dich vernarrt ist. Nicht zu vergessen ein Daddy, der dich in der praktisch gelegenen Kita hier im Unternehmen zweimal täglich besucht.“
„Tatsächlich dreimal“, sagte Liam. Er konnte nicht genug Zeit mit seinem Sohn verbringen – und endlich war Freitag. Obwohl er auch am Wochenende immer arbeitete, freute er sich schon darauf, Alexander zu einer Wanderung auf den Wedlock Creek Mountain mitzunehmen und ihm dort die riesigen Pappeln zu zeigen.
Sein Sohn würde sich die Landschaft von der Bauchtrage aus ansehen – eines der vielen Geschenke, die er zur Geburt von der Familie, von Freunden und Mitarbeitern bekommen hatte. Sie waren alle total perplex gewesen, dass er Vater geworden war, denn er lebte für seine Arbeit.
Nach der Wanderung würde er Alexander im Kinderzimmer dessen Lieblingskinderbuch vorlesen und am Sonntag mit ihm zur weitläufigen Familienranch fahren, auf der sein Vater nur für seinen Enkelsohn bereits einen Streichelzoo eingerichtet hatte.
Das war noch viel zu früh, aber laut Harrington Mercer war Alexander seinem Alter um Jahre voraus . Sein Vater übertrieb fürchterlich, wenn es um seinen bisher einzigen Enkel ging. Liam musste allerdings zugeben, dass ihn der großväterliche Stolz sehr rührte.
Wie schon mehrmals in der letzten halben Stunde vibrierte sein Handy in der Hosentasche. „Kannst du Alexander mal einen Moment lang halten, Clara?“
„Oh nein, auf gar keinen Fall! Dann habe ich wieder sein Bäuerchen auf meinem Kleid, und das wichtige Meeting mit Kenyon Corp. steht an, wie du weißt.“ Clara lächelte Alexander an. „Ich liebe dich, mein Kleiner, auch wenn ich jetzt nicht riskiere, dass du wie beim Geburtstagsessen deiner Großmutter mein Kleid vollsabberst.“ Sie warf dem Baby einen Luftkuss zu und verschwand hinter den Milchglastüren.
Liam verdrehte lächelnd die Augen. Vor sechs Monaten und einem Tag hätte er auch nicht riskiert, dass Babyspucke auf seinem Hugo-Boss-Anzug landete. Inzwischen machte es ihm nichts mehr aus. Wie sehr er sich im letzten halben Jahr wegen seines Sohns verändert hatte, war erstaunlich.
Allerdings hielt er Alexander keineswegs für das glücklichste Baby Wyomings, wie Clara gesagt hatte, denn der Junge hatte keine Mutter. Sie war bei seiner Geburt gestorben – ein Schock.
Um sich mit seiner neuen Rolle als Vater vertraut zu machen, hatte er zwei Wochen lang Urlaub genommen und eine Säuglingsschwester engagiert. Unter ihrer Anleitung hatte er gelernt, nachts alle paar Stunden aufzustehen, Babyfläschchen zu erwärmen und Windeln zu wechseln. Er hatte herausgefunden, welche Schreie seines Babys Hunger, eine volle Windel oder das Bedürfnis nach Trost und Zuwendung bedeuteten.
Jetzt – sechs Monate später – war er vielleicht sogar ein guter Vater und rund um die Uhr für seinen Sohn da, aber er konnte dennoch keine Mutter ersetzen – und bei der Suche nach einer Mutter für seinen Sohn gab es ein Problem: Er suchte keine Ehefrau.
„Da ist ja unser kleiner Erbe!“, rief Harrington Mercer. Der achtundfünfzigjährige Generaldirektor nahm das Baby und hielt es hoch. „Alexander, während du auf dem College bist, wirst du hier in der Firma Praktika absolvieren. Dann wirst du Betriebswirtschaft studieren und schließlich einmal MI übernehmen – genau wie dein Papa und Opa das Unternehmen von deinem Urgroßvater Wilton Mercer übernommen haben.“
„Dad, er ist sechs Monate alt. Lass ihn erst einmal eine Nacht durchschlafen, bevor er als Junioranalyst bei MI anfängt, ja?!“
„Es ist nie zu früh, einen Erben darauf vorzubereiten. Das weißt du doch am besten. Du bist in diesem Gebäude groß geworden.“ Er lächelte und küsste Alexander auf die Wange. „Ich habe ein kleines Geschenk für dich.“
Er reichte das Baby wieder seinem Sohn und nahm einen winzigen braunen Stetson aus der Aktentasche. „Hier, wir mögen Geschäftsmänner sein, aber wir kommen aus Wyoming und sind im Grunde alle Cowboys.“ Er setzte Alexander den winzigen Filzhut mit breiter Krempe auf, nickte anerkennend und verschwand hinter den Milchglastüren.
„In einem Moment verstehe ich deinen Opa überhaupt nicht“, flüsterte Liam seinem Sohn zu, „und im nächsten Moment möchte ich ihn abknutschen. Hach, Menschen sind kompliziert.“
Alexander lächelte, umfasste Liams Kinn und drückte zu.
„Weißt du, was überhaupt nicht kompliziert ist? Wie sehr ich dich liebe.“
Liam fuhr mit dem Aufzug in die dritte Etage, auf der sich das unternehmenseigene Fitnesscenter, die Cafeteria und die Kita befanden. Im zweiten Raum der Kita wurden Babys bis zu einem Alter von vierzehn Monaten betreut. Die hellblauen Wände und die Ausstattung mit Wippen, Spielmatten, Wiegen und Mobiles verliehen dem Raum eine behagliche Atmosphäre.
„Guten Morgen, Mr. Mercer“, sagte die Leiterin der Säuglingsbetreuung lächelnd. „Und guten Morgen, Alexander. Hey, mir gefällt dein Hut!“
Liams Großmutter Alexandra Mercer hatte die unternehmenseigene Kita vor fast sechzig Jahren ins Leben gerufen. Damals war die brillante Geschäftsfrau und spätere Unternehmenschefin Mutter geworden und hatte ihren Ehemann und MI-Generaldirektor Wilton davon überzeugt, eine Kinderbetreuungseinrichtung für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu eröffnen.
Heute waren mehr als die Hälfte der Angestellten bei MI Frauen, und die Kita war fast immer bis auf den letzten Platz ausgelastet. Die Mitarbeiter waren zufriedener und produktiver, wenn sie ihre Babys und Kinder ganz in der Nähe gut versorgt wussten. Liam konnte das inzwischen aus eigener Erfahrung bestätigen.
Er zückte sein Handy, um ein Foto von Alexander zu machen, der immer noch den Stetson trug, und bemerkte dabei eine unbekannte Nummer auf dem Display. Der Teilnehmer hatte schon mehrmals versucht, ihn zu erreichen. Als er das Foto machte, vibrierte das Handy erneut.
„Bis nachher, Cowboy“, sagte er zu seinem Sohn und nahm das Gespräch entgegen, als er die Kita verließ. „Liam Mercer.“
„Oh, zum Glück erreichen wir Sie endlich, Mr. Mercer! Mein Name ist Anne Parcells. Ich leite die Wedlock Creek Clinic. Wir müssen Sie bitten, sofort herzukommen und Ihr minderjähriges Kind Alexander West Mercer sowie Ihren Anwalt mitzubringen.“
Liam erstarrte. „Worum geht es?“
„Wir reden in der Klinik über alles. Könnten Sie um Viertel nach neun Uhr hier sein? Die anderen werden dann auch eingetroffen sein.“
„Die anderen ?!“
„Können wir Sie um Viertel nach neun erwarten, Mr. Mercer? Bitte kommen Sie in mein Büro.“
Er sah auf seine Armbanduhr. Es war fünf Minuten vor neun Uhr. „Ich werde da sein.“ Alexander war in dieser Klinik geboren worden. Wenn Mrs. Parcells seinen Sohn als minderjähriges Kind bezeichnete und von einem Anwalt redete, lag wahrscheinlich eine Art Haftungsproblem wegen der Nacht vor, in der Alexander zur Welt gekommen war. Vielleicht eine Sammelklage.
Als die Erinnerungen an den Schneesturm zurückkamen, schloss er für einen Moment die Augen. Alexanders Mutter hatte ihn angerufen. Liza Harwood hatte so verzweifelt geklungen, wie er es noch nie erlebt hatte. Allerdings hatte er sie auch nicht lange gekannt.
„Liam, es bleibt keine Zeit für Erklärungen!“, hatte sie gesagt. „Ich bin mit deinem Baby im neunten Monat schwanger, und die Wehen haben schon eingesetzt. Ich bin auf dem Weg zum Krankenhaus. Der Schneesturm ist so schlimm! Ich habe Angst, dass mir irgendetwas zustößt – für den Fall habe ich dir einen Brief hinterlassen …“
In den meisten Haushalten in Wedlock Creek war wegen des Schneesturms die Stromversorgung zusammengebrochen, und in der Klinik war der Notfallgenerator sogar zweimal ausgefallen. In der Stadt hatte es durch umgestürzte Bäume und heruntergefallene Äste sehr viele Unfälle gegeben.
Liza hatte es zwar unfallfrei in die Klinik geschafft, aber sie hatte die Geburt des Kindes nicht überlebt – eine Tragödie, die nichts mit dem Schneesturm oder der Klinikversorgung zu tun gehabt hatte.
Shelby Ingalls saß im Büro der Leiterin der Wedlock Creek Clinic und drückte ihren kleinen Sohn an ihre Brust. Shane schlief im Babytragetuch. Sie warf einen Blick auf die Tür. Hoffentlich kommt Mrs. Parcells bald zurück und bringt dieses Meeting – worum es auch immer gehen mag – möglichst schnell über die Bühne.
Shelby hatte ihren Secondhandladen Treasures um zehn Uhr öffnen wollen und vorher noch die schönen altertümlichen Bilderrahmen ins rechte Licht rücken wollen, die sie erst neulich bei einer Haushaltsauflösung entdeckt hatte. Sie wusste, dass die Bilderrahmen einigen ihrer Stammkunden sehr gefallen würden.
Wedlock Creek war zwar eine Kleinstadt, aber im Zentrum herrschte geschäftiges Treiben, und am Stadtrand fanden regelmäßig Rodeos statt. Also kamen Leute aus ganz Wyoming und besuchten die Restaurants, das Kino und eben auch die Läden in der kilometerlangen Main Street.
Als Anne Parcells angerufen und sie gebeten hatte, in die Klinik zu kommen, ihr minderjähriges Kind und ihren Anwalt mitzubringen, war Shelby gerade auf dem Weg zu ihrem Secondhandgeschäft gewesen. Mrs. Parcells Formulierung und das Wort Anwalt hatten Shelby in größte Aufregung versetzt.
Shane war nämlich sehr krank gewesen. Wegen eines Magenvirus hatte sie ihn vor einer Woche in die Klinik gebracht, wo eine Blutuntersuchung angeordnet worden war. Seitdem hatte Shelby auf die Testergebnisse gewartet.
Shane war inzwischen wieder wohlauf, und auch Mrs. Parcells hatte ihr versichert, dass ihr Sohn gesund war. Dennoch hatte die Frau darauf bestanden, dass Shelby sofort mit Shane und noch dazu einem Anwalt in die Klinik kommen sollte.
Erstens hatte sie keinen Anwalt, und es gab auch keinen Anwalt in ihrer recht großen Familie. Zweitens wollte sie nicht, dass ihre Familie von dem Termin erfuhr, bevor sie selbst wusste, worum es ging. Ihre Schwester, Mutter, Tante Cheyenne und eine Menge Cousins und Cousinen hätten sich sonst alle in diesem Büro versammelt.
Also hatte sie ihre Schwester angerufen. Obwohl Norah eine Klatschtante vor dem Herrn war, die alles und jeden in der Kleinstadt kannte, konnte sie ein Geheimnis für sich behalten. Und bei dem Telefonat hatte sich herausgestellt, dass sich ihre Schwester neuerdings ausgerechnet mit einem sehr ausgebufften Anwalt verabredete.
Ein paar Minuten später hatte ihre Schwester zurückgerufen und Shelby versichert, dass Rechtsanwalt David Dirks sie um zehn Minuten nach neun Uhr in der Klinik treffen würde. Sie hatte ihr auch ausgerichtet, dass es sich bei dem Termin höchstwahrscheinlich um eine Sammelklage handelte.
In der Nacht, in der Shane zur Welt gekommen war, hatte es nämlich einen Stromausfall gegeben, und der Notfallgenerator in der Klinik war zweimal ausgefallen. Norah hatte Shelby zugesichert, niemandem etwas von dem Termin zu erzählen, aber sie hatte darauf bestanden, dass Shelby sie danach sofort anrufen würde.
Shelby betrachtete ihren geliebten kleinen Sohn und strich über seine feinen braunen Haare. Einen Moment später erschien ein attraktiver Mann Anfang dreißig, der ein Jungengesicht hatte und eine schwarze Hornbrille trug.
„David Dirks.“ Er schüttelte ihr die Hand und setzte sich neben sie. „Wenn die Klinikleiterin hereinkommt und ihre Ansprache hält, enthalten Sie sich bitte jeglichen Kommentars. Beantworten Sie keine Fragen. Lassen Sie mich für Sie reden, ja?!“
„Ich rede immer für mich selbst, aber ich höre durchaus auf Ihren Rat, und dann sehen wir weiter.“ In diesem Moment kamen zwei andere Männer zur Tür herein. Beim Anblick des Mannes, der ein Baby auf dem Arm trug, stockte ihr fast der Atem.
Sie hatte den Mann schon einmal gesehen und würde sein Gesicht auch nie vergessen, nicht nur, weil er unglaublich gut aussah. Er war etwa eins sechsundachtzig groß, schlank und muskulös, hatte dicke dunkle Haare, schöne blaue Augen und rechts neben dem Mund ein Grübchen.
Er hatte in der Nacht, in der sie in den Kreißsaal der Klinik gebracht worden war, im überfüllten Wartebereich gesessen. Er hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen gehabt, als sie mit der Transportliege eilig hereingefahren worden war. Er hatte für einen winzigen Moment aufgeschaut, und sie hatten einander in die Augen gesehen.
Diesen Moment lang hatte die Mischung aus Angst und Sorge, die sich auf seinem Gesicht und in seinen Augen widergespiegelt hatte, Shelby derart gefangengenommen, dass sie nichts anderes mehr wahrgenommen hatte als ihn. Angesichts der Tatsache, dass sie bereits in den Wehen gelegen hatte, sollte das durchaus etwas heißen. Wenige Sekunden später hatte der Sanitäter sie in den Kreißsaal geschoben.
Seitdem hatte sie sich immer wieder einmal gefragt, ob die Person wohlauf war, auf die der Mann damals offensichtlich voller Sorge gewartet hatte. In dieser Nacht hatte ja ein furchtbarer Schneesturm getobt, und die normalerweise zehnminütige Fahrt von ihrer direkt über dem Secondhandladen liegenden Wohnung zur Klinik hatte fast eine Stunde gedauert.
Da sie jetzt diesen Mann mit dem Baby anstarrte, warf er einen Blick auf sie. Shelby konnte erkennen, dass er nachdachte, wo er ihr schon einmal begegnet war.
„Guten Morgen“, sagte eine Frau, die nach den beiden Männern ins Büro kam. „Ich bin Anne Parcells. Danke, dass Sie gekommen sind, Ms. Ingalls und Mr. Mercer.“ Alle Beteiligten stellten sich einander vor und setzten sich.
Die Klinikleiterin räusperte sich. Shelby empfand sogleich Mitgefühl. Die gemeinnützige Wedlock Creek Clinic, die eine Notfallambulanz einschloss, war ein Segen für viele Menschen im Landkreis, denn das nächste Krankenhaus lag eine Dreiviertelstunde Fahrtzeit entfernt. Im Fall einer Sammelklage müsste die Klinik vielleicht schließen.
„Ich sage es geradeheraus.“ Mrs. Parcells sah von einigen Papieren auf. „Vor einer Woche hat Ms. Ingalls ihren sechs Monate alten Sohn Shane mit einem Magenvirus in die Klinik gebracht. Es wurde eine Blutuntersuchung angeordnet. Laut den Laborergebnissen, die uns seit heute Morgen vorliegen, besteht eine Unstimmigkeit zwischen den Blutgruppen von Ms. Ingalls und Shane Ingalls.“
Eine Unstimmigkeit? Shelby starrte die Frau an, die sie einen Moment lang teilnahmsvoll ansah, bevor sie wieder auf die Papiere blickte.
„Den Ergebnissen zufolge kann Ms. Ingalls unmöglich die Mutter von Shane Ingalls sein.“
Wie bitte? Was zur Hölle …? Shelby legte die Arme um Shane und sprang auf. „Das ist unmöglich! Natürlich ist er mein Sohn. Ich habe ihn zur Welt gebracht!“
„Der Test wurde sicherheitshalber dreimal wiederholt. Ich fürchte, dass Shane Ingalls nicht Ihr leiblicher Sohn sein kann.“
Shelby wurde schwindelig. Sie sank wieder auf den Stuhl. Da musste etwas falsch sein – das war die einzige Erklärung. Natürlich war Shane ihr Sohn! Vage bekam sie mit, dass sich ihr Anwalt die Unterlagen geben ließ und durchlas.
„Meine Güte“, flüsterte er.
Sie schloss die Augen und versuchte, Haltung zu bewahren, obwohl sie das Gefühl hatte, in jedem Moment ohnmächtig zu werden.
„Wir werden Ihnen und Shane erneut Blut abnehmen und in einem anderen Labor Bluttests machen lassen“, sagte David Dirks.
Sie nickte. Ja, ein weiterer Bluttest in einem anderen Labor. Es handelte sich gewiss nur um einen Fehler. Die Ergebnisse würden zeigen, dass sie Shanes Mutter war.
„Verzeihung“, sagte Liam Mercers Anwalt, „aber was hat die Sache mit meinem Mandanten zu tun?“
Mrs. Parcells holte tief Luft. „Aufgrund der Ergebnisse der Blutuntersuchung habe ich ein Gespräch mit der in der Nacht der Geburt diensthabenden Schwester geführt, die vor drei Monaten in den Ruhestand gegangen ist. Wir glauben, dass Shane Ingalls und Alexander Mercer, die beide in den frühen Morgenstunden des fünften Novembers geboren wurden, nach der Geburt versehentlich vertauscht worden sind.“
Shelby rang hörbar nach Atem.
„Das ist unmöglich!“, sagte Liam Mercer.
Die Klinikleiterin sah erst Shelby und sah dann Liam an. „In dem vom Schneesturm verursachten Chaos hat die Schwester den beiden männlichen Säuglingen erst zu dem Zeitpunkt personalisierte Patientenarmbänder angelegt, als der Notfallgenerator wieder angesprungen ist. Sie war sich sicher, dass sie Ms. Ingalls Sohn in das linke Bettchen gelegt hat und Ms. Harwoods Sohn in das rechte Bettchen. Da wir jetzt wissen, dass Ms. Ingalls aber nicht die leibliche Mutter von Shane sein kann , glaubt die Schwester, sich vertan zu haben.“
Liam stand auf und drückte seinen Sohn an sich. „Das ist lächerlich. Wie Mr. Dirks gesagt hat, muss der Fehler bei den Bluttests gemacht worden sein – ein falsch beschriftetes Röhrchen, und schon sind Mutter und Kind plötzlich nicht mehr miteinander verwandt. Die Babys sind nicht vertauscht worden!“
„Mr. Mercer, ich wünschte auch, es wäre so, aber der Generator ist genau zu der Zeit ausgefallen, in der die Babys auf die Kinderstation gebracht worden sind, um gewaschen zu werden. Also ist es sehr gut möglich, dass sie tatsächlich vertauscht wurden. Außerdem wurde Ms. Ingalls Blut im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge schon zweimal getestet, und die Ergebnisse sind dokumentiert. Ihre und Shanes Blutgruppe sind nicht verträglich.“
Oh nein. Shelby verlor den letzten Funken Hoffnung.
„Was heißt sehr gut möglich ? Entweder hat die Schwester die Babys vertauscht oder nicht. Wenn Sie sich nicht sicher sind, dann …“ Liam schüttelte den Kopf und starrte die Klinikleiterin an. „Moment mal, Alexander ist hier geboren worden. Also müssen seine Blutgruppe und die Blutgruppe seiner Mutter dokumentiert sein. Sind die verträglich? Bestimmt.“
„Ja, Alexanders Blutgruppe ist eine derjenigen, die am häufigsten vorkommt. Sie ist mit Ms. Harwoods, aber auch mit Ms. Ingalls Blutgruppe verträglich. Das heißt, es müssen DNA-Tests durchgeführt werden.“
„Sehen Sie“, sagte Liam. „Alexanders Blutgruppe passt zur Blutgruppe seiner Mutter und ganz sicher auch zu meiner Blutgruppe. Er ist mein Sohn.“
„Sie waren in den letzten fünf Jahren zweimal Patient in unserem Krankenhaus. Auch Ihre Blutgruppe ist dokumentiert und mit Alexanders Blutgruppe verträglich.“
„Das ganze Durcheinander hat also nichts mit mir zu tun“, sagte er sehr erleichtert und sah zu Shelby hinüber. „Das ist irgendwas falsch. Es muss ein Fehler sein.“
„Er hat recht!“, rief Shelby panisch. „Es muss ein Fehler sein!“
„In der Nacht des fünften Novembers sind in der Klinik vier Babys geboren worden“, erwiderte Mrs. Parcells. „Zwei Jungen und zwei Mädchen. Wenn es zu einer Verwechslung gekommen ist, dann zwischen Shane Ingalls und Alexander Mercer.“
Die Anwälte fingen an zu reden. Shelby betrachtete Liam, der jetzt auf und ab ging – und schaute sich sein Baby genauer an. Sie schnappte nach Luft.
„Was ist?“ Liam erstarrte und musterte sie.
„Das kleine Muttermal auf seinem Ohrläppchen“, flüsterte sie und stand auf. „Das habe ich auch, genau wie meine Großmutter.“ Alle schauten auf den winzigen rotbraunen Fleck auf dem Ohrläppchen des Babys und dann auf Shelbys Ohrläppchen.
„Um Himmels willen!“, sagte Liam und hielt Alexander so, dass der aus der Sichtweite war. „Das ist ein kleiner Kratzer, der wieder verblasst.“
Shelby sank erneut auf den Stuhl und starrte auf Shanes dunkle Haare. Sie war zwar blond, aber Shanes Vater war dunkelhaarig und hatte wie Shane blaue Augen. Sie hatte den Rodeoreiter dummerweise nach einer kurzen und stürmischen Umwerbung geheiratet. Er hatte in dem Moment mit einer anderen Frau die Stadt verlassen, als sie ihm mitgeteilt hatte, dass sie schwanger war.
Das Baby, das Liam Mercer auf dem Arm hielt, hatte ebenfalls dunkle Haare und blaue Augen, einen graublauen Farbton. Tatsächlich sahen sich die Babys ziemlich ähnlich. Abgesehen davon, dass Shanes Gesichtszüge ein wenig markanter waren. Ja, Shane sah Liam Mercer ähnlich. Oh nein, das kann doch nicht sein. Es liegt ein Fehler vor. Shane ist mein Sohn.
Liams Anwalt überflog die Papiere und sah auf. „Aufgrund der Blutgruppen gibt es keinen Grund zur Annahme, dass Alexander nicht das leibliche Kind meines Mandanten ist. Wir warten also zunächst die Ergebnisse der DNA-Tests ab.“
David nickte. „Wir werden Shanes und Ms. Ingalls Blutgruppen in einem weiteren Labor bestimmen lassen. Bis die Ergebnisse vorliegen, gehen wir weiter davon aus, dass Shane das leibliche Kind meiner Mandantin ist.“
„Gut, wenn beide Parteien damit einverstanden sind“, sagte die Klinikleiterin. „Natürlich ist es erforderlich, dass Sie beide einige Papiere unterzeichnen.“
Shelby war wie betäubt. Sie schaute Shane an und hielt ihn fest in ihren Armen. Er war ihr Sohn.
„Ich habe Sie gesehen.“ Liam stellte sich vor Shelby. „Ich meine in der Nacht, in der Alexander geboren wurde“, fügte er hinzu, als sie hochsah. „Ich habe im Wartebereich gesessen, und Sie sind plötzlich hereingefahren worden. Eine andere Transportliege hatte den Durchgang versperrt, und ich habe befürchtet, dass Sie direkt vor mir ihr Kind bekommen.“
„Ich erinnere mich auch“, sagte sie. Daran , wie wir uns in die Augen gesehen haben und dass ich plötzlich nichts anderes mehr wahrgenommen habe.
Liams Anwalt ergriff das Wort. „Ich möchte mich mit meinem Mandanten beraten.“ Er zog sich mit Liam in die andere Ecke des Büros zurück.
„Und ich mich mit meiner Mandantin!“, sagte David. „Shelby, bis die Ergebnisse der Blutuntersuchung vorliegen, ist Shane nach wie vor Ihr Sohn“, erklärte er ihr. „Selbst wenn Sie und Shane laut den Ergebnissen nicht miteinander verwandt sein können – wir gehen weiter davon aus, dass Shane Ihr rechtmäßiges Kind ist, bis die Ergebnisse des DNA-Tests vorliegen.“
„Was ist, wenn er es nicht ist?“, fragte sie schluchzend.
„Dann treffen wir uns alle wieder. Bis dahin lassen Sie sich auf keine Forderung Mercers oder seines Anwalts ein, ja?! Und unterschreiben Sie um Himmels willen nichts. Haben Sie mich verstanden?“
„Ja.“
Schließlich führte die Klinikleiterin Shelby, Liam und die beiden Anwälte in ein anderes Zimmer und klärte sie ausführlich über den DNA-Test auf. Dann nahm ein Laborant jeweils eine Speichelprobe. Die Anwälte und zwei weitere Laboranten dienten als Zeugen.
„Ich werde zusätzlich heute im Cottonwood County Hospital meine und Shanes Blutgruppen bestimmen lassen und darum bitten, dass die Ergebnisse an alle Beteiligten weitergeleitet werden“, sagte Shelby.
Mrs. Parcells betonte noch einmal, wie leid ihr der Vorfall tat. Sobald die Ergebnisse der DNA-Tests vorliegen würden, wollte sie alle Beteiligten informieren. Nachdem die Anwälte sich verabschiedet hatten, verblieben Liam und Shelby allein im Zimmer. Er schien genauso schockiert, verwirrt und erschrocken zu sein wie sie.
„Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, aber wenn Shane nicht mein leiblicher Sohn ist – wenn die Babys vertauscht wurden –, ist dann das Baby in Ihren Armen mein Kind ?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das ist ja verrückt.“
„Alexander ist mein Sohn“, sagte er so grimmig, dass Shelby einen Schritt zurücktrat. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so angefahren habe. Ich weiß, dass Sie dasselbe durchmachen wie ich.“
War Alexander ihr Sohn? Hatte sie vor sechs Monaten mit dem Kind einer anderen Mutter die Klinik verlassen und ihr eigenes Kind zurückgelassen? Sie blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. „Darf ich ihn einmal aus der Nähe betrachten?“
Er zögerte und trat dann auf sie zu. Ihr stockte der Atem. Alexander Mercer sah ihr sehr ähnlich, von der Augenform bis hin zum kleinen Muttermal am Ohr. Allerdings hatte er wie Liam ein Grübchen – ebenso wie Shanes Vater.
Dennoch bedeutete diese Ähnlichkeit nicht, dass Shane nicht ihr Sohn war, auch wenn das Baby, das sie im Arm hielt, Liam Mercer sehr ähnelte. Einen Moment lang fehlten ihr die Worte. „Ich liebe Shane von ganzem Herzen. Ich bin alleinerziehend und seine Mutter. Er ist mein Sohn.“
„Ich empfinde dasselbe für Alexander. Seine Mutter ist bei der Geburt gestorben.“
Oh nein. Deshalb hatte er in dieser Nacht so sorgenvoll und beunruhigt ausgesehen. „Das tut mir sehr leid. Und ich habe Angst, wirklich Angst.“
„Ich sage das nicht oft, Ms. Ingalls, doch auch ich habe Angst.“
Das sorgte dafür, dass sie sich besser fühlte, insbesondere, da er zur Familie Mercer gehörte. Der Name Mercer bedeutete in Wedlock Creek Macht und Geld, während sie finanziell nur knapp über die Runden kam. „Liam, mein Sohn sieht Ihnen ziemlich ähnlich – und Ihr Sohn sieht mir ziemlich ähnlich.“
Er drehte sich weg und starrte auf Alexander. „Ja, ich weiß und ich bin furchtbar beunruhigt, dass die Babys tatsächlich vertauscht worden sind. Ich habe ja selbst gesehen, wie Sie in dieser Klinik zur selben Zeit wie Alexanders Mutter in den Wehen gelegen haben. Wenn Shane nicht Ihr Sohn ist …“ Er senkte den Blick.
„Und was jetzt?“, fragte Shelby.
„Du, wa“, krähte Shane und sah Alexander an.
Die beiden Babys beäugten sich und lächelten sich dann an. Alexander berührte Shanes Arm, und Shane streckte die Hand aus, um den winzigen Stetson zu berühren, den Alexander immer noch trug.
„Die beiden mögen sich“, sagte Liam weich. „Hören Sie, lassen Sie uns zum Cottonwood County Hospital fahren, Ihre und Shanes Blutgruppen bestimmen und mit Sicherheit herausfinden, dass Sie und Shane nicht miteinander verwandt sein können. Dieses Krankenhaus hier hat sich vielleicht seit Jahren irgendwelche Fehler geleistet.“
Vielleicht sollte ich mich besser an den Rat meines Anwalts halten. Allerdings gab es nur eine Person, die wusste, wie sich dieser Wahnsinn anfühlte – und das war Liam. Und sie wollte hören, was er zu sagen hatte und musste jetzt in seiner Gesellschaft sein. Also nickte sie. „Ich bin aber im Moment nicht in der Verfassung, mich hinters Steuer zu setzen. Meine Hände zittern.“
„Ich fahre. Ich befestige Shanes Babyschale in meinem SUV.“
Das bedeutete, dass er zumindest äußerlich ruhig war. Weil er wusste, dass er in jedem Fall nichts zu verlieren hatte? Die Mercers hatten Macht und Geld. Was konnte Liam Mercer schon passieren?
„Ich will etwas klarstellen, Mr. Mercer. Sie und Ihre Familie sind wohlhabend und einflussreich. Ich dagegen bin alleinerziehend und muss einen Secondhandladen am Laufen halten. Doch wenn Sie Druck auf mich ausüben, wenn Sie versuchen, irgendetwas Hinterhältiges zu tun, dann werde ich mich mit allen Mitteln zur Wehr setzen!“
„Oha. Wir sind doch beide in derselben Lage, Ms. Ingalls. Geld und Macht bedeuten in diesem Fall nichts. Wenn Alexander nicht mein leiblicher Sohn ist, ändert alles Geld in Wyoming nichts daran.“
Sie starrte ihn an. Er hatte recht. Doch die Mercers hatten genug Mittel und Einfluss, um ihr Shane wegnehmen zu können. Er könnte zum Schluss an beide Jungen gelangen.
„Ich mag reich sein, Ms. Ingalls“, fuhr er fort, „aber ich bin nicht hinterhältig. Und ich bin genau wie Sie alleinerziehend. Ich schwöre Ihnen, dass ich niemals etwas tun werde, um Ihnen oder diesen beiden Babys zu schaden.“
Shelby glaubte ihm und fühlte sich besser. „Nenn mich ruhig Shelby.“
„Dann sag bitte Liam zu mir.“ Er deutete ihr mit einer Handbewegung an, dass sie vorgehen sollte. „Lass uns von hier verschwinden.“
Als sie beobachtete, wie zärtlich er den Reißverschluss von Alexanders Strampelanzug hochzog, wusste sie, dass er dieses Baby genauso liebte wie sie Shane. Was für ein Schlamassel!
Nachdem Liam auf dem Parkplatz Alexander in die Babyschale in seinem schnittigen schwarzen SUV verfrachtet hatte, fuhr er zu ihrem zwölf Jahre alten Ford, neben dem sie stand und Shane an ihre Brust drückte. Sie konnte und würde Shane nicht verlieren.
Doch das Baby in dem schwarzen Auto war sehr wahrscheinlich auch ihr Baby. Plötzlich wollte sie Alexander in die Arme nehmen und ihm erklären, dass sie nichts von dem Versehen der Säuglingsschwester gewusst hatte. Sie wollte ihm sagen, wie leid es ihr tat, dass nicht sie, sondern jemand anders ihn nach Hause mitgenommen und sich an den allerersten Tagen um ihn gekümmert hatte.
Als Tränen über ihr Gesicht liefen, spürte sie, dass jemand eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie hatte nicht einmal bemerkt, dass Liam aus dem Auto ausgestiegen und zu ihr gekommen war.
„Wir finden die Wahrheit gemeinsam heraus.“
Bei dem Wort gemeinsam beruhigte sie sich wieder und sah ihm in die Augen. Er meinte es offenbar aufrichtig. Das letzte Mal, als sie einem Mann vertraut hatte, war sie am Ende allein gewesen und schwanger.
Ich muss mit äußerster Vorsicht vorgehen. Ich darf mich mit nichts einverstanden erklären. Ich darf nichts unterschreiben. Ich bin eine kluge Frau, ich behalte einen klaren Kopf. Sie war froh, als Liam seine Hand von ihrer Schulter nahm, Shanes Babyschale aus ihrem Auto holte und in seinem SUV befestigte.
Sie kannte diesen Mann überhaupt nicht. Das Wort gemeinsam würde wahrscheinlich nur ihm etwas nützen. Sie durfte nicht vergessen, dass sie allein auf sich gestellt war, oder sie würde letztlich alles verlieren.
Liam blieb auf der Fahrt zur Klinik äußerlich ruhig. Innerlich war er völlig aufgewühlt und froh, dass Shelby die ganze Zeit über schwieg. Er wollte nicht reden und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen.
Alexander war nicht sein Sohn ? Natürlich war er sein Sohn, verdammt. Egal, was irgendwelche Papiere sagten. Immer wieder ging ihm dies durch den Kopf. Er war sicher, dass Shelby dasselbe dachte. Aus diesem Grund wollte er in ihrer Gesellschaft sein und sie gleichzeitig nie wiedersehen.
War Shane sein leiblicher Sohn? Vielleicht. Wahrscheinlich? Nein, ja. Immer wieder stellte er sich dieselben Fragen, als Shelby und Shane zur Blutabnahme in ein Labor gebracht worden waren und er im Warteraum saß.
Alexander spielte sein Lieblingsspiel und drückte immer wieder Daddys Kinn. Die Frauen in der Nähe sagten, wie niedlich sie Alexander fanden. Er konnte Shane hinter der geschlossenen Tür schreien hören.
Er hoffte noch immer, dass dem Personal in der Wedlock Creek Clinic auch bei den Blutproben ein Fehler unterlaufen und Shelby doch Shanes leibliche Mutter war. Dann könnten alle ihr Leben wie bisher fortsetzen, und er hätte heute Abend beim Essen auf der Mercer-Ranch bloß eine absolut spektakuläre Geschichte zu erzählen.
Schließlich kam Shelby mit Shane zurück in den Warteraum. Liam starrte in das verweinte Gesicht des Babys. Plötzlich erkannte er nicht nur seinen eigenen Ausdruck darin, sondern auch Lizas Gesichtsausdruck und wurde blass.
„Geht es dir gut, Liam?“, fragte Shelby.
Langsam schüttelte er den Kopf. Ich muss mich beruhigen und darf die Hoffnung nicht aufgeben. Ich muss die Ergebnisse der Bluttests abwarten. Wenn demnach Shelby nicht Shanes leibliche Mutter ist, dann muss ich auf die Ergebnisse des DNA-Tests warten. Ich bin Alexanders Papa!
Sie verließen das Krankenhaus. Laut Shelby würden sie gegen fünfzehn Uhr die Ergebnisse telefonisch mitgeteilt bekommen. „Bis wir es wissen, will ich bei dir und Shane bleiben“, sagte er.
„Weil du Angst hast, dass ich mit deinem Erben davonlaufe?!“, fuhr sie ihn an. „Wenn Shane dein Sohn ist, dann ist Alexander mein Sohn.“
Er sah sie an. Ihre grünen Augen funkelten. „Du vertraust mir wirklich nicht.“
„Ich kenne dich schließlich nicht und fasse nicht leicht Vertrauen zu jemandem. Dazu kommt, wer du bist …“
„Shelby, ich habe dir gesagt …“
„… dass du nichts tust, was mir oder Shane schadet, ich weiß. Ich werde dich daran erinnern, wenn wir mit Sicherheit wissen, ob die Babys vertauscht wurden.“
Liam schüttelte den Kopf. „Lass es mich anders ausdrücken. Ich will bei dir und Shane bleiben, weil ich fast durchdrehe. Ich will nicht allein sein, aber noch niemandem etwas von der Sache erzählen. Ich will bei jemandem sein, der mich versteht, ohne dass ich ein Wort sagen muss.“
„Ich weiß genau, was du meinst.“ Besänftigt sah sie auf ihre Armbanduhr. „Du meine Güte, ich muss jetzt wirklich zu meinem Laden und das Schild Geschlossen an die Tür hängen. Die Minnow-Schwestern sorgen sich wahrscheinlich schon um mich. Außerdem wollte um halb elf Uhr jemand mit einem Sack Krempel vorbeikommen, den ich durchsehen will.“
„Minnow-Schwestern, Sack Krempel?“
„Für Treasures, meinen Laden! Die Minnows sind drei betagte Schwestern, die jeden Freitagmorgen in meinen Laden kommen, um zu sehen, was ich zum Wochenendansturm Neues anzubieten habe.“
Er nickte. „Der Secondhandladen neben der Bäckerei, stimmt’s? Meine Cousine Clara liebt dieses Geschäft. Ich habe ihr einmal Komplimente wegen eines Gemäldes gemacht, das in ihrem Flur hängt – und da hat sie gesagt, dass sie das Bild bei Treasures gekauft hat. Ich habe daraufhin selbst einmal dort vorbeigesehen. Als mir klar wurde, dass es ein Secondhandladen ist, bin ich aber weitergefahren.“
Sie zog eine Augenbraue hoch. „Warum überrascht mich das nicht? Ehrlich, man weiß nie, was man im Treasures so alles entdeckt.“
Altes Gerümpel, das selbst die Besitzer nicht mehr haben wollen? Das interessante Gemälde muss eine Ausnahme gewesen sein. „Warum fahren wir nicht dorthin? Wir können reden oder uns irgendwie beschäftigen, bis das Labor anruft. Ich könnte etwas Kaffee gut gebrauchen. Später fahre ich dich dann zurück zur Wedlock Creek Clinic, damit du dein Auto abholen kannst.“
Eine Dreiviertelstunde später parkte er den SUV vor dem Secondhandladen. Als sie Treasures betraten, wurde ihm klar, dass er tatsächlich schon einmal mit Clara in dem Geschäft gewesen war.
Seine Cousine hatte darauf bestanden, sich gemeinsam mit ihm nach einem Geschenk für ihre Mutter umzusehen. Er hatte nicht geglaubt, dass seine Tante ein Geschenk aus einem Secondhandladen haben wollte, aber seine Tante trug die Brosche leidenschaftlich gern, die Clara für sie ausgesucht hatte.
Er wusste nagelneue Dinge mehr zu schätzen. Wenn seine Cousine und seine Tante bei Treasures fündig wurden, war es umso besser für die Ladenbesitzerin, die er inzwischen auf so seltsame Weise kennengelernt hatte.
Shelby zog den Vorhang vor die Tür. „Ich enttäusche meine Kunden nicht gern, aber ich kann den Laden heute nicht öffnen. Nicht in meinem Zustand.“
„Ich weiß, was du meinst. Ich hatte heute mehrere Meetings auf der Tagesordnung stehen – auch Kaufverhandlungen. Ich habe sie delegiert.“
Er hatte Clara angerufen, damit sie die Verhandlungen mit Kenyon Corp. allein führte, und alle anderen Termine abgesagt, nachdem er Shelby und Shane vor dem Eingang des Krankenhauses abgesetzt und einen Parkplatz gesucht hatte.
Liam sah sich in dem bis auf den letzten Platz mit Waren gefüllten Laden um. Es gab Lampen, Blumenvasen, Schmuckkästchen, ein Buchregal mit ledergebundenen alten Klassikern, einen ganzen Tisch voller Teekannen und dem dazu passenden Geschirr sowie jeden erdenklichen Schnickschnack.
Neben dem Eingang hing eine Kuckucksuhr an der Wand. „Guck mal, Alexander, das ist eine Kuckucksuhr. Der kleine Vogel wird gleich herauskommen, wenn es halb zwei ist!“ Tatsächlich streckte kurz danach ein goldener Vogel mit einem roten Schnabel den Kopf durch das Türchen.
Alexander kicherte und deutete auf den Vogel.
„Kuckuck“, sagte Liam. „Kuckuck!“ Als Alexander erneut kicherte, drückte Liam ihn lächelnd an sich.
Shelby lächelte. „Vater zu sein, steht dir.“
Er betrachtete den kleinen Jungen, den er mehr als alles andere auf der Welt liebte. „Alexander hat mein Leben verändert – zum Guten.“
„Aber es muss schwer gewesen sein, von Wedlock Creeks begehrtestem Junggesellen zum Vater eines Säuglings zu werden – und das ohne Hilfe.“
„Vermutlich stand ich zu sehr unter Schock, um darauf zu achten, wie schwer es war. Ich habe einfach von Tag zu Tag gelebt. Doch jede Nacht, wenn ich Alexander um zwei und um vier Uhr die Flasche gegeben habe, wurde mir bewusst, dass ich die Verantwortung für dieses winzige Menschenleben trage, das ich gezeugt habe.“
Sie setzte Shane in die Babywippe, die hinter der Ladentheke stand, und gab ihm einen Beißring. „Nach allem, was wir erfahren haben, möchte ich Shane überhaupt nicht mehr loslassen, doch ehrlich gesagt – er wird größer und schwerer. Er wiegt jetzt acht Kilo.“
„Genau wie Alexander“, meinte Liam lächelnd und warf einen Blick auf Shane. „Was für ein Durcheinander, nicht wahr? Plötzlich steht dein und mein Leben auf dem Kopf.“ Er sah, dass Shelby Tränen in den Augen hatte. Er wollte Shelby umarmen und ihr sagen, dass sie diese Situation irgendwie zusammen durchstehen würden, aber was für ein Trost wäre das? Sie waren praktisch Fremde.
Das Licht, das durch die Fenster fiel, setzte ihr filigranes Profil und die blonden Haare in Szene. Sie sah so allein und verloren aus, dass er nach ihrer Hand griff und diese sanft drückte. Mit dieser Geste wollte er ihr deutlich machen, dass die ganze Situation kaum auszuhalten war und dass er keineswegs der Feind war.
Shelby schaute ihn überrascht an und drückte seine Hand. „Ich habe noch eine Kinderwippe, falls du auch mal eine Verschnaufpause brauchst?!“
„Sicher.“
Sie ging ins Hinterzimmer und kehrte mit einer gelben Babywippe zurück, an der ein aus Mond und Sternen bestehendes Mobile befestigt war. Alexander zeigte darauf.
„Gefällt dir die Babywippe?“, fragte Liam das Baby. „Wir setzen dich neben deinen Kumpel Shane.“ Er drehte die Babywippen einander zu, damit die Jungen sich ansehen konnten.
Shelbys Handy läutete. Schnell holte sie das Handy aus ihrer Tasche und meldete sich. Mit dem Mund formte sie lautlos die Worte das Labor.
Er schaute sie an. Ihre Augen waren voller Hoffnung, als sie zuhörte. Doch dann konnte sie einen Schluchzer kaum unterdrücken, bedankte sich, legte auf und brach in Tränen aus. „Oh nein!“ Er schloss für einen Moment die Augen. Nein!
„Es ist jetzt offiziell. Shane ist nicht mein Sohn.“
Liam ging zu ihr und legte einen Arm um sie. „Es tut mir so leid, Shelby.“
„Also hat die Säuglingsschwester die Babys tatsächlich vertauscht.“ Sie sah Alexander an. „Das Ergebnis des DNA-Tests wird ergeben, dass ich das falsche Baby nach Hause genommen habe. Wie konnte ich mein eigenes Kind nicht erkennen? Wie?“
Er erstarrte. Sie meint meinen Sohn. Er wollte sie davon abhalten, diese Worte zu sagen. Alexander war sein Sohn, aber er würde die Wahrheit akzeptieren müssen. „Die Babys sehen sich ähnlich. Und angesichts des durch den Schneesturm verursachten Chaos konntest du sein Gesicht nicht richtig sehen und bist wahrscheinlich kaum dazu gekommen, ihn im Arm zu halten.“
Sie schloss die Augen und schwieg.
„Wir haben beide das falsche Baby mit nach Hause genommen“, fügte er hinzu. Wenn er Shane betrachtete, sah er ein schönes Baby, doch er spürte keine Verbindung zu dem Jungen. Was bedeutete das? „Ich möchte mit der Schwester reden, die sie vertauscht hat. Ich muss aus ihrem Mund hören, was passiert ist.“
Shelby wischte sich die Tränen weg. „Können wir denn mit ihr reden?“
„Wir können tun, was immer wir wollen. Sie arbeitet nicht mehr in der Klinik.“
Sie nickte. „Ich würde auch gern von ihr hören, was passiert ist.“
„Ich werde Anne Parcells anrufen und um die Kontaktinformationen bitten. Vielleicht weicht sie aus. Immerhin könnte ihr eine Klage drohen, der Schwester auch.“
„Denkst du denn daran, sie zu verklagen ?“
„Nun, zuerst brauchen wir die Ergebnisse der DNA-Tests, die endgültig beweisen, dass wir mit den falschen Babys nach Hause gegangen sind. Falls der Schwester während eines Stromausfalls ein unglückliches Versehen unterlaufen ist …“
„Ein Versehen aufgrund der Umstände ist und bleibt ein Versehen , auch wenn dadurch unser Leben auf dem Kopf steht. Und wer weiß, was das für Shane und Alexander bedeuten wird.“
„Das heißt?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Nun, was passiert jetzt? Was passiert, wenn ich laut den DNA-Tests deinen Sohn habe und du meinen Sohn hast?“
Liam sog die Luft ein.
„Ich will Alexander im Arm halten, aber ich habe auch Angst davor.“
„Ich weiß. Du hast Angst, dass du nicht mehr in der Lage sein wirst, ihn mir zurückzugeben. Deshalb habe ich dich auch nicht gebeten, einmal Shane im Arm halten zu dürfen.“ Er würde der Wahrheit ins Gesicht sehen müssen. Shane war sein Sohn, den er zurückgelassen hatte. Er war nicht sicher, ob er damit umgehen konnte.
Shelby betrachtete Alexander. „Er hat meine Augen und die gerade Stupsnase der Ingalls. Wir haben alle diese Nase.“
„Eine schöne Nase“, sagte er. Seine Nase war markanter.
„Mir ist schwindlig“, meinte sie. „Ich glaube, ich muss mit Shane nach oben gehen und all das erst einmal sacken lassen.“
Er nickte. „Das ist eine gute Idee. Ich muss auch eine Weile allein sein, um das zu verdauen.“
„Liam, ich stehe meiner Familie sehr nah, besonders meiner Schwester. Ich glaube nicht, dass ich ihnen verheimlichen kann, was passiert ist, bis die DNA-Testergebnisse vorliegen. Und um ehrlich zu sein, will ich es auch nicht. Ich brauche die Unterstützung meiner Familie.“
Er nickte erneut. „Das kann ich gut verstehen. Ich stehe meinen Eltern oder meinem Bruder nicht so nah. Ich wünschte, es wäre so. Ich habe aber ein enges Verhältnis zu meiner Cousine Clara, der dein Laden so gut gefällt.“
Liam hatte eine Idee. Wenn er Shelby und Shane heute zum Abendessen einladen würde, könnte er die Bombe platzen lassen, und seine Familie könnte Shelby und Shane kennenlernen.
„Vielleicht ist es ein guter Gedanke, unsere Familien über die Situation zu informieren“, sagte er. „Die Mercers treffen sich jeden Freitag zum Abendessen, eine seit Generationen bestehende Tradition. Warum leistest du uns mit Shane nicht Gesellschaft? Dann können wir es ihnen zusammen sagen.“
„Du hast doch gesagt, dass du deiner Familie nicht nahestehst. Ein wöchentliches Familienessen als lange Tradition sagt etwas anderes, meine ich.“
„Ach, ich glaube, wir halten daran fest, weil wir etwas ändern wollen und die wöchentlichen Familienessen uns wenigstens das Gefühl geben, dass wir etwas tun, um die distanzierte Atmosphäre zu ändern. Doch der Abend endet immer in Auseinandersetzungen oder eisigem Schweigen. Meistens, weil mein jüngerer Bruder nicht bereit ist, ins Familienunternehmen einzusteigen. Er ist Cowboy auf einer Viehranch.“
„Na, dann ist er bestimmt froh, mich und Shane zu sehen, denn dann steht er nicht mehr im Fokus!“
Liam lachte und wunderte sich einen Moment darüber, dass ihm das Lachen noch nicht vergangen war. „Ja, der ist bestimmt begeistert.“
„Wie nehmen deine Eltern die Neuigkeit wohl auf?“
„Wie wir. Wer kann das schon fassen, zur Hölle? Ganz gleich, was passiert, Shelby. Wir entscheiden, wie es weitergeht. Du und ich. Egal, wie viel Druck unsere Eltern auf uns ausüben. Ich entscheide nichts ohne dich, und du entscheidest nichts ohne mich. Abgemacht?“
Sie sah ihn einen Moment lang eindringlich an. „Abgemacht.“
Er nahm Alexander auf den Arm. „Hole ich dich um halb sieben ab? Wir essen um sieben Uhr.“
„Ich treffe dich dort. Das ist mir lieber.“
„Dann fahre ich dich jetzt zur Wedlock Creek Clinic, damit du dein Auto holen kannst.“ Er ging zur Tür. Sie nahm Shane auf den Arm und folgte ihm. Während der Fahrt zur Klinik schwiegen sie beide. Als sie angekommen waren, befestigte er Shanes Babyschale wieder in ihrem Auto und wartete, bis sie zur Fahrertür ging und eine Hand hob, als wollte sie sich verabschieden. Für den Moment jedenfalls.
Er hob ebenfalls eine Hand und startete den Motor. Ein Teil von ihm war erleichtert, mit seinem geliebten Alexander allein zu sein. Wir sind in Sicherheit, dachte er in dem Augenblick, als er losfuhr, doch sein leibliches Kind ließ er wieder zurück.
Jemand drückte gleichzeitig lange auf die Klingelknöpfe von Treasures und Shelbys Wohnung im ersten Stock.
„Ich komme ja!“, rief Shelby, die gerade die Treppe hinaufging. Sie war erst vor fünf Minuten mit Shane zurückgekommen.
Schnell lief sie die Stufen hinunter und sah, dass Norah Sturm klingelte. Ihre Schwester schien außer sich zu sein und kam offenbar direkt aus dem Pie Diner, dem Restaurant der Familie. Shelby öffnete die Tür.
„Du hast nicht auf meine Anrufe und SMS reagiert! Vier Leute im Pie Diner haben gesagt, dass der Laden schon den ganzen Tag über geschlossen ist. Was ist denn los, Shelby? David wollte mir nichts sagen. Das hat mich noch panischer gemacht.“
„Lass uns nach oben gehen. Ich muss zu Hause sein, wenn ich es zum ersten Mal jemandem erzähle.“
„Was denn? Du machst mir Angst.“
„Es ist der Hammer!“ Als sie ihre Wohnung betrat, fühlte sie sich ein klein wenig besser. Sie wohnte seit fünf Jahren hier, seitdem sie Treasures mithilfe einer unerwarteten kleinen Erbschaft von ihrer vor Kurzem verstorbenen Großmutter eröffnet hatte.
Der Altbau hatte große Fenster, die viel Licht hereinließen. Sie hatte die Wohnung mit Fundstücken aus Haushaltsauflösungen eingerichtet. Wann immer sie in ihren eigenen vier Wänden war, kam sie zur Ruhe – was heute dringend nötig war.
„Ich lege Shane nur schnell für ein Nickerchen hin und bin sofort zurück.“ Im Kinderzimmer legte sie Shane ins Babybett und sang ihm sein Lieblingslied vor, bis er einschlief. Dann schenkte sie in der Küche zwei Gläser Weißwein ein und reichte Norah ein Glas. „In Ordnung, also …“
Ihre Schwester kostete von dem Wein. „Was immer es ist, was immer du brauchst – ich bin für dich da.“
Shelby fing an zu weinen.
Norah brach ebenfalls in Tränen aus. „Oh nein. Du bist krank?!“
Shelby erstarrte. Sie war nicht krank, und niemand lag im Sterben. Sie musste sich in den Griff bekommen. Mit diesem Vorsatz erzählte sie die ganze Geschichte von Anfang an und endete damit, dass Liam Mercer sie heute zum Abendessen auf die Familienranch eingeladen hatte.
Ihrer Schwester blieb der Mund offen stehen. Dann nahm sie Shelby lange in die Arme und drückte ihre Hand, bevor sie sich auf einen Stuhl setzte. „Das haut mich um. Ich kann es einfach nicht fassen. Es ist ja auch unfassbar.“
„Ich weiß. Ich glaube nicht, dass ich schon wirklich begriffen habe, was das bedeutet.“
„Wie ist Liam Mercer? Er ist mir schon ein paar Mal aufgefallen. Er ist kaum zu übersehen.“
Shelby trank einen Schluck Wein. „Ich weiß, er sieht umwerfend aus. Tolle Figur. Er ist überraschend nett.“
„Wirklich? Hat er dir nicht gedroht?“
„Mir Shane wegzunehmen? Nein. Ich glaube, er hat auch noch nicht wirklich realisiert, dass Shane sein Kind ist. Oder er ist noch nicht bereit dazu. Dafür braucht er wohl die DNA-Testergebnisse. Seine und auch die Blutgruppe der Mutter verträgt sich mit Alexanders Blutgruppe. Genau wie meine Blutgruppe. Also hofft er vermutlich, dass alles so bleiben kann, wie es ist.“
„Wenn er dir droht, hetzen wir David auf ihn!“, meinte Norah.
Sie griff nach der Hand ihrer Schwester und drückte sie. „Wie gut, dass du derzeit mit einem Anwalt zusammen bist. Dem Rest der Familie erzähle ich morgen alles. Jetzt muss ich noch ein bisschen ausruhen, bevor ich mich für das Abendessen bei den Mercers fertig mache.“
Liam studierte Drakes Gesichtszüge, als sein Bruder im Wohnzimmer der Familie das Baby hoch in die Luft hob. Alexander kicherte. Seitdem Liam vor zehn Minuten auf der Mercer-Ranch angekommen war, suchte er in den Gesichtern seiner Eltern und seines Bruders nach Ähnlichkeiten zwischen ihnen und Alexander.
Er hatte immer gedacht, dass Alexander eher nach Lizas Familie kommen musste, obwohl er nicht wirklich fand, dass der kleine Junge Liza ähnlich sah – und da Liza bei verschiedenen Pflegefamilien groß geworden war, hatte sie ihre eigene Familie sowieso nicht gekannt.
„Ich wusste, dass du genau wie ich ein Rancher wirst!“ Drake tippte an den Ministetson, den Harrington Mercer für seinen Enkelsohn gekauft hatte.
„Na, ein Wochenendcowboy , so wie ich“, verbesserte sein Vater ihn. „Die Wochentage gehören dem Familienunternehmen und die Wochenenden der Ranch. Seit Generationen hält jeder Mercer das so.“
„Oh nein, ein richtiger Cowboy – ob wochentags oder am Wochenende – geht seinen eigenen Weg.“
Liam bewunderte seinen Bruder, der sich schon als Junge nicht daran gehalten hatte, was er tun sollte und wie er zu sein hatte. Statt sich verbiegen zu lassen, hatte Drake lieber Strafen und Belehrungen ertragen.
Inzwischen war Drake siebenundzwanzig Jahre alt und die rechte Hand des Managers einer erfolgreichen Viehranch. Wahrscheinlich würde er in ein, zwei Jahren, wenn der Mann in den Ruhestand ging, dessen Job übernehmen.
Sein Bruder und er hatten beide die blauen Augen ihrer Mutter geerbt, dunkle Haare und ein Grübchen rechts neben dem Mund. Liam betrachtete seinen Sohn, den Drake in den riesigen Laufstall setzte. Jetzt, da er wusste, dass Alexander sehr wahrscheinlich Shelbys Sohn war, erkannte er Shelby in dem süßen Gesicht des Babys wieder.
„Ach, müssen wir jeden Freitag dieselbe Unterhaltung führen?“, fragte Larissa Mercer, die aus der Küche kam. „Wir sind hier zusammen. Das zählt. Lasst uns den Abend genießen.“
Harrington Mercer sah Drake finster an und schenkte sich einen Drink ein. Bevor er antworten konnte, klingelte es an der Tür.
Shelby und Shane. „Ich hätte es schon früher erwähnen sollen – ich habe eine Freundin zum Abendessen eingeladen“, sagte Liam. „Sie hat auch einen sechs Monate alten Sohn.“ Er hatte ein paar Stunden Zeit gehabt, um seine Mutter vorab zu informieren, aber er hatte die Worte einfach nicht über die Lippen bringen können.
Zudem wäre er mit Fragen bombardiert worden, welche Bedeutung Shelby denn für ihn hätte. Seit drei Jahren hatte er nämlich keine Frau mehr zum Familienessen mitgebracht. Als Dreiundzwanzigjähriger war er bis über beide Ohren in eine Frau verliebt gewesen, aber die hatte ihm das Herz gebrochen, als sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte.
Vor drei Jahren hatte er sich dann wieder auf eine Beziehung eingelassen. Die leitende Angestellte bei Mercer Industries war jedoch eher aus Karrieregründen an ihm interessiert gewesen. Sie hatte MI inmitten einer Firmenfusion im Stich gelassen, als sie ein besseres Jobangebot von einem Konkurrenzunternehmen bekommen hatte.
Anderthalb Jahre später hatte er Liza Harwood getroffen. Er hätte sich in sie verlieben können, wenn er nicht so auf der Hut gewesen wäre. Sie hatte ihm jedoch zu verstehen gegeben, dass sie keinerlei Interesse hätte, seine versnobte Familie zu treffen.
Liza hatte nur seine Zeit und Aufmerksamkeit gewollt – und er war nicht einmal dazu bereit gewesen. Als er ihr gesagt hatte, dass er wahrscheinlich nie an einer Heirat oder an Kindern interessiert wäre, hatte sie Schluss gemacht. Sie hatte recht damit gehabt.
„Ah, ein neue Liebste!“, sagte seine Mutter strahlend. „Oh, Harrington, hast du das gehört? Liam hat eine Freundin zum Familienessen eingeladen!“ Sie wandte sich wieder Liam zu. „Ich hatte es im Gefühl, dass du dich in eine alleinstehende Mama eines Babys verliebst. Dann habt ihr von Anfang an ziemlich viel gemeinsam.“
Er ging zur Tür. „Shelby ist nur eine Freundin .“
Seine Mutter lächelte. „Sicher ist sie das. Eine Freundin hast du noch nie zum Familienessen am Freitag eingeladen.“
Als er die Tür öffnete, war er bei Shelbys Anblick einen Moment lang wie gebannt. Nicht nur, weil sie schön war, sondern auch, weil er sie plötzlich zu brauchen schien. Als wenn er den Tag nicht durchstehen könnte, wenn sie nicht an seiner Seite war. Das kam ihm verrückt vor.
Sie befanden sich beide in derselben unfassbaren Situation. Sie war sozusagen sein Rettungsanker, die andere Hälfte in diesem Wahnsinn – nicht seine andere Hälfte natürlich. Es war klar, dass er sie brauchte, um nicht völlig den Boden unter den Füßen zu verlieren.
„Es tut gut, dich zu sehen“, sagte er aufrichtig. „Hallo, Shane, du siehst sehr gut aus in dem mit Lassos bedruckten Strampler.“ Als Shelby lachte, entspannte er sich und war fasziniert von ihren grünen Augen. Darin spiegelten sich so viele Emotionen wider: Sorge, Verwirrung, Beunruhigung. Und wenn er sich nicht täuschte, freute sie sich auch, ihn zu sehen.
Sie spähte an ihm vorbei, und er drehte sich um. Seine ganze Familie stand aufgereiht im bogenförmigen Eingang zum Wohnzimmer. Alle wollten offenbar unbedingt einen Blick auf die Frau werfen, die es geschafft hatte, zum Familienessen der Mercers eingeladen zu werden.
„Das ist Shelby Ingalls und ihr Sohn Shane“, sagte er. „Shelby, das ist meine Mutter, mein Vater und mein Bruder Drake.“
Seine Mutter und sein Bruder lächelten und sagten, wie süß Shane war. Sein Vater aber starrte Shane wütend an.
„Kann ich kurz mit dir reden, Liam?“, meinte er aufgebracht.
Liam warf einen Blick auf Shelby, die neben seiner Mutter stand und ihm zunickte. Dann folgte er seinem Vater in die Bibliothek.
Harrington Mercer schloss die Tür. „Jetzt hör mir mal zu, Liam. Ich habe ein uneheliches Kind akzeptiert, aufgrund der besonderen Umstände und weil du es aufziehst. Aber wenn du glaubst, dass dieses andere Kind dieselben Privilegien wie Alexander genießen wird, dann irrst du dich!“
Er starrte seinen Vater verständnislos an. „Wie bitte?“
„Offensichtlich bist du der Vater von Shelbys Kind. Der Junge sieht genauso aus wie du. Und in Anbetracht der Tatsache, dass die Babys gleich alt sind, sage ich dir jetzt, dass du Kondome benutzen sollst, um Himmels willen!“
Liam hätte fast gelacht, weil er die Unterhaltung so lächerlich fand. Doch nichts daran war komisch. „Ich muss etwas bekannt geben, Dad. Euch allen. Also lass uns zurück zu den anderen gehen.“
„Glaub mir, du musst nichts bekannt geben . Es ist jedem klar, der das Baby ansieht.“ Kopfschüttelnd folgte ihm sein Vater.
Liam stellte sich neben Shelby. So nah, dass er den Duft ihres Shampoos riechen konnte. „Bereit?“, flüsterte er ihr zu.
„Nicht wirklich, aber das werde ich vermutlich nie sein.“
„Ich muss euch etwas sagen.“ Er räusperte sich. „Heute Morgen hat mich die Leiterin der Wedlock Creek Clinic angerufen. Sie hat mich gebeten, mit Alexander und meinem Anwalt in die Klinik zu kommen. Shelby hat genau den gleichen Anruf erhalten.“
Liam warf einen Blick auf Shelby. Sie sah so schön aus in dem blauen Kleid. Die blonden Haare fielen ihr über die Schultern. Er erzählte seinen Eltern und Drake, was passiert war.
Shelby fügte angespannt hinzu: „Die Ergebnisse der DNA-Tests sollten wir in einer Woche erhalten.“
„Also habe ich jetzt zwei Neffen“, sagte Drake. „Das ist ja fantastisch.“
Liam lächelte seinen Bruder an, der es immer schaffte, eine Situation aufzulockern.
„Das kommt sehr plötzlich.“ Sein Vater runzelte die Stirn. „Bis die DNA-Ergebnisse vorliegen, gibt es natürlich keinen Grund anzunehmen, dass die Babys vertauscht wurden. Alexander ist wie immer unser Enkel, und Shane ist Shelbys Kind.“
„Aber Shane kann nicht Shelbys leibliches Kind sein, Vater!“, entgegnete Liam. „Das heißt, dass die beiden Jungen, die am frühen Morgen des fünften Novembers geboren wurden, miteinander vertauscht worden sind.“
Harrington reckte das Kinn. „Wenn das wirklich der Fall ist, rufe ich meinen Anwalt an. Diese unprofessionelle Klinik muss geschlossen werden.“
„Nein!“, sagte Shelby. „Die Klinik nimmt die ärmsten Leute aus dem ganzen Landkreis auf – Leute, die keine Krankenversicherung haben. Es war ein Versehen während eines Schneesturms. Die Stromversorgung war zusammengebrochen, und der Notfallgenerator ist zweimal ausgefallen.“
Harrington starrte sie an. „Nun, der Notfallgenerator hätte aber nicht ausfallen sollen! Er ist ja dazu da, um im Notfall die Stromversorgung aufrechtzuerhalten!“
„Dad, bis die DNA-Testergebnisse vorliegen, habe ich überhaupt noch keinen endgültigen Beweis, dass Alexander nicht mein leiblicher Sohn ist“, schaltete Liam sich ein.
„Den Beweis, dass er es nicht ist?!“, fuhr sein Vater ihn an. „Anscheinend glaubst du diesen Unsinn.“
Ha. Vor einer Minute ist Dad noch sicher gewesen, dass Shane mein Kind ist. „Ich sehe nur den Tatsachen ins Auge.“
Harrington betrachtete Alexander, warf dann einen Blick auf Shane und deutete auf ihn. „Also ist er mein wahres Enkelkind?“
Wahres Enkelkind? „Alexander ist trotzdem dein wahres Enkelkind“, sagten Liam und sein Bruder praktisch gleichzeitig.
„Was für ein Durcheinander“, meinte seine Mutter. „Ich würde vorschlagen, dass wir uns hinsetzen und beim Abendessen über etwas Angenehmeres reden. Solange wir die DNA-Testergebnisse nicht kennen, ist es nicht nötig, dass wir uns damit auseinandersetzen.“
„Wir sollten uns auf die Wahrheit vorbereiten“, sagte Shelby vorsichtig.
Liam wollte ihre Hand nehmen, weil er sich mit der jungen Frau verbunden fühlte. Er brauchte ihre Stärke und wollte ihr seine Stärke anbieten. „Das sehe ich genauso.“
„Mögen Sie Lachs, Shelby?“, fragte seine Mutter. „Ich habe einen gegrillten Lachs mit jungen Kartoffeln zubereitet.“
Liam warf Shelby einen Blick zu, um ihr zu verstehen zu geben, dass seine Mutter im Moment nicht mit der Neuigkeit umgehen konnte. Stattdessen würden sie über Lachs reden.
„Gern, ich liebe Lachs.“ Shelby lächelte und sah sich um. „Und mir gefällt Ihr Haus sehr, Mrs. Mercer.“
Larissa hakte sich erleichtert bei ihr unter. „Kommen Sie mit in die Küche. Sie können probieren, ob die Kartoffeln schon gar sind.“
Das Abendessen war ein Albtraum. Shelby war heilfroh, als sie und Liam sich verabschiedeten.
„Oh, Shelby, warten Sie!“, rief Larissa. „Ich habe etwas für Ihren Laden.“ Sie öffnete den Flurschrank und holte eine braune Papiertüte heraus. „Hier. Jemand hat das vor ein paar Wochen auf die Veranda gelegt. Es ist eine mit Glitzersteinen verzierte Spieldose, die noch funktioniert. Sie spielt meine Lieblingssonate von Mozart.“
Shelby warf einen Blick in die Tüte, doch die Spieldose war in Zeitungspapier eingewickelt. „Das ist ja nett von Ihnen. Ich frage mich nur, warum jemand die Tasche auf Ihre Veranda gelegt hat.“
Larissa zuckte mit den Schultern. „Auf der Tasche steht der Vorname meines Mannes.“ Sie zeigte auf die Buchstaben. „Harrington wusste aber nichts damit anzufangen, als ich ihn gefragt habe. Vermutlich ist es ein Dankeschön für irgendetwas. Hier ist einfach kein Platz mehr, also nehmen Sie die Spieldose bitte mit. Jemand wird sie gewiss zu schätzen wissen.“
Liam umarmte seine Mutter. „Danke für das Abendessen, Mom.“
„Ahlabawa“, krähte Alexander und sah seinen Großvater an.
„Dann auf Wiedersehen.“ Harrington nickte ihnen allen zu und drehte sich weg.
Larissa seufzte und senkte die Stimme. „Er muss das erst verdauen.“
Shelby nickte. „Nochmals vielen Dank.“ In dem Moment, als die Haustür hinter ihnen ins Schloss fiel, atmete sie erleichtert auf. Das Abendessen hatte kaum länger als eine Viertelstunde gedauert. Außer Drake hatten alle in Rekordzeit aufgegessen, um dann so schnell wie möglich die Flucht ergreifen zu können.
Liam verzog den Mund zu einem halben Lächeln. „Ja, ich weiß“, sagte er. Mehr Worte waren nicht nötig.
„Jeden Freitag, hm? Du bist anscheinend aus hartem Holz geschnitzt!“
Er zuckte mit den Schulter, als sie zu ihren Autos gingen. „Ich weiß nicht, warum ich jedes Mal erwarte, dass sich mein Vater anders verhält. Ich wünsche mir immer, dass er sagt: Was immer du brauchst, Liam – ich bin für dich da. Meine Mom versucht es ja, aber sie kehrt immer alles unter den Teppich. Nun, vermutlich haben sie das Recht, die Dinge auf ihre Weise anzugehen.“
Sie drückte mitfühlend seinen Arm. „Es musste ein Schock für sie sein. Sie sind Alexanders Großeltern. Ihr Leben steht auch auf dem Kopf.“
„Vorzugeben, dass nichts passiert ist und über Gartenarbeit zu reden, macht die verrückte Situation doch nicht besser.“