Your Fears Are Melting (Iceland Love 2) - Melanie Trenker - E-Book

Your Fears Are Melting (Iceland Love 2) E-Book

Melanie Trenker

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

**Lass dich fallen, Freya. Nur dieses eine Mal. Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen** Gletscherforscherin Freya kann es nicht fassen: Um ihre Forschung zu retten, muss sie den attraktiven Amerikaner Jaxon in ihr Team aufnehmen. Die »Eiskönigin«, wie sie von ihrem Team genannt wird, versucht alles, um den Sohn des Financiers aus dem Team zu ekeln. Doch schnell wird klar, hinter Jaxons Fassade steckt mehr, als sie dachte. Und plötzlich scheint auch Jaxons außergewöhnlicher Deal gar nicht mehr so verrückt: Freya bekommt das dringend benötigte Forschungsbudget, wenn sie sich als seine Verlobte ausgibt. Doch während die beiden das glückliche Paar mimen, verschwimmen die Grenzen zwischen Täuschung und Realität. Und schneller als gedacht beginnen nicht nur die Gletscher in Island, sondern auch das Herz der »Eiskönigin« zu schmelzen ... »Your Fears Are Melting« ist eine emotionale New Adult Romance mit einer heißen Fake Dating Love Story auf der traumhaften Vulkaninsel Island. //Dies ist der zweite Band der knisternden New Adult Romance »Iceland-Love«. Alle Bände der Reihe bei Impress: -- Band 1: When Hearts Are Burning -- Band 2: Your Fears Are Melting Die Reihe ist abgeschlossen.//

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

Jetzt anmelden!

Jetzt Fan werden!

Melanie Trenker

Your Fears Are Melting (Iceland Love 2)

Lass dich fallen Freya. Nur dieses eine Mal. Ich verspreche dir, du wirst es nicht bereuen

Gletscherforscherin Freya kann es nicht fassen: Um ihre Forschung zu retten, muss sie den attraktiven Amerikaner Jaxon in ihr Team aufnehmen. Die »Eiskönigin«, wie sie von ihrem Team genannt wird, versucht alles, um den Sohn des Financiers aus dem Team zu ekeln. Doch schnell wird klar, hinter Jaxons Fassade steckt mehr, als sie dachte. Und plötzlich scheint auch Jaxons außergewöhnlicher Deal gar nicht mehr so verrückt: Freya bekommt das dringend benötigte Forschungsbudget, wenn sie sich als seine Verlobte ausgibt. Doch während die beiden das glückliche Paar mimen, verschwimmen die Grenzen zwischen Täuschung und Realität. Und schneller als gedacht beginnen nicht nur die Gletscher in Island, sondern auch das Herz der »Eiskönigin« zu schmelzen …

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Danksagung

© stylephotography_sbg

Melanie Trenker wurde 1998 als jüngstes von vier Kindern in Salzburg geboren und lebt noch heute in der schönen Festspielstadt. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten beim Fliegen, sei es nun mit dem Helikopter oder beim Paragleiten. Melanie ist gelernte Metall,- und Fahrzeugbautechnikerin. Mittlerweile verbringt sie ihre Arbeitstage jedoch als Freileitungsmonteurin in schwindelerregenden Höhen. Sie liebt es dem hektischen Alltag zu entkommen und in die fantastische Welt der Literatur abzutauchen. Noch mehr aber sie selbst zu erschaffen. Wann immer sie kann, frönt sie ihrer Leidenschaft dem Schreiben. Am liebsten schreibt sie romantische Fantasy mit starken Heldinnen, Dystopien und New Adult.

Für all die wundervollen Frauen da draußen, die zu oft verletzt wurden, viel zu hart arbeiten, immer kämpfen und ihr Herz zu sehr beschützen. Manchmal lohnt es sich, loszulassen und der Liebe trotzdem eine Chance zu geben.

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler für den Roman enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du während des Lesens auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleib damit nicht allein. Wende dich an deine Familie, Freunde oder auch professionelle Hilfestellen.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Melanie und das Impress-Team

Kapitel1Ísdrottning / Eiskönigin

Island, 02. Oktober, Odin IV Forschungsstation am Vatnajökull-Gletscher

Freya

»Dein neuer Schützling ist da!«, erinnert mich Einar und deutet auf Jaxon Sinclair, der gerade hereinstolpert und dabei wenig elegant versucht, drei völlig überdimensionierte Taschen durch die Tür der Station zu bugsieren. Wenn ich mich nicht täusche, ist noch mehr von seinem Kram auf dem Schneemobil hinter ihm.

»Das hier ist eine Forschungsstation und kein Fünf-Sterne-Spa-Resort. Unser Platz ist begrenzt, was willst du also mit dem ganzen Kram, Harvard?«, begrüße ich unseren Neuen mit aller Begeisterung, die ich für ihn aufbringen kann, und hoffe, dass er die Anspielung versteht. Ich weiß schon seit einem halben Jahr, dass er herkommen wird, aber der Umstand hat nicht unbedingt zu meiner »Vorfreude« beigetragen. Wenn es nach mir ginge, hätte Einar ihn erst gar nicht abholen müssen, aber nun ist es, wie es ist.

Unser Neuling steht immer noch vollbepackt in der Tür. Er starrt mich an, unsicher darüber, wie er reagieren soll, und ich schnaube, während ich mich frage, wann er endlich in die Gänge kommt.

Einar klopft ihm aufmunternd auf die Schulter. »Mach dir nichts daraus, Mann. Wir nennen sie nicht umsonst Ísdrottning.«

Jaxon wundert sich. »Ísdrottning?«

»Die Eiskönigin«, erklärt Einar trocken und ich verdrehe die Augen.

»Genug geplaudert, ihr beiden. Einar, du hast noch Proben zu analysieren, und du, Harvard, finde einen Platz für deinen ganzen Scheiß, dann gebe ich dir eine Führung.«

»Yes, Ma’am«, antwortet er mit Absicht im übertriebenen Yankee-Slang und ich sehe den Schalk in seinen Augen. »Du kannst mich aber auch Jaxon nennen. Jaxon Sinclair. Ich prahle nur ungern mit meinen Referenzen.«

Ich übergehe die meisten seiner Worte; ich gönne ihm den Triumph nicht, mich von ihm provozieren zu lassen. Mit den dunklen Haaren und den honigbraunen Augen wirkt er eigentlich, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun, aber für meinen Geschmack ist er doch etwas frech.

»Freya Sævarsdóttir, Leiterin dieser Forschungsstation, und du zeigst besser, was du kannst, wenn du hierbleiben willst. Nur um das direkt klarzustellen – ich wollte dich hier nicht haben. Es gibt mindestens zwanzig Leute, die besser hierher gepasst hätten, aber kein Vitamin B hatten, also wirst du dich besser beweisen.«

»Verstanden, Ísdrottning.«

Ich stoppe und schenke ihm einen giftigen Blick, der ihm das süffisante Grinsen aus dem Gesicht wischt. Offenbar findet er das auch noch amüsant. »So nennst du mich besser nie wieder, wenn du heute nicht in einer Gletscherspalte schlafen willst!«

Jaxon starrt Hilfe suchend zu Einar, der noch mal kurz von seiner Arbeit aufsieht, es aber nicht wagt, mir zu widersprechen. »Glaub mir, das meint sie so«, fügt er mit entschuldigender Miene hinzu.

Damit hat es unserem Neuling wohl endlich die Sprache verschlagen. Er nickt und stellt seien Kram hin, der viel zu viel Platz in der kleinen Forschungsstation einnimmt.

»Na schön, machen wir das Beste daraus«, seufze ich und gehe voran, den eher unspektakulären Gang zu den kleinen Schlafstationen entlang. Eine für Einar und den Neuen und eine für Lilja und mich. Sie sind nicht unbedingt luxuriös, aber immerhin zweckmäßig, wenn uns das Wetter wieder einige Tage hier festhält, oder wohl eher unsere Forschungen.

Ich stoße die Tür zu Einars und Jaxons Zimmer auf und es wundert mich nicht wirklich, dass Einars Sachen überall rumliegen, aber zum Glück ist das nicht mein Problem. »Hier, bitte. Hier wirst du schlafen, solange wir hier sind. Wenn du etwas brauchst, egal was – frag bloß nicht mich.«

»Charmant«, murmelt Jaxon und ich ignoriere seinen Kommentar zu seinen Gunsten. Das hier ist nun mal kein Luxusresort, sondern eine Forschungsstation.

»Du wirst dich damit arrangieren, wie alle.«

Damit dränge ich mich an ihm vorbei, bemerke noch den Anflug eines Lächelns auf seinen Lippen, und ich weiß gar nicht, wieso es mich so rasend macht, aber ich hasse es, dass er mich nicht eine Sekunde ernst zu nehmen scheint. Ich habe hart für meine Position als Teamleiterin gekämpft und ich bin der Meinung, auch er sollte mir den entsprechenden Respekt entgegenbringen, wenn er bleiben will.

Ungeachtet dessen lasse ihn stehen und gehe zurück ins Labor, wo Einar mit den Proben beschäftigt ist. Lilja mustert mich derweil mit diesem gewissen Blick, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie etwas sagen soll oder nicht.

»Was?«, belle ich sie an und beiße mir direkt auf die Zunge. Meine miese Laune ist immerhin nicht ihre Schuld.

»Denkst du nicht, du warst etwas hart zu ihm?«

Ich schnaube, es wundert mich nicht, dass sie uns nebenan gehört hat, immerhin ist die Forschungsstation hellhöriger als jedes Kartenhaus. Trotzdem bleibe ich bei meiner Meinung. »Das hier ist nun mal kein Ponyhof, wenn er das nicht mal abkann, macht er es hier sowieso nicht lange.«

»Du könntest trotzdem etwas netter zu ihm sein, immerhin könnte sein Vater seine Forschungsgelder immer noch streichen«, gibt sie zu bedenken und ich ziehe scharf die Luft ein. Gerade das ist der Grund, warum ich Jaxon Sinclair nicht unbedingt mit Trompeten und Fanfaren empfangen habe. Ich gebe nichts darauf, wie er zu uns gekommen ist. Sein Vater hat ihm diesen Platz im Team mit Forschungsgeldern erkauft, und auch wenn ich mich vor dem Vorstand nicht dagegen wehren konnte, hasse ich das, wofür er steht.

Ich selbst bin Teil der zwei Prozent, wie man uns in Amerika nennt. Der zwei Prozent von Arbeiterkindern, die es bis ans Ende eines Masterstudiums schaffen und versuchen, neben dem Studium über die Runden zu kommen, nur um dann immer noch viel zu hart um ordentliche Jobs zu kämpfen. Und das, ohne dass uns die Dinge in den Schoß gelegt werden, nur weil wir mit dem richtigen Namen oder Geldbeutel auf die Welt gekommen sind und mit Vitamin B versorgt werden. Auch wenn die Statistiken hier in Island deutlich besser sind. Ich weiß, unsere Welt ist unfair, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es akzeptiere. Es sollte nicht so sein.

Das Reykjavik Institute of Glacier Research & Preservation, kurz GRP, wie wir es nennen, hätte Jaxon Sinclair mit seinen Referenzen niemals einstellen dürfen. Aber das GRP hat sich offenbar nur für die Forschungsgelder interessiert. Was kümmert es sie schon, dass wir Sinclair nun an der Backe haben, während sie entspannt im Headquarter hocken und die Budgets ohnehin völlig wahnwitzig verteilen, ohne uns hier zu fragen, was wir wirklich brauchen könnten.

So viele fähige junge Wissenschaftler hätten diese Chance viel mehr verdient und Jaxon hat sie ihnen genommen, indem er sich einen Platz erkauft hat. Nepo-Babys wie er sind der Grund, warum es Leute wie ich, ungeachtet der Qualifikationen, schwer haben. Jaxon hat noch nicht einmal etwas Artverwandtes studiert, sondern Wirtschaft.

Wie lächerlich.

Lilja räuspert sich neben mir. »Freya, bist du noch da?«, holt sie mich aus meinen Gedanken zurück und ich erinnere mich an ihre eigentliche Frage, aber ich werde einen Teufel tun und Sinclair Honig ums Maul schmieren nur wegen seines Geldes.

»Soweit ich weiß, bist du im Team, um zu arbeiten, und nicht, um mir ungefragt Ratschläge zu erteilen!«, weise ich Lilja zurecht und ihre Miene gefriert. Ich sehe ihr an, dass ihr noch etwas auf der Zunge liegt, aber sie spricht es nicht aus.

»Dann gehe ich wohl besser die Analysen auswerten«, erklärt sie gepresst und verlässt den Raum. Im selben Moment packt mich das schlechte Gewissen. Ich weiß, Lilja meint es nur gut, aber was Jaxon Sinclair angeht, sehe ich rot. Er und sein privilegierter Arsch stehen für alles, was ich so sehr verabscheue. Mir hat auch nie jemand etwas geschenkt. Ich hatte drei Jobs, um mein Studium zu finanzieren, Jahre voller unbezahlter Praktika, um bei den namhaften Instituten und Forschungseinrichtungen auch nur den Hauch einer Chance zu erhalten, um gesehen zu werden. Er dagegen spaziert einfach hier rein, besetzt einen Job, für den andere morden würden, aber nie eine Chance erhalten, weil sie sich nicht beim Vorstand des GRP einkaufen können. Und wahrscheinlich will er sich damit einfach nur die Langeweile vertreiben, bis er irgendwann ins Familienunternehmen einsteigt und ihn die Forschung ohnehin nicht länger interessiert.

Kapitel2Frostbeulen

Island, 02. Oktober, Odin IV Forschungsstation am Vatnajökull-Gletscher

Jaxon

Nachdem Freya mich abgeladen hat, gehe ich noch mal zurück, um mein Gepäck zu holen. Wie auch schon am Eingang zur Station habe ich so meine Mühe, mich mit all dem Zeug durch die schmale Tür zu meinem Zimmer zu quetschen, oder wohl eher unserem, wenn ich all die verstreuten Habseligkeiten meines Kollegen betrachte. Ich muss schmunzeln. Ein wenig erinnert mich das Ganze an meinen Mitbewohner zu Uni-Zeiten, auch wenn ich einen Wissenschaftler wie Einar für ordentlicher gehalten hätte.

Ich versuche, nicht allzu sehr auf seinen Sachen herumzutrampeln, und werfe mein Gepäck auf das spärliche schmale Holzbett, das wohl meins sein soll. Abgesehen davon ist der Raum relativ kahl. Keine Deko, keine großartigen Möbel, nur zwei Feldbetten, zwei schmale Schränke und ein breiter Schreibtisch, der vor Papierkram und Keksverpackungen übergeht. Über Einars Bett entdecke ich noch eine Sammlung an Superheldenfiguren, ansonsten gibt es nicht viel zu entdecken, außer weißen Wänden aus Pressspanplatten und einem kleinen Fenster, das zumindest ein wenig Licht in den Raum lässt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es ewig nicht mehr geputzt wurde oder ob mir die Sicht vor lauter Schnee und Eis verschwimmt, während ich nach draußen linse.

Ich atme tief durch, setze mich auf das quietschende Feldbett neben meinen Kram und sehe mich noch ein wenig in der spärlichen Abstellkammer um, in der ich demnächst wohl noch viel Zeit verbringen werde. Nach meiner ersten Begegnung mit der Eiskönigin ist es wahrscheinlich untertrieben zu sagen, dass ich ernüchtert bin, auch wenn ich nicht wirklich weiß, was ich erwartet hatte.

Man hat mich ja gewarnt, dass Freya Sævarsdóttir ein harter Brocken sein soll, aber im Moment erscheint mir der Gletscher um uns herum warmherziger als meine neue Chefin. Mit den langen hellblonden Haaren und den eisblonden Augen ist sie eine richtige nordische Schönheit, aber nun, wo ich sie erlebt habe, verstehe ich ihren Spitznamen nur zu gut. Was zur Hölle habe ich ihr nur getan, dass sie mich so auf dem Kieker hat? Ich bin doch noch nicht einmal wirklich hier angekommen. Oder ist das nur eine Masche, um mich zu testen? Zu sehen, ob ich das hier durchhalte?

Ich schüttle den Kopf über mich selbst. So oder so wird sie mich nicht kleinkriegen. Ich bin mit einer Mission hergekommen. Und ich will verdammt sein, wenn ich diese Forschungsstation verlasse, bevor ich herausgefunden habe, wer die Forschungsgelder meiner Familie hier veruntreut. Denn eines ist klar, wenn ich mich so umsehe – ein Großteil des Geldes landet nicht hier. Trotzdem will ich nicht wissen, wie Freya reagiert, wenn sie herausfindet, warum ich wirklich hier bin. Wahrscheinlich reißt sie mir den Kopf ab und verscharrt mich hier irgendwo am Gletscher. Aber was soll’s, sobald ich denjenigen habe, bin ich sowieso wieder weg hier und kann mich um die Familiengeschäfte kümmern. Nach der Szene eben freue ich mich fast schon auf zu Hause. Dabei hatte ich eigentlich gehofft, hier ein wenig Spaß zu haben.

Gerade jetzt, so kurz nach Dads überraschendem Tod und seiner Beerdigung, bin ich froh über die Ablenkung. Als wir die Sache hier geplant haben, hatten wir eigentlich vor, mich direkt beim GRP einzuschleusen. Doch der Vorstand meinte, hier vor Ort würde ich viel mehr über die Forschungen lernen. Weiter auf einen Job im Headquarter zu bestehen, wäre wohl zu auffällig gewesen. Damals hätte ich niemals gedacht, dass ich die Sache jetzt alleine durchziehen muss, ohne Dads Rückhalt. Aber bei alledem, was jetzt zu Hause auf mich wartet, kann es hier kaum schlimmer sein, Eiskönigin hin oder her.

»Na, hast du dich schon eingelebt?«, reißt Einar mich aus meinen Gedanken und klopft mit den Knöcheln gegen den Türrahmen.

»Oh ähm, ich bin gerade dabei, mich einzurichten«, erkläre ich und kratze mich verlegen am Hinterkopf, was meinen neuen Kollegen zum Lachen bringt. Eine breite Zahnlücke kommt dabei zum Vorschein, die ihn mit den stacheligen blonden Haaren, die unter seiner Mütze hervorlugen, und dem frechen Grinsen jünger wirken lässt, als er nach einem Studium sein müsste.

»Ich weiß, es ist nicht ganz das Four Seasons, aber glaub mir, es ist eigentlich ganz bequem.«

»Ach was, ist doch gut«, wiegle ich mit einem beschämten Lächeln ab, auch wenn ich zugeben muss, dass ich bisher nicht allzu viel darüber nachgedacht habe, welche Art von Komfort mich hier erwarten würde.

»Also bist du dann wohl mein neuer Zimmergenosse?«, schiebe ich hinterher, auch wenn ich die Antwort eigentlich schon kenne.

Er reicht mir die Hand. »Exakt. Einar Edgarson, stets zu Ihren Diensten!«

Ich muss lachen. »Jaxon Sinclair, aber die meisten bleiben einfach bei Jax oder Jaxon«, antworte ich und schüttle seine Hand.

»Freut mich, dass du hier bist, Mann, ich kann dringend etwas Verstärkung brauchen bei meinen Ladys hier.«

Kann ich nur allzu gut verstehen und muss dabei direkt an Freya denken.

»Na ja, die erste Feuerprobe hast du ja schon mal überstanden«, bemerkt Einar, als hätte er meinen Gedanken erraten.

Ich räuspere mich und senke meine Stimme. »Ist sie eigentlich immer so … so …«

»Eigensinnig?«, hilft Einar mir weiter und findet damit noch eine sehr schöne Umschreibung für das, was ich mir gedacht habe, aber ich nicke.

»Na ja, Freya ist nicht gerade ein Sonnenschein, aber was dich angeht, hat sie schon ganz besonders miese Laune. Ich kann dir aber auch ehrlich sagen, niemand wäre eine bessere Teamleiterin als sie. Sie ist eine unfassbar begnadete Forscherin auf ihrem Gebiet und auch noch weit darüber hinaus. Seitdem sie hier ist, werden hier deutlich vielseitigere Themengebiete erforscht und die Anzahl der Forschungen, die danach Früchte tragen, hat sich beinahe verdoppelt. Sie ist ein echtes Arbeitstier. Sie vergisst nur hin und wieder, auch mal etwas Spaß zu haben.«

»Daran zweifle ich nicht.«

»Ach, ihr werdet schon noch warm miteinander. Mit der Zeit weiß man, wie man Freya nehmen muss«, versichert mir Einar. »Freya wartet übrigens schon auf dich. Sie will dir eine Führung geben.«

»Warte was? Jetzt sofort?«

Einar zuckt mit den Schultern. »Ich könnte jetzt Nein sagen, aber wenn es eines gibt, was sie absolut nicht ausstehen kann, dann ist es zu warten, und ich fürchte, der nächste Punkt auf ihrer To-do-Liste ist die Besichtigungstour mit dir.«

Ich seufze mit einem Nicken, nehme meine Sachen vom Bett und schiebe sie erst mal zur Seite für später.

»Nach dem herzlichen Hallo kann ich die nächste Runde kaum erwarten.«

Mein Kollege steigt jedoch nicht auf meinen sarkastischen Kommentar ein, sondern schenkt mir nur einen mitleidigen Blick und ich frage mich, ob Freya wirklich noch eine andere Seite hat, die ich offenbar noch nicht zu Gesicht bekommen habe, oder ob sie das ganze Team bereits eingeschüchtert hat. Ich bekomme jedenfalls Frostbeulen, wenn ich nur an diese Führung denke.

Kapitel3Frischling

Island, 02. Oktober, Forschungsstation Odin IV am Vatnajökull-Gletscher

Freya

»Gott, wo bleibt der denn? Ich meine, wie lange kann es denn dauern, ein paar Klamotten auszupacken?«, schimpfe ich, während wir im Vorraum auf Jaxon warten, und Lilja schmunzelt nur. Offenbar amüsiert sie sich prächtig über meine Laune.

Ich blicke noch einmal auf die Uhr an meinem Handgelenk, als Einar mit Jaxon im Schlepptau wieder zu uns stößt.

»Na endlich«, seufze ich und hake die Erkundungstour mit unserem Frischling von meiner Liste ab.

»Go easy on him«, raunt Einar mir noch zu, während er an mir vorbeirauscht und Jaxon abliefert, und ich gebe mein Bestes, meinen Ärger nicht schon an ihm auszulassen. Die Umstände, unter denen Jaxon zu uns gekommen ist, sind schon eine Schande, wenn er also bleiben will, muss er sich zumindest seinen Platz im Team verdienen. Und das werde ich ihm ganz sicher nicht einfach machen.

»Also legen wir los«, wende ich mich an Jaxon, bevor ich mich in meinen Gedanken noch in Rage rede, und er nickt.

»Einar hast du ja schon kennengelernt, er ist eigentlich aus der Meteorologie und Klimatologie. Er spezialisiert sich vor allem auf Wetter und Klimamuster, die die Gletscherbildung und Rückbildung beeinflussen. Außerdem bringt er einige Ingenieursfähigkeiten mit und ist damit unser Mädchen für alles, was kaputtgeht hier auf der Station. Seien es nun Messgeräte, Schneemobile und der gottverdammte Generator – erst wenn Einar es nicht mehr hinkriegt, holen wir Hilfe«, stelle ich meinen Kollegen vor und Einar grinst, während er noch mal mit Jaxon einschlägt.

»Du kannst mich also auch einfach MacGyver nennen, gib mir eine Büroklammer und ein Handtuch und ich bau dir ein Flugzeug.«

Jaxon lacht und ich verdrehe die Augen. »Pass auf, dass dir die Sache nicht zu Kopf steigt.«

»Niemals, Boss.«

»Gut, dann haben wir noch Lilja. Sie ist meine stellvertretende Stationsleiterin, Geologin und Glaziologin, dazu bewandert in Geophysik und seit Kurzem dabei, ihr Wissen in der Geoinformatik auszuweiten. Außerdem hat sie eine bessere Menschenkenntnis, als uns allen manchmal guttut auf so engem Raum. Wenn du Geheimnisse hast, spar es dir also besser, du kannst sie ihr auch gleich erzählen.«

Lilja lacht und blickt mich an. »Ich kann mich gar nicht erinnern, jemals so eine Lobeshymne von dir gehört zu haben.«

»Du solltest deinen Skills noch etwas Bescheidenheit hinzufügen, sonst war es wohl auch die letzte«, warne ich sie, während sie Jaxon die Hand reicht, und fahre mit dem Programm fort.

»Damit zu meiner Wenigkeit. Mein Fachgebiet ist ebenfalls die Glaziologie, dazu kommt noch die Hydrologie, außerdem übernehme ich die meisten Datenanalysen und Statistiken. Ich leite die Station seit vorletztem Jahr und bin kein Fan von neureichen Schönlingen, die man mir aufs Auge drückt, damit ich sie babysitte, während sie sich ein kleines Abenteuer erhoffen.«

»Na, wenigstens findest du, dass ich gut aussehe«, meint Jaxon mit einem frechen Grinsen und ich schnaube. Ich ignoriere seine Worte und richte mich stattdessen ans restliche Team.

»Nun, das ist Jaxon. Er bringt Geld mit – ob er sonst noch was kann, wird sich noch zeigen.«

»Autsch«, beschwert sich unser Neuling und erntet ein paar mitleidige Blicke von Team. »Nun, ich muss gestehen, so beeindruckend wie eure Lebensläufe ist meiner nicht. Ich habe Wirtschaft studiert in Harvard und pflege die Familiengeschäfte der Sinclairs. Vor allem langweiliger Kram wie Aktien und Risikoinvestment, aber ich werde mein Bestes geben, auch meinen Teil beizutragen. Ich freue mich, endlich mehr über die Forschungen hier am Gletscher zu lernen, die meine Familie schon so lange finanziert. Meine Großmutter war selbst eine begeisterte Bergsteigerin und vermutlich auch der Grund, warum ich heute hier bin.«

»Na, dann erst mal herzlich willkommen im Team«, flötet Lilja.

»Das könnte noch spannend werden«, pflichtet Einar ihr bei und ich blicke auf meine Armbanduhr.

»Genug geplaudert, ihr beide habt noch Arbeit und Jaxon und ich sind mehr als spät dran für unsere Führung.«

»Sklaventreiberin«, scherzt Lilja noch und wirft sich die honigblonden Haare über die Schulter. Kleine Zankereien wie diese sind es auch, die viele denken lassen, wir wären verwandt. Doch zu ihren Gunsten überhöre ich den Kommentar.

»Viel Glück«, wünschen die beiden Jaxon noch und machen sich wieder an die Arbeit, während ich mich frage, wie sie so einfach darüber hinwegsehen können, dass er gar nicht erst hier sein sollte. Im Gegensatz zu ihm mussten sie sich diesen Job hart erarbeiten. Aber ich schüttle den Gedanken ab und wende mich an Jaxon.

»Erst mal ein paar grundlegende Dinge. Das GRP hat fünf Forschungsstationen, zwei davon hier am Vatnajökull-Gletscher, der mit etwa achttausendeinhundert Quadratkilometern der größte Gletscher Europas ist. Das hier ist die Odin IV, weiter oben am Gletscher befindet sich noch die deutlich kleinere Odin V. Die anderen Stationen sind am Langjökull, am Hofsjökull und am Mýrdalsjökull-Gletscher.«

»Das heißt, ihr seid immer hier in dieser Eiseskälte?«

Ich nicke. »Großteils. Im Moment haben wir vor allem viel Feldarbeit vor uns. Grundsätzlich verbringen wir unsere Zeit also hier auf Station, manchmal für Tage oder Wochen. Sollten wir uns im Forschungsinstitut des GRP in Reykjavik einfinden, steht das vorab in deinem Wochenplan, den bekommst du jeden Sonntag von mir per Mail. Meist ist es so, dass wir mehrere Wochen am Stück auf Station sind. Grundsätzlich gewöhnst du dich für diese Zeit besser an lange Arbeitstage, nicht selten werden es zwölf Stunden oder mehr. Unser Tag startet um sieben Uhr mit Frühstück, sieben Uhr dreißig sind Lagebesprechung und Arbeitsverteilung. Das bleibt jeden Tag gleich, Lilja und Einar haben bereits ihre Aufgaben für heute. Nachdem du getrödelt hast, beginnt der Tag für dich heute also neun Uhr dreißig mit unserer Führung, Sicherheitseinweisung und der Stationsordnung …«

»In der steht eigentlich nur, dass Freya das Sagen hat«, redet Einar vom Aufenthaltsraum aus dazwischen und zwinkert Jaxon verschwörerisch zu. Ein Blick reicht und ihm vergeht das Lachen.

»Danach erhältst du deine Arbeitskleidung«, fahre ich ungerührt fort. »Dann sehen wir weiter.«

»In Ordnung«, meint er fast schon etwas zu enthusiastisch und seine gute Laune kotzt mich jetzt schon an.

»Also, allzu lange wird die Führung nicht dauern, wie du dir vermutlich schon denken kannst, der wenige Raum, den wir hier haben, platzt jetzt schon aus allen Nähten, aber starten wir direkt hier«, erkläre ich am Eingang der Station, wo eine kleine Ablage steht. Hier sind noch ein paar Kleiderhaken an der Wand und Tropfschalen für die Schuhe sowie ein paar Steigeisen, Helme, allerhand Kletterausrüstung und sonstiger Kram, der eigentlich keinen fixen Platz auf der Station hat, sondern nur von einem Raum in den nächsten wandert, je nachdem, wie oft wir das Zeug brauchen oder auch nicht.

»Unser Eingangsbereich ist gleichzeitig unsere spärliche Garderobe. Wir haben Polaranzüge hier für den Fall der Fälle, bei dem Klima hier sind sie allerdings kaum bis gar nicht im Einsatz, ordentliche Arbeitsbekleidung bekommst du wie erwähnt dennoch von uns. Hier links geht es dann direkt in unseren Hauptaufenthaltsraum«, fahre ich fort und gehe voran, dicht gefolgt von Jaxon, der offenbar sein Bestes gibt, Schritt zu halten.

»Dort finden morgens sowohl das Frühstück als auch die Lagebesprechung statt. Die Tür ganz hinten führt in die Küche. Davor sind die Tür in unser Labor und der Zugang zum Kühlraum. Die meisten unserer Tests und Untersuchungen finden hier oder direkt vor Ort statt. So ziemlich alles andere auf der Station, auch was das Sozialleben angeht, findet hier drinnen statt, in unserem Aufenthaltsraum Schrägstrich unserer Mensa Schrägstrich unserem Büro Schrägstrich unserem Heimkino. Noch Fragen?«

Jaxon lässt seinen Blick schweifen von der Couch über den Fernseher an der Wand gegenüber bis zu dem Tisch mit der Bank und den zwei Stühlen in der anderen Ecke des Raumes und schüttelt den Kopf. »Nein.« Trotzdem bin ich mir bei der Überforderung in seinem Gesicht fast sicher, dass wir das ganze Prozedere die Woche noch einige Male wiederholen werden. Mir ist klar, dass das ganz schön viel auf einmal sein kann.

Damit führe ich Jaxon zurück in den schmalen Gang. »Die Schlafräume am Ende links kennst du ja schon. Sie sehen alle gleich aus. Zwei Personen pro Zimmer, insgesamt sind wir hier für gewöhnlich zu viert. Bei Bedarf können wir für sechs bis acht Personen aufrüsten, aber dazu kommen wir später. Es gibt nur ein Badezimmer, das ist direkt geradeaus und für alle, aber du gewöhnst dich schon dran. Die Treppe rechts davon führt ins obere Stockwerk der Station. Wahrscheinlich ist dir ja schon aufgefallen, dass das eine Containerbauweise ist, mehr oder weniger. Das obere Stockwerk ist allerdings nur halb so groß. Daneben auf dem Dach befindet sich eine Photovoltaikanlage, die aber kaum funktioniert, weil sie praktisch immer von Schnee oder Eis bedeckt ist.«

Damit ist das Potenzial der Forschungsstation eigentlich auch schon voll ausgeschöpft, bis auf mein kleines persönliches Highlight, aber das hebe ich mir für den Schluss auf. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Jaxon mir überhaupt noch folgen kann, also beschließe ich, die Tour übers Außengelände erst mal zu verschieben, und bleibe bei der Station selbst.

»Gibt es sonst noch etwas, was ich wissen muss, keine Ahnung, einen Putzplan, wer mit dem Abwasch dran ist oder dem Kochen?«, erkundigt sich Jaxon.

»Kannst du denn überhaupt kochen?«

Er grinst. »Eher mäßig, wenn ihr nicht wollt, dass ich euch vergifte, würde ich mich wohl eher für den Abwasch melden.«

Damit bringt Jaxon mich tatsächlich zum Lachen, aber immerhin will er sich einbringen, den Punkt spreche ich ihm zu. Längere Zeit auf so engem Raum mit anderen Leuten zu verbringen, kann sehr anstrengend sein, es hilft also, wenn jemand mit der richtigen Einstellung an die Sache rangeht.

»Ich notiere es mir für später, der Rest deiner Aufgaben kommt mit deinem Wochenplan, wir rotieren die Alltagsaufgaben durch, aber jetzt zeige ich dir erst mal das Herzstück unserer Station«, erkläre ich und führe ihn in das obere Stockwerk der Station, das uns vor allem als Lager dient. Doch inmitten dieses Chaos steht mein liebster Teil der Forschungsstation – die große gläserne Kuppel, die einen Blick in alle Himmelsrichtungen gewährt. Sie erinnert mich immer an die Cupola auf der internationalen Raumstation der ISS, auch wenn unsere hier vom Design her deutlich hübscher ist, weil sie weniger widrigen Bedingungen trotzen muss.

»Wow, das ist ja unglaublich!«, staunt Jaxon und meine Mundwinkel wandern unweigerlich nach oben bei seinem überraschten Gesichtsausdruck. Genau so ging es mir auch, als ich die Kuppel zum ersten Mal gesehen habe.

»Warte erst, bis du das Ganze bei Nacht siehst. Der Blick auf die Sterne ist unbeschreiblich, von den Nordlichtern mal abgesehen.«

Das ist eine Art von Magie, die man nur spüren kann, wenn man es einmal selbst erlebt hat, und unweigerlich muss ich daran denken, als ich zum ersten Mal hier oben war, um die Nordlichter zu beobachten. Ich werde dieses Kaleidoskop an Farben am Himmel nie wieder vergessen.

Einen Augenblick lang verliere ich mich in meinen Tagträumereien, bis ich mich an Jaxon neben mir erinnere und daran, wieso wir überhaupt hier hochgekommen sind. Ich führe ihn nach hinten, wo sich noch zwei kleine Zimmer befinden. Die wären normalerweise für weitere Forscher, doch solange wir unter uns sind, nutzen wir sie vor allem als Rumpelkammer, um nicht für alles ständig nach draußen zu müssen, was wir aus dem Lagercontainer brauchen.

Ich greife nach dem bereits zusammengestellten Stapel an Klamotten und Sicherheitsausrüstung und hoffe für Jaxon, dass er die richtige Größe angegeben hat, während ich ihm das Zeug auflade.

»Das ist unsere Grundausstattung, da sollte alles dabei sein, was du brauchst. Also, gibt es noch etwas, das du wissen möchtest?«

Jaxon schüttelt den Kopf. »Im Moment nicht, danke.«

»Gut, dann hast du erst mal etwas Zeit für dich, um dich einzurichten. Den Link zur Sicherheitsunterweisung und der Stationsordnung habe ich dir bereits per Mail geschickt, da kannst du dich selbst durchklicken. Und wie gesagt, wenn du irgendetwas brauchst, egal was – frag bloß nicht mich!«

Jaxon lacht aus voller Kehle. »Alles klar, vielen Dank.«

»Jederzeit.« Damit will ich mich schon zum Gehen wenden, als mir noch etwas einfällt. »Ach ja, wenn du dir ein Sternchen für deine Mappe verdienen möchtest, könntest du mir morgen früh direkt bei etwas helfen.«

Jaxon wirkt etwas überrumpelt, fängt sich aber schnell. »Ähm, ja klar, was soll ich tun?«

»Das erkläre ich dir morgen genauer. Um fünf Uhr geht es los, wir können die zusätzliche Zeit gebrauchen.«

Jaxon verzieht kurz das Gesicht.

»Gibt es ein Problem?«

Er schüttelt den Kopf und selbst ich kann den Sarkasmus in seiner Stimme nicht überhören. »Nein, ich stehe gerne noch vor den Hühnern auf.«

»Na, dann ist ja alles wunderbar«, erwidere ich trocken und amüsiere mich prächtig über ihn. Das hier wird mehr Bootcamp für ihn als Ferienlager, so viel kann ich ihm versprechen.

Kapitel4Stell dir vor, es wäre ein Fahrrad

Island, 03. Oktober, Forschungsstation Odin IV am Vatnajökull-Gletscher

Freya

»Ist das nicht ein herrlicher Tag«, seufze ich und nippe an meinem Kaffee, während ich durch das Fenster im Aufenthaltsraum das Schneetreiben unter den Sternen beobachte. Das herrliche Aroma meines Kaffees liegt mir in der Nase, auch wenn ich zugeben muss, dass das frühe Aufstehen mir ebenfalls nicht wirklich liegt.

»Zum Sterben schön«, murmelt Jaxon sarkastisch und ich bin mir fast sicher, er ist kein Morgenmensch. Wahrscheinlich trägt gerade das zu meiner guten Laune bei. Ich will nicht sagen, ich wäre schadenfroh, aber manchmal bin ich es eben doch. Außerdem habe ich Jaxon längst klargemacht, dass das kein Spaziergang für ihn werden wird. Ich reiche ihm trotzdem eine Tasse Kaffee, ich bin schließlich kein Unmensch, und er nimmt sie dankbar an.

»Hast du alles, was du brauchst?«, erkundige ich mich und Jaxon reibt sich angestrengt übers Gesicht.

»Da ich nicht wirklich weiß, was wir vorhaben, habe ich nicht gerade viel gepackt.«

Ich schüttle den Kopf. »Macht nichts. Unsere Ausrüstung habe ich, also musst du eigentlich nur mitnehmen, was du sonst noch brauchst: ordentliche Klamotten, Steigeisen, Stirnlampe, Lawinenpiepser, Ersatzsocken oder keine Ahnung, was du sonst noch brauchst. Für gewöhnlich hat jeder so seine Standardausrüstung mit Dingen, die er am Gletscher immer bei sich trägt.«

Jaxon zuckt mit den Schultern. »Ich schätze, meine muss ich erst noch herausfinden.«

»Fein, bei dir muss ich wohl wirklich bei null anfangen«, stöhne ich und reiche ihm zwei Einwegtaschenwärmer. »Steck dir die ein, glaub mir, wenn deine Handschuhe durch und durch nass sind und die Griffheizung am Schneemobil nicht mehr dagegen ankommt, wirst du mir noch danken.«

Er nimmt sie und verstaut sie mit einem weiteren Paar Handschuhe in seinem Rucksack. »Danke. Das alles sieht aber nicht nach einem einfachen kleinen Ausflug aus«, bemerkt er etwas irritiert und ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen.

»Hab ich auch nie behauptet«, entgegne ich knapp, leere den Rest meines Kaffees und stelle die Tasse zum Spülen beiseite. »Na dann, lass uns los. Wir haben schon genug getrödelt.«

Ich ziehe mir zwei Pullover über meine Funktionswäsche, eine Fleecejacke und schließlich meinen Schneeanzug, den wir hier alle tragen, schlüpfe in meine Gletscherstiefel und schnappe mir meine Steigeisen mit den Spikes. Als ich bei Mütze und Handschuhen angekommen bin, schwitze ich bereits in der mollig warmen Station und bin fast froh, dass es gleich an die frische Luft geht. Wenn ich mir Jaxon so ansehe, geht es ihm ähnlich, auch wenn er zusätzlich noch Schwierigkeiten zu haben scheint mit der Menge an Kleidung und Ausrüstung. Ich werde allerdings den Teufel tun und ihm helfen. Wenn er es nicht einmal allein in seine Klamotten schafft, hat er hier noch weniger zu suchen, als ich dachte. Ich schlage die Tür auf und ein Schwall eiskalter Luft weht mir entgegen. Ein frostiger Schauer kriecht mir über den Rücken und doch ist es irgendwie belebend, gerade so früh am Morgen.

Mein Atem zeichnet weiße Wölkchen in die Luft, als ich über die kleine Metalltreppe unserer auf Stelzen stehenden Station nach draußen trete. Sie ist erhöht gebaut, damit wir nicht direkt bei jedem Schnee eingeschneit sind.

Ich drehe mich um zu Jaxon. »Kommst du? Ich möchte dir gerne das Außengelände zeigen, bevor wir losstarten.«

Jaxon nickt und stolpert etwas ungelenk über die vereiste Treppe in den Schnee. »Schon da.«

Ich verkneife mir einen Kommentar dazu und deute auf die Forschungsstation. »Von hier kannst du gut die Kuppel am zweiten Stock sehen, dort, wo die Station nur einstöckig ist, siehst du die Solaranlage, die leider das halbe Jahr nicht funktioniert unter dem Schnee.«

»Wieso schaufelt ihr sie dann nicht frei?«

Ich muss lachen. »Nun, wenn du neben der normalen Arbeit noch die Zeit dafür findest, tu dir keinen Zwang an, aber eines kann ich dir jetzt schon sagen, die Arbeit ist undankbar.«

Jaxon erwidert nichts darauf und ich deute auf ein großes, mit Bauzaun abgestecktes Feld, das über und über mit Schnee bedeckt ist. »Dort sollte eigentlich noch eine Windkraftanlage hinkommen, um das aufzufangen, aber im Moment scheitert es noch am Budget. Das GRP hat sie noch nicht freigegeben.«

Von der Station führen Pfosten mit Handleinen in drei verschiedene Richtungen und ich lege meine Hand darauf. »Die hier sind ab sofort deine besten Freunde«, erkläre ich Jaxon. »Wenn es finster ist wie jetzt gerade oder ein Schneesturm tobt, kannst du hier kaum die Hand vor Augen sehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Forscher zwanzig Meter vor einer Station erfriert, weil er den Weg zurück nicht findet. Sie sind also essenziell.«

»Wo führen sie hin?«

Ich deute auf die erste an der linken Seite der Station, wenn man sie ansieht. »Die hier führt zum Maschinenraum hinter der Station, dem Random und unserem zusätzlichen Lagercontainer mit Sprit und Messgeräten. Geradeaus geht es zur Wetterstation.«

»Und die letzte?«, fragt Jaxon immer noch verschlafen.

»Zu unserer beheizten Garage«, erkläre ich und gehe los, unseren neuen Schützling im Schlepptau.

»Nobel«, staunt er und ich muss schmunzeln.

»Hört sich besser an, als es ist. Es ist gerade genug, dass die Dinger nicht einfrieren, damit sie halbwegs einsatzbereit sind, wenn wir sie brauchen.«

Ich stapfe die Rampe nach oben und streue dabei direkt etwas Salz aus dem Plastiksack daneben, bevor ich das elektrische Tor öffne. »Hier drin befinden sich die Schneemobile, ein kleiner Pistenbully, eine Schneefräse und eine kleine Werkstatt, in der Einar das Zeug wartet und repariert. Außerdem gibt es hier ein paar Heizstrahler, um die Dinger aufzuwärmen, damit sie leichter starten«, fahre ich fort und platziere jeweils einen unter unseren beiden Schneemobilen für heute.

»Wow«, staunt Jaxon, als sähe er hier drinnen einen Spielplatz für Große.

»Das hier ist meines«, erkläre ich und deute auf die blaue Yamaha, auf die ich mein ganzes Gepäck mit dem Equipment schnalle, bevor ich Jaxon ebenfalls einen Schlüssel reiche. »Du kannst die hier nehmen«, fahre ich fort und deute auf die Arctic Cat, die nicht ganz so zornig ist, doch Jaxon starrt mich einfach nur unschlüssig an.

»Was ist?«, helfe ich ihm auf die Sprünge und er sieht mich an, als hätte er Magenschmerzen. »Ich bin so etwas noch nie gefahren.«

»Wie zur Hölle bist du dann gestern hergekommen?«

»Einar hat mich unten am Parkplatz mit dem Schneemobil abgeholt«, ruft er mir in Erinnerung.

»Ich glaub’s nicht«, stöhne ich genervt und frage mich, ob ihm das GRP am Flughafen wohl auch noch einen roten Teppich ausgerollt hat, spare mir aber den Kommentar.

»Fein, dann bekommst du jetzt wohl einen Crashkurs. Hätte ich das gewusst, hätte ich dich schon eine Stunde eher geweckt«, beschwere ich mich.

»Sorry, tut mir echt leid.«

»Mir auch. Also setzt dich«, fordere ich ihn auf und er nimmt etwas unsicher auf dem Schneemobil Platz.

Ich korrigiere sein Bein auf der Fußhalterung und er rückt automatisch mit dem anderen nach. Normalerweise sollte ich ihm nicht einmal helfen, immerhin bin ich froh, wenn er sich endlich dazu entschließt, uns zu verlassen, aber ich habe keine Lust, dem Vorstand zu erklären, warum sich der Sohn unseres Hauptfinanciers ausgerechnet auf dem Schneemobil neben mir das Genick gebrochen hat. »Also pass auf, du musst eigentlich nichts weiter tun, als den Schlüssel reinzustecken und den Motor zu starten«, erkläre ich ihm, während ich es für ihn tue. Der Motor stottert kurz, da der Heizstrahler noch nicht sehr lange darunter steht, und ich brauche einen zweiten Versuch, bis sich das Stottern in ein Schnurren verwandelt, aber eigentlich ist das bei der Arctic Cat ganz normal. Das gute Ding ist schon ein wenig älter, deswegen zickt sie hin und wieder ein wenig in der Kälte.

Jaxon verfolgt aufmerksam meine Bewegungen. »Und dann?«

Ich zucke mit den Schultern. »Dann kannst du eigentlich nicht mehr viel falsch machen. Den Gashebel drückst du mit dem rechten Daumen. Den Bremshebel bedienst du mit links – kinderleicht.«

Jaxon schüttelt den Kopf, halb amüsiert und doch überfordert. »Und wie steuere ich das Ding?«

»Du hast doch einen Lenker. Stell dir einfach vor, es wäre ein Fahrrad.«

Jaxon schnaubt. »Also mir ist ja klar, dass du mich schnellstmöglich loswerden willst, aber denkst du wirklich, irgendjemand würde das für einen Unfall halten?«

Ich muss tatsächlich lachen über Jaxons Kommentar. »Stell dich nicht so an, Harvard, du bist doch sicher hierhergekommen, um ein Abenteuer zu erleben. Hier hast du eines«, ziehe ich ihn auf und steige auf mein eigenes Schneemobil. Die Yamaha startet zuverlässig wie immer und ich greife nach meinem Helm, als mir noch etwas einfällt. »Oh, und vergiss nicht, in den Kurven dein Gewicht zu verlagern. Sonst könnte die Sache etwas unschön enden«, weise ich ihn an und zwinkere ihm zu, bevor ich mir den Helm über den Kopf ziehe.

Jaxon scheint schlagartig etwas blasser zu werden und ich kann sein Unbehagen fast spüren, aber er tut es mir gleich. Ich fahre vorsichtig über die Rampe nach unten in den Schnee und bleibe mit etwas Abstand stehen, um sicherzugehen, dass Jaxon bei dem Versuch, mir zu folgen, nicht direkt von der Rampe kippt.

Etwas wackelig hangelt er sich nach unten, ruckelt Stück für Stück weiter, weil er den Bremshebel umklammert, als wollte er ihn erwürgen. Als er es endlich geschafft hat, brause ich los und der Schnee knistert unter meinen Kufen. Wie erwartet hat Jaxon erst mal etwas Schwierigkeiten, das richtige Verhältnis zwischen Gas und Bremse zu finden, und würgt fast den Motor ab, aber er startet mir etwas ruckelig hinterher. Gas. Bremse. Gas. Bremse. Es dauert eine Weile, bis er einigermaßen seinen Rhythmus findet, und er wirkt ziemlich wackelig, doch zu meiner Verwunderung beschwert er sich gar nicht. Er wirkt so konzentriert dabei, dass er mich fast nicht wahrnimmt. Das Wetter ist ebenfalls gnädig mit uns und mittlerweile hat es aufgehört zu schneien.

Wir fahren von der Forschungsstation gletschereinwärts, die frische, pudrige Schneeschicht auf dem Eis macht das Fahren angenehmer. Auch wenn mir der Wind zwischen Helm und Schneeanzug durch die Klamotten pfeift, genieße ich die Fahrt und blicke mich immer mal wieder zu Jaxon um, um sicherzugehen, dass ich ihn noch nicht verloren habe, während ich mich gleichzeitig frage, ob ich ihn nicht besser hätte zu Fuß losschicken sollen – dann wäre er zumindest schneller.

Es wird langsam hell und der Himmel zeigt sich in seinen schönsten Farben. Von Rosa bis Hellorange erleuchtet er die Wolken über dem Gletscher und der Himmel scheint in Flammen zu stehen. Es ist ein wunderschöner Kontrast zum milden Blau und Weiß des Gletschers.

Ich seufze unter meinem Helm, der sich von meinem heißen Atem langsam feucht anfühlt, und fahre zum gefühlt hundertsten Mal rechts ran, um auf Jaxon zu warten. Wenigstens kann ich so die Aussicht genießen. Die Schönheit des Vatnajökull-Gletschers fasziniert mich immer wieder aufs Neue.

Zum Glück ist es nicht mehr allzu weit und nach etwa einer Dreiviertelstunde erreichen wir den Fuß der Eiswand, zu der ich mit Jaxon wollte. Ich rutsche von meinem Schneemobil und schnappe mir meinen Rucksack mit der Ausrüstung. Jaxon steigt ebenfalls ab und ich bin mir fast sicher, dass er trotz der Kälte geschwitzt hat nach der Vorstellung eben. Ich kann mir ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Wenn das so weitergeht, wird es wohl nicht allzu lange dauern, ihn aus dem Team zu kicken. Immerhin war das noch der nette Part.

Doch zu meiner Verwunderung lächelt Jaxon stolz, als er den Helm abnimmt, und seine Augen leuchten. Hatte er etwa doch Spaß?

Na ja, wäre auch zu einfach gewesen, wenn das schon gereicht hätte, um ihn loszuwerden.

»Also was machen wir hier?«, fragt er voller Tatendrang.

Ich hebe amüsiert die Augenbrauen. »Hier? Nichts. Wir haben noch ein gutes Stück vor uns.«

Jaxon mustert irritiert den Eis-Koloss vor uns, der uns von dem Plateau dahinter abschirmt, und ich glaube, langsam schwant ihm Übles, als ich ihm die Tasche mit der Kletterausrüstung reiche.

»Das ist nicht dein Ernst, oder?«

»Du hast dich doch selbst für den Job entschieden!«, erinnere ich ihn. »Das, oder einen halben Tag Umweg, um das Biest zu umfahren.«

Jaxon stöhnt, aber er nickt.

Ich schnalle mir die Steigeisen an meine Schuhe für zusätzlichen Halt und wandere los. Man merkt, dass Jaxon noch nicht wirklich Zeit bei der Feldarbeit verbracht hat. Wieder hat er seine Schwierigkeiten und stampft über das Eis, als wollte er es durchbrechen, so fest, dass er mit den Spikes immer mal wieder hängen bleibt. Ich schwanke dazwischen, ob ich es amüsant finde oder ihn nicht doch ein wenig bemitleide. Er versucht es, das tut er wirklich, aber jahrelange Studien und Erfahrungen lassen sich auch für einen Quereinsteiger mit Geld nicht umgehen.

Jaxon bleibt noch einmal mit den Spikes stecken und ändert seine Taktik. Er tritt zu leicht auf und rutscht fast vom Eis ab, als es steiler wird. Er stolpert mir hinterher und ist dabei so laut, dass mich das Echo seiner Geräuschkulisse, das über den Gletscher hallt, beinahe in den Wahnsinn treibt.

»Okay, stopp! Ich halte das nicht mehr länger aus. Sieh mir zu.« Ich gehe ein paar Schritte und blicke ihn an, um herauszufinden, ob er es verstanden hat. »Kein Stampfen und kein Schweben, okay? Einfach ein normaler fester Schritt. Bergauf etwas fester, bergab etwas seitlich, das ist die ganze Zauberei!«

Jaxon nickt und versucht es noch einmal.

»Besser«, seufze ich.

Kapitel5Himmelfahrtskommando

Island, 03. Oktober, nördliches Hochplateau am Vatnajökull-Gletscher

Jaxon

Freya steht vor einem etwa dreißig Meter hohen Eismassiv und prüft noch einmal ihren Klettergurt, die Steigeisen und allerhand Ausrüstung, von der ich keine Ahnung habe. Nach der zweistündigen Wanderung steht uns der schwierigste Teil wohl noch bevor. Ich starre mit offenem Mund auf die majestätische, spiegelglatte Gletschereiswand vor uns. Der Anblick ist gleichermaßen magisch wie furchteinflößend. So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Von den riesigen Massen an hellblauem Eis, mit dunkleren Adern durchzogen, so weit das Auge reicht, bis hin zu der massiven Eiswand, die nun vor uns aufragt. In der Ferne hinter uns nichts als Schnee und eisbedeckte Berge. Ehrfürchtig lasse ich meinen Blick über die gigantische Eisformation wandern, während Freya ihren Rucksack abnimmt.

»Was hast du vor?«, frage ich sie und ahne Übles, als sie ein Seil und einige Karabiner aus ihrem Rucksack hervorzieht und an ihrem Klettergürtel befestigt.

»Klettern, was sonst?«, antwortet sie, als wäre das vollkommen selbstverständlich, und richtet sich die Mütze. Dann reicht sie mir ebenfalls einen Klettergurt. Dazu einen Eispickel, Sicherungshaken und natürlich das Seil.

»Hast du das schon mal gemacht?«, will sie wissen und schließt ihren Kletterhelm.

Ich schlucke schwer und meine Hände werden feucht. Wären sie nicht längst eiskalt und taub, würden sie es spätestens jetzt werden. »Nein.«

»Dachte ich mir fast, aber keine Sorge, ich leite dich an.«

Freya sagt das, als ginge es um einen Morgenspaziergang, aber ich weiß nicht wirklich, was ich auf diesen Wahnsinn antworten soll. Nach allem, was seit gestern auf mich eingeprasselt ist, bin ich einfach nur platt und erledigt. Ich weiß kaum noch etwas von der Führung über das Gelände, dann die Fahrstunde vor Sonnenaufgang – und nun erwartet sie wirklich, dass ich ohne Erfahrung oder irgendeinen blassen Schimmer vom Klettern einen Eisriesen besteige?

In meinem Kopf dreht sich alles und mein Magen mit dazu. Ich komme mir vor, als wären wir bei »Gletscherwanderung für Fortgeschrittene«, nur hab ich leider den Anfängerkurs verpasst. Aber irgendwie scheinen die Uhren hier am Gletscher anders zu ticken oder Freya ist einfach nur irre, ich bin mir noch nicht ganz sicher.

Ich schüttle ungläubig den Kopf. »Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, du versuchst wirklich, mich umzubringen«, brumme ich und Freya lacht unerwartet ausgelassen.

»Nein, keine Sorge, das wäre viel zu einfach. Ich stehe eher auf Herausforderungen.«

»Das klingt ja viel besser«, kontere ich sarkastisch, doch Freya hört mir schon gar nicht mehr zu und schreitet stattdessen das Massiv vor uns ab, als würde sie etwas suchen. Ich ziehe den Klettergurt über und meinen Helm auf, als sie entzückt in die Hände klatscht und an einer Gletscherspalte etwas Schnee abklopft.

»Hier ist es«, freut sie sich und ich folge ihr und entdecke dicke Eisenhaken, die in das Eis getrieben wurden, also scheint es zumindest eine vorbereitete Route zu geben. Ich blicke in die zwei Meter breite Gletscherspalte vor uns, die ein ganzes Stück weit ins Eis reicht, und werde sofort klaustrophobisch bei dem Gedanken, mich dort hineinzubegeben. Das Eis ist so glatt, ich wüsste nicht, wie wir da Halt finden sollten, doch meine Frage erübrigt sich, als Freya den Eispickel in das gefrorene Wasser jagt und sich die ersten Meter nach oben hangelt. Die Spikes an ihren Schuhen bohren sich ins Eis, der Pickel, den sie schwungvoll ins Eis rammt, dient ihr als Griff. Es sieht gekonnt aus, als hätte sie das schon zigmal gemacht, und doch kann ich mir vorstellen, wie verdammt anstrengend das sein muss.

Ich wage es kaum zu atmen, während sie die ersten Meter völlig ohne Sicherung hinter sich bringt und checkt, ob der erste Sicherungshaken wirklich hält. Gleichzeitig bringe ich mich in Position, um sie aufzufangen, nur für alle Fälle. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass das nicht klappen und nur mit zwei Verletzten statt einem enden würde. Plötzlich ist mir heiß und kalt gleichzeitig und die Härchen in meinem Nacken stellen sich auf. Alles in mir sträubt sich dagegen, mich darauf einzulassen, aber ich kann jetzt nicht kneifen.

Freya hängt sich in den ersten Sicherungshaken ein und ich entspanne mich endlich, gebe meine verkrampfte Haltung auf und versuche, mit dem ganzen Zeug klarzukommen, das sie mir in die Hand gedrückt hat, während ich mich immer noch frage, ob es das wert ist.

Keine Ahnung, was ich erwartet habe, aber darauf war ich definitiv nicht vorbereitet. Dabei hätte ich mir denken können, dass Feldarbeit etwas mehr hands on ist, als mein Wirtschaftsstudium es war. Nur weiß ich nicht, wie mir dieses Himmelfahrtskommando dabei helfen soll, herauszufinden, wer die Forschungsgelder hinterzieht. Ich werde das Gefühl nicht los, irgendjemand vom GRP hat mich bewusst hier abgestellt, um sich in Sicherheit zu wähnen.

»Kommst du?«, drängt Freya und ich seufze.

»Es gibt sicher keinen anderen Weg?«, vergewissere ich mich.

»Nein«, antwortet sie gepresst. Anstrengung schwingt in ihrer Stimme mit und sie arbeitet sich das nächste Stück nach oben.

Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie mir das bei meiner Mission helfen soll. Aber das schulde ich meinem Dad und da ich nicht auffliegen will, muss ich weiter den Kerl mit dem Traum von der Forscherkarriere spielen, bis ich weiterkomme. Also bleibt mir keine andere Wahl.

Nur ein paar Wochen, dann kann ich wieder nach Hause und diesen Albtraum hinter mir lassen.

Die Worte rufe ich mir immer wieder in Erinnerung, atme noch einmal tief durch und füge mich dann meinem Schicksal. Unweigerlich trete ich ebenfalls an die Eiswand und starte einen ersten Versuch, dieses verdammte Biest zu erklimmen. Doch schon mein erster Versuch, mit den Steigeisen auch nur ein wenig Halt an der Wand zu finden, scheitert kläglich. Freya hat mittlerweile angehalten und sieht zu mir herunter. Ich werde nervös unter ihrem Blick, meine Handflächen werden noch feuchter in den Handschuhen. Ich ändere meine Taktik, will als erstes Halt für meine Hände finden und versuche, den Eispickel ins Eis zu treiben. Ich erwische den Winkel nicht richtig, das Eis splittert ab und der Pickel gleitet mir aus der Hand zu Boden.

»So eine Scheiße«, fluche ich frustriert.

»Gar nicht so einfach was, Nýnemi?«

»Nýnemi?«, brumme ich und hebe den Eispickel wieder auf.

»Frischling«, antwortet Freya fast schon mit zu viel Genuss und ich gebe mein Bestes, mir den Ärger nicht anmerken zu lassen.

Ich ignoriere sie, versuche es stattdessen ein paarmal in Trockenübung. Es braucht einige Anläufe, bis ich es einigermaßen heraushabe, aber sobald es sich so anfühlt, als würde er wirklich halten, wage ich einen weiteren Versuch.

Ich treibe den Eispickel über mir in die Wand, trete mein Steigeisen so fest ich kann ins Eis und ziehe mein Gewicht daran hoch. Ein kurzer Anfall von Euphorie lässt ein Lächeln über meine Lippen huschen, weil ich es endlich geschafft habe, bis ich nach oben blicke zu Freya, die nur ungeduldig die Brauen hebt.

Ich reiße mich zusammen, treibe meinen zweiten Eispickel ein Stückchen weiter oben ins Massiv und setze mit dem anderen Fuß nach. Das wiederhole ich langsam und immer wieder, bis ich endlich den ersten Sicherungspunkt erreiche, dann blicke ich nach unten und mein Magen dreht sich.

Nur eine falsche Bewegung …

Adrenalin flutet meinen Körper und ich zwinge mich, weiterzumachen, während Freya bereits weiterklettert. Allein dieses kleine Stück hat mich schon unfassbar viel Kraft gekostet, aber es hilft alles nichts. Der Weg nach unten ängstigt mich im Moment mehr als der Weg nach oben, also mache ich einfach weiter, klammere mich fest und habe das Gefühl, es ginge buchstäblich um mein Leben.

Noch mehr stresst mich der Gedanke, dass wir an einem Seil hängen. Wenn ich falle, reiße ich Freya ebenfalls von der Wand, und sollte mich der Sturz nicht umgebracht haben, wird sie es danach sicherlich tun. Also ramme ich meine Eispickel in die Wand, immer und immer wieder, drücke die Steigeisen so fest ins Eis, wie ich kann. Dann geschieht es, meine Kraft reicht nicht aus. Ich rutsche, meine Füße verlieren den Halt und kurz habe ich das Gefühl, ich falle. Doch in dem Moment krallen sich meine Hände so fest an die Eispickel, dass ich mein Gewicht auffangen kann.

Ich schwitze von oben bis unten, mein Herz rast und ich frage mich, warum ich mir diese Scheiße überhaupt antue. Doch jetzt, mitten an der Wand, auf halber Strecke, gibt es keinen Ausweg mehr. Ich muss es durchziehen.

Ich gebe mir einen kurzen Augenblick, atme lang aus und fluche, weil ich so viele Klamotten anhabe, dass ich das Gefühl habe, ich könnte mich gar nicht mehr bewegen. Ich zwinge meine Panik zurück, so gut ich kann. Mir ist klar, dass ich, sobald wir stillstehen, dankbar sein werde für diese Klamotten, doch im Moment fühle ich mich wie das Männchen aus der Michelin-Werbung, ungelenk und steif.

Trotz allem bin ich wild entschlossen, Freya und dem Team zu beweisen, dass ich hierhergehöre. Ich nehme die Eispickel und folge Freyas Route. Es ist erstaunlich, wie viel Kraft es mich kostet, den Pickel überhaupt ins Eis zu schlagen, zumindest fest genug, damit ich ihm mit meinem Leben vertraue. Aber Freya würde mich schon nicht dazu nötigen, wenn es nicht sicher wäre. Oder?

Kleine Eissplitter rieseln mir entgegen, wann immer Freya einen weiteren Schritt macht, und ich blinzle dagegen an, weil ich das Gefühl habe, dass mir alles in die Augen fällt. Gleichzeitig sammeln sich die feinen Eisnadeln auf meinen Klamotten, kriechen mir unter den Kragen und schmelzen auf meiner verschwitzten Haut, während ich versuche, mich zu konzentrieren.

Reiß dich zusammen, Mann!

Ich habe wenig Lust, abzurutschen, und Freya, die mich nach heute vermutlich ohnehin schon für vollkommen nutzlos hält, in ihrer Meinung von mir zu bestärken. Also halte ich einen Moment inne und sehe mir an, wie sie es macht. Ich gebe mein Bestes, um den Winkel und die Bewegungen nachzuahmen, mit denen sie den Eispickel in das Massiv treibt. Dann wage ich einen erneuten Versuch. Es wird allmählich besser, auch wenn ich den Spikes an meinen Schuhen noch immer kaum traue, mein Gewicht zu halten. Aber eines muss ich Freya lassen, sie ist wirklich fit.

Der Aufstieg wird mit jedem Meter noch anstrengender, und ich versuche, anhand des Abstands der Sicherungskarabiner zu erraten, wie weit es noch ist. Mein ganzer Körper ächzt und meine Muskeln zittern, aber ich halte den Blick stur nach oben. Eigentlich habe ich keine Höhenangst, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich würde alles geben für eine kurze Verschnaufpause. Aber ich wage es nicht mehr, anzuhalten, nicht sicher, ob ich mich dann noch einmal einen Millimeter weiterzwingen könnte. Meine Beine zittern und meine Knie werden weich, meine Waden brennen und ich warte jeden Augenblick auf einen Krampf.

»Alles okay bei dir?«, ruft Freya. Das Echo ihrer Stimme hallt noch nach.

»Alles bestens«, presse ich mechanisch hervor, schlage meine Pickel ein weiteres Mal ins Eis und hake mich in den nächsten Karabiner, was mir zumindest ein ganz kleines bisschen Sicherheit gibt.

Wieso bin ich nur darauf eingestiegen? Ich bin so ein Idiot. Wem will ich hier eigentlich etwas beweisen?

Ich hätte einfach Nein sagen, unten bleiben und auf Freya warten sollen – oder was auch immer. Das Ganze hier zu umfahren, klingt plötzlich so verlockend, ich würde zwei Wochen dafür in Kauf nehmen.

Doch meine eigenen Gedanken sind mein Feind. Einen klitzekleinen Augenblick bin ich unvorsichtig und rutsche mit meinem rechten Fuß ab. Eine Millisekunde fühlt es sich so an, als würde ich fallen, bis ich mein Gewicht mit dem anderen Fuß abfangen kann, und dabei schießen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Davon sind neunhundertneunundneunzig Flüche und einer schreit mich an, dass ich mich gefälligst konzentrieren soll. Gut, der könnte auch von Freya sein, wenn ich ihren erschrockenen Blick richtig deute, als sie das kratzende Geräusch meiner Spikes wahrnimmt. Es dauert auch bei ihr einen Augenblick, bis sie begreift, dass alles gut ist, aber sie sagt nichts. Ihre Züge verhärten sich wieder und sie klettert einfach weiter.

Klar, mir geht’s gut, herzlichen Dank auch.

Notgedrungen steige ich weiter. Dann endlich sehe ich die letzten erlösenden Meter vor mir. Freya ist bereits über den Vorsprung geklettert und sieht zu mir runter. Ich nehme mich noch einmal zusammen und nutze das letzte bisschen Mut und Kraft, das ich noch habe, um mich auf das Plateau zu wuchten.

»Na siehst du, Frischling, war doch gar nicht so schlimm«, lacht Freya und ich kann ihr gerade noch einen genervten Blick zuwerfen.

»Nicht so schlimm? Willst du mich verarschen? Du hättest mich wenigstens fragen können, ob alles in Ordnung ist, als ich abgerutscht bin.«

»Wieso? Ich habe doch Augen im Kopf. Wenn nicht alles gut gewesen wäre, hätte ich vermutlich mitbekommen, wie du die Eiswand nach unten fällst, immerhin hättest du mich mitgezogen!«

Damit schnappt sie sich ihr Equipment und ich beiße die Zähne zusammen. Mittlerweile verstehe ich ihren Spitznamen, aber während sie vorangeht und ich mich immer noch aus meinem Kletterequipment schäle, bleibt mir keine Zeit, um noch weiter darüber nachzudenken. Vielleicht ist es auch gut so. Meine Beine fühlen sich nämlich immer noch an wie diese kleinen, wabbeligen Käsesnackstangen, die man Kindern in die Brotdose legt.

Ich packe schnell alles zusammen und hänge es an meinen kleinen Rucksack, dann sprinte ich los, so schnell ich noch kann nach dieser Tortur, um zu Freya aufzuschließen.

»Ist es noch weit?«, frage ich und sie schnaubt.

»Wenn du mir als Nächstes sagst, dass du pinkeln musst, kannst du auch gleich hierbleiben.«

»Das war doch nur eine ganz normale Frage!«

Sie schnaubt erneut. »Weniger Fragen und Jammern – mehr Laufen. Wir sind immer noch meilenweit hinter dem Zeitplan.«

»Meilenweit?«, staune ich und sie nickt, während ich mich frage, ob sie mich verarscht, doch langsam bekomme ich ein Gefühl für ihre Art und ich fürchte, sie meint es todernst.

Zwei Stunden lang quält Freya mich über das Eis, über schneeverwehte Passagen, kleine Gletscherspalten und sogar den ein oder anderen Gletscherfluss. Die Landschaft ist so vielfältig und einzigartig schön, umso frostiger dafür die Stimmung zwischen mir und meiner neuen Chefin. Offenbar ist Freya immun gegen jedweden Versuch, etwas Smalltalk zu starten, um sich die Zeit zu vertreiben.

»Also, was macht ihr eigentlich sonst so hier, außer lebensgefährlichen Klettertouren?«, versuche ich es trotzdem.



Tausende von E-Books und Hörbücher

Ihre Zahl wächst ständig und Sie haben eine Fixpreisgarantie.