Yu wei: Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen - Theo Fischer - E-Book

Yu wei: Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen E-Book

Theo Fischer

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Beschreibung

Die Weiterführung des Bestsellers «Wu wei» Wenn wir das Falsche aus unserem Leben entfernen, bleibt das Richtige übrig, ohne dass wir danach suchen müssen. Diese einfache Einsicht ist der Grundgedanke des neuen Buches von Theo Fischer, das der Lebenskunst des Tao gewidmet ist. Es zeigt uns anhand von Alltagssituationen aus verschiedenen Lebensbereichen, wie wir eingefahrene negative Verhaltensmuster erkennen und überwinden können, um so die Entfaltung der Lebensweise des Tao zu befördern. Wir lernen, wieder im Hier und Jetzt zu leben, uns weniger zu sorgen und auf unsere innere Stimme zu vertrauen.

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Seitenzahl: 232

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Theo Fischer

Yu wei

Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

We try harder

Erleuchtung und die Folgen

Gedanken über das Ich

Von Ängsten und Sorgen

Noch mehr über Sorgen

Missgunst contra Einklang mit den Dingen

Zwischenhalt

An der Wiege eines Vorurteils

Reflexionen über das Denken

Bauchgefühl

Das Sissi-Syndrom

Integrität

Was Liebe ist

Natürlichkeit

Die zweite Individuation

Das Tao

Literatur

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

als ich mit dem neuen Buch schwanger ging und gelegentlich Freunden gegenüber den Titel erwähnte, löste dies regelmäßig die Reaktion aus: «Ah, so was wie Anleitung zum Unglücklichsein?» Nun, es wäre nicht schwierig, aus der langen Liste seltsamen menschlichen Verhaltens eine Anzahl Karikaturen herauszufiltern. Aber ich möchte mit dieser Arbeit mehr erreichen, als nur ein Leserpublikum zu erheitern, indem ich die Leute ironisch auf ihre Schwächen hinweise. Yu wei, die Kunst, sich das Leben schwer zu machen ist ein Buch über das Tao, und es ist ein spirituelles Buch, obgleich es an Ihre Vernunft und nicht an Ihren Glauben appelliert. Yu wei bedeutet wörtlich übersetzt in etwa «Willentliche Anstrengung» und ist das genaue Gegenteil von Wu wei, dem intelligenten Prinzip des Nichthandelns. Yu wei an einigen plausiblen Beispielen zu erklären ist bedeutend einfacher, als etwas zu beschreiben, das seinem Wesen nach gar nicht stattfindet. Das ist wie die Aufforderung zu erklären, was Gesundheit ist. Es funktioniert im Grunde dadurch, dass ich aufzähle, was sie nicht ist. Die Abwesenheit von Krankheit macht Gesundheit aus. So ähnlich verhält sich auch Wu wei zu Yu wei.

Yu wei steht für Stress, Beziehungskrisen, Geldnöte, Kopfkino und für die Jagd nach Glück, Schönheit, Erfolg und Ruhm um jeden Preis. Willentliche Anstrengung wird in unserer Gesellschaft allerdings eher als Tugend denn als Laster angesehen. Im Grunde fällt das meiste, was wir anstellen, während wir uns um materiellen oder geistigen Fortschritt oder auch nur um die Erhaltung des Status quo bemühen, unter dieses Prinzip. Der Werbeslogan auf den Buttons des bekannten Autoverleihers trifft den Kern von Yu wei am deutlichsten: «We try harder», was auf gut Deutsch «Wir strengen uns noch mehr an» bedeutet. Der Satz passt als Wahlspruch an die Wand jedes Arbeitsraums von der Vorstandsetage bis zur Hobbywerkstatt, und er würde in der Vergangenheitsform auch gut auf so manchen Grabstein passen.

Es soll laut einschlägiger Literatur im menschlichen Leben 49 dramatische Grundsituationen geben. Carl Gustav Jung leitete daraus mit Bezug auf das klassische Drama seine Archetypen ab, und er zählt glückliche Zustände ebenso dazu wie die unglücklichen, krisenhaften. Im Sinne von Yu wei ist bemerkenswert, dass wir zur Bewahrung glücklicher Situationen annähernd die gleichen Anstrengungen aufwenden wie im Kampf gegen das Unglück. Die Probleme, denen wir beizukommen suchen, haben an der Oberfläche den möglichen Grundsituationen entsprechend viele Gesichter, aber genau betrachtet nur einige wenige, dafür aber markante Wurzeln. Wir halten unsere Sorgen und Nöte für die Ursachen unseres Unglücklichseins, aber unsere Probleme sind nicht die Ursachen – sie sind bereits Wirkungen von etwas anderem. Es sind die Auswirkungen einer Reihe fundamental falscher Grundannahmen über unsere Position im Universum, unsere Identität und unsere Chancen im Leben. In den folgenden Kapiteln möchte ich die Hindernisse bloßlegen, die der Entfaltung einer Lebensweise im Geist des Tao im Weg stehen. Ich möchte ein paar Szenen ausleuchten und Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, damit Sie von sich aus Antworten auf Fragen entdecken, wie zum Beispiel, weshalb das einfache, federleichte Prinzip des Nichthandelns aus Unkenntnis in Anstrengung ausartet und die Last, mit den alten Fehlern weiterzuleben, leichter scheint als der emotionale Aufwand für den Wandel. Von Chuang tzu sind uns viele Schriften überliefert, in denen er das menschliche Fehlverhalten und seine Abweichungen vom Weg des Tao anhand kleiner skurriler Geschichten und erfundener Dialoge entlarvte. Er stattete seine Helden und Gegenspieler mit Phantasienamen wie Lückenbeißer, Keimwalter, Meister Blinkeblick, Sorglos, Gratewohl, Klarblick, Schwalbensohn oder Freigeber aus. Ich werde in diesem Buch auf seinen Spuren wandeln und die zugegeben oft schwer verständlichen taoistischen Metaphern durch einige aus dem heutigen Leben gegriffene Geschichten oder Zwiegespräche verdeutlichen. In der alten chinesischen Literatur kommt Yu wei als Begriff nur in homöopathischen Dosen vor. Kein Mensch hielt es vor 2500Jahren für nötig, dieses Umkehrprinzip von Wu wei in Gestalt von Geboten mit dem Anfang «Du sollst nicht» unters Volk zu bringen. Dafür war zu jener Zeit Konfuzius zuständig, der ausgiebig für kategorische Verhaltensregeln sorgte. Der Taoismus steht unserem westlichen Kulturkreis vielleicht darum so fern, weil er im Gegensatz zu seinen Religionen den Menschen mit keinem Gerüst von Vorschriften das selbständige, verantwortliche Denken abnimmt.

Um die Prinzipien des Nichthandelns zu verstehen, wissen wir heute nicht zu wenig – wir wissen zu viel, und zwar zu viel vom Verkehrten, Unnützen. Wir müssen lernen, in die Richtung zu segeln, wohin uns der Wind weht, statt verbissen unter Einsatz aller unserer Kräfte unverrückbaren Zielen entgegenzurudern. Ich werde von Ihnen in der Folge die Bereitschaft zur Selbstkritik und zum Nichtwissen einfordern, und in dem Maß, wie Sie sich von den alten Überzeugungen verabschieden, öffnen Sie sich dem Neuen, Unbekannten. Dieses Neue existiert in den ungenutzten Räumen Ihres Gehirns. Wenn dieses Gehirn seine krampfhaften Bemühungen um Lösungen aufgibt, wird das Tao aktiv. Dann ist Ihr Geist mit dem Tao identisch, und es setzt ein Strom positiver Ereignisse ein, die Sie selbst im Traum nicht für möglich gehalten hätten.

We try harder

Wie im Vorwort bereits erwähnt, drückt der zu seiner Zeit berühmte Werbespruch des Autoverleihers Avis in einem Satz all das aus, was die Menschen unseres Kulturkreises in den meisten Bereichen ihres Handelns vorantreibt. Ich möchte die Legende des Entstehens von «We try harder» als Anekdote an den Anfang dieser Arbeit stellen, weil in ihr die grundsätzliche Geisteshaltung bloßgelegt wird, mit der wir im Beruf ebenso wie in Liebesdingen und der Gestaltung unserer Freizeit operieren. Ich hatte in jenen Jahren selbst mittelbar mit Werbung zu tun, und ich erinnere mich, dass damals die Inhaber und Abteilungsleiter der Werbeagenturen ihren Teams die Anzeigen mit dem «We try harder»-Button vor die Nase hielten mit der bissigen Bemerkung, dies sei Kreativität und man möge sich ein Beispiel daran nehmen – insbesondere auch an der Aufforderung, sich gefälligst in Zukunft mehr anzustrengen.

Das aus Textern und Graphikern bestehende Team der Werbeagentur aus New Yorks Madison Avenue ist zusammen mit dem leitenden Creative Director übers Wochenende zu einer Hütte im Skiparadies Aspen gezogen, um dort in Klausur einen packenden Slogan für den bedeutenden Autovermieter zu suchen. Es geht um dessen Millionenetat, und alle Frauen und Männer des Teams stehen unter Stress, denn an diesem Werbeetat hängt auch der Fortbestand ihrer Jobs und das finanzielle Überleben der Agentur, in der die meisten von ihnen als Teilhaber ihr ganzes Vermögen investiert haben. Der emotionale Druck, unter dem jeder steht, ist ein Ansporn, die letzten Reserven zu mobilisieren, aber zugleich auch leider ein wirksames Mittel, alle Kreativität zu ersticken. Der Freitagabend verstreicht ergebnislos, ebenso der ganze Samstag. Spaziergänge im Schnee können die verkrampfte Atmosphäre nicht auflockern. Vor dem Schlafengehen sagt McCulloch, der Chef: «Morgen ist der letzte Tag und wohl unsere letzte Chance für unser Überleben. Strengt euch darum noch mehr an. Werft euer Herz über den Abgrund und springt hinterher.»

Benjamin, der jüngste Texter, kein Gesellschafter und erst ein paar Wochen dabei, grübelt vor dem Einschlafen weiter und murmelt die Forderung des Chefs, sich noch mehr anzustrengen, müde vor sich hin. Auch seine Stellung steht auf dem Spiel, und es scheint, als ob sie alle verlieren würden. Benjamin beschließt aufzugeben. Er kann nicht mehr. Während er erschöpft die Augen schließt und darauf wartet, dass der Schlaf ihn für einige Stunden von seinem Kummer erlöst, murmelt er die Aufforderung des Chefs vor sich hin. Und reißt die Augen auf, plötzlich hellwach. Wiederholt den Satz, formuliert ihn neu. Knapper, wirksamer. Wir strengen uns noch mehr an. Wäre das nicht die Werbebotschaft für ihren Auftraggeber? Er will schon aus dem Bett springen und den Chef wecken, als er sich seiner schwachen Position im Team bewusst wird. Was ich zu sagen habe, gilt bei denen doch nichts, denkt er deprimiert und legt sich endgültig schlafen. Am Sonntag früh stehen etliche Kannen Kaffee auf dem Tisch, um die Geister anzuregen. Die Gesichter der Beteiligten sind grau von Müdigkeit, den meisten sieht man die harte, durchgrübelte Nacht an, die sie aus Sorge um ihre Existenz beinahe schlaflos verbracht haben. Beim Brainstorming werden ein paar nicht besonders originelle Texte vorgetragen, die man ähnlich schon vom Samstag her kennt. McCulloch lehnt barsch und verzweifelnd ab, was auf den Tisch kommt. Soll ich mich auch anschießen lassen, denkt Benjamin, oder behalte ich meine Idee besser für mich? Als sich minutenlanges betretenes Schweigen über die 16Frauen und Männer des Teams senkt, hebt er wie einst in der Schule die Hand. «Ich hätte da eine Idee, aber wahrscheinlich taugt sie so wenig wie die anderen», sagt er vorsichtig.

«Raus damit», fordert McCulloch, «bei dem vielen Mist kommt es auf ein bisschen mehr auch nicht an. Reden Sie, Benjamin.»

«Ich würde als Headline und Copyplatform das nehmen, was Sie, Chef, gestern vor dem Schlafengehen zu uns gesagt haben: «We try harder.»

Auf die Wirkung dieses Satzes war Benjamin nicht gefasst. Wie ein Mann erhob sich das Team und klatschte Beifall. Bravorufe ertönten, und eine junge Texterin rief nach Champagner. Die gramgeprägte Miene McCullochs verschwand, und er sah zehn Jahre jünger aus. Er schlug Benjamin so heftig auf die Schulter, dass er auf seinen Sitz zurücksank.

«Das muss mein Unterbewusstsein gewesen sein, das mich gestern den rettenden Satz sagen ließ.» McCulloch versucht bereits, die Lorbeeren an sich zu reißen. «Unsere Kunden ringen um jeden Dollar. Wir werden ihnen sagen, dass wir uns die Beine für sie ausreißen, dass unser Service ihre Anstrengungen übertrifft.» Im Geist sieht er sich bereits an Bord der Segelyacht, die er nun finanzieren kann. Jemand schlägt vor, den Slogan als Button zu produzieren, und der Chef stimmt euphorisch zu. Er hätte auch zugestimmt, mit dem Text eine Kuh zu bemalen. «Nun brauchen wir nur noch ein paar schlechtere Texte für den Werbeleiter des Kunden, die er ablehnen kann. Ihr wisst ja, der Bursche nimmt nie den ersten Vorschlag an.»

Was in dieser erfundenen, aber lebensnahen Geschichte passiert, widerfährt uns tagtäglich in unseren normalen Verrichtungen. Wie oft versagt unsere Intuition, und wie oft verlieren wir unsere Instinktsicherheit, weil wir von Kindheit an mehr oder weniger auf Leistung getrimmt worden sind. Ein Mensch, der den Weg des geringsten Widerstandes einschlägt, gilt bei uns nicht etwa als intelligent – man wirft ihm Willensschwäche vor, Bequemlichkeit, und die Volksmeinung räumt ihm nur geringe Chancen für ein erfolgreiches Leben ein. Ich will versuchen, ob es mir gelingt, Ihnen den Blick auf ein Dasein zu öffnen, das sich zu leben lohnt, in dem die mentale Instanz in Ihnen, die Sie andauernd bewusst oder unbewusst zu Kraftakten anfeuert, vollständig zum Schweigen kommt. Ohne dass Sie dadurch Ihre Identität und Ihre Originalität einbüßen würden. Manche der in Beispiele verkleideten Empfehlungen erscheinen wenig kraftvoll. Aber sie werden sich in mächtige Urgewalten verwandeln, sobald Sie sich von Ihren Überzeugungen verabschieden, die vielleicht jetzt, beim Beginn der Lektüre, noch vorhanden sind. In der Geschichte oben wurde die Wende nicht durch den Einsatz von einem Dutzend Brechstangen erzielt – sie geschah, als der kleine, unbedeutende Texter Benjamin aufgegeben hatte.

***

Ich hatte beim Entwurf dieses Buches die Wahl, ob ich Ihnen das Tao geheimnisvoll verschlüsselt nahe bringe, in einer Sprache, der so viel Poesie innewohnt, dass die Lektüre Wohlbehagen und eine gewisse Ruhe in Ihnen auslöst. Oder ob ich auf Texte – vielleicht gar nicht so leichten Herzens – verzichte, die von taoistischen Metaphern förmlich überfließen. Und stattdessen für Unruhe sorge, Sie aufzurütteln versuche, Sie wie in einem Spiegel Fehler sehen lasse, die für die Konflikte in Ihrem Leben verantwortlich sind. Es gilt zu begreifen, dass unser Intellekt mit seinen überholten Methoden der Analyse und seinen kalkulierten Wahrscheinlichkeiten den Herausforderungen unserer Zeit nicht mehr gewachsen ist und unausweichlich Fehler begeht. Fehler von einer Tragweite, durch die viele Menschen aus schierer Unkenntnis kontinuierlich ihr Lebensglück ruinieren. Was Ihnen in der Vergangenheit unter Umständen passierte, gleicht einer Schachpartie: Ein falscher Zug ist meist reparabel, ein zweiter Fehler braucht bereits alles Können, um die Partie noch zu retten, und ein dritter dürfte bei gleich starken Gegnern unweigerlich zum Verlust führen. Die Entlarvung der kontraproduktiven Mechanismen von Yu wei und die Erkenntnis, wie katastrophal sie sich auf unseren Glückshaushalt auswirken, ist der erste Schritt hin zu einem Wandel. Es ist kein unabwendbares Schicksal, dass wir uns das Leben so schwer machen müssen, es mit Sorgen und Ängsten voll packen. Einer der Kernsätze, der Wu wei, das Gegenteil von Yu wei, charakterisiert, besagt, dass alle Dinge in diesem Universum in Beziehung zueinander stehen und Harmonie sich dann einstellt, wenn jedes Ding sich in Übereinstimmung mit allen anderen verwirklichen kann. Ich gebe zu, das klingt ziemlich abstrakt. Dabei passiert uns sein Gegenteil, nämlich dass die Dinge nicht mit unseren Wünschen harmonieren, manchmal jeden Tag. Wenn Sie den Beschluss fassen, einen lange projektierten Plan endlich in die Tat umzusetzen, haben Sie gewiss vorher alle Ihnen zugänglichen Informationen analysiert und Quellen genutzt, die Ihr Vorhaben betreffen. Und dann schreiten Sie zur Tat. Sie wissen inzwischen eine Menge über Ihre Chancen, nur auf eines haben Sie keinen Einfluss: ob die Umwelt auf Ihren Plan so reagiert, wie Sie es kalkuliert haben. Das Harmonieren Ihrer Pläne mit den Bewegungen der Außenwelt ist letztlich der entscheidende Faktor, ob Sie scheitern oder Erfolg haben werden. Nichtsdestoweniger ist die Feststellung, dass Harmonie dann bei uns einzieht, wenn wir mit dem Lauf der Dinge übereinstimmen, ein Satz, mit dem kein Mensch etwas anfangen kann, wenn er für sich allein steht. Allein ihn zu erklären verlangt bereits einen Abriss über die ganze taoistische Philosophie, es spielen Faktoren wie die Einheit der Dinge und die Identität unseres Geistes mit dem Tao hinein, deren Existenz eine Sache des Glaubens bleibt, wenn kein unmittelbarer Bezug zu den Problemen unseres Alltags hergestellt wird. – Und gerade das habe ich mir für dieses Buch vorgenommen.

Die Kunst, sich das Leben schwer zu machen (weil die falschen Signale gesetzt sind und man Anstrengung unbedingt für die Basis allen Erfolges hält, wird es tatsächlich für eine Kunst gehalten), lernt man in unserer Gesellschaft beinahe schon im Kindergarten. Von der Schule erst gar nicht zu reden, wo man kultusministerlich das Wettbewerbsprinzip vorschreibt und angesichts von Pisa für unerlässlich hält. Einer gegen alle anderen, das Wort Konkurrenz wird überdimensional groß geschrieben und hängt unsichtbar an der Wand jedes Klassenzimmers. «We try harder» wird spätestens in der Oberstufe zur Pflicht, der Leistungsdruck dominiert, und Gefühle haben in diesem Rennen keinen Platz. Signifikant für die Geisteshaltung ist eine makabre Geschichte, die ich sinngemäß aus einer alten Ausgabe des Spiegel wiedergebe: Zwei kanadische Jungen streunten durch den Wald, als sich ihnen ein Grizzlybär näherte. Der eine kniete nieder und schnürte seine Joggingschuhe fester. Da sagte der andere: «Ja, glaubst du, jetzt wärst du schneller als der Bär?» – «Nein, das nicht», lautete die Antwort des Angesprochenen, «aber schneller als du.»

Später im Berufsleben setzt sich die Anstrengung fort. Vierzig Jahre lang wöchentlich etwa vierzig Stunden Arbeit, bei Selbständigen oft das Anderthalbfache, nur unterbrochen von wenigen Wochen Urlaub und einer Freizeit, die das Angebundensein kompensieren soll und oft selbst zum Stress wird. Ehrgeizige Pläne für mehr Geld, mehr Erfolg, mehr Ansehen, mehr Statussymbole fordern naturgemäß auch mehr Leistung. Die Messlatte liegt in unserer Gesellschaft sehr hoch. Im Sport versinken Sie in der großen Masse der Amateure, wenn Sie keine Spitzenwerte erzielen. Es gibt immer mehr Extremsportarten zur Befriedigung des Ehrgeizes. Beim einst solitären Marathonlauf nehmen heute Menschenmassen teil, ungeachtet des Umstandes, dass nicht selten jemand am Ziel oder schon vorher tot zusammenbricht. Iron-Man, tollkühne Darbietungen mit dem Skateboard, dem Snowboard oder auf dem Wasser, Motorradakrobatik, Drachen- oder Gleitschirmfliegen, Touren zum Mount Everest und was es sonst noch an Herausforderungen an das menschliche Leistungsvermögen gibt. Glauben Sie im Ernst, dass jemand, der sich derart strapaziert, damit glücklich wird? Wer die Spitze verfehlt, leidet darunter, und wer sie erreicht, fürchtet, überrundet zu werden und sie wieder zu verlieren. Die Menschen unserer Zeit beziehen wesentliche Anteile ihrer Identität aus dem, was sie leisten oder was sie besitzen – was sekundär wieder auf Leistung zurückführt. Und im Risiko des Versagens steckt der Wurm des Leidens durch partiellen oder kompletten Identitätsverlust. Ist das Ihr Leben? Oder wandeln Sie auf den Spuren der Sinnsucher? Sind Sie zum Nachfolger von Vorbildern geworden, die Ihnen sagen, was Sie tun sollen? Haben Sie Ihre bescheidene Freiheit für ein wenig trügerische Sicherheit aufgegeben?

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin keineswegs ein Gegner sportlicher Aktivitäten, soweit sie einigermaßen mit Vernunft betrieben werden, ich gönne jedem sein Glück, wenn er es darin findet. Auch hege ich keine moralinsaure Abneigung gegen ihre Auswüchse, weil die Trauben für mich zu hoch hängen. Es ist nur schade, dass die Jagd nach Befriedigung, die für Glück gehalten wird, so sinnlos aufwendig geschieht. Der herrschende Zeitgeist ist vom Tao so weit entfernt wie die Erde von der Sonne. Dennoch ist es möglich, dem Geist des Tao in der Gegenwart Ihres Alltags zu begegnen – es gibt keinen anderen Raum, in dem Sie ihn finden können, er wird in keiner Kathedrale gepredigt, und kein Meister spendet Ihnen seinen Segen dazu. Sie werden voll und ganz auf sich gestellt sein, falls ich Sie dazu verlocken kann, versuchsweise eine kleine Strecke diesen Weg zu gehen.

Sie finden leicht ohne jede Analyse heraus, wie zufrieden, glücklich oder unglücklich Sie zum Beispiel mit Ihrem beruflichen Status sind. Warten Sie den nächsten Sonntagabend ab, die Viertelstunde vor dem Einschlafen. Denken Sie an die Aufgaben der kommenden Woche und lauschen Sie in sich hinein, welche Gefühle Ihre Gedanken in Ihnen auslösen. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht eben klein, dass Sie beim Lesen dieser Anregung bitter auflachen und bemerken, da bräuchten Sie nicht erst den Sonntagabend abzuwarten, um sicher zu sein, wie sehr Ihnen zuwider ist, was Sie Tag für Tag tun müssen. Oder Sie haben inzwischen einen Standpunkt erreicht, wo es Ihnen völlig egal ist, was Ihr Job Ihnen bedeutet, und jede Überlegung sich erübrigt. Oder noch anders: Sie lachen ebenfalls verbittert, weil Sie jede Art von Unbehagen akzeptieren würden, wenn Sie nur endlich wieder eine Arbeit hätten. Den zum Glück gar nicht so seltenen Fall zum Schluss: Ihnen wird schlagartig klar, Sie sind erfüllt und zufrieden mit Ihrem Beruf und wünschen sich nichts weniger als eine Veränderung. Wobei so manche Leserin, mancher Leser an dieser Stelle vielleicht in Gedanken ergänzt: Vorausgesetzt, die Amerikaner übernehmen den Betrieb nicht und schlachten ihn personell aus. Sie sehen es selbst: Irgendwo gibt es immer Wolken am Horizont unseres Wohlbefindens. Beim Freiberufler oder bei jemand mit einer eigenen Firma verhält es sich ähnlich. Die Probleme sind zu vielschichtig, um sie hier nur aus Spaß am Schreiben aufzuzählen, ich nenne darum nur diese drei: Auftragslage, Geldeingang und die Aktivitäten der Konkurrenz. Gut, das freie Unternehmertum genießt gegenüber Arbeitern und Angestellten gewisse Privilegien, was ihren Zeithaushalt betrifft, dafür sind die Probleme, mit denen sie sich auseinander zu setzen haben, auch bedeutend vielschichtiger. Falls Sie sich an dieser Stelle fragen, warum ich dies alles aufliste, wo es sich doch um Dinge handelt, die Sie bis zum Überdruss kennen, kommt hier die Antwort: Gewiss kennen Sie Ihre persönliche Situation natürlich am besten. – Aber: Kennen Sie auch den Weg heraus aus Ihren Engpässen? Wissen Sie um Lösungen, die anders als «Streng dich noch mehr an» lauten? Und die chronischen Krisen brauchen gar nicht beruflich zu sein. Sie können ebenso gut in Ihren Beziehungen stecken, in Ihrer Partnerschaft, in Problemen mit den Kindern, Unstimmigkeiten mit der Nachbarschaft, in Auseinandersetzungen mit Prozessgegnern oder dem Finanzamt und was der Möglichkeiten mehr sind. Noch einmal: Kennen Sie den Weg heraus aus den Krisen Ihres Lebens? Welche Patentrezepte haben Sie in der Vergangenheit bereits ausprobiert? Und wie viele davon haben funktioniert? Ich habe die oben niedergeschriebenen Befindlichkeiten nur darum aufgeführt, weil ihre Wirkungen ständig unsere Existenzängste auslösen und unseren Kampf, ihnen mit sinnloser Anstrengung beizukommen. Ich werde die Yu-wei-trächtigen Handlungsweisen an einigen Beispielen illustrieren. Das Hauptaugenmerk meiner folgenden Ausführungen gilt aber den Wurzeln der menschlichen Probleme und den Möglichkeiten ihrer Eliminierung.

Ehe ich dieses Kapitel beende, muss ich noch auf einen anderen Irrtum hinweisen. Unserem abendländisch-christlichen Denken bedeutet Polarität Konflikt, in dem das Licht mit der Finsternis kämpft, das Leben mit dem Tod und natürlich das Gute mit dem Bösen. Wir mögen das Angenehme, und wir wollen vor allen Dingen glücklich werden und es so lange wie möglich und ohne jede hässliche Unterbrechung bleiben. Die dunkle Seite der Polarität wünschen wir fern von uns, und dies ebenfalls auf Dauer. Wir wollen Freude ohne Leid, Reichtum ohne Armut und Gesundheit ohne Krankheit und begreifen nicht, dass das Positive wie das Negative Komponenten ein und desselben Systems sind und das Verschwinden des einen das ganze System zerstören würde. Manche Leute mögen Yin und Yang für ein japanisches Fischgericht halten, aber es handelt sich um die alten chinesischen Symbole für Polarität, auf der das taoistische Denken basiert. Die alten Chinesen verglichen die wechselnden Herausforderungen unseres Daseins mit den Zyklen des Mondes und verstanden sie als notwendig für unser Wohlergehen.

Als Kind hatte ich manchmal Momente, in denen ich argwöhnte, dem Erfinder dieses Lebens müsse irgendwo ein Fehler unterlaufen sein. Mich irritierte die Mischung aus Freude und Leid, Hoffnung und vor allem Enttäuschung, die im Wechsel auftraten, bei dem leider die negativen Inhalte nicht selten überwogen. Später im Erwachsenenalter häuften sich die einst eher vagen Empfindungen und wurden deutlicher. Mit erschreckender Klarheit wurde mir bewusst, wie launenhaft das Schicksal mit mir umsprang. Jedes Mal, wenn ich mich in einer Lebenssituation wohl zu fühlen begann, trat irgendein Störfaktor auf, der die Symmetrie des Friedens unterbrach und mich in die raue Wirklichkeit zurückholte. Überhaupt gewann ich zunehmend den Eindruck, dass mein Ringen um Wohlbefinden immer dann, wenn es mir gelungen war, einen einigermaßen erträglichen Zustand herzustellen, dadurch sabotiert wurde, dass mich diese Harmonie zu langweilen begann. Ich empfand dann meine angenehme Situation längst nicht mehr als so erstrebenswert wie vorher, wo sie mir als der Himmel auf Erden erschien. Frei nach dem Sprichwort «Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen» hielt ich Ausschau nach neuen Abenteuern, die mich für das entschwindende Glücksgefühl einer kontinuierlich bestehenden angenehmen Lebenslage entschädigen sollten. Weiser geworden, dämmerte mir nach und nach die Erkenntnis, dass ich den Kontrast zwischen Lust und Unlust brauchte, damit mein Lebensgefühl pulsierte. In der Begegnung mit dem Taoismus fand ich schließlich im Yin-und-Yang-Prinzip auch die Erklärung für das Auf und Ab, das unvermeidbar unser Leben zu begleiten scheint. Unsere psychische Struktur ist offenbar so angelegt, dass wir aus einem fortdauernd gleich bleibenden Zustand keine Gefühle mehr schöpfen können. Unser Geist stumpft in langen Phasen ungetrübten Wohlbefindens ebenso ab wie unter der Last nicht endender deprimierender Lebensumstände. Selbst der Höhenflug einer neuen brennenden Idee verliert an Energie, wenn er zu lange und zu heftig betrieben wird. Wir brauchen, um Perioden des Glücks auskosten zu können, den Kontrast dazu: Wir empfinden Gefühle der Lust nur dann intensiv, wenn sie im Wechsel mit Erfahrungen der Unlust stattfinden.

Ein schlagendes Beispiel, wie notwendig wir den Kontrast von Yin und Yang brauchen, finden Sie bei einem Blick auf Ihre bevorzugte Unterhaltungslektüre. Ist es nicht seltsam, dass Sie zur Erzeugung des Nervenkitzels beim Lesen oder auch beim Fernsehen genau jene Schattenseiten der Polarität, jene fiktiven Widrigkeiten brauchen, die Ihnen der Alltag ohnehin regelmäßig bis zum Überdruss beschert? Bücher und Filme, unsere Fluchthelfer vor der Realität, müssen Konfliktstoff enthalten, damit wir sie spannend finden. Ein Ratgeber für Romanautoren empfiehlt dringend, die handelnden Personen von Anfang an in Konflikte zu verwickeln und dafür zu sorgen, dass sie mit jedem Versuch, sich zu befreien, immer tiefer hineingeraten, und sie erst im finalen Kapitel aus ihren Schwierigkeiten zu entlassen. Nicht genug, dass uns manchmal emotional oder auch materiell das Wasser bis zum Hals steht – zur Entspannung brauchen wir den Kitzel, über die Medien den Kampf der Protagonisten ums Überleben mitzuerleben, um dann am Ende zu Zeugen vom Sieg des Guten über das Böse zu werden. Ein Autor oder Drehbuchschreiber, der sich gegen diese fundamentalen Bedürfnisse versündigt, hat keine Aussichten, publiziert zu werden. Ebenso würde die Abwesenheit von Yin und Yang unser Leben ärmer und monotoner machen, wir würden es wie einen Roman ohne Spannung empfinden – und so sicher wie das Amen in der Kirche auf Veränderung drängen.

Womit klar wäre, dass auch Glück erst dadurch fühlbar wird, dass es im Wechsel mit Zuständen des Nicht-Glücks auftritt. Der natürliche Lauf der Dinge sorgt wie Ebbe und Flut für diesen Wechsel. Geburt und Tod zählen zu den unvermeidbaren Bestandteilen unseres Lebens, und wir können nicht verhindern, dass geliebte Menschen von uns gehen oder sich von uns trennen. Mit diesen fundamentalen Tatbeständen wäre bereits die Symmetrie des Yin-und-Yang-Prinzips gegeben, weil sie alle Motive für Freude und Leid enthalten. Dem Auf und Ab des Schicksals können wir nicht entgehen, und wer die Bedeutung von Polarität versteht, wird dies auch nicht wollen. Unser Gefühlshaushalt bräuchte freilich zum Funktionieren nicht zusätzlich noch die vielfältigen Krisen und Konflikte, die uns, oft selbst verschuldet, heimsuchen. Doch zwischendurch zu Ihrer Beruhigung: Der Lauf der Dinge hält für den Menschen, der den Weg des Tao geht, zwar Gegensätze bereit, aber gewiss keine Szenarien, die an den biblischen Hiob erinnern, der Opfer einer Wette zwischen Gott und dem Teufel geworden sein soll, um seine Standhaftigkeit zu prüfen.

Wenn Sie das Prinzip von Yu wei verstehen, die alten Fehler vermeiden und sich dem Nichthandeln zuwenden, weil Sie wie ein Wissenschaftler mit sich selbst als Objekt eine Versuchsreihe gestartet und die Empfehlungen als wahr und echt erkannt haben, impliziert dies alles keine Garantie für fortgesetztes Gelingen. Nicht jedes Ihrer Vorhaben wird klappen, und nicht jede Ihrer Visionen wird Wirklichkeit werden. Es ist schwer zu verstehen, aber das größte Vergehen an unserem Wohlsein wäre die Gewissheit, dass sich in Zukunft alle unsere Wünsche erfüllten. Wir gerieten in einen Zustand, in dem unser Verlangen die Messlatte der inneren Befriedigung nach und nach so hoch hängen würde, dass das Angebot dieser Welt nicht mehr ausreichte, uns fröhlich und zufrieden zu stimmen. Dann bliebe, wie wir dies anschaulich aus den Medien und den Porträts führender Persönlichkeiten in den Geschichtsbüchern erfahren, nur noch das Verlangen nach Macht. Nach immer mehr Macht über immer größere Einflussbereiche. Bis am Ende nur noch die unerfüllbare Gier nach Allmacht übrig wäre, die unumkehrbar in den Wahnsinn führt. Im christlichen Glauben bedeuten nicht erhörte Gebete, dass Gott nein gesagt hat. Die Enttäuschten reden sich heraus und begründen ihren Misserfolg mit einem Akt göttlicher Weisheit, mit der Entscheidung einer höheren Macht, die einzig ihr Glück im Auge habe und besser als der Sterbliche Gefahren erkenne, die der Bittende in seiner Kurzsichtigkeit nicht genug berücksichtigt hatte. So spielt es sich beim Menschen des Tao nicht ab, weil von vornherein bekannt ist, dass das Tao keine Gebete erhört. Dennoch gerate ich bei Rückfragen, was denn dann der Taoismus an Lebenshilfe anzubieten habe, nicht in Verlegenheit. Weil der Urgrund allen Seins auf der einen Seite der unbekannte, unbewegte Beweger ist und bleibt, aber auf der anderen Seite sich seine Magie auf alle Unternehmungen des Wesenhaften Menschen, wie Chuang tzu ihn nennt, schöpferisch auswirkt. So kann es zum Beispiel geschehen, dass eine Tür sich zu schließen beginnt und trotz gegenläufiger Bestrebungen immer weiter zugeht. Ein Taoist wird angesichts einer solchen Entwicklung nicht mit dem Kopf gegen die endgültig verschlossene Tür rennen, indem er etwa für ein Geschäft, dem die finanzielle Luft ausgeht, immer noch mehr Gelder von der Bank leiht und sie in eine verlorene Sache hineinpumpt. (Was genau dem Prinzip von Yu wei entspräche.) Er wird den Verlust abschreiben, ihn auf Konto Yin buchen und im Übrigen seine Sinne offen halten für den Moment, in dem eine neue Tür aufgeht. Er wird nicht in den Fehler verfallen, alle Wege zu ignorieren, die nicht ins alte Konzept passen, und nicht darauf beharren, Ähnliches bis Gleiches zurückzubekommen – er wird das Neue erwarten, ohne ihm vorzuschreiben, wie es seiner Meinung nach beschaffen zu sein hat.