Z'21 - Tanja - Michaela Harich - E-Book

Z'21 - Tanja E-Book

Michaela Harich

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Beschreibung

Stuttgart 2021 - die Welt dreht sich weiter, auch wenn sie für Tanja still zu stehen scheint. Ihr Leben ist ein Scherbenhaufen oder zumindest das, was davon noch übrig ist. In ihrem Zustand weiß sie nicht so recht, wohin ihr Weg sie führt; eines ist allerdings klar: Sie wird nicht zulassen, dass das Institut so weitermachen kann.

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1. Auflage, 2024

© Alea Libris Verlag, Wengenäckerstr. 11, 72827 Wannweil

Alle Rechte vorbehalten

Korrektorat: Lisa Heinrich

Lektorat: Juliane Schiesel

ISBN: 9783988270191

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Contents

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1

Kälte umfing sie. Wasser floss um ihren Körper. Langsam kam Tanja wieder zu Bewusstsein. Unzählige Bisse ließen Blut aus ihrem Körper durch das Wasser wabern. Die Schmerzen kämpften mit der Kälte darum, wer ihr stärker zusetzte.

Sie hatten sie für tot gehalten, anders konnte sich Tanja nicht erklären, wie sie im Wasser gelandet war. Der Neckar lag quasi direkt vor der Haustür des Instituts und durch den Ausnahmezustand, in dem sich die Stadt befand, war es wohl auch kein Problem, Leichen im Fluss zu versenken.

Tanja breitete die Arme aus und ließ sich treiben. Lange, blonde Haare schwebten durch das Wasser in ihr Sichtfeld. Tanja, erstaunt darüber, dass sie keine Atemprobleme hatte und zudem weder an die Oberfläche stieg noch nach unten sank, wandte den Kopf – und erschrak. Jennies Leiche schwamm neben ihr, beschwert durch Gewichte, sodass sie für alle Fälle nicht an die Wasseroberfläche kam. Sie beobachtete, wie ihre Schwester zu Boden sank. Sie hatten sie beide getötet. Aber warum? Waren sie nicht mehr von Nutzen? Hatten sie schon alle Informationen erhalten, die sie ihnen geben konnten? Tanja schloss die Augen, ließ sich weiter treiben. Sie empfand nichts. Keine Trauer, keine Wut – nichts.

Sie war innerlich wie tot.

Tanja spürte, wie sie gegen etwas stieß. Langsam öffnete sie ihre Augen wieder, wandte den Kopf. Das Wasser, das sie umgab, erschwerte ihr die Bewegungen und ihre tauben Glieder gehorchten ihr nicht völlig. Holz – sie war gegen Holz gestoßen. Mit Mühe drehte sie sich ein wenig im Wasser und suchte nach ihrer toten Schwester. Jennie war am Grund des Flusses angekommen, ihr Gesicht ausdruckslos. Warum hatten sie sie beide getötet? Waren sie von so wenig Nutzen? Das konnte sich Tanja nicht vorstellen. Jennies Blut war eine Art Aufputschmittel für die Infizierten, ihres war der neutrale Träger – hatten sie einen Weg gefunden, die Zusammensetzung ihres Blutes künstlich zu reproduzieren? Wenn sie ehrlich war, überraschte sie das nicht. Dass Baumann wahnsinnig geworden war, war ihr mittlerweile durchaus bewusst. Dass ihr Ziehvater sie aber bereitwillig opferte, das hatte sie nicht erwartet. Warum war sie eigentlich nicht mit Gewichten auf den Grund geschickt worden? War man davon ausgegangen, dass sie sich als neutraler Träger nicht dazu eignete, wieder aufzuerstehen? Sollte man ihre Leiche finden? Tanja drehte sich noch einmal im Wasser, dieses Mal wesentlich leichter. Jennies Anblick ließ sie schaudern, falls das im eisigen Wasser überhaupt möglich war. Die Bisse der Infizierten, die auch Stücke ihres Fleischs rausgerissen hatten, waren verschlossen. Hatte sie durch ihr seltsames Blut etwa auch besondere Selbstheilungskräfte bekommen? Das würde zumindest einiges erklären - besonders, dass sie nicht atmen musste. Sie war wohl doch nicht mehr so lebendig, wie sie vermutet hatte. War sie eine dieser Infizierten? Warum war sie nicht wahnsinnig? Kam das noch? Tanja wusste es nicht. So viele Fragen, so wenige Antworten und niemanden, an den sie sich wenden konnte, zumindest hier im Fluss. Abgesehen von Fischen gab es nichts Lebendes in diesem Wasser.

Sie fühlte sich ein wenig wie Nadja.

Nadja.

Tanja riss die Augen weit auf. Sie hatte das kleine Mädchen völlig vergessen. Nadja brauchte sie. Sie war auf sich allein gestellt und da Tobias nicht mehr bei ihr war, würde sie sterben. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, schwamm sie an die Oberfläche. Die kalte Nachtluft ließ sie frösteln, wirklich frösteln. Einige rasche Züge und sie befand sich am Ufer. Tanja kletterte aus dem Neckar und schnitt eine Grimasse. Ihre nasse Kleidung war nicht hilfreich, aber sie konnte es nicht ändern. Ihr Blick wanderte den Fluss entlang, hinüber zum Institut, das hell erleuchtet war. Ein Hubschrauber flog darüber hinweg – Anna war wohl gelandet. Tobias hatte ihr erzählt, dass er seine Exfreundin kontaktiert hatte. Mit viel Glück würde sie vielleicht überleben und ein Heilmittel finden. Vielleicht konnte sie, Tanja, Nadja auch finden und zu Anna bringen, bevor alles zu spät war. Tanja seufzte, ließ die Schultern kreisen. Nadja zu finden würde nicht leicht werden, aber es war zumindest ein Anfang, das, was sie angerichtet hatte, in dem sie Volker Baumann geholfen hatte, wiedergutzumachen.

Die Staatsgalerie war nicht mehr das, was sie noch vor ein paar Tagen gewesen war. Seit er Lea an seine Vorgesetzten verraten hatte, fühlte er sich nicht nur schlecht, sondern richtig mies. Er hatte die einzige Frau verraten, die ihm etwas bedeutet hatte. Max fuhr sich durch die Haare. Das schlechte Gewissen fraß ihn auf. Lea hatte ihm vertraut. Sie hatte ihn in ihre Geheimnisse eingeweiht, hatte ihn in ihre Welt geführt und dafür gesorgt, dass er im Ansehen seiner Vorgesetzten stieg. Sie hatte ihn mit Infizierten versorgt, hatte ihm genug Testobjekte geliefert, um die Ärzte zu beschäftigen, die an einem Heilmittel arbeiteten. Und was tat er? Er verriet sie. Und das nur, weil er glaubte, ihr etwas Gutes zu tun. Wobei – das stimmte nicht, wenn er ehrlich war. Als er die Veränderungen gesehen hatte, die in Lea vor sich gingen, wenn sie wütend wurde oder sich verteidigen musste, hatten ihm bestätigt, dass er mit Leas Blut vielleicht seine Schwester retten konnte. Nein, nicht vielleicht. Ganz sicher sogar. Andreas war das beste Beispiel dafür gewesen, wie Leas Blut wirken konnte. Sie hatten miteinander geschlafen, das hatte sie ihm schlussendlich anvertraut – nicht, dass er über diese Information glücklich gewesen wäre, aber ändern ließ es sich nun mal nicht. Max wünschte sich, er wäre an Andreas' Stelle gewesen, aber dann wäre er jetzt in einer Zelle inhaftiert und würde den Forschern als Versuchskaninchen dienen. Aber er wäre unwiderruflich mit Lea verbunden.

Max schüttelte den Kopf. So wie für sie hatte er noch für niemanden empfunden und es schmerzte ihn, zu wissen, was er ihr angetan hatte. Doch welche Wahl hatte er denn gehabt? Die Liebe seines Lebens verraten oder seine kleine Schwester sterben lassen? Blut war noch immer dicker als Wasser – und Lea würde es überleben, da war er sich sicher. Sie war zu stark und zu dickköpfig, um zu sterben. Allerdings würde sie ihm den Verrat wohl nicht so einfach verzeihen, nahm er an. Max lehnte sich an die Mauer und ließ sich zu Boden sinken. Sein Handy vibrierte. Es steckte in seiner Gesäßtasche und verursachte ein unangenehmes, irritierendes Geräusch, als es in seiner Tasche über den Boden schrubbte. Max verzog das Gesicht und zog es umständlich heraus. Seine Militärkleidung war nicht darauf ausgelegt, kleine Bewegungen einfach zu machen, sondern war eher zum Schutz vor Bissen und anderen Angriffen durch die Infizierten gedacht.

»Wer schreibt mir denn?«, murmelte er leise, erwartete beinahe, dass seine Stimme laut genug über die Treppen hallte, um Infizierte anzulocken, die ihm nicht nur einen ordentlichen Kampf liefern, sondern seinem Leben ein Ende setzen würden, sodass er nicht länger mit seinen Schuldgefühlen zu leben hatte. Schuld gegenüber Lea, Schuld gegenüber seiner kleinen Schwester, Schuld einfach allen gegenüber. Momentan hatte er das Gefühl, für alles Schlechte verantwortlich zu sein. Wäre nicht dieses Virus ausgebrochen, hätte man es wohl auf eine aufkommende Depression schieben können. So war das aber immerhin noch mit posttraumatischer Verarbeitung zu erklären.

Und dass der Zustand Stuttgarts traumatisch war, war keine Frage. Es war eine Tatsache.

Mit wenig Begeisterung öffnete er die Nachricht, die er über WhatsApp von seiner Schwester bekommen hatte. Maria war die Älteste von ihnen, und sie war auch diejenige gewesen, die ihn überredet hatte, Lea zu verraten, um die Jüngste von ihnen zu schützen. Indem sie ihm Marions Zustand in den düstersten Farben geschildert hatte, war ihm letzten Endes nichts anderes übrig geblieben, als zu tun, was getan werden musste.

»Marion geht es bald besser. Leas Schwester ist aufgetaucht, somit haben wir ein weiteres Druckmittel. Allerdings haben wir die anderen beiden Homunkuli in den Neckar geworfen – kümmer dich darum. Niemand darf Beweise finden!« Max schnaubte. Und sonst so? Sollte er jetzt etwa den ganzen Neckar absuchen und die Leichen – was sollte er mit den Leichen machen? Anzünden? In Stücke schlagen? Wie stellte sich Maria das vor? Max legte den Kopf in den Nacken. Das Display seines Handys leuchtete wie ein Signalfeuer, das war ihm bewusst, aber auch völlig gleichgültig. Marias Forderungen wurden immer absurder, auch wenn sie in ihm die Hoffnung geweckt hatte, dass sie Marion retten konnte. Er glaubte nicht mehr daran. So oft hatte sie schon davon geredet, dem Heilmittel näher gekommen zu sein und jedes Mal war es ein Fehlschlag gewesen. Erneut vibrierte sein Handy. Er hob eine Augenbraue und las die Nachricht.

»Max? Geht das klar? Kann ich mich darauf verlassen?«

»Maria«, tippte er wütend, »ich weiß noch nicht einmal, wie die Homunkuli aussehen. Wie soll ich denn da bitte ihre Leichen finden und beseitigen? Kümmer dich doch einfach mal selber um deinen Scheiß!« Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte sein Handy auf den Boden geschmettert. Aber er brauchte es noch, vielleicht, und wollte nicht noch mehr Dummheiten begehen. Er legte den Kopf wieder in den Nacken. Maria würde ihn sicher mit allem versorgen, was er brauchte, um ihre verrückten Ideen umzusetzen. Ob er wollte oder nicht. Eine Wahl hatte er schon lange nicht mehr.

Der Beutel mit dem gemischten Blut lag schwer in ihrer Hand. Maria musterte ihn neugierig, suchte nach Zeichen, dass er anders war als die anderen Beutel, die sie Marion verabreicht hatte. Doch sie konnte nichts Außergewöhnliches erkennen. Das Blut im Beutel war genauso rot wie das in den anderen, war genauso flüssig. Aber dieses hier war mit dem Blut dieses kleinen Mädchens versehen, der Trägerin des Heilmittels. Maria rümpfte die Nase. Sie war sich nicht sicher, ob Nadja wirklich immun war oder die Wirkung aufheben konnte, allerdings sprachen die Indizien für sich. Marions Chancen standen nicht schlecht, vielleicht doch wieder geheilt zu werden. Immerhin hatte Tanjas Blut gar keine Wirkung auf sie, Jennies hatte Marion auf eine Weise aufgeputscht, als hätte sie ihr Guarana, Taurin und Koffein direkt ins Blut verabreicht. Eine erschreckende Vorstellung, wenn sie sich daran erinnerte, wie Marion sprichwörtlich die Wände hochgegangen war und blutige Spuren mit ihren Fingern hinterlassen hatte, die sie mit aller Macht in die Wand gerammt hatte. Chris hatte sie mehrfach gebeten, Marion am Bett festzuschnallen, bis sie eine Möglichkeit gefunden hatten, das infizierte Mädchen unter Kontrolle zu halten. Allerdings hatte er auch öfters vorgeschlagen, Marion an Kretschmer zu übergeben, sodass man ihr einen Chip einpflanzen konnte. Beides kam für sie nicht in Frage. Dass sie Max allerdings unter Druck setzen konnte, erwies sich als Glücksfall. Wer hätte denn auch damit rechnen können, dass er sich in einen dieser abartigen Homunkuli verlieben würde? Ausgerechnet ihr großer Bruder! Max, der niemals jemanden nach Kathrin lieben wollte. Der nur eine große Liebe in seinem Leben gekannt hatte? Maria lächelte spöttisch. Das würde sie zu ihrem Vorteil nutzen. Wie damals, bei Kathrin, als Max seine militärische Karriere aufgeben wollte, um mit dieser Hippie-Barbie auszuwandern und bei den tibetischen Mönchen zu leben. Sie hatte damals Kathrin manipuliert, sodass sie Max verließ, ihm in einer großen dramatischen Szene das Herz brach und ihrem Bruder nicht weiter im Weg stand, ein hochrangiges Mitglied des Militärs zu werden. Und damit auch ihr den Weg zu ebnen, in der Forschung für Biowaffen aufzusteigen. Ohne Max und seine Zombies, die er ihr gebracht hatte, hätte ihr Baumann niemals so viel freie Hand gelassen. Dass sie bei Baumann im Team gelandet war, lag nur an ihrer Skrupellosigkeit, die Baumann so beeindruckt hatte, dass er sie als Assistentin wollte. Wollte – denn seit Kretschmers Auftauchen waren sie alle abgeschrieben. Niemand hatte Baumann mehr beeindruckt, als dieser kleine wahnsinnige Technikfreak, der sogar seine eigene Schwester opferte. Maria schnitt eine Grimasse. Ihre Arbeit mit Maria war so viel wertvoller als das, was Kretschmer da tat, nur sah Baumann das nicht. Und sie würde ihn erst einweihen, wenn sie Resultate hatte, die sie in seiner Gunst über alle anderen steigen ließen. Chris verstand nicht, warum ihr das so wichtig war, aber sie wollte, nein, musste einfach an der Spitze stehen. Es war wie ein Zwang. Ein Zwang, den sie entwickelt hatte, seit Max immer der Goldjunge gewesen war, oder Marion, die einfach zu süß und talentiert war, um ignoriert zu werden. Sie, die Kluge, die Geniale, war immer missachtet worden. Jetzt allerdings hatte sich das Blatt gewendet. Von ihr hing die Heilung der kleinen Schwester ab, sie würde der Menschheit das Heilmittel bringen, sie würde die Retterin der Welt werden.

Maria lächelte, als sie Marion die Infusion gab. Ihre Aufzeichnungen waren detailliert, es fehlten nur noch die Wirkungen von Nadjas Blut – und Leas. Nichts würde sie aufhalten – nicht einmal Chris. Sie schenkte ihrem Freund einen misstrauischen Blick aus den Augenwinkeln. Er stand reglos und stumm an der Tür, seine Miene drückte Missbilligung und Zweifel aus. Sollte er doch! Bald würde er sehen, dass sie die ganze Zeit recht gehabt hatte.

Tobias schrie und schrie. Als sich die ersten Zähne in sein Fleisch gruben, hatte er das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Doch den Gefallen schien sein Körper ihm nicht machen zu wollen. Ein Infizierter nach dem anderen verbiss sich in ihm, riss an seinem Fleisch, fraß und lechzte nach ihm. Tobias wusste nicht, wie lange er das durchstehen würde, hoffte auf den Tod, der ihn in die Dunkelheit der schmerzfreien Leere schickte, doch nichts geschah. Hatte sein Vater seine Finger im Spiel? Ließ er nicht zu, dass sein Sohn starb? Was hatte sein Vater mit ihm noch vor? Kretschmers Gesicht erschien an dem kleinen Fenster der Tür. Der zufriedene, bösartige Ausdruck in seinen Augen reichte Tobias, um sich in seinem Verdacht bestätigt zu fühlen. Sie hatten mit ihm etwas Grausames vor, und er konnte nichts tun, um es zu verhindern. Ob das von Anfang an geplant war? Ob er von Anfang an für die Zwecke seines Vaters und Kretschmers eingeplant war?

Es würde zum Verhalten seines Vaters passen. Es wäre so typisch, das von langer Hand geplant zu haben, um seine eigenen Experimente voranzutreiben. Sein Vater war skrupellos, wenn es darum ging, schob die Suche nach einem Heilmittel vor und war bereit, jedes Opfer zu bringen, um seine Ziele zu verwirklichen. Tobias versuchte, sich zu wehren, doch er kam nicht gegen die vielen Infizierten an. Hilfesuchend drehte er den Kopf zum Fenster. Kretschmer war verschwunden und stattdessen stand nun sein Vater vor der Tür und sah hinein, beobachtete den Kampf seines Sohnes – und schien nicht eingreifen zu wollen. Tobias streckte die Hand nach ihm aus, nur um einen Augenblick später einen Finger durch einen Infizierten zu verlieren.

»Papa! Papa, hilf mir!«, schrie er. Sein Körper bestand nur noch aus Schmerz, doch nichts konnte die Qualen über den Verrat seines Vaters übertreffen. Es fühlte sich an, als hätte man ihm das Herz herausgerissen – etwas, was wahrscheinlich bald der Fall sein würde, wenn niemand einschritt und die Infizierten daran hinderte, ihn aufzufressen. Warum wurde er nicht ohnmächtig? Tobias schloss die Augen und hoffte, dass es bald vorbei war. Dass es einfach bald ein Ende hatte und er nichts mehr spürte.

Anna drückte das Klemmbrett mit den Datenblättern fest an ihre Brust, während Dr. Baumann und dieser Kretschmer sie herumführten. Die Forschungseinrichtung war groß, für ihren Geschmack zu groß, um nicht irgendetwas Illegales zu machen. Caroline hatte ihr gesagt, sie sollte sich melden, wenn sie etwas Verdächtiges oder Gefährliches sah – Anna war sich nicht sicher, was sie damit meinte, aber die gesamte Forschungseinrichtung war ihr unheimlich und hier ging definitiv etwas vor, was nicht gut war. Nicht für sie, nicht für die Menschen hier, für niemanden. Sie musste nur auf etwas achten, womit sie es beweisen konnte.

»Nun, Anna, was sagst du?«, ertönte die Stimme Baumanns unmittelbar hinter ihr. Sie fuhr mit einem leisen Schrei zusammen. So schreckhaft war sie normalerweise nicht, aber die Stimmung in der Einrichtung bedrückte sie und machte sie nervös. Anna wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte und hoffte, bald auf ihre Schwester und ihren Vater zu treffen. »Ist das nicht fantastisch? Wir haben hier alle Mittel zur Verfügung, um jedes Heilmittel finden zu können. Krebs, Muskelschwund, Zellsterben – nichts ist uns nicht möglich.«

»Und habt ihr schon was gefunden?« Anna biss sich insgeheim in den Hintern, dass sie das gesagt hatte.