Die Braut des Blutgottes - Michaela Harich - E-Book

Die Braut des Blutgottes E-Book

Michaela Harich

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Auf der Insel Elyos herrscht der Gott von Blut und Feuer - seit dieser seine große Liebe an den Tod verloren hat, ist für ihn nichts wichtiger, als ihre Wiedergeburt zu finden. Dafür suchen die Bewohner der Insel eine auserwählte Jungfrau, die für ein Jahr auf dem Thron der Insel sitzt und herrscht. Besteht sie am Ende ihrer Regentschaft die Feuerprüfung des Gottes, wird sie unsterblich und die Insel in ein goldenes Zeitalter geführt. Alira ist zu Besuch auf der Insel - genau zu jener Zeit, als die neue Auserwählte gesucht wird. Und wie das Schicksal es will, wird sie auf den Thron gesetzt. Doch als Außenstehende fällt es ihr schwer, sich den Erwartungen zu beugen und sich so zu verhalten, wie alle Mädchen, die auf der Insel erzogen wurden. Schon bald verbreiten sich Gerüchte über die rebellische Königin und Angst hält das Volk im Griff: Was, wenn Alira den Gott mit ihrer Art erzürnt und sie alle dem Untergang weiht?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 502

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



1. Auflage, 2024

© Alea Libris Verlag, Wengenäckerstr. 11, 72827 Wannweil

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Viktoria Lubomski

Korrektorat: Lisa Heinrich

Lektorat: Juno Dean

Lizenzen Bildrechte Impressum: Viktoria Lubomski, Freepik

ISBN: 9783988270054

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Dieses Buch enthält Szenen, die sich mit sexualisierter Gewalt, Sex, Vergewaltigung, Kämpfen, Blut und Folter beschäftigen. Eine Übersicht über weitere Themen, die Lesende belasten könnten, finden sich auf www.alealibris.de.

Inhaltsverzeichnis

GebrauchsanweisungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Ende 1Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Ende 2Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Ende 3Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27

Liebe Leser*innen,

bei der Entstehung dieses Buches ließ sich Autorin Michaela Harich nicht in ihrer Kreativität bremsen. Während des Schreibprozesses hatte sie immer neue Ideen, wie die Geschichte enden könnte.

Daher hat dieses Buch hat eine ganz besondere Aufteilung: Die ersten 20 Kapitel können normal hintereinander gelesen werden. Dann jedoch teilt sich die Geschichte und es gibt 3 verschiedene Enden zu entdecken. Wir möchten den Inhalt nicht vorweg nehmen, daher sind diese durchnummeriert.

Es besteht also die Möglichkeit, die Enden direkt hintereinander zu lesen. Wer jedoch ein bestimmtes Ende bevorzugt, kann einfach im Inhaltsverzeichnis dieses Ende auswählen und wird dann dorthin geleitet.

Wir wünschen viel Spaß mit den unterschiedlichen Enden!

Kapitel 1

Der Wind spielte mit ihren langen, roten Haaren, als Alira den Kopf aus dem Fenster der Kutsche hielt. Sie genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer sonnengebräunten Haut, den Duft der vielen exotischen Blumen, die sie auf dem Weg nach Salti’jor sah, und freute sich, dass ihr Vater ihrem Drängen nachgegeben hatte und sie mitreisen durfte. 

»Kind! Steck deinen Kopf wieder in die Kutsche! Das ist nicht sehr schicklich!«, ermahnte ihr Vater sie mit strenger Stimme. Alira streckte ihm sehr unschicklich die Zunge heraus, folgte seinen Worten aber und setzte sich brav auf die Bank. 

»Vater, du musst das auch einmal machen! Die Luft ist so warm! Erfüllt vom Duft der Blumen. Die Sonne, der Wind, das Meer – können wir nicht auf ewig hierbleiben? An diesem Ort ist es so viel schöner als zu Hause!« 

»Und gefährlicher! Ich habe dir von den Gefahren erzählt, die auf Elyos lauern.« Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Kind, wenn du dich nicht benimmst, war das die letzte Reise, auf die ich dich mitgenommen habe!« 

Alira biss sich auf die Lippe und schwieg trotzig. Als sie neben sich Mynos leise kichern hörte, schenkte sie ihm einen wütenden Blick, der ihn nicht sonderlich zu beeindrucken schien. 

»Alira, mein Schatz! Du weißt, dass ich es nur gut meine. Du weißt, dass ich hauptsächlich um deine Sicherheit besorgt bin. Und Elyos birgt Gefahren, die du dir niemals vorstellen kannst.« Er zog den Vorhang des Fensters etwas zur Seite und spähte hinaus. »Wir müssen besprechen, wie wir vorgehen, sobald wir Salti’jor erreichen. Die Stadt gilt als neutral und gehört dennoch zu Elyos. Sie ist quasi das Tor zur Insel des Blutgottes.« Er rieb sich über die Augen, ließ den Stoff fallen und lehnte sich zurück. »Die Insel ist verflucht!« 

»Übertreibst du nicht ein wenig, Vater? Die Insel kann unmöglich verflucht sein! Von wem denn? Den Göttern? Als ob der Blutgott, wer immer das sein mag, sich um so eine kleine Insel schert! So idyllisch sie auch ist – ich halte das für Aberglauben!« 

»Du weißt nicht, wovon du sprichst, Tochter! Ich möchte nicht, dass du auch nur einen Fuß auf den Boden dieser Insel setzt!« Die Heftigkeit, mit der ihr Vater sprach, erschreckte Alira. Eine Röte überzog seine Wangen, und eine Ader an seiner Schläfe pochte sichtbar – kein gutes Zeichen. Alira kannte das allerdings schon. Er war wütend, und wenn sie ihn nicht bremste, würde er sich heillos hineinsteigern. »Du wirst dich genau an meine Anweisungen halten, hast du mich verstanden?« 

»Aber …« 

»Nichts aber! Ich habe deinem Drängen mitzudürfen lediglich nachgegeben, weil du versprochen hast, dich an meine Anweisungen zu halten!« Ihr Vater wandte sich an Mynos, seinen Gesellen. »Wir werden es wie ausgemacht handhaben. Du versteckst dich mit ihr bei meinem Geschäftspartner Ephidrios. Er weiß Bescheid. Er hat ein Versteck für seine Töchter und wird auch für Alira und dich einen Platz haben.« 

»Warum muss ich mich denn verstecken?«, wollte Alira wissen. Sie hatte geglaubt, ihr Vater hatte mit Anweisungen Besonderheiten in Sachen Benehmen und Anstand gemeint, aber nicht, dass es sich um die Pflege seiner Paranoia handeln würde. Zwar hatte er ihr erzählt, dass Jungfrauen auf dieser Insel einmal im Jahr besonders im Fokus standen und Väter daher ihre Töchter versteckten, allerdings hielt sie es nur für ein Gerücht, ein schlechtes noch dazu. 

»Weil Elyos für Frauen gefährlich ist! Zumindest für hübsche, junge Frauen. Unverheiratet noch dazu.« 

Alira verschränkte die Arme vor der Brust. Wahrscheinlich würde ihr Vater ihr gleich wieder einen Vortrag halten, dass sie in ihrem Alter noch keinen Mann gefunden hatte und als alte Jungfer enden würde, wenn sie weiterhin jeden Mann mit ihren Allüren vertrieb. »Vater, sei froh, dass ich mich bisher nicht für einen Gemahl entscheiden konnte. Sonst wäre dein Geschäft bei Weitem nicht …« 

»Ja, ich verdanke dir viel, mein Kind. Das ist überdies der einzige Grund, warum ich dir in so vielen Dingen nachgebe. Dennoch hast du mir versprochen, zu gehorchen! Und ich will, dass du dich versteckst! Ansonsten wartest du mit Mynos hier in der Kutsche vor der Stadt auf mich! Hast du das verstanden?« 

»Ja, Vater.« Alira zog es vor, nicht weiter mit ihm zu diskutieren, auch wenn alles in ihr aufbegehren wollte, um endlich zu erfahren, was ihr Vater verschwieg. Dass er das tat, war so offensichtlich, man müsste schon absichtlich alle Anzeichen ignorieren. Und er schien nicht bereit zu sein, von seinem Standpunkt abzurücken. Sie wich seinem Blick aus und starrte stur aus dem Fenster. Wut und Frust brodelten in ihr, doch sie kannte das Temperament ihres Vaters, weshalb sie es vorerst auf sich beruhen ließ. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie Mynos und stellte fest, dass dieser offensichtlich mehr wusste, als gesagt worden war. Warum machten die zwei so ein Getöse um den Besuch in Salti’jor? Sie verstand es nicht. Natürlich waren ihr die Geschichten zu Ohren gekommen, dass die schönsten Jungfrauen auf Elyos dem Blutgott geopfert wurden, doch sie hielt das alles für dummes Gerede der Menschen. Als ob man zuließ, dass jedes Jahr ein junges Mädchen getötet wurde. Das war barbarisch und passte nicht zu dem, was sie über Elyos in Erfahrung gebracht hatte. Wahrscheinlich galt dies nur dem Zweck, unliebsame Besucher fernzuhalten. Dass die negativen Dinge, die über dieses Stück Land berichtet wurden, die positiven überschatteten, lag wohl in der Natur von Tratsch. Die Bilder, die in Büchern zu Elyos zu finden waren, zeigten üppige Wiesen, Wälder und blühende Felder. So schlecht konnte das Leben dort dann wohl nicht sein, oder? Sie hatte viel über diesen Ort gelesen – ihre Neugier war durch all die Gerüchte geweckt geworden – und erfahren, dass die Insel wie abgeriegelt war. Man konnte das Festland nur über die Brücke, die Salti’jor und Elyos verband, erreichen. Die Insel selbst war von hohen Klippen umgeben, so dass sie keinen Hafen besaß und genauso wenig einen Strand, was Alira sehr bedauerlich fand. Kein Wunder also, dass die Menschen über Elyos sprachen, als wäre es verwunschen, dachte sie. Sie wissen es wohl nicht besser und haben sich nie getraut, über die Brücke hinüber auf die Insel zu reisen. Wahrscheinlich hat sogar der Gott diese Brücke gebaut, aus Feuer und Blut. Bei diesem Gedanken entwich ihr ein spöttisches Schnauben, was nicht unbemerkt blieb. Ihr Vater sah sie mit einem Stirnrunzeln an. Schnell setzte sie eine unschuldige Miene auf. 

»Meister, ich werde achtgeben, Alira vor den Soldaten Elyos‘ zu verbergen. Ihr braucht Euch nicht sorgen. Sie werden sie nicht finden«, erklärte Mynos und riss Alira aus ihren Gedanken. 

»Übertreibt ihr beide nicht ein wenig?«, murmelte sie leise und fing sich einen strafenden Blick ihres Vaters ein. »Schon gut, schon gut. Dann verstecke ich mich eben.« 

»Wir sind bald da«, erklärte ihr Vater. Alira straffte sich. Nach dieser Unterhaltung, wenn man sie denn so nennen wollte, über Elyos und den Ermahnungen, sich zu verstecken, war in der Kutsche ein unangenehmes Schweigen ausgebrochen. Nur ihr Vater hatte schlussendlich gewagt, es zu brechen. Auf sein Zeichen hin blieb die Kutsche polternd stehen. »Wir sind in Kürze da. Vor uns liegt die Stadt Salti’jor, die Stadt des Salzes und des Blutes. Der Vorort von Elyos. Dort befindet sich auch die Brücke, das Verbindungsstück zur Insel.« Er schwieg, wie um sich zu sammeln. Alira runzelte die Stirn, glättete sie allerdings sofort wieder, bevor die Ermahnung folgte, dass dies nur unnötige Falten hervorriefe. »Wie ich bereits gesagt habe, müsst ihr euch verstecken. Mein alter Freund und Geschäftspartner Ephidrios weiß Bescheid. Kind, wir müssen noch einmal die Waren durchgehen, die ich auf dem Markt von Salti’jor anbieten möchte. Du weißt, ich brauche deine Hilfe. Immerhin hast du sie hergestellt.« Er öffnete die lederne Tasche auf seinem Schoß und holte einige dicht beschriebene Seiten Pergament hervor. »Du hast mir hier alles aufgeschrieben und auch eine Zeichnung dazu angefertigt – stimmen diese so weit?« 

»Natürlich, Vater!«, empörte sich Alira. Sie war es gewohnt, von dem Naschwerk und süßen Gebäckstückchen, die sie anfertigte, detaillierte Beschreibungen und Zeichnungen zu erstellen, damit sich ihr Vater keine Blöße geben musste, wenn er sie feilbot. Immerhin galt er als der Zuckerbäcker. Sollte herauskommen, dass seine Tochter die Delikatessen herstellte, wäre er ruiniert. Seit dem Tod der Mutter war es ihre Aufgabe, das Geschäft des Vaters mit den gezuckerten Naschereien zu versorgen, für die er im ganzen Land und darüber hinaus bekannt war. Alira besaß wie ihre Mutter die Gabe, ihre Gefühle in die Backwaren einfließen zu lassen, welche beim Verzehr bei demjenigen, der sie aß, hervorgerufen wurden. Durch diese Besonderheit waren die Zuckerwerke, die ihr Vater verkaufte, berühmt geworden, sodass sie in aller Herrenländer bestellt wurden. So auch in Salti’jor. 

»Die amtierende Königin wünscht, dass alle Untertanen zur großen Zeremonie deine Süßigkeiten essen, die Freude und Jubel, aber ebenso Dankbarkeit und Treue hervorrufen. Du hast doch so was gebacken, nicht wahr?« 

»Ja. Es sind Mandelkekse mit rosaglitzerndem Guss und die himmelblauen Zuckerkringel mit violetter Marmorierung. Beide Sorten befinden sich in den weiß-goldenen Schachteln«, antwortete Alira pflichtbewusst und vielleicht nur eine kleine Spur genervt. 

»Wunderbar. Dann werde ich sie dem Palast zukommen lassen und die anderen auf dem Markt verkaufen. Das wäre dann der letzte Markt, bevor wir wieder nach Hause aufbrechen. Und dann, Tochter, wird es Zeit für dich zu heiraten!« 

»Aber Vater! Wie soll ich dann für dich backen?«, protestierte Alira und konnte nicht glauben, was ihr Vater da sagte. 

»Es wird sich ein Weg finden. Aber die Gefahr, die ich dir zumute, indem ich dich als unverheiratete Jungfrau auf all die Reisen mitnehme, kann ich nicht länger verantworten. Allein diese Reise – ich kann nach wie vor nicht verstehen, warum ich mich darauf eingelassen habe. Ich war noch nie auf dieser Insel.« Ihr Vater schüttelte den Kopf, schien an seiner Entscheidung erneut zu zweifeln – allerdings würde gleich ein verklärter Ausdruck über sein Gesicht huschen, so wie die letzten Male, wenn er deswegen mit sich haderte. »Alira, mein Schatz, ich meine es nicht böse, aber du bist jetzt sechzehn Jahre alt. Die Gesellschaft erwartet es von dir. Ich erwarte es von dir. Bleibst du in deinem Alter weiterhin unverheiratet und wohnst mit mir unter einem Dach, gilt es als unschicklich und es wird Gerede geben.« 

»Ach, das ist doch Schwachsinn! Die Leute werden sowieso reden! Und warum sollte es unschicklich sein, wenn ich bei meinem Vater bleibe? Mutter hat stets gesagt, man bräuchte keinen Ehemann, um sich als Frau behaupten zu können.« 

Mynos, der bisher geschwiegen hatte, schien etwas sagen zu wollen, denn Alira sah, wie er den Mund öffnete, und funkelte ihn wütend an. »Halt bloß den Mund! Ich will von dir nichts hören! Deine Ansichten kenne ich zur Genüge!« 

»Aber, aber! Sprich nicht so mit ihm, mein Kind! Er war dir jederzeit ein treuer Beschützer und mir ein guter Geselle. Du magst möglicherweise mit seinen Ansichten nicht einverstanden sein, aber das muss nicht heißen, dass er unrecht hat.« Ihr Vater rieb sich den Nasenrücken. »Nun gut. Ich kann mich also darauf verlassen, dass die Liste stimmt. Dann liegt es an dir, Mynos, das Wertvollste in meinem Besitz zu verteidigen und zu bewahren. Ihr werdet euch verstecken. Du«, blickte er seinen Gesellen streng an, »wirst Sorge dafür tragen, dass meiner Tochter nichts geschieht und sie nicht in die Hände der elyos’schen Garde fällt. Haben wir uns verstanden?« 

Mynos nickte so ergeben, dass es Alira beinahe den Magen umdrehte. Sie wusste bereits, dass ihr Vater nur zu pfeifen brauchte und Mynos würde springen. Oder tanzen. Je nachdem, was verlangt wurde. Ihr Vater lehnte sich wieder zurück, schob die Papiere in die Tasche und seufzte müde. Der Grund für das Anhalten ihres Fuhrwerks schien vergessen. Manchmal kam es ihr vor, als wäre ihr Vater nicht mehr er selbst. Wahrscheinlich bildete sie sich das ein, das mulmige Gefühl ließ sich leidlich ignorieren. Alira hörte und spürte, wie sich die Kutsche erneut in Bewegung setzte, und konnte nicht verhindern, dass ihr Herz vor Aufregung wild in ihrer Brust schlug. Etwas sagte ihr, dass sie diese Reise niemals vergessen würde. 

 Die Wachen, die das Haupttor nach Salti’jor bewachten, schienen sich nicht für die Insassen der Kutsche zu interessieren. Offensichtlich genügte es ihnen, dass der Kutscher ihnen ein Dokument reichte, welches das Siegel ihres Vaters trug und Kunde darüber gab, wer sich in der Kutsche befand und was der Marketenderwagen geladen hatte. Alira knetete nervös die Hände in ihrem Schoß. Der Drang, den Markt zu besuchen, die Stadt zu erkunden, war groß, beinahe übermächtig. Doch sie widerstand ihm. Als sie die Hand nach dem Vorhang ausstrecken wollte, um nach draußen zu spähen, hielt ihr Vater sie fest. 

»Lass das! Du wirst noch früh genug etwas von der Stadt sehen!«, schalt er sie. Alira bemerkte das nervöse Zucken seines Augenlides und unterdrückte ein Augenrollen. Mynos ging es wohl ähnlich. Wenn sie sein Zappeln richtig deutete, konnte er sich kaum halten und kämpfte gegen den Drang, aus der Kutsche zu spähen, wie Alira amüsiert bemerkte. Doch der strenge Blick ihres Vaters ließ die beiden jungen Menschen wie erstarrt auf ihren Plätzen sitzen bleiben. Das rege Treiben auf den Straßen der Stadt drang an Aliras Ohr, stellte ihre Willensstärke auf eine harte Probe. Wie gern hätte sie den Menschen zugesehen! Diese pulsierende Lebensfreude des Marktes genossen, die für sie beinahe greifbar war! Die fremden Bauten betrachtet. Aber nein, sie durfte sich nicht bewegen. Durfte nichts machen. Nur stillsitzen und abwarten. Es trieb sie in den Wahnsinn. 

»Tochter, ich weiß, ich wiederhole mich, aber wenn wir gleich bei Ephidrios sind, dann wirst du dich auch an seine Anweisungen halten. Ihr werdet euch versteckt halten! Gegen Ende des Tages werde ich euch abholen, wenn der Markt vorbei und die Gefahr gebannt ist. Erst so bald alle Soldaten der elyos’schen Garde aus der Stadt verschwunden sind, werde ich dir erlauben, die Stadt zu besichtigen. Hast du mich verstanden?« 

»Ja, Vater«, antwortete Alira brav mit einer kleinen Spur Widerwillen in der Stimme. Die Kutsche rumpelte weiter durch die Straßen, die zu beobachten ihr untersagt waren. 

Es dauerte nicht lang, bis die Kutsche zum Stehen kam. Alira beugte sich nach vorne, wollte erneut nach dem Stoff greifen, als sie innehielt und ihren Vater anstarrte. Als er nickte und ihr somit die Erlaubnis erteilte, zog sie den Vorhang einen Spalt zur Seite und linste hinaus. Die Kutsche hatte vor einem pompösen Geschäft Halt gemacht. Groß, in goldenen Buchstaben stand der Name »Ephidrios‘ Wundermittel und Schönheitssubstanzen« geschrieben. Schnaubend lachend lehnte sie sich zurück und sah ihren Vater spöttisch an. »Ist das sein Ernst? Schönheitssubstanzen? Was soll das denn sein?« 

»Das ist nicht in deinem Interesse. Du wirst deine Zunge hüten und deine spitzen Bemerkungen hinunterschlucken. Ephidrios lebt davon, sehr gut sogar. Es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen.« Ihr Vater klopfte gegen die Tür der Kutsche, um seinem Kutscher ein Zeichen zu geben, diese zu öffnen. »Du wirst dich benehmen, nicht wahr? Alira, es geht um deine Sicherheit!« 

»Und du kannst das natürlich nicht oft genug wiederholen«, murmelte sie leise, was Mynos zu einem Kichern verleitete. Ihr Vater schenkte ihnen erneut einen strafenden Blick, bevor er aus der Kutsche stieg. Sie hörte, wie er mit überschwänglicher Freundlichkeit – so überschwänglich, dass es nur gespielt sein konnte – sagte: »Ephidrios, alter Freund! Wie schön, dich zu sehen!« 

Ihre Lippen verzogen sich zu einem leisen Lächeln, als sie die Hand ergriff, die ihr half, aus der Kutsche zu steigen. Alira reckte das Gesicht gen Himmel, wartete auf die Wärme der Sonne und blinzelte erstaunt, als sie nichts spürte. Für einige Herzschläge verharrte sie regungslos auf den Stufen, einen Fuß in der Luft. Dann fing sie sich und stieg hinab. Ihr Vater schüttelte missbilligend den Kopf, schwieg aber. Mynos, der hinter ihr aus der Kutsche sprang, kicherte. 

»Du warst ja noch nie hier, nicht wahr? Die Menschen in Salti’jor haben den Himmel verdeckt, aus Angst, die Götter könnten sie überwachen. Das Licht, das du siehst, ist künstlich erzeugt. Deswegen spürst du auch keine Wärme.« 

Alira nickte dankbar, fröstelte aber bei dem Gedanken und zog den Kopf etwas ein. Künstliches Licht – das war nichts, was sie auf Dauer ertragen könnte. Sie vermisste ja jetzt schon die Wärme der Sonne und das Spiel der Sonnenstrahlen mit den Wolken, den Staubpartikeln in der Luft. 

»Komm endlich und trödle nicht so herum!«, schalt sie ihr Vater. Er wies auf den Eingang des Geschäftes, den der Kutscher bereitwillig aufhielt, und zog seine Tochter am Arm mit sich mit. Diesen Moment nutzte sie, um sich umzusehen, bevor sich die Ladentür hinter ihr schloss. 

»Das ist also deine Tochter, Hestoros«, sagte ein stattlicher Mann in einem schreiend bunten Gewand, das sich über seinem Bauch spannte. Die hellblauen Knöpfe bissen sich fürchterlich mit der orangefarbenen Weste, die er über der leuchtend hellen Tunika trug. »Du hast mir nie gesagt, wie schön sie ist.« 

Alira zuckte unwillkürlich zusammen, als er auf sie zukam und die Hand nach ihrem Haar ausstreckte. 

»Dieses Rot! Herrlich! So ein kräftiges Rot – wie schwerer, süßer Wein. Die Damen von Salti’jor würden mir die Bude einrennen, wenn ich ein Haarfärbemittel mit dieser Farbe verkaufen würde.« Der musternde Blick ging Alira durch Mark und Bein. »Diese Augen! Wie frischer Waldhonig! Und ihre Haut – sonnengeküsst! So ganz anders als bei den vornehmen Damen in unserer Gesellschaft. Hestoros, ich muss sagen, deine Tochter ist eine wahre Augenweide. Kein Wunder, dass du sie verstecken möchtest! Die elyos’sche Garde wäre entzückt!« Ephidrios legte den Kopf in den Nacken und lachte. Alira drückte sich enger an ihren Vater. Zum ersten Mal verstand sie seine Sorge um sie. Irgendetwas an diesem Mann störte sie. Verstohlen musterte sie den Freund ihres Vaters und glaubte, einen verschlagenen, aber auch verängstigten Ausdruck in seinen Augen zu erkennen. Sie wollte sich nicht von diesem Mann in Sicherheit gebracht wissen. Sie traute ihm einfach nicht. 

»Nun, wie versprochen werde ich deine Tochter vor der Garde verstecken. Sie wird in meinem Geheimversteck, hier im Laden, sicher sein. Du brauchst nicht einmal deinen Gesellen dalassen, ich garantiere für ihren Schutz.« 

»Nimm es mir nicht übel, aber mir wäre wohler, würde Mynos bei ihr bleiben.« Ihr Vater gab ein Zeichen, und Mynos stellte sich beschützend neben Alira. »Ich verlasse mich auf euch, dass ihr mir das Liebste behütet.« 

Alira bezweifelte, ob Ephidrios sich daran halten würde, doch sie hatte ihrem Vater versprochen zu gehorchen und den Mund zu halten. Sie umarmte ihren Vater zum Abschied, der ihr einen Kuss auf die Stirn drückte, bevor sie sah, wie er das Geschäft verließ. Dann wandte sie sich erneut dem Geschäftspartner ihres Vaters zu, der mit einer ungeduldigen Geste auf den Boden zeigte. Mynos und sie eilten in die angezeigte Richtung, und nur der eilig ausgestreckte Arm des Gesellen hinderte Alira daran, in das dunkle Loch zu stürzen, das sich auf dem Boden auftat. 

»Wie raffiniert! Ein Versteck direkt unter der Ladentheke!« Mynos schien wirklich beeindruckt, doch Alira hatte dafür nicht mal ein müdes Lächeln übrig. Misstrauisch starrte sie in die Dunkelheit, zögerte, die dunklen Stufen hinabzusteigen. 

»Nun zögere nicht, Mädchen! Oder wollt ihr, dass die Garde euch findet?« Der Blick Ephidrios‘ wanderte rastlos durch den Raum, blieb immer wieder an der Tür hängen. »Sie werden kommen, das kann ich euch versprechen. An eurer Stelle würde ich mich schleunigst verstecken.« 

»Er hat recht! Und du hast deinem Vater versprochen, zu gehorchen! Also, Augen zu und durch!« Mynos fasste Alira an der Hand, ging mit ihr um die Öffnung herum, so dass sie die Treppenstufen hinunter gehen konnten. 

»Gebt bloß keinen Laut von euch!«, schärfte ihnen Ephidrios noch ein, bevor er die Falltür zufallen ließ und sich Dunkelheit in dem geheimen Versteck ausbreitete. Durch den Spalt zwischen den Dielenbrettern fiel vereinzelt Licht hinein. Alira drückte die Hand Mynos‘ fester, während sie den Atem anhielt. 

Kapitel 2

Der Duft von Honig und Vanille lag in der Luft. Eine junge Frau von überragender Schönheit lag auf einem Diwan. Sie hatte die Arme über ihren Kopf gestreckt, rekelte sich lasziv und der Länge nach auf dem Polster. Mit den Händen umfasste sie das Kopfende. Sie war nackt, und auf ihrer Haut glitzerten Schweißperlen. Ihr langes Haar floss in goldenen Wellen über ihren Oberkörper und bedeckte ihre linke Brust. Der Blick aus ihren silbernen Augen folgte den Bewegungen eines jungen, nackten Mannes zu ihren Füßen. Seine Hände streichelten ihre Knöchel, fuhren sacht über ihre Haut. 

»Massier mir die Füße!«, befahl sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Erfreue mich!« 

»Ja, meine Königin. Was immer Ihr wünscht.« 

Die Frau schloss die Augen, seufzte genießerisch, während der Schönling ihre Füße liebkoste. Mit kreisenden Bewegungen massierte er ihr die Ferse, den Fußballen. Küsste einzelne Zehen. Fuhr mit den Lippen ihre Fußsohle entlang und gab dabei lustvolle, leise Laute von sich. Mit einem wohligen Seufzer streckte sie sich, öffnete die Augen und wandte den Kopf. Mit einem süffisanten Lächeln sah sie ihren Leibwächter an, der stumm und reglos in einigem Abstand neben dem Diwan stand, und sprach mit reichlich Spott in der Stimme: »Nun? Erregt dich dieser Anblick? Oder weckt er deinen Neid? Deine Eifersucht?« Ihre langen, schlanken Finger strichen über ihre nackte Brust. »Würdest du nicht auch gerne einmal meine Haut berühren?« Sie lachte. Doch ihr Leibwächter blieb stumm, regungslos. Seine Augen waren unverwandt in die Ferne gerichtet, starr und leer. Darauf bedacht, sich von nichts ablenken zu lassen. Der Griff um seine Waffe, eine Stangenwaffe mit blutroter, metallener Spitze, hatte sich verstärkt. Seine Knöchel traten weiß hervor, wie die Königin zufrieden bemerkte. »Es lässt dich also nicht kalt, mein treuer Wächter!« Wieder lachte sie. 

»Meine Königin, Euer Lachen erfüllt mein Herz. Eure Stimme, melodisch und lieblich, erfreut mein ganzes Wesen. Mein Sein wird von Euch beherrscht. Ich liebe Euch, Gebieterin. Ihr, die Ihr heller strahlt als jeder Stern am Horizont. Ihr, die Ihr die Sonne an Glanz und Macht überragt. Ihr, die Ihr das Juwel dieses Königreiches seid.« Der Gespiele himmelte sie geradezu an. Gelangweilt gebot sie ihm mit einer Handbewegung näher zu kommen. Eilig ließ er ihren Fuß los und rutschte auf Knien ans Kopfende des Diwans. Sie streckte eine Hand aus und beobachtete ihn unter gesenkten Augenlidern. Der junge Mann legte sein Kinn auf ihre Handfläche und streichelte mit seinen Fingern das Handgelenk der Königin. In dieser Haltung erinnerte er sie an einen Welpen, der mit allen Mitteln Liebe suchte. 

»Mein letzter Tag als sterbliche Königin«, murmelte sie beinahe träumerisch. »Morgen schon werde ich als unsterbliche Göttin auferstehen und an der Seite meines Gottes herrschen. Die Welt wird mir zu Füßen liegen.« Sanft zog sie ihre Hand zurück und somit das Kinn des jungen Mannes näher zu sich. »Ein letzter Tag auf Erden – sorge dafür, dass er unvergesslich wird!« 

»Wie Ihr es wünscht, meine Königin!« Der Schönling öffnete den Mund. Sie zog sein Kinn noch näher und küsste ihn auf die einladend geöffneten Lippen, wobei sie ihren Leibwächter nicht aus den Augen ließ. Als der Kuss endete und sie sich von den Lippen ihres Gespielen löste, erschien ein schmales Lächeln auf ihrem Gesicht. 

»Für den Anfang nicht schlecht. Doch das kannst du sicher besser, nicht wahr? Oder muss ich es bereuen, dass ich dich in meiner finalen Nacht als Sterbliche zu meinem Geliebten erwählt habe?« 

»Es … Es fällt mir schwer, in Gegenwart Eurer Leibwache zügellos zu sein«, stammelte er. Verlegen sah er hinüber zum regungslosen Krieger. »Er wirkt so bedrohlich, seine Anwesenheit ist so übermächtig.« 

»Lass dich von ihm nicht stören! Er interessiert sich nicht für fleischliche Gelüste. Er ist nichts anderes als eine Statue, die zum Leben erweckt wurde, um das Wertvollste in diesem Königreich zu schützen. Mich.« Wieder hob sie beide Arme über den Kopf und legte die Hände auf die Lehne. »Und nun zeig mir, was du kannst. Zeig mir, dass es kein Fehler war, dich erwählt zu haben.« 

Der Jüngling erhob sich langsam, wobei sein Gemächt mit aufgerichteter Spitze auf die Königin deutete, und kletterte vorsichtig auf den Diwan. Zaghaft, fast schon schüchtern, schwang er sich über die Königin und legte sich nackt, wie er war, auf den ebenfalls nackten Körper der Frau. Seine Lippen näherten sich ihrem Hals, sie spürte, wie sein Atem heiß über ihre Haut strich. Statt zu erschauern, ließ es sie allerdings kalt. Erneut suchten ihre Augen den Blick ihrer Leibgarde. Provozierend lächelnd streichelte sie den Kopf des Schönlings, der seinen Mund liebkosend über ihre Haut wandern ließ, während sie ihre Leibwache beobachtete. Der ausdruckslose Ausdruck auf dem Gesicht des Kriegers ärgerte die Königin. Das ganze Jahr über hatte sie versucht, ihn zu einer Reaktion zu bewegen. Ihn aus seiner Starre zu lösen. Doch ihr Leibwächter hatte sich nicht provozieren lassen. Egal, was sie getan hatte, er war immer reglos in gebührendem Abstand an ihrer Seite gewesen. Kein Lächeln, kein Zucken der Mundwinkel – auch sein Geschlechtsteil hatte sich nicht geregt, wenn sie nackt vor ihm herumgetänzelt war oder sich vor seinen Augen der Wollust hingegeben hatte. Sein Plattenrock war geblieben, wo er sein sollte. Selbst jetzt, nach fast einem Jahr, frustrierte sie seine Gleichgültigkeit noch immer maßlos. Allerdings war sie zu stolz, ihm zu befehlen, sich zu entkleiden, damit sie sich rittlings auf ihn setzen und verführen konnte. Sie würde diese Ignoranz nicht auch noch belohnen. Stattdessen zog sie es vor, ihn ein letztes Mal zu reizen. Ein letztes Mal sollte er Zeuge werden, wie sie einem anderen beilag. Sehen, was ihm entging. Ein letztes Mal beobachten, welch eine Chance er verpasst hatte. Er sollte ein letztes Mal sehen, wie ein anderer in ihr zum Höhepunkt und der Erfüllung höchsten Glückes kam. 

Als ihr auserwählter Geliebter mit seiner Zunge tiefer wanderte, schnurrte die Königin mehr aus Gewohnheit als aus Genuss. Sie verspürte keine übermäßig große Lust, doch sie wollte sich diese Blöße nicht geben. Wollte sich nicht eingestehen, dass ein Jahr voller sexueller Ausschweifungen sie abgestumpft und solche belanglosen Spielchen ohne Emotionen an Bedeutung verloren hatten. Denn wenn sie ehrlich war, so empfand sie nichts. In ihrem Herzen empfand sie eine unbeschreibliche Leere, die nur von der Zuneigung des Blutgottes ausgefüllt werden konnte. Sobald er sie erwählt hatte, würde sie erneut etwas empfinden können. Sie würde vor Liebe übersprudeln, und die Leidenschaft zwischen ihnen würde ein Feuer entfachen, das die Jahrtausende überdauern sollte. Ja, da war sie sich sicher. Mit der morgigen Zeremonie würde alles anders werden. Sie würde endlich wieder fühlen können.

Kapitel 3

Alira zitterte. Die Dunkelheit in dem engen Versteck zerrte an ihren Nerven. Griff nach ihrem Herzen. Sie glaubte, Blicke in den Schatten zu spüren. Augen, die sie beobachteten. Mynos, der ihr Zittern spüren musste, drückte ihre Hand fester und zog sie wie in alten Kindertagen in die Arme. 

»Sie werden uns nicht finden. Die Soldaten werden uns nicht finden! Das verspreche ich dir!« Er hauchte ihr einen Kuss auf die Haare. »Ich lasse nicht zu, dass sie dich mitnehmen!« 

»Sei leise, sonst hören sie uns noch!«, wisperte Alira, drückte sich aber dankbar enger an den jungen Mann. Sie lehnte den Kopf an seine Brust, lauschte seinem Herzschlag und ignorierte das ungute Gefühl, das in ihr aufstieg. Mitnehmen? Wieso mitnehmen? Entschlossen, sich nicht verrückt machen zu lassen, drängte sie jeglichen düsteren Gedanken zur Seite. Stattdessen versuchte sie sich zu entspannen. Sie wusste nicht, wie lange sie schon in der Dunkelheit saßen. Alira hatte angenommen, dass das Versteck des Kaufmanns kein dunkler Verschlag unter dem Dielenboden war und dass sich die Töchter Ephidrios‘ bei ihnen befinden würden, so wie ihr Vater es gesagt hatte. Doch außer ihr und Mynos war niemand hier unten, soweit sie es beurteilen konnte. Alira löste sich langsam von seiner Brust und tastete die Dunkelheit ab. Es dauerte eine Weile, bis sie eine Wand unter ihren Fingern spürte. Vorsichtig schritt sie an ihr entlang, ihre Handflächen glitten über die unebene Beschaffenheit der Wand. Sie versuchte das Ende des Raumes zu finden. Einen Anfang. Irgendeinen Anhaltspunkt, wie groß dieses Versteck war – oder wie winzig. 

»Alira? Alira, wo bist du? Was machst du?« Mynos‘ Worte klangen unnatürlich laut in der Dunkelheit. 

»Sei leise!«, fuhr sie ihn flüsternd, aber mit scharfem Unterton in der Stimme an. »Ich will herauszufinden, wie groß der Raum ist und ob es hier eine Lampe gibt oder ähnliches.« Sie fluchte verhalten, als sie über eine kleine Unebenheit im Boden stolperte. »Irgendetwas stimmt hier nicht. Wo sind die Töchter, von denen Vater sprach? Warum sind wir in einem dunklen Loch? Hat Vater nicht gesagt, dass dieser Ephidrios auf das Verstecken von Töchtern vorbereitet ist? Scheint mir angesichts dieses Lochs nicht so.« 

»Sei nicht immer so misstrauisch. Du siehst Gespenster. Ich bin mir sicher, dass das alles seine Richtigkeit hat. Vertrau mir. Und falls du mir nicht vertrauen willst oder kannst, dann vertrau deinem Vater.« 

Alira versuchte Mynos in der Dunkelheit anhand seiner Stimme auszumachen, um ihm – obwohl er es nicht sehen konnte – die Zunge herauszustrecken. Kindisch, das war ihr bewusst, doch manches Mal konnte sie das einfach nicht unterdrücken. Unbeirrt tastete sie sich weiter durch die Dunkelheit, fand aber zu ihrer Enttäuschung nichts. 

Ein plötzliches Poltern und laute Stimmen ließen Alira zusammenfahren und zurückspringen. 

»Was war das?« In der Dunkelheit suchte sie Mynos‘ Hand. »Was passiert dort oben?« 

»Ich weiß es nicht, Alira. Ich weiß es wirklich nicht.« 

»Im Namen Ihrer Majestät, der Königin Zerysthria von Elyos, seid gegrüßt, Ephidrios, Wunderhändler von Salti’jor.« Zackig schritt die königliche Garde von Elyos in den Laden und stand schlussendlich in Reih und Glied vor dem Händler. Ephidrios schwitzte. Er zog am Kragen seines Gewandes und hoffte, man würde ihm seine Nervosität nicht anmerken. Der Anblick der elyos’schen Garde versetzte ihn Jahr für Jahr in Angst und Schrecken. Zumindest seit seine älteste Tochter das fünfzehnte Lebensjahr überschritten hatte. Bis zu ihrer Heirat hatte er sie versteckt gehalten. Sie vor der Garde abgeschottet. Genauso wie er es seit drei Jahren mit den Zwillingen tat. Zwei Jahre noch – oder bis er geeignete Ehemänner gefunden hatte. Und auch wenn er sie in Sicherheit wusste, versteckt in den Lagern über seinem Laden, so setzte sein Herz einen Moment aus, als er die Soldaten sah. Die Rüstung der elyos’schen Garde glänzte im künstlichen Licht der Lumineszenz-Lampen. Das Wappen, Blutstropfen auf Löwenkopf, prangte auf der Brust eines jeden Soldaten und wirkte auf Ephidrios wie ein Mahnmal. Möglichst unauffällig wischte er sich mit dem Ärmel seiner bunten Tunika über die Stirn. 

»Seid gegrüßt! Womit kann ich dienen? Ich nehme nicht an, dass hart arbeitende Soldaten wie Ihr es seid, Wundertinkturen für einen strahlenden Teint benötigen?« Ephidrios lachte gekünstelt, behielt die Soldaten dabei im Auge. 

»Immer einen flotten Spruch auf den Lippen, nicht wahr? Ihr wisst genau, dass Eure Tinkturen für uns nicht von Bedeutung sind. Zumindest nicht derzeit.« Der Soldat, dessen Abzeichen auf der Brust ihn als Hauptmann auswiesen, rückte seinen Helm zurecht, klappte das Visier nach oben und musterte Ephidrios. »Morgen ist der Tag der elyos’schen Zeremonie zu Ehren des Blutgottes. Die Regentschaft Königin Zerysthrias endet heute Nacht. Wir sind seit geraumer Zeit auf der Suche nach einer geeigneten Kandidatin für die Nachfolge der Königin. Ihr habt doch zwei Töchter im richtigen Alter, wenn ich mich recht entsinne, oder? Sie sollten nun sechzehn sein, oder? Wäret Ihr so freundlich, uns einen Blick auf die beiden werfen zu lassen?« 

»Nun, ich … Sie sind gerade nicht zuhause. Meine Töchter sind bei der Familie meiner Frau auf dem Land. Entfernte Verwandte. Es tut mir leid, Euch enttäuschen zu müssen, aber …« 

»Wem wollt Ihr dieses Märchen auftischen? Wir überwachen seit Wochen die Ein- und Ausreise an den Stadttoren. Eure Töchter stehen nicht auf der Liste jener, die die Stadt verlassen haben! Zudem wisst Ihr genau, dass keine Frau, die in den Wochen der Suche sechzehn wurde oder ist, aus der Stadt reisen darf. So holt sie schon, oder wir durchsuchen Euer Haus und finden sie selbst!« Der Hauptmann trat ganz nah an Ephidrios heran. »Ich warne Euch! Lügt mich nie wieder an!« 

»Ich habe Euch nicht angelogen. Meine Töchter befinden sich nicht in meinem Haus. Sie sind nicht hier.« Ephidrios schluckte. Er musste sich zwingen, nicht nervös zur Zimmerdecke zu sehen oder zur Treppe, die nach oben ins Lager führte. Er durfte sich nicht verraten. Nicht, wenn er seine Töchter vor dem sicheren Tod bewahren wollte. Auch wenn es nicht sicher war, dass seine Töchter infrage kamen, so war er nicht bereit, dieses Risiko einzugehen. 

»Wen willst du hier für dumm verkaufen? Ich weiß genau, dass deine Töchter die Stadt nicht verlassen haben! Und wir werden erst gehen, wenn wir eine Jungfrau im richtigen Alter aus deinem Hause gesehen haben! Wer weiß, vielleicht ist sie ja so hässlich, dass sie niemals als Königin und Braut genügen wird.« Der Hauptmann lachte böse. »Also, worauf wartest du noch, Pfeffersack?« 

Ephidrios‘ Herz schlug ihm bis zum Hals. Wild flatterte es in seiner Brust, drohte aus eben jener zu springen. Angst begann ihn zu beherrschen, sein Denken zu übernehmen. Dieses Mal konnte er nicht verhindern, dass er unwillkürlich zur Falltür spähte, die von einem wertvollen Läufer verdeckt wurde. 

Alira drückte sich enger an Mynos. Die Stimmen waren laut genug gewesen, dass sie alles mit anhören konnten. 

»Er wird uns verraten, nicht wahr? Er wird uns verraten, um seine Töchter zu schützen!« 

»Nein! Er hat deinem Vater versprochen, dich zu verstecken. Und dann müssen sie auch erst einmal an mir vorbei.« Mynos streichelte Aliras Kopf. »Sie werden dich nicht bekommen! Das verspreche ich dir!« 

Die Falltür wurde mit einem Ruck aufgerissen. Mynos stieß Alira noch hinter sich, um sie zu verstecken, doch vergebens. Die Soldaten hatten sie schon gesehen. Alira schrie vor Schmerz auf, als sie am Arm nach oben gezerrt wurde. Ihre Augen suchten den Kaufmann, vorwurfsvoll starrte sie ihn an. Sie glaubte, Bedauern in seinen Augen zu erkennen, eine lautlose Entschuldigung murmelnd. Mynos sprang ihr hinterher, seine Züge vor Wut verzerrt. 

»Lasst sie los! Ihr habt kein Recht, sie so zu behandeln!« 

»Halt’s Maul!« Einer der Soldaten schlug ihm ins Gesicht. Alira wurde vor einen Soldaten geschubst, der wohl der Hauptmann zu sein schien. Sein Blick glitt musternd über Alira, betrachtete augenscheinlich genaustens jeden Zentimeter ihres Körpers. Als er einen Arm ausstreckte, etwas Goldenes mit einem blutroten Stein vor ihr baumelte, wusste sie im ersten Augenblick nicht, was geschah. Dann begann es zu leuchten, und unter ihrer Haut leuchteten die Venen im gleichen Rotton auf. Entsetzt erstarrte sie, ein schrecklicher Verdacht drängte sich ihr auf. Ein Raunen ging durch die Soldaten. 

»Die Auserwählte!« Diese zwei Worte ließen sie erschaudern, Gänsehaut überzog ihren Körper. Als er seinen Plattenhandschuh auszog und ihn beiseite warf, zuckte Alira zusammen. Seine Hand fuhr grob in ihr langes, volles Haar, wickelte Strähnen um die Finger. Er neigte den Kopf, kam ihr so nahe, dass sich ihre Nasen beinahe berührten. Alira riss die Augen weit auf, hielt vor Angst den Atem an, rechnete mit dem Schlimmsten. Zitternd und mit klopfendem Herzen wagte sie nicht, sich zu bewegen, als er schließlich an ihrem Haar roch. 

»Sie riecht nach Feuer. Sonne. Wärme.« Er ließ ihr Haar los und strich über ihre Wange. »Ihre Haut ist weich und zart. Anschmiegsam.« Mit der Hand umfasste er ihr Kinn und starrte ihr in die Augen. »Und ihre Augen haben die Farbe von flüssigem Gold.« Er zwängte einen Finger zwischen ihre Lippen und öffnete gewaltsam ihren Mund. »Ihre Lippen sind einladend und weich. Ihre Zähne weiß und gesund.« Er ließ sie los, und Alira atmete erleichtert aus. Sie vermutete, das Unangenehmste hinter sich zu haben. »Sag, Mädchen, bist du noch unberührt?« 

Ihr Kopf ruckte hoch, sie starrte den Hauptmann fassungslos an. »Was?«, stammelte sie. 

»Bist du noch Jungfrau?« 

»Das geht Euch gar nichts an!« Alira glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Was erlaubte sich dieser Flegel? Hauptmann hin oder her, es gehörte sich nicht für einen Mann, solch eine Frage zu stellen. 

»Nun, wenn du mir diese Frage nicht beantworten willst, werden wir einen Weg finden, uns eine Antwort zu beschaffen.« Er winkte einem seiner Männer. »Sucht mir eine Hebamme oder eine andere ehrbare, verheiratete Frau. Sie soll dieses Mädchen untersuchen.« 

»Das könnt Ihr doch nicht machen! Was fällt Euch ein?«, protestierte Mynos und erhielt erneut einen Schlag ins Gesicht. 

»Dieses Mädchen ist ideal. Sie ist wie geschaffen, die nächste Königin von Elyos zu werden. Aber vielleicht wird die amtierende Königin ja von unserem Gott erwählt. In diesem Fall darf sie wieder nach Hause. Andernfalls wird sie zur Königin gekrönt.« Der Hauptmann trat erneut dicht an Alira heran. »Das ist eine große Ehre, Mädchen. Ist dir das eigentlich bewusst?« 

»Wie kann es eine Ehre sein, wo sich die Töchter der Bürger vor Euch versteckt halten?«, nuschelte Mynos, dem Blut aus der Nase lief. 

»Halt’s Maul!«, wurde er erneut angeherrscht und konnte sich im letzten Moment ducken, um einem erneuten Schlag auszuweichen. 

»Ihr könnt sie doch nicht einfach so … Das geht nicht! Sie lebt nicht einmal hier! Sie ist nicht aus Elyos! Ihr habt kein Recht!« 

»Wir haben jedes Recht! Und sie ist nun einmal wie geschaffen für unseren Gott.« Der Hauptmann wandte sich an Ephidrios. »Bring ihr einen bequemen Sessel. Zu trinken und zu essen. Es soll ihr an nichts mangeln, bis geklärt ist, ob sie noch unberührt ist. Ist sie es, so nehmen wir sie mit in den Palast. Sie wird die neue Königin, sollte Zerysthria nicht erwählt werden.« 

»Ja, Hauptmann.« Ephidrios zitterte unaufhörlich, bevor er davoneilte, um das Gewünschte zu holen. 

Alira hatte das Gefühl, schon stundenlang in diesem Sessel zu sitzen. Der Hauptmann, der bedrohlich neben ihr stand, verhinderte jede Flucht, Mynos lehnte zusammengesunken an der Ladentheke und starrte aus zugeschwollenen Augen zu ihr herüber. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und sie hoffte, ihr Vater würde kommen und den Albtraum beenden. 

Als die Ladentür geöffnet wurde und ein melodisches Klingeln einen neuen Kunden ankündigte, reckte Alira den Kopf und versuchte, einen Blick auf den Ankömmling zu erhaschen. Die Hoffnung, es würde sich um ihren Vater handeln, zerplatzte, als sie eine Frau in traditioneller Tracht entdeckte, die sich als Priesterin auswies. 

»Hauptmann, Ihr benötigt meine Dienste, wie mir auf sehr rüde Weise mitgeteilt wurde, stimmt das?« Die Priesterin stemmte die Hände in die Hüften und schien nicht beeindruckt von den grimmigen Mienen der Soldaten – oder von diesen überhaupt. »Das ist also das diesjährige Opfer? Sie sieht nicht wie die Mädchen aus der Stadt aus mit ihrer sonnengeküssten Haut und diesem kräftigen Rot. Ihr habt doch wohl nicht etwa eine Fremde ausgewählt?« 

»Nein, natürlich nicht, verehrte Priesterin. Sie ist eine Ortsansässige. Sie behauptet nur, nicht aus der Stadt zu sein«, log der Hauptmann, und Alira musste neidvoll erkennen, dass er dabei nicht einmal rot wurde. 

»Das stimmt nicht! Ich komme nicht aus Salti’jor! Ich …« Alira spürte, wie ihr die Tränen kamen. Das alles war so ungerecht, und es war, als könnte sie nichts dagegen tun. Die knochige Hand der Priesterin, die auf den ersten Blick nicht so alt gewirkt hatte, wie sie offensichtlich war, berührte ihre Wange, strich ihr eine Strähne hinter das Ohr und lächelte sie schmallippig an. 

»Du brauchst keine Angst vor mir haben. Komm«, forderte die Priesterin Alira auf, ihr zu folgen. Alira zögerte, hin- und hergerissen zwischen dem Drang, zu flüchten und der Scharade ein Ende zu setzen und der Priesterin hinterherzulaufen und das Ganze endlich hinter sich zu bringen. Ein Räuspern erklang. Offensichtlich verlor der Hauptmann die Geduld und hatte beschlossen, ihr die Entscheidung abzunehmen. Zitternd vor Angst erhob sie sich und folgte der Priesterin widerwillig die Stufen hinauf ins Lager, wo sich die Töchter versteckten, wenn sie sich nicht irrte. Vielleicht bemerkten die Soldaten, dass eine der beiden würdiger war und sie konnte gehen. Hoffnung flammte in ihr auf. Ein letztes Mal sah sie über ihre Schulter, bevor sie um die Ecke der Wendeltreppe bog und sich ihrem Schicksal fügte, vorerst. 

 »Zier dich nicht, Mädchen.« Die Priesterin klatschte in die Hände und deutete Alira, sich zu ihr zu gesellen. »Zieh dein Kleid aus. Außer uns ist niemand in diesem Raum. Ich muss dich untersuchen, ob es dir gefällt oder nicht. Du bist nun einmal auserwählt worden.« 

»Ich … bin nicht von hier! Ich weiß nicht einmal, wofür ich auserwählt wurde! Ich will das alles nicht!« Alira konnte nicht verhindern, dass die Tränen über ihre Wangen strömten. »Bitte! Lasst mich gehen!« 

»Das kann ich nicht, so leid es mir tut. Du bist auserwählt, die nächste Königin zu werden. Ein ganzes Jahr lang kannst du tun und lassen, was immer du möchtest. Allerdings nur, wenn sich herausstellt, dass du Jungfrau bist. Ich bete für dich, dass du es nicht bist, das darfst du mir glauben.« Die Priesterin schien es ernst zu meinen. »Denn dann gibt es nichts, was sie daran hindern wird, dich mitzunehmen. Und es wird ihnen auch egal sein, ob du von hier bist oder nicht.« Die Priesterin schenkte ihr einen mitleidigen Blick. Alira schluckte. Zum ersten Mal begriff sie, warum ihr Vater sich so vehement gesträubt hatte, sie mitzunehmen. Stumm bat sie ihn um Verzeihung, hoffte, ihn irgendwann wiederzusehen und ihm sagen zu können, dass es ihr leid tat und sie ihn liebte. Die Tränen rannen stumm über ihre Wangen, während sie ihr Kleid ablegte und nackt vor der Priesterin stand. Resigniert, vor Angst und Kälte zitternd wartete sie auf weitere Anweisungen. Schamesröte stieg ihr ins Gesicht. 

»Es wird dir jetzt nicht gefallen, aber du musst die Beine breit machen. Ich muss dich untersuchen.« Die Priesterin zog einen blütenweißen Handschuh aus einer Rocktasche und ging vor Alira auf die Knie. Alira wimmerte, als sie die Finger der Frau an ihrer Scham spürte. Zuckte, als die Priesterin durch ihre dunkelroten Haare fuhr und sich unbarmherzig zwischen ihre Schamlippen drängte. Vor Schmerz keuchte sie auf, als sich die Finger in ihrem Inneren vorwärts tasteten. 

»Aufhören! Bitte!«, schluchzte Alira und weinte nun hemmungslos. Sie wünschte sich, der Boden unter ihren Füßen würde sich auftun und sie verschlingen. 

»Keine Angst. Entspann dich. Gleich ist es vorbei.« Die Worte der Priesterin trugen nicht wirklich zu Aliras Beruhigung bei. Mit geschlossenen Augen betete Alira stumm zu allen ihr bekannten Göttern und bat um Kraft und Beistand. »Du bist ja wirklich noch unberührt!« 

Vor Schmerzen stöhnend ließ Alira den Kopf hängen, stöhnte erleichtert auf, als die Finger aus ihrem Inneren verschwanden. Rasch bedeckte sie ihre Blöße. »Darf … Darf ich mich wieder ankleiden?« Sie wusste, dass ihre Frage zaghaft klang, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Worte gepresst und dünn über die Lippen kamen. Zu viel war heute geschehen. Zu viel Demütigendes hatte sie ertragen müssen. 

»Natürlich, mein Kind.« Die Priesterin trat zurück, noch immer konnte Alira Mitleid in ihren Augen erkennen. Rasch schlüpfte Alira erneut in ihr Kleid, stumm rannen Tränen über ihre Wangen, während sie die Knöpfe schloss. »Es wäre dein Vorteil gewesen, schon gepflückt worden zu sein. Ja, es ist ein Makel in der Gesellschaft, aber es wäre deine einzige Rettung gewesen.« Die Priesterin strich ihr sanft über die Wange und wischte einige Tränen weg. »Und nun komm. Es wird Zeit für dich. Ich darf dich nicht allein lassen, auch wenn es dir unmöglich wäre zu fliehen. Überall um das Kontor stehen Wachen. Du wärst schneller eingefangen, als du hier einen Ausweg gefunden hättest.« 

Widerstandslos ließ sich Alira zur Treppe führen. Eine Bewegung zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, wandte Alira den Kopf und sah sich um. Ein junges Mädchen, hübsch, aber unauffällig, starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Das muss eine der Töchter dieses verlogenen Kaufmannes sein, schoss es ihr durch den Kopf. Kurz war sie versucht, das Mädchen den Soldaten zu melden, um sich so vielleicht selbst retten zu können, aber die Panik, die dem Mädchen ins Gesicht geschrieben stand, erweichte ihr Herz. Alira nickte ihr leicht zu, bevor sie der Priesterin die Stufen hinabfolgte.

Kapitel 4

Zerysthria, die atemberaubend schöne Königin, fläzte sich auf dem Thron, lässig die Beine über die Lehne gelegt. Ihr junger Liebhaber kniete nackt neben dem Thron und massierte ihr die Füße. Die erdbeerblonde Schönheit spielte mit einer Haarsträhne und bewunderte das Spiel der Sonnenstrahlen und die leuchtenden Reflexe. 

»Wie flüssiges Gold, nicht wahr, Saro?«, wandte sie sich an ihren Leibwächter, der wie üblich wie eine Statue auf seinem Posten stand und starr geradeaus blickte. 

»Was immer Ihr sagt, meine Königin.« Sogar seine Stimme war starr, wirkte leblos und kalt. Verärgert runzelte die Königin die Stirn. Es wollte ihr einfach nicht gelingen, ihren Leibwächter aus der Reserve zu locken. 

»Schau mich an!«, herrschte sie ihn an. Als er langsam den Kopf neigte und sie ansah, umfasste sie mit einer Hand ihre Brust und zwirbelte die Brustwarze mit dem goldenen Schmuck daran. »Sag mir, gefällt dir das nicht? Gefällt dir nicht, was du siehst? Willst du nicht lieber selbst Hand an meine Brust legen? Mit meiner Brustwarze spielen?« Ihre andere Hand wanderte streichelnd über ihren Bauch hinunter zu ihrer Scham. »Würdest du das nicht lieber selber machen? Sollte das nicht deine Hand sein?« Sie lachte. Es klang heiser und schwer vor Lust. Auch wenn sie in ihrem Herzen eine Leere verspürte, so konnte sie sich stets darauf verlassen, dass sie sich persönlich mehr Lust bereitete als all ihre Liebhaber zusammen. Mit einem Seufzer teilte sie ihre Schamlippen und ließ ihre Finger flink und gekonnt an ihrer empfindlichen Mitte spielen. Dabei ließ sie ihren Leibwächter nicht aus den Augen. »Nun? Möchtest du deiner Königin nicht antworten?« 

»Alles, was Ihr Euch wünscht, meine Königin«, antwortete Saro. Er verzog keine Miene, während er ihr ausdruckslos ins Gesicht sah. Ein wütendes Knurren entschlüpfte Zerysthria und sorgte dafür, dass der nackte Mann zu ihren Füßen aufsah. 

»Meine Königin? Was verärgert Euch? Doch nicht etwa dieser Rohling? Warum gebt Ihr Euch überhaupt mit ihm ab? Er ist Eurer nicht würdig!« 

»Natürlich ist er das nicht«, gurrte die Schöne kühl. »Aber ein Mädchen wird ja wohl noch spielen dürfen!« Sie lachte erneut. Dieses Mal schlich sich etwas Falsches, etwas Giftiges hinein. »Und jetzt mach weiter. Oder möchtest du deine zukünftige Göttin verärgern?« 

»Natürlich nicht, meine Königin.« Der junge Mann himmelte sie an, senkte den Kopf und liebkoste ihre Füße mit seinen Lippen, während er sie gleichzeitig massierte. 

»Und du«, wandte sie sich erneut an Saro, »komm her. Falls du glaubst, dass ich mich weiterhin von deiner Kälte beeindrucken lasse, hast du dich getäuscht. Heute hast du dich mir ein letztes Mal versucht zu entziehen.« Sie legte den Kopf in den Nacken und lächelte böse. Als er vor ihr stehen blieb und nach wie vor seine Stangenwaffe umklammerte, stieß sie wütend den Atem aus. »Ich sagte, komm her! Leg deine Waffe nieder! Niemand wird es wagen, mich in diesen Stunden anzugreifen. Niemand wird mich an diesem bedeutenden Tag töten wollen. Sie alle wissen, dass ich morgen ihre Göttin sein werde.« Wieder lachte sie. Dann streckte sie die Hand nach Saro aus und zog ihn zu sich. Tief sah sie ihm in die Augen. »Komm! Nimm dir, was du begehrst!« Als er nicht reagierte, umfasste sie sein Kinn und zog seinen Kopf an ihre Brust. Mit einem Ton, der keine Widerrede duldete, befahl sie ihm: »Küss sie! Liebkose meine Brust!« 

Es dauerte einen Augenblick lang, bevor Saro gehorchte. Dann spürte sie seine warmen Lippen an ihrer Brust, seine Zunge an ihrer Brustwarze. Mit sanfter Gewalt drückte sie sein Gesicht enger an ihre Brust. »Beiß mich! Zeig mir, welches Tier in dir schlummert!« Ein wohliger Seufzer entfuhr ihr, als seine Zähne den Ansatz ihrer Brustwarze umfassten, sein heißer Atem über ihre empfindliche Haut strich. Ein Feuer entbrannte in ihrem Unterleib. Ein angenehmes Ziehen ließ es sich ausbreiten. Ihr Atem ging schneller. Ihre Finger wurden immer flinker, wilder. Keuchend rieb und zwirbelte sie ihre Knospe der Lust, fühlte, wie sich ein Höhepunkt anbahnte, der sie fortzureißen drohte. Lange würde sie sich nicht mehr beherrschen können. 

»Meine Königin!« Klagend drangen diese Worte zu ihr durch. Fauchend riss sie die Augen auf und wandte den Kopf. Der nackte, junge Mann zu ihren Füßen starrte vorwurfsvoll zu ihr hinauf. 

»Wie kannst du es wagen, mich zu stören? Uns zu unterbrechen?«, zischte sie. Der nahende Höhepunkt verpuffte. Enttäuscht und vor Wut darüber rasend funkelte sie ihn an. 

»Wieso darf er Euch so anfassen? Er ist Eurer nicht würdig! Lasst mich Euch Lust schenken! Lasst mich Euch erfreuen! Er taugt nicht dazu! Er ist ein Krieger! Ein grobschlächtiger Krieger ohne das Feingefühl, das Eure zarte Erscheinung bedarf!« 

»SCHWEIG!« Zerysthria zwang Saro mit einer Hand fortzufahren, und musste sich konzentrieren, um ihren jammernden Liebhaber in die Schranken zu weisen. »Du hast Glück, ich lasse dir die Wahl: Du kannst gehen und dich entfernen, bist dann aber nie wieder in diesen Räumen willkommen oder du erfreust mich weiterhin ohne einen Kommentar mit deinen Berührungen.« Zerysthria wusste zwar, dass durchaus eine Möglichkeit bestand, dass sie die Prüfung nicht überstehen würde, doch sie erlaubte sich nicht, diesen kleinen Funken Zweifel zu zeigen, besonders nicht Saro gegenüber. 

»Meine Königin, ich wollte Euch nicht verärgern. Bitte lasst es mich wieder gutmachen!« Er widmete sich erneut ihren Füßen, warf ihr dabei Beifall heischende Blicke zu. Angewidert von seiner Unterwürfigkeit nickte sie ihm huldvoll zu, bevor sie alle Hemmungen fallen ließ und sich auf Saros Berührungen einließ. 

»Ich will mehr! Lass mich deine Zunge spüren!« Sie griff nach Saros Hand und legte sie auf ihren Unterleib. »Zeig mir, was deine Finger können! Zeig mir, dass sie mehr können, als Waffen zu schleifen und Feinde abzuschlachten!« 

Saros Finger wanderten über ihren Venushügel, hinab zu ihrer brennenden Mitte und legten sich einen kurzen Moment über ihre eigenen Finger, die an ihrer Lustknospe spielten. Zerysthria machte Saros Fingern Platz und streichelte seine Arme. Die raue, narbige Haut hatte etwas seltsam Faszinierendes. Flink wanderte ihre Hand über seinen Brustharnisch, hinauf zu den Schnallen an den Schultern. Geschickt, überraschend einfach löste sie diese, und die Brustplatte fiel scheppernd zu Boden, streifte dabei allerdings ihre Hüfte. Mit einem zufriedenen Schnurren glitt ihre Hand über seine Brust, legte sich auf eine seiner Brustwarzen. Für einen Moment verharrte sie so, lauschte, ob auch er vor Lust angestrengt atmete. 

Nichts. 

Sein Atem ging ruhig und beherrscht. 

Verwirrt und ein klein wenig frustriert über die ausbleibende, gewünschte Reaktion wanderte ihre Hand hinab zu seinem Bauch und glitt schließlich unter seinen Plattenrock. Währenddessen trieben sie seine Finger in den Wahnsinn. Seine Zunge auf ihrer Haut, seine Zähne an ihrer empfindlichen Brustwarze – Zerysthria spürte, wie der anrollende Orgasmus ihr die Sinne zu rauben drohte. Schnell, bevor sie nicht mehr in der Lage dazu war, griff sie nach seinem Glied. Fauchend packte sie fest zu. 

Es war schlaff. Hing kraftlos an ihm herunter. 

Rasend vor Wut und Enttäuschung riss sie daran, zwang ihn vor Schmerz aufzuhören und aufzusehen. 

»Wie kannst du es wagen?«, kreischte sie. »Wie kannst du es wagen, dich dermaßen zu beherrschen? Wie kannst du es wagen, mich so zu berühren und nichts dabei zu empfinden? Wie kannst du es wagen, mich so bloßzustellen? Mich so zu beleidigen? Findest du mich etwa nicht hübsch? Nicht attraktiv genug? Gefalle ich dir nicht?« Sie stieß ihn von sich, Zorn verdrängte jedes andere Gefühl. »Zieh deine Rüstung wieder an und nimm deinen rechtmäßigen Platz ein! Und wage es nicht, mir näher zu kommen als unbedingt notwendig!« Das selbstgefällige Grinsen ihres Liebhabers entging ihr nicht. In ihrer Wut entzog sie ihm so abrupt ihren Fuß, dass er rückwärts stolperte. »Du! Komm her! Nimm seinen Platz ein und beweise mir, dass du der bessere Mann bist!«

Kapitel 5

Alira zog den Kopf ein. Kaum hatte die Priesterin dem Hauptmann ihre Diagnose mitgeteilt, war sie von den Soldaten ergriffen und nach draußen gebracht worden. Mynos, der protestiert hatte und ihnen gefolgt war, um zu verhindern, dass sie Alira mitnahmen, lag nun bewusstlos auf dem Boden. Der Hauptmann hatte nicht gezögert und ihn niedergeschlagen. Bei dem elenden Anblick ihres alten Freundes aus Kindertagen waren ihr erneut die Tränen gekommen, doch mit genügend Willenskraft war es ihr gelungen, diese hinunterzuschlucken. Sie würde sich keine Schwäche in Gegenwart der Soldaten erlauben. Sie würde stark bleiben. Wie es ihre Mutter gewesen wäre. 

»Du brauchst keine Angst haben, Mädchen«, meinte der Hauptmann, der plötzlich neben ihr stand. »Du wirst Königin sein! Du wirst herrschen. Dir wird es an nichts mangeln. Du wirst von allen geliebt und verehrt werden. Und wenn die Zeit gekommen ist, wird sich zeigen, ob unser Gott deinen Tod wünscht.« 

Und das soll mir jetzt die Angst nehmen?, dachte Alira spöttisch. Sie ignorierte die dargebotene Hand und kletterte ohne Hilfe ins Innere der Kutsche, die im künstlichen Licht der Stadt glänzte. Die goldene Beschaffenheit des Äußeren, besetzt mit Edelsteinen in allen erdenklichen Rottönen, die an Blut erinnerten, faszinierten Alira. Nur die schwarzen Gitterstäbe vor den Fenstern ernüchterten sie.  

»Solche Kostbarkeiten wie diese Kutsche gibt es im Palast reichlich. Du wirst ihrer bald überdrüssig, das kannst du mir glauben.« Etwas an dem Hauptmann irritierte Alira. Wie viele junge Frauen mochte er wohl mithilfe dieses Amuletts erwählt und zu einem Schicksal verdammt haben, das sie sich nicht gewünscht hatten? 

»Darf ich … Darf ich Euch eine Frage stellen?« Alira ärgerte sich, dass ihre Stimme immer noch zaghaft klang. 

»Natürlich. Jedoch sei gewarnt, ich kann dich nicht gehen lassen, solltest du darum bitten.« Alira konnte das Lächeln des Hauptmanns nicht erwidern. 

»Warum sucht Ihr diese Mädchen aus? Was soll das? Ihr wisst genau, dass ich nicht von hier bin! Ich habe ein Recht zu erfahren, warum Ihr mich meiner Freiheit beraubt habt!« Ein Anflug von Triumph und Stolz kam in ihr auf. Selbstsicher und fest hatte sie geklungen. Kein Zögern war in ihrer Stimme gewesen. »Und wo sind die anderen Mädchen? Ich kann ja unmöglich die Einzige sein, die infrage kommt!« 

»Du bist die Einzige. Wir haben ein Amulett von unserem Gott bekommen – jeder von uns hat eines –, und sobald wir die Richtige gefunden haben, glüht es, und das betreffende Mädchen erscheint in unseren Augen in goldenem Glanz. Bei dir war das der Fall, und somit wussten wir, du bist die Eine. Du bist dazu bestimmt, unsere nächste Königin zu sein.« Der Hauptmann lehnte sich zurück. »Auf Elyos, unserer Insel, haben wir Tempel, in die alle Mädchen der Insel geschickt werden und dort eine Ausbildung in Manieren, Kultur, Sprachen und Wissenschaft erhalten. Sie werden darauf vorbereitet, die ideale Königin zu sein. Kultiviert, wohlerzogen, belehrt. Doch manchmal, falls die Suche in den Tempeln erfolglos bleibt, müssen wir auf die Stadt außerhalb der Insel ausweichen. Und so sind wir auf dich gestoßen.« Der Hauptmann schwieg einen Moment, schien die richtigen Worte zu suchen. »Als der goldene Glanz um dich erstrahlte, wusste ich Bescheid. Du bist die Auserwählte, auch wenn du nicht dafür unterrichtet wurdest. Die Berührung unseres Gottes war eindeutig. Für ein ganzes Jahr lenkst du die Geschicke dieser Insel als Sterbliche und wenn dein Blut das göttliche Geschenk der Ewigkeit aufnehmen kann, für immer.« 

»Aber warum? Reicht ihm nicht die erste Auserwählte, die erste Königin? Wieso sucht er immer wieder neue Frauen? Und wieso immer nur für ein Jahr?« Alira war verwirrt. Wie vielen Mädchen würde sie auf den Thron von Elyos nachfolgen? Und was war mit jenen geschehen, die zuvor regiert hatten? 

»Die erste Auserwählte war nicht würdig, sie war von unserem Gott, der damals noch unter uns wandelte, persönlich auserwählt. Sie war seine erste Liebe, könnte man sagen. Doch die Macht verdarb sie, und so reinigte das Feuer sie nicht, sondern zerstörte ihre Seele und ihre sterbliche Hülle. Den Aufzeichnungen zufolge war sie anfangs gütig und warmherzig, doch mit der Zeit nahmen Gier und Faulheit Besitz von ihr, und ihre Herrschaft war gezeichnet von Verschwendung und Wollust. Daher beschloss unser Gott, sie mit seinem liebsten Element zu reinigen, mit Flammen, die ihre Seele erlösen sollten.« 

»Das … Feuer?«, rief Alira entsetzt. War damit das gemeint, was sie glaubte? 

»Ja. Das Feuer. Nach Ablauf des Jahres wird die Königin bei einer Zeremonie dem Gott geopfert. Sie wird auf einem Scheiterhaufen verbrannt, der am Morgen der Zeremonie von unserem Gott auf dem geweihten Platz des ersten Feuers errichtet wird. Ist sie die Richtige, so wird ihre vergängliche Hülle zu einer immerwährenden geformt, und das Feuer, das auf dem Holz des Baumes des Ewigen Lebens und der Reinheit brennt, haucht ihr Unsterblichkeit ein. Die Mutter unseres Gottes selbst hat diesen Baum im königlichen Palastgarten gepflanzt. Du wirst sehen, solltest du den göttlichen Funken in dir tragen, den die erste Liebe in sich trug, wird dir die größte Ehre zuteil. Wenn nicht, wirst du immerhin ein Jahr in Gold gekleidet verbracht haben.« 

»Das ist … Das ist grausam! Das ist barbarisch! Wie viele Mädchen haben seit der ersten Königin den Tod gefunden? Wie viele Mädchen habt Ihr in den Tod geschickt?« Alira schüttelte den Kopf. »Monster!« 

»Wären sie reinen Wesens gewesen, hätten sie nicht sterben müssen! Sie haben es sich persönlich zuzuschreiben, dass der Tod auf sie gewartet hat und nicht das ewige Leben einer Göttin!« Der Hauptmann rieb sich die Stirn. Es hatte den Anschein, als wäre das nicht das erste Mal, dass er sich diesem Vorwurf stellen musste. »Unser Gott wird wieder unter uns wandeln, sobald wir seine wahre Königin gefunden haben. Sie und er werden als unsterbliches Gottkönigspaar regieren und unser Volk in eine strahlende Zukunft führen. Deswegen opfern die Familien auf Elyos bereitwillig ihre Töchter, um das Glück unseres Landes zu sichern. Das Glück aller steht über dem Glück des eigenen Kindes, und nun ist es an dir, dich als göttlich zu erweisen und unsere Hoffnungen zu erfüllen.« 

»Bloß kein Druck!«, murmelte Alira. Sie sank in die Polster der Kutsche, musste das Gehörte erst einmal verdauen. »Aber ich bin doch gar nicht von hier! Ihr dürft mich nicht einfach mitnehmen! Ich gehöre nicht zu Eurem Volk! Was, wenn Euer Gott darüber erzürnt ist? Was, wenn ihn das verärgert und ich Euch alle zum Untergang verdamme?« 

»Unwichtiges Detail. Das Zeichen war eindeutig.« Der Tonfall des Hauptmanns duldete keinen Widerspruch. »Wir werden in wenigen Momenten da sein. Du wirst in die Gemächer der Königin geführt und darfst den letzten Abend mit Zerysthria zusammen sein, bevor sie morgen ins Feuer geht. Sie wird dich in alles einweisen und dir alles zeigen. Möglicherweise.«