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Felicitas Gruber

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Beschreibung

In der Giesinger Privatbrauerei Rößlbier führt Uschi Roßhaupter seit Jahrzehnten ein strenges Regiment. Und ihr Sohn Tobias macht immer noch brav, was die Mama sagt. Eigentlich – denn die Heirat mit Sekretärin Nathalie war nicht vorgesehen. Wen wundert’s, dass die junge Dame kurz vor der Trauung einer bedauerlichen Vergiftung zum Opfer fiel? Dr. Sofie Rosenhuth jedenfalls nicht. Sie hat die Roßhaupter Uschi gleich im Verdacht, doch ihr Kommissar Joe weiß sie zu bremsen. Also wird ordentlich ermittelt in der Münchner Schickeria. Ärgerlich nur, dass die grimmige Uschi kurz darauf ertrunken in einem ihrer Braukessel liegt …

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Seitenzahl: 365

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Der Roman

Kurz vor Fasching wird es noch mal zapfig kalt im schönen München. Der eisige Februar lässt jedem das Blut in den Adern gefrieren. Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die Stimmung zwischen Dr. Sofie Rosenhuth und ihrem Joe zu kippen droht. Ihr Ex möchte wieder mit ihr zusammenziehen, aber ist es nicht viel zu früh, nachdem sie die Beziehung schon einmal so gründlich in den Graben gefahren haben? Und überhaupt – Wohnungssuche in München? Im gentrifizierten Giesing fast aussichtslos.

Mitten im Gefühlschaos wird die Leiche einer jungen Frau gefunden: Nathalie Grimm, Sekretärin in der Giesinger Privatbrauerei Rößlbier, die sehr erfolgreich von der Seniorchefin Uschi Roßhaupter geführt wird. Stets ganz am Puls der Zeit hat sie vor Kurzem eine Fusion mit der Brauerei Heusinger zum Abschluss gebracht, um größere Marktanteile zu erzielen.

Doch Sofies und Joes Ermittlungen ergeben, dass die anstehende Hochzeit von Nathalie und Juniorchef Tobias von so manchem in der Brauerei nicht gutgeheißen wurde. Aber musste Nathalie, die zudem schwanger war und an einer Blutkrankheit litt, deshalb eines gewaltsamen Todes sterben?

Sofie und Chefin Elke Falk stehen nach der Obduktion der Leiche vor einem Rätsel, doch Sofies unbestechlicher Nasenflügel beginnt auf einmal wie verrückt zu jucken …

Die Autorinnen

Felicitas Gruber ist das Pseudonym der Autorinnen Brigitte Riebe und Gesine Hirsch. Brigitte Riebe ist promovierte Historikerin und begeistert seit vielen Jahren mit ihren historischen Romanen ihre zahlreichen Leserinnen und Leser. Gesine Hirsch ist Kunsthistorikerin und entwickelte die erfolgreiche Serie Dahoam is Dahoam für das Bayerische Fernsehen mit. Beide Autorinnen leben in München, wo auch ihre Krimireihe mit der sympathischen Rechtsmedizinerin Dr. Sofie Rosenhuth spielt.

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Copyright © 2017 by Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Redaktion: Robert Fischer Umschlaggestaltung: t. mutzenbach design, München Umschlagmotive: © Borisb17; flowerstock Nadiia Ierokhina; furtseff/Shutterstock Satz: Leingärtner, Nabburg Alle Rechte vorbehalten ISBN 978-3-641-19779-7V003
Von Felicitas Gruber sind im Diana Verlag erschienen:Die Kalte Sofie (Band 1)Vogelfrei (Band 2)Blaues Blut (Band 3)Zapfig (Band 4)
www.diana-verlag.de Besuchen Sie uns auch auf www.herzenszeilen.de

Wer sich nicht in Gefahr begibt,

kommt darin um.

HERBERT ACHTERNBUSCH

Für Moni, die Giesingerin

Prolog

Kurz nach Mitternacht hat sie auch das hinter sich. Zwar ist sie jetzt hundemüde, und die Füße brennen, als schleppe sie bereits zwanzig Kilo mehr mit sich herum, aber ihr Junggesellinnenabschied war einfach grandios. Alle haben sie ihren Teil dazu beigetragen: Ricci, mit der es sich so herrlich ablästern lässt, Katja, die gern einen über den Durst trinkt, Simone, die die Kamera mitlaufen ließ, und Manu, von der sie sich alle die Haare stylen lassen. Quer durch die Stadt sind sie gezogen, haben getrunken, gegessen, wildfremde Kerle angeflirtet und sich dabei halb totgelacht. Auch Annette war mit dabei. Die war sogar die Ausgelassenste, obwohl sie selbst einmal mit Tobias verbandelt war.

Bei dem Gedanken, dass sie ihm schon in drei Tagen das Jawort geben wird, stockt Nathalie der Atem. Er, der Juniorchef vom Giesinger Rössl-Bräu, und sie, die Kleine aus der Buchhaltung – es ist fast wie im Film, nur viel, viel aufregender.

Alle hätte er haben können. Alle! Die beeindruckende Liste seiner weiblichen Eroberungen liest sich wie ein Auszug aus dem Who is who der Münchner Schickeria. Und für wen hat er sich schließlich entschieden? Für sie!

Nachdem Nathalie herausgefunden hatte, dass er auf Schneewittchen steht, war es eigentlich ganz einfach.

Ihre Haare sind nun viel dunkler, die Lippen sehr rot geschminkt, und ihr Teint schimmert hell wie feines Porzellan.

Was sie mit ihren Brüsten gemacht hat, um auch im Dirndl eine gute Figur zu machen, ist ihr kleines Geheimnis. Und sie weiß natürlich, dass gutes Aussehen allein noch nicht ausreicht, um ganz nach oben zu kommen. Deshalb hat sie ihn erst mal ordentlich wuschig gemacht, dann hingehalten, wieder angelockt und weggestoßen – so lange, bis er endlich mürbe war und die Frage aller Fragen stellte.

Wie sehr die anderen Mädels sie um ihn beneiden!

Genau das sollen sie auch gefälligst tun!

Ihr Blick fällt auf das Brautkleid, das am Schlafzimmerschrank hängt und ein kleines Vermögen gekostet hat. Bezahlt hat es ihre Schwiegermutter in spe, zähneknirschend, denn sie hat ja keine Eltern mehr, die das übernehmen könnten. Geschweige denn sie selbst: Von einem solchen Kleid wagte sie bislang höchstens zu träumen.

Am liebsten hätte Nathalie sich das Kleid jetzt gleich noch mal angezogen, um die kühle Seide und das zarte Gespinst der Brüsseler Spitzen auf der Haut zu spüren. Aber das lässt sie lieber, um den edlen Stoff zu schonen.

Sie hat darauf geachtet, dass das Kleid lange Ärmel hat, damit niemand ihre Blutergüsse sieht. Tobias soll eine makellose Braut bekommen, der er dann ganz zuletzt das alte Perlencollier mit der Diamantschließe anlegen kann, das alle Hochzeiterinnen der Familie Roßhaupter seit jeher getragen haben.

Sie muss kichern, als sie daran denkt, wie sehr er von ihrem Geschenk überrascht sein wird. Nicht einmal seine Mutter ahnt etwas davon. Nur Manus Blick ist heute einige Male prüfend über ihren Bauch geglitten. Vielleicht, weil sie selbst schon zwei Kinder hat?

Noch sieht man nichts, und das wird zum Glück auch eine ganze Weile so bleiben. Nur ihrer Kollegin, mit der sie sich das Büro teilt, ist dummerweise aufgefallen, dass ihr mehrmals schlecht geworden ist. Als sie kalkweiß von der Toilette kam, sprach ihre Kollegin sie direkt darauf an. Aber die wird dichthalten, das hat sie Nathalie hoch und heilig versprochen. Was hätte sie auch davon, es in die Welt hinauszuposaunen? Über kurz oder lang werden es ohnehin alle merken. Aber dann ist sie bereits FrauNathalie Roßhaupter. Sie kann es kaum erwarten, endlich diesen Namen zu führen.

Mit einiger Mühe schält sie sich aus den Skinnyjeans und schlüpft mit einem erleichterten Seufzer in die alte Jogginghose. Dann zieht sie sich noch dicke Wollsocken an.

Sobald sie mit Tobias unter einem Dach leben wird, kann sie natürlich nicht mehr so herumrennen. Aber jetzt sieht sie ja keiner.

Nathalie beugt sich stöhnend nach vorn. Ihr war das heute alles zu viel. Zwar fiel keinem der Mädels auf, dass in ihrem Glas immer nur Saft war. Aber trotzdem geht es ihr gar nicht gut.

Ob das scharfe Thai-Curry daran schuld ist, das ihr plötzlich nicht mehr geschmeckt hat?

Es sticht und zwickt scheußlich in ihrem Leib. Sie hält es auf der durchgesessenen Couch nicht mehr aus, wechselt auf den Sessel und beginnt gleich darauf, ruhelos durch ihre zwei kleinen Zimmer zu wandern. Aber auch die Bewegung hilft hier nicht.

Eine Weile steht sie am Fenster.

Es hat wieder zu schneien begonnen. Dicke Flocken fallen von einem sternlosen Himmel, hüllen die schlafende Stadt in Weiß.

Nathalie fröstelt. Nicht nur wegen des Schnees, sondern auch, weil sie auf einmal das Gesicht ihrer künftigen Schwiegermutter vor sich sieht. Dünne, zusammengekniffene Lippen. Kalter Blick. Stets zurückhaltend-reserviert.

Natürlich weiß Nathalie, dass sie Uschi Roßhaupters Erwartungen niemals genügen wird. Doch welche Frau könnte das schon?

Nathalie überlegt, ob ihr ein Entspannungsbad helfen würde, verwirft die Idee aber sofort wieder. Herr Meier, der über ihr wohnt, wird schnell grantig, wenn nachts noch das Wasser rauscht.

Sie fühlt sich etwas benommen.

Hätte sie die heiße Schokolade vielleicht doch lieber stehen lassen sollen, die alle bei Ricci zur Stärkung schlürften, bevor sie hinaus in die Kälte zogen?

Das Ziehen in ihrem Bauch wird immer schlimmer. Ob sie eine Schlaftablette nehmen soll, um endlich Ruhe zu finden?

Aber das kann sie ja nun nicht mehr.

Eine Blutuntersuchung zur Geschlechtsbestimmung ist erst in ein paar Wochen möglich. Wird es ein Mädchen, ist es zum Glück nur halb so schlimm, auch wenn das Ungeborene wohl ebenfalls den Familienfluch erbt. Und wenn es ein Junge wird? Dann müssen sie alle sehr, sehr tapfer sein …

Tobias ahnt noch nichts. So oft schon wollte sie ihm alles schonend beibringen, aber dann gab es doch nie den richtigen Moment dafür.

Was für überwältigende Gefühle das waren, als in ihrem Schwangerschaftstest die beiden hellblauen Striche auftauchten. Unbeschreibliches Glück. Und größte Angst. Denn jeder medizinische Eingriff, bei dem Blut fließt, bedeutet für Nathalie ein enormes Risiko. Das gilt natürlich erst recht für eine Geburt. Aber macht die Medizin nicht ständig Fortschritte? Darauf baut sie, denn alles muss gut werden, und deshalb wird sie sich ihrem Liebsten vielleicht erst anvertrauen, wenn das Kleine an ihrer Brust liegt.

Nathalie wickelt sich enger in den Schal, den Manu ihr geliehen hat. Irgendetwas ist mit ihren Augen. Sie kann auf einmal nicht mehr ganz klar sehen, und jetzt bekommt sie auch noch Schüttelfrost. Dabei sind die Heizungen ohnehin schon alle voll aufgedreht – der Februar ist heuer so frostig wie schon seit Jahren nicht mehr. Es wird wirklich Zeit, dass sie aus dieser Wohnung ausziehen kann, in der sich nicht einmal die Fenster richtig schließen lassen! In Tobis geräumigem Haus könnte sie jetzt in die Sauna gehen, um schnell wieder warm zu werden. Hier muss sie sich mit einer lausigen Wärmflasche begnügen.

Was sind das für Flecken?

Fassungslos starrt Nathalie auf das Laminat.

Blut!

Allein das Wort verursacht schon Panik bei ihr, und da ist sehr viel Blut, wie sie feststellt, als sie es unter quälenden Krämpfen auf die Kloschüssel schafft. Sie tupft und wischt, stopft sich eine halbe Rolle Papier zwischen die Beine, doch es hört nicht auf, wird sogar noch schlimmer. Mühsam schiebt sie den geborgten Schal zur Seite. Sogar der ist schon lange nicht mehr sandfarben. Überall wird es jetzt rot, es rinnt und tropft; auch auf den hellen Boden.

Aber sie ist doch schwanger?

Schwangere bluten nicht, es sei denn …

Nein, das kann, das darf nicht sein!

Ihre Zähne schlagen aufeinander. Sie zittert am ganzen Körper, alles scheint sich zu drehen, und sie kann kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Aber sie weiß, dass sie jetzt jemanden braucht, der sich sofort um sie kümmert.

»Hilfe«, murmelt sie zunächst verzweifelt, dann schreit sie so laut sie kann: »Hilfe!«

Aber wer soll sie schon hören, mitten in der Nacht?

Mühsam fixiert sie den kleinen Apothekenschrank an der gegenüberliegenden Wand. Hat sie überhaupt noch Nachschub? Früher hatte sie dort immer alles griffbereit, aber mit der Schwangerschaft, den Hormonen, ist sie nachlässig geworden.

Sie muss sofort nachsehen.

Wenn sie es schafft, bis zum Waschbecken zu kommen, könnte sie sich dort mit der einen Hand festhalten und mit der anderen die Tür des kleinen Schranks öffnen. Ganz unten hat sie das Faktorpräparat versteckt. Die Einwegspritze herausnehmen, in die Vene stechen – und schon wird es langsam aufhören.

Wenn sie nur nicht so verdammt schwach wäre!

Nathalie nimmt alle Kraft zusammen, stemmt sich nach oben und geht los. Zwei, drei Schritte lang scheint es tatsächlich zu klappen, dann rutscht sie auf den blutverschmierten Fliesen aus. Sie spürt, wie sie fällt, rudert wild mit den Armen und fegt ein halbes Dutzend Parfumflaschen vom Regal. Klirrendes Glas, Scherben. Noch im Fallen kracht ihr Schädel an die Heizung, dann schlägt sie rücklings auf dem Fliesenboden auf.

Ein verführerischer Mix exotischer Düfte erfüllt den Raum.

1

Eiskalter Ärger

Zefix – des war vielleicht zapfig!

Nach der mollig geheizten Wohnung empfand Dr. Sophie Rosenhuth die morgendliche Kälte im Hinterhof wie einen frostigen Biss. Von wegen grandiose Zwiebeltaktik! Spät dran war sie, Kaffee war aus, und im Brotkasten hatte lediglich ein vertrocknetes Scherzl gelegen. Eigentlich wollte sie ja bei Joe übernachten, hatte sich dann aber im letzten Moment doch noch umentschieden. Außerdem fühlte sie sich in ihren vier Kleidungsschichten plus Sturmhaube, die sie unter dem Helm trug, ungefähr so beweglich wie eine perfekt verpuppte Raupe. Am sperrigsten war der wetterfeste Overall in Schlammgrün, den sie allerdings leider geschätzte zwei Nummern zu klein gekauft hatte. Spätestens in diesem Augenblick bereute sie all die kulinarischen Ausrutscher der vergangenen Wochen zutiefst.

Und jetzt auch noch radeln?

Sehnsüchtig glitt ihr Blick zu Vronis Küchenfenster mit den gestärkten Gardinen. Jetzt bei der Tante klingeln, einen heißen Kakao schlürfen, eine Butterbreze genießen und dann gemütlich die U-Bahn nehmen …

Von wegen, meckerte die ihr leider nur allzu bekannte hundsgemeine innere Stimme. Du kannst doch Menschenmassen mit ihren Morgenausdünstungen nicht ausstehen. Schon vergessen? Und was ist mit dieser fiesen Hüftrolle, die du Vronis Weihnachtsplätzchen zu verdanken hast? Von den Wasabinüsschen ganz abgesehen, von denen du seit Neuestem kaum die Finger lassen kannst. Jetzt auch noch Kakao? Willst du wirklich wie eine Presswurst aussehen, wenn die ersten lauen Frühlingswinde wehen?

Ohnehin ist Tante Vroni gar nicht da, weil sie doch heute mit ihrem frisch operierten Knie in die Reha kommt. Der Einzige, der dir aufmachen könnte, wäre ihr Liebster, der Flo Denninger. Und der hat mit dem leidigen Schneeschippen jeden Morgen schon genug am Hals.

Also, worauf wartest du? Rauf aufs Fahrrad und dann losgestrampelt zum Institut für Rechtsmedizin!

Seufzend wischte Sofie den Sattel sauber, schaltete das Licht ein, stieg auf und fuhr los.

Sie war entschlossen, dem pulvrigen Neuschnee, der über Nacht reichlich gefallen war, mit ihren stabileren neuen Reifen mutig die Stirn zu bieten. Aber ihr Vorhaben war gar nicht so einfach in die Tat umzusetzen. Schon nach wenigen Metern schlitterte sie auf dem eisigen Belag der Zugspitzstraße. Als sie von einem Auto überholt und dabei ganz nach rechts gedrückt wurde, konnte sie gerade noch den Lenker herumreißen, um nicht am nächsten Verkehrsschild zu landen.

Zum Glück war die Tela, wie die Tegernseer Landstraße von den Münchnern liebevoll genannt wird, offenbar eifrig eingesalzen worden und daher durchaus befahrbar. Aber Sofie passte trotzdem höllisch auf, um nicht mit den Reifen in die Straßenbahnschienen zu geraten und einen Megasturz zu riskieren. Und dann der Giesinger Berg, den sie als Nächstes ansteuerte: trotz Streusalz und Mengen von Splitt eine einzige Rutschpartie!

Immer schneller schoss sie nach unten und konnte nur hoffen, dass die neuen Bremsen auch wirklich hielten, was der freundliche Lockenkopf im Fahrradladen so vollmundig versprochen hatte.

Wenigstens hockte kein bibberndes Murmelchen vor ihr im Körbchen. Der kleine Waisenmops, den sie sich erstaunlich stressfrei mit der oft unleidigen Dr. Elke Falk teilte, war leicht erkältet und hatte daher die letzten Nächte bei eben dieser Kollegin verbracht.

Unten heil angekommen, war sie hellwach und erleichtert zugleich. Kalt war ihr jetzt auch nicht mehr, kein bisschen. Und auf einmal machte es ihr richtig Spaß, durch die Humboldtstraße zu radeln, während links und rechts neben der Fahrbahn Autofahrer erst missmutig ihre Karren aus hohen Schneehaufen buddeln mussten.

Auf der Wittelsbacherbrücke hielt sie einen Moment an und schaute hinunter. Dunkelgrün, mit weißen Gischtkronen schoss die Isar dahin, als wolle sie ihrem keltischen Namen »die Reißende« alle Ehre machen. Von den Stadtstreichern, die im Sommer so zahlreich unter der Brücke gehaust hatten, war nichts zu sehen. Der Winter, der München spät, dafür aber umso heftiger überfallen hatte und seitdem nicht mehr aus seinem frostigen Griff ließ, hatte sie ausnahmslos in die städtischen und kirchlichen Notunterkünfte getrieben.

Wie heilfroh man doch sein musste, wenn man in München gut behaust war, dachte Sofie, als sie weiterfuhr. Joe Lederer und sie gehörten zu diesen Glücklichen. Ihr Ex, der smarte Kriminalkommissar, mit dem sie sich inzwischen wieder so gut verstand, dass sie sogar Pläne schmiedeten, zusammenzuziehen, lebte seit ihrer Scheidung in einer Zweizimmerwohnung, die viel zu klein für sie beide war. Nicht anders verhielt es sich mit Sofies Wohnung: Joe und sie auf so engem Raum? Das würde vielleicht ein Wochenende lang gut gehen, wusste sie, dann flögen gleich wieder die Fetzen.

Aber in München etwas halbwegs Bezahlbares zu finden, in das sie gemeinsam ziehen könnten, schien nahezu unmöglich zu sein. Seit Monaten schon brüteten sie über Zeitungsanzeigen und durchforsteten Immobilienangebote im Netz. Aber was auf dem Papier oder am Bildschirm ganz brauchbar klang, erwies sich in echt entweder als Flop, oder sie wurden gar nicht erst zur Besichtigung vorgelassen, weil die Wohnung längst unter der Hand vergeben war. Bei den städtischen Dienstwohnungen tat sich auch nichts: Niemand schien ausziehen zu wollen, und solange nichts frei wurde, nützten Joe auch alle Ansprüche nichts, die er als Beamter hatte. Abgesehen davon, dass diese Ansprüche auch nicht über eine Zweizimmerwohnung hinausgehen würden, ohne neuerliche Hochzeitsurkunde. Und Letzteres wäre Sofie dann doch ein Schritt zu viel gewesen.

Ohnehin war es vor allem Joe, der darauf drängte, dass sie wieder zusammenzogen. Sie konnte sich das zwar auch durchaus vorstellen – aber wollte sie es auch wirklich? Da war sie sich nicht so sicher. Und überhaupt: Was würde die Tante Vroni dazu sagen, wo sie es doch so geschickt eingefädelt hatte, dass die Sofie, ihr Madl, bei ihr im Hinterhaus wohnen konnte?

Nachdenklich bremste Sofie auf der Kapuzinerstraße und hielt an. Das sympathische Café gangundgäbe hatte schon geöffnet. Und gegen einen Milchkaffee auf die Schnelle konnte ja nicht einmal die kritischste innere Stimme etwas einwenden. Kurz entschlossen stellte sie ihr Rad ab, ging hinein und bestellte. Allein schon die Sturmhaube und den Helm für ein paar Momente abzustreifen war die pure Erlösung. Und dann der erste Schluck, warm, weich und zimtduftend – welch ein Genuss!

Was ihr Problem leider nicht löste.

Ebenso wenig wie das lauwarme Vanillecroissant, das sie sich kurz entschlossen dann doch gönnte.

Würde es wirklich gut gehen, wenn Joe und sie noch einmal zusammenwohnten? Schon einmal waren sie dabei gescheitert, das saß Sofie noch immer im Nacken. Ja, sie waren beide älter geworden und hatten in der Zwischenzeit neue Erfahrungen gesammelt – aber blieb man nicht trotzdem immer die Person, die man nun einmal war?

Joe war alles andere als fehlerfrei, das war ihr klar, auch wenn er Stein und Bein schwor, dass er das mit der Treue dieses Mal auf jeden Fall hinbekommen würde. Das allein genügte aber noch lange nicht für ein harmonisches Zusammenleben. Da musste Sofie nur bei sich selbst anfangen. So akribisch sie am Sektionstisch auch war – im Alltag war sie oft ein Schussel, dem so manches danebenging. Was Joe schnell auf die Palme bringen konnte …

Herrgott Zare – die Tante fehlte ihr schon jetzt!

Vronis trockene Art half ihr immer, wenn es darum ging, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber jetzt war sie für die nächsten Wochen in der Reha am Chiemsee, und Sofie musste sich selbst helfen. Als ihr das klar wurde, stellte sie ihr Glas so fest entschlossen auf den Tresen zurück, dass die junge blonde Bedienung aufschreckte. Sofie zahlte, wappnete sich erneut mit Haube und Helm gegen die Kälte und verließ das Café. Draußen verhüllte sie auch noch den unteren Teil ihres Gesichts, um die empfindliche Mundpartie zu schützen.

Einen Versuch war es wert. Also würden sie jetzt erst mal gemeinsam weitersuchen, einen Mietvertrag aber nur dann unterschreiben, wenn sie sich beide ganz, ganz sicher waren. Und genau das wollte sie heute Abend mit Joe besprechen.

Sie stieg wieder auf ihr Rad und schlingerte nach ein paar Metern rechts in die Häberlstraße, wo offenbar so gut wie gar nicht gestreut worden war. Auf der Goethestraße besserten sich die Straßenverhältnisse dann so, dass Sofie gleich wieder ihren Gedanken nachhängen konnte.

Auch wenn sie sich Joe nun wieder sehr nahe fühlte, hieß das noch lange nicht, dass sie ihm nun alles hinterherräumen würde. Nachlässig im Zimmer verstreute Wäsche mochte ja ganz anregend sein, wenn es sich im Vorfeld einer heißen Liebesnacht abspielte, im Alltag dagegen war es schlicht und einfach nur lästi…

Ein Krachen ließ sie zusammenfahren.

Beim Abbiegen in die Nußbaumstraße hatte sie eindeutig zu viel Schwung bekommen. Auf der hier wieder spiegelglatten Fahrbahn ließ sich das Fahrrad nicht mehr rechtzeitig bremsen, und so war sie unsanft auf dem nachtblauen Audi vor ihr gelandet. Ihr schwante gleich, wer aussteigen würde, noch bevor die gertenschlanke Frau im steingrauen Lammfellmantel aufgebracht auf sie zugeschossen kam.

»Was soll das denn?«, schäumte sie. »Haben Sie auch nur die geringste Ahnung, was dieser Wagen wert ist? Zudem gehört er meinem Lebensgefährten – was glauben Sie, was der erst dazu sagen wird?«

Sofie schob ihren Mundschutz nach unten. Die eisblauen Augen ihres Gegenübers wurden schmal.

»Sie natürlich! Das hätte ich mir ja gleich denken können. Wenngleich ich mich über diese alberne Vermummung doch sehr wundern muss …«

Falk schüttelte indigniert den Kopf. Sie bückte sich, um den Zustand von Stoßstange und Nummernschild zu prüfen, fuhr mit ihrem Lederhandschuh alles sorgfältig ab.

»Da und da und da … Kratzer über Kratzer! Sie haben ein nagelneues Auto geschrammt. Ach, was sage ich da, ruiniert haben Sie es mit Ihrem unverantwortlichen Fahrstil. Menschen Ihrer Gewichtsklasse können sich im winterlichen Straßenverkehr ja im Nu zu lebenden Bomben entwickeln!«

»Also, ich seh da so gut wie nix«, erwiderte Sofie. Das mit der Gewichtsklasse saß natürlich trotzdem. Aber das brauchte Dr. Iglu, wie sie die Falk seit Anbeginn heimlich nannte, ja nicht zu wissen. »Und sind Stoßstangen nicht dazu da, so einen Miniaufprall abzufangen?«

»Das hätten Sie wohl gern! Aber das war keineswegs ein Miniaufprall! Wie eine Dampfwalze haben Sie mich gerammt.« Falk reckte sich, um auf Sofie herabzusehen, dann wurde ihre Stimme auf einmal deutlich leiser.

»Nein«, sagte sie wie zu sich selbst, »ich werde mich jetzt nicht weiter aufregen. Meine Nerven brauche ich nämlich für etwas anderes, jetzt, wo so große neue Aufgaben auf mich zukommen. Soll sich doch ein Gutachter um die Details kümmern. Glauben Sie bloß nicht, dass Sie mir so einfach davonkommen!«

Da wurde es Sofie doch langsam etwas mulmig.

»Könnten wir das nicht unter uns regeln? Als Kolleginnen? Es handelt sich doch lediglich um Bagatellen, wenn überhaupt.«

»Bagatellen! Ich hör wohl nicht recht? Die gibt es gar nicht bei dieser Automarke. Und was ist mit Murmel?« Anklagend deutete sie mit dem Finger auf den Rücksitz ihres Wagens, wo der blonde Mops mit der schwarzen Schnauze und den schwarzen Ohren saß. »Zu Tode erschreckt haben Sie mir den armen kleinen Kerl. Wenn er jetzt ein Trauma davonträgt, dann sind ganz allein Sie daran schuld.«

Als wüsste er genau, von wem gerade die Rede war, schoss Murmel aus der halb offenen Tür und wedelte freudig bellend auf Sofie zu. Die bückte sich, so gut es ihre Verpuppung erlaubte, und streichelte ihn, was Murmelchen sichtlich zu genießen schien.

»Also, von einem Trauma kann ich beim besten Willen nichts feststellen.«

Sofie kam langsam wieder nach oben.

»Unser Mopsi ist in allerbester Verfassung. Und was den Wagen betrifft, so …«

»… wüsste ich vielleicht eine Lösung.« Spike Moosbichler, der seinen derzeit azurblauen Irokesenschnitt heute wegen der Kälte mit einem schwarzen Beanie verhüllt hatte, trat näher und lächelte verbindlich. »Mein Freund und So-gut-wie-Schwager Aram ist bei solchen Fingerspitzenarbeiten in der Luxusklasse einsame Spitze. Und preisgünstig wäre er noch dazu.« Er grinste Sofie spitzbübisch an. »Dann hätten Sie beide etwas davon, die liebe Frau Dr. Rosenhuth und die hochverehrte Frau Chefin ebenfalls.«

Elke Falk schien mit sich zu kämpfen, aber schließlich nickte sie, immer noch grimmig. »Meinetwegen«, sagte sie, »aber länger als einen Tag darf es nicht dauern. Denn ich habe nicht die geringste Lust, bei diesem lausigen Wetter zu Fuß zu laufen. Dann nehmen Sie ihn also heute gleich mit, Moosbichler, damit ich schnell wieder mobil bin. Selbstredend werde ich alles mit meiner schärfsten Lupe überprüfen. Darauf können Sie beide Gift nehmen! Und meine Taxiauslagen erstatten Sie mir auch, Frau Rosenhuth.«

»Danke«, sagte Sofie leise zu Spike, während die Falk den Mops zurück ins Auto hievte und weiter zur Garage fuhr. »Ich dachte schon, die verspeist mich roh zum Frühstück, so wie sie heute drauf ist.«

»Gerne.« Der Obduktionsassistent lächelte kurz. »Ihr Schatz, der Zahnarzt, ist doch auf Australientour, und jetzt tut es ihr leid, dass sie nicht auch mitgekommen ist. Da können die Hormone schon mal verrücktspielen. Und wann immer ich helfen kann – jederzeit!«

»Wie geht es Shirin und dem Baby?«, fragte Sofie, während sie ihr Fahrrad vor dem Institut abschloss. Das vordere Schutzblech hatte ein paar kleine Schrammen abbekommen, aber das war ihr im Moment egal. Hauptsache, die Falk veranstaltete nicht mehr so ein großes Tamtam. »Alles in Ordnung? Jetzt müsste es doch eigentlich bald so weit sein …«

»Noch ungefähr einen Monat dauert es«, sagte er und strahlte über beide Ohren. So glücklich wie jetzt hatte Sofie diesen von Kopf bis Fuß tätowierten und gepiercten Kerl noch nie gesehen. »Die Kleine wächst und gedeiht prächtig. Aber für Shirin wird es langsam doch ganz schön beschwerlich. Auch wenn sie immer noch arbeitet – für ausgesuchte Stammkunden jedenfalls. Gefragt ist sie nach wie vor: Es sticht eben keine Tätowiererin in ganz München so perfekt wie sie.«

»Sie soll bloß gut auf sich aufpassen«, erwiderte Sofie.

Inzwischen hatten sie die Stufen erreicht, die hinauf in die Rechtsmedizin führten, und selbst die waren heute teuflisch glatt.

»Die Natur weiß schon, warum sie die Kinder neun Monate im Mutterleib lässt. Also, keine Experimente! Das Baby geht jetzt vor – richten Sie ihr das bitte mit einem lieben Gruß von mir aus.«

»Gebongt!« Spike verschwand irgendwo im Untergeschoss, nachdem sie den Pförtner passiert hatten, der wie immer seine Kreuzworträtsel bearbeitete, während Sofie ein paar Türen weiter in ihr Kabuff ging. Kaum war sie in dem kleinen Raum angelangt, riss sie sich die lästigen Schichten vom Leib, bis sie nur noch Jeans und Shirt trug. Dann fuhr sie sich noch mit den Händen durch die Haare, bis die blonden Locken wieder sprangen.

George, das Skelett mit der edlen Krawatte, das in seiner Ecke stand, wirkte ganz und gar unbeteiligt.

»Woaßt du, was diese Krampfhenna grad eben zu mir gsagt hat?«, fuhr sie ihn an. »Menschen Ihrer Gewichtsklasse – so a Schmarrn, oder? Und des, weil i ihr blödes Nummernschild ganz leicht touchiert hob!«

Sie starrte ihn erwartungsvoll an, aber wie immer kam nichts von ihm.

»Was wui ma aa von am Skelett erwarten?«, schnaubte Sofie weiter. »Aber ausnahmsweise hättst du scho mal a bissl aus dir herausgeh kenna, des sog i dir!«

Sie holte einen kleinen Spiegel aus dem Schrank und studierte prüfend ihre Züge.

Blitzende grüne Augen, volle Lippen, rosiger Teint. Na gut, die Kinnpartie hätte vielleicht ein bisschen straffer sein können. Ein paar Kilo weniger würden das Gesamtbild wohl auch besser zur Geltung bringen. Aber sie sah attraktiv, munter und vor allem sehr weiblich aus. Ein Frauentyp, der vielen Männern gefiel und manchen eben ganz besonders – nicht nur einem gewissen Joe Lederer. Auch Charly Loessl, Polizeireporter und Weltenbummler, hatte ihr erst neulich wieder höchst charmant zu verstehen gegeben, dass er mehr als Freundschaft für sie empfand, gerade weil sie so war, wie sie eben war. Wenn diese Falk in ihrem Magerwahn also vorzeitig Krähenfüße und tiefe Magenfalten riskieren wollte, dann bitte sehr!

»Do hast di sauba brennt, Miss Iglu«, murmelte Sofie, während sie ein letztes Mal prüfend an sich heruntersah. »Mit dir, da nehm i es no im Schlaf auf!«

Halbwegs getröstet machte sie sich auf den Weg zur Umkleide, wo ihre Utensilien für den Sektionsraum aufbewahrt wurden. Doch auf dem halben Weg dorthin versperrte die Falk ihr mit bedeutsamer Miene den Weg.

»Das Umziehen können Sie sich sparen«, schnarrte sie und wedelte dabei ungeduldig mit einem Smartphone. »Außeneinsatz an einem Tatort. Und das fällt heute in Ihr Ressort!«

Sofie nahm ihr das Smartphone gelassen aus der Hand. »Rosenhuth«, sagte sie. »Mit wem spreche ich bitte?«

»Ach, Sie sind das? Gott sei Dank!« Die männliche Stimme klang erleichtert. »Hier ist Lorenz, Frau Dr. Rosenhuth, Kriminalobermeister Mick Lorenz. Die Manu hat uns schon in aller Früh in die Sommerstraße 9 gerufen.«

»Welche Manu?«, fragte Sofie verblüfft. »Joes Schwester?«

»Genau die. In der angegebenen Wohnung haben wir eine tote weibliche Person vorgefunden. Der Joe, der wartet dort scho auf Sie.«

2

Schneewittchen reloaded

In der Sommerstraße 9 angekommen, hing Manu im zweiten Stock in einem Steppmantel mit gewagtem Leoprint halb über dem Treppengeländer; die Augen vom Weinen gerötet. Seitdem sie immer häufiger bei diversen Teleshoppingsendern einkaufte, hatte sich ihre früher eher spärliche Garderobe eindrucksvoll vermehrt. Mick Lorenz stand neben ihr und starrte besorgt auf ihr wachsbleiches Gesicht.

»Des glaubst du ned!«, stieß sie hervor, als Sofie mit ihrem Tatortkoffer die Stufen heraufgestapft kam. »Gestern Abend, da warn mir no alle am Feiern. Und nur a paar Stunden später muaß ausgerechnet i die Nathalie so finden! Mein schöner neuer Schal, der so teuer war, der schaut vielleicht aus …«

»Sie steht noch immer unter Schock«, meinte Mick anteilnehmend. »Ist ja auch kein Wunder! Selbst unsereins muss bei manch einem Leichenfund ganz schön schlucken. Joe hat mich gebeten, sie heimzufahren. Aber das wollte sie auf keinen Fall. Weil sie unbedingt auf Sie warten wollte.«

»Dein Bruder hat recht, Manu, du solltest dich nach Hause fahren lassen.«

Sanft, aber entschieden schob Sofie Manu zur Seite. »Versuch, an was anderes zu denken. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber probier es zumindest.«

»I kann mi jetzt doch ned in a Auto setzen«, protestierte Manu. »In so einem Kasten, da kriag i ja sofort die Vollkrise! Wenn überhaupt, dann geh i zu Fuß, sonst wird ma nur no schlechter. Außerdem muaß i ohnehin bald los, um meinen Salon aufzumachen. Denn den Ausfall, den ersetzt ma ja koaner …«

»Ein kleiner Spaziergang? Gute Idee! Das lenkt dich ab. Und reden können wir später. Jetzt mach ich erst einmal meineArbeit, einverstanden?«

Sofie klingelte, und wenig später stand Joe in seinem weißen Schutzanzug vor ihr.

»Servus, Sofie, da bist du ja!«

Er sah sie zärtlich an, und vielleicht wäre sein Blick noch eine Spur zärtlicher gewesen, hätte Sofie die Nacht in seiner Wohnung verbracht.

»Die Spusi ist im Bad schon fertig und jetzt im Wohnzimmer zugange. Es gibt jede Menge Fingerabdrücke, wie die Kollegen sagen. Und du, Manu, du versuchst dich jetzt zu beruhigen, versprichst du mir das?«

Ein zögerliches Nicken. Wenigstens machte sie keine Anstalten, sich mit in die Wohnung zu zwängen.

»Wo ist die Leiche?«, fragte Sofie, nachdem sie den engen Flur betreten hatte. Das Erste, was sie dort sah, waren Schuhe. Überall standen oder lagen High Heels, Stiefeletten, Overknees …

Sofie öffnete ihren Koffer und hüllte sich ebenfalls von Kopf bis Fuß in Weiß. Zuletzt legte sie ihren Mundschutz an.

»Im Bad«, erwiderte Joe. »Schaut ganz schön wüst aus.«

Sofie dachte sofort an den Fall im letzten Sommer, der ihnen allen ordentlich zugesetzt hatte: Damals lag die Leiche in der Badewanne, umgeben von geschickt platzierten Requisiten, die die Schuld auf den smarten Polizeireporter Charly Loessl lenken sollten, der ihr Ex (und völlig unschuldig) war, wie sich später herausstellte.

Das Wohnzimmer, das Sofie nun durchqueren musste, um ins Bad zu gelangen, war klein und schlicht möbliert. Das meiste stammte aus einem schwedischen Möbelhaus; nur ein paar bunte Kissen auf der beigen Couch verliehen dem Raum einen Hauch von Individualität. Laminatfußboden, ein älterer Flachbildfernseher, ein Sessel, ein viereckiger Tisch, zwei hochbeinige Stühle. Im Regal standen Nippes und ein paar zerfledderte Liebesschnulzen.

Wirkt nicht gerade wie ein gemütliches, für länger eingerichtetes Zuhause, dachte Sofie, eher wie eine Zwischenstation. Ein Eindruck, der sich verstärkte, als die halb angelehnte Tür zum Schlafzimmer ein Brautkleid offenbarte, das sehr teuer aussah. Die Besitzerin dieses seidenen Traums hatte offenbar wirklich andere Pläne gehabt, als noch lange in dieser Wohnung zu verweilen. Pläne, die nun – im Wortsinn – blutig vereitelt worden waren.

»Nathalie Grimm«, konstatierte Joe, der ihr gefolgt war, ungefragt. »Fünfundzwanzig. Angestellt im Giesinger Rössl-Bräu. Am Samstag wollte sie heiraten – und zwar den Juniorchef der Firma, einen gewissen Tobias Roßhaupter. Gestern Abend hat sie mit Manu und vier Kolleginnen ihren Junggesellinnenabschied gefeiert. Dabei muss es ziemlich feuchtfröhlich zugegangen sein. Jedenfalls hat meine Schwester heute früh gleich zwei Aspirin gebraucht, um wieder einigermaßen klar zu werden.«

»Aber daran stirbt man eigentlich ned …«

Sofie stand jetzt auf der Schwelle zum Badezimmer, und der Anblick, der sich ihr hier bot, erinnerte sie fatal an ihr einstiges Lieblingsmärchen: eine junge Frau mit langem Haar, das wie ein nachtschwarzer Ebenholzfächer auf dem weißen Boden ausgebreitet war. Dazu jede Menge Rot in Form von blutigen Flecken.

»Schneewittchen«, sagte sie leise. »Inmitten des zersprengten gläsernen Sarges.«

Joe nickte.

»Die Splitter dürften von den zersprungenen Parfumfläschchen stammen, die heruntergerissen wurden, als sie gefallen ist – oder niedergeschlagen wurde.«

»Du gehst von Fremdeinwirkung aus?«, fragte Sofie, während sie sich auf die Papierbahn kniete, die die Spusi neben der Leiche ausgelegt hatte.

»Wer stirbt schon einfach so in diesem Alter? Es sei denn …«

»… man stürzt und schlägt dabei mit dem Hinterkopf an etwas Hartes, wie zum Beispiel an die Heizung«, sagte Sofie, während sie den äußeren Gehörgang der Toten begutachtete.

»Schau, da ist Blut. Könnte ein Hinweis sein auf einen Schädelbasisbruch. Schwarzhaarig war sie übrigens nicht von Natur aus. Der Haaransatz ist deutlich heller.«

»Die Kollegen haben an der Heizung ebenfalls Blutspuren gefunden«, sagte Joe.

»Siehst du die Blinker um ihre Augen?«, fragte Sofie.

»Nennt ihr das nicht vornehmer ›Brillenhämatome‹?«, fragte Joe zurück.

»Sehr gut! Sie entstehen durch Schläge auf beide Augen oder durch einen Sturz mit frontobasaler Fraktur«, murmelte Sofie. Sie hatte bereits ihr Aufnahmegerät in der Hand, in das sie nun die ersten Sätze diktierte.

»Und daran ist sie gestorben?«, unterbrach sie Joe. »Wieso sind dann ihre Hosenbeine blutgetränkt und das Wohnzimmer wie das Bad voller blutiger Tapser?«

Sofie zog die Augenbrauen hoch.

»Die exakte Todesursache kann ich dir erst nach der Obduktion sagen, das weißt du doch. Jetzt lass mich bitte in Ruhe meine Arbeit machen!«

Die Tote war zierlich gebaut, fast überschlank, bis auf die gut entwickelten Brüste, die ihre Starre offenbar einem Silikonimplantat verdankten. Beine und Arme waren dünn und sehr blass. Als Sofie die Shirtärmel ein wenig nach oben schob, entdeckte sie am rechten Oberarm zwei ausgeprägte Blutergüsse, die sie kurz stutzen ließen.

»Hämatome am rechten Oberarm. Sehen für mich aber älter aus und sind eher zu groß für Festhalteverletzungen durch Zupacken mit der Hand.«

Sie rief den Einsatzleiter der Spurensicherung.

»Wie machen wir das mit den Klamotten, Herr Hauser? Ich wäre dafür, die Leiche an Ort und Stelle zu entkleiden und alles gleich für die weiteren Untersuchungen in Tüten zu asservieren.«

Ohne Kleidung wirkte die Tote noch mädchenhafter. Im Schoß hatte sie ungezählte Lagen durchgeblutetes Toilettenpapier.

»Starke vaginale Blutung«, diktierte Sofie und spürte Joes Blick fragend auf sich ruhen.

»Das muss sie wohl überrascht haben. Jede Frau, die mit so etwas rechnet, würde Tampons oder Binden zu Hause haben«, erklärte sie. »Klopapier ist in so einem Fall immer nur die äußerste Notmaßnahme.«

»Bist dir ganz sicher?«, vergewisserte sich Joe.

»Bin ich.« Sie rollte mit den Augen. »Männer! Was wisst ihr eigentlich?«

»So einiges«, knurrte er zurück. »Wir haben in ihrer Handtasche nämlich einen Notfallausweis gefunden. Da, schau!«

Sofie studierte ihn eingehend.

»Konduktorin«, las sie halblaut vor. »Mittelschwere Hämophilie A.Bei Prophylaxe, Blutungen und operativen Eingriffen ist eine Substitution mit einem F VIII-Präparat erforderlich.«

Sie sah Joe fragend an.

»Habt ihr so ein Medikament irgendwo in der Wohnung gefunden? Das müssten Einwegspritzen sein. Die kann sich jeder Betroffene mit ein wenig Übung selbst intravenös injizieren.«

»Nein«, erwiderte Joe. »Und wir haben überall gründlich nachgesehen. Aber sie hatte ein Rezept dafür in ihrem Geldbeutel. Anscheinend ist sie nicht mehr rechtzeitig dazu gekommen, es einzulösen.«

»Was wirklich seltsam ist«, meinte Sofie nachdenklich. »Gut, sie war keine aktive Bluterin, sondern nur eine Überträgerin des defekten Gens, aber ihr Gerinnungsfaktor ist laut Ausweis trotzdem zu gering. Menschen mit dieser Krankheit lernen eigentlich von Kindheit an, damit umzugehen. Irgendetwas muss sie völlig aus ihrer Routine gebracht haben.«

»Die geplante Hochzeit?«

»Da würde man doch eher noch sorgfältiger sein, oder nicht? Wer will schon sein Lebensglück aufs Spiel setzen?«

Sofie wandte sich erneut der Leiche zu. »Und wenn du mich nach Fremdeinwirkung fragst: Äußerlich kann ich keinerlei vaginale Verletzungen entdecken, die auf ein Sexualverbrechen hindeuten würden.«

»Also Eigenmanipulation?«, sagte Joe ungläubig. »Oder wodurch sonst wurde die Blutung ausgelöst?«

»Wie gesagt, da wirst du dich leider noch ein bisschen gedulden müssen. Erst nach der Sektion kann ich dir dazu Näheres sagen.«

Sofie bestimmte die Temperatur der Leiche und hielt das Ergebnis in ihrem Diktafon fest. Danach stand sie auf und wandte sich wieder an die Kollegen von der Spusi.

»Sie kann jetzt in den Bergesack. Lassen Sie sie in die Nußbaumstraße bringen. Ich nehme sie mir gleich vor, sobald ich zurück im Institut bin.«

»Und der Todeszeitpunkt?«, erkundigte sich Joe, als sie das Bad verließen. »Er muss definitiv nach Mitternacht liegen. Denn laut Manu hat sich die beschwingte Damenrunde erst kurz vor zwölf getrennt.«

»Von der Totenstarre und der Temperatur her könnte es zwischen ein und zwei Uhr gewesen sein«, sagte Sofie. »Aber leg mich bitte in diesem Stadium meiner Untersuchungen nicht darauf fest! War die Wohnung eigentlich abgeschlossen, als deine Schwester heute früh kam?«

Inzwischen standen die beiden wieder im Flur, wo sie sich aus der Schutzkleidung schälten.

»Ja, war sie. Nathalie hat weder auf Manus Dauerläuten hin geöffnet, noch hat sie auf ihre SMS oder Anrufe reagiert. Weil ihr das seltsam vorkam, hat sie bei der Hausmeisterin geklingelt. Die wiederum hat mit ihrem Ersatzschlüssel aufgesperrt, und so haben die beiden die Tote im Bad vorgefunden. Ich denke, sie hatte von innen abgeschlossen, als sie nach Hause kam. Das machen viele Frauen, wenn sie allein sind.«

»Und Verlobte haben in der Regel einen Schlüssel«, überlegte Sofie. »Es könnte also genauso gut auch er gewesen sein, der die Tür verschloss.«

»Du meinst, er stößt sie gegen die Heizung, lässt sie liegen und haut dann einfach ab, nachdem er die Wohnung hinter sich sorgsam abgeschlossen hat? Das wäre ganz schön kaltblütig«, meinte Joe, »da gehört schon einiges dazu.«

»Genau das herauszufinden ist dein Job, Joe. Sonderlich vermisst hat er sie jedenfalls nicht. Oder habt ihr etwas Aktuelles von ihm auf ihrem Handy gefunden?«

»Nein. Von diesem Roßhaupter gibt es seit gestern früh keinen Anruf, keine SMS, kein gar nichts.«

»Persönlich hier aufgetaucht ist er offenbar auch nicht, um nachzusehen, was mit ihr los sein könnte. Dabei wäre das doch eigentlich naheliegend, wenn deine Braut in der gleichen Firma arbeitet und ohne Nachricht morgens nicht zur Arbeit erscheint.«

»Die Grimm hatte bis zur Hochzeit frei. Danach sollte es für zwei Wochen auf die Malediven gehen. Weiß ich alles von Manu. Die hört in ihrem Salon die Flöhe von ganz Giesing husten, so gut informiert ist die. Heute Vormittag wollten sich die beiden zu einem Weißwurstfrühstück treffen, um danach das Blumenarrangement für die Hochzeitslimousine freizugeben. Aber das heißt natürlich noch lange nicht …«

»Kann ich noch einmal den Notfallausweis sehen?«, unterbrach ihn Sofie.

Joe reichte ihn ihr.

»Seltsam, da steht dieser Tobias Roßhaupter gar nicht drin«, sagte sie. »Da, schau: Eva Weißborn. Ein Frauenname und eine ellenlange Handynummer.«

»Spanien«, sagte Joe überrascht. »Die Vorwahl kenn ich, weil Mick immer auf Malle Urlaub macht. Nicht gerade der nächste Weg, wenn es brenzlig wird und ein Helfer schnell zur Stelle sein sollte. Ob das ihre Mutter ist? Aber der Nachname ist ja ganz anders …«

»Vielleicht hat die Mutter noch einmal geheiratet? Oder es gibt andere Gründe. Ich bin sicher, das wirst du alles ganz schnell herausfinden.«

Sofie schlüpfte in ihre dunkelblaue Daunenjacke.

»Ich ruf da sofort an. Danach fahr ich mit Mick Lorenz rüber zum Rössl-Bräu«, erklärte Joe. »Dort knöpf ich mir diesen Bräutigam und die ganzen Damen der Feierrunde vor.«

Sein Blick wurde besorgt.

»Du bist bei dieser Kälte doch hoffentlich nicht mit dem Rad unterwegs?«

»I bin doch ned aus Zucker«, entgegnete Sofie. »Und Schneeradln is besonders schee.«

Ihren kleinen Unfall mit Frau Falk erwähnte sie wohlweislich mit keinem Wort. Aram würde die paar Kratzer schon wieder ausbessern, da war sie sich ganz sicher. Und auf Joes ständige Ermahnungen, sie solle bloß auf sich aufpassen, konnte sie immer schon verzichten.

»Mein Radl parkt am Institut. Und dorthin wird mi jetzt a netter Taxler bringen.«

»Und mia zwoa?«

Joes Blick war einfach unwiderstehlich.

»Was moanst jetzt damit genau?«, fragte sie neckisch zurück.

»Du meldest dich doch sofort telefonisch, wenn ihr mit der Sektion durch seid?«

»Logo«, versprach Sofie. »Du bist wie immer der Erste, der alles ganz genau von mir erfährt!«

3

Verrückte Mädels

Xa-ver!«

Leicht rostig gellte eine Frauenstimme über den Hof.

»Vor der Rampe wird zuerst geräumt. Immer! Kun-den-wohl-geht-bei-uns-über-alles. Wie oft soll ich das noch predigen?«

Man hörte, wie ein Fenster energisch geschlossen wurde.

»Auweia«, sagte Mick Lorenz, als sie ihren Dienstwagen im Hof abstellten. »Typischer Fall von ›Haare auf den Zähnen‹, würde ich sagen.«

Joe nickte, dann stiegen sie aus.

Eine süßliche Malzwolke umhüllte sie, die dem frostigen Tag etwas von seiner winterlichen Frische nahm. Rechter Hand war der Direktverkauf ab Rampe untergebracht, nach links ging es ins Brauhaus. Mittig führte eine Treppe zu den Büroräumen im ersten und zweiten Stockwerk. Man sah dem äußerlich schmucklosen grauen Gebäude noch immer an, dass es früher ein städtisches Umspannwerk gewesen war, bevor das Rössl-Bräu hier am Fuß des Giesinger Bergs eine neue Heimat gefunden hatte. Aufwendige Umbauten waren nötig gewesen, bis die schweren Stahltanks ihre Arbeit aufnehmen konnten; jetzt aber florierte die vergrößerte Privatbrauerei und war in München in aller Munde – nicht zuletzt, weil die Chefin sich nur allzu gern bei diversen gesellschaftlichen Ereignissen zeigte. Kaum eine Woche verstrich, in der Uschi Roßhaupter nicht in gewagten Dirndlkreationen in der Boulevardpresse zu sehen gewesen wäre. Seit einem guten Jahr vertrieb sie eine Auswahl ihrer Biere nun auch über einen Teleshoppingkanal, was ihr zusätzliche Popularität bescherte. »Rössl-Bier genießen und dabei schlank und fit bleiben«, lautete ihr Motto, das zu wiederholen sie nicht müde wurde. Vroni, die gern den Fernseher laufen ließ, während sie bügelte, hatte sich schon mehrfach über dieses »dürre Grillhendl mit den falschen Zähnen und den bläden Sprüchen« ausgelassen, schaltete ihren Kanal aber trotzdem immer wieder mal ein.

»Des is wia Sucht«, pflegte sie zu sagen, wenn Sofie oder Flo sie liebevoll frotzelten. »Du woaßt ganz genau, dass dir des ned guadtut, und trotzdem muaßt dus dir wieda und wieda antun.«

Von Angesicht zu Angesicht war Uschi Roßhaupter kleiner und sogar noch viel dünner als am Fernseher. Davon konnten Joe und Mick sich überzeugen, als sie nach kurzer Wartezeit zu ihr ins Büro vorgelassen wurden. Vor einem mächtigen altertümlichen Schreibtisch mit Ledergarnitur erwartete sie ein schmales Persönchen in burgunderroter Tracht, das vor allem aus tief gebräunter Haut und Sehnen zu bestehen schien. Unter einem platinblond gefärbten Fransenschnitt musterten ihre kühlen blauen Augen die beiden Besucher kritisch.

»Meine Herren, womit kann ich weiterhelfen?«

Ihre Stimme war spröde und verriet das Alter, das alle nur denkbaren kosmetischen Mittel wie Rouge, Lipgloss und schwarze Megawimpern zu verschleiern versuchten.

»Lederer, Mordkommission, und das ist mein Kollege Lorenz«, erwiderte Joe. »Wir wollten eigentlich Ihren Sohn sprechen, Herrn Tobias Roßhaupter.«

Das Wort »Mordkommission« ließ ihr Lächeln gefrieren.

»Tobias ist noch bei einem Kunden«, sagte sie erschrocken. »Es ist ihm doch nichts passiert?«

Joe schüttelte den Kopf und räusperte sich.

»Wir haben leider keine guten Nachrichten, Frau Roßhaupter. Nathalie Grimm ist heute Morgen tot in ihrer Giesinger Wohnung aufgefunden worden.«

Sie stieß einen Schrei aus und presste sich die Hand aufs Herz.

»Aber das ist doch ganz und gar unmöglich! Die beiden wollten in drei Tagen heiraten …«

Sie schloss die Augen und sank auf einen Stuhl.

»Mein armer, armer Junge!«

»Wann haben Sie Frau Grimm zum letzten Mal gesehen, Frau Roßhaupter?«, wollte Joe wissen.

»Nathalie?« Sie überlegte einen Moment. »Gestern Nachmittag. Sie hat in der Buchhaltung noch alles fertig gemacht, damit die Kollegin in ihrer Abwesenheit weiterarbeiten kann. Die Flitterwochen, Sie verstehen? Bei uns muss ja trotzdem alles reibungslos laufen …« Sie unterbrach sich selbst. »Ach, was rede ich da! Sie müssen schon entschuldigen, Ihre Nachricht hat mich zutiefst getroffen. Wie ist sie denn zu Tode gekommen? Ein Unfall oder doch nicht etwa …« Erneut hielt sie inne. »Ich meine, wenn sich schon die Mordkommission herbemüht!«

»Das müssen wir erst noch herausfinden«, antwortete Joe. »Wir haben gerade erst angefangen zu ermitteln. Jede Information kann hilfreich für uns sein.«

»Später haben Sie Frau Grimm dann nicht mehr gesehen?«, schaltete sich nun Mick Lorenz ein. »Zum Beispiel beim Junggesellinnenabschied – sind Sie da vielleicht dazugekommen?«

»Ich? Wo denken Sie hin!« In ihrer Stimme klang Entrüstung pur.