Zara - Alles neu - Ulrike Schrimpf - E-Book

Zara - Alles neu E-Book

Ulrike Schrimpf

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Beschreibung

Zara will Rapperin werden. Aber wie soll sie den perfekten Song schreiben, wenn um sie herum nur Chaos ist? Wenn ihr Vater nach Paris zieht, der Neue in der Klasse ein Schleimbeutel ist und sie aus ihrer eigenen Band gekickt wird. Zum Glück gibt es Perihan! Die steht nämlich nicht nur auf Rap-Musik, sondern weiß auch, dass für die Lösung aller Probleme drei Dinge nötig sind: Schokolade, ein klarer Kopf und ein Plan. Ein guter Plan.

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Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- und strafrechtlich verfolgt werden.www.aladin-verlag.de © Aladin Verlag GmbH, Hamburg 2013 Alle Rechte vorbehalten Umschlagillustration: Regina Kehn Umschlagtypografie: Karin Kröll Lithographie: Margit Dittes Media, Hamburg E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-8489-6002-6

Für Johannes. Für mein Patenkind Josefine und alle außergewöhnlichen Kinder dieser Welt.

»Manchmal denke ich, nur der Himmel ist die Grenze.«zara

Personenverzeichnis

Zara Schumann

Heldin des Buches, Träumerin und Rapperin

Elisa Schumann

Zaras Mutter, Yogalehrerin

Wolfgang Schumann

auch genannt Paposchka, Zaras Vater, als Gastdozent Professor für Germanistik an der Sorbonne in Paris

Jonathan Schumann

auch genannt Jonnie-Poponnie, Zaras jüngerer Bruder, ist außergewöhnlich

Benno

Zaras Onkel, Tischler und Saxofonspieler

Perihan

türkische Feenkönigin, Gärtnerin im Botanischen Garten und Zaras Freundin

Greta von Ganten

auch genannt die eiskalte Greta, Zaras Erzfeindin

Elias Waldau

Schleimbeutel und Nerd, neuer Mitschüler von Zara

Mathilde

Musterschülerin in Zaras Klasse

der dicke Max

Mitschüler von Zara und Fußballcrack

Ella, Leon und David-Beckham-Karl

Mitschüler von Zara und Mitglieder in ihrer Band

Herr Jakob

Zaras Lieblingslehrer für Deutsch und Musik

Manou Majong

Yogaguru und Freund von Zaras Mutter

Angélique Farinelli

Dozentin für französische Philologie und Kollegin von Zaras Vater an der Sorbonne, alleinerziehende Mutter

Fabrice Farinelli

1  Cooles Kapitel,

in dem Griechenland und Papa weit weg sind, ich nicht schlafen kann und einen Zora-Zara-Song schreiben will

Heute bin ich aufgestanden und habe gleich gedacht, jetzt wird ein Lied geschrieben, jetzt wird das gleich gemacht. Für Mädchen, die kein Problem haben, auch mal aufzumucken, die nicht ständig blöde aus der Wäsche kucken. Mir doch egal, echt mal, total! Was die andern von uns denken, du hast die Wahl …

Was reimt sich auf Wahl?! Außer Qual oder Mahl oder anderer Blödsinn! Ich drehe in meinen Haaren, schüttele mich und schneide eine Grimasse. Peinlich ist das, was ich geschrieben habe. Rumpelig hört es sich an, wie ein kleines Schrottauto. Gar nicht poetisch, würde mein Papa sagen. Noch mal schütteln. Wirklich überhaupt nicht cool!

Ich will aber einen coolen Song schreiben. Einen coolen Zora-Zara-Song für alle coolen Mädchen dieser Welt. Cool, das heißt mutig, selbstsicher, schön und stark auf einmal. Cool ist es auch, wenn man etwas Besonderes tut, etwas Auffälliges, und dabei ruhig und sicher bleibt. Eva von der Eisdiele Morgenschön bei mir um die Ecke ist zum Beispiel cool. Sie kommt aus Polen, spricht komisch Deutsch, schminkt sich bunt und trägt Röcke und Blusen, die ihr ein bisschen zu eng sind. Sie umarmt und küsst alle Menschen, die ins Eiscafé kommen, egal, ob sie sie kennt oder nicht. Evas Küsse sind nass und knallend. Sie hat immer gute Laune, spricht mit lauter Stimme und schenkt den Menschen, die sie mag, Fisch und Würste. Aus ihrer Heimat, aus Polen. Die Eiscafé-Eva riecht immer ein bisschen nach Fisch. Sie riecht aber auch nach Parfüm und Apfelkuchen und nach weicher, warmer Haut. Ich liebe den Geruch von der Eiscafé-Eva! Manchmal machen sich die Jungs aus meiner Schule über sie lustig. Aber das ist ihr egal. Sie lacht dann, ihr großer Busen wackelt, und sie ruft: »Na, ihr wollen wohl mal wieder riskieren eine große Lippe?«

Mein Bruder Jonnie, ich nenne ihn Jonnie-Poponnie, ist auch cool. Der hat sich neulich im Café heimlich mit dem Lippenstift von meiner Mama einen roten Po auf die Hose gemalt, ist dann laut kichernd um alle Tische herumgeflitzt und hat sich nicht einfangen lassen. Nicht von Mama und nicht von Papa. Er war einfach immer schneller! Es war ihm egal, dass er eigentlich schon viel zu groß ist für solchen Quatsch. Jonnie ist so etwas immer egal. Das finde ich super-ober-cool!

Ich bin übrigens Zara. Zara Schumann:

Elf Jahre alt. Um genau zu sein, elf Jahre und zwei Monate. Drittkleinste in der Klasse, dünn, mit Zahnspange. Sommersprossen, vor allem auf der Nase, braune glatte Haare (ganz okay). Ein angeschlagener Schneidezahn: hat mir der dicke Max bei einer Klopperei verpasst.Ein Papa, Professor für Germanistik: seit Neustem nie zu Hause. Hab deshalb ’ne Stinkwut im Bauch! Eine Mama, Yogalehrerin: seit Neustem immer schlecht gelaunt (anstrengend!).Ein Bruder, Jonnie-Poponnie, lacht ständig (er ist außer-gewöhnlich, sagen Mama und Papa). Eine Feindin, Greta von Ganten: Typ blonde Eishexe. (Die Oberbestimmerin in unserer Klasse.) Ihre Freunde: Die Gang der Bekloppten.Ein Kater, Pascal: schwarzer Kuscheltiger. Er heißt nach einem französischen Philosophen, den mein Papa toll findet.

Gerade sitze ich in meinem Bett und kritzele auf ein Papier. Draußen kann ich durch das Fenster Sterne sehen, einen halben Mond und meine Birke mit dem krummen Stamm, die sich im Wind biegt. Es ist Nacht, und ich kann nicht schlafen. Ich will dieses coole Zora-Zara-Lied schreiben! Das ist mein großer Plan für die letzte freie Woche, bevor die Schule wieder losgeht.

Eigentlich wollte ich das schon im Sommer tun, in den Ferien. Aber da hatte ich dann zu viele andere Dinge vor. Ich fuhr mit meinen Eltern und meinem Bruder nach Griechenland. Da habe ich gebadet und Bücher gelesen, in der Sonne. Und Eis haben wir gegessen, Jonnie-Poponnie und ich, Massen von Eis! Ich am liebsten Haselnuss und Himbeere. Wir haben Sandburgen gebaut und Seeungeheuer gespielt. In Griechenland war alles so gemütlich und friedlich! Papa hat Mama den Rücken eingecremt und wollte nicht, dass sie ihm seinen Rücken eincremt. Mama hat Fisch und Pasta gekocht und jeden Morgen Melonenschiffe für mich und Jonnie geschnitten. Wir haben die Melone geschlürft und dabei zusammen in die Sonne gekuckt, direkt in die Mitte. Dann haben wir die Augen zugekniffen und die schwarzen Sterne und Raketen gezählt, die sich gedreht haben, im Auge. Jonnie hat seine Plastiktrommel überallhin mitgeschleppt, selbst an den Strand und ins Meer und auf die Toilette vom Strandrestaurant. Papa hat jeden Morgen drei verschiedene Zeitungen gelesen. Mama hat Yogabücher studiert, seltsame Verrenkungen am Strand gemacht und dabei laut und prustend geatmet. Ich habe versucht, einen Wollbikini für Jonnies Teddybären Tarzan zu stricken, und bin jeden Tag mindestens sechs Mal ins Wasser gegangen. Ich habe Köpper vom Felsen geübt und mir vorgestellt, ich wäre die rote Zora. Das ist die Heldin aus einem Buch, das ich liebe! Deshalb will ich auch einen Song über sie schreiben. Papa hat mir das Buch geschenkt. Zora hat feuerrote Haare und ist stark, mutig und selbstbewusst. Sie hat keine Eltern mehr und lebt mit anderen Kindern in einer Stadt in Kroatien. Am Meer. Zora ist die Chefin von einer Jungsbande. Wenn sie sagt: »Ich bestimme über die Uskoken!«, dann hören alle auf sie, selbst der böse Duro. Die Kinder und die rote Zora sind arm und alleine, aber sie halten zusammen und helfen sich. Wenn ich vom Felsen ins Wasser gesprungen bin, in Griechenland, habe ich mir immer vorgestellt, ich wäre Zora. Wie ich vor den Jungs ins Wasser springe, von ganz oben. Von dort, wo kein anderer Junge sich mehr hintraut. Dann hat der Wind in meinen Ohren gesaust und ich habe mich wie ein Vogel gefühlt.

Jetzt fühle ich mich aber nicht wie ein Vogel. Gar nicht! Jetzt bin ich eine müde Socke. Ein Schlappsack. Ein uncooles dünnes Mädchen mit Schnittlauchhaaren, einer Zahnspange und jeder Menge Probleme am Hals. Shit, so ’n Shit! Alles ist anders jetzt. Ich bekomme Bauchschmerzen, wenn ich darüber nachdenke. Tiefe, dunkle Grummelbauchschmerzen, ganz unten drin im Bauch. Ich drücke mein Kopfkissen auf den Grummelbauch und schnappe mir Pascal, meinen Kater. Dann lasse ich mich nach hinten auf die Matratze fallen und halte den Zettel mit dem Liedtext so dicht vor meine Augen, dass die Schrift verschwimmt:

Mir doch egal, echt mal, total! Was die andern von uns denken, du hast die Wahl …

Mein uncooles Zora-Zara-Lied. Das uncoolste Lied aller Zeiten! Ich muss weinen. Mein Papa würde mich jetzt in die Arme nehmen und mir durch die Haare wuscheln. Ich würde mich an ihn kuscheln und alles wäre gut. Aber mein Papa ist nicht hier, bei uns. Und genau das ist das Problem.

Als wir aus Griechenland zurückkamen, hatte Papa einen Brief bekommen. Er freute sich riesig und hüpfte wie ein wild gewordenes Kaninchen durch die Wohnung. Papa sang und lachte und küsste meine Mama ab und Jonnie-Poponnie und mich auch. Mama erklärte uns, dass Papa jetzt an einer wichtigen Universität in Paris unterrichten darf. An der Sorbonne. Deshalb freute er sich so. Das konnten wir gut verstehen, Mama, Jonnie und ich. Mein Papa ist Professor für Germanistik, also für die deutsche Sprache und Literatur. Jonnie, Mama und ich, wir freuten uns natürlich mit Papa, und Mama holte eine Flasche Sekt aus dem Kühlschrank. Jonnie und ich tranken Orangensaft und Mama und Papa Sekt und wir stießen alle an. Es machte kling! und Papa lachte wieder und sang und küsste. Plötzlich begann Mama zu weinen und rannte in ihr Zimmer. Jonnie kuckte komisch und drückte sein Gesicht in meinen Bauch.

Ich schaute meinen Papa an und fragte: »Und was ist dann mit uns?! Eigentlich?!«

So ist das jetzt: Papa ist in Paris, seit drei Tagen. Dort wird er sich eine Wohnung suchen und wir werden ihn nur noch selten sehen. Mama hat ständig eine rote Schniefnase, weil sie immer weint und weint und heult und heult. Ich muss das jetzt sagen: heult und heult, auch wenn sich das ein bisschen gemein anhört, aber ich bin sooo genervt von meiner heulenden Mama! Jonnie-Poponnie und ich, wir sind auch traurig, aber wir zeigen das nicht so wie Mama, weil ja nicht alle ständig und immer heulen können. Ich muss jetzt zwar auch wieder weinen, aber keiner merkt was, noch nicht mal Pascal. Der ist eingeschlafen. Ich öffne die Schublade von meinem Nachttisch und hole mein Handy raus. Das hat mir mein Papa geschenkt, am Flughafen, damit ich ihm immer simsen kann, wenn ich will, und ihn anrufen, wenn ich Sehnsucht habe. Meine Mama hat sich aufgeregt über das Handy, weil das Konsumwahn ist und Technikmist, eine giftige Strahlung hat und außerdem total teuer ist. Weil ich noch zu klein dafür bin und überhaupt. Aber ich habe mich gefreut und Papa ganz doll gedrückt und wir haben uns in die Augen gekuckt. Papa hat mich auf die Stirn geküsst, auf den Papa-küsst-Zara-Ort.

Liebster Paposchka! Ich habe einen Grummelbauch und alle schlafen, nur ich nicht. Wer war eigentlich Pascal? Ich meine, der richtige? Deine Zora-Zara

tippe ich in das Handy. Dann schlafe ich ein.

2  Peinliches Kapitel,

in dem meine Mama ein Flatterkleid ist, Jonnie ein Clown und ich eine Schaufensterpuppe

Papa ist nicht da. Ich wache auf und als Erstes denke ich, Papa ist nicht da. Gleich fängt mein Bauch wieder an zu grummeln. Aber da fällt mir ein, dass ich keine Zeit zum Traurigsein habe, denn heute ist die Einschulung von Jonnie-Poponnie. Ich wollte doch noch eine kleine Extra-Schultüte für ihn basteln! Neben der, die Mama für ihn gekauft und mit Geschenken gefüllt hat. Aufgeregt falle ich aus dem Bett und PLUMPS! auf mein neues Handy, das auf dem Teppich liegt.

1 neue Nachricht

blinkt es.

Liebste Zora-Zara. Ich kann auch nicht schlafen. Ihr fehlt mir alle! Pascal hat gesagt, dass die Menschen unglücklich sind, weil sie nicht in Ruhe in ihrem Zimmer bleiben. Wie findest du das? Einen Kuss auf die Stirn von Paposchka

Was soll das denn heißen?! Die Menschen sind unglücklich, weil sie nicht in Ruhe in ihrem Zimmer bleiben? Also, Papa, du spinnst echt manchmal, da hat Mama schon Recht! Ich muss ein bisschen kichern und zeige Papa einen Vogel. Ich flüstere, damit Mama nicht hört, dass ich mit Papa spreche. Mit Papa, der nicht da ist. Ich stelle mir vor, er wäre doch da. Irgendwo versteckt, in einem Winkel meines Zimmers. Zusammengefaltet wie ein Pullover in einem Koffer, ganz klein. Ich muss gleich noch mal kichern, weil ich meinen riesigen Papa mit den langen Schlenkerbeinen als zusammengefalteten Pullover-Papa vor mir sehe.

Dann stürze ich zu meinem Schreibtisch, um meine Schultüte für Jonnie zu basteln. Für Jonnie-Poponnie! Aus den Schubladen krame ich Aufkleber mit grünen und roten Glitzerdrachen – Jonnie liebt Drachen! – und dicke Wachsmalstifte, hellrote und hellgrüne Pappe und eine riesige gelbe Schleife, die ich extra gekauft habe, im Schreibwarenladen. Es soll eine einzigartige, noch nie da gewesene Jonnie-Poponnie-Drachen-Schultüte werden! Jonnie, mein außergewöhnlicher Bruder, soll sie stolz wie ein Schneekönig vor sich hertragen. Das ist so ein Ausdruck, der macht, dass es warm wird in meinem Bauch. Jonnie-Poponnie ist mein Schneekönig! Und »außer-gewöhnlich«. Außergewöhnlich heißt nicht gewöhnlich oder auch nicht normal. Mama sagt immer: »Was ist schon normal?«

Jonnie ist anders als die anderen Kinder. Er spricht ein bisschen nuschelig und macht Fehler. Ich finde, es klingt sehr lustig! Er sagt zum Beispiel Sssule anstatt Schule und Eselfant anstatt Elefant. Papa sagt, Jonnie ist ein Dichter. Jonnie-Poponnie ist auch ein bisschen langsamer als die anderen Kinder und ein bisschen kleiner und runder und er hat nicht so viel Kraft in den Armen wie die anderen. Er ist freundlicher und lustiger und lieber als die meisten anderen Kinder. Jonnie ist eigentlich immer gut gelaunt! Jonnie-Poponnie liebt Musik. Genau wie ich. Man kann sagen, dass wir beide besessen sind von Musik. Am liebsten würden wir immer nur Musik hören und singen und tanzen. Jonnie spielt Trommel und ich singe dazu.

Jonnie-Poponnie liebt es auch, zu essen: Schokolade und Pommes, Gummibärchen und Würstchen, Nudeln mit Ketchup und alles. Jonnie hat einen kleinen weichen kugelrunden Bauch, dicke rote Backen, weiße, sanfte Haut, helle strubbelige Haare und eine Brille. Die Ärzte und Wissenschaftler sagen, Jonnie hat das Down-Syndrom.

Ich schneide und klebe und male und pfeife ein Lied nach dem anderen. Ich arbeite immer schneller und mir wird ganz heiß vor Aufregung.

Plötzlich steckt meine Mama ihren Kopf in mein Zimmer und sagt fröhlich: »Na, Zara, ist die Schultüte bald fertig? Du musst dich beeilen! In 20 Minuten müssen wir los und du bist noch nicht angezogen und hast noch nicht gefrühstückt. Soll ich dir einen Kakao bringen?«

Ich nicke und bin erleichtert, weil Mama nicht weint, sondern lacht und eine sanfte Schokoladenpudding-Stimme hat. Wenn Mama eine Schokoladenpudding-Stimme hat, ist alles gut. Auch wenn sie ihr peinliches oranges Flatterkleid trägt! Und das trägt sie – leider! – heute. Aber Hauptsache, sie weint nicht und ist lieb. Ich werde einfach so tun, als wäre das orange Flatterkleid nicht da. Als würde Mama stattdessen ein schickes dunkelblaues Kostüm tragen, hohe Pumps und eine rosa Bluse mit einem großen Ausschnitt und einer Perlenkette. So wie die Mama von der eiskalten Greta. Ich nenne sie so, weil sie so kalt kucken kann wie eine Eishexe in der Antarktis. Böööööse. So, dass man beginnt zu frieren. Die eiskalte Greta kommt aus gutem Hause, sagt mein Papa. Das merkt man auch an dem »von« vor ihrem Nachnamen. Mit ganzem Namen heißt sie nämlich Greta von Ganten. Gretas Vater ist stinkereich und irgend so ’n Baron dazu. Ständig trägt die eiskalte Greta neue Klamotten. Von Esprit und Benetton und Lacoste und Puma und Diesel und allen diesen Marken, von denen ich nie, aber auch nie, gar nie! auch nur eine Jeans haben darf. Ihre Mutter sieht aus wie ein Model. Gaaaanz dünn, gaaaanz blond, gaaaanz perfekt geschminkt. Gaaaanz anders als meine Mama! Dafür hat meine Mama schöne Haare. Lang, leicht gewellt und dunkelbraun sind sie und gehen ihr bis zum Po. Heute, zur Feier des Tages, trägt sie sie offen, sie fallen leuchtend über ihren Rücken. Sie sieht fantastisch aus. Das sagt Papa immer zu Mama: »Elisa, mein Augenstern, du siehst fantastisch aus!«

Dann lächeln sie sich an und küssen sich. Vielleicht sollte ich ihr sagen, dass sie fantastisch aussieht? Jetzt, wo Papa das nicht sagen kann, weil er nicht da ist. Aber vielleicht wird Mama dann erst recht wieder traurig?

Jonnie wird in meine Schule eingeschult, in die Johann-Sebastian-Bach-Grundschule. Bach war ein großartiger Musiker und Komponist, der vor langer Zeit gelebt hat. »Großartig!«, sagt mein Papa mit dröhnender Stimme und wirft dabei die Arme in die Luft wie ein Schauspieler. Papa und Mama lieben Bach! Man darf nix gegen ihn sagen, sonst bekommt man einen bitterbösen Blick zugeworfen. Ich mag seine Musik trotzdem nicht. Sie ist mir zu laut und zu ernst. Ich höre lieber Pyranja, die Beginner, Wir sind Helden, Keimzeit, Seeed und Peter Fox. Alle CDs, die mein Onkel Benno uns mitbringt, höre ich gerne. Benno ist der jüngere Bruder von meiner Mama. Ein Chaot, sagt Mama. Er wohnt alleine in einer kleinen Wohnung in Prenzlauer Berg mit Kohleheizung und Tausenden von CDs und Platten und Noten. Die Wohnung ist vollgestopft mit Musik, von oben bis unten. Mein Onkel ist Tischler und in seiner Freizeit spielt er E-Bass in einer Rockband. Manchmal besuche ich ihn. Dann hören wir zusammen Musik, essen Chips und trinken Bionade. Wir reden nicht viel zusammen. Wir hören vor allem der Musik zu. Das ist so gemütlich! Jonnie mag Benno und seine Musik auch. Er will immer mitkommen, wenn ich zu Benno gehe.

Ich werde ab jetzt in die fünfte Klasse gehen, in die 5c, und Jonnie-Poponnie kommt morgen in die erste Klasse, in die 1a. Das ist eine Integrationsklasse. In der sind solche Kinder wie ich und solche Kinder wie Jonnie, die lernen und spielen zusammen. Jonnie freut sich schon bis zum Platzen auf die Schule und fragt jeden Tag: »Jonnie gehen Sssule?« Seit ungefähr einem halben Jahr fragt er das jeden Tag. Obwohl er doch wissen müsste, dass er erst jetzt, nach den Sommerferien, nach Griechenland, in die Schule kommt. Gestern Abend hat er seine Trommel vor die Haustür gelegt, Tarzan, seinen Teddybären, eine angebrochene Tafel Schokolade, seine Lieblings-CD Stadtaffe von Peter Fox und ein Foto von Mama, Papa, mir und ihm und gesagt: »Jonnie in Sssule gehen. Jonnie mitnehmen.« Dann ist er zufrieden ins Bett gegangen und hat so laut geschnarcht, dass ich es durch die Zimmerwand hindurch hören konnte. Jonnie-Poponnies Schnarchen ist so laut wie eine Säge. Wie eine Jonnie-Poponnie-Schnarch-Säge.

Jetzt steht er vor meiner Zimmertür, trommelt mit seinen Fäusten gegen das Holz und ruft aufgeregt: »Zora-Zara aufmache! Zora-Zara aufmache!«

Ich renne aus dem Zimmer, die Schultüte hinter meinem Rücken versteckt, und falle fast über Jonnie. Ich will rufen: »Jonnie-Poponnie, deine Schultüte ist fertig, kuck doch mal!«, aber die Worte bleiben mir im Hals stecken: Jonnie sieht furchtbar aus! Er trägt über seiner dunkelblauen Leinenhose einen zerrissenen lila Rock aus unserer Faschingskiste. Er hat sich zwei große rote Kreise auf die Backen gemalt und seine schwarze Piraten-Augenklappe umgebunden. Jonnie-Poponnie sieht wie ein Clown aus. Schrecklich! Jonnie strahlt, als er mich sieht, und ruft aufgeregt: »Sssuhtüte! Sssuhtüte!«

Mama kommt aus der Küche, sieht mich und fragt mit leiser Pass-gut-auf-was-du-jetzt-sagst-sonst-gibt-es-ein-Riesendonnerwetter-hast-du-das-verstanden?!-Stimme: »Ist irgendetwas, Zara?«

»Willst du ihn so in die Schule gehen lassen?«, frage ich.

»Was heißt ›so‹? Jonnie hat sich schick gemacht. Ich finde ihn schön.«

Mama neigt sich zu Jonnie, streicht ihm seine Haare aus dem Gesicht und gibt ihm einen Kuss auf die Nase.

Jonnie lacht und ruft: »Sick gemacht. Sick gemacht.«

Ich möchte nur noch schreien! Mama trägt ihr oranges Flatterkleid, und Jonnie geht als Clown. Papa ist nicht da. Wie soll ich diesen Tag überstehen?! Ich ziehe langsam meine einzigartige, noch nie da gewesene Jonnie-Poponnie-Drachen-Schultüte hinter meinem Rücken hervor und drücke sie Jonnie in die Hände. Jonnie jubelt, kiekst und kichert! Mama nimmt ihren liebsten Jonnie-Schatz an die Hand. Beide gehen zusammen aus der Tür, das orange Flatterkleid und der süüüße Jonnie-Schatz-Clown.

»Kommst du, Zara? Wir gehen jetzt«, ruft Mama.

Ich schlurfe zur Garderobe und ziehe mir langsam meine Schuhe an. Ich stapfe hinter Mama und Jonnie zum Auto. Ich wünschte, ich wäre nicht da. Ich wünschte, Papa wäre bei mir. Mama fährt uns ruckartig durch die Stadt und hört dabei irgendwelche nervige Meditationsmusik. Jonnie-Poponnie singt leise vor sich hin und ich träume mich schnell zu meiner Zora.

Gerade habe ich Branco die Burg der Uskoken gezeigt. Er hat trotz der gemeinen Schummelei von Duro, der Branco auf keinen Fall in unserer Bande haben wollte, alle Mutproben bestanden. Branco ist nun Mitglied in unserer Bande. Ich freue mich und schaue ihn heimlich von der Seite an. Er hat lange gebogene schwarze Wimpern; die gefallen mir! Langsam drehe ich zwei kleine Spieße, an denen wir geklaute Fische braten. Fett tröpfelt zischend in die Flammen. Nicola und Pavle unterhalten sich leise lachend. Am Himmel geht die Sonne unter.

Rummsss. Mama hält das Auto ruckartig an. Wir sind an der Schule angekommen. Von allen Seiten strömen Eltern mit ihren Kindern, Schultüten und Fotoapparaten zu der Aula, wo die Einschulung stattfindet. Ich würde am liebsten im Erdboden versinken. Wo ist Papa? Wo ist Zora-Zara? Mama und Jonnie hüpfen zur Aula. Ein orangenes Flatterkleid und ein Clown hüpfen den Weg zur Aula entlang. Das ist meine Familie!

Aus der Ferne sehe ich, wie die eiskalte Greta mit dem Finger auf meinen Bruder zeigt und irgendetwas sagt. Dabei grinst sie fies. Die Kinder, die um sie herumstehen, lachen. Ich werde von einer riesigen Welle überschwappt. Aus heißgefrorener Wut. Wie Feuer und Eis zugleich. Die in mir verklumpt und alles verstopft.

Ich versuche, ruhig zu bleiben, nehme all meinen Mut zusammen und gehe langsam auf Greta zu. »Hast du ein Problem?«, frage ich sie und hoffe, dass niemand das Zittern in meiner Stimme bemerkt.

»Nö. Aber du offensichtlich!«

Greta kichert böse und die Gang der Bekloppten kichert mit. Aufgeplustert steht sie da, wie ein Model, in einer pinkfarbenen Weste und einem Jeansminirock. Ich sehe neben ihr aus wie eine hässliche, dünne Bohnenstange. Ich weiß es!

»Wieso? Versteh ich nicht.«

»Na, der Psycho da, das ist doch dein Bruder, oder?«

Vor Schreck vergesse ich zu atmen. Mir tut alles weh mit einem Mal, mein ganzer Körper.

Hoffentlich hat Mama das nicht gehört! Und Jonnie nicht, erst recht nicht. Hoffentlich hat Mama das …

Ich kann nicht aufhören, immer das Gleiche zu denken. Immer diese beiden Sätze. Hoffentlich hat Mama das nicht gehört. Und Jonnie nicht, erst recht nicht.

Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Meine Augen werden nass. Ich will was sagen. Greta schütteln. Wie aus einer Papiertüte alles Dumme aus ihr herausschütteln! Oder ihr eine knallen, laut und schallend, so dass alle es hören, der ganze Schulhof und die ganze Welt. Aber ich kriege keinen Ton raus. Ich kann mich nicht bewegen. Ich bin eine Schaufensterpuppe. Aus Plastik.

Greta fixiert mich mit ihren blauen Eisaugen. »Kommt! Die ist doch selbst nicht ganz dicht!«

Dann zieht sie ab mit ihrer Gang. Wie ein Schwarm giftiger Hornissen. Ssssrrrr, summm, ssssrrrr. Ich will nicht mehr an sie denken! Nicht mehr daran, was sie über Jonnie-Poponnie, meine Lachsonne, gesagt hat. Ich schleiche mich in die Aula und setze mich möglichst unauffällig neben meine Mama und meinen Clown-Bruder. Ich schließe die Augen, innerlich, damit es keiner merkt, vor allem Mama nicht, und stelle mir vor, wie ich als Zora nachts mit Branco und dem Fischer Gorian fischen gehe.

Das Meer rauscht laut. So laut, dass wir uns kaum verstehen können. Ein kalter Wind weht. Fischer Gorian gibt uns Anweisungen. Wir lassen das Netz langsam in das schwarze Meer sinken. Die groben Seile schürfen meine Hände auf. Ich friere und klappere ein bisschen mit den Zähnen. Vor mir sitzt Branco und summt leise ein Lied.

Dann beginnt die Einschulungsfeier. Die aus der 4a singen Lieder vom Sommer mit blühenden Blumen und so weiter, mit bunten Filzblumenhüten auf dem Kopf, die zu groß sind und ins Gesicht rutschen, so dass man nichts mehr sehen kann von den Gesichtern. Das sieht lustig aus und ich muss kichern! Aber ich reiße mich gleich wieder zusammen, weil Herr Jakob, mein Musiklehrer, den ich heiß und innig liebe, sozusagen verehre, streng in meine Richtung kuckt. Danach hält Frau Dr. Schmetterlich, unsere Direktorin, eine Rede, in der sie davon spricht, wie wichtig der erste Schultag für alle ist, für die Kinder und die Eltern und die Großeltern und wahrscheinlich auch für die Hunde und die Meerschweinchen und die Fische im Aquarium. Dass jetzt ein neuer Lebensabschnitt für die Kinder beginnt, dass alles bestimmt sehr aufregend und auch ein bisschen anstrengend ist am Anfang und dass alle gerne und jederzeit zu ihr kommen können, wenn sie eine Frage haben oder ein Problem, die Kinder und die Eltern und die Großeltern und wahrscheinlich auch die Hunde und die Meerschweinchen und die Fische im Aquarium. Ich schlafe beinahe ein bei der Rede von der Schmetterlich, die redet so leise und nuschelig und langsam, so langweilig! Dann applaudieren plötzlich alle. Als Nächstes müssen wir, meine Klasse, die 5a, nach vorne kommen und ein Klatsch-Rhythmus-Stück auf Englisch vortragen, das Stück heißt If you are happy and you know it, clap your hands!. Ich bekomme heiße, schwitzige Hände und rote Backen und habe Angst, dass ich keinen Ton herausbringe. Mann, ärgere ich mich über mich! Heiße Luft blubbert in meiner Brust. Wer bitte macht sich schon wegen einem so lächerlichen Mini-Auftritt bei einer lächerlichen Einschulung in die Hosen? Eine echte Zora-Zara bestimmt nicht! Meine Knie zittern und ich traue mich nicht, in Mamas und Jonnie-Poponnies Richtung zu schauen. Ich will am liebsten von der Bühne rennen. Aber da schaut Herr Jakob mich lieb an und lächelt und mir wird warm im Bauch. Ich vergesse die Zuschauer, die eiskalte Greta, meinen Psycho-Bruder, alles! Auf einmal kann ich doch singen und klatschen und schnipsen und trampeln. Meine Stimme klingt zwar ein bisschen kratzig und zitterig, aber sonst okay.

Nach der Feier gehen die Erstklässler mit ihren Klassenlehrern in ihre Klassenräume, um sich kennenzulernen. Jonnie-Poponnie ist begeistert und lacht und hüpft wie ein Gummiball an der Hand von seiner Klassenlehrerin, mit meiner supercoolen, einzigartigen, noch nie da gewesenen Jonnie-Poponnie-Drachen-Schultüte im Arm. Mama sieht einsam und klein aus, so plötzlich ohne Jonnie-Poponnie und ohne Papa, der in Paris ist.

Ich gehe zu ihr, nehme ihre Hand und sage: »Du siehst heute wirklich fantastisch aus, Mama, weißt du das!«

Und dann ziehe ich sie raus in die Sonne.