Zehn eiserne Pfeile - Sam Sykes - E-Book
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Zehn eiserne Pfeile E-Book

Sam Sykes

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Beschreibung

Gefangen im Krieg zweier verfeindeter Imperien verliert Sal Kakophonie – Gesetzlose, Ausgestoßene, Vagrantin – alles, was sie liebt: Ihre Verbündeten, ihre große Liebe … Alles, was ihr geblieben ist, ist ihre magische Waffe und der alles verzehrende Wunsch nach Rache an denen, die ihr ihre Macht gestohlen und ihr alles genommen haben. Doch als ein geheimnisvoller Gönner ihr einen Auftrag anbietet, findet sie eine neue Bestimmung: Sie soll ein magisches Artefakt von der berüchtigten Luftschiffflotte Zehn Pfeile stehlen, das möglicherweise den Krieg beenden kann. Sal Kakophonie begibt sich auf eine unmögliche Mission. »Actionreiches Fantasyepos mit einem unvergleichbaren Setting und tiefgründigen Figuren!« Publishers Weekly »Mit Sal Kakophonie hat Sykes die Heldin einer neuen Epoche geschaffen.« Pierce Brown

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Wolfgang Thon

© Sam Sykes 2020

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Ten Arrows of Iron. The Grave of Empires 2« bei Orbit, New York 2020

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Karten: Tim Paul

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Sarah Borchart, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von GettyImages

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Karte: Das Borrustal

Karte: Die Karkassen

FÜR ALL JENE, DIE IN DIE SCAR ZURÜCKKEHREN …

1. KAPITEL

JAMMERTAL

2. KAPITEL

DAS TAL

3. KAPITEL

DAS TAL

4. KAPITEL

JAMMERTAL

5. KAPITEL

DAS TAL

6. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

7. KAPITEL

JAMMERTAL

8. KAPITEL

SCHNEEHUHN

9. KAPITEL

WOANDERS

10. KAPITEL

TERASSUS

11. KAPITEL

MAKELLOS’ SICHERES HAUS

12. KAPITEL

WOANDERS

13. KAPITEL

TERASSUS

14. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

15. KAPITEL

DER KRÄHENMARKT

16. KAPITEL

DER KRÄHENMARKT

17. KAPITEL

JAMMERTAL

18. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

19. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

20. KAPITEL

YUN ATTOROS ANWESEN

21. KAPITEL

DAS KLEINE PARADIES

22. KAPITEL

DAS KLEINE PARADIES

23. KAPITEL

YUN ATTOROS ANWESEN

24. KAPITEL

YUN ATTOROS ANWESEN

25. KAPITEL

YUN ATTOROS ANWESEN

26. KAPITEL

YUN ATTOROS ANWESEN

27. KAPITEL

JAMMERTAL

28. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

29. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

30. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

31. KAPITEL

DIE MASOCHISTISCHE KRÖTE

32. KAPITEL

DAS TAL

33. KAPITEL

DAS TAL

34. KAPITEL

JAMMERTAL

35. KAPITEL

DAS TAL

36. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

37. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

38. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

39. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

40. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

41. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

42. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

43. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

44. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

45. KAPITEL

DIE EISERNE FLOTTE

46. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

47. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

48. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

49. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

50. KAPITEL

JAMMERTAL

51. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

52. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

53. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

54. KAPITEL

WOANDERS

55. KAPITEL

DAS FLAGGSCHIFF

56. KAPITEL

JAMMERTAL

57. KAPITEL

DAS TAL

Glossar

Für alle Leserinnen und Leser, die ihre Narben tragen.

FÜR ALL JENE, DIE IN DIE SCAR ZURÜCKKEHREN …

Vielleicht habt ihr ja die Geschichten von Sal Kakophonie gehört, jene Vagrantin mit der magischen Pistole, die nur Ruinen und Schlacke hinterlässt, Zerstörerin von ZwieLicht, Rächerin von Starks Murmeln, Mörderin von Vraki dem Tor. Vielleicht auch nicht. Oder ihr erinnert euch einfach nicht daran, was man euch nicht verübeln könnte.

Aber habt Nachsicht mit mir. Ich war meistens betrunken.

Alles fing an, als ich von einer gewissen Milizgouverneurin namens Tretta Stern »gefangen genommen« wurde. Eine Nervensäge von Frau im Dienst der Glorreichen Revolution der Faust und der Flamme. Im Auftrag der Revolutionäre wollte sie wissen, wieso ich in der Scar so gewütet hatte. Vermutlich ging es ihr aber nur darum, etwas über das Schicksal eines bestimmten Soldaten zu erfahren, den sie retten wollte.

Ich war auf der Jagd nach Leuten, die allesamt den Tod verdient hatten. Vagranten, die das Imperium verraten hatten und es zerstören wollten. Das genau so brutal war wie die Revolution, nur dass hier Magie statt Kanonen herrschten. Und beide wollten sich gegenseitig vernichten. Angeführt wurden diese Vagranten von Vraki dem Tor.

Bei der Verfolgung landete ich im Haus meiner früheren Geliebten Liette, die Grund hatte, böse auf mich zu sein, und noch mehr Gründe, mir nicht zu helfen. Was soll ich sagen? Ich bin wahrscheinlich einfach zu charmant.

Jedenfalls folgten wir diesen bösartigen Leuten zusammen in eine Siedlung namens Starks Murmeln, wo wir einer Horde Fanatiker aus Eden entkamen und herausfanden, dass die Vagranten ein Scrath beschworen und sofort wieder verloren hatten. Um eine solche Bestie zu beschwören, entführten sie Kinder aus Starks Murmeln. Ich heftete mich an ihre Fersen.

Dabei lief mir Cavric Stolz über den Weg, ein Soldat der Revolution. Ich würde ihn entführen – darum ging es bei Tretta Sterns Verhör. Nachdem ich mir sein Fahrzeug und ihn selbst ausgeborgt hatte (ich hatte es eilig, konnte aber diesen blöden »Eiserner Keiler« genannten Panzer nicht fahren), folgten wir der Spur der Vagranten zur Überdrüssige Mutter, einem Schiff und einer mobilen Festung der Aschmäuler, dem größten Verbrechersyndikat der Scar.

Nach einer aufregenden Schlacht erfuhren wir, dass Vraki die Kinder an einen machtvollen Ort gebracht hatte, zu den Karkassen. Dieses Schlachtfeld war von Magie aus den Kämpfen zwischen Revolution und Imperium so verseucht, dass Vraki dort genug Energie vorfand, um ein weiteres Scrath zu beschwören. Wir stießen auf die ehemalige Garnisonsstadt Vigil. Sie war von einem Wunderkind des Imperiums namens Rote Wolke zerstört worden. Wunderkinder sind Magier, die für ihre Magie keinen Tribut an die Lady Merchant zahlen müssen.

Ich kannte sie gut. Denn ich war einst die Rote Wolke.

Obwohl ich Tretta meine frühere Identität als gefeierte Heldin des Imperiums verriet, erschoss sie mich nicht sofort, weil sie aus reiner Neugier wissen wollte, was passiert war.

Vraki und ich gehörten zur Kronenverschwörung, die die Imperatrix und ihren mit keinerlei magischen Fähigkeiten begabten Sohn stürzen und beide durch einen wahren Thronfolger ersetzen wollte. Nur planten meine »Freunde«, mich zu verraten und mir meine Magie zu stehlen. Auch mein früherer Geliebter war unter ihnen, Jindu die Klinge.

Ich brannte darauf, es ihnen heimzuzahlen.

Jedenfalls stritten Liette und ich uns, und sie verließ mich in Vigil. Von dort erreichte ich mit Cavric die Freistatt ZwieLicht, die von einem bemerkenswerten Freimacher errichtet worden war, Zwei-Einsame-Alte-Männer. Es war eine wunderschöne Stadt, ein Triumph der Bannschreiberei und der Ingenieurskunst, und selbst das Imperium und die Revolution kämpften innerhalb der Mauern nicht gegeneinander.

Vielleicht hätte ich sie lieber nicht zerstören sollen.

Habe ich aber. Um Vrakis Kumpane aufzuscheuchen. Und es funktionierte. Ich folgte ihnen zum Kastell Hundszahn, einer zerstörten imperialen Festung. Sie verdankt ihre Berühmtheit der Tatsache, dass dort Imperiale Magier residierten, sich gegen die Imperatrix auflehnten und zu Vagranten wurden, als sie erfuhren, dass ihr Sohn keine magische Gabe besaß.

Was dann passierte, war unglaublich. Ich kämpfte gegen Vraki und seine Anhänger, rettete die Kinder aus Starks Murmeln, verhinderte, dass Vraki eine nichtmenschliche Monstrosität beschwor, und kam knapp mit dem Leben davon: Und flüchtete mithilfe von Cavric und Liette, die gerade rechtzeitig zurückkehrte, nach Lohstaff.

Allerdings wurde ich von Vraki und Jindu verfolgt, die sich an mir rächen wollten. Sie kamen zurück und zerstörten die Stadt … und ich machte mit. Ich erschütterte die ganze Region in ihren Grundfesten, erledigte Vraki, doch Jindu, der Mann, der mich verraten, der mein Herz mit einem Dolch durchbohrt hatte … den ließ ich entkommen.

Bis heute weiß ich nicht, warum. Liette verließ mich, wieder einmal. Ich folgte ihr nicht. Was ich ZwieLicht und Lohstaff angetan hatte, wollte ich nicht auch ihr antun.

Tretta Stern wollte mich exekutieren, nachdem sie meine Geschichte gehört hatte, aber Cavric, der mir seine Entführung verzieh, ermöglichte mir die Flucht.

Dann verschwand auch er.

Mir blieb nur mein Namensvetter – der Kakophon. Die Waffe, die Magie verschießt, brennt, wenn sie wütend ist und manchmal mit mir spricht. Und obwohl Vraki und seine Handlanger tot waren, waren das nur sieben Namen auf der Liste derer, die mich verraten hatten. Also zog ich weiter, auf der Suche nach den anderen. Und dann ging alles erst so richtig den Bach runter …

1. KAPITEL

JAMMERTAL

Der Tag, an dem es Feuer vom Himmel regnete, begann wie jeder andere.

Meret erwachte wie immer vor Sonnenaufgang und machte sich daran, die Kräuter zu zerreiben, die er getrocknet hatte, und sie in Salben und Tinkturen zu mischen. Er packte die Arznei, die er brauchte – einen Balsam für Rodics Verbrennungen, die er sich in der Schmiede geholt hatte, eine Salbe für das schlimme Knie des alten Erton und wie immer eine Flasche Avonin-Whiskey für unvorhergesehene Ereignisse des Tages, in seinen Beutel und machte seine Runde, wie immer seit seiner Ankunft in Jammertal vor drei Monaten.

Der Name war etwas ungerecht, fand er. Immerhin war es schon sehr lange her, dass eine Frau eine Scheune neben dem Grabhügel ihres einzigen Kindes errichtet hatte, um darin zu leben. Seitdem waren viele Menschen in das fruchtbare Tal gekommen und hatten sich hier niedergelassen, sodass Jammertal zu einer blühenden Siedlung angewachsen war, die einen würdigeren Namen verdient gehabt hätte.

Es war nicht so groß wie Terassus oder die größeren Städte im Tal, aber Jammertal war einer der besseren Orte, in die sein Beruf ihn geführt hatte. Die Menschen waren nett, die Winter milde und der Wald um die Siedlung herum lieferte Wildbret, war aber nicht so groß, dass größere Bestien hier herumschnüffelten. Jammertal war insgesamt ganz nett. Und Meret sagte sich gern, dass er dazu beigetragen hatte.

»Verdammich, Junge, du hast deine wahre Berufung als Folterknecht verpasst!«

Einige waren da freilich anderer Ansicht.

Er blickte von dem frischen, antiseptischen Verband um Sindras Knie zu ihrem schmerzverzerrten Gesicht hoch und hoffte nur, sie sah, wie satt er diesen Scherz hatte.

»Und ich hätte gedacht«, sagte er zu seiner neuesten Patientin, »Soldaten wären aus härterem Holz geschnitzt.«

»Wäre mein Name Sindra Hart, würde ich dir zustimmen«, knurrte die Frau. »Da der Große General aber geruhte, mich Sindra Ehrlich zu nennen, erkläre ich dir, dass das hier …«, sie deutete auf den Verband, »verflucht wehtut.«

»Er schmerzt erheblich weniger, als es die Infektion tun würde, die diese Salbe verhindert.« Meret befestigte den Verband und wagte es, die Frau spöttisch anzugrinsen. »Ich hatte dir eingeschärft, wie wichtig es ist, die Wunde sauber zu halten, also darf ich sagen: Ich habe es dir gesagt.«

Sindras Blick haftete eine unbehagliche Sekunde auf ihm, bevor sie ihr Knie ansah. Und als er dann über ihr Bein glitt, verfinsterte sich ihre ohnehin schon gereizte Miene.

Der Verband markierte die Stelle, wo ihr Bein endete und die Prothese aus Metall und Holz begann, die man ihr vor Monaten angepasst hatte. Sie bewegte den Fuß, als wäre sie immer noch nicht überzeugt, dass die Prothese tatsächlich real sein könnte. Eine kleine Reihe von Sigillen glühte schwach auf.

»Verfluchte Magie!« Sie schnaubte verächtlich. »Ich bin nicht sicher, ob ich mit nur einem Bein nicht besser dran wäre.«

»Ich bin sicher, dass du ohne die Prothese nicht so vielen Menschen helfen könntest«, erwiderte Meret. »Und genau genommen handelt es sich bei Bannschrieb nicht um Magie.«

»Ich war Revolutionärin, Junge.« Sindra zog verächtlich das Hosenbein über die Prothese. »Ich erkenne beschissene Magie, wenn ich sie sehe!«

»Ich dachte, die Soldaten der Grandiosen Revolution von Faust und Flamme – so heißt sie doch, oder? – wären so rein und idealistisch, dass ihnen keine vulgären Ausdrücke über die Lippen kämen.«

Sindras dunkelhäutiges und vorzeitig gealtertes Gesicht verzog sich zu einer säuerlichen Grimasse. Es passte jedoch zum Rest ihres Körpers. Breite Schultern und kräftige muskulöse Arme zeichneten sich unter ihrem alten Militärhemd deutlich ab. Sie zeugten von harter Arbeit, harten Kämpfen und noch härteren Feinden. Ihr Haar war vorzeitig ergraut, ihr Stiefel vorzeitig durchgelaufen – und ihr Herz war vorzeitig desillusioniert. Der einzige Teil an ihr, der nicht vorzeitig auseinanderfiel, war das Schwert an ihrer Hüfte. Das musste ebenso scharf sein wie ihre Zunge.

»Es heißt Die Glorreiche Revolution der Faust und der Flamme, du kleiner Scheißkerl«, murmelte sie. »Und es ist nur gut, dass ich nicht mehr dabei bin, stimmt’s?«

»Wahrlich«, brummte Meret. »Sonst könnte ich dich kaum behandeln.«

»Ja, ich beschissener Glückspilz«, knurrte Sindra. »Ich hätte nichts gegen ein bisschen Alchemie von unseren Kader-Heilern. Eine Dosis, und ich könnte die ganze Nacht kämpfen.«

»Ich bin nur ein bescheidener Apotheker, Madame«, gab er zurück. »Und obwohl Kräuter und Bandagen länger brauchen, heilen sie genauso gut.«

Sindra stand seufzend auf. Ihre Prothese knarrte. »Du hast Glück, dass die Alternative lautet, dich um mich zu haben oder Soldaten. Hätte ich die Wahl zwischen einem vorlauten Apotheker, der kein bisschen heilen kann, und einem Hornschädel, der schon seit Tagen nicht gefressen hat, würde ich mich freiwillig in Soße wälzen und eigenhändig sein Maul aufsperren.«

Er stimmte ihr zu, behielt es aber für sich.

Jammertal hatte das Glück gehabt, von den Kämpfen zwischen der Revolution und seinem hasserfüllten Feind, dem Imperium, der den Rest des Tales verwüstet hatte, bislang verschont geblieben zu sein. Die Wildnis um die Siedlung herum war angeblich hart umkämpft und die Scheune von Bauer Renson von einem verirrten Kanonenschuss zerschmettert worden. Aber im Großen und Ganzen kämpften die beiden Fraktionen hauptsächlich um Städte und Ressourcen. Eine Siedlung wie Jammertal war höchstens ein paar Scharmützel zwischen Angehörigen eines Revolutionskaders und ein paar Magiern des Imperiums wert.

Und ein solches Scharmützel hatte Sindra vor zwei Jahren hierhergeführt. Bei einem Kampf mit einem imperialen Greifmagus war sie schwer verletzt und von Kameraden und Feinden als tot zurückgelassen worden. Die Bewohner der Siedlung hatten sie gerettet, sie aufgepäppelt und sie angefleht, ihr Schwert und ihre Kraft zur Verteidigung ihrer Siedlung einzusetzen. Auch wenn sie innerlich nach Genugtuung lechzte, hatte sie schließlich zögernd eingewilligt.

Meret vermutete, dass die Geschichte weit weniger dramatisch gewesen war, erwähnte es jedoch nicht. Sollte der Krieg jedoch jemals in dieses Tal kommen, würde eine mittelalte Frau mit einem Schwert ihn schwerlich aufhalten können. Das vermochten nicht mal hundert Kämpfer.

Er war im Tal gewesen und hatte die durch Magie zerschmetterten Panzer gesehen, die durch Kanonenbeschuss zerstörten Ruinen von Städten und Ortschaften, all die Friedhöfe und die Leichen auf den Straßen.

Aber das hatte ihn nicht abhalten können. Wegen all der Verletzten war er in das Tal gekommen, nachdem das Imperium wieder angefangen hatte, es zu besiedeln. Er fragte sich, ob er nur deshalb so lange in Jammertal blieb, weil er nie wieder die Chance bekam, so viele Verletzungen zu heilen.

»Ich kann dich nicht bezahlen, ist dir das klar?«

Sindra riss ihn aus seiner Träumerei. Die Frau beugte sich über den kleinen Tisch, der mit dem kleinen Stuhl, der kleinen Kommode und einem kleinen Bett die ganze Möblierung in ihrem kleinen Haus war. Sie starrte mit gesenktem Kopf auf ihre Hände, aber er sah die Scham in ihrem Gesicht.

»Das hier ist nicht Terassus«, sagte sie leise. »Hier gibt es keine Reichtümer, und auch wenn du mehr für diese Siedlung getan hast, als wir verdient haben …«

Sie konnte den Satz nicht beenden, und er drängte sie nicht. Er hatte gelernt, dass es zwei Arten von Wunden gab. Verletzungen, die Kräuter und Verbände und Tinkturen heilen konnten, wenn man Glück hatte. Wenn nicht, musste man Wunden heilen, wie Sindra sie hatte, und alle Soldaten.

Überall im Tal fand man sie: Soldaten, die miterlebt hatten, wie ihren Freunden die Gesichter vom Kopf schmolzen, die nachts von den Geistern all jener verfolgt wurden, die sie getötet hatten, und keinen Grund mehr sahen, aufzustehen.

Sindra war eine starke Frau, eine der stärksten, wenn nur die Hälfte ihrer Geschichten zutraf. Trotzdem hatte man sie, das Schwert der Revolution, zurückgelassen, weil sie ihren Kameraden nicht mehr helfen konnte.

Wie heilte man ein Schwert, das nicht mehr töten konnte?

Meret wusste es nicht. Er wusste nur, was sein Meister ihn gelehrt hatte: Wie man verhinderte, dass sich Wunden entzündeten, wie man Knochen zusammenfügte und vor allem eine Kur anzuwenden, die fast nie ihre Wirkung verfehlte.

»Hast du Becher?«

Sindra blickte ihn verwirrt an. »Was?«

»Becher, Gläser. Von mir aus auch Näpfe, wenn du sonst nichts anderes in dieser Bruchbude hast.« Er holte den Whiskey aus seiner Tasche und schwenkte die Flasche. »Du willst mich bezahlen? Ich habe gerade meine Runde beendet, und ich trinke nicht gern allein.«

Sindra grinste. »Mach die Scheißtür zu. Es schneit bald.«

Er lächelte, ging zur Tür und blickte zu den Wolken hoch. Sie hatte recht. Der Winter hielt wie jedes Jahr früh Einzug im Tal. Es schneite sacht, und eine Schicht aus kalten schwarzen Flocken viel sanft auf die Dächer der Siedlung …

»Moment mal!« Meret kniff die Augen zusammen. »Schwarz?«

Irgendwo weit entfernt in dem dichten, erdrückenden Grau des Himmels hörte er Lärm. Wie von einem Voccaphon, dachte er. Dieses sonderbare, knisternde, maschinenartige Gemurmel, das nie ganz menschlich klang. Es war ein Lied, das lauter wurde, eines, das er schon einmal gehört hatte.

»Ist das …« Sindra warf einen Blick aus dem Fenster. »Ist das nicht die Hymne der Revolutionäre?«

Im nächsten Moment explodierte der Himmel.

Zuerst kamen die Geräusche. Dröhnen, Ächzen von splitterndem Holz und schrilles Kreischen von zerberstendem Metall. Die Wolken flammten plötzlich rot, als hätte jemand mit einem Messer einen langen Schlitz hindurchgezogen.

Dann kam das Feuer.

Glutregen zunächst, dann fielen faustgroße Bruchstücke und schließlich Brocken herab, so groß wie Meret. Ein zerborstenes Stück Holz landete krachend auf Rodics Feld und loderte auf wie ein Scheiterhaufen. Ein Stück Metall, so lang wie ein Rothac, durchbohrte das Dach eines Hauses, das sofort Feuer fing. Überall über der Siedlung loderten Flammen, und das in nur einem von Asche und Rauch erstickten Atemzug.

Dann kam das Schiff.

Sein Bug bohrte sich durch die grauen Wolken, die von der gewaltigen eisernen Galionsfigur eines streng dreinblickenden Mannes mit ausgestrecktem Arm geteilt wurden. Ihm folgte der von schwarzen und roten Wunden übersäte Rumpf, aus dessen Planken Feuer loderte. Die Propeller an Deck und Bug kreischten gequält, als sie überhitzt auseinanderbrachen. Einen glorreichen Augenblick lang wurde der Himmel von dem wunderschönen Anblick dieses Schiffes illuminiert, wundervoll wie kein anderes Schiff, das er in den reichsten Häfen in der Scar gesehen hatte, und so hell brannte wie eine kleine Sonne.

Dann zerbarst es.

Meret besaß noch so viel Geistesgegenwart, zu schreien, als es sich in die Erde bohrte. Offenbar hatten die Götter ihn gehört, denn das Schiff schwenkte von der Siedlung weg, rodete eine rußgeschwärzte Schneise durch den Wald und schlug auf den Feldern daneben auf. Eine Rauchwolke blähte sich auf, rollte durch die Stadt und hüllte alles in Dunkelheit.

»Oh, Kacke!«

Er hatte nicht bemerkt, dass Sindra neben ihm stand und mit offenem Mund in die brennenden Wolken starrte, während die Asche auf ihre Lippen rieselte.

»Das war ein verdammtes Luftschiff von der Flotte des Großen Generals«, flüsterte sie ehrfürchtig. »Ich erinnere mich an die Propaganda und die Gemälde. Diesen Schatz der Revolution werden sie nicht einfach hier zurücklassen. Wir müssen die Siedlung räumen, bevor sie hierherkommen.«

Hätte Meret diesen ausgezeichneten Ratschlag auch ganz gehört, hätte er vermutlich zugestimmt. So jedoch schnappte er nur die Hälfte ihres Satzes auf, bevor er wie ein von der Tarantel gestochener Idiot zur Absturzstelle rannte.

Er wusste selbst, wie dumm das war. Aber es war schon dumm, den Leuten aus dem Tal helfen zu wollen, und noch dümmer, überhaupt Apotheker zu werden. Also gab es keinen Grund, jetzt mit den Dummheiten aufzuhören. Er lief nur langsamer, wenn er den neugierigen Zuschauern Warnungen zuschrie. Erst bei der ersten Leiche blieb er stehen.

Genau genommen stolperte er darüber und landete mit dem Gesicht im Dreck. Als er zurücksah, verzog er beim Anblick eines mit Orden übersäten blauen Mantels das Gesicht. Es war immer etwas riskant, Revolutionäre zu behandeln, weil sie dazu neigten, einen anschließend zum Dienst in ihrer Armee zu zwingen. Glücklicherweise war dieser Kerl tot.

Nicht ganz so glücklich war, dass er von Magie getötet worden war. Aus seiner Brust ragte ein Eiszapfen heraus, und so etwas machten nur Magier des Imperiums. Das bedeutete, der Krieg hatte dieses Schiff hierhergebracht. Und umgekehrt.

Er rappelte sich auf und betrachtete die verbrannten und zerschmetterten Leichen rund um das Schiff. Er hatte noch nie so viele Leichen an einem Ort gesehen.

»Du verdammter Blödmann!«

Eine Hand packte ihn unsanft an der Schulter, und er wirbelte erschreckt herum. Aber es war nicht die Revolution, die ihn in ihre Kriegsmaschinerie einsaugen wollte, und auch keine magisch zum Leben erweckte Leiche. Als er in Sindras wütendes Gesicht sah, hätte er jedoch beides vorgezogen.

»Ist dir nicht klar, was hier vorgeht?«, fuhr sie ihn wütend an. »Alle im ganzen Tal haben den Absturz des Luftschiffes mitgekriegt. Entweder kommt die Revolution, um die Trümmer zu bergen, oder das Imperium, um die Sache zu Ende zu bringen. Beides endet damit, dass Jammertal und alle, die darin leben, vernichtet werden.«

»Aber ich muss helfen …«, begann Meret kläglich.

»Wem willst du helfen?«

Gute Frage. Selbst wenn er Überlebende fand, würden Kräuter und Salben wohl kaum Leuten helfen, die von einem riesigen Luftschiff zerschmettert oder von Blitzen oder anderen magischen Waffen getroffen worden waren.

Aber er konnte immer noch den Menschen von Jammertal helfen. Und sie brauchten Hilfe. Denn was auch immer ihnen bevorstand, es würde kein gutes Ende nehmen.

Er seufzte, drehte sich um und nickte Sindra zu. Sie gab ihm eine Kopfnuss. Dann gingen sie beide los.

In dem Moment bewegten sich die Trümmer.

Er hörte das Ächzen von Holz, fuhr herum und folgte dem Geräusch. Als wollte sie ihn begrüßen, tauchte eine Hand auf.

Sie steckte in einem schmutzigen blutverschmierten Lederhandschuh. Blau-weiße Tätowierungen von Wolken und Flügeln überzogen einen Arm vom Handgelenk bis zum Ellbogen. Die Finger der Hand zuckten.

Jemand lebte. Und brauchte Hilfe.

Jedenfalls ging Meret davon aus, als er darauf zulief. Dann bewegte sich der Trümmerhaufen, und ein Balken wurde von einer Gestalt zur Seite geschoben, die in der Aschewolke nur undeutlich zu erkennen war.

Doch der Rauch verzog sich, und die Feuer erloschen allmählich. Meret hatte eine Frau vor sich.

Sie war groß, schlank, muskulös, mit Tätowierungen auf beiden Armen, und sie zitterte, während sie angestrengt atmete. Ihre schmutzige Lederkleidung verbarg die alten Narben und frischen Verletzungen kaum. An ihrer Hüfte hing eine leere Schwertscheide. Ihr Haar war imperialweiß, kurz geschoren und von einer schwarzen Ascheschicht überzogen. Ihre blassblauen Augen starrten blicklos über das Feld.

Er wollte zu ihr gehen, aber Sindra hielt ihn zurück.

»Nein.« Ihre Stimme klang nicht ärgerlich, sondern furchtsam. »Nicht, Meret. Der kannst du nicht helfen.«

»Warum nicht?«

»Siehst du die Tätowierungen nicht?«

Er musterte ihre Unterarme. »Das sind Vagranten-Tätowierungen. Sie ist demnach eine rebellische Magierin?«

»Nicht irgendeine, du Narr!«, flüsterte Sindra. »Hast du die Geschichten und Warnungen nicht gehört? Das ist keine einfache Gesetzlose.« Sie deutete drohend mit einem Finger auf sie. »Das ist Sal Kakophonie.«

Es lief ihm eiskalt über den Rücken. Natürlich hatte er von ihr gehört, wie jeder in der Scar. Sal Kakophonie, die Frau, die nur Elend und Zerstörung zurückließ. Die mehr Menschen getötet und mehr Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht hatte als selbst die wildesten Bestien oder die grausamsten Gesetzlosen. Sie war die Frau, die die Überreste ihrer Feinde in der ganzen Scar hinterließ – Vagranten, Imperiale, Revolutionäre …

Angeblich tötete Sal Kakophonie alles und jeden, der über die Erde wandelte. Vielleicht stimmte es, vielleicht hatte sie Schlimmeres getan als das, was die Geschichten behaupten. Aber in diesem Moment auf dem von Asche bedeckten Feld dachte Meret nicht an irgendein Vielleicht, sondern nur an zwei Dinge, die wirklich wahr waren. Erstens, dass er sich umdrehen und davonlaufen sollte, bis er den Namen von Jammertal vergessen hatte. Und zweitens, dass er das niemals tun würde.

»Meret!«

Sindra hatte einmal das ganze Dorf zusammengeschrien, als sie glaubte, jemand würde ihr Schwert anfassen. Als sie jetzt seinen Namen flüsterte, weil er auf die weißhaarige Frau zuging, klang das sonderbar. Sie folgte ihm nicht, sondern streckte nur die Hand nach seiner Schulter aus. Sie schien Angst zu haben, die Aufmerksamkeit dieser Frau zu erregen.

Vielleicht hatte er das ja auch. Vielleicht glaubte er, die Katastrophe von Jammertal fernhalten zu können, wenn er sich ihr näherte, oder seine morbide Neugier, die ihn in dieses vom Krieg gebeutelte Land geführt hatte, zwang ihn, endlich einmal in die Augen einer Mörderin zu blicken statt immer nur in die von Toten.

Aber nicht das Vielleicht zählte, sondern die Wahrheit. Jemand war verletzt, und er konnte helfen.

»Madame?«

Seine Stimme war so zaghaft, dass er selbst sie im Fauchen des Feuers und dem Knarren des zerschmetterten Luftschiffes kaum hören konnte. Sal Kakophonie keuchte, starrte in die Ferne und schien sie nicht wahrzunehmen. Er trat einen Schritt näher und sprach lauter.

»Bist du verletzt?«

Sie sah ihn nicht an und schien auch nicht zu bemerken, dass alles um sie herum brannte. Vielleicht war es ein Trauma. So etwas hatte er schon erlebt.

»Wir haben gesehen, wie das Schiff abstürzte …« Er warf einen Blick auf das zerstörte Luftschiff, aus dem immer noch Flammen schlugen. »Ich meine, alle haben es gesehen. Was ist …« Er richtete seinen Blick wieder auf Sal. »… passiert …?«

Statt in ihre Augen blickte er in eine Pistolenmündung. Aus poliertem Messing und geformt wie ein grinsendes Drachenmaul. Sie starrte ihn mit ihren Metallaugen an. Um den Zylinder kräuselte sich Dampf, als würde das Ding atmen. Ein glänzender Griff aus schwarzem Holz schmiegte sich in ihre Hand, oder vielleicht klammerte sie sich auch daran fest, als sie die Waffe auf sein Gesicht richtete, den Finger am Abzug. Sie spannte den Hahn mit einem höllisch lauten Klicken.

Das fast so laut war wie das Klatschen, mit dem ihm das Herz in die Magengrube rutschte.

Meret starrte in das schwarze grinsende Loch zwischen den Kiefern der Waffe. Jede Geschichte über die Frau ging mit einer Geschichte über diese Waffe einher. Der Kakophon entzündete Feuer, die niemals erloschen. Der Kakophon verbog Metall und zertrümmerte Steine. Der Kakophon sang ein so wildes Lied, dass es jeden tötete, der es hörte.

Er hatte nicht allzu viele Geschichten über diese Waffe gehört, aber selbst wenn er keine einzige gehört hätte, hätte er sie geglaubt. Waffen sollten Menschen nicht ansehen können. Jedenfalls nicht so.

»Imperial?«

Beim Klang der rauen Stimme hob er den Blick über den Lauf und begegnete ihren blauen Augen, die nicht mehr in die Ferne blickten, sondern auf ihn gerichtet waren. Über die rechte Seite ihres Gesichts zog sich eine lange Narbe, und ihr kalter Blick war genauso durchdringend wie die Messingaugen der Pistole.

»W…was?«, stammelte er.

»Bist du ein Imperialer?« Die unmerkliche Veränderung im Tonfall von Sal Kakophonies Stimme deutete an, dass sie die Frage beim dritten Mal seiner Leiche stellen würde.

Er schüttelte den Kopf. »Ne…nein.«

»Revolutionär?«

»Nein. Ich bin einfach nur …« Ohne den Blick von ihren Augen und der Waffe zu nehmen, deutete er in Richtung Jammertal. »Ich komme aus dem Dorf da. Wir sind neutral.«

Sie musterte ihn lange, bis ihr Blick dann erwartungsvoll auf die Pistole glitt, als würde sie darauf warten, dass die Waffe entschied, ob er log oder nicht.

Konnte die Pistole das? Er war sich nicht sicher, ob er nicht irgendwo darüber eine Geschichte gehört hatte.

»Du kennst diese Waffe?«, erkundigte sie sich.

Er nickte.

»Du weißt, wozu sie imstande ist?«

Er nickte.

»Und, muss ich sie benutzen?«

Er schüttelte den Kopf.

Entweder glaubte sie ihm, oder ihr war klar, dass sie ihm genauso gut den Hals umdrehen konnte, statt eine Patrone zu verschwenden. Jedenfalls verschwand die Pistole mit einem Zischen in einem Futteral an ihrer Hüfte.

Ohne die unmittelbare Bedrohung durch ihre Feuerwaffe konnte er sie endlich eingehender mustern. Sie atmete ruhiger, und die Wunden schienen ihr nichts auszumachen. Gehörte das zu ihrer Legende? Fühlte Sal Kakophonie keinen Schmerz?

»Du bist ein Heiler?«

Offenkundig doch! Er bemerkte, wie sie seinen Arztbeutel betrachtete. »Ja.« Er öffnete die Klappe. »Ich habe Salben und … alles mögliche Zeug.« Er schluckte und betrachtete ihre Wunden. »Welche Schmerzen spürst du denn, und …?«

»Es geht nicht um mich.« Sie trat zur Seite und zeigte nach unten. »Sondern um sie.«

Zwischen den Trümmern lag eine Frau. Sie war bleich und schlank, trug schlichte Kleidung. Ihr strähniges, schwarzes Haar umrahmte ein von Schnittwunden und Kratzern übersätes Gesicht. Ihr Rock war zerrissen und ihre Bluse von Blut und Ruß beschmutzt. Eine Brille mit gesprungenen Gläsern lag auf ihrer Brust.

Sie sah nicht wie eine Vagrantin aus oder wie irgendjemand, an dem Sal Kakophonie interessiert sein könnte. Sie war eine ganz gewöhnliche Frau, wie man sie auch an gewöhnlichen Orten wie Jammertal finden konnte.

Warum sollte ein Monster wie Sal Kakophonie sich wohl mit ihr abgeben?, fragte Meret sich im Stillen.

»Hilf ihr.«

Meret verschob die Suche nach der Antwort auf diese Frage auf später. Zuerst musste er dieser Frau helfen.

Er kniete sich neben die blasse junge Frau und untersuchte sie, so gut er konnte, bewegte behutsam ihre Gliedmaßen und lauschte ihrer Atmung. Er sah Sal Kakophonie dabei kein einziges Mal an und machte ihr damit keine allzu große Hoffnung. Sie mochte ein Monster sein, aber jetzt war sie nur ein Mensch, der sich Sorgen um eine verletzte Freundin machte. Sie brauchte keine Hoffnung, sie brauchte Informationen.

Und die konnte er ihr geben.

»Das Atmen fällt ihr schwer«, murmelte er. »Angesichts des Sturzes nicht weiter verwunderlich. Aber ich kann keine inneren Blutungen feststellen.« Er sah auf ihr Bein. »Sie hat sich den Oberschenkel und den linken Arm gebrochen. Es würde mich sehr erstaunen, wenn das alles wäre.« Als er aufstand, klopfte er sich Asche von seiner Kleidung. »Von den Schnittwunden und Prellungen ganz zu schweigen.«

»Kannst du ihr helfen?«

Als er sich zu ihr umdrehte, stellte er fest, dass sie nicht mehr kalt und abweisend wirkte, sondern weich, fast zärtlich. Das passte so gar nicht zu einem Monster.

»Vielleicht. Aber sag mir erst, was hier passiert ist«, antwortete er.

Ihr Blick wurde härter, und ihrer Stimme hörte man an, dass sie sich nicht wiederholte, ohne blankzuziehen.

»Das brauchst du nicht zu wissen. Hilf ihr, dann hilfst du dir selbst.«

Trotz der Flammen fröstelte ihn. Seine Knie wurden weich, und es verschlug ihm den Atem. Eine solche Kälte hatte er nicht gefühlt, seit er ins Tal gekommen war und die Leichen gesehen hatte. Aber auch damals war er nicht zurückgezuckt.

»Nein«, krächzte er.

»Was?«

»Nein.« Er antwortete entschlossen, straffte sich und sah sie an. »Was auch immer hier passiert ist, es betrifft diese Siedlung. Und damit auch mich.« Er schluckte schwer. »Ich werde ihr helfen. Aber du musst es mir erzählen.«

Sie starrte ihn an. Hatten die Geschichten geschildert, dass sie nie blinzelte, oder hatte er das gerade erfunden?

Sie hob die Hand, und er zwang sich, den Blick nicht von ihren Augen zu nehmen.

Ihre Hand zuckte zu seiner Taille. Seine Angst lag wie ein Eisblock in seinem Magen, und er fürchtete, ein Messer in seinem Bauch zu sehen, wenn er den Blick senkte. Er keuchte, als sie langsam die Hand zurückzog. Sie hielt die Whiskeyflasche in der Hand, die er eingepackt hatte.

»Avonin.« Ihre Pupillen weiteten sich kurz. »Verdammt, Kerl! Wofür brauchst du den?«

»Um Wunden zu desinfizieren.«

Sie sah ihn an, als hätte er gerade ihre Mutter beleidigt. Dann deutete sie mit dem Kinn auf die bewusstlose Frau. »Wie viel davon brauchst du für ihre Behandlung?«

»Ich … Ich weiß es nicht. Die Hälfte vielleicht?«

»Sicher?«

»Nein.«

»Denk nach.«

Er warf einen Blick auf die Frau am Boden und nickte. »Die Hälfte.«

Sal Kakophonie erwiderte das Nicken, zog den Korken mit den Zähnen aus der Flasche, spuckte ihn aus, setzte die Flasche an und trank, ohne Luft zu holen, bis sie genau die Hälfte der Flasche geleert hatte. Dann gab sie sie ihm zurück, leckte sich die Lippen und spuckte aus.

»Ich erzähle es dir«, sagte sie. »Aber du musst mir etwas versprechen.«

Er musterte sie, während sie ihren Blick über das Wrack des Luftschiffes gleiten ließ. »Einverstanden.«

»Du brauchst mir nicht zu versprechen, dass du mir verzeihst«, sagte sie. »Aber wenn ich zu Ende erzählt habe …«

Sie schloss die Augen, als eine Brise schwarze Asche über sie wehte. »Versprich mir, dass du es zumindest versuchst.«

2. KAPITEL

DAS TAL

Also, worüber sprach ich gerade?

Ach ja, richtig. Das Massaker.

Das Blut sickerte mir ins Auge, deshalb brauchte ich eine Sekunde, bis ich es bemerkte, aber seine Deckung war offen. Sein Arm war müde, er konnte seine Klinge nicht mehr ganz so hoch halten, und die Spitze schleifte über die Erde, als er eine Staubwolke aufwirbelte und mich angriff.

»Stirb, Kakophonie!«, kreischte er.

Er brüllte und schwang sein Schwert, als er in Reichweite kam. Ich wich dem Schlag aus und riss meine eigene Klinge hoch. Blut spritzte durch die Luft. Sein Schwert streifte meine Wange und hinterließ einen blutigen Schnitt.

Mein Schwert dagegen …

Er versteifte sich, seine Augen waren vor Entsetzen starr, sodass er die zehn Zentimeter Eisen in seinem Bauch nicht sehen konnte. Seine Lippen bewegten sich, als er irgendwelche bedeutungsvollen letzten Worte suchte, aber es kam nur ein blubbernder Sturzbach aus Blut aus seinem Mund, der auf die Erde klatschte. Wo er drei Sekunden später ebenfalls landete, als ich meine Klinge aus seinem Bauch zog.

Er lag regungslos da, ein weiterer dunkler Fleck auf einem anderen dunklen Fleck Erde. Genau wie die anderen vier.

Als das Geschrei und das Klirren aufhörten, ließ ich meine Klinge sinken. Mein Atem brannte in meiner Lunge, und mein Speichel schäumte rot. Er tropfte und landete auf der Wange einer weiblichen Leiche. Der war es bestimmt egal, denn es war längst nicht das Schlimmste, was ich ihr und den anderen angetan hatte.

Dabei hatte ich ihnen genug Möglichkeiten eingeräumt. Ich war in ihr Tal spaziert, die Klinge in der Hand, die Arme weit ausgebreitet. Ich hatte meinen eigenen Namen geschrien und ihre verflucht. Ich hatte auf Geheimniskrämerei, Überraschungsmoment und jede Art von Subtilität verzichtet und mich auf ein Schwert und dreckige Ausdrücke verlassen. Und jetzt waren sie tot. Und ich lebte noch.

Arschlöcher.

Immerhin, sie hatten ihr Bestes gegeben. Ich war von zumeist oberflächlichen Schnittwunden übersät; eine Stichwunde hätte mich allerdings fast erledigt. Aber das Blut, das in der kalten Bergluft auf meiner Brust trocknete, war zum größten Teil nicht mein eigenes. Ich atmete angestrengt, meine Narben schmerzten, mir taten alle Knochen weh, mein ganzer Körper litt. Trotzdem war ich noch nicht am Ende.

Soll heißen, ich musste noch einen Magus töten.

Ein Abzug klickte, eine Armbrustsehne knallte, und ein Bolzen flog kreischend durch die Luft. Ich hob den Kopf. Der Bolzen war so lang wie mein Arm, streifte meine Wange und grub sich drei Schritt von mir entfernt in einen verkrüppelten Baum.

Der Junge mir gegenüber hielt eine für seine Hände viel zu große Armbrust. Er erwiderte verdattert meinen Blick. Ich schniefte und wischte mir das frische Blut von der Wange.

»Verdammt, Junge! Ich habe mich nicht bewegt und dich nicht einmal gesehen. Und du hast mich trotzdem verfehlt.« Ich deutete auf das Blut seiner Kameraden auf meinem Körper. »Muss ich wirklich noch näher herankommen?«

Ich ging mit dem Schwert in der Hand langsam auf ihn zu, dann trabte ich. Als er nach einem Bolzen griff, rannte ich.

Im selben Moment reduzierte er sich von einer Person auf jemanden, der vergeblich nach Worten suchte und Mühe hatte, die Armbrust zu spannen. Hätte ich noch länger gewartet, hätte er mich vielleicht tatsächlich getötet.

Aber niemand sollte Sal Kakophonie nachsagen, dass sie von einem Schwachkopf zur Strecke gebracht worden war, der nicht mal richtig zielen konnte. Mein Schwert sang, und alle Schmerzen waren vergessen, als ich weiterstürmte.

Er schoss erneut und verfehlte mich noch deutlicher als zuvor. Dann gab er auf, ließ die Armbrust fallen und griff mit zitternden Fingern nach seinem Gürtel. Ich dachte, er wollte das viel zu große Schwert an seiner Hüfte zücken. Stattdessen nahm er ein verbeultes Signalhorn und setzte es an die Lippen.

Er stieß zweieinhalb Töne aus, die laut durch das Tal hallten. Der dritte wurde abgeschnitten, als ihm das Horn aus den Händen fiel, weil sich mein Schwert in seine Brust grub. Ich beobachtete, wie er zusammenbrach und mit dem Gesicht in den Staub sank. Wieder jemand, der mich nicht hatte töten können. Einen Moment drängte es mich, ihn umzudrehen und ihn würdevoll mit dem Gesicht zum Himmel sterben zu lassen.

Aber das konnte ich nicht. Ich wollte nicht wissen, wie jung er war. Wahrscheinlich viel zu jung und nicht für das Banditenleben geeignet. Ich hätte ihn auch entwaffnen, ihn verprügeln und nach Hause schicken können.

Andererseits hätte er mich töten können.

So betrachtet war es seine Schuld.

Ein kalter Wind fegte durch das Tal und wehte mir den Schal ins Gesicht. Ich zog ihn fester um den Kopf und überlegte, ob er diesen Tod vorausgesehen hatte, als Cassa die Traurige ihn in ihre Bande aufgenommen hatte.

Mein Blick wurde von dem prachtvollen Herrenhaus angezogen, das majestätisch über dieses Tal aus rissiger Erde und vertrockneten Bäumen herrschte. Jedenfalls war es einmal prachtvoll gewesen. Vor langer Zeit hatte irgendein aristokratischer imperialer Dandy dieses Haus zwischen den murmelnden Bächen und wogenden Wäldern zu seinem Feriendomizil gemacht. Der Krieg hatte den Weg hierher gefunden, die Bäche ausgetrocknet, die Wälder in Brand gesetzt, und das verfallene Anwesen war den menschlichen Aasgeiern überlassen worden.

Derzeit war dieser Aasgeier eine Vagrantin, deren Namen ich vor langer Zeit auf eine Liste geschrieben hatte.

Ich ließ die Leichen im Dreck liegen, während ich zu dem Herrenhaus ging. Mein Blick glitt über die vernagelten Fenster und suchte nach Armbrustspitzen zwischen den Spalten. Aber mich begrüßten nur Schatten und eine riesige zweiflüglige Tür.

Ich betrachtete das Portal, zog die Whiskeyflasche aus meinem Gürtel und nahm einen Schluck.

»Keine Heckenschützen«, stellte ich fest. »Aber sie müssen das Signal gehört haben. Also hat Cassa nicht genug Leute, weil sie keine Zeit gehabt hat, neue zu rekrutieren. Sie ist Hals über Kopf hierher geflüchtet.« Ich warf einen Blick auf das verfallene Anwesen. »Sie hat Schiss.«

In der Kälte fühlte ich seine Hitze an meiner Hüfte noch deutlicher als sonst. Mit einem rasselnden, lachenden Unterton redete mein ständiger Begleiter mit mir.

»Das sollte sie auch.«

»Richtig.« Ich schnaubte. »Trotzdem, sie hat uns kommen hören. Also wartet sie ganz bestimmt mit allem, was sie hat, hinter diesen Türen auf uns.«

Ich zog den Kakophon aus dem Futteral, und er starrte mich mit seinen Messingaugen an.

»Was hältst du davon, anzuklopfen?«

Wer ihn ansah und ihn nicht kannte, mochte ihn für eine Pistole halten. Schwarzer Griff, eine messingfarbene Trommel, Hahn und Abzug, und ein Lauf, der die Form eines grinsenden Drachen hatte. Er hatte jedoch nicht die geringste Ähnlichkeit mit den primitiven Handkanonen und Bajonettgewehren in den Händen von Soldaten, die zu viel nachdachten, und von Gesetzlosen, die es zu wenig taten.

Der Kakophon war mehr als eine Waffe – vor allem, was seinen erlesenen Geschmack anging, sein feines Empfindungsvermögen und seine hemmungslose Zerstörungswut.

»Klopfen wir«, zischte er.

Außerdem konnte er sprechen. Und das ist merkwürdig.

Ich nickte, öffnete die Trommel und griff in meinen Beutel. Mein Finger fuhr über die Inschrift auf einer Patrone. Diskordanz.

Schlampig. Laut. Perfekt.

Ich schob die Patrone in die Kammer und klappte die Trommel zu. Der Kakophon brannte in meiner Faust, als ich mit ihm auf die Tür zielte und abdrückte.

Jeder hat Geschichten über ihn gehört, über die Waffe dieser einsamen Vagrantin, die Magie verschießt. Viele wissen, dass seine Patronen verzaubert sind, verhext, banngeschrieben. Und einige wenige wissen, was passiert, wenn diese einsame Vagrantin abdrückt. Lachendes Feuer am Himmel, Eisflächen am Boden, Mauern aus Lärm, die die Schreie der Menschen übertönen und mit jedem Schuss des Kakophon diesen menschlichen Abschaum hinwegfegen. Gute Geschichten. Aber nichts im Vergleich dazu, ihn in Aktion zu sehen.

Die Patrone traf die Türen, und einen Augenblick später explodierte Diskordanz. Die Luft heulte nach einem ohrenbetäubenden Knall, und mein Schal peitschte mir ums Gesicht. Diskordanz zertrümmerte das Holz, hinterließ jede Menge Splitter und ein riesiges Loch in den Türen.

Aber so laut der Knall auch war, ich konnte die Schreie immer noch hören.

Die Mauer aus Lärm verebbte nach einem Moment. Sie hinterließ ein leises Klingeln in meinen Ohren – und zerschmetterte Bretter fielen aus der zertrümmerten Tür. Ich wartete einen Moment, ob Gesetzlose säbelschwingend herauskämen oder mir eine Salve von Armbrustbolzen entgegenschlagen würde. Schließlich war ich überzeugt, dass keiner in dem Haus mich noch töten konnte.

Ich zog die Nase hoch, öffnete erneut die Trommel und schob drei neue Patronen in die Kammer: Raureif, Höllenfeuer und … Stahlpython? Nein, nicht Stahlpython. Nur weil wir uns gegenseitig umzubringen versuchten, musste man nicht gleich zum Schlimmsten greifen.

Schlussendlich nahm ich eine Sonnenblitz-Patrone, schloss die Trommel und schob den Kakophon wieder in das Futteral. Mit dem Schwert in der Hand trat ich durch einen Staubschleier durch das Loch in der Tür in das zu einer Festung verwandelte Herrenhaus.

Ein Trümmerfeld aus uralter Pracht begrüßte mich: gepolsterte und zu Feuerholz zerkleinerte Stühle, Bankett-Tische, die zu Barrikaden umfunktioniert worden waren, Porträts verschiedener imperialer Vorfahren, die zu Bettgestellen entfremdet worden waren. Auf beiden Seiten des geräumigen Wohnzimmers führten Treppen zu einer Galerie über mir. Bevor Alter und Not ihren Tribut gefordert hatten, musste das Anwesen recht stattlich gewesen sein.

Und natürlich bevor es von Leichen übersät war.

Cassas Jungen und Mädchen lagen überall auf dem Boden verstreut. Diskordanz hatte sie mitsamt ihren Waffen und ihren improvisierten Barrikaden im ganzen Zimmer verteilt. Einige stöhnten und zuckten noch, tastete nach ihren Waffen, andere schrien und umklammerten Holztrümmer, die sich in Beine oder Rippen gebohrt hatten. Andere rührten sich nicht.

Ich widmete ihnen nur so viel Aufmerksamkeit, wie ich brauchte, um den am wenigsten Verletzten unter ihnen zu finden. Ich war nicht ihretwegen hier.

Schließlich fand ich ihn, einen grauhaarigen älteren Kerl, der sich mit seinem Arm – dem einzigen Glied, das er noch gebrauchen konnte – über den Boden schleppte und nach einer schweren Arbalest griff, um mich zu erschießen. Er schrie, als ich ihm die Spitze meines Schwertes in die Hand bohrte.

Ich wartete, bis seine Schreie zu einem Wimmern verklangen, bevor ich mich neben ihn hockte. Er hob den Kopf. Sein Gesicht war faltig und vernarbt. Das hier war kein naiver Jugendlicher, der der Romantik des Banditenlebens erlegen war. Ich hatte es mit einem Veteranen zu tun, und das erleichterte die ganze Sache hoffentlich.

»Wo ist Cassa die Traurige?«, fragte ich ihn.

»Fick … dich …!«

Was sagt man über die Hoffnung in der Scar? Sie wäre ebenso nützlich wie eine von einem Schwert durchbohrte Hand.

»Er ist aufsässig, was?« Der Kakophon kicherte in seinem Futteral. »Hol mich raus und zeig ihm unser Verhandlungsgeschick.«

Seine Auffassung von Diplomatie bestand für den Kakophon darin, so lange Leute zu erschießen, bis die Überlebenden ihm verrieten, was er wissen wollte. Das war zwar verlockend, aber ich wusste etwas Besseres.

Ich seufzte, stützte mich auf den Schwertgriff und beugte mich zu ihm hinunter. Er zuckte zurück, weil er einen Schlag ins Gesicht oder Schlimmeres erwartete.

»Wie heißt du?«

Das hatte er nicht erwartet. »Wa…was?«

»Dein Name«, sagte ich. »Entweder der, mit dem du geboren wurdest, oder der, den du angenommen hast, als du dich ihr angeschlossen hast. Ich weiß, dass auch die Handlager von Vagranten auf blumige Namen stehen.«

»Rishas«, erwiderte er.

Ich sah ihm in die Augen, während ich langsam nickte.

»Wie alt bist du, Rishas?«

»Fick d…!«

Meine Faust auf seinem Kinn überraschte ihn.

»Wir müssen diese Sache nicht unzivilisiert erledigen.« Meine Stimme war ebenso samtig, wie mein Schlag hart gewesen war. Ich warf einen Blick auf mein Schwert. »Ich meine damit noch unzivilisierter, als wir uns bereits benommen haben. Ich möchte nicht, dass dein letzter Eindruck von mir der einer gnadenlosen Person ist, also erleichtern wir uns die Sache, einverstanden? Wie alt bist du?«

Er zögerte, keine Ahnung, ob aus Stolz oder vor Schmerz. Aber am Ende antwortete er.

»Vierundvierzig«, knurrte er.

»Vierundvierzig. Alt für einen Gesetzlosen. Du bist doch nicht so alt geworden, weil du dumm bist, oder?«

Er antwortete nicht. Das Schweigen zwischen uns dauerte an, bis ich es brach.

»Du kennst meinen Namen?«

Er starrte mich an und öffnete den Mund, als wollte er mich verfluchen. Stattdessen lief ihm ein blutiges Rinnsal über die Lippen, und er nickte.

»Sie hat ihn dir gesagt?«, erkundigte ich mich.

Er nickte wieder.

»Du weißt also, wer ich bin«, stellte ich fest. »Also weißt du, dass ich nicht den ganzen Weg in dieses Tal gekommen bin, um alte Gesetzlose umzubringen.« Ich warf einen vielsagenden Blick auf seine Gefährten. »Deine Freunde dachten, dass ihre Loyalität sich auszahlt und sie reichlich belohnt werden, wenn sie weiterkämpfen. Aber das heilt ihre zerbrochenen Knochen nicht, richtig?« Ich sah ihn wieder an.

Er kniff die Augen zusammen.

»Ich wette, dass Cassa nicht die erste Vagrantin ist, für die du kämpfst«, fuhr ich fort. »Du hast wahrscheinlich schon unter einem Dutzend abtrünniger Magier gedient, hab ich recht? Also weißt du, wie sie sind – sie betrachten dich als ein Werkzeug, genauso wie ihre Magie, nur sehr viel entbehrlicher. Du weißt genau, dass sie für eine Null wie dich niemals sterben würden.«

Ungeduldig trommelte ich mit den Fingern auf den Schwertgriff.

»Ich bin bereit, dich zu töten, um an sie heranzukommen, Rishas«, gestand ich ihm. »Bist du bereit zu sterben, um sie vor mir zu schützen?«

Rishas holte tief Luft und hielt sie an. Er hatte sichtlich Schmerzen und warf einen Blick auf das Blut, das sich unter seiner Hand gebildet hatte.

»Ich habe mich ihr vor sechs Tagen angeschlossen«, presste er heraus. »Sie sagte mir, sie würde von einer Vagrantin verfolgt. Als ich hörte, dass es sich um dich handelte, hätte ich fast auf der Stelle kehrtgemacht. Ich dachte mir, dass es keinen Sinn hätte, gegen eine Legende zu kämpfen, nach all dem, was du und deine beschissene Knarre den Erzählungen zufolge in ZwieLicht angerichtet haben.«

Ich war froh, dass mein Gesicht von meinem Schal verdeckt wurde. Nachdem ich seine Hand mit meinem Schwert durchbohrt hatte, wäre es seelisch grausam gewesen, ihm jetzt auch noch mein breites Grinsen zu zeigen.

»Natürlich siehst du jetzt verdammt abgerissen aus«, knurrte er und musterte mich. »Also kannst du unmöglich so legendär sein, wie sie es von dir glaubt.«

Jetzt ärgerte ich mich über den Schal, denn er hätte an meinem Gesicht sicher gesehen, was ich als Nächstes vorhatte.

Ich verdrehte das Schwert, und er schrie. Folter führt nur dazu, dass einem der Gefolterte einen ganzen Haufen von Lügen auf die Nase bindet, die man hören will. Ich machte es nur aus Bosheit.

»Scheiße!«, kreischte er.

»Hat sie dir auch erzählt, dass ich so etwas machen würde?«, erkundigte ich mich. »Hat sie dir erzählt, was ich noch mit dir anstelle, wenn du mir nicht sagst, wo verflucht sie ist? So viel kann sie nicht wert sein, Rishas.«

»Ja … dachte ich auch …«, rasselte er. »Dachte schon, dass ich für dich nur ein unbedeutendes Ärgernis wäre.«

»Du hättest auf dich hören sollen.«

»Wie sich herausstellt«, er sah mich an und grinste mit seinem blutigen Mund, »genügt das manchmal.«

Ich brauchte nicht zu fragen, was er damit meinte, denn ich hörte das Lied der Lady Merchant.

Ein einzelner Ton wie zerberstendes Glas. Das atemlose Flüstern einer sterbenden Frau tausend Meilen entfernt. Die Sprache des Windes, der Klang sich beschleunigender Zeit, das letzte Wort, das du hörst, bevor du dich auf den Weg zum schwarzen Tisch machst. Jeder beschreibt auf seine Weise, wie die Stimme klingt, die Magie ankündigt.

Für mich hörte es sich an wie knisternde Flammen und zischender Rauch.

Was? Nein, Moment. Das war das Geräusch des Feuers.

In meinem Augenwinkel flammte etwas Helles auf, und meine Füße bewegten sich, bevor mein Gehirn kapierte, was da passierte. Ein Vorhang aus Feuer fraß sich durch die verfaulten Planken und den uralten Dunst und verschluckte Rishas Schreie, als er unter den Flammen verschwand.

Ich hoffte für ihn, dass sich sein letztes Lachen gelohnt hatte.

Hitze fegte über meine Haut, und rußige Flecken bildeten sich wie Tintenflecke auf Pergament. Der Schmerz in meinen Narben verriet mir, dass ich eigentlich hätte sterben müssen.

Der Schal um meinen Hals summte, und winzige Sigillen auf dem Stoff leuchteten violett auf, bevor sie erloschen, als ihre Magie verbraucht war. Glücksschrieb-Tuch war sehr selten, sehr kostspielig und sehr nützlich, um mir den Arsch zu retten, wenn ich unachtsam geworden war. Es war das erste Geschenk, was sie mir gemacht hatte, und ihm verdankte ich es, dass ich noch am Leben war.

Er hatte jedenfalls kein bisschen dabei geholfen.

Ich zog den Kakophon und starrte böse in seine grinsende Mündung. »Das hätte mich fast umgebracht. Du bist nicht auf die Idee gekommen, mich zu warnen?«

»Also bitte!«, rasselte er metallisch. »Wenn du von so etwas Primitivem wie gewöhnlichem Feuer zur Strecke gebracht würdest, wärst du es nicht wert, mich zu tragen.«

Bevor ich antworten konnte, unterbrach mich ein sehr unhöflicher lauter Schrei.

»Nein!«

Die Flammen teilten sich und enthüllten die rußigen Überreste von Rishas Leichnam neben meinem Schwert. Mein Blick richtete sich auf die Galerie über dem Wohnzimmer und auf die hagere Gestalt, die dort stand.

Cassa die Traurige hatte schon besser ausgesehen.

Ihre Eltern waren Bauern gewesen, und auch wenn ihre Manifestation als Glutmagierin sie von der Plackerei auf den Feldern bewahrt hatte, hatte sie doch die roten Wangen, die dicken Arme und die pummelige Gestalt einer Bäuerin. Sie bot wirklich keinen besonders beeindruckenden Anblick. Andererseits, wenn man Feuer aus allen Poren schießen kann, spielt das wohl auch keine große Rolle.

»Verdammt!« Unter Cassas dichten Brauen glühten ihre Augen violett mit Magie. Flammen liefen knisternd von ihren Schultern zu ihren vor Wut geballten Fäusten. »Warum zum Teufel musstest du dich bewegen, Sal?«

»Klar«, gab ich zurück. »Der Fehler liegt natürlich bei mir und nicht bei dir feuerspuckendem magischem Miststück!«

»Er war ein guter Mann!«, fauchte sie. »Das waren sie alle, und keiner hat verdient, was du ihnen angetan hast.«

»Dann hättest du ihn vielleicht nicht umbringen sollen.« Ich durchbohrte sie mit meinem Blick. »Du hättest es einfach machen können, Cassa. Du weißt, warum ich hier bin.«

Cassa musterte von der Empore herab die vernarbte Frau unter ihr. Die versengte Haut, der unter den rasselnden Atemzügen zitternde Körper, die von drei Nächten ohne Schlaf blutunterlaufenen Augen, deren Blick auf sie gerichtet war.

»Ich habe gehört, man könnte dich nicht umbringen«, sagte sie. »Aber du siehst aus, als könntest du dich kaum auf den Beinen halten. War das auch nur eine Lüge?« Sie schnaubte. »Die Geschichten behaupten, Sal Kakophonie käme, um zu töten, zu vernichten, zu …«

»Sie sucht jemanden, der weniger geschwätzig ist und besser riecht als du. Deine Jungs und Mädchen haben sich mir in den Weg gestellt«, sagte ich mit einem kurzen Blick über die Schulter auf die Reste ihrer Gesetzlosen. »Aber ich habe nicht vor, sie alle umzubringen. Wir können die Sache schnell oder langsam erledigen. Schnell heißt, wir reden wie Magier miteinander, von Angesicht zu Angesicht und ohne Tricks oder Drohungen. Langsam bedeutet, dass ich am Ende doch von dir oder von ihnen erfahre, was ich wissen will.«

Ich zog den Schal zur Seite und zeigte ihr die Narbe über meinem rechten Auge. »Dann überlebt das niemand von euch.«

Das Lied der Lady Merchant verstummte, und das Licht in Cassas Augen erlosch, während die Flammen auf ihrer Haut zu einem schwachen Glühen herabsanken. Jetzt konnte ich die Frau etwas besser sehen. Sie war korpulent, aber ihre Schultern hingen herab, und sie hatte dunkle Ringe um die Augen. Ihre alte imperiale Uniform schlackerte um ihren Körper. Sie war zerrissen, sodass ich die Flammen-Tätowierungen an ihren Schlüsselbeinen sehen konnte. Allesamt waren sie frisch, nicht verblasst wie die Sturmwolken auf meinen Armen.

Als sie noch als imperiale Magierin gedient hatte, hatte Cassanara yu Althama den Ruf, vernünftig zu sein. Trotz ihrer vernichtenden Gabe zögerte sie, blindlings zu kämpfen. Ihre Wertschätzung für ihre Untergebenen hatten sie zu einer sehr beliebten Anführerin der Streitkräfte des Imperiums gemacht.

Deshalb hatten sich alle gewundert, warum sie zur Vagrantin geworden war.

Aber diese stolze imperiale Magierin war verschwunden. Cassa die Traurige, die Vagrantin, die Gesetzlose, die Flüchtige, war eine erschöpfte, zerlumpte und gebrochene Frau, die sich mit Leuten abgab, die sie nicht mochte, eine Arbeit erledigte, die sie nicht interessierte – und das in einer Welt, die sie nicht verstand.

Vielleicht glaubte ich deshalb, ich könnte, ohne zu kämpfen, bekommen, was ich wollte. Vielleicht war ich auch nur dumm. Ich war müde, deshalb war das schwer zu sagen.

Immerhin machte sie keine Anstalten anzugreifen. »Rede.«

Ich hob langsam eine Hand, schob sie in meinen Schal und nahm einen dünnen Fetzen Papier aus einer Innentasche. Dann faltete ich das zerknitterte Blatt langsam auseinander.

»Du hast die Geschichten über mich gehört«, sagte ich. »Du weißt also, was das hier ist?«

Cassa nickte. »Eine Liste mit Namen. Lauter Vagranten. Die dir alle Unrecht angetan haben … jedenfalls behauptest du das.«

Bei ihren Worten schmerzte die Narbe, die von meinem Schlüsselbein bis zu meinem Bauch führte. Ich verbarg meine Grimasse hinter meinem Schal, als ich den Zettel wieder zurückschob.

»Richtig, lauter Namen«, bestätigte ich. »Neun sind durchgestrichen. Und du stehst nicht auf dieser Liste, ebenso wenig wie einer deiner Leute hier. Wenn du mir eine Frage beantwortest, können wir es dabei belassen.«

Cassa warf mir einen hochmütigen Blick zu. »Dann frage.«

Ich blickte zu ihr hoch, und der Geruch von Asche drang mir in die Nase. Meine Narbe juckte dermaßen, wie sie es nur tat, wenn irgendetwas schrecklich schiefzugehen drohte.

»Wo ist Darrish die Steinerne?«

Dann versuchte sie ernsthaft, mich umzubringen.

Das Lied der Lady ertönte in meinen Ohren, wurde aber von dem Geräusch von auflodernden Flammen verschluckt, die wiederum von dem wütenden Schrei aus Cassas Kehle übertönt wurden. Flammen loderten von ihren Händen auf, liefen über ihre Arme, ihre Schulter und ihren Hals, bis sie eine Löwenmähne aus Feuer trug.

Sie streckte die Hände in meine Richtung aus. Wellen aus Flammen strömten aus ihren Fingerspitzen, über die Balustrade der Galerie auf mich zu.

»Jetzt aber zur Sache, Schätzchen.«

Der Kakophon sprang mir förmlich in die Hand. Ich richtete ihn nach oben und drückte ab.

Die Raureifpatrone schoss aus seinem Maul, und eine Wolke aus bläulichem Eis breitete sich aus, um die Flammen zu verschlucken. Als sie aufeinanderprallten, wurde aus dem Frost Wasser. Vorhänge aus weißem Dampf waberten durch den Raum und behinderten meine Sicht.

Ich hörte ihren Schrei durch den Nebel, spürte durch die Erschütterung der Dielenbretter, wie sie von der Galerie sprang und auf dem Boden landete, und sah sie wie ein fernes Licht durch den Dunst. Dann spürte ich ihre Hitze.

In einem Moment versuchte ich noch, meine Waffe zu heben, aber ihr Feuer war schneller, als ich schießen konnte. Glut flog von ihren Fingerspitzen, und wo sie mich traf, brannte meine Haut, und der Gestank von versengtem Fleisch stieg mir in die Nase. Ich sprang fauchend zurück, um Platz zu gewinnen. Aber sie kannte mich und meine Waffe und gab uns nicht den Raum, den wir brauchten.

Der Dampf umwaberte mich und gab mir Deckung. Ich konnte sie sehen, aber da ich kein Feuer ausstrahlte, bezweifelte ich, dass sie mich sehen konnte. Ich musste versuchen, sie in dem Dampf abzuschütteln, musste so lange rückwärtsgehen, bis ich einen Fluchtweg fand.

Es wäre ein großartiger Plan gewesen, wäre ich nicht in dem Moment gegen einen ihrer Jungs gestoßen. Er reagierte schneller als ich, schlang seinen Arm um meinen Hals und hielt mich fest. Mir war nicht ganz klar, ob er seinen Plan wirklich durchdacht hatte, weil sie uns ohne Zögern beide verbrennen würde. Aber ich hatte keine Zeit, ihm das zu erklären. Oder für irgendwelche Experimente. Ich stemmte mich einfach gegen ihn und drängte ihn zurück. Er war nicht sehr viel größer als ich und nicht von der Angst getrieben, bei lebendigem Leib verbrannt zu werden.

Cassa stürmte kreischend aus dem Dampf auf mich zu und griff nach mir. Ich wehrte mich nach Kräften gegen meinen Häscher, aber er hielt mich weiterhin fest, während sie näher kam. Hätte das Feuer in ihren Händen, das den Dampf durchdrang wie ein Leuchtturm den Nebel, mich nicht umbringen sollen, hätte ich es fast schön gefunden.

Stattdessen holte ich mit dem Kakophon aus und schwang ihn an meinem Bein vorbei zwischen die meines Angreifers. Ich weiß nicht, ob ich die gewünschte Stelle traf, aber sein gellender Schrei verriet mir, dass es nah genug gewesen war.

Er verlor die Balance, ich packte ihn und schwang ihn vor mich wie einen Mantel aus Fleisch und Leder. Im gleichen Moment erreichte das Lied der Lady ein Crescendo. Das Feuer schwoll zu einem tosenden Inferno an.

Die Flammen schlugen über ihm zusammen und erstickten seine Schreie. Ich ließ ihn los, flüchtete in den Dampf und blieb erst stehen, als die Hitze nicht mehr quälend, sondern nur noch schmerzhaft war.

Ich wirbelte herum. Cassa strahlte wie ein Leuchtfeuer in weißen Schleiern. Aber sie suchte nicht nach mir, sondern hatte nur Augen für den Körper ihres Handlangers, der regungslos dalag und vom Feuer verschlungen wurde.

»Nein!« Cassa fiel auf die Knie, während sie den am Boden liegenden Mann mit demselben Entsetzen anstarrte, mit dem sie einen gefallenen Geliebten angesehen haben mochte. Vielleicht war er das ja. Aber dann hätte sie ihn halt nicht umbringen sollen.

»Es tut mir leid!«, schrie sie, obwohl er sie nicht hören konnte. »Es tut mir leid! Ich musste … Ich konnte nicht …«

Sie streckte die Hand aus und zog sie dann wieder zurück, als hätte sie Angst, dass er zu Asche zerfiel. Ihr Feuer erlosch flackernd und zischend.

Ich muss zugeben, dass ich bei diesem Anblick innehielt. Es gibt Legenden über jeden Vagranten, auch über Cassa die Traurige. Sie diente dem Imperium pflichtbewusst und überlegt. Als Vagrantin verlangte sie den höchsten Respekt von ihren Jungen und erwies ihnen denselben auch.

Wenn man das Imperium abschüttelt, verändert einen das, sicher, aber ich hatte nicht erwartet, dass sie so rücksichtslos und emotional reagieren würde. Was bedeutete dieser Name auf der Liste für sie, dass sie dafür so kämpfte? Warum opferte sie alle Vernunft und Logik dafür?

Und warum hörte ich das Lied der Lady anschwellen, während ihr Feuer erlosch?

»Wenn noch jemand lebt, lauft!«, rief sie in den Dampf. »Wenn keiner mehr laufen kann, verzeiht!«

Etwas loderte in den Dampfschleiern auf. Das Feuer wurde heller.

»Aber ich kann sie nicht gehen lassen.«

Und heißer.

»Vergebt mir.«

Und riesig.

Es loderte misstönend auf, ebenso wie das wütende Heulen, das sie ausstieß, und das wilde Lied der Lady. Das alles erfüllte meine Ohren. Und das Feuer füllte alles andere.

Ich hob den Kakophon, aber es war zu spät. Flammen fauchten von ihrem Körper in alle Richtungen und verzehrten den Dampf. Ich sank auf den Boden und versuchte verzweifelt, wegzukrabbeln, geblendet von den hellen Flammen, erstickt von der brennenden Luft, und kämpfte gegen den Schmerz an, als Blut und Asche auf meine Haut fielen.

Das Feuer umhüllte mich, verzehrte alles Fleisch, totes oder lebendiges. Es jagte mich auf allen vieren über den Boden und ich dachte nur noch an Flucht. Nur wusste ich in der Hitze und dem Rauch nicht, wohin ich kroch. Bis ich auf eine rußige Leiche und ein Stück Stahl im Boden stieß.

»Sal.«

Ihre Stimme hinter mir war leise, und ihre Schritte waren gelassen. Sie wusste, dass es vor ihr und ihren Flammen kein Entkommen gab. Und obwohl ich mich nicht umdrehte, spürte ich das Bedauern in ihrem Blick, der auf meinen Rücken gerichtet war, als sie die Hand hob. Und ihr Feuer brannte.

»Es hat nicht so kommen müssen«, flüsterte sie.

»Doch«, antwortete ich, streckte die Hand aus und packte den Griff eines Schwertes. »Musste es.«

Das erhitzte Metall brannte durch das Leder meines Handschuhs, aber es war längst nicht der schlimmste Schmerz, den ich je gefühlt hatte. Nicht einmal die schlimmste Brandwunde. Ich orientierte mich an ihrer Stimme, die Richtung, aus der sie gekommen war, riss mein Schwert aus der Hand der Leiche, und die rot glühende Klinge fuhr fauchend durch die Luft.

Es klatschte. Und dann zischte es, als etwas auf den Boden spritzte.

Mit einem enttäuschten Seufzen erloschen Tausende magischer Flammen in Rauch und ersterbender Glut, und auch das Lied der Lady erstarb.

In der Mitte der schwarzen Ruine stand Cassa die Traurige. Blut troff aus dem roten Schlitz an ihrer Kehle. Sie sank auf die Knie, als ich aufstand. Cassa griff an ihre Kehle, als wollte sie die Wunde versiegeln, aber sie wusste, dass es vorbei war.