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Der süße Traum vom Glück!
Lübeck, 1872: Anna Hohenhaus, die aus einfachen Verhältnissen stammt, und der attraktive Konditor Albert Robek verlieben sich ineinander. Doch die nicht standesgemäße Verbindung führt zu Problemen: Anna macht sich ihre beste Freundin, die selbst ein Auge auf Albert geworfen hat, zur Feindin. Und auch Albert muss sich dem Willen seiner Familie widersetzen, wenn er seinen starken Gefühlen nachgibt. Gegen alle Widerstände heiraten die beiden. Ihr großer Traum ist eine Marzipanmanufaktur. Anna hat die kreativen Ideen, während Albert das Handwerk versteht. Weder schwere Schicksalsschläge noch finanzielle Engpässe halten sie davon ab, aus der kleinen Lübecker Konditorei ein weltbekanntes Unternehmen aufzubauen. Aber wird ihr Glück auch gegen die Missgunst von ihrer alten Freundin bestehen?
Die faszinierende Geschichte einer starken Frau, die eine kleine Lübecker Konditorei zu einem Weltunternehmen macht.
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Seitenzahl: 414
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
Personenverzeichnis
Teil I
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Teil II
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Dank
Über die Autorin
Impressum
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Der süße Traum von Glück
Lübeck, 1873: Anna Hohenhaus, die aus einfachen Verhältnissen stammt, und der attraktive Konditor Albert Robek verlieben sich ineinander. Doch die nicht standesgemäße Verbindung führt zu Problemen: Anna macht sich ihre beste Freundin, die selbst ein Auge auf Albert geworfen hat, zur Feindin. Und auch Albert muss sich dem Willen seiner Familie widersetzen, wenn er seinen starken Gefühlen nachgibt. Gegen alle Widerstände heiraten die beiden.
Ihr großer Traum ist eine Marzipanmanufaktur. Anna hat die kreativen Ideen, während Albert das Handwerk versteht. Weder schwere Schicksalsschläge noch finanzielle Engpässe halten sie davon ab, aus der kleinen Lübecker Konditorei ein weltbekanntes Unternehmen aufzubauen. Aber wird ihr Glück auch gegen die Missgunst von ihrer alten Freundin bestehen?
Die faszinierende Geschichte einer starken Frau, die eine kleine Lübecker Konditorei zu einem Weltunternehmen macht.
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Die Familie Quast
Roland Quast – Bankier, Vater von Rosa und Anna
Anneliese Quast – seine Frau
Rosa Quast – seine eheliche Tochter
Anna Hohenhaus – Tochter von Stina Hohenhaus und uneheliche Tochter von Roland Quast
Stina Hohenhaus – Mutter von Anna und Köchin im Hause Quast
Bastian Lindgren – Advokat
Angestellte der Familie Quast
Minna – Zofe von Rosa
Paula – Hausmädchen
Die Familie Robek
Otto Robek – Bäckermeister
Helene Robek – seine Frau
Albert Robek – ihr Sohn, Konditormeister
Angestellte der Familie Robek
Christian Wilk – Konditor, Freund von Albert
Anton Koplin – Konditormeister
Heinrich Holm – Mitarbeiter der Pralinenmanufaktur
Bille – Hausmädchen
Karla – Bedienung im Café
Lore – Verkäuferin in der Bäckerei
Fritz – Kellner im Café
Emil – Bäckerlehrling
Lotte Schäfer – Mitarbeiterin in der Konditorei
Theo Günther – Buchhalter
Egon Schumann – Handlungsreisender
Sonstige Personen
Medizinalrat Friedrich Balhorn
Karl Linde – Brauereibesitzer
Johann Lieder – Buchhändler
Doktor Pauly
Nichts kann so tröstlich seinwie ein Stück Marzipan.
Lübeck, Juli 1872
Rosa Quast drehte sich vor dem großen Standspiegel in ihrem Zimmer hin und her und betrachtete sich ausgiebig. Das, was die Reflexion ihr zurückwarf, schien ihr zu gefallen, denn sie lächelte ihrem Bild zufrieden entgegen.
»Was meinst du, Anna? Dieses Kleid steht mir doch ausgezeichnet. Rosé ist meine Farbe. Mein Vorname wurde nicht ohne Grund gewählt. Findest du nicht auch, dass die Turnüre eine schlankere Silhouette macht als die unpraktische Krinoline?« Sie strich mit den Händen an ihrer schmalen Taille entlang. Das Korsett hatte sie von Minna, ihrer Zofe, extra eng schnüren lassen, damit ihre Figur diese wespenförmige Form erhielt, die als chic erachtet wurde.
Das Kleid bauschte sich unterhalb ihres Rückens, vorn fiel es glatt nach unten. Es war ein neuer Schnitt, der in der letzten Zeit immer mehr in Mode kam, und Rosa war eine der ersten jungen Frauen, die sich diese Kreation leisten konnten. »Papa hat keine Kosten und Mühen gescheut und mir freie Hand bei der Schneiderin gelassen! Ist das nicht lieb von ihm? Er ist so stolz, dass ich die Reifeprüfung bestanden habe.« Sie drehte und wendete sich vor dem Spiegel.
»Dass du überhaupt atmen kannst«, bemerkte Anna mit einem Lächeln und bestaunte die schlanke Taille, die ein wenig unnatürlich wirkte, wie sie fand. »Hast du keine Angst um deine Gesundheit?«
Rosa winkte ab. »Ach, papperlapapp. Eine Frau von Welt muss schlank und elegant gekleidet sein, wenn sie einen passenden Verehrer finden will.«
Anna nickte zustimmend und blickte an sich herab. Sie trug ein älteres Tageskleid mit einer Tunika darüber, das Korsett locker geschnürt. »Ich lege keinen Wert auf eine Wespentaille. Allerdings will ich auch keinen der höheren Söhne beeindrucken«, fügte sie schnell hinzu, als sie sah, wie ihre Freundin eine Augenbraue hob. Rosa schien besessen davon, die schlankste Frau der Stadt zu sein. Als ob ihr das mehr Verehrer einbringen würde ... Anna schüttelte den Kopf. Sie selbst wollte um ihrer selbst willen geliebt werden, nicht weil sie so eng geschnürt war, dass sie beinahe keine Luft bekam.
»Gefällt es dir nicht?«, fragte Rosa überrascht.
»Doch, wie kommst du darauf?«
Sie wagte nicht, Rosa zu verärgern, was leicht der Fall war, denn die Freundin bekam manchmal ein Wort in den falschen Hals, und schon brach sie einen Streit vom Zaun.
»Du hast mit dem Kopf geschüttelt.« Rosa sah sie eindringlich an, registrierte mit ihren blauen Augen jede Bewegung. Ihr Blick war unstet, immer so rastlos, als würde sie ihre Umgebung unaufhörlich sondieren. Das machte Anna nervös.
»So? Hab ich das?«, fragte Anna, und wagte kaum zu atmen.
»Ja, ich habe es genau gesehen.« Rosa sah sie über den Spiegel hinweg an, warf das lange blonde Haar, das sie zu Zöpfen geflochten trug, über ihre Schultern. Diese Frisur ließ sie jünger erscheinen, als sie war.
Ihre Nase zierten einige Sommersprossen, die im Sommer deutlicher hervortraten, ebenso war ihr Haar zu dieser Jahreszeit heller als sonst. Anna überragte die Freundin ein kleines Stück, sodass Rosa immer zu ihr aufschauen musste, was ihr wohl gar nicht gefiel, daher trug Rosa gerne Schuhe mit einem Absatz, die sie größer erscheinen ließen.
Anna setzte sich auf einen Stuhl und zog die Augenbrauen zusammen. »Es tut mir leid, ich war nicht ganz bei der Sache. Aber mein Kopfschütteln galt auf keinen Fall deinem Kleid. Du siehst reizend damit aus. Die eleganteste junge Frau der Stadt, würde ich sagen.« Derlei Komplimente hatte sie sich in der Vergangenheit angewöhnt, denn ihre Freundin brauchte diese Bestätigung. Rosa konnte nur schwer mit Kritik umgehen. Sie war es gewohnt, dass sie die schönste, charmanteste und am meisten umworbene junge Frau in Lübeck war. Etwas anderes ließ sie nicht zu. Und wenn es doch so war, dann schlug ihr das aufs Gemüt, und sie bekam Migräne. Dies galt es zu vermeiden, denn mit einer gereizten Rosa wollte niemand etwas zu tun haben. Beim Anblick des Kleides fiel es Anna schwer zu lügen, denn das Rosé war um einige Nuancen zu grell für eine feine junge Dame.
»Das Kleid ist wie für dich gemacht, Rosa«, sagte sie, nickte zur Bestätigung und presste dann die Lippen aufeinander, damit keine weitere Lüge aus ihrem Mund kam. Sie hasste es, die Unwahrheit zu sagen, es war aber ratsam, wenn dieser Tag nicht mit Streit enden sollte.
Seit sie denken konnte, hatte Anna gelernt, sich immer im Hintergrund zu halten. Rosa war die Tochter einer der reichsten Bankiersfamilien in Lübeck, während Anna nur die Tochter der Köchin der Familie Quast war, was Rosa sie oft genug spüren ließ. Sie sprach es nie laut aus, aber ihr Verhalten machte es so deutlich, dass Anna es auf keinen Fall vergessen konnte.
Es trennten sie nur vier Monate, die Anna eher zur Welt gekommen war. Zumindest war sie Rosa hier eine Nasenlänge voraus und konnte nicht einmal etwas dafür. Sie waren gemeinsam unterrichtet worden und später auf das traditionsreiche Katharineum gewechselt, wobei Anna sich als wesentlich bessere Schülerin erwies als Rosa. Anna fielen die Naturwissenschaften leicht, und auf dem Gymnasium war sie für Mathematik entbrannt. Ihr schien alles zuzufliegen, ohne dass sie lernen musste.
Rosas Wissen reichte nur für die Realklasse, doch ihr Vater, Roland Quast, war ein einflussreicher Mann in der Stadt Lübeck, und hatte dafür gesorgt, dass Rosa die Reifeprüfung bestand. Mit seinem Geld und unermüdlicher Hilfe von Anna.
Seit die beiden jungen Frauen das Examen in der Tasche hatten, gab es für Rosa nur noch ein Thema: Welchen wohlhabenden und angesehenen Lübecker könnte sie für sich gewinnen, um die beste Partie zu machen?
»Ich denke, so werde ich die Blicke der Kandidaten auf mich ziehen. Sie sollen sofort erkennen, wer ich bin: die Tochter des vermögendsten Unternehmers der Stadt.« Rosa lächelte zufrieden.
Anna hingegen überlegte, was sie mit ihrem Abschluss anfangen könnte, welchen Beruf sie ergreifen sollte, um ihre Mutter zu unterstützen. Sie hätte am liebsten als Lehrerin gearbeitet, allerdings hatten sie nicht das Geld, um ein Studium in der Schweiz zu finanzieren. Dort akzeptierte man seit einigen Jahren Frauen als Studentinnen, und Anna hätte alles dafür gegeben, eine Universität besuchen zu dürfen. Aber das Schicksal hatte vermutlich anderes mit ihr vor. Sie musste einen Beruf ergreifen, in dem Frauen gern gesehen waren. Dass sich ein reicher Mann für Anna interessierte, daran wagte sie nicht zu denken. Ihre Mutter bekam nur einen geringen Lohn, und sie waren von der Wohltätigkeit der Familie Quast abhängig. Anna hoffte, dass sie einen Ehemann fände, der einer redlichen Arbeit nachging, ihr ein kummerfreies Leben und seine Liebe bot. Was wollte man mehr? Eine Menge, doch durfte man nach den Sternen greifen? Sie wollte nicht hoch hinaus, ein beschauliches Leben reichte ihr vollkommen aus. Wer hoch fliegt, stürzt tief, sagte ihre Mutter immer.
»Willst du mich so in die Stadt begleiten?«, fragte Rosa und blickte ihre Freundin mit offener Missbilligung an.
Anna sah an sich herunter. »Ja, warum denn nicht?«
»Ich finde deinen Aufzug ein wenig ... altmodisch. Du kannst eins von meinen abgelegten Kleidern anziehen. Du weißt ja, ich trage sie nie länger als ein halbes Jahr. Was sollen sonst die Nachbarn denken? Vater hätte uns an den Bettelstab gebracht? Nein, nimm das hellblaue Kleid, es passt besser zu deinem brünetten Haar als zu meinem rotblonden. Es ist wie für dich gemacht.« Rosa verschwand in dem angrenzenden Ankleidezimmer.
Annas Blick schweifte durch Rosas Zimmer. Es war mit allem ausgestattet, was man sich nur wünschen konnte. Oben am Himmelbett waren weiße Volants angebracht, die Bettwäsche war mit kleinen Rosen bestickt. Die hellen Eichenmöbel entsprachen nicht der Mode – angesagt waren Esche und Ebenholz –, aber Rosa wollte es so. Und was Rosa gefiel, das bekam sie. Das war das oberste Gebot im Hause Quast.
Anna hörte an dem Quietschen, dass der Schrank nebenan geöffnet wurde. Während ihr Kleiderschrank in ihrem Zimmer stand, besaß Rosa einen eigenen Raum für ihre Kleider und Accessoires, denn das hätte in ihrem Schlafzimmer keinen Platz gefunden. Wer brauchte all dieses Zeug? Innerlich schüttelte Anna wieder den Kopf. Natürlich war sie Rosa dankbar, dass sie ihre Sachen mit ihr teilte, auch wenn es getragene Stücke waren, aber ihr selbst lag nur wenig an neuen Kleidern. Anna brauchte kein Dutzend, um sich besser zu fühlen. Sie war zufrieden mit dem, was sie hatte. Es gab Wichtigeres im Leben. Das würde Rosa hoffentlich irgendwann lernen.
»Schau mal, das ist doch hübsch.« Rosa kam mit dem hellblauen Kleid zurück und hielt es Anna entgegen. »Ich hab es gern getragen, der Stoff ist sehr fein.«
Anna überlegte kurz. Sie mochte das Kleid aus edlem Musselin. Sie ging auf Rosa zu, nahm den Stoff prüfend zwischen Daumen und Zeigefinger. »Ja, es ist sehr elegant. Aber findest du nicht, dass ich damit ein wenig zu fein aussehe?«
»Unsinn! Man kann nie schick genug gekleidet sein. Man weiß ja nie, wem man begegnet. Stell dir vor, du lernst den Mann kennen, für den dein Herz schlägt! Dann soll er doch einen bleibenden Eindruck von dir bekommen. Mach schon, zieh dich um. Ich schenke es dir, da ich es ohnehin nicht mehr tragen werde.«
Rosa hatte ja recht. Das Kleid war ein geschmackvolles Stück, das sonst nur im Armenhaus landen würde, aber dafür war es viel zu schade. So machte sich Anna daran, die Kleidung zu wechseln, es hatte ohnehin keinen Sinn, mit Rosa zu diskutieren. Sie war es gewohnt, stets zu gewinnen, und würde nicht verstehen, dass der Mann, der Annas Herz erobern würde, sich nicht viel Gedanken über Kleider machte. Sie fand, er solle ein spannendes Buch oder eine interessante Diskussion einer schönen Hülle vorziehen.
»Ich bin sofort wieder da.« Sie ging hinüber in den Ankleideraum, der schon allein größer war als ihr eigenes Zimmer, und schloss die Tür hinter sich. Sie ließ den Blick über die Schneiderpuppe wandern, die in der Ecke stand und als Kleiderständer diente. Ein großer weißer Hut thronte auf dem Halsanschnitt. Das Gewand darunter sah aus wie ein Hochzeitskleid. Überall lagen Hüte, Handtaschen und Schirme herum. Es gab zwei große Eichenholzschränke, in denen mehr Kleider hingen als in dem Atelier einer Schneiderin. Man hätte meinen können, es wäre das Ankleidezimmer der Kaiserin.
Anna hatte für diesen Luxus nur ein Schnauben übrig und schlüpfte endlich aus ihrem Kleid. Sie beeilte sich, das Blaue überzustreifen, bevor Rosa ungeduldig wurde.
»Was brauchst du denn so lange? Nachher sind wieder alle Tische in der Konditorei Robek besetzt, und wir müssen warten, bis etwas frei wird.« Als Anna wieder in das Schlafzimmer trat, wippte Rosa ungeduldig mit einem Fuß.
»Ich hab so schnell gemacht wie möglich. Ich bin ja jetzt fertig«, sagte sie ruhig. Sie wusste, wenn sie sich im Ton vergriff, würde Rosas Stimmung schnell umschlagen, und sie hätte den ganzen Tag schlechte Laune. Da war es besser, eine adäquate Antwort herunterzuschlucken und nur zu lächeln, als eine Diskussion zu beginnen.
Rosa schnappte sich den passenden rosafarbenen Sonnenschirm, drückte Anna einen hellblauen in die Hand und hakte sich bei ihr unter. »Dann können wir ja jetzt endlich los. Ich bin total zappelig, weißt du? Ich will dir einen aufregenden Mann zeigen, den ich bei Robek entdeckt habe.«
»Ich hoffe, er ist nicht aus Marzipan«, erwiderte Anna lächelnd.
Rosa stutzte, dann verstand sie den Spaß und lachte hell auf. »Nein, natürlich nicht. Er ist aus Fleisch und Blut.«
Gemeinsam traten sie hinaus auf das Trottoir der Hüxstraße. Die Familie Quast besaß hier ein großes ansehnliches Reihenhaus nahe dem Krähenteich. In dieser Straße wohnten viele wohlhabende Familien, die sich ganze Häuser leisten konnten. Die Quasts waren bekannt, und man grüßte Rosa mit der Höflichkeit, die es der einzigen Tochter der Familie gebührte. Die beiden jungen Frauen fielen auf, denn Anna sah aus, als gehöre sie dazu. Die Mädchen ähnelten sich wie Cousinen und waren ständig zu zweit unterwegs.
Sie bogen um die Ecke, wichen anderen Spaziergängern Arm im Arm aus und kicherten albern. Die Sonne strahlte an diesem Nachmittag erbarmungslos vom Himmel. Weit draußen am Horizont waren dunkle Wolken zu erahnen, die sich wohl später zu einem Gewitter auftürmen würden. Sie würden trockenen Fußes wieder nach Hause kommen. Beide spannten die Sonnenschirme auf, die ein wenig Schatten boten. Es lag eine Schwere in der Luft.
Der Fußweg bis zur Konditorei dauerte nur wenige Minuten. Sie kamen an der Schusterei vorbei, dem kleinen Gemüseladen, zu dem Anna oft ihre Mutter begleitete, und dem Geschäft, in dem es frische Blumen gab. Stina, Annas Mutter, liebte Blumen, und manchmal gönnte sie sich ein paar Veilchen oder Nelken, die sie auf ihren Nachttisch stellte und die ihren Duft im Raum verteilten. Irgendwann würde Anna sich auch einen kleinen Strauß kaufen, wenn sie Geld dafür übrighätte, um ihn zu trocknen.
Vor der Konditorei Robek, wo sie manchmal frische Brötchen und Brot kauften, hielten sie an. Wie erwartet, hatte sich vor dem Laden eine Schlange gebildet, denn in der Konditorei gab es im Erdgeschoss, hinter dem Verkaufsraum, ein Café, das stets gut besucht war, weil dort exquisiter Kaffee, feine Torten und selbst hergestelltes Marzipan angeboten wurden.
Rosa seufzte ungehalten. Sie verzichtete zwar darauf, Anna die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, dass sie warten mussten, aber sie brauchte es gar nicht laut auszusprechen – Anna sah es ihrer Miene an, wie ihre Laune sank.
»Wie ich das hasse«, murmelte Rosa und drängte sich an den wartenden Menschen vorbei. »Entschuldigung, aber mein Vater ist schon hier«, erklärte sie einer Frau, die ihr den Weg verstellte.
»Junges Fräulein, Sie müssen wie alle anderen warten. Vordrängeln gibt's hier nicht.«
»Mein Vater ist Bankdirektor Quast, ich will ihn nicht warten lassen und damit verärgern, und das wollen Sie vermutlich auch nicht.«
Als der Name Quast fiel, trat die ältere Frau sofort zur Seite. Rosa zog Anna an der Hand hinter sich her und kicherte leise, als alle anderen Personen eine Gasse bildeten, damit die jungen Frauen zu den Räumen kamen, die das Café beherbergten.
»Du solltest nicht lügen«, flüsterte Anna, doch ihre Freundin hörte gar nicht zu. Sie selbst sollte es auch nicht tun, aber manchmal blieb einem keine Wahl.
Als sie im hinteren Bereich anlangten, sah sich Rosa suchend um. »Da drüben wird was frei.« Schnell steuerte sie darauf zu und lächelte dem Kellner zu, der den Tisch abwischte. »Ich darf doch?«, fragte sie, und ohne eine Antwort abzuwarten, nahm sie auf einem der gepolsterten Holzstühle Platz.
Anna setzte sich neben sie und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Das Lokal war bis auf den letzten Tisch besetzt. Die Männer rauchten und tranken Kaffee, lasen die Tageszeitung, während ihre Frauen sich an einem Stück Torte gütlich taten. Sie plauderten miteinander und genossen den Tag. Andere Paare saßen sich gegenüber und warfen sich verliebte Blicke zu. Daran erkannte man, dass sie nicht verheiratet waren ...
Die Wände waren recht schmucklos, nur hier und da gab es Gemälde von Menschen, die vermutlich der Robek-Dynastie entstammten. Die Männer trugen Frack, steife Kragen und Backenbart, wie es vor hundert Jahren üblich war. Die Frauen mit ihren schwarzen Kleidern blickten streng in die Kamera. Die Ähnlichkeit mancher Porträtierten war frappierend – viele hatten ungewöhnlich helle Augen. Es schien, dass jede Generation in die Fußstapfen der Ahnen getreten und ebenfalls Konditoren geworden war. Da gab es nichts zu diskutieren – es war in der Familientradition verankert.
Die Luft im Raum war geschwängert vom Duft des Tabaks und feinen Aromen wie Vanille, Mandeln und Krokant, gemischt mit Kirschwasser.
»Was möchtest du bestellen?«, fragte Rosa und sah hinüber zur Theke, wo die Torten hinter Glas zur Auswahl standen.
»Ich nehme ein Stück Frankfurter Kranz und eine Tasse Kakao«, entschied Anna schnell.
»Oh ja, das nehme ich auch ... Oder doch lieber ein Stück Kirschtorte?«, überlegte Rosa laut. »Nein, vielleicht sollte ich ein Franzbrötchen bestellen. Das habe ich in Hamburg gegessen, als wir eine Cousine von Mama besucht haben. Es hat köstlich nach Zimt und Zucker geschmeckt, ich wusste gar nicht, dass man so was auch hier in Lübeck bekommen kann. Oder sollte ich doch ...«
Rosa plapperte weiter, und Anna stellte ihre Ohren auf Durchzug, denn am Ende würde Rosa doch das nehmen, was sie selbst gewählt hatte, denn ihre Freundin konnte sich nie entscheiden und überließ es gern anderen, eine Auswahl zu treffen. Anna zog es vor, die Menschen um sich herum zu beobachten, die nicht nur aus höheren Kreisen stammten. Männer und Frauen jeglicher Gesellschaftsschicht hatte hier in an den Tischen Platz genommen und gönnten sich eine kleine Auszeit.
»Meine Damen, was darf ich Ihnen bringen?« Der Keller war zurückgekehrt und verbeugte sich galant. Rosa begann albern zu lachen, was Anna peinlich berührte. Der Mann tat nur seine Arbeit und wollte höflich sein. Es gab keinen Anlass, sich über ihn lustig zu machen.
»Wir nehmen zwei Tassen Kakao und zwei Stücke Frankfurter Kranz«, bestellte Anna schnell, bevor Rosa etwas Unangebrachtes von sich geben konnte.
Er leckte den Bleistift mit seiner Zungenspitze an und notierte die Bestellung auf einem kleinen Block. »Sehr wohl, meine Damen. Der Kakao mit einem Schlag Sahne?«
»Nein.« Rosa winkte ab und blickte zur Theke, wo das Personal die Bestellungen in Empfang nahm.
Der Kellner nickte und verließ mit steifen Schritten den Tisch. Rosa beugte sich vor. »Oh Himmel, schau mal, da ist er«, flüsterte sie. Sie deutete mit dem Kinn in Richtung der Theke.
Anna versuchte, unauffällig hinzusehen, doch sobald sie in die Richtung schaute, trafen sich ihre und die Blicke eines jungen Mannes, der eine weiße Jacke trug, zu schwarzen Hosen, darüber eine lange Schürze. Auf dem Kopf saß ein kleines Schiffchen, passend zur Jacke in Weiß. Seine Oberlippe zierte ein Bärtchen. Es war mehr ein Flaum als ein richtiger Bart. Die hellblauen Augen fielen ihr sofort auf. Anna hatte noch nie einen Mann gesehen, der eine so helle Iris besaß. Er lächelte. Allerdings nicht zu ihnen herüber, sondern über etwas, das eine der Damen sagte, die die Bestellungen vorbereitete. Sie war schon älter und hatte die gleichen hellen Augen. Konnte das seine Mutter sein? Er war groß gewachsen und sah aus wie die Herren, die Anna von der Wand aus entgegenblickten, nur eben wesentlich jünger. Dann sah er Anna so intensiv an, dass sie nicht in der Lage war, ihren Blick abzuwenden. Als würde eine magische Kraft sie bannen. Dabei wollte sie ihn gar nicht so ungeniert mustern, aber sie konnte nicht widerstehen.
»Sieht er nicht interessant aus? So schneidig in seiner Konditorenuniform! Ich wette, er ist noch nicht vergeben.« Rosa sprach leise und ließ den jungen Mann dabei nicht aus den Augen. Sie tat es so auffällig, dass die ältere Frau zu ihnen herüberblickte. Ihr war wohl nicht entgangen, dass die beiden jungen Frauen in ihre Richtung starrten.
Plötzlich begann Rosa, laut zu lachen, und tat so, als hätte Anna etwas Lustiges gesagt. Ihr Theater war so leicht zu durchschauen und peinlich, dass es die Aufmerksamkeit der Gäste der anderen Tische anzog. Einige räusperten sich laut und warfen ihnen verständnislose Blicke zu.
»Möglicherweise ist er ja verlobt«, wagte Anna einzuwerfen, leise, damit niemand ihr Gespräch verfolgen konnte, nur um Rosa zum Schweigen zu bringen. Es war Anna äußerst peinlich, dass sie sich so in den Mittelpunkt spielte.
Rosa schüttelte den Kopf. »Nein, auf keinen Fall, sonst würde er einen Ring an der Hand tragen, und ich finde, dafür ist er zu jung.«
Der Kellner brachte den Kuchen und ihren Kakao und versperrte ihnen so für einen Moment die Sicht. Als er sie wieder freigab, war der junge Mann hinter dem Tresen verschwunden.
»Oh, schade ...«, schmollte Rosa. »Aber ich bin mir sicher, dass er mich bemerkt hat.« Sie sah Anna so voller Zuversicht an, dass sie nichts dazu sagte. Anna konnte ihr ja schließlich nicht erzählen, dass der junge Mann sie angesehen hatte. Das würde Rosa ihr niemals abnehmen und nur wieder eingeschnappt reagieren. Manchmal glaubte Anna, dass Rosa nie älter als zwölf Jahre wurde, dabei waren sie jetzt erwachsene Frauen von zwanzig und sollten sich auch so benehmen. Doch es war nicht Annas Aufgabe, ihr das zu erklären. Dafür waren andere zuständig. Rosas Gouvernante hatte vor drei Monaten den Haushalt verlassen, nachdem ihr Schützling die Reifeprüfung abgelegt hatte. Der Frau war anzusehen gewesen, dass sie froh war, diese nicht leichte Aufgabe loszusein, obwohl es in diesen Zeiten nicht einfach war, eine Anstellung zu finden.
»Weißt du, wie er heißt?«, flüsterte Anna und stach mit der Kuchengabel ein Stückchen von ihrem Frankfurter Kranz ab. Die Süße des Krokants breitete sich in ihrem Mund aus, und sie stöhnte leise. Es schmeckte himmlisch, darauf hatte sie sich schon den ganzen Tag gefreut. Sie war seit Kindertagen eine Naschkatze, liebte Nachspeisen, und manchmal kochte ihre Mutter aus Zucker, Butter und Sahne Karamellbonbons, die sie ihr heimlich zusteckte.
»Natürlich kenne ich seinen Namen. Das ist Albert Robek, der einzige Sohn der Familie. Er wird einmal die Firma übernehmen, das hat zumindest Papa erzählt. Sie sind Kunden von ihm. Das Unternehmen steht ausgezeichnet da, und Albert ist eine gute Partie, wenn auch nicht die Beste. Aber er ist ein Mann mit Manieren, sieht attraktiv aus, und er gefällt mir.« Sie sagte das auf eine Art, als wäre dieser Albert ein appetitliches Häppchen, dass man hier in der Konditorei kaufen könnte. »Ich werde dafür sorgen, dass ich ihm auffalle und er sich in mich verliebt«, verkündete sie selbstbewusst, schob sich ein Stück Frankfurter Kranz in den Mund, kaute und lächelte vielsagend. Dabei hing ihr ein Stück Krokant im Mundwinkel, aber sie bemerkte es nicht, bis es auf den Teller fiel. Anna wollte etwas sagen, doch dann behielt sie ihren Einwand besser für sich. Sicher war sicher.
»Glaubst du, dass du ihm aufgefallen bist?«, fühlte Anna vorsichtig vor.
»Ja, ganz bestimmt. Er hat mir tief in die Augen geschaut, zwar nur für einen kurzen Moment, aber ich habe es genau gesehen. Ich werde Papa bitten, die Familie einmal zum Abendessen einzuladen.« Rosa lächelte über ihren Einfall und kaute genießerisch weiter. »Er ist eine gute Partie, und ich bin es schließlich auch. Es wäre ein Wunder, wenn sich daraus nicht eine hervorragende Ehe ergeben würde. Papa wird über meine Wahl begeistert sein!«
Aus ihrem Mund klang es, als wäre es bereit beschlossene Sache, dass Albert Robek sie heiraten würde, dabei war Anna sich nicht sicher, ob er Rosa überhaupt wahrgenommen hatte, wo er doch die ganze Zeit sie selbst und nicht ihre Freundin angestarrt hatte.
Lübeck, Juli 1872
In filigraner Feinarbeit befestigte Albert mit einer Pinzette das letzte Blütenblatt aus Marzipan auf einer Torte und richtete sich auf. Seine Hand hatte nicht einmal gezittert. Er begutachtete sein Werk auf einem Drehteller von allen Seiten. Er nickte zufrieden. Ja, das war wahrhaftig ein Meisterwerk, zumindest in seinen Augen. Er hatte geraume Zeit daran gearbeitet, und es hatte sich gelohnt.
»Sieht perfekt aus«, lobte ihn Anton Koplin. Der Konditormeister war seit mehr als dreißig Jahren in der Konditorei angestellt, und Albert freute sich über jeden Zuspruch, den er von ihm erhielt, denn es kam selten vor. Er war nicht leicht zufriedenzustellen, forderte von allen Mitarbeitern, die ihm unterstellt waren, das Beste, genauso wie von sich selbst. Und Anton war ein ausgezeichneter Lehrmeister, und Albert arbeitete gern mit ihm zusammen.
»Danke«, sagte Albert mit einem Grinsen. Er wusste, dass dieses Lob ernst gemeint war und nicht nur dahergesagt, weil er der Sohn der Familie war. Anton machte da keinen Unterschied.
»Wer soll das essen?«, fragte Otto Robek, sein Vater, und warf einen missbilligenden Blick auf die Torte. »Soll man sich die in eine Vitrine stellen?«, knurrte er schlecht gelaunt.
»Wenn du damit zum Ausdruck bringen willst, dass sie zu schön zum Essen ist, dann ja, Vater, eine Vitrine wäre der richtige Ort, wenn es da drin kühl genug ist.« Albert zwinkerte Anton zu, der die Luft anhielt. Sein Kopf war schon ganz rot, denn niemand wagte es, Otto Robek zu widersprechen oder solch einen Ton anzuschlagen ... außer Albert.
Er kannte die Meinung seines Vaters, wenn es um neue Ideen und Veränderungen ging. Er war kein Freund davon. Doch Albert hatte beschlossen, sich darüber hinwegzusetzen. Die Welt veränderte sich ständig, und er würde nicht auf der Stelle treten, sondern den Neuerungen offen gegenüberstehen. Die Zeiten waren hart, aber für das leibliche Wohl gaben die Leute gerne Geld aus. So hatte Albert beschlossen, einer der besten Marzipanhersteller des Landes zu werden. Er wollte seine Tortenkreationen mit Marzipan krönen, damit man weit über den Grenzen des Landes hinaus davon hörte und sie bekannt wurden. Jeder sollte Robek-Marzipan kennen und lieben lernen. Es war ihm gelungen, eine besonders geschmeidige Mischung aus gemahlenen Mandeln, Zucker und Rosenwasser herzustellen, mit denen man alle Art von Gebilden herstellen konnte.
»Das ist nur wieder eine deiner neumodischen Ideen«, brummte sein Vater und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Damit kannst du höchstens höhere Töchter beeindrucken.«
»Genau das will ich! Sie sind schließlich die Kundinnen, die morgen und übermorgen unsere Kasse füllen werden. Wir müssen an die Zukunft denken, Vater. Marzipan wird die Welt erobern, du wirst sehen, und es wird unseren Namen tragen! Wir werden es bis auf die Tafel der englischen Königin schaffen.«
»Willst du ihr eine Krone aus Marzipan backen?«, rief sein Vater aufgebracht.
»Wenn sie eine bestellt«, erwiderte Albert grinsend.
Otto Robek blickte ihn an und schüttelte nur den Kopf. »Es reicht, wenn wir die Rohmasse weiterverkaufen. Das ist einträglich und kostet bei Weitem nicht so viel Zeit, wie kleine Blumen zu kneten.« Er warf seinem Sohn einen vielsagenden Blick zu und ging von der Backstube hinüber in die Manufaktur, wo sie das Marzipan herstellten.
Resigniert ließ Albert den Kopf hängen. Er konnte tun, was er wollte – er würde es seinem Vater niemals recht machen können.
Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter. »Mach dir nichts draus, mien Jong. Die Torte ist perfekt. Bring sie in den Laden. Ich bin sicher, dass wir sie in null Komma nichts verkauft haben. Gibt deinen Traum nicht auf. Du bist auf dem richtigen Weg, lass dir nichts anderes einreden.« Anton nickte ihm aufmunternd zu.
Vorsichtig trug Albert die neue Torte in den Verkaufsraum der Konditorei. Am Morgen waren nicht viele Kunden im Laden, Kuchen und Gebäck wurde später am Tag gekauft, frisches Brot, Toast und Brötchen in der Früh. Als sich die Tür öffnete, sah er verwundert auf. »Ich mach das schon«, raunte er Lore, der Verkäuferin, zu, die überrascht nickte und sich dann daran machte, neue Ware in die Auslagen zu räumen. Es war eigentlich nicht seine Aufgabe, sich um die Kunden zu kümmern. Dafür gab es Verkäuferinnen, doch diese spezielle Kundin wollte Albert gerne selbst bedienen.
»Guten Morgen!«
Bei dem Klang der sanften Stimme kribbelte seine Haut auf eine angenehme Weise. Sie kam ihm bekannt vor, als sie das Geschäft betrat, und dann fiel es ihm augenblicklich ein. Er hatte sie schon gestern hier gesehen, ihre Blicke hatten sich gekreuzt. Sie trug das gleiche blaue Kleid wie am Vortag. Albert erinnerte sich an ihre auffällig blauen Augen und das brünette Haar, das sie zu einem Zopf geflochten trug. Sie wirkte ernster, als sie womöglich war.
»Moin, gnädiges Fräulein! Was darf's sein?«, fragte er und blickte freundlich.
»Ich hätte gern fünf Franzbrötchen und eine Torte«, erklärte sie und blickte verlegen auf die Auswahl.
»Welche darf es denn sein?«
»Bitte etwas Außergewöhnliches. Sie ist für Frau Direktor Quast. Sie hat heute Geburtstag.« Das Fräulein wagte nicht, ihn anzusehen.
Albert nickte. »Ich glaube, da habe ich genau das Richtige für Sie.«
Er holte die Torte mit den Blütenblättern aus Marzipan aus der Kühlung hervor.
»Oh Gott, ist die schön!« Die Kundin schlug eine Hand vor den Mund. »Würden Sie die Rechnung an Direktor Quast schicken, Hüxstraße?«
»Kein Problem. Seien Sie nur vorsichtig, sie ist ganz frisch, ich habe sie heute Morgen hergestellt.«
»Sie haben die Torte gemacht? Sie sieht wirklich bezaubernd aus. Da ist Ihnen ein richtiges Meisterwerk gelungen.«
Albert freute sich über das Lob, verriet aber nicht, dass er noch gar kein Konditormeister war. Wenn sein Vater hätte hören können, dass seine Ideen ankamen, hätte er ein anderes Bild von ihm.
»Ich habe Sie doch gestern schon hier gesehen, mit einer Freundin, nicht wahr? Oder Schwester?«, fragte Albert neugierig, während er das Backwerk sicher in einem Karton verpackte und die Franzbrötchen in eine Tüte schob.
»Ja, das stimmt. Ich war mit Rosa hier. Sie ist die Tochter von Direktor Quast.« Sie lächelte verlegen.
»Und wie ist Ihr Name, wenn ich fragen darf?« Albert hatte seinen ganzen Mut zusammengenommen und war froh, dass seine Hände beschäftigt waren. Es war nicht seine Art, junge Frauen einfach so anzusprechen oder mit ihnen zu scherzen, schon gar nicht im Geschäft. Er war schüchtern, wenn es darum ging, Kontakte zu knüpfen, die das weibliche Geschlecht betrafen. Aber dieses Fräulein war ihm gestern aufgefallen, und er wollte unbedingt zumindest ihren Namen erfahren.
Sie sah ihn mit ihren großen blauen Augen an. Einer Farbe, die ihn an das Meer erinnerte. »Anna ... mein Name ist Anna Hohenhaus. Meine Mutter ist die Köchin der Familie Quast. Sie schickt mich, um die Torte zu holen.«
Sie wurde rot, was Albert reizend fand. Sie war eine ruhige, junge Frau, womöglich zu ernst für ihr Alter, doch das konnte er in der kurzen Zeit kaum feststellen. Sie war elegant gekleidet, möglicherweise sogar ein wenig zu gut für die Tochter einer Köchin, und er fragte sich, ob sie ihn auf den Arm nahm.
»Anna. Das ist ein schöner Name. Ich bin Albert Robek. Wie der Name an der Tür.« Er grinste.
Erneut flammten ihre Wangen auf. Sie war es nicht gewohnt, dass man ihr Komplimente machte. Vermutlich sagte sie doch die Wahrheit.
»Dann wünsche ich Ihnen guten Appetit«, erklärte Albert und reichte ihr den Karton und Brötchentüte über die Ladentheke.
»Oh nein«, winkte Anna ab. »Davon werden wir nichts abbekommen. Meine Mutter hat einen Zitronenkuchen gebacken, der ist für die Angestellten.« Sie lächelte schüchtern.
Nein, sie hatte ihn nicht belogen. Auch wenn sie elegant gekleidet war, so war sie die Tochter einer Köchin. Er sah es in ihren Augen und in ihrem Lächeln, das leicht spöttisch wirkte, üblich für die arbeitende Schicht. Er kannte das nur zu gut. Die überhebliche Art der Reichen in diesem Land war ihr vollkommen fremd, daher nahm er all seinen Mut zusammen und fragte leise: »Würden Sie sich mit mir am Sonntag auf ein Eis treffen?« Die Worte waren aus seinem Mund, bevor er sie zurücknehmen konnte, dennoch war er erleichtert, dass er den Mut aufgebracht hatte zu fragen.
Die junge Frau schüttelte den Kopf, und das kleine Sonnenhütchen, das sie auf ihrem brünetten Haar trug, wippte aufgeregt hin und her. »Nein, das kann ich nicht machen. Es tut mir leid. Ich würde gern ... aber ... nein, das geht wirklich nicht.«
Albert stutzte. Er hörte sich nicht so an, als wäre er ihr zuwider. »Warum nicht, Anna?«, fragte er rasch. Er wollte nicht, dass sie schon ging. »Sind Sie bereits vergeben?«
Ihre Pupillen weiteten sich erschrocken.
»Entschuldigen Sie, ich weiß, diese Frage gehört sich nicht, aber das ist der einzige Grund, den ich als Ausrede gelten lassen würde.« Er lächelte charmant, das hoffte er zumindest, denn er hatte keine Erfahrung darin, mit einer Frau zu tändeln. Für ihn hatte es bisher nur seine Arbeit gegeben und die Träume vom Marzipan. Doch diese junge Frau hatte sein Interesse geweckt, auf eine sonderbare Art und Weise, wie es ihm noch nie untergekommen war. Das ließ ihn mutig werden, und es wäre ihm egal gewesen, wenn eine Angestellte sein Gespräch belauschte. Lore sah hin und wieder zu ihnen herüber, stand aber zu weit entfernt, um etwas zu verstehen. Albert wäre es lieber gewesen, mit Anna unter vier Augen zu sprechen, aber das war hier nicht möglich.
»Nein, ich bin nicht vergeben«, sagte Anna. Sie biss sich auf die Unterlippe. »Aber es geht trotzdem nicht. Es tut mir leid. Tschüss, Herr Robek.« Sie sprach sehr leise, schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln und nickte ihm zu, dann verließ sie die Konditorei und lief schnell über die Straße. Alberts Blick folgte ihr, bis sie um die nächste Straßenecke verschwand, und nicht mehr zu sehen war.
»Schade«, murmelte er und seufzte leise. Sie war eine junge Frau ganz nach seinem Herzen, wie sie mit schwingenden Hüften den Laden verließ, den Kopf stolz erhoben, obwohl sie ihm gegenüber so schüchtern getan hatte. Sie war voller Widersprüche, und genau das reizte ihn. Warum nur hatte sie seine Einladung abgelehnt? Sie schien ihn doch zu mögen. Albert wurde aus all dem nicht schlau. Er sollte sich lieber wieder seinem Marzipan zuwenden. Hier begab er sich auf sicheres Terrain, hier kannte er sich aus. Trotzdem wollte er wissen, warum sie seine Einladung abgelehnt hatte. Es musste einen Grund geben, und er hatte vor, diesen in Erfahrung zu bringen. So schnell würde er nicht aufgeben. Er wusste ja nun, wo sie zu finden war. Das Haus von Direktor Quast kannte jeder in der Stadt.
***
»Wo bleibst du denn so lange?«
Die Stimme ihrer Mutter klang äußerst ungeduldig. Stina Hohenhaus wischte sich eine lose Haarsträhne aus der Stirn und sah verschwitzt aus. Es war ungewöhnlich warm in der Küche.
Anna war schwindelig. Sie hatte keine Erinnerung an ihren Rückweg, denn sie war wie auf Wolken über den Asphalt geschwebt. Ein Glück, dass Rosa nicht dabei gewesen war. Die Begegnung mit Albert Robek hatte sie völlig aus der Bahn geworfen. Nicht nur, dass er so sympathisch war, auch hatte er versucht, sie einzuladen. Was für ein Jammer, dass Anna sich diesen Konditor aus dem Kopf schlagen musste. Niemals würde sie sich mit ihm treffen können. Sie konnte doch Rosa nicht verraten, und das würde sie tun, wenn sie sich mit einem Mann träfe, für den ihre Freundin schwärmte. Dabei hatte sie ihm gleich gesagt, dass sie nicht die Tochter der Quasts, sondern die einer Köchin war. Sie war kein Fräulein, dass eine große Mitgift in die Ehe bringen würde. Das Einzige, was sie besaß, waren ein gutes Benehmen und ein scharfer Verstand. Mit mehr konnte sie nicht aufwarten, und das war eindeutig zu wenig, um in eine reiche Unternehmerfamilie einzuheiraten. Sie war kein Dösbaddel und sich ihrer Lage bewusst. Und trotzdem hatte er sie eingeladen ...
»War es so voll?«, fragte ihre Mutter und sah sie prüfend an.
»Ja, ich hab mich extra beeilt«, sagte Anna schnell und stellte den Karton und die Tüte auf dem Tisch ab. »Schau dir bitte die Torte an. Sie ist wunderschön.« Anna hob den Deckel vorsichtig von der Verpackung.
»Das ist ja ein richtiges Kunstwerk!« Ihre Mutter klatschte vor Freude in die Hände.
Anna lachte erleichtert auf. »Man könnte meinen, dass du heute Geburtstag hast, so wie du dich freust.« Anna war froh, dass sie genau die richtige Wahl getroffen hatte.
»Du kennst doch Frau Quast. Für sie ist das Beste noch nicht gut genug, wir wollen hoffen, dass ihr die Torte gefällt.«
»Genau wie für ihre Tochter«, murmelte Anna und verdrehte die Augen.
»Das behalten wir aber für uns, Kind«, sagte Stina in einem strengen Ton, jedoch mit einem Lächeln auf den Lippen. »Komm, hilfst du mir, die Platten vorzubereiten? Wir erwarten um elf Uhr Gäste, bis dahin muss alles fertig sein.«
Anna half ihrer Mutter gern in der Küche. Hier hatten sie ihre Ruhe, denn weder Frau Quast noch Rosa verirrten sich je hierher. Anna schaute ihrer Mutter oft über die Schulter und lernte, wie man ein ordentliches Menü kochte. Der Mann, der Anna einmal zur Frau nehmen würde, bekäme zumindest eine junge Frau, die kochen und einen Haushalt führen konnte, so viel stand fest. Darauf legte Stina großen Wert, und Anna stellte sich geschickt an.
Die Küche lag im Tiefparterre des Wohnhauses und war mit allem ausgestattet, was ein moderner Haushalt benötigte. Es gab einen Backofen und Herd, der mit Holz betrieben wurde, und einige Hochboards für das Geschirr und Töpfe. Direktor Quast hatte dafür gesorgt, dass Haushaltsgeräte aus Holz wie große und kleinere Schneidbretter, Kochlöffel, Wäscheklammern und vieles mehr aus dem Erzgebirge angeschafft wurden. Stina Hohenhaus machte es Freude, hier zu arbeiten, zumindest kam niemals ein Wort der Beschwerde über die Lippen.
Sie machte sich daran, die Torte in gleichmäßigen Stücken anzuschneiden, während Anna einen Kuchenteller aus dem Schrank nahm und eine Schüssel, in die sie die Franzbrötchen legte. Dabei wanderten ihre Gedanken immer wieder zurück zu Albert Robek. Wie er sie angelächelt hatte! Er hatte freundliche hellblaue Augen mit kleinen Lachfältchen, die ihn sympathisch machten. Wie alt er wohl sein mochte? Das war schwer einzuschätzen. Er war ein Mann, der auffiel, und es war kein Wunder, dass Rosa auf ihn aufmerksam geworden war. Rosa und vermutlich eine ganze Menge junger Frauen der Stadt, die aus wohlhabenden Familien stammten. Sie seufzte leise. Warum hatte er dann gerade sie um eine Verabredung gebeten? Wollte er sich nur einen Spaß machen? Es kam ihr fast so vor. Er wusste doch, dass sie nur die Tochter einer Köchin war, und er war der Sohn eines der bekanntesten Unternehmerfamilien in Lübeck. Das passte nicht zusammen. Auch wenn es eine schöne Idee gewesen wäre, es war ein Traum, aus dem man nur tief enttäuscht erwachen würde. Oder hielt er sie für ein Mädchen, das leicht zu bekommen war? Gerade weil sie nicht aus einer angesehenen Familie kam. Dachte er, sie würde sich auf ihn einlassen, ohne dass er ernste Absichten bekundete?
»Anna? Hast du mich gehört? Was stehst du da herum? Träumst du etwa mitten am Tag?«
Die Stimme ihrer Mutter drang nur langsam zu ihr durch. Was? So ein Schiet. Ja, sie hatte geträumt, und zwar von einem Mann. Das war ihr noch nie passiert. Bisher fand sie alle jungen Männer eitel und uninteressant. Doch dieser Albert war anders, und sie konnte noch nicht einmal sagen, warum.
»Nein, Mutter«, murmelte sie und nahm die Schüssel mit den Franzbrötchen und stellte sie vom Buffetschrank auf den Tisch.
»Du siehst so merkwürdig aus. Du wirst doch wohl nicht krank?« Stina legte ihr die Hand an die Stirn.
»Es ist alles in Ordnung, Mama.« Anna wandte sich ab. Ihre Wangen waren ganz heiß, aber nicht, weil sie krank wurde, sondern weil sie von schönen Augen eines noch schöneren Mannes geträumt hatte. Was ging ihr da nur durch den Kopf?
»Puh, die Gäste kommen erst in einer halben Stunde, und die Gnädigste ist jetzt schon nicht mehr ganz frisch.«
Paula, das Hausmädchen, kam in die Küche gewirbelt, mit zwei Blumensträußen, die an der Tür abgegeben worden waren. »Haben wir noch Vasen? Wir brauchen bestimmt noch drei bis vier Gefäße.«
Anna machte sich daran, in den Schränken nach Vasen zu suchen. »Was heißt denn, nicht mehr ganz frisch?«, fragte sie neugierig.
»Na, die Gnädigste hat schon einiges intus ... zu tief ins Glas geschaut ... einen sitzen.« Paula grinste wissend.
Jetzt verstand Anna. »Aber sie hat ja auch heute Geburtstag.« Hinter der untersten Tür des Buffetschranks fand sie zwei Vasen aus Meißner Porzellan und stellte sie auf den Tisch.
»Stimmt, sie hätte gar keinen Grund, sich heimlich was in den Kaffee zu kippen, damit es nicht auffällt.« Paula verdrehte die Augen und füllte Wasser in eine Vase, in der sie beide Sträuße platzierte.
»Paula! Du solltest kein dumm Tüch schnacken und deine Zunge hüten«, wies Stina das junge Dienstmädchen an. »Sie ist immerhin die Frau deines Arbeitgebers, und wenn du diese Arbeit nicht verlieren willst, solltest du keine Gerüchte in die Welt setzen.« Annas Mutter schien böse zu sein.
»Aber das sind keine Gerüchte. In ihrem Schlafzimmer sind überall kleine Brandyflaschen versteckt«, petzte Paula. »Ich finde sie immer, wenn ich das Bett mache. Es hat schon seinen Grund, warum der gnädige Herr sein eigenes Schlafzimmer hat.«
»Daran ist nichts ungewöhnlich. Es kommt oft vor, dass die Ehegatten getrennt schlafen. Du hast anscheinend noch nicht in vielen Häusern gearbeitet.« Stina schob Paula den Teller mit den Franzbrötchen über den Tisch. »Lass uns den Kuchen nach oben bringen, bevor die Gäste eintreffen, anstatt hier herumzutratschen. An die Arbeit, Mädchen.«
»Ich mach ja schon«, sagte Paula leise und schnappte sich den Teller, während Stina die Platte mit der Torte trug. Anna blieb allein in der Küche zurück und naschte ein Stück von dem Zitronenkuchen, den ihre Mutter gebacken hatte. Sie mochte den Zitronenguss ganz besonders und einige süßsaure Tränen davon waren auf dem Teller, auf dem der Kuchen ausgekühlt hatte, zurückgeblieben. Sie grinste selig, als der Geschmack sich in ihrem Mund ausbreitete.
Lübeck, Juli 1872
Der Tag war lang gewesen, die Uhr zeigte weit nach Mitternacht. Gegen Abend hatte sich noch Besuch angemeldet, der zum Abendessen geblieben war, sodass Stina schnell das Essen hatte erweitern müssen, damit alle Gäste bewirtet werden konnten. Sie hatte in der Küche rotiert. Anna hatte ihr geholfen, Kartoffeln gekocht und gepellt. Es gab zusätzlich einen warmen Kartoffelsalat mit einer Fischauswahl. Die Teller hatte sie schön dekoriert, und es sah nach mehr als, als es wirklich war. Stina konnte nur hoffen, dass es der gnädigen Frau nicht aufgefallen war. Aber vermutlich war sie zu betrunken, um das überhaupt zu bemerken. Paula hatte mit ihren Äußerungen recht gehabt, aber sie wollte nicht, dass Anna es erfuhr und mit Rosa darüber sprach. Sie hatte Anna vor zwei Stunden ins Bett geschickt, das Mädchen wäre beinahe im Stehen eingeschlafen, und Stina räumte noch die letzten gespülten Teller in den Schrank. An drei Tagen in der Woche kam eine Küchenhilfe, die Stina zur Hand ging, doch gerade heute hatte Marlies sich krankgemeldet, sodass Anna eingesprungen war. Auf ihre Tochter war eben Verlass.
Eine Bewegung an der Tür ließ sie erschrocken herumfahren, denn auch Paula war schon zu Bett gegangen.
»Entschuldigung, Stina, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
»Herr Direktor, kann ich etwas für Sie tun?«
Es kam selten vor, dass der Hausherr den Küchentrakt betrat. Wenn Stina genau überlegte, war es bisher nur zwei Mal geschehen. Ansonsten schickte er Paula, oder er bediente sich der Hausglocke.
»Nein, nein, ich brauche nichts«, sagte Roland Quast, sah sich aufmerksam im Raum um. »Es hat sich hier nicht viel verändert.«
Was hätte sich auch verändern sollen, fragte sich Stina in Gedanken, runzelte die Stirn und sah ihn an.
Roland Quast war ein stattlicher Mann. Älter geworden, mit den Jahren, aber immer noch gut aussehend. Seine dunklen Haare wurden an den Schläfen langsam grau, es passte zu seinen grauen Augen, die Stina schon immer aufregend gefunden hatte.
»Möchten Sie vielleicht noch einen Kaffee?«, fragte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. Nervös strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus dem Knoten gelöst hatte. Sie hatte sich am Morgen frisiert und danach nicht wieder in den Spiegel gesehen, dafür war keine Zeit gewesen. Was Quast wohl hier unten wollte?
»Nein, dann kann ich nicht schlafen, wenn ich zu so später Stunde noch Kaffee trinke, aber eine Tasse Tee nehme ich gern.«
Stina setzte einen Kessel Wasser auf den Herd, der immer noch brannte, und legte Holz nach. Dann füllte sie ein wenig Tee in ein Ei und hängte es in eine Tasse. Sie war froh, dass ihre Hände etwas zu tun hatten. Er war doch wohl nicht hier hinuntergestiegen, um ihr zu kündigen? Nein, das durfte nicht sein. Wo sollte sie hin? Jetzt, wo Anna fast erwachsen war.
»Wie geht es Anna?«, fragte er in die Stille hinein. »Ich habe gehört, dass sie ihr Abitur mit Bravour bestanden hat.«
Stina lächelte trotz ihrer Angst. »Ja, sie ist ein Kind, das ihre Mutter mit Stolz erfüllt. Sie ist ein gescheites Mädchen und wird es einmal weit bringen, da bin ich mir sicher.«
»Was will sie jetzt anfangen?«
»Sie würde gern studieren, um Lehrerin zu werden, aber das geht nur in der Schweiz, und dafür haben wir kein Geld. Sie ist geschickt, und vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn sie auch Köchin würde. Ich könnte ihr eine Menge beibringen. Obwohl sie Zahlen liebt. Und sie ist auch fingerfertig im Schneidern. Wir werden sehen, was sich ergibt.«
Der Kessel begann zu pfeifen, und Stina goss das heiße Wasser in die Tasse. Ein feiner Duft von Pfefferminze verteilte sich im Raum. Sie wusste, dass der gnädige Herr gern Pfefferminztee trank, und gab zwei Stücke Kluntje hinein. So, wie er es liebte.
»Ich wünschte, Rosa hätte etwas von Annas Liebe zu den Zahlen, aber bei meiner Tochter ist Hopfen und Malz verloren. Wir werden schnellstmöglich eine gute Partie für sie finden müssen, damit sie versorgt ist.«
Stina wusste nichts darauf zu antworten. Sie schwenkte das Tee-Ei hin und her, und das Wasser färbte sich langsam grün. Nachdem sie das Ei aus Porzellan entfernt hatte, reichte sie Quast die Tasse, der sich mit einem Nicken bedankte und einen Schluck trank.
»Vorsicht!«, rief Stina und hob eine Hand. »Er ist heiß. Nicht, dass Sie sich die Zunge verbrennen.« Ihre Finger hatten sich gerade berührt, als sie die Tasse überreicht hatte, doch er hatte es entweder nicht bemerkt, oder er ließ sich nichts anmerken. Starrte sie nur einen Moment lang an.
»Ich bin hier, um mich bei Ihnen für das gute Essen zu bedanken, das Sie zu Ehren meiner Frau an ihrem Geburtstag gekocht haben. Den Gästen hat es ausgezeichnet geschmeckt, und man hat mich beauftragt, dieses Lob persönlich zu überbringen.« Er lächelte, pustete in die Tasse und nahm noch einen kleinen Schluck.
»Sie müssen mir nicht danken, ich habe nur meine Arbeit erledigt. Ich hoffe, es geht Ihrer Frau gut.« Stina blickte ihn unverwandt an.
»Den Umständen entsprechend.« Er räusperte sich verlegen.
Sie sahen sich wissend an.
Dann fasste Stina sich ein Herz. »Sie sollten sich Hilfe suchen. So kann es nicht weitergehen. Es ist nicht gesund, so viel zu trinken.« Sie überschritt ihre Kompetenzen, das wusste sie, doch es musste jemanden geben, der ihm die Augen öffnete.
Quast ließ resigniert den Kopf hängen. »Ich weiß, aber was soll ich tun? Anneliese weigert sich, einen Arzt zu konsultieren, und leugnet, dass sie ein Problem hat. Mir sind die Hände gebunden. Wenn es Gerede in der Stadt gibt, wäre ein Skandal kaum noch abzuwenden. Ich kann es mir nicht leisten, dass meine Familie zum Gespött der Leute wird. Ich würde damit meine Existenz aufs Spiel setzen und Ihre gleich mit.«
Ja, das war Roland Quast schon immer wichtig gewesen. Sein Ansehen und was die Leute über ihn dachten. Das hatte sie am eigenen Leib erlebt.
Stina wollte noch etwas dazu sagen, blieb dann aber stumm. Es wäre des Guten zu viel, und es ging sie nichts an. Er war nicht ihr Mann, und sie war nur seine Angestellte, sie sollte ihm keine Ratschläge geben, auch wenn sie noch so gut gemeint waren. Es stand ihr nicht zu.
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